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ОглавлениеZwei Stunden hatten Martin und Katrin die Station verlassen.
„Bis bald!“, verabschiedeten sich die Teenager.
Claudia war nun müde. Sie war körperlich völlig ausgelaugt und gähnte, während der Zeiger um eine Minute vorrückte.
Jetzt war es genau vierundzwanzig Uhr.
Geisterstunde!
Die Nachtschwester war zu nüchtern und sachlich, um an Geisterspuk und all diese Dinge zu glauben. Sie erhob sich und verließ das Schwesternzimmer. Es