Читать книгу Der Malteser Falke - Dashiell Hammett, Richard Allen, Dashiell Hammett - Страница 4
Kapitel II Tod im Nebel
ОглавлениеIm Dunkeln schrillte ein Telefon. Nach dem dritten Läuten ächzten Sprungfedern. Finger tasteten über eine Holzoberfläche. Etwas Kleines, Hartes plumpste auf den Teppichboden, die Sprungfedern ächzten erneut, und eine männliche Stimme sagte:
»Hallo … Am Apparat … Tot? … Ja … In einer Viertelstunde. Danke.«
Ein Schalter klickte, und die weiße, an drei vergoldeten Ketten von der Zimmerdecke hängende Schale überflutete den Raum mit Licht. Spade saß barfuß in einem grün-weiß karierten Pyjama auf der Bettkante. Er betrachtete finster das Telefon, während er nach dem Beutel Bull-Durham-Tabak und den braunen Blättchen griff, die daneben lagen.
Nasskalte Luft drang durch die beiden offenen Fenster herein und führte ein halbes Dutzend Mal pro Minute die dumpfe Klage des Nebelhorns von Alcatraz mit sich. Auf einer Ecke von Thomas Dukes’ Berühmte amerikanische Kriminalfälle, das umgekehrt auf dem Tisch lag, balancierte der Blechwecker. Er zeigte fünf nach zwei.
Sorgfältig und bedächtig drehte Spade sich mit seinen kräftigen Fingern eine Zigarette. Er streute genau die richtige Menge braunen Tabak in das gewölbte Blättchen, verschob die Fasern so, dass sie gleichmäßig zu beiden Seiten verteilt waren, mit einer leichten Einbuchtung in der Mitte. Daumen rollten – den inneren Rand des Papiers runter und rauf, unter den äußeren Rand –, und Zeigefinger pressten. Dann glitten Zeigefinger und Daumen über den Papierzylinder bis zu den Enden und hielten ihn waagerecht, während die Zunge den oberen Rand leckte. Linker Zeigefinger und Daumen übten Druck auf ihr Ende aus, während rechter Zeigefinger und Daumen den feuchten Saum glätteten. Rechter Zeigefinger und Daumen zwirbelten ihr Ende und beförderten das andere in Spades Mund.
Er bückte sich nach dem Feuerzeug aus Nickel und Schweinsleder, das auf den Boden gefallen war, betätigte es und stand schließlich mit brennender Zigarette im Mundwinkel auf. Er zog den Pyjama aus. Arme, Beine und Rumpf waren glatt und kräftig. Mit seinen runden Schultern erinnerte er an einen Bären – einen rasierten Bären: Die Brust war unbehaart, die Haut weich und rosig wie die eines Kindes.
Er kratzte sich den Nacken und begann, sich anzukleiden: dünne weiße Hemdhose, graue Socken, schwarze Sockenhalter und dunkelbraune Schuhe. Als er die Schnürsenkel zugebunden hatte, rief er Graystone 4500 an und bestellte ein Taxi. Dann folgten ein grün-weiß gestreiftes Hemd, ein weicher weißer Kragen, eine grüne Krawatte und der graue Anzug, den er schon am Vortag getragen hatte, zum Schluss ein weiter Tweedmantel und ein dunkelgrauer Hut. Als er Tabak, Schlüssel und Geld einsteckte, klingelte es an der Haustür.
Wo die Bush Street über die Stockton hinwegging, bevor diese weiter bergab nach Chinatown führte, zahlte Spade und stieg aus. Der nächtliche Nebel von San Francisco, dünn, klamm und penetrant, ließ die Straße verschwommen erscheinen. Ein paar Meter entfernt stand eine kleine Gruppe von Männern, die in eine Gasse sahen. Zwei Frauen und ein Mann auf der anderen Seite der Bush Street hatten ebenfalls die Gasse im Blick. In einzelnen Fenstern zeigten sich Gesichter.
Spade betrat den Bürgersteig, ging vorbei an dem gusseisernen Geländer, das eine hässlich kahle Treppe umgab, bis zu der Brüstung. Dort stützte er sich auf die feuchte Oberfläche der niedrigen Mauerkuppe und blickte hinab auf die Stockton Street.
