Читать книгу The Outlaw - David Goliath - Страница 15
Der Sheriff
Оглавление»Teilt euch auf«, befahl Robert White seiner nicht vermummten Bande, als sie über die Gleise ritten und Paradise City in der Abenddämmerung enterten, begrüßt von den bereits brennenden Fackeln an den Fassaden der First Street und den baumelnden Petroleumlampen dazwischen.
Er selbst hatte sich den Schnauzbart abrasiert und seine weiße Augenklappe gegen schwarzen Ruß getauscht, den er sich über die vernarbte Augenhöhle gerieben hatte. Die tiefe, schiefe Hutkrempe und sein nach vorn abgeknickter Kopf schattierten den blinden Zeugen seines einstigen Beinahetodes.
Auch alle Pferde der White Horses glänzten nicht mehr weiß. Staub, Schlamm und aufgetragener Ruß minderten den optischen Wert der Herde und machten sie unauffälliger.
Sie teilten sich auf. Tom Black, Harry Cobalt und Pete Mustard steuerten schnurstracks auf den Saloon zu, der seinen Zweck zu allen Seiten mit großen, fad farbig gemalten Holzschildern anpries. Bill Plum und Luke Celery trabten zur Kirche, auf Geheiß von Frank Brown, der ihnen mit einem dezenten Kopfnicken die Richtung vorgab. Henry Gray zögerte noch, da Viola Finch keine Anstalten machte, von Robert Whites Seite zu weichen. Er begehrte seine Trophäe, wollte ihr zeigen, was ein Whiteman mit Yankee-Flittchen anstellte, doch Robert Whites Schutzschatten und der geschenkte Revolver schreckten ihn ab. Also machte er seinen eigenen Stiefel, ziellos in die Stadt reitend.
Robert White blieb mit Viola Finch und Frank Brown hinter den Gleisen stehen. Er schaute zur Dame. Seine Hände ruhten auf dem Sattelhorn.
»Muss ich befürchten, dass du mich auslieferst?«
Viola Finch suchte seinen Blick. »Warum sollte ich?«
Die Rauchschwaden circa 50 Meilen östlich pulsierten noch.
Er zeigte darauf. »Das, und die 1000 Bucks.«
Sie schmunzelte und holte ein Buch aus ihrer Tasche. Sie blätterte darin herum. Selbstgeschriebene Zeilen endeten bei der Hälfte, als unbeschriebene Seiten dominierten. Der Graphitstift entjungferte eine dieser leeren Seiten.
Robert White sondierte neugierig die Schreibutensilien. »Dein Tagebuch?«
»Nein«, murmelte sie und schrieb die ersten Sätze zu Ende. »Dein Tagebuch, Boss«, betonte sie demütig.
Frank Brown hob die Augenbrauen. Seine Hand fuhr zur Bibel, dem Gegenteil von der Niederschrift über den Teufel, die Viola Finch gedachte anzufertigen. Im Augenwinkel visierte er die Kirche an.
Robert White lächelte. »Was bist du, Ms. Finch?«
»Ein Schreiberling«, lächelte sie zurück.
»Welche Zeitung?«
Sie negierte. »Keine Zeitung. Meine eigenen Geschichten«, proklamierte sie stolz. Ihre großen Brüste drückte sie heraus. Das Kleid spannte und dehnte sich.
Robert White machte einen abfälligen Ton. »Ein verblendetes Weib.« Er reichte seine Hand: »Gib mir den Revolver wieder, du kannst ja schon zu Tode langweilen, da brauchst du keine Waffe.« Sein Kopf deutete auf Frank Brown: »Genau wie er mit seinem Buch.«
Sie verzog das Gesicht. Dann legte sie ihm ihr Buch in die Hand. »Sieh es dir an.«
Abgeneigt nahm er den zerschlissenen Einband und blätterte darin herum. Das abendliche Zwielicht erschwerte das Prozedere. »Kannst du davon leben?«
Damit schien er einen Nerv zu treffen. Viola Finch versank im Sattel, in der Ferne nach dem Silberbaum mit Goldsaum suchend.
Er musterte sie, ihr nun etwas abgerittenes Kleid, ihre vom Galopp ein wenig zerzausten Haare, ihr müdes, hungriges Antlitz. »Wie kannst du dir eine Zugfahrt leisten?«
Sie sah verlegen weg.
