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Prolog

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Ich habe mich schon immer für einen ganz harten Kerl gehalten. Klar klingt das erst einmal dämlich, wenn man es so sagt. Aber ich denke, diese Behauptung ist durchaus berechtigt. Ich bin mit knapp elf Jahren durch die Hölle gegangen und am anderen Ende in einem Stück wieder herausgekommen. Nicht ohne den Teufel dabei in seine eigene Zelle zu stecken und den Schlüssel wegzuwerfen.

Heute jage ich Monster wie jenes, das mir das damals angetan hat. Um dazu in der Lage zu sein, bin ich ein Cop geworden und habe den verschlafenen kleinen Ort, in dem ich aufgewachsen bin, weit zurückgelassen. Natürlich verfolge ich auch andere Verbrecher, ich kann mir meine Fälle nun einmal nicht aussuchen.

Davon allerdings abgesehen, glaube ich, jeder andere Kerl wäre ebenso wenig wie ich begeistert davon, dass die Frau, die er in knapp zwei Monaten heiraten soll, ihn nur noch mit Mitleid betrachtet. Vor knappen zwei Wochen hätte ich dazu noch aus voller Überzeugung gesagt, dass ich sie heiraten will. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher. Denn ich hasse Mitleid, es ist mein Hassgegner seit High School Tagen. Es ist mir schlicht und ergreifend schon zu oft in meinen 27 Jahren entgegengebracht worden. Mickey Simmons braucht kein Mitleid, das hat ohnehin noch nie jemandem geholfen.

Die Albträume von Nagsville gehören genau dort hin, nicht nach Los Angeles. Nein, meine Gegenwart ist schon schrecklich genug. Meine Verlobte Kelly ahnt nichts von meiner Vergangenheit, dabei möchte ich es auch belassen. Nicht umsonst hat sie meine Eltern niemals kennengelernt, ich habe einfach behauptet, sie seien tot. Und meinetwegen dürften sie das auch sein, aber alle paar Monate besteht meine Mutter darauf, mich anzurufen und mir Vorwürfe zu machen. Nicht das Übliche, eher ein toxisches Gemisch aus Selbstmitleid und „Was sollen die Anderen denken, wenn unser Sohn nicht einmal an Thanksgiving heimkommt?“ Gefolgt von der Frage, ob ich noch immer in diesem schrecklichen Hotel wohne, welches sie niemals gesehen hat. Ich höre es mir an, versuche so wenig wie möglich zu sagen und bin froh, wenn sie endlich wieder auflegt.

Ich weiß schon, warum sie weder meine Adresse noch unsere Festnetznummer besitzt.

Meine Verlobte reißt mich aus meinen Gedanken. „Schatz, du erinnerst dich doch bestimmt an meinen Onkel Mel, oder?“

Die fette, haarlose Qualle, die bei der gefühlt hundertsten Hochzeit ihrer Mutter nicht vom Buffet zu trennen war? Ja, der war nicht zu übersehen. Darüber hinaus, in den anderthalb Jahren unserer Beziehung war es bereits die zweite Hochzeit ihrer Mutter. Man könnte sich fragen, ob das noch normal ist. Aber jeder Mensch braucht schließlich ein Hobby.

„Vage, ist das relevant?“

Kelly rollt mit den Augen. „Ja!“ Ihr genervter Tonfall versetzt mich in Alarmbereitschaft, irgendwie ahne ich, dass sie wieder etwas ausheckt.

„Seine Frau Mary-Ann ist letztes Jahr gestorben.“ Sie setzt ihre besonders ernste Miene auf, während ich mich noch immer frage, was dieser Mist mit mir zu tun hat. Vielleicht ist er ihr ja endlich nachgefolgt, wegen Herzverfettung.

Ich bin kein Arschloch, zumindest versuche ich keines zu sein, aber wenn sich jemand so offensichtlich selbst zugrunde richtet, fällt es mir schwer, Mitleid zu haben.

„Weißt du, er hat jetzt ein Magengeschwür. Bestimmt, weil er nicht über seine Trauer gesprochen hat.“ Sie klingt so, als stünde sie vor einer Klasse aufsässiger Kinder.

