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Die Farm

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Sam White wurde vom Quietschen und Rattern eines Zuges geweckt. Auch Ben Copper und die angeheuerten Trunkenbolde, die den Aufstand geprobt hatten, streckten und reckten sich. Sie hatten sich auf Stroh und Decken gebettet, in der Kirche, zwischen Holzbänken und Holzkreuz. Es stank bestialisch nach Mann, Urin, Kotze und Whiskey. Aber das schien keinen zu stören.

Sam White ging nach draußen. Als er gähnend gegen die Kirchwand pisste, wurde er angesprochen.

»Gott zum Gruße!«

Sam White leerte seinen Sack und drehte sich um. »Howdy!« Auch sein Gemächt grüßte kurz, ehe es in der Hose verschwand.

Vor ihm standen 3 Männer: ein gut gekleideter Geschäftsmann mit hohem Zylinder und makellosem Pinguinfrack, ein Neger und ein Mexikaner. Der Neger trug keinen Hut, aber was sollte er sich schon verbrennen, bei dem verkohlten Schädel? Dafür schulterte er eine Schrotflinte wie eine Hacke. Der Mexikaner versteckte sich unter einem großen Sombrero und trug bunt gemusterte Kleidung, die so gar nicht seiner starren, strengen Miene entsprach. 2 Revolver mit langen Läufen hingen jeweils an den Seiten seiner Hüfte.

Vom Bahnhof kamen einige Fremde gelaufen. Teure Kleidung, aber dreckig. Kein Gepäck. Übermüdet, verstört, gekrümmt. Sie schienen orientierungslos zu sein, suchten nach Unterkunft und Hilfe. Einige freuten sich über das tropfende Wassersilo, an dem sich vergingen, ungeachtet der Tatsache, dass das abgestandene und von der Sonne erwärmte Wasser Nährboden für unzählige Keime darstellte und eigentlich abgekocht hätte werden müssen, außer beim Einsatz durch die kleine Feuerwehrabteilung als Löschwasser bei Bränden.

»Mein Name ist Jeffrey Steam, Eisenbahnscout der Pacific Salt Lake Railroad Company«, stellte sich der vornehme Herr vor. »Das sind Fred Gamble«, zeigte er auf den Neger, »und Charro de Fierro«, endete er mit dem Mexikaner. »Sind Sie der Prediger?« Er inspizierte den Whiteman hochnäsig.

Sam White schmunzelte. »Klar. Soll ich euch die Beichte abnehmen, Yankees?«

Charro de Fierro grunzte warnend. Fred Gamble legte einen Finger an den Abzug der Schrotflinte, ohne das Ding anzulegen.

Jeffrey Steam lächelte überlegen. »Vielen Dank, Prediger, aber wir sind nur hier, um die Gleise freizubekommen«, deutete er mit einem Nicken auf die Gleise, die hinter der Kirche zum Bahnhof und dann weiter nach Osten, wo eine Rauchsäule noch immer gen Himmel wanderte, und Westen, nach Elk Town und schließlich Sacramento, führten. »Es gab wohl ein Unglück. Wir kommen gerade von der Unglücksstelle. Ein paar der Leute könnten göttlichen Beistand gebrauchen. Und ein Dutzend Menschen müssten beigesetzt werden. Haben Sie von dem Unglück gehört?«

»Gee schwieg«, witzelte Sam White und bekreuzigte sich falsch, was er letztlich abbrach und händisch verwarf.

»Dann müssen wir uns weiter durchfragen«, resümierte Jeffrey Steam unbeirrt. »Sind die Menschen von«, er suchte nach einem Namen.

»Paradise City«, half Fred Gamble.

»Paradise City am Beten?«, nickte Jeffrey Steam zur Kirche.

Sam White grinste höhnisch. »Sie können ja mal schauen.« Dabei hüpften seine Augenbrauen.

Mit den Augen schickte Jeffrey Steam seinen Neger zum Eingang, wo dieser einen Blick in die Waschbärenhöhle warf. Seine geschulterte Schrotflinte verhinderte, dass er von ausnüchternden Raufbolden über den Haufen geschossen wurde. Fred Gamble gab zu verstehen, hier wäre nichts zu holen.

»Wie heißt der Marshal dieser Stadt?«, erkundigte sich Jeffrey Steam weiter.

Sam Whites Schultern hüpften.

»Mr. Steam!«, rief Fred Gamble, noch ein paar Yards vom Schutzbefohlenen. Der Gerufene wandte sich zur Seite und folgte den Zeichen, die ihn zu den Pferden führten, wovon 2 reinweiß leuchteten. Alarmierte Augenpaare trafen sich.