Er hörte nicht auf, sie mit seinem Auge zu durchleuchten. »Du bist arm wie eine Kirchenmaus«, stellte er fest, nonverbale Bestätigung erntend. Eine Hand ging zur Waffe. Der Lederschutz war schnell entfernt. »Über was schreibst du genau?«
»Lese es doch, Boss.«
Er zog seine Waffe, spannte den Hahn und zielte auf sie – alles innerhalb einer Sekunde. »Halte mich nicht zum Narren, du verdammte Hure! Es ist schon zu dunkel und deine Sauklaue kann man nicht entziffern. Also, über was schreibst du genau? Und hör auf, mich Boss zu nennen!«
Frank Brown dirigierte sein Pferd vor die beiden, um Viola Finch das Entkommen zu erschweren und um Robert Whites Revolver vor den Augen der Städter zu verdecken.
Viola Finch wusste nicht, wen oder was sie fixieren sollte. Unschlüssig wechselte sie zwischen Robert White, seiner Mündung, seinem wiehernden Gaul und Frank Brown umher.
»Ich schreibe Geschichten.«
»Das sagtest du bereits«, knurrte Robert White.
Dann brach sie in Tränen aus. »Er hat mich benutzt.«
»Wer?«, fragte Frank Brown vorsichtig, als Robert White nicht reagierte.
»Mein Verleger«, wimmerte sie. »Dieser Dreckskerl hat mir alles genommen. Sacramento war meine letzte Hoffnung.«
»Der Elefant?«, warf Robert White gefühllos ein.
Viola Finch lächelte unter Tränen. »Ja, der Elefant. Besser gesagt, der Goldrausch oder der Wilde Westen. Irgendetwas, um nicht im Hurenhaus zu enden.«
Die Männer lachten kalt.
»Der Goldrausch ist längst vorbei, Mädchen«, sagte Frank Brown.
»Wilder Westen?«, hakte Robert White nach. »Treiben wir es wilder als die Yankees in den Alten Staaten?«
Viola Finch nickte auf ihr Büchlein in Robert Whites Hand. »Hier ist das Klima rauer. Es gibt mehr Schießereien und das Gesetz wird von denen geschrieben, die am Ende noch stehen.«
Wieder lachten die Männer.
Robert White steckte seinen Revolver ein und warf das Buch zurück zur Schriftstellerin.
»Und darüber«, er zeigte um sich, das triste Land, die tote Stadt, die stinkenden Rüpel, »wollen die Yankees lesen?«
»Mit ein paar Umformulierungen, ja.«
»Umformulierungen?«, bohrte Robert White skeptisch weiter.
Viola Finch suchte nach Worten. »Mehr Romantik, weniger Huren. Das Gute siegt über das Böse.«
»Märchen«, spuckte Robert White abfällig aus.
»Mädchen«, sagte Frank Brown, »du bist hier in der Hölle gelandet. Hier gibt es nichts Gutes.«
»Aber du kannst über mich schreiben«, schlug Robert White diabolisch grinsend vor.
Viola Finch nickte eifrig. »Ja, Boss. Genau das will ich.«
Er überging ihren abermaligen Fauxpas der Anrede. »Schreib alles auf. Jede Kugel, jeden Toten, jede Rauferei, jeden Fluch. Schmücke es noch aus«, untermalte er mit ausschweifender Handgeste, »und dichte dazu, wo das Böse nicht böse genug ist. Verkauft sich das?«
Sie zweifelte. »Dafür muss ich erst einen Verleger finden.«
»Gibt es die nicht in Sacramento?«
»Schon, aber ich glaube nicht, dass ich ohne Happy End einen Verleger finde.«
Robert White feixte. »Gibt es hier denn kein Happy End?«
Ihre Schultern tanzten. »Das Böse gewinnt eigentlich niemals. Die Leser brauchen das Gute, um Hoffnung zu schöpfen.«
Robert White schüttelte den Kopf. »Entweder du schreibst das, was ich will, oder«, sein Zeigefinger sägte an seinem Hals.
Viola Finch schlug das Buch auf, grapschte ihren Graphitstift und nickte. Dann machte sie sich Notizen, um die Geschichte über Robert White und die White Horses schreiben zu können.
»Wild West Whim-Wham«, diktierte Robert White mit Blick zu den Sternen, die langsam am Abendhimmel herausstachen.
Sein Schreiberling verstand nicht.
»Der Titel«, klärte er auf.
»Warum nicht ›Robert White und die White Horses‹?«, entgegnete Viola Finch überrascht.
Er lächelte überlegen. »Wenn du so schreibst, wie du denkst, wird das nichts. ›Robert White & seine White Horses‹ ist natürlich der Untertitel.«
»Ach, bist du jetzt auch ein Schreiberling?«, fragte sie frech und fing sich eine harte Ohrfeige ein, die sie ohnmächtig in den Sattel sinken ließ.