Kelly studiert Pädagogik, leider glaubt sie seit Neuestem, das mache sie auch zu einer guten Psychologin. Obwohl, vielleicht glaubte sie das schon immer. Ich merke es einfach erst, seitdem ich das erwählte Ziel ihrer Therapie geworden bin.

Während mein Gehirn damit beschäftigt ist, eine adäquate Reaktion zu formulieren, starre ich sie wortlos an. Variante A schlägt vor, zu stöhnen und den Kopf auf die Tischplatte zu schlagen, leider steht da meine halbvolle Müslischale. Variante B schlägt vor, einen Lachanfall zu bekommen, weil ich mir ziemlich sicher bin, was Onkel Mels Magengeschwür tatsächlich verursacht hat. Dazu bedarf es weder eines Psychologie- noch eines Medizinstudiums.

Während ich ernsthaft mit Variante B ringe, täusche ich vor, dass ich mich verschluckt hätte. „Warum erzählst du mir das?“

„Schatz, die Sache mit Nat …“ Ihre Pause ist dramatisch. Ernsthaft, ich sollte sie meine Verhöre für mich führen lassen, das würde zwar vermutlich zu nicht besonders vielen Ergebnissen führen, aber es wäre zumindest unterhaltsam. „Man darf so etwas nicht in sich hineinfressen.“

Nat Cunningham, das ist mein Partner … Mein Ex-Partner, um genauer zu sein. Ein guter, engagierter und ehrlicher Cop, dem jeder Fall und jedes Opfer gleichermaßen wichtig waren. Davon abgesehen, er war der mit Abstand beste Freund, den ich in L.A. jemals hatte.

„Welche Sache? Er ist tot, jemand hat ihn erschossen. Seinen langjährigen Partner zu verlieren, ist Scheiße, Kelly. Aber darüber zu reden, macht ihn in keiner Weise lebendig.“ Es ist mehr als Scheiße … Es ist so, als würde einem ein Arm und ein Bein abgeschnitten und man könne den Übeltäter nicht einmal vollbluten … Aber wie soll ich das dieser Frau begreiflich machen, ohne dass ihre Augen mit noch mehr Mitleid gefüllt würden?

Sie wird eine gute Lehrerin werden, das sehe ich. Die Grundschulkinder, die sie ziemlich bald unterrichten wird, werden sie lieben. Unsere Hochzeit soll kurz vor dem Antritt ihrer ersten Stelle stattfinden, wenn alles nach Plan läuft. Sie möchte unbedingt als verheiratete Frau in den Beruf einsteigen. ‚Weil sich das so gehört‘, sagt sie.

Ich allerdings bin kein Grundschüler. Trotzdem war ich mir bis vor Kurzem sicher, dass ich sie liebe. Jetzt frage ich mich allmählich, ob ich nicht auf einem Auge blind war. Aber ich verstehe, dass sie sauer ist, als ich aufstehe und sie ohne weitere Erklärung in der Küche zurücklasse.

Was das Psychologische betrifft, mir haben die vorgeschriebenen Sitzungen beim Polizeipsychologen bereits mehr als gereicht. Ich mag es überhaupt nicht, wenn jemand in meinem Kopf herumstochert. Der Dreck, der dabei zutage gefördert werden könnte, nutzt mir noch viel weniger als ihr Mitleid.

***

Seit drei Tagen bin ich jetzt wieder im Dienst, das heißt, ich darf an meinem Schreibtisch sitzen, mich zu TODE langweilen und über meine nicht mehr funktionierende Beziehung grübeln. Zumindest, wenn ich nicht darüber nachdenke, was ich hätte anders machen können, um Nat zu retten und wie ich ihm den Rücken hätte freihalten können. So, wie viele Male zuvor. So, wie er mich viele Male zuvor gerettet hat. Meine Zeit als Neuling liegt lange zurück und ich weiß gut genug, dass es darauf keine Antwort gibt. Die gibt es selten. Aber das bedeutet nicht, dass man sie nicht sucht.

Wenn ich Glück habe, darf ich meinen Kollegen bei der Computerrecherche helfen. Sehr spannend!