»Nun denn«, schloss Jeffrey Steam zügig und schob sich hinter Charro de Fierro, sodass dieser zwischen Rowdy und Roadie stand, nicht überrascht, sondern kampfbereit. »Einen schönen Tag noch.«

»Den werde ich haben«, sagte Sam White.

Geschützt durch den Mexikaner, und ein paar Sekunden später auch durch den Neger, verließ Jeffrey Steam die Church Street, ignorierte die lückenhafte Second Street und enterte die First Street, wo er sich in den Strom der Gestrandeten einfädelte, auf der Suche nach Informationen.

Ben Copper trat an Sam White heran. »Wer war der Yankee?«

»Jemand, der sich um den Fahrplan sorgt.«

Beide schauten zur Rauchsäule im Osten. Anschließend zu den Neuankömmlingen, die sie schon einmal gesehen hatten – frischer, vitaler.

»Wir sollten los«, empfahl Ben Copper, der auch die Retourkutsche des City Marshals fürchtete. »Nehmen wir die Puddingköpfe mit?«, deutete er in die Kirche, wo noch ein paar Männer ihren Rausch ausschliefen.

»Du kennst meinen Bruder«, überlegte Sam White. »Erst wird er die Puddingköpfe kaltmachen und dann uns, weil wir Puddingköpfe zur Farm schleppen.«

»Du bist doch eh aus dem Schneider«, sagte Ben Copper, die Familienbande herausstellend.

»Auch ich darf mir nicht alles erlauben«, entgegnete Sam White. »Was hast du denen geboten?«, nickte er abfällig ins Gotteshaus.

»10 Bucks.«

»Zusammen?«

»Jeder«, senkte Ben Copper das Haupt und schnaubte.

Sam White funkelte ihn niederträchtig an. »Du Holzkopf! Keinen Deut besser als die da drinnen. Los, lass uns verduften!«

Sie rannten zu den Pferden, kappten die Halteseile der anderen Pferde, scheuchten sie fort, sprangen auf ihre weißen Rösser und gaben ihnen die Sporen, heraus aus der Stadt, der Sonne entgegen, hinein ins Niemandsland.

Mitten in der Stadt entbrannte derweil ein Streit. Im Büro des City Marshals - einer Baracke mit Holzmöbeln, Termiten und dem angehängten, gemauerten Knast – gifteten sich 2 Parteien an: Bürgermeister Sherman Mayor und Claire Taylor auf der einen Seite; City Marshal Ed Five und Godfrey Parson auf der anderen Seite. Porter Point stand dazwischen, wagte aber nicht, Partei zu ergreifen. John lag auf einer Liege und wurde von Claire Taylor gekühlt und gesalbt. Er war festgekettet, entwaffnet und halb nackt.

»Hängt ihn!«, forderte Godfrey Parson, John verteufelnd. »Er brachte diese Seuche. Sie belagern sogar meine Kirche!«

»Das hat der Friedensrichter zu entscheiden«, versuchte Sherman Mayor zu beruhigen.

»Dann bringen wir ihn rüber!«, zeigte Ed Five nach nebenan, wo der Saloon Heaven Hell auch gleichzeitig als Gerichtsgebäude fungierte und sich Schankwirt Allan Sin ehrenamtlich als Friedensrichter verdingte. Porter Point stimmte zu, böse Blicke von Claire Taylor erntend, die ihn dazu veranlassten, die Klappe zu halten.

»Jesses Crickets! Er weiß, wo Emma ist«, warf Sherman Mayor schäumend ein.

»Das macht ihn nicht zum Heiligen!«, erwiderte Godfrey Parson.

Des Bürgermeisters Blick tangierte den Prediger auf eine besondere Weise, als wollte er ihm einen Wink geben, eine Erinnerung, eine nötige Erleuchtung. Kutte und Kilt und Alkoholfahne nahmen sich zurück, bekreuzigten sich, schlossen die Augen, beteten.

»Er wird sowieso sterben«, gab Porter Point seinen Senf dazu. Claire Taylors Augen hefteten sich auf ihn. Er konnte ihren Blick nicht erwidern, sondern starrte zu Boden, die Lippen aufeinandergepresst.

»Einen wunderschönen guten Tag, die Gentlemen«, rief Jeffrey Steam in den Raum und verneigte sich vor Claire Taylor, »und die Lady.«

Alle drehten sich zu dem Gespann aus Geschäftsmann, Neger und Mexikaner.

