Читать книгу BLUTIGER TANZ - Ein One-Night-Stand mit fatalen Folgen - Dantse Dantse - Страница 10
Das Tagebuch von Johnny M. Walker aus dem Gefängnis von Sonderborg
ОглавлениеMein Zerwürfnis, meine Zerrissenheit, die Suche nach Liebe und Glücklichsein, meine Tat und mein Tod, meine Erlösung oder die Hoffnung, es danach zumindest besser zu haben.
Als ich geboren wurde, wurde mir der Name Johnny Mackebrandt Walker gegeben. Man sollte stolz sein, diesen Name zu tragen, würden viele Leute sagen, aber dieser Name wurde zu meinem Verhängnis.
Mein Vater heißt Walker und meine Mutter Mackebrandt. Wie ich mitbekommen habe, wollte die Familie Mackebrandt unbedingt, dass dieser Name auch auf meiner Geburtsurkunde steht, aber meinem Vater gefiel das weniger. Am Ende stand er doch darauf, aber ausgesprochen wurde er nie. Überall stand immer nur Johnny M. Walker.
Mein Vater ist Halbamerikaner, mein Großvater war ein hoher Offizier der amerikanischen Armee und später Diplomat, und meine Großmutter war eine Deutsche.
Meine Großeltern lernten sich während eines Aufenthalts meiner Oma in Kalifornien kennen. Das war am Flughafen, auf dem Weg zurück nach Deutschland. Mein Großvater, der Offizier, wurde gerade als Diplomat nach Bonn beordert.
Zurück in Deutschland verliebten sie sich schnell und kurze Zeit später wurde meine Oma schwanger. Sie wollte den Mann aber nicht heiraten, weil sie keine Lust hatte, als Ehegattin eines Diplomaten gezwungen zu sein, ein Nomadenleben zu führen. Das Kind aber wollte sie und freute sie sich sehr darüber. Sie nannte den Jungen Willy Hans Walker und sie lebten zunächst als Familie in Bonn.
Als mein Vater 4 Jahre alt wurde, wurde mein Opa nach Ägypten versetzt. Meine Oma lehnte ab, mit ihm dorthin zu gehen, und so begann langsam die Trennung. Meine Oma zog mit meinem Vater nach Darmstadt, um in der Nähe ihrer Familie zu sein. So wurde Darmstadt zu unserer Heimat, in der mein Vater aufwuchs.
In Darmstadt lernte mein Vater auch meine Mutter Margot Mackebrandt kennen. Sie war eine sehr schöne Frau. Ich bewunderte meine Mutter immer für ihre Schönheit und wünschte mir, später auch so eine Frau haben.
Meine Mutter studierte Architektur und mein Vater Volkswirtschaft. Nach ihrem Studium heirateten sie und kurze Zeit später wurde meine große Schwester Mia geboren. Erst 3 Jahre später kam ich zur Welt, der kleine Johnny M. Walker.
Wir lebten damals im Bessungen, in der Nähe des schönsten Parks Darmstadt, der Orangerie.
Wir verbrachten im Sommer wie im Winter sehr viele Zeit in diesem Garten, leider nicht mit unseren Eltern, sondern mit unseren verschiedenen Kindermädchen.
Mein Vater war kaum zu Hause und wenn er spät abends nach Hause kam, war er immer schon sehr müde. Er spielte ein bisschen mit uns und dann musste er sich die Nachrichten ansehen, und davor mussten wir schon ins Bett gehen.
Meine Mutter kam immer erst, wenn wir vom Kindergarten abgeholt worden waren. Damals, in der Kindergartenzeit, hatte sie einerseits schon mehr Zeit für uns als Papa, aber ich war andererseits immer traurig, dass sie uns kaum selbst abholte, wie es die Mütter meiner Freunden taten. Als wir in die Schule kamen, hatten wir auch mit unserer Mama immer weniger Zeit. Sie arbeitete viel und kam jetzt auch immer spät nach Hause, genau wie Papa.
Wenn wir darüber klagten, warum sie und mein Vater wenig Zeit für uns hatten, sagte sie nur, dass der Papa und sie viel arbeiten müssten, damit es uns gut ginge. Ich sperrte mich dann immer in mein Zimmer ein und fragte mich, warum sie denn jetzt nicht sah, dass es uns nicht gut ging? Sie wollten doch, dass es uns gut ginge, sagte sie – warum ließen sie dann zu, dass es uns schlecht ging?