Mein Blick fällt über den Schreibtisch, zu dem leeren Stuhl mir gegenüber, Nats Arbeitsplatz. Ich kann ihn fast vor mir sehen, wie er mir vom letzten Wochenende erzählt. Davon berichtet, dass ich mal wieder gefehlt habe. Eine häufige Beschwerde, seit ich mit Kelly zusammen bin. Herrgott, ich werde halt sesshaft, nicht wahr? Wird man das nicht mit 27? Ist das nicht normal?

Ich weiß, was Nat auf diese Fragen sagen würde. Du hast nur ein Leben, Partner! Hör endlich auf zu tun, was man halt so tut! Hör auf, die Erwartungen anderer zu erfüllen und fang an, richtig zu leben, Mickey!

Nat war Ende 30. Ungeachtet dessen habe ich mich oft gefühlt, als wäre ich der Ältere von uns.

„Hey, Simmons?!“ Die Stimme des Captains klingt aus seinem Glaskasten am Ende des Großraumbüros des Morddezernats.

„Ja Sir?“

„Jemand hat vorhin die First National ausgeraubt, zwei Straßen weiter, und anscheinend gibt es da sehr viele Zeugenaussagen aufzunehmen. Die vom Raub fragen, ob wir ihnen ein paar Ohren leihen können. Hast du Lust, dir die Füße zu vertreten?“

Das wäre eigentlich eher eine Aufgabe für einen Streifenpolizisten, keinen Detective. Ich könnte daher beleidigt sein, aber Captain Henry Myers gehört zu den wenigen Menschen, die ich wirklich zutiefst respektiere. Ich denke, ich könnte diese Menschen an meinen Fingern abzählen. Er ist ein Cop, der noch immer am liebsten auf der Straße wäre. Jemand, der nur hinter dem Schreibtisch sitzt, weil man ihm keine wirkliche Wahl gelassen hat. Nat hat ihn noch als Detective kennengelernt und bis ihm eine Dienstverletzung eine Gehbehinderung bescherte, blieb er im Außendienst. Dann ließ man ihm zwei Optionen, Beförderung in den Innendienst oder Zivilist. Und er weiß mit Sicherheit ganz genau, dass ich gerade jede Gelegenheit wahrnehme, um aus diesem Revier herauszukommen. Es würde mich daher nicht wundern, wenn es umgekehrt gewesen wäre und er den Kollegen ein paar zusätzliche Ohren angeboten hat, nur um mir Ausgang zu verschaffen.

„Ja Sir! Ich bin unterwegs!“ Jetzt gerade bin ich meinem Captain vor allem sehr dankbar. Mein Schreibtisch ist der letzte Ort in Los Angeles, an dem ich sein will. Auf dem Weg nach draußen versuche ich die Geister abzuschütteln, die mich an diesem Ort seit meiner Dienstrückkehr immer wieder heimsuchen.

***

Meine Dankbarkeit verfliegt jedoch schnell, als ich in der Bank eintreffe. Catlin und Deeks bearbeiten den Fall, sie sind alte Kollegen aus meiner Anfangszeit nach der Akademie. Die beiden waren, knapp gesagt, nicht gerade meine Lieblingskollegen. Sie waren mir immer zu albern, stets auf der Lauer, um einem Neuling einen „gutgemeinten“ Spruch mit auf den Weg zu geben. Die zwei stellten sozusagen die Klassenclowns des Raubdezernats dar, während ich noch an meiner Schlagfertigkeit zu feilen hatte.

In einem Anflug von Hilfsbereitschaft hat jemand eine Ansammlung hässlicher, weißer aber zweifelsohne hochmoderner Plastikstühle aus den Büros der Bankangestellten in die Lobby geschafft. Auf diesen wartet tatsächlich eine überraschend große Anzahl Menschen. Manche wirken genervt, andere ängstlich oder schockiert. Wer überfällt denn eine Bank, wenn gerade Hochbetrieb herrscht? Die Bankräuber scheinen ja richtige Experten zu sein.