»Mein Name ist Jeffrey Steam, Eisenbahnscout der Pacific Salt Lake Rail-«

»Was wollen Sie?«, unterbrach Sherman Mayor gallig.

»-road Company«, vervollständige Jeffrey Steam in schnellerer Taktung. »Das sind Fred Gamble und Charro de Fierro. Haben Sie von dem Unglück gehört?« Er inspizierte die Einschusslöcher, die die Sonnenstrahlen ungefiltert hereinbaten.

»Ja«, spuckte Sherman Mayor, »meine Emma ist weg und Paradise City hat ein Banditenproblem. Wenn Sie meinen Engel nicht als blinden Passagier aufgegriffen oder diese Gaulgauner überfahren haben, wüsste ich nicht, was Sie hier suchen.« Seine verächtlichen Blicke trafen vor allem die beiden Gefährten.

»Nein, ich meinte das Zugunglück etwa 50 Meilen östlich von hier«, verbesserte Jeffrey Steam verhandlungssicher.

»Was reden Sie da?«, meckerte Sherman Mayor.

»Schauen Sie aus dem Fenster«, zeigte Jeffrey Steam zu selbigem.

Der Bürgermeister, der City Marshal, der Deputy und der Prediger kamen dem nach.

»Um Gottes willen!«, hauchte Godfrey Parson beim Anblick der vielen fremden Neuankömmlinge und des dunklen Rauches, der sich zum Himmel hin wulstig auffächerte und in den höheren Sphären allmählich verblasste.

»Paiute?«, fragte Ed Five aufgeschreckt. Seine Hand langte automatisch an den Revolver im Holster, auch wenn kein Gefecht bevorstand.

»Nein. Ein Zug der Pacific Salt Lake Railroad Company auf dem Weg nach Sacramento. Er wurde überfallen und in Brand gesteckt«, erklärte Jeffrey Steam nasal. »Die Gleise sind blockiert. Die nördliche Ost-West-Verbindung ist dadurch gekappt. Ein enormer Wettbewerbsnachteil gegenüber der South Western Railway Limited weiter im Süden, die sich nicht mit den White Horses herumschlagen muss.«

»Die White Horses?« Ed Fives Gesicht gefror.

»Unsinn!«, winkte Sherman Mayor ab. »Die Gleise sind außerhalb von Whiteland.«

City Marshal und Deputy City Marshal schauten ihn entsetzt an. »Allein die Verwendung dieses Begriffs ist verboten«, sagte Ed Five.

Sherman Mayor öffnete die Hände. »Welchen Namen soll ich sonst verwenden? Doppel-U-Tal? Schweinebucht oder Bienenstock?«

»Reiten Sie sich lieber nicht noch weiter rein, Bürgermeister«, warnte Ed Five und nickte zu den leeren Zellen: »Für Sie haben wir immer einen Platz frei.«

»Ist Ihnen der fehlende Nachschub an Whiskey noch nicht aufgefallen?«, fragte Jeffrey Steam. »Ein Teil der Ladung war für«, er suchte wieder nach dem Namen dieser unbedeutenden Stadt.

»Paradise City«, half Fred Gamble erneut.

»Hier gedacht. Jetzt schmilzt das Zeug Zug und Schienen und wird uns um Tage zurückwerfen.«

»Und Sie sind hier, um uns zu sagen, dass wir unsere Waren wieder selbst abholen sollen?«, brummte Sherman Mayor. »Mit meinen Bisons vor den Kutschen.« Seine Hände rieben aneinander.

»Nein, ich bin hier, um die Strecke zu sichern«, widersprach Jeffrey Steam.

»Mit welcher Armee?«, fragte Ed Five kritisch.

Jeffrey Steams Daumen zeigten auf seine beiden Begleiter. »Ich hoffe auf Ihre Gastfreundschaft und Unterstützung.«

»Wie sollen wir unterstützen?«, gellte Sherman Mayor.

»Lassen Sie uns in Ruhe arbeiten. Wir benötigen freien Zugang zu allen wichtigen Geschäften und könnten ein paar Lasttiere gebrauchen.«

Sherman Mayor taxierte den Neger und den Mexikaner. »Ich kann Ihnen hundert Lasttiere anbieten, aber für Ihren Coon und Ihren Bohnenfresser werden wir hier die Gesetze nicht ändern.«

Ed Five stimmte dem mimisch zu.

Jeffrey Steam lächelte siegessicher. »Und was ist mit den hundert Chinesen, die bald hier eintreffen, um die Strecke frei zu räumen und instand zu setzen?«

»Gesetz ist Gesetz«, schmetterte Ed Five durch seinen Schnauzbart ab.