Aber ich wollte meiner Mutter nichts vorwerfen. Ich wollte ihr nie zeigen, dass ich so traurig war. Ich wollte meine Eltern nicht belasten. Meine Schwester hielt das genauso wie ich. Wir versuchten, das Verhalten unserer Eltern als etwas Gutes zu sehen. Sie wollten uns doch nur Gutes tun. Deswegen taten wir immer so, als ob wir uns freuten, dass unsere Eltern so viel arbeiteten. Im Gegenzug bekamen wir fast alles, was wir wollten, aber auch vieles, was wir nicht wollten oder brauchten. Unsere Eltern zwangen uns regelrecht zu konsumieren, als ob sie damit etwas in uns betäuben wollten. Es kam oft vor, dass mein Vater, wenn er tagelang nicht da war, darauf bestand, mit uns am Samstag in die Stadt zu fahren und shoppen zu gehen.
Wir gingen von Geschäft zu Geschäft. „Sieh mal, Johnny, ist das nicht schön? Das ist das neuste Handy, willst du das nicht?“
„Schau mal hier, Johnny, mein Liebling, sind das nicht spannende Spiele da? Oh, das sind Computerspiele, was meinst du? Ich kaufe dir dann auch einen Computer.“
„Du brauchst eine neue Jacke, die hier sieht aus wie im Katalog, das willst du doch, oder?“ So ging dann immer weiter, ums Kaufen, Schenken, Geben und Haben. Aber ein neues Handy brauchte ich nicht. Mit wem sollte ich denn dann telefonieren? Ich war erst 10 und unter meinen Freunden verabredeten wir uns direkt nach der Schule. Wozu brauchte ich noch ein Handy? Ich hatte schon drei davon, noch unverpackt in meinem Schrank. Ich wollte kein Computer spielen. Ich wollte lieber mit ihm in der Orangerie verstecken oder Fußball spielen. Ich liebte Fußball sehr. Mit meinen Freunden traf ich mich oft in der Orangerie, um Fußball zu spielen. Manchmal waren ihre Papas mit dabei, meiner aber fast nie.
Da ich im Fußball gut war, wurde ich beim SV98 aufgenommen. Wir trainierten drei Mal die Woche und hatten am Wochenende mindestens ein Spiel.
Damit ich es einfacher hatte, wie meine Mutter zu mir sagte, wurde ein Auto gekauft und ein Chauffeur eingestellt, der mich ins Training und zu den Spielen am Wochenende fuhr. Nur wenige Male war mein Vater bei einem Spiel dabei.
Ich war traurig, während dem Spiel niemanden zu hören, der meinen Name rief und mich anfeuerte, wie es die anderen Mamas und Papas an der Seite ihrer Söhne taten.
Ich schämte mich ein bisschen, wenn in der Pause alle Eltern mit der Trinkflasche zu ihren Söhnen liefen, ihnen die Flaschen reichten und mit ihnen über das Spiel redeten, um sie aufzubauen.
Es war zum Kotzen, wenn ich nach dem Spiel niemanden hatte, der mir sagen konnte: „Hey Johnny, das war gut, das hast du gut gemacht, du hast den einen da gut ausgedribbelt, deine Flanken waren super!“ Oder auch mit mir schimpfte: „Da hast du Fehler gemacht, dort hättest du mehr kämpfen müssen, schieße nicht immer sofort!“
Ich fühlte mich sehr einsam und der Fahrer redete kaum mit mir. Er fuhr mich hin, verschwand und kam erst wieder, wenn das Spiel fertig war. Unterwegs hörte er seine Musik aus seinem CD Player. Wenn wir zu Hause ankamen, gab er mir die Schlüssel und verschwand. Er war ein Student aus Kamerun. Wir hatten nur eine einzige richtige Unterhaltung, es ging darum, wer der beste Spieler der Welt war. Er sagte Roger Milla aus Kamerun; ich dachte eher an Maradona.