Auf einem der Stühle sitzt ein sehr jugendlich wirkender dunkelhäutiger Mann. Sein hellbraunes Gesicht wird von halbgebändigten Locken umrahmt und deutet eine vermutlich gemischte Abstammung an. Er trägt eine schlichte Jeans und eine Jacke aus dem gleichen Material. Unsere Augen treffen sich in demselben Moment, in dem ich die Bank betrete. Er grinst mich an, irgendwie schelmisch, so als würden wir beide ein Geheimnis miteinander teilen. Mein Blick bleibt an seinem Lächeln kleben. Für eine Sekunde erstarre ich in meiner Bewegung, bis mich Catlin und Deeks ansprechen, natürlich wegen Nat.

Das bekomme ich ständig zu hören. Allen tut die Sache mit Nat leid. Die Sache mit Nat … Zum Teufel! Wieso wissen die beiden überhaupt darüber Bescheid, sie sind nicht mal in meiner Abteilung. Dass ich beim Raub war, ist jetzt fünf lange Jahre her, da war ich gerade erst vom Streifenpolizisten befördert worden und somit kaum mehr als ein Rookie. Ja, klar spricht sich ein toter Kollege wie ein Lauffeuer herum, aber ihre Neugier ärgert mich einfach. Es geht die beiden schließlich nichts an, oder? Sollen sie ihre Floskeln doch für sich behalten. Ich halte mich an meiner Wut fest, sie ist eine alte Freundin, die mich noch nie im Stich gelassen hat. Vor allem ist es einfacher sich mit ihr auseinanderzusetzen, als mit meinen anderen Emotionen, die aufwallen wollen. Wenn ich mich auf sie konzentriere, kann ich meistens alle anderen Gefühle unter Kontrolle bekommen. Auch jetzt fühle ich mich nach ein paar tiefen Atemzügen bereit, meinen Job zu tun.

Während ich beginne, die zahlreichen Zeugen zu befragen, spüre ich beständig ein paar Augen auf mir ruhen. Der Lockenkopf in Denim beobachtet mich unentwegt. Was auch immer er an mir so interessant finden mag, es bleibt mir ein Rätsel. Er scheint dabei beständig irgendetwas in sein Notizbuch zu kritzeln, während er seinen rechten Fuß auf das linke Knie gelagert hat, vermutlich um eine Unterlage für das, was er dort zu Papier bringt, zu schaffen. Seltsam, dass er dort mit Stift und Papier sitzt. Die meisten der Wartenden scheinen in ihr Smartphone vertieft zu sein. Seine Blicke wandern allerdings immer wieder zu mir. Ebenso oft wandern meine Blicke zu ihm, ohne mein bewusstes Zutun. Einige Male treffen sie sich und ich muss unwillentlich schlucken, während ich demonstrativ wegschaue. Er hingegen schenkt mir jedes Mal ein Lächeln.

Ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, dass er mich aus dem Konzept bringt. Und doch befrage ich alle, außer ihn. Ich lasse ihn warten, bis ich ihm nicht mehr ausweichen kann. Warum ich mich überhaupt von ihm beeindrucken lasse, ist mir ein Rätsel. Eigentlich bin ich gegen diese Dinge schon lange immun. Wenn man als Kind bereits immer im Fokus der Öffentlichkeit steht, dann lernt man es, Blicke auszublenden. Und in Nagsville, PA, war ich immer DER Fokus der Öffentlichkeit, die traurig-tragische Berühmtheit der Stadt. Seine Blicke aber fühlen sich anders an und irgendwann ertappe ich mich dabei, dass ich seinen Blick suche, was mich endgültig verwirrt.