Ein Wagen schoss zischend aus dem Tunnel hervor, als hätte ihn jemand abgefeuert, und verschwand. Nicht weit von der Tunnelöffnung entfernt hockte ein Mann auf den Fersen vor einer Plakatwand mit Werbung für einen Kinofilm und eine Benzinmarke. Der Kopf des Mannes berührte beinahe das Pflaster, während er versuchte, unter die Plakatwand zu lugen, die die Lücke zwischen zwei Lagerhäusern füllte. Eine Hand lag flach auf dem Pflaster, mit der anderen klammerte er sich an den grünen Rahmen. Es war eine groteske Pose. Zwei andere Männer standen dicht beisammen am vorderen Ende der Plakatwand und spähten durch den schmalen Spalt zwischen dem Plakat und dem anstoßenden Gebäude. Das Haus am anderen Ende hatte eine leere graue Seitenwand, die auf das unbebaute Grundstück hinter der Werbefläche ging. Lichter huschten darüber und Schatten von Männern, die sich umherbewegten.
Spade wandte sich von der Brüstung ab, ging die Bush Street entlang bis zu der Gasse, wo die Männer sich versammelt hatten. Ein uniformierter Polizist mit einem Kaugummi im Mund stand unter einem dunkelblauen Emailleschild mit der weißen Aufschrift Burritt Street. Er streckte den Arm aus und fragte: »Was suchen Sie hier?«
»Mein Name ist Sam Spade. Tom Polhaus hat mich angerufen.«
»Ach, richtig.« Der Arm des Polizisten senkte sich wieder. »Hab Sie nicht gleich erkannt. Sie sind da drüben.« Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter. »Schlimme Geschichte.«
»Ja«, nickte Spade und betrat die Gasse.
Ungefähr in der Mitte stand ein dunkler Krankenwagen. Zur Linken war die Gasse von einem hüfthohen Zaun aus rauen, horizontal zusammengehämmerten Holzlatten begrenzt. Dahinter fiel die dunkle Böschung steil zu der Plakatwand in der Stockton Street ab.
Ein drei Meter langes oberes Lattenstück war von einem Pfosten an einem Ende abgerissen und hing lose am anderen Ende herab. Knapp fünf Meter tiefer ragte ein flacher Felsen aus dem Abhang. In der Mulde zwischen diesem Felsen und der Böschung lag Miles Archer auf dem Rücken. Zwei Männer standen bei ihm. Einer hatte den Strahl seiner Taschenlampe auf den Toten gerichtet. Andere Männer mit Taschenlampen bewegten sich den Abhang hinauf und hinunter.
Einer von ihnen grüßte Spade: »Hallo, Sam«, und kletterte hinauf zu der Gasse, während sein Schatten ihm über die Böschung vorauseilte. Er war ein großer Mann mit Schmerbauch, scharfen Augen, vollen Lippen und schlecht rasierten dunklen Wangen. Schuhe, Knie, Hände und Kinn waren mit braunem Lehm verschmiert.
»Ich dachte, du würdest ihn sehen wollen, bevor wir ihn abtransportieren«, sagte er, als er über den beschädigten Zaun stieg.
»Danke, Tom«, sagte Spade. »Was ist passiert?« Er stützte einen Ellbogen auf einen der Zaunpfosten und sah hinab zu den Männern unterhalb, nickte einigen zu, die ihn grüßten.
Tom Polhaus tippte sich mit einem schmutzigen Finger auf die linke Brust. »Glatt durch die Pumpe – hiermit.« Er zog einen schweren Revolver aus der Manteltasche und hielt ihn Spade entgegen. Schlamm füllte die Vertiefungen auf der Oberfläche. »Ein Webley. Englisches Fabrikat, oder?«
Spade löste den Ellbogen von dem Zaunpfosten und beugte sich vor, um sich die Waffe anzusehen, fasste sie aber nicht an.