Ich war glücklich, wenn ich zu den Spielen gehen konnte und unglücklich, wenn ich nach Hause kam. Meine Eltern fragten nur: „Wie war es? Habt ihr gewonnen?“ Wenn ich ja sagte, sagten sie auch „Das ist toll“ und fragten weiter, wie ich denn gespielt hätte. Ich antwortete: „Ich weiß es nicht“, und sie kommentierten weiter nicht. Wenn ich aber sagte, wir hätten verloren, dann kam die fast schematisch abgespulte Antwort: „Das ist normal, Verlieren gehört dazu. Man kann nicht immer nur gewinnen.“ Ich verschwand dann sofort wütend in mein Zimmer. War das alles, was sie mir zu sagen hatten?
Meine Mutter kam zu diesen Gelegenheiten in mein Zimmer und versuchte, mich wieder aufzumuntern.
Es klang für mich paradox, als meine Eltern mir sagten: „Johnny, wir sind stolz auf dich. Johnny, du machst das gut.“ Ich sagte mir, wie können sie behaupten, dass ich etwas gut mache, wenn sie gar nicht wissen, nicht sehen, was ich überhaupt mache? Sie versuchten immer, die Familie als etwas Besonderes darzustellen. Wenn wir zum Beispiel im Urlaub waren, klang es in meinen Ohren fast zynisch, wenn sie sagten: „Wir haben es schön, wir sind doch eine glückliche Familie, wir haben es geschafft, wir können uns alles leisten und wir haben zwei tolle Kinder. Wir müssen auf uns alle stolz sein.“ Bei solchen Komplimenten an uns selbst versuchten Mia und ich auch zu lachen und am Ende waren wir fast überzeugt, dachten wir, dass wir auch doch eine gute Familie waren.
Damals schien es toll, so früh solche Freiheit zu haben. Wir durften alles tun, was wir wollten. In der Schule mussten wir nur die Fächer wählen, die uns gefielen. Ausgehen durften wir, wann wir wollten, mit wem wir wollten. Wir kamen nach Hause, wann wir wollten. Wir waren unabhängig.
Heute sehe ich die Sache total anders. Wir waren noch nicht so weit. Diese verfrühte Unabhängigkeit und Verantwortung zu tragen hat uns mehr Schaden zugefügt, als es uns geholfen hat.
Herr Walker hörte auf zu lesen, schaute nach Anne Schmidt und sagte exklamatorisch: „Aber wir dachten immer, sie freuten sich, das zu tun, was die anderen nicht durften. Das war für uns ein Zeichen, dass wir ihnen vertrauten. Wir wollten, dass sie selbst für sich Entscheidungen treffen konnten und früh erkannten, was sie wollen und was sie nicht wollen, dass sie schon sehr früh ihren Weg erkennen können!“
„Haben Sie sie jemals nach ihrer Meinung gefragt, ob sie das überhaupt wollten? Diese frühe Verantwortung zu tragen?“, fragte Anne.
„Wir dachten, es tut ihnen gut“, antwortete Herr Walker leise und las weiter.
Sie meinten immer, dass sie uns vertrauen und dass wir groß genug seien, um allein zu entscheiden, was euch gefällt oder nicht. Somit hatten sie den Druck auf uns abgeladen und ihr eigenes Leben leichter gemacht. Es war doch einfacher für sie, sich auf die Couch zu legen, Fernsehen zu schauen, Zeitungen zu lesen oder zu telefonieren, als sich um die Hausaufgaben zu kümmern. Es war so viel bequemer für sie, als mit uns zu streiten und uns zu zwingen, zu überzeugen, dass wir doch dies oder jenes machen müssten. Es war erholsamer für sie, sich keine Sorgen über uns machen zu müssen, wenn wir zu spät nach Hause kamen. Nein, sie lagen zufrieden im Bett und schliefen.
Sie hatten sich wirklich ein gutes Alibi für ihr Gewissen ausgesucht. Freie Erziehung. Aber diese brachte nur ihnen etwas uns zerstörte langsam, ganz langsam aber ganz sicher unser Leben.
Nein, ich hätte es anders gewollt. Klar, dass sich jedes Kind über ein Geschenk freut. Es ist für einen Jugendlichen etwas Besonderes, auszugehen und nicht so früh nach Hause kommen zu müssen. Aber es wird zu einer Last, wenn du den Eindruck hast, dass sich niemand Sorgen um dich macht. Etwas konnte dir etwas unterwegs passiert sein und deine Eltern liegen ruhig zu Hause und schlafen.