Schließlich lässt es sich jedoch nicht mehr vermeiden, mit ihm zu reden. Als ich mich ihm nähere, wird mir sofort klar, dass er kein Jugendlicher mehr ist, aber er hat dieses zeitlose Gesicht, das manche Menschen haben. Wahrscheinlich wird man ihn noch mit vierzig nach seinem Ausweis fragen, wenn er eine Bar betritt. Etwas Unbekanntes sitzt auf meiner Zunge und lässt mich schlucken, bevor ich den Fremden mit der schwarzen Lockenpracht anspreche. „Hi! Mein Name ist Detective Simmons! Sind Sie bereits befragt worden?“

Natürlich ist er das nicht. Volldepp! Sonst säße er hier wohl nicht mehr so blöd herum. Er sieht unverwandt auf meine Hand, dann schaut er zu mir auf. Vermutlich hält er mich für einen komplett hirnlosen Vollidioten. Unter dem intensiven Blick seiner grauen Augen fühle ich mich nackt, ganz so, als sähe er bis auf den Grund meiner Seele. Ich bleibe an diesen Augen hängen, die in dem milchkaffeefarbenen Gesicht so ungewöhnlich und exotisch wirken. Ein paar braune Punkte tanzen darin wie Funken. Es sieht aus, als habe jemand versucht, ihm eine andere Augenfarbe zu verleihen, doch dann ist ihm die Farbe ausgegangen. Der Effekt ist hypnotisierend. Sekunden verstreichen, ohne dass einer von uns den Blick abwendet, sich bewegt oder spricht.

„Tom … Thomas … Tommy Parker“, sagt er schließlich, etwas abgehackt, als er meine Hand ergreift. Seine Stimme ist sanft und tief, trotz der holprigen Sprache. Und seine Züge werden noch ein wenig dunkler. Sein, jetzt gerötetes Gesicht wird dabei von seinen Locken umrahmt, das Gesicht eines Engels. Ich schlucke verwirrt, was ist nur an diesem Typen, das mich so aus dem Gleichgewicht bringt, dass ich ernsthaft das Gesicht eines Mannes mit einem Engel vergleiche. Und seit wann haben Engel eigentlich schwarze Bartstoppeln?

Er sieht mich weiterhin mit seiner wirklich niedlichen Schamesröte an. War das sein Ernst? Haben ihn seine Eltern so sehr gehasst, oder ist er einfach nur genauso verwirrt, wie ich es gerade bin?

„Tom Thomas Tommy Parker?“ Was soll ich dazu sagen?

„Verzeihung, Detective!“ Sein Gesicht legt noch ein wenig an Farbe zu. „Der … Überfall hat mich wohl doch ein wenig mehr durcheinandergebracht, als ich angenommen habe“, erklärt er schließlich. „Nur Tom. Und nein, mich hat bislang noch niemand befragt.“ Seine Aussprache ist melodiös und gewählt, man kann ihm eine gehobene Bildung anhören. Seine einfache Straßenkleidung täuscht wahrscheinlich und er bewegt sich bestimmt in völlig anderen Kreisen als ich. Das interessiert mich natürlich nur rein beruflich, glaube ich zumindest. Ehrlich gesagt geht es mich auch überhaupt nichts an.

„Geht es Ihnen gut? Nur Tom?“ Ich kann nicht anders, während ich versuche zu begreifen, was mit mir gerade passiert, steige ich grinsend auf seine Vorlage ein. Mein Dank ist ein Lächeln seinerseits, etwas verlegen, aber nicht weniger wirkungsvoll als die schelmische Variante vorhin. Wenn ich auf Männer stehen würde, dann würde Tom Thomas Tommy Parker gerade einfach zum Anbeißen aussehen. Ich schüttele den seltsamen Gedanken ab. Was zum Geier geht heute bloß in meinem Kopf vor?

Ich heirate in zwei Monaten. Kelly ist das größte Ausmaß an Normalität, welches jemand wie ich in seinem Leben erwarten kann. Das sollte ich nicht vergessen. Kelly ist meine Zukunft, in der meine hässliche Vergangenheit unsichtbar hinter unserer Beziehung in Vergessenheit geraten kann.

Ich setze mich trotz dieser Erinnerung an die Tatsachen auf den leeren Stuhl neben ihm. Ich versuche so, mich auf seine Ebene zu begeben, was ich ja zumindest bei den nervöseren Zeugen ebenfalls gemacht habe. Es gibt schließlich keinen sinnvollen Grund dieses Gespräch wie ein Verhör zu führen. „Mickey, Mickey Simmons.“

Niemandem sonst habe ich hier jedoch meinen Vornamen verraten. Was mich dazu bewegt hat, es bei ihm zu tun, versuche ich erst gar nicht zu verstehen.