Der Scout trat einen Schritt heran. »Dann eröffnen wir unsere eigenen Geschäfte.«

»Nur zu«, wedelte Sherman Mayor mit dem Arm und zeigte herabwürdigend hinter sich, wo in Wurfweite die Second Street dahingammelte. »In der Second Street gibt es ein paar leere Häuser. Dort können Sie Ihre Räucherhöhlen reinpacken, oder sie gleich im Dead Creek vergraben.«

Ed Five sah zum Bürgermeister – schockiert. »Unsere Gesetze gelten auch auf der anderen Straßenseite«, sagte er ungerichtet in den Raum, obwohl er das gern dem Ortsvorsteher direkt an den Kopf geknallt hätte.

»Und wenn wir den Saloon nicht Saloon nennen, sondern«, Jeffrey Steam überlegte.

»Stall«, warf Fred Gamble ein.

Porter Point verkniff sich ein Gurgeln. Godfrey Parson sprach heimlich zum Herrgott. Ed Five verschluckte sich an seinem Speichel. Sherman Mayor lachte, wodurch John erwachte.

»Meinetwegen«, jauchzte der Bürgermeister.

»Keine Waffen auf der Straße und Probleme müsst ihr selbst lösen«, ergänzte Ed Five.

»In Ordnung«, schlug Jeffrey Steam ohne Handschlag ein. »Sie werden uns weder sehen noch hören, und irgendwann fahren unsere Züge wieder vorbei an diesem weißen Fleck und unsere … Ställe … werden aus dem Schlamm herausragen.«

Jeffrey Steam und Gefolge gingen.

»Zur Hölle, was war das denn?«, fragte Porter Point, als die Fremden gegangen waren.

Godfrey Parson sah ihn wegen des Ausdrucks wirsch an.

»Fliegen, die Scheiße riechen«, zeterte Ed Five. Er widmete sich John und zeigte hinaus zum schwarzen Rauch, meilenweit weg: »Weißt du was darüber?«

John schüttelte den Kopf.

Der City Marshal gab seinem Deputy ein Signal, woraufhin dieser John von den Handschellen befreite.

»Bring ihn raus hier«, schickte Ed Five Claire Taylor samt John hinaus.

Sie stützte den Verletzten und nahm seine Waffe beim Gehen mit.

»Sollte Ihr neuer Deputy nicht hierbleiben?«, frotzelte Sherman Mayor.

»Noch entscheide ich, wer hier Deputy ist, und wer nicht«, konterte Ed Five.

»Und die Verurteilung?«, wollte Godfrey Parson erzürnt wissen.

»Aufgeschoben«, winkte Sherman Mayor zufrieden ab.

Ed Five winkte nur ab.

Grantig verließ Godfrey Parson das Büro noch vor Claire Taylor, die mit dem hinkenden John kaum Yards machte. Beim Passieren von John flüsterte der Prediger lateinische Flüche, eindeutig gegen ihn gerichtet.

Nach einem schweren Gang über die First Street erreichten Claire Taylor und John das Textilgeschäft. Sofort brachte sie ihn nach hinten, um ihn erneut zu versorgen. Die Wunde war wieder aufgerissen. Tinktur und Kauterisation folgten.

»Idiot!«, schimpfte sie.

John sah sie stumm an.

»Du wärst da drüben fast verreckt.«

»Danke«, stöhnte er.

»Dank nicht mir, dank Porter. Er holte mich, als sie dich gegenüber der Kirche fanden. Frag mich nicht, warum er das tat. Vielleicht wollte er heute nur einen Toten begraben.«

Sie pflegte ihn eine Weile, ohne ein Wort zu sagen.

»Hast du Sam gesehen?«, fragte sie schließlich.

»Sam?«, spielte John den Unwissenden.

Claire Taylor schnaufte laut aus. »Onkel Sam.«

John mimte weiter den Dummen.

Sie ballte die Fäuste und knurrte: »Sam White.«

»Bei der Kirche. Ein Whiteman? Carl nennt ihn Onkel?« John hatte Probleme, zu sprechen, aber er tat es trotzdem. Heiser. Leise. Langsam.

»Ich erzähle dir die Geschichte, wenn du wieder auf den Beinen bist.«

John wollte aufstehen, aber Claire Taylor hinderte ihn erfolgreich daran. Er forderte die Geschichte fazial.