Ich provozierte oft, damit man mir meine Grenzen aufzeigte. Nichts kam zurück, immer wurde nur die Liebe betont. „Johnny, ich vertrau dir, mach, was du glaubst, was gut für dich ist.“ Ich wurde innerlich immer wütender und fragte mich, ob Eltern nur dazu da sind, um uns finanziell abzusichern? Um uns ein Dach über den Kopf zu geben? Uns Essen zur Verfügung zu stellen? Ich fragte mich Tag und Nacht, was denn die Verantwortung von Eltern sei. Warum müssen wir, die Kinder, in diesem Alter alles tragen? Warum müssen wir für uns allein entscheiden? Handeln? Wenn wir nach einem Rat fragten, kam immer nur die gleiche Antwort: „Höre in dich und tu das, von dem du glaubst, dass es dir gut tut“. Wie viele Mal standen wir mit 14, 15, 16 da und wussten nicht, was uns gut tun würde?
Aber damals waren wir auch stolz, muss ich zugeben. Wir waren stolz, dass wir liebe Eltern hatten, die uns vertrauten und uns die ganze Freiheit überlassen haben.
Heute sage ich nur, dass es gut war, aber diese Freiheit, diese Demokratie und Unabhängigkeit muss gelernt werden. Sie muss nach und nach übergeben werden. Zu spät ist schlecht, zu früh aber auch. Bei uns war es zu früh und wir haben es nicht verkraftet. Wir waren zu früh auf uns allein gestellt, ohne Schutz. Wie sehr wünsche ich mir jetzt, dass ich Gott gekannt hätte? Irgendetwas, das mir in der Zeit, in der ich nicht wusste, wie es mit mir weiter geht, mir zur Seite gestanden hätte. Mich einfach anpackt hätte und nicht nur sagte: „Du schaffst es, tu, was mit dir stimmig ist.“ Etwas , was einfach mir genau sagte, was ich tun sollte, wenn ich keine Ahnung mehr hatte, wie es weiter geht. Ein Gott, bei dem ich wusste, er würde mich jetzt mich schützen, wenn ich angegriffen werde. Er würde die Angreifer verjagen, wenn ich in Gefahr wäre. Einer, von dem ich mir zu 100% sicher sein konnte, dass er über mich wachte.
Die Last, die sie uns zu tragen gaben, war zu schwer für uns in diesem Alter. Wir mussten nicht nur diese Last tragen, uns selbst zu erziehen und die elterliche Verantwortung zu übernehmen, nein, wir mussten noch mehr tun. Das, was fast alle Kinder tun. Wir mussten unsere Eltern auch noch schützen. Wir mussten noch so tun, als ob sie Recht haben. Als ob alles toll war, damit sie sich als die tollsten Eltern fühlen konnten. Schlimmer noch, wir durften nicht zeigen, dass wir keine Ahnung hatten, was uns gut tut. Denn das würde heißen, dass wir versagt haben. Dass wir das Vertrauen unserer Eltern nicht verdient hatten. Sie wollten doch nur Gutes für uns tun. Wir trauten uns nie, ihnen etwas vorzuwerfen. Das taten wir übrigens bis jetzt nicht. Wir waren die Energiequelle unserer Eltern.
Es wurde dann langsam deprimierend, zu wissen und zu erkennen, dass wir alles allein nicht schaffen konnten und doch mussten. Es war für mich fast eine Schande, als ich dann merkte, dass ich doch jemand brauchte, der manchmal meine Hand hält. Dass ich noch ein Kind war und meine Eltern als Eltern brauchte. Es war für mich unerträglich, als ich die Grenzen meines „Ich“ erkannte. Ich habe doch versagt. Meine Eltern haben mich doch auf mich alleine gestellt, damit ich unabhängig von allen das erreiche, was ich möchte. Es tat weh zu sehen, dass nur auf mich zu hören, bestimmte seelische Schmerzen nicht lösen konnte.