Frank Brown musste sie noch stützen, dass sie nicht herunterfiel. Er sah seinen Boss an.
»Ich hasse freche Huren«, erklärte Robert White und ritt voraus.
Frank Brown folgte ihm, Viola Finch und ihr Whitey an den Zügeln eskortierend.
In Paradise City war mehr los als sonst. Immerhin tummelten sich dutzende Fremde in der Stadt, kürzlich erst nach einem 50-Meilen-Marsch angekommen.
Vor Taylor‘s Clothes schickte Robert White seinen Adjutanten nach gegenüber zum Saloon, um aufzupassen, dass sich seine Whiteman angemessen verhielten, wenn sie nach William Emeralds Verbleib fragten. Er selbst stieg ab, holte die Dame vom Pferd, schulterte sie und betrat das Textilgeschäft. Ein kleines Glöckchen an der Tür läutete, als die Tür es touchierte. Er legte Viola Finch auf ein abgegriffenes, durchgesessenes, verblasstes Polstersofa und schaute aus dem Fenster – neben dem Saloon befand sich das Haus des City Marshals. Mehr Pferde als üblich, wie in den sonst regelmäßigen Berichten von William Emerald, warteten davor auf ihre Reiter – Sheriffpferde, wie Robert White erstaunt feststellte, oder Armeepferde. Im Fackellicht glänzende Sättel mit Taschen für Gewehre. Dazu Seile und Ketten. Außerdem sehr gepflegte Pferde, vergleichbar zu den Whiteys. In Nordnevada hatte niemand so gepflegte Pferde wie die White Horses. Ansonsten verfügten einzig Rothäute, Sheriffs und Kavalleristen der US-Armee über entsprechend Muße und Zeit für die Pflege ihrer Pferde.
Hinter ihm knarzten Holzfußbodendielen. Er drehte sich um, ohne die Waffe zu ziehen. Claire Taylor stand ihm gegenüber, paralysiert.
»Robert«, hauchte sie entrüstet.
»Claire«, lächelte er. Nach einem Moment distanzierter Freude zeigte er auf Viola Finch. »Bist du immer noch Krankenschwester?«
Claire Taylor konnte sich nur schwer von seinem Anblick lösen. Schließlich schenkte sie der Ohnmacht einen Blick. »Sie atmet noch«, attestierte sie erleichtert aus der Ferne. Das Hämatom an der Schläfe fiel ihr auf. Abwesend starrte sie auf Robert Whites Hand.
»Das sehe ich auch«, sagte er. »Wird sie jetzt noch schwachsinniger?«
»Weil du sie geschlagen hast?«
Sein Grinsen bejahte.
»Nein, ich denke, sie wird in ein paar Minuten wieder zu sich kommen und genauso schwachsinnig sein wie zuvor, wenn sie sich mit dir abgibt«, meinte Claire Taylor, sich keinen Schritt nähernd. »Was machst du hier?«, zürnte sie verhalten, mit aufeinandergepressten Lippen.
Robert White spreizte seine Arme: »Kein Zucker?«
Claire Taylors Augen huschten nach hinten, wo die Schrotflinte auf ungebetene Gäste wartete. Sie würde sich schneller eine Kugel einfangen als sie die Schrotflinte erreichen könnte.
»Dafür hast du doch William«, schmetterte sie ihm stattdessen entgegen.
Robert Whites Freude starb. Er senkte seine Arme und brummte cholerisch. »Wo ist er?«
»Hast du es noch nicht gehört?«
Er trampelte auf den Boden, fluchte und wedelte unterstützend mit den Armen. »Nein, zum Teufel!«
Claire Taylor grinste einseitig, sich vorsichtig, Inch um Inch, nach hinten schiebend, um irgendwann an die Schrotflinte zu gelangen. »Er ist tot.«
Robert White schaute sich um – halb leere Kleiderständer, zerschnittene Stoffe, zerkratzte Spiegel, spärliches Nähzeug, ausgefranste Fäden. Er brauchte etwas, um sich abzureagieren. Schleunigst. Ehe er den Laden oder die Besitzerin auseinandernahm. Schließlich beugte er sich zur somnolenten Viola Finch, packte ihren Schopf und vergrub seine Nase darin, um einen sehr tiefen Zug zu holen. Das Aroma der Frau beruhigte ihn fürs Erste. Als er sich wieder aufstellte, stand ihm Claire Taylor mit der Schrotflinte gegenüber.
»Heißt man so die Familie willkommen?«, scherzte Robert White leichtfertig.