»Ja«, sagte er. »Ein Webley-Fosbery-Automatikrevolver. Genau. Kaliber . 38, achtschüssig. Wird heute nicht mehr hergestellt. Wie viele Schüsse wurden abgefeuert?«
»Nur einer.« Tom tippte sich erneut auf die Brust. »Er muss schon tot gewesen sein, als er über den Zaun stürzte.« Er hielt den lehmverschmierten Revolver in die Höhe. »Hast du den schon mal gesehen?«
Spade nickte. »Ich kenne andere Webley-Fosberys«, sagte er gleichgültig. Er sprach schnell, als er fortfuhr: »Er wurde also hier oben erschossen, richtig? Als er da stand, wo du jetzt bist, mit dem Rücken zum Zaun. Und der Mann, der ihn umlegt, steht hier.« Er stellte sich vor Tom und hob die Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Brusthöhe. »Knallt ihn ab, Miles taumelt nach hinten, bricht durch den Zaun, reißt die obere Latte mit und stürzt den Abhang runter, bis der Felsbrocken ihn aufhält. Richtig?«
»Richtig«, antwortete Tom langsam und zog die Brauen zusammen. »Der Einschuss hat den Mantel versengt.«
»Wer hat ihn gefunden?«
»Einer vom Streifendienst, Shilling. Er ging die Bush Street entlang. Als er bei der Gasse ankam, glitt das Scheinwerferlicht eines wendenden Wagens über den Abhang, und er sah, dass der Zaun beschädigt war. Er ging hin, um nachzusehen, und hat ihn gefunden.«
»Was ist mit dem Wagen?«
»Nichts ist mit dem gottverdammten Wagen, Sam. Shilling hat ihn nicht weiter beachtet, weil er in dem Moment noch nicht wusste, was passiert war. Er sagt, hier wäre niemand rausgekommen, als er von der Powell Street kam, sonst wäre es ihm bestimmt aufgefallen. Der einzige andere Fluchtweg wäre unter der Plakatwand durch, rauf auf die Stockton Street gewesen. Den hat aber niemand genommen. Der Nebel hat den Boden aufgeweicht, und die einzigen Spuren stammen von Miles, der dort runtergerutscht ist, und der Waffe.«
»Hat denn niemand den Schuss gehört?«
»Herr im Himmel, Sam, wir sind eben erst eingetroffen. Irgendwer hat ihn bestimmt gehört, wir müssen ihn nur finden.« Er drehte sich um und schwang ein Bein über den Zaun. »Kommst du mit, um noch einen Blick auf ihn zu werfen, bevor wir ihn wegschaffen?«
Spade sagte: »Nein.«
Tom hielt mitten in der Bewegung inne und musterte Spade mit überrascht zusammengekniffenen Augen.
Spade sagte: »Du hast ihn gesehen. Mehr als du sehe ich auch nicht.«
Tom nickte skeptisch, ohne Spade aus den Augen zu lassen, und zog das Bein wieder zurück.
»Seine Waffe steckte noch im Hosenbund«, sagte er. »Sie war nicht abgefeuert worden. Sein Mantel war zugeknöpft. In der Tasche fanden wir hunderteinundsechzig Dollar. Hatte er einen Auftrag, Sam?«
Spade zögerte einen Augenblick und nickte dann.
Tom fragte: »Und?«
»Er sollte einen Kerl namens Floyd Thursby beschatten.« Spade beschrieb Thursby so, wie er es von Miss Wonderly gehört hatte.
»Weshalb?«
Spade steckte die Hände in die Manteltaschen und blinzelte Tom müde an.
Tom wiederholte ungläubig: »Weshalb?«
»Möglicherweise war er Engländer. Ich weiß nicht so recht, was er vorhatte. Wir wollten rauskriegen, wo er wohnt.« Spade grinste flüchtig, nahm eine Hand aus der Tasche und klopfte Tom auf die Schulter. »Frag mir keine Löcher in den Bauch.« Er steckte die Hand wieder in die Tasche. »Ich muss los, um Miles’ Frau zu benachrichtigen.« Damit wandte er sich zum Gehen.
Tom sah ihm finster nach. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und schloss ihn dann wieder. Er räusperte sich, verscheuchte die finstere Miene und erklärte mit einem Anflug von rauer Herzlichkeit:
»Dass es ihn so erwischen musste … Miles hatte seine Macken, so wie wir alle, aber er war in Ordnung.«
»Das war er«, pflichtete Spade bei, in einem Ton, der absolut nichtssagend war, und verließ die Gasse.
In einem durchgängig geöffneten Drugstore Ecke Bush Street und Taylor telefonierte er.