Sie seufzte. »Vor vielen Jahren gab es einen Kontakt zu den Whiteman. Seither werden wir regelmäßig heimgesucht. Ich kann es weder ändern noch verhindern noch dir alles erzählen, ohne Carl zu gefährden.«

John nickte verständnisvoll.

Milton Smith kam herein, noch mit der Schürze des Schmiedes an. »Schon wieder?« Seine Mimik verzog sich ins Negative. Er legte ein paar Eisenplatten ab.

»Er wird es überleben«, sagte Claire Taylor. »Was ist das?«, nickte sie zu den Platten.

»Johns Rüstung.« Er sortierte die flachen, handgeschmiedeten Prototypen. »Du musst die Dinger in seine Kleidung einnähen. Achte darauf, dass die Gelenke frei und beweglich bleiben.«

Claire Taylor wog eine der Platten ab und prüfte deren Dicke. »Damit wird er zu schwer.«

Milton Smith schaute sie besorgt an. »Wie ich hörte, ist er die Zielscheibe. Je mehr an ihm abprallt, desto länger wird er überleben. Sein Hengst wird ihn keine 100 Meilen mehr tragen können und er sollte den Faustkampf meiden, aber die Kugeln der Bösen können ihn erst einmal nicht mehr töten.«

»Er ist verletzt«, stöhnte Claire Taylor bedrückt. »Wie soll er das Zusatzgewicht austarieren? Er wird nicht flüchten oder sich schnell ducken können. Er wird eine ungelenke Statue sein, zum Abschuss freigegeben.«

»Tu es«, insistierte John und fügte hinzu: »Bitte.«

Dann trudelte er in den Schlaf.

Als er erwachte, lagen umgenähte Kleidungsstücke neben ihm - dicker, härter, gepolstert.

Er schaute sich um.

Allein.

Vorsichtig hievte er sich in die Sitzposition. Sofort drehte sich alles. Er schloss die Augen. Schmerzblitze jagten durch seinen Rücken. In einer seiner Taschen fand er die Kaubohnen. Eines der schwarzen Allheilmittel verschwand in seinem Mund. Umgehend minderten sich die Unannehmlichkeiten. Er stand langsam auf, hangelte sich zu den Krügen und suchte nach Flüssigkeit. Bier, Whiskey, Adams Ale, Pferdepisse. Egal, er schüttete alles, was er fand, in sich hinein. Mit erweckten Lebensgeistern begann er, sich anzuziehen. Erst das Eisenkorsett, das seine Wunde verdichtete. Dann die neue, schwere Kleidung, die metallisch hallte, als er sie anzog und sie dabei aneinanderstieß. Bei den Stiefeln musste er keuchen. Der Winkel drückte auf seine Verletzung. Noch Holster und Hut.

»John, was, zum Teufel, machst du?«, kam Claire Taylor herein.

»Emma«, raunte er.

»Scheiß auf Emma!«, fluchte sie. »Du brauchst ein paar Tage, um nicht bei den Schlangen zu landen.«

Er stieß sie weg, als sie ihn zurück auf die Liege drängen wollte.

»Hast du gesoffen?«, roch sie seinen Atem.

Er zeigte beiläufig auf die leeren Krüge.

»Du bist ein verdammter Idiot! Ich gebe dir Schmerzsaft und du erhöhst die Dosis mit Fusel. Keine Ahnung, ob du daran krepierst«, schlug sie die Hände überm Kopf zusammen.

»Mach dir keine Sorgen«, nuschelte er und ging schwerfällig – Verletzung und Rüstung – durch die Seitentür hinüber zu Milton Smiths Werkstatt. Claire Taylor folgte ihm zerknirscht, immer bereit, ihn aufzufangen oder es zu versuchen.

Milton Smith und Carl Taylor befanden sich in der geräumigen Werkstatt, wo sie sich um Johns Percheron kümmerten. Vor allem der Junge hatte sehr viel Freude an der Pflege des seltenen, schönen, großen, schwarzen Tieres.

»Was macht er hier?«, fragte Milton Smith seine Tochter, die nur mit dem Kopf schütteln konnte und die Arme machtlos ausbreitete. Er studierte Johns Kleidung und die Lage der Eisenplatten. »Zumindest die Rüstung ist bereit.«

»Nein«, beschwerte sich Claire Taylor, »das ist Selbstmord!«

Milton Smith nahm sie zur Seite. »Du wirst ihn nicht aufhalten können, Liebes. Er ist ein Sturkopf. Wir haben unser Bestes getan, um ihn zu schützen, und wir werden hier sein, wenn er uns braucht.«

»Plötzlich bist du einsichtig?«, wunderte sie sich. »Ich dachte, du wolltest ihn nicht auch noch begraben?«

Milton Smith lächelte milde. »Ich vertraue auf meine Konstruktion.« Dann versiegte das Lächeln. »Uns bleibt nichts Anderes übrig.«

Carl Taylor half John auf den Percheron, wofür sie einen Stuhl nutzten. John hatte Mühe, sich mit dem höheren Gewicht im Sattel zu halten.