Claire Taylor spuckte auf den Boden. »Du gehörst nicht dazu!«
»Ach nein?« Er inspizierte den Laden, wanderte umher, fühlte die Stoffe. Die Mündung der Schrotflinte verfolgte ihn. »Wo ist Carl?«
Sie schwieg. Ihre Augen warfen Feuer.
Er näherte sich ihr, bis er direkt vor der Mündung stand. »Wo ist Carl?«, wiederholte er zorniger. Seine Kiefer schlugen aufeinander.
Claire Taylor schüttelte den Kopf. »Nein!«, sagte sie nur.
»Nein, was?«, forschte Robert White anmaßend nach. Er stand press an der Mündung und lehnte sich dagegen, Waffe und Frau nach hinten zwingend.
»Nein! Er ist nicht hier!«
»Wirklich?« Robert White sah zum Vorhang, der den Verkaufsraum vom Hinterzimmer, dem Wohnraum, trennte. Der Vorhang, der noch leicht schwang, weil jemand eine Schrotflinte hervorgeholt hatte. »Carl?«, rief er nach hinten, ohne Antwort.
Viola Finch wimmerte leise. Sie erwachte allmählich.
»Soll der Junge ohne Vater aufwachsen?«, nahm Robert White den Lauf in die Hand und schob die Schrotflinte beiseite.
Claire Taylor stemmte sich dagegen, konnte aber weder den Lauf aufs Ziel gerichtet halten noch ihre Position vor dem Vorhang halten. »Du bist nicht …«, geiferte sie unvollständig.
»Carl?«, rief Robert White erneut. »Komm nach vorn, Junge. Dein Vater will dich sehen.«
Plötzlich flog der Vorhang beiseite und Carl Taylor stand mit großen Augen im Rahmen. »Vater?« Doch dann versiegte seine Euphorie, als er Robert White sah.
»Mein Junge«, sagte dieser selig. »Schön, dich zu sehen. Du wächst und wächst. Wo soll das noch hinführen?«
Mutter und Schrotflinte bäumten sich gegen ihn auf.
»Verschwinde!«, kam Milton Smith aus dem Hinterzimmer, zerrte Carl Taylor zurück, quetschte sich an seiner Tochter vorbei und baute sich vor Robert White auf, einen Eisenstab in der Hand.
Robert White lächelte. »Die ganze Familie.«
Milton Smith fauchte.
»Ich hätte mir ein herzlicheres Wiedersehen gewünscht.« In Sekundenbruchteilen griff Robert nach dem Eisen, riss es dem alten Mann aus der Hand, zog ihm damit eins über und schlug Claire Taylor die Schrotflinte aus der Hand.
Milton Smith ging keuchend zu Boden und Claire Taylor schrie kurz auf, als der Eisenstab ihre Handknochen brach.
Danach vergrub sich Robert Whites Hand in Claire Taylors Hals. Sie gurgelte. Er drückte fest zu.
»Immer noch diese kleine, verdammte Hure«, keifte Robert White.
»Loslassen!«, schrie Carl Taylor mit der Schrotflinte in der Hand.
»Willst du deinen Vater erschießen?«
Carl Taylor sah verwirrt zu seiner Mutter. Diese wehrte sich gegen die Hand an ihrem Hals, vergeblich.
»Nur zu«, ermutigte Robert White. »Noch ein Mann, den deine Mutter auf dem Gewissen hat und wieder einer weniger, der dir beibringen kann, ein Mann zu sein.«
Als Carl Taylor den Lauf absenkte, warf Robert White Claire Taylor zur Seite und schnappte sich die Schrotflinte, um die Patronen zu entnehmen und beides in getrennte Ecken zu schmeißen. Dann klatschte er in die Hände. »So, wenn das geklärt wäre, würde ich mich über eine warme Suppe und ein paar Cracker freuen. Oder hat die Geschäftsfrau die Hausfrau verdrängt?«
Hinter ihm kritzelte es auf Papier. Er drehte nur seinen Kopf.
Viola Finch schrieb etwas in ihr Buch, halb benommen, halb fläzend auf dem Polstersofa, im Beisein der Petroleumlampen.
Robert White kniete sich, um auf Augenhöhe mit Carl Taylor zu sein, der verängstigt und doch angestachelt visuell zwischen Mutter und Großvater pendelte, die beide angeschlagen auf dem Boden lagen, vor Schmerz stöhnend.
»Mein Junge, sag mir, kannst du schon reiten?«
Carl Taylor nickte.
»Wie ist dein Faustschlag?« Er hielt ihm eine Hand als kompaktes Segel, als Boxsack, hin.
Der Junge fühlte sich herausgefordert. Er schlug in die dargebotene Hand und brachte Robert White zum Taumeln. Dieser lachte.