»Schätzchen«, sagte er, nachdem er die Nummer durchgegeben hatte. »Miles ist erschossen worden … Ja, er ist tot … Verlier jetzt nicht die Nerven … Ja … Du musst es Iva beibringen … Nein, das mache ich auf keinen Fall. Du musst es tun … Braves Mädchen … Sie soll nicht ins Büro kommen … Sag ihr, ich melde mich – hm – irgendwann … Ja, aber nagel mich nicht fest … Das ist alles. Du bist ein Engel. Bis dann.«
Spades Blechwecker stand auf zwanzig vor vier, als das Licht der Deckenlampe erneut aufflammte. Er warf Hut und Mantel aufs Bett, ging in die Küche und kam mit einem Weinglas und einer großen Flasche Bacardi zurück. Er schenkte sich ein und trank im Stehen, stellte Flasche und Glas auf den Tisch, setzte sich auf die Bettkante und drehte eine Zigarette. Nach dem dritten Bacardi, gerade als er sich die fünfte Zigarette anzünden wollte, klingelte es. Mittlerweile waren die Uhrzeiger auf halb fünf vorgerückt.
Spade seufzte und ging zu der Sprechanlage neben seiner Badezimmertür. Er drückte auf den Knopf, der unten die Haustür öffnete. »Zum Teufel mit ihr«, murmelte er und starrte finster auf den schwarzen Kasten. Sein Atem ging stoßweise, und auf seinen Wangen breitete sich eine matte Röte aus.
Im Korridor hörte man, wie sich die Tür des Fahrstuhls quietschend und rasselnd öffnete und schloss. Spade seufzte erneut und ging zur Wohnungstür. Leise, schwere Tritte auf dem mit Teppich ausgelegten Boden des Gangs, die Schritte zweier Männer. Spades Gesicht hellte sich auf. Der gequälte Blick verschwand. Rasch öffnete er die Tür.
»Hallo Tom«, sagte er zu dem großen, schmerbäuchigen Detective, mit dem er sich in der Burritt Street unterhalten hatte, »hallo, Lieutenant« zu dem anderen Mann. »Kommt rein.«
Beide nickten schweigend und traten ein. Spade schloss die Tür und führte sie in sein Schlafzimmer. Tom setzte sich auf das Sofa unter dem Fenster, der Lieutenant in einen Sessel neben dem Tisch.
Der Lieutenant war stämmig, hatte dichtes, kurz geschnittenes graues Haar und ein kantiges Gesicht mit einem kurz geschnittenen grauen Schnurrbart. Ein Fünfdollar-Goldstück diente ihm als Krawattennadel, und am Revers glänzte ein kleines, in Diamanten gefasstes Geheimbundabzeichen.
Spade holte zwei Weingläser aus der Küche, schenkte ihnen Bacardi ein und füllte sein eigenes erneut auf. Er reichte jedem Besucher ein Glas und setzte sich mit seinem auf die Bettkante. Sein Gesicht war ruhig und keineswegs neugierig.
Er hob sein Glas – »Auf das Verbrechen!« – und leerte es in einem Zug.
Tom folgte seinem Beispiel, stellte das Glas auf den Fußboden und strich sich mit dem schmutzigen Zeigefinger über den Mund. Er starrte auf das Fußende des Betts, als versuchte er, sich ins Gedächtnis zurückzurufen, woran es ihn vage erinnerte.
Der Lieutenant betrachtete ein paar Sekunden sein Glas, nahm einen sehr kleinen Schluck und stellte es dann auf den Tisch neben sich. Sein scharfer, aufmerksamer Blick wanderte durch das ganze Zimmer, bis er an Tom hängen blieb.
Der rutschte unbehaglich auf dem Sofa hin und her und fragte, ohne aufzusehen: »Hast du Miles’ Frau Bescheid gesagt, Sam?«
Spade machte: »Hm-mh.«
»Wie hat sie es aufgenommen?«
Spade schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nichts von Frauen.«
Tom murmelte: »Wer’s glaubt, wird selig.«
Der Lieutenant legte die Hände auf die Knie und beugte sich vor. Seine grünlichen Augen waren seltsam starr auf Spade gerichtet, als wäre ihr Fokus eine rein mechanische Angelegenheit, der sich mit dem Umlegen eines Schalters oder per Knopfdruck verändern ließ.
»Was für eine Waffe tragen Sie?«, fragte er.