Ja, wie gesagt, kam leider alles anders. Wir spürten immer mehr, wie eine Leere in uns ausbreitete und fingen sehr schnell an, uns mit exoterischen und astrologischen Themen zu befassen. Wir suchten woanders die Antworten, die uns unsere Eltern verweigern hatten. Unsere Verwirrung wurde immer größer, wie auch unsere innere Instabilität.
Meiner Schwester ging es immer schlechter und sie fing an, in Therapie zu gehen. Worüber sie denn dort sprach, hatte ich sie einmal gefragt. Sie antwortete: „Ich weiß es nicht, Jo.“ Sie war die einzige, die mich „Jo“ nannte. Ich liebte meine Schwester sehr. Wir liebten uns gegenseitig sehr. Wir brauchten diese Liebe als Halt, weil wir beide das Gleiche erlitten.
Meine Schwester ging immer weiter in dieser Richtung und probierte fast alles, was mit Esoterik zu tun hatte: Karten legen, Horoskope, Hellseher und vieles mehr. Aber alles brachte nur kurze Abhilfe, dann kam immer diese allgemeine Unzufriedenheit, von der man nicht wusste, woher sie kam. Sie war einfach da.
Du liebst dich selbst nicht, du fühlst dich unwohl, du bist hässlich, zu dünn oder zu dick.
Langsam folgte ich ihr auf diesem Weg auf der Suche nach dem, was mich glücklich machen würde. Fresssucht entstand und bei mir auch Sexsucht. Die Fresssucht hatte ich ein bisschen unter Kontrolle, meine Schwester aber überhaupt nicht. Sie aß und fraß wie der Teufel, nur um die nächste Woche wieder zu hungern, um die Pfunde wieder los zu werden.
Bei mir war es der Sex, durch den ich mich bestätigt fühlte. Darin dachte, dass ich Erfolg hätte. Da Gott mich bestens bestückt hatte und die Frauen weiß Gott warum darauf wie verrückt reagierten (auch wenn sie alle immer sagten, es kommt nicht auf die Größe an) wechselte ich die Frauen wie die Slips. Je älter, desto besser. Je ähnlicher eine Frau meiner Mutter sah, desto schöner fand ich sie. In solche Frauen war ich dann nicht verliebt, aber ich war abhängig von ihnen. Wenn ich so eine Frau hatte, wollte ich nicht mehr, dass sie weg geht. Ich habe an ihnen gehangen und geweint, wie ein kleines Kind, das Geborgenheit sucht. Leider zerstört gerade dieses Abhängigkeitsverhalten die Beziehungen und am Ende war ich doch wieder allein, allein mit meinem Kummer und mit der Einsamkeit.
Meine Eltern waren sehr viel unterwegs. Irgendwann fing auch unsere Mutter an, viel zu reisen. Sie meinte, wir wären schon groß genug und bräuchten gar keine Erwachsenen mehr. Außerdem gäbe es einen Chauffeur und ein Dienstmädchen zu Hause. Wir hassten diese Reisen. Jedes Mal, wenn sie zurückkamen, fragten wir uns schon, wann sie wieder gehen mussten. Es stresste uns sehr, in dieser Anspannung und dieser Angst zu leben. Wir freuten uns sehr, wenn sie wieder da war, aber die Freude verschwand wieder viel zu schnell, weil sie auch in Darmstadt weiter arbeiteten , jeden Tag bis in den frühen Abend hinein, und am Samstag waren sie oft auf verschiedenen Feiern, wo Leute, die dachten, sie wären ganz oben angekommen, sich trafen, um über New York, Johannesburg, Kairo, Peking, Montreal, Sidney und Prag zu reden, über Boote, das neue Haus, die neue Eroberung, das neue Kleid und ähnliches. Sie taten so, als ob alles wunderbar wäre, während ihre Kinder allein im Bett zu Hause lagen und weinten.
Zu Hause schien in der Familie alles gut zu laufen. Ich fragte mich aber immer öfter, was das für eine Art von Familienliebe ist, die mich als Mensch nicht befreien kann? Eine Liebe, die die Kinder nicht glücklich machen kann? Anscheinend ging es nur unseren Eltern gut. Ich und meine Schwester waren schon fast krank, innerlich unglücklich und unzufrieden, ohne wirklich zu wissen, warum.