»Hervorragend! Und deine Schießkünste?« Er reichte ihm seinen Revolver, doch Claire Taylor ging rechtzeitig dazwischen.
»Genug!«, sie warf sich in die Bresche zwischen ihrem Sohn und dem Eindringling. »Was willst du, Robert?«
»William oder Carl«, sagte er und lächelte düster. »Was kannst du mir geben, Weib?«
»William«, sagte Claire Taylor sofort, sich mit der gebrochenen Hand irgendwie behauptend.
Robert White überlegte, zog es künstlich in die Länge. »Führt mich zu ihm.« Er reichte Claire Taylor eine Hand und packte Carl Taylor mit der anderen. »Ein kleiner Abendspaziergang? Fördert den gesunden Schlaf.«
In Ermangelung einer Rettung gab Claire Taylor ihre ungebrochene Hand.
Sie ließen den stöhnenden Milton Smith auf dem Boden zurück und gingen zur Tür. Bei Viola Finch stoppte Robert White. »Wenn der Alte uns verpfeifen will, knall ihn ab.«
Die Schreiberin nickte eilig und holte ihren Revolver, mit der einen Patrone in irgendeiner Kammer der Trommel, umständlich aus der Tasche, kaum den Eindruck erweckend, sie könne damit umgehen, geschweige denn, einen alten, wütenden Mann aus der Nahdistanz erschießen.
Mit Mutter und Sohn an der Hand flanierte Robert White durch die Stadt. »Zwei Kugeln für euch, solltest du mich in die Irre führen«, flüsterte er ihr zu, als sie am Büro des City Marshals vorbeikamen.
Auf dem Friedhof, im Dämmerlicht der städtischen Fackeln hinter ihnen, an einem frisch zugeschütteten Grab hielten sie inne. Robert White schaute sich ablehnend um. »Was sollen wir hier, Weib? Willst du dir dein Erdloch aussuchen?«
»William«, zeigte Claire Taylor auf den frisch vertikutierten Boden. Sie fädelte sich langsam aus seiner Hand. In ihrem Geist überschlugen sich die Fluchtstrategien. Sie suchte den Blickkontakt zu ihrem Sohn, der sich ebenfalls aus dem Griff befreien konnte, weil Robert White grantig auf das Grab starrte.
»Lauf!«, rief sie ihrem Jungen zu, der flugs die Flucht ergriff. Sie wollte noch nach dem Revolver im Holster des Mannes greifen, scheiterte aber.
Im selben Moment wurde sie von Robert White am Schopf gepackt, zu Boden gezerrt und kranial überstreckt. »Was soll das, Weibsstück? Wieso tust du mir das an?« Er schaute Carl Taylor hinterher, der wie von der Tarantel gestochen über eine der Brücken, die über den ausgetrockneten Dead Creek führten, zurück in die Stadt rannte.
»Wo wird er wohl hinrennen?«, grübelte Robert White gespielt. »Wird er seine Mutter opfern, um den Marshal zu informieren? Oder wird er die Schrotflinte holen und das Gesetz selbst in die Hand nehmen?« Bei der zweiten Frage schwoll seine Brust an und sein Kinn reckte sich nach vorn oben. Stolz übermannte ihn.
Claire Taylor kämpfte nicht gegen ihn an. Sie versuchte nur, nicht umzufallen, um ihre gebrochene Hand zu schonen, die sie dann hätte zum Abfedern verwenden müssen.
»Rusty hat mir von einem gewissen John berichtet«, schwenkte Robert White um, den Lauf des Jungen beobachtend. »Merkwürdig, denn einen gewissen John durfte ich auch erst neulich kennenlernen. Wer ist dieser Depp?«
Doch sie verweigerte eine Aussage, woraufhin sie herumgewirbelt und härter gepackt wurde. Sie schrie auf, jammerte und verfluchte ihn.
»John!«, verlangte Robert White ruppig Auskunft.
»Nur ein Rancher von Sherman Mayor«, japste sie letztlich.
»Der Bisonbaron?«
»Ja.«
Er warf sie zu Boden, wo sie sich noch abrollen konnte, ohne ihre verletzte Hand zu belasten.
»Und wieso pisst mir dieser beschissene Rancher in meine Suppe?«
»Emma.«
Robert White stutzte. »Emma? Diese kleine Hure von William?«
»Ja.« Claire Taylor rollte sich zum Schutz ein und suhlte sich im Schmutz, vor Schmerz. »Mayors Tochter.«
Robert White grunzte gefährlich. Seine Zähne klackerten aufeinander. Seine Nase rümpfte sich. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Doch plötzlich begann er zu lachen. Laut. Ausgelassen. Krankhaft. Im Wahn.