»Gar keine. Ich mag Waffen nicht besonders. Im Büro liegen natürlich welche rum.«
»Ich würde sie gern mal sehen«, sagte der Lieutenant. »Sie haben nicht zufällig eine hier?«
»Nein.«
»Sind Sie sicher?«
»Sehen Sie sich um.« Spade lächelte und machte eine einladende Geste mit seinem leeren Glas. »Stellen Sie alles auf den Kopf, wenn Sie wollen. Ich habe nichts dagegen – solange Sie einen Durchsuchungsbefehl haben.«
Tom protestierte: »Ach, hör auf, Sam.«
Spade stellte sein Glas auf den Tisch, stand auf und musterte den Lieutenant.
»Was wollen Sie, Dundy?«, fragte er. Seine Stimme war ebenso hart und kalt wie sein Blick.
Lieutenant Dundys Augen hatten sich bewegt, um Spade im Blick zu behalten. Aber nur die Augen hatten sich bewegt.
Tom verlagerte erneut das Gewicht auf dem Sofa, schnaufte tief durch die Nase und brummte dann vorwurfsvoll: »Wir wollen keine Scherereien, Sam.«
Spade ignorierte ihn. Er fragte Dundy: »Was wollen Sie dann? Reden Sie Klartext. Für wen zum Teufel halten Sie sich, dass Sie hier aufkreuzen und versuchen, mich hochzunehmen?«
»Schon gut«, sagte Dundy mit gepresster Stimme. »Setzen Sie sich und hören Sie zu.«
»Ich setze mich oder bleibe stehen, wie es mir passt, verdammt noch mal«, sagte Spade, ohne sich zu rühren.
»Um Himmels willen, reg dich nicht auf«, flehte Tom. »Sollen wir uns etwa darüber streiten? Wenn du wissen willst, warum wir nicht Klartext reden, dann denk mal nach. Du warst es, der auf die Frage nach Thursby gesagt hat, das ginge mich mehr oder weniger nichts an. So kannst du mit uns nicht umspringen, Sam. Das ist nicht in Ordnung, und es bringt dich nirgendwohin. Wir müssen schließlich auch unsere Arbeit machen.«
Lieutenant Dundy sprang auf, stellte sich vor Spade und schob sein kantiges Gesicht dicht an das des größeren Mannes heran.
»Ich habe Sie gewarnt, dass Sie eines Tages zu weit gehen werden«, sagte er.
Spade verzog abschätzig den Mund und hob die Brauen. »Jeder geht mal zu weit«, gab er mit spöttischer Sanftmut zurück.
»Und diesmal sind Sie derjenige, welcher.«
Spade lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich komme schon klar, besten Dank.« Das Lächeln verflog. Seine Oberlippe schob sich links über den oberen Eckzahn. Die Augen verengten sich zu feindseligen Schlitzen. Seine Stimme klang ebenso gepresst wie die des Lieutenants. »Mir gefällt das nicht. Was schnüffeln Sie hier herum? Sagen Sie’s oder schieben Sie ab, damit ich endlich ins Bett komme.«
»Wer ist Thursby?«, fragte Dundy.
»Ich habe Tom bereits gesagt, was ich über ihn weiß.«
»Sie haben Tom so gut wie nichts gesagt.«
»Ich weiß auch so gut wie nichts.«
»Warum haben Sie ihn beschattet?«
»Hab ich gar nicht. Miles hat ihn beschattet – aus dem einfachen Grund, weil unser Klient uns gutes amerikanisches Geld dafür bezahlt hat.«
»Wer ist dieser Klient?«
Spades Gesicht und seine Stimme nahmen wieder einen gelassenen Ausdruck an. Vorwurfsvoll sagte er: »Sie wissen, dass ich Ihnen das nicht sagen kann, bevor ich mit meinem Klienten darüber gesprochen habe.«
»Sie sagen es entweder mir oder dem Richter«, explodierte Dundy. »Es geht um Mord, vergessen Sie das nicht.«
»Vielleicht. Und hier ist was, das Sie nicht vergessen sollten, Freundchen. Ich sage was oder behalte es für mich, wie es mir verdammt noch mal passt! Es ist lange her, dass ich Tränen vergossen habe, weil mich ein Polizist nicht leiden kann.«
Tom stand vom Sofa auf und setzte sich auf das Fußende des Betts. Sein schlecht rasiertes, schmutziges Gesicht war müde und faltig.
»Sei doch vernünftig, Sam«, sagte er flehend. »Gib uns eine Chance. Wie sollen wir den Mord an Miles aufklären, wenn du uns nicht sagst, was du weißt?«
»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf«, erklärte Spade ihm. »Ich beerdige meine Toten schon selbst.«
Lieutenant Dundy setzte sich und legte wieder die Hände auf die Knie. Seine Augen waren heiße grüne Scheiben.
»Hab ich mir gedacht«, sagte er und lächelte mit grimmiger Befriedigung. »Genau so schätzen wir Sie ein. Stimmt doch, Tom, oder?«
Tom stöhnte nur und sagte nichts.
Spade beobachtete Dundy misstrauisch.
»Genau das habe ich Tom gesagt«, fuhr der Lieutenant fort. »Tom, hab ich gesagt, ich glaube, Sam Spade ist einer von denen, die Familienprobleme innerhalb der Familie lösen. Genau das waren meine Worte.«
Das Misstrauen schwand aus Spades Blick. Seine Augen wirkten stumpf vor Langeweile. Er wandte sich Tom zu und fragte betont lässig: »Was hat er bloß, dein kleiner Freund?«
Dundy sprang auf und tippte Spade mit zwei gekrümmten Fingern auf die Brust.
»Das werde ich Ihnen sagen.« Er gab sich Mühe, jedes seiner Worte zu betonen, während er sie mit dem Tippen noch unterstrich: »Thursby wurde fünfunddreißig Minuten, nachdem Sie die Burritt Street verlassen hatten, vor seinem Hotel niedergeschossen.«
Spade gab sich ebenso große Mühe mit seiner Antwort: »Nehmen Sie Ihre verdammten Pfoten weg!«
Dundy zog die Hand zurück, doch an seiner Stimme änderte sich nichts: »Tom sagt, Sie hatten es dermaßen eilig, dass Sie nicht mal einen Blick auf die Leiche Ihres Kompagnons werfen wollten.«
»Verdammt, Sam, du bist einfach abgehauen«, brummte Tom entschuldigend.
»Und Sie sind auch nicht zu Archer nach Hause gefahren, um es seiner Frau zu erzählen«, fuhr der Lieutenant fort. »Wir haben sie angerufen. Ihre Sekretärin war da und sagte, Sie hätten sie hingeschickt.«
Spade nickte. Sein Gesicht wirkte beinahe naiv in seiner Gelassenheit.
Lieutenant Dundy hob erneut zwei Finger vor Spades Brust, doch dann senkte er sie rasch wieder: »Nehmen wir an, Sie haben zehn Minuten gebraucht, um Ihre Sekretärin anzurufen und mit ihr zu reden. Weitere zehn Minuten, um bis zu Thursbys Unterkunft zu laufen – Ecke Geary Street und Leavenworth –, das schafft man mit Leichtigkeit, dauert maximal fünfzehn Minuten. Und damit hatten Sie noch zehn bis fünfzehn Minuten Zeit, um zu warten, bis er dort aufkreuzte.«
»Ich wusste also, wo er wohnt?«, fragte Spade. »Und auch, dass er nach dem Mord an Miles nicht geradewegs nach Hause gegangen ist?«
»Sie wussten, was Sie wussten«, entgegnete Dundy stur. »Wann waren Sie wieder zu Hause?«
»Zwanzig vor vier. Ich bin noch eine Weile rumgelaufen und habe nachgedacht.«
Der runde Kopf des Lieutenants bewegte sich auf und ab. »Wir wussten, dass Sie um halb vier nicht zu Hause waren. Wir haben versucht, Sie zu erreichen. Wo genau sind Sie rumgelaufen?«
»Ein Stück die Bush Street rauf und wieder zurück.«
»Sind Sie jemandem begegnet, der …«
»Nein, keine Zeugen«, sagte Spade und lachte gutmütig. »Setzen Sie sich, Dundy. Sie haben noch nicht ausgetrunken. Gib mir dein Glas, Tom.«
Tom sagte: »Nein, danke, Sam.«
Dundy setzte sich, schenkte aber seinem Rum keine Beachtung.
Spade goss sich nach, trank und stellte das leere Glas auf den Tisch, dann setzte er sich wieder auf die Bettkante.