Der Blick aus diesen grauen Augen bleibt mir ein Rätsel. Denkt er etwa, ich flirte mit ihm? Flirte ich etwa tatsächlich mit ihm? Seine Augen weichen meinem Blick schließlich aus, bleiben dann an meinen Händen hängen. Es scheint ein deutlicher Ruck durch seinen Körper zu gehen. Noch während ich mich frage, was das soll, räuspert er sich.

„Sehr witzig! Ja, es geht mir gut, aber könnten wir bitte anfangen, ich habe heute noch andere Termine!“ Seine Stimme ist plötzlich distanziert und gereizt. Ich frage mich, was diesen unerwarteten Stimmungswandel verursacht hat. Was ich weiß ist, dass ich die mentale Distanz fast körperlich wahrnehme. Das irrationale Gefühl verwirrt mich zutiefst.

Einige Momente lang starre ich ihn irritiert an, etwas zu lange, um noch professionell zu wirken. Sein Blick ist jetzt herausfordernd. OK, verstanden, etwas passt ihm nicht. Auch wenn ich absolut nicht begreife, was ich gerade falsch gemacht haben könnte. Die Frage, was auch immer das sein mag, stört mich dabei mehr, als sie es sollte.

„Also gut, haben Sie etwas gesehen, Mr. Parker?“ Mein Tonfall ist jetzt völlig sachlich geworden. Besser, wir bringen diese Angelegenheit schnell hinter uns. Wahrscheinlich weiß er genauso viel wie die anderen Leute in der Bank, nämlich nichts.

„Nicht, als die Täter in der Bank waren. Ich wollte nur an den Automaten.“ Er weist jetzt auf den Bereich rechts des Haupteingangs. „Dahinten habe ich auch während des Überfalls gelegen. Dann sind sie hinausgelaufen und das Fluchtfahrzeug kam die Straße entlang, von dort!“ Wieder setzt er seine feingliedrigen Hände ein, um das, was er sagt, zu beschreiben.

Die Hände eines Künstlers … Anscheinend bringt Tom Thomas Tommy Parker mein Gehirn auf allerlei unpassende Gedanken. Großartig!

„Draußen haben sie sich die Masken vom Gesicht gezogen. Ich konnte denjenigen sehen, der auf der Fahrerseite hinten eingestiegen ist. In diesem, ähm … was auch immer es sein soll, hat sich sein Gesicht gespiegelt, als er sich die Maske abgestreift hat.“ Er zeigt dabei auf die ziemlich sinnlose und hässliche Spiegelstatue, die im Eingangsbereich der Bank förmlich zu lauern scheint. Wahrscheinlich hat dafür irgendein untertalentierter und überbewerteter Künstler ein größeres Vermögen bekommen, als die Räuber heute erbeutet haben.

„Kunstkritiker, hmm?“ Warum ich mich ausgerechnet an dem unwichtigsten Element seiner Aussage aufhänge, ist mir selbst ein Rätsel. Aber ich kann nicht anders, als ihn erneut anzugrinsen. Es ist so, als ob er mir einen kleinen Teil seiner Persönlichkeit präsentiert hat, die er vor nicht einmal einer Minute hinter einer Maske hat verschwinden lassen.

Er grinst zurück. Ich merke, dass mein Puls beschleunigt, als sich sein Gesicht wieder in das eines Engels verwandelt. Meine Augen bleiben erneut an seiner Mundpartie und dem Bartschatten, der sie umgibt, kleben. Was zum Teufel ist heute bloß in mich gefahren? Tom, nur Tom, Parker bringt mich völlig durcheinander und ich rudere verzweifelt rückwärts.

„Sie haben also einen der Täter erkennen können?“ Ich bemühe mich wieder um professionelle Distanz.

„Nicht nur das“, er klappt jetzt seine Mappe auf, die er zuvor auf dem Schoß verschlossen gehalten hat. „Ich habe ein fotografisches Gedächtnis.“ Ein Hauch von Stolz zeigt sich in seinem Gesicht. „Da ist Ihr Phantombild!“

Einfach.Nur.Tom.

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