Claire Taylor robbte sich ein paar Inches weg. Sie rechnete mit ihrem Tod, wollte sich irrtümlicherweise mit ihren Armen vor den Kugeln abschotten.
»Fabelhaft!«, schallte er. »Da hat William doch tatsächlich die Tochter vom Bürgermeister gebumst. Was für ein schlimmer Finger.« Sein Gelächter hallte im Umkreis. »Und jetzt liegt er bei den Schlangen und frisst Dreck wie eine verkappte Sau.« Sein Ton wandelte sich wieder ins Gallige. Er sprang auf Claire Taylor zu, griff ihre Haare und hievte sie hoch.
»Komm, meine Hübsche! Es wird Zeit, dass die Familie wieder vereint wird. In Whiteland wird Carl lernen, wie man Schweine ausweidet.«
Auf halbem Wege zurück zum Textilgeschäft, stellte sich ihnen Porter Point in den Weg. »Alles okay, Claire?«, fragte er besorgt, den einäugigen Fremden ohne Schnauzbart taxierend.
Robert White kniff fester zu.
Claire Taylor jammerte auf.
»Ja«, antwortete sie schnell.
Aber Porter Point ließ sich nicht abwimmeln. »Wer ist das, Claire?« Seine Augen fixierten den Mann, versuchten, unter den Schatten der Hutkrempe zu blicken.
»Sprechen Sie immer mit dem Weibe, wenn der Herr danebensteht, Marshal?«, knurrte Robert White.
»Deputy Marshal«, korrigierte Porter Point.
»Das ist respektlos!«, setzte Robert White fort.
Porter Point studierte die Zwangslage. »Es ist ebenso respektlos, eine Lady am Schopfe durch die Stadt zu führen.«
Robert White ließ los. Nicht aus Gnade, sondern aus Kampfeswille. Umgehend trat Claire Taylor ein paar Schritte von ihm weg.
»Was wollen Sie jetzt machen, Deputy?«, fragte Robert White kompromittierend. »10 Pins oder 52 Karten?«
»Nichts von alledem! Sie werden sich bei der Lady entschuldigen und von dannen ziehen.«
Robert White lachte verächtlich. »Haltet ihr so die Schurken fern? Mit Gefasel?«
»Sind Sie ein Schurke?«, Porter Point sah genauer hin, konnte aber keinen bekannten Verbrecher erkennen. Er gab Claire Taylor ein Zeichen, dass sie sich hinter ihn stellen sollte. Er bemerkte ihre abnormale Handhaltung. Unverzüglich legte er die Hand an den Revolver.
Die Menschen rundherum machten bereits Platz, denn ein Duell schien greifbar zu sein. Aus dem Büro des City Marshals traten 4 Männer, alle mit Stern – einer mit 5, drei mit 6 Zacken.
»Porter«, rief Ed Five, der mit dem 5-Zack-Stern, »gibt es ein Problem?«
»Gibt es ein Problem?«, stimmte Robert White leiser ein, nur für Porter Point gedacht.
Ed Five kam heran, mit einer Fackel in der Hand. »Die Zellen sind mit den Trunkenbolden aus der Kirche gefüllt«, erinnerte er im Geheimen den Deputy, dass weiterer Ärger entweder mit Kugeln oder dem Galgen gelöst werden müsste. »Warte noch die Verhandlungen ab, damit die Zellen geleert werden, ehe du wieder die Ehre von Frauen verteidigst.«
Der City Marshal wandte sich an Robert White und hielt die Fackel hoch, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen. »Woher stammt die Verletzung?«, deutete er auf das vernarbte Auge im Schatten der Hutkrempe.
»Aus dem Krieg«, antwortete Robert White.
»Nord oder Süd?«, wollte Ed Five wissen.
Robert White grinste düster. »Deo Vindice.«
Ed Five winkte kopfschüttelnd ab. »Gehen Sie Einen trinken oder nehmen Sie die Treppen nach oben«, zeigte er zum Saloon, wo im ersten Stock die dunklen Vorhänge Blicke und Geräusche voneinander trennten, und schickte den Rüpel weg, der mit grimmigem Blick gen Claire Taylor das Feld räumte.
Vorm Heaven Hell fing Frank Brown den Boss ab. »Stunk?«, nickte er ein paar Yards weiter, wo sich ein paar Sternenträger versammelten.
»Du kennst mich ja«, zwinkerte Robert White.
»Ich sehe kein totes Fleisch«, erwiderte Frank Brown.