»Er wird herunterfallen und sich das Genick brechen«, prophezeite Claire Taylor.

»Du klammerst«, stellte Milton Smith fest. Er begutachtete ihr Antlitz. »Du willst nicht, dass er geht. Du hast Angst, zurückgelassen zu werden. Was ist passiert?« Hoffnung flammte in ihm auf. Hoffnung auf eine Familie mit Tochter und ihrem Gemahl und weiteren Enkelkindern.

»Sam war hier«, flüsterte sie.

Milton Smith versteinerte. »Wegen William?«

»Wegen uns.«

Sie schwiegen sich eine Weile ein.

»Was hat er gesagt?«

»Nicht viel. John schlug ihn nieder. Dann holte ihn der Marshal. Jetzt ist er verschwunden.«

Milton Smith grübelte. »Tot?«

Claire Taylor wusste es nicht. »Porter hat ihn nicht mehr gesehen.«

»Porter«, wiederholte Milton Smith geringschätzig.

»Vater, Porter beschützt uns, wenn«, sie schluckte, »wenn all die anderen ignoranten Sturköpfe im Leben von mir und Carl nicht dazu in der Lage sind.«

»Ich bin noch da.«

»Vater«, sie lächelte liebevoll, »willst du deinen Schürhaken werfen, wenn sie auf dich schießen?«

Er schüttelte sachte den Kopf. »Aber ich bin immer für euch da.«

»Das weiß ich.«

Sie beobachteten John, der kleine Runden im hinteren Außenbereich der Werkstatt trabte.

»Wenn Sam hier war«, sinnierte Milton Smith, »wird der Andere bald kommen.«

Claire Taylor schwieg.

Ihr Sohn schnürte noch eine volle Feldflasche mit Adams Ale am Sattel fest. »Pass auf ihn auf«, wisperte er dem Percheron zu, »und pass auf dich auf, Witwenmacher. Du trägst keine Rüstung.«

John ritt vom Hof.

Direkt auf der First Street begegnete er 3 Reitern, die neu in der Stadt schienen. Sie trugen allesamt Sterne mit 6 Zacken und Punkten daran – eine Zacke mehr als die Marshals.

»Sheriff«, grüßte John, seinen Hut lupfend.

Der County Sheriff, mit faltigem Gesicht, kauzigen Brauen, grauem Schnauzer und ernster Miene, begleitet von seinen 2 Deputys, grüßte gestisch zurück, auch wenn er den freundlichen Ritter nicht kannte.

Im Galopp ging es dem Weg nach, den John aus seinem Gedächtnis abrief, basierend auf der Strecke, die er von Emma Mayors Verfolgung gespeichert hatte. Diesmal schaffte er es bis zu dem Felsenvorsprung seiner vormaligen, verhängnisvollen Rast, ehe es dämmerte. Aber er ritt nicht hinauf, sondern stieg am Flusslauf, hunderte Fuß darunter, ab, schälte sich aus der verstärkten Kleidung und suhlte sich am Uferwasser. Auch der Percheron gönnte sich einige Schlucke.

John war völlig durchgeschwitzt. Die übliche Sommerhitze hatte ihn in der Rüstung gekocht – fast den ganzen Tag, unterbrochen von kleineren Trinkpausen und Schattenaufenthalten an Rinnsalen, in Oasen und unter Pinien.

Nahezu nackt und nass warf er die Plattenkleidung über den Sattel. Ohne den Kaubohneneinfluss hätte er die Eisenteile in Paradise City wohl nicht bereits angelegt, vielmehr erst, wenn er die Schweine in Whiteland gerochen hätte.

Nach der ersten Kaubohne seit Stunden lief er gemeinsam mit seinem Rappen an den Zügeln den kantigen, kargen Bruchberg hinauf. Dort konnte er in die umliegenden Täler schauen. Mit der rückwärtigen Sonne erspähte er schließlich dünne, graue Rauchfäden – Paiute, Trapper oder Whiteman. 2 von denen hätten ihn längst gesichtet, wahrscheinlich schon vor einigen Meilen. Die einen hätten ihn mit Pfeilen durchbohrt; die anderen mit Kugeln, außer, er war Teil eines perfiden Spiels.