»Ich weiß jetzt, woran ich bin«, sagte er und ließ seinen freundlichen Blick von einem Polizisten zum anderen schweifen. »Tut mir leid, dass ich auf die Barrikaden gegangen bin, aber es hat mich nervös gemacht, dass ihr beide hier auftaucht und versucht, mir Daumenschrauben anzulegen. Dass man Miles umgelegt hat, macht mir schon genug zu schaffen, und dann taucht ihr beiden Vögel auf und setzt noch einen drauf. Aber das ist in Ordnung, wenigstens weiß ich jetzt, warum.«
Tom sagte: »Schon gut.«
Der Lieutenant sagte nichts.
Spade sagte: »Ist Thursby tot?«
Als der Lieutenant zögerte, sagte Tom: »Ja.«
Schließlich sagte der Lieutenant wütend: »Nur damit Sie es wissen – falls Sie es noch nicht wissen –, er war tot, ehe er irgendwas ausplaudern konnte.«
Spade war dabei, sich eine Zigarette zu drehen. Ohne aufzusehen, fragte er: »Was meinen Sie damit? Glauben Sie etwa, ich hätte es gewusst?«
»Ich meine genau das, was ich gesagt habe«, antwortete Dundy grob.
Spade sah lächelnd zu ihm auf, die fertige Zigarette in einer, das Feuerzeug in der anderen Hand. »Sie können mich nur noch nicht festnageln, oder, Dundy?«
Dundy musterte Spade mit seinen harten grünen Augen und gab keine Antwort.
»In diesem Fall gibt es auch keinen Grund, warum ich mir den Kopf darüber zerbrechen soll, was Sie denken, stimmt’s, Dundy?«
Tom sagte: »Sei doch vernünftig, Sam.«
Spade steckte die Zigarette in den Mund, zündete sie an und stieß lachend eine Rauchwolke aus.
»Ich werde vernünftig sein, Tom«, versprach er. »Wie habe ich diesen Thursby noch mal umgelegt? Ich hab’s schon wieder vergessen.«
Tom grunzte ärgerlich. Lieutenant Dundy sagte: »Ihm wurde viermal in den Rücken geschossen, mit einer Vierundvierziger oder Fünfundvierziger, von der gegenüberliegenden Straßenseite aus, gerade, als er das Hotel betreten wollte. Gesehen hat es keiner, aber so muss es gewesen sein.«
»Er hatte eine Luger im Schulterholster«, ergänzte Tom. »Sie ist nicht abgefeuert worden.«
»Was wissen die Leute im Hotel über ihn?«
»Nichts, außer dass er seit einer Woche dort gewohnt hat.«
»Allein?«
»Allein.«
»Was habt ihr bei ihm gefunden oder in seinem Zimmer?«
Dundy kaute auf seiner Unterlippe und fragte: »Was hätten wir denn finden sollen?«
Spade beschrieb einen vagen Kreis mit seiner selbst gedrehten Zigarette. »Irgendwas, das euch verraten hätte, wer er war, was er vorhatte. Was gefunden?«
»Wir sind davon ausgegangen, dass Sie uns das verraten könnten.«
Spades gelb-graue Augen musterten den Lieutenant mit einem fast übertrieben unschuldigen Blick. »Ich bin Thursby nie begegnet, weder tot noch lebendig.«
Lieutenant Dundy stand auf. Er wirkte unzufrieden. Tom erhob sich ebenfalls, gähnte und streckte sich.
»Wir haben gefragt, was wir fragen mussten«, sagte Dundy und runzelte die Stirn über Augen, die hart wie grüne Kiesel waren. Er presste die bärtige Oberlippe fest an die Zähne, sodass nur die Unterlippe die Worte formte. »Wir haben Ihnen mehr erzählt als Sie uns. Das ist okay. Sie kennen mich, Spade. Egal, was Sie getan oder nicht getan haben, von mir können Sie immer eine anständige Behandlung erwarten, mehr als von irgendwem sonst. Ich könnte Sie vielleicht sogar verstehen – aber das würde mich nicht dran hindern, Sie festzunehmen.«
»Geht in Ordnung«, gab Spade gelassen zurück. »Aber ich würde mich wohler fühlen, wenn Sie Ihr Glas austrinken.«
Lieutenant Dundy nahm sein Glas vom Tisch und leerte es langsam. Dann sagte er: »Gute Nacht«, und streckte die Hand aus. Sie schüttelten sich sehr förmlich die Hände. Dann schüttelten Tom und Spade sich auch sehr förmlich die Hände. Spade brachte sie zur Tür. Er zog sich aus, löschte das Licht und ging zu Bett.