»Kommt noch.« Er schaute sich um. »Trommel alle zusammen.«
»Die Jungs sind müde und«, er blinzelte zur Doppelschwungtür, »teilweise betrunken.«
»Die Nacht spielt uns in die Karten«, sagte Robert White und betrat den Saloon.
Sägespäne klebten sofort an seinen Stiefelsohlen. Der Gestank von Urin und Mundfäule hüllte ihn ein. Whiskeydunst, züchtige Animiermädchen, Kartentricks, Würfelspiele und Tastenklimperei nahmen ihn gefangen. Er verhöhnte heimlich die US-Flagge überm Tresen, grüßte jedoch 11 der 38 Sterne.
Tom Black saß am Pokertisch, zuckte, zitterte, zeterte. Zusammen mit dem Prediger Godfrey Parson, der mit gespreizten Beinen und offenherzigem Kilt seiner Kutte keine Ehre erwies. Außerdem war noch ein fies blickender Neger zugegen, trotz der eindeutigen Gesetze im Silberstaat, die es Negern untersagten, am öffentlichen Leben in dieser Form teilzunehmen.
Pete Mustard lag sturzbetrunken in den Armen eines Animiermädchens, deren vollgesabbertes Kleid nach dieser Nacht verbrannt werden müsste. Harry Cobalt tanzte ausgelassen mit anderen Mädchen und ein paar besoffenen Cowboys, die mit ihren Stiefeln den Rhythmus zur Klaviermusik spendierten.
Robert White setzte sich an den Tresen – mit dem Gesicht zur Tür – und orderte einen Drink.
Allan Sin servierte einen Doppelten. »Für echte Männer«, lallte er fast genauso blau wie einige seiner Kunden.
Robert White schüttete das Zeug hinter. An der Treppe nach oben sah er eine kräftige Chinesin, die ihre doppelläufige Flinte wie ein Baby im Arm hielt. Ab und an verteilte sie schwarze Kaubohnen an zahlende Süchtige.
Nach einigen Momenten Heiterkeit betraten weitere Whiteman – Frank Brown, Bill Plum und Luke Celery – den Saloon. Bill Plum und Luke Celery suchten sich umgehend freie Stühle an den Spieltischen. Frank Brown setzte sich neben den Boss.
»Wo ist Henry?«, fragte dieser mit dem nächsten Drink in der Hand.
Frank Brown zuckte mit den Schultern. »William?«
»Tot«, machte Robert White ein erbärmliches Geräusch mit halb ausgestreckter Zunge und angespanntem Gaumen.
»Allmächtiger«, stierte Frank Brown zur Decke, legte den Kopf in den Nacken und kippte sich Whiskey hinter die Binde. »Wir sollten von hier verschwinden.«
»Sieh dich um, Frank«, zeigte Robert White in den Saloon, »so viel Spaß hatten die Whiteman lange nicht mehr.«
Die Musik verstummte. Einzig Harry Cobalt drehte noch ein paar Pirouetten.
Frank Brown biss sich auf die Lippe, suchte eilig nach Lauschern und aufgeschreckten Augenpaaren, aber niemand schien die Bezeichnung gehört zu haben. Niemand starrte sie an. Niemand zog einen Revolver. Stattdessen schauten alle zur Tür, wo sich die Staatsmacht ausbreitete.
Ed Five war hereingekommen, zusammen mit Porter Point. Sie räumten einen Bereich frei, leerten Stühle und stellten diese in einer Reihe auf.
Allan Sin kletterte, nach einem Blick von Ed Five, wackelig auf den Tresen und läutete eine Glocke. Jetzt wurde es auch im hintersten Eck still.
Als nächstes trat Abbott Star durch die Tür – sein 6-Zack-Stern blendete die lichtempfindlichen Hedonisten. Nach dem autoritären County Sheriff mit kauzigen Brauen und grauem Schnauzer folgten ein paar Männer mit schwarzen Kopfhauben, an den Füßen und Händen aneinandergekettet, wie hässliche Küken, die der majestätischen Schwanenmutter folgten. Ihre Kettenglieder schleiften über den Boden und scharrten Canyons in das Meer aus Sägespänen. Die Deputy Sheriffs Chris Yuma und Newton Wolf bildeten den Schlussakkord, bewaffnet mit Gewehren und nüchternem Blick. Die verketteten Männer wurden auf die Stühle bugsiert. Chris Yuma, mit seinen 4 Colts am Gürtel, und Newton Wolf, mit 2 Colts, deren Griffe nach vorn zeigten und die er im Kreuzgriff ziehen müsste, versperrten die Fluchtwege. Ihre Gewehrläufe wirkten wie die verlängerten Arme Justitias.