Er schnallte das Eisenkorsett wieder um und band die Eisenkleidung, bis auf das große Rückenteil, zusammen und mit einem Seil an den Sattel. Dann stieg er auf und ritt los. Die Eisenkleidung schabte über den Boden; das große Rückenteil nutzte er vorsichtshalber als Schild.

Nach einer weiteren Stunde, als die Sonne schon unterm Horizont war und er sich sowie sein Percheron über alle Grenzen getrieben hatte – körperlich, mental, territorial -, kam er den Rauchfäden so nahe, dass er tatsächlich Schweine roch – Schweine, deren Schlamm, deren geräucherte und gekochte Endprodukte. Er ritt weiter, bis er die durch ein paar Fackeln rar erleuchtete Farm erreichte – ein sagenumwobener Ort, den nur Whiteman und deren Pferde kannten. Das Klappern seines Eisens kündigte ihn rechtzeitig an, damit man ihn nicht schon aus der Ferne über den Haufen schoss. Jemand, der so kühn war, musste nach dem Ansinnen ausgequetscht werden, ehe eine Kugel den Wagemut bestrafte. Sein ursprünglicher Plan bestand darin, mit seinem kümmerlichen, fremdartigen Erscheinungsbild, seine Abkehr von Paradise City zu begründen, und sich auf Robert Whites Angebot der Mitgliedschaft zu berufen.

Zwischen Schweinen, Zäunen, Fackeln und Hütten stieg John mit schmerzendem Hintern ab. Das Eisenschild klemmte er in den Sattel. Umgehend schnipste er eine Kaubohne in seinen Mund.

»Hast du eine für mich?«, fragte jemand.

John drehte den Kopf.

Jesse Periwinkle stand einige Yards neben ihm, zwar bewaffnet, aber nichts in der Hand außer Schweinefutterresten, die an getrockneten Schlammüberbleibseln klebten.

Auf der Farm zählte John 6 weiße Pferde, aber nur ein Reiter stellte sich ihm entgegen. Er gab dem Stellungshalter eine seiner wenigen Kaubohnen ab. Die Gewissheit, dass er das Versteck der White Horses entdeckt hatte, beflügelte ihn und betäubte seine Schmerzpunkte.

»Cheers«, sagte der Beschenkte und genoss den kurzen Rausch. »Wo bekommt man sowas?«

»In der Stadt.«

»Welche Stadt?«

John behielt die zwielichtige Umgebung im Auge. Dass er lediglich mit Stiefeln, Unterhose, Eisenkorsett und Hut auftauchte, schien niemanden zu stören.

»Paradise.«

Jesse Periwinkle verschluckte sich annähernd. »Paradise City?«

John nickte.

»Ding-Dang! Kommst du von dort?«

John nickte.

»Dann bist du«, der Kauz überlegte, was er preisgeben konnte, »jemandem begegnet?«

»Wem?«

Jesse Periwinkle blickte sich um. Dann kratzte er sich am Ohr. Erst jetzt schien er John so wahrzunehmen, wie man einen halb nackten Mann mitten im Nirgendwo wahrnimmt. »Bist du echt?«

John legte den Kopf schief.

Jesse Periwinkle rieb sich die Augen. Er schaute zur Hütte, in den grauen Nachthimmel, zu den Fackeln. »Bin ich auch eingeschlafen? Es fühlt sich alles so real an. Kannst du mich mal kneifen?«

John haute ihm die Faust ins Gesicht. Jesse Periwinkle fiel bewusstlos um.

In Ruhe schaute John sich um, während die Schweine grunzten. 2 der weißen Pferde ruhten sich aus und schienen frisch gewaschen zu sein, noch nicht ganz trocken. Wahrer Wurstgeruch vermischte sich bei anschwellenden Windbrisen mit dem Dysphemismus von Wurst. 4 kleine Holzkreuze zierten 4 frische Gräber hinter der Hütte.

In der Hütte, die der Niedergeschlagene häufig angestarrt hatte, hörte John 2 Personen schlafen – schnarchend und pfeifend atmend: eine Säge und ein verstopfter Kamin. Er nahm sich eine der Fackeln und schlich leise hinein, wo er diesen kleinen Bastard aus dem Bordellstockwerk und den ominösen Onkel Sam ertappte. Der kurzgeratenen Säge, Ben Copper, hätte man diesen knatternden Luftaustausch nicht zugetraut. Sam White klang kränklicher. Zusammen mit einigen Atemaussetzern hätte man Angst um dessen Gesundheit haben können. John nahm ein Seil, zerschnitt es in 2 Hälften und band beide Hänflinge an deren Betten fest, dass sie sich nicht selbst befreien könnten. Danach naschte er noch von den Vorräten – eingelegte Pfirsiche, Dosentomaten, Kekse.

Draußen verzurrte er den weggetretenen Jesse Periwinkle am Zaun, mit Händen und Füßen – ohne Stiefel und Strümpfe – ins Gehege zu den Schweinen. Ein kleiner Nachtsnack für die Wutzen, sofern sie denn wöllten.

Mit den ersten Rufen aus der Hütte, von den Schmalhanswursten, die aufzuwachen schienen, erkundete John weiter. Als er dachte, das Außenklosett gefunden zu haben, und die löchrige Tür öffnete, stutzte er. Ein schmutziges Weib, mit verkrusteten Haaren im Gesicht, lag gefesselt, geknebelt und mit Augenbinde in diesem dunklen Verschlag. Es stank nach frischem Urin, alter Seife und abgestandenem Blut. John zog sie heraus. Er kannte das dreckige, durchnässte Kleid. Als er ihre langen Haare aus dem Gesicht streifte, ihr alle Entwürdigungen entfernte und sie mit der Fackel anleuchtete, traf ihn der Schlag.

»Johnpot«, murmelte er.

»Hilfe«, piepste Emma Mayor mit brüchiger Stimme, heftig blinzelnd wegen der Helligkeit der Fackelflammen, mit geröteten Augen und blutigem Schritt, aufgesaugt von Kleid und Unterrock.

John füllte mehrmals einen Wassereimer über die Handpumpe am Brunnen und kippte das kalte, klare Nass über sie. Sie schrie und ruderte mit den Gliedmaßen, aber letztlich war es genau das, was sie brauchte für den Moment. Dreck, Schlamm, Urin, Blut, Schweiß, Tränen und Kot wurden abgespült.

Er verknüpfte. Sie hatten nicht genug Zeit, um zurückzureiten, denn die Nacht brach herein. Aber sie konnten auch nicht hierbleiben, weil er nicht wusste, wann der Rest der Bande zurückkam. Immer wieder dachte er an die 200 Bucks Kopfgeld für Emma Mayor. Während er die Möglichkeiten durchging, hängte er sich ein paar geräucherte Würste an den Sattel. Seine Feldflasche füllte er auf.

Die wütenden Rufe von Ben Copper und Sam White brachten ihn immer wieder aus dem Gedankenkonzept. Als er es nicht mehr aushielt, da sie sich gegenseitig anzuspornen schienen, stürmte er in die Hütte und verpasste beiden einen Knebel, wofür er die Strümpfe von Jesse Periwinkle verwendete. Dazu hatte er sich einen knackigen Spruch überlegt, den er beiden servieren konnte, aber ihre verblüfften Gesichter, als er sie knebelte, genügten fürs Erste. Sie schienen sich gut an ihn erinnern zu können.

»Du bist ein schlaues Mädchen«, sagte er zu Emma Mayor, die sich noch damit beschäftigte, Haare und Kleidung zu ordnen und überhaupt zu verstehen, dass sie lebte. »Es sind etwa 100 Meilen bis Paradise und der Mond schickt uns schon Kälte und Finsternis. Hast du eine Idee?«

»Die kommen erst morgen wieder«, antwortete Emma Mayor gebrochen.

»Die White Horses?«

Sie bejahte.

John verstand nun, was Jesse Periwinkle gefaselt hatte. »Die White Horses sind in Paradise?«

»Ja.«

John wurde schlecht. Möglicherweise wegen der Kombination aus Verletzung und Anstrengung. Möglicherweise durch den Fakt, dass die White Horses gerade Paradise City rot malten. Es ging ihm weniger um die Stadt. Vielmehr dachte er an Mademoiselle Mallory, an Claire und Carl Taylor, und an Milton Smith, die alle der Horde schutzlos ausgeliefert waren. Sherman Mayor konnte sich dagegen ganz gut selbst beschützen. Er hatte schließlich einige Männer, Gewehre und tausend Bisons, dazu Stacheldraht und genug Geld.

Doch John konnte daran nichts ändern.

Immerhin waren er und Emma Mayor für die Nacht in Sicherheit. Geweckt wurden sie nur einmal, als Jesse Periwinkle laut aufschrie, da die Schweine an seinen Fingern knabberten. Sein Wimmern ging dann wieder im Grunzen der Säue und im Gesang der Kojoten unter.

The Outlaw

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