»Diese Männer«, rief Abbott Star schwermütig und zeigte dabei auf die Delinquenten, »werden beschuldigt, Deputy Marshal Dave Star«, er setzte kurz ab, um durchzuatmen, »meinen Sohn«, ergänzte er leiser und wurde wieder lauter, »erschossen zu haben.«
»Ich habe nicht geschossen!«, begehrte einer der Männer unter der Haube auf, wurde allerdings von Chris Yumas Gewehrlauf zur Ruhe geschlagen.
»Jeder dieser Männer hat geschossen«, stellte Abbott Star klar. »Jeder dieser Männer ist ein Mörder.«
Verhaltenes Raunen drang durch den Raum.
»Die Strafe für Mord ist der Tod«, verkündete Abbott Star. Er sah zu Allan Sin, genau wie der Rest des Raumes.
Allan Sin nickte, wankte, und läutete ein weiteres Mal die Glocke.
»Nein!«, schrie wieder einer der Angeklagten unter der Haube. Diesmal durfte Newton Wolf für Ruhe sorgen. Der Schreihals sackte zusammen, nachdem ihn der Gewehrschaft traf.
»Der Friedensrichter hat geurteilt«, übersetzte Abbott Star den Glockenschlag. »Bevor das Urteil vollstreckt wird, gebe ich bekannt, dass ein neues Kopfgeld ausgesprochen wurde.«
Die Ohren aller weiteten sich.
»1000 Bucks«, verkündete Abbott Star.
Das Raunen der Menge schwoll an. Erste Jubelschreie stießen hervor.
»Für denjenigen, der mir persönlich den Kopf oder das schlagende Herz von Sam White bringt.«
Robert White schreckte hoch. Nach unzähligen Whiskeyshots war er beim Palaver weggedöst.
Frank Brown beäugte ihn. »Allmächtiger«, flüsterte er, »Sam.«
Gemurmel und einige Rufe hallten durch den Saloon. Sam White habe nicht geschossen, tuschelten einige, doch niemand war sich sicher. Immerhin starb Dave Star, als man Sam White aus dem Kittchen befreite, womit ihn definitiv eine Mitschuld traf.
»Sam White«, wiederholte Abbott Star, »ein Whiteman, der des Mordes an Deputy Marshal Dave Star beschuldigt wird.«
Allan Sin bediente die Glocke. »2000 Bucks für die Gebrüder White!«, fasste er das neue Kopfgeld mit dem seit Langem bestehenden zusammen.
»Strang?«, wandte sich Ed Five an den County Sheriff, der durch das Fenster in die Nacht schaute, spärlich erleuchtet durch Fackeln und Petroleumlampen. Fast schon zu dunkel für das sichere Besteigen des Podestes. Gebrochene Gliedmaßen von gefallenen Ordnungshütern konnte man sich momentan nicht erlauben.
»Sind hier Whiteman?«, wisperte Abbott Star. Seine Augen musterten die Anwesenden.
Ed Five schaute zu Robert White an der Bar. Er versuchte, sich vorzustellen, wie dieser mit weißer Augenklappe und Schnauzbart aussah. Danach taxierte er Frank Brown und die übrigen Fremden, die nicht so aussahen, als wären sie die Gestrandeten aus dem Zug.
»Vermutlich.«
Abbott Star lächelte. »Gut.« Er zog seinen Revolver und jagte Kugeln durch die Kopfhauben. Ein Mann nach dem anderen kippte vom Stuhl.
Die Meute im Saloon erstarrte, angesichts der erbarmungslosen Durchsetzungskraft des Gesetzes. Bei jedem Schuss schoss ein kollektives Zucken durch den Raum.
»Wer einen Marshal oder einen Sheriff tötet«, tönte Abbott Star so laut, dass ihn jeder hörte, »wird von einer Kugel eines Marshals oder eines Sheriffs getötet. Hat das jeder hier begriffen?« Er fixierte besonders die mutmaßlichen Whiteman.
»Ja!«, rief Frank Brown. »Gott sei mit Euch, Sheriff.« Er hob das Whiskeyglas. Nach den Schrecksekunden erhoben sich nach und nach immer mehr Gläser.
»Amen!«, stimmte Godfrey Parson heiter ein, die aufgeladene Spannung an seinem Spieltisch missachtend.
»Cheers!«, nuschelte Robert White sonor und alle schütteten sich die Plörre in den Rachen, bis auf den Neger, Fred Gamble, dessen Goldkette im Kerzenschein funkelte.
Fred Gamble haute sein Kartendeck über den Tisch, sprang auf und schlug Tom Black nieder, mit lodernden Augen und angepisstem Gemüt, weil er beim Spiel betrogen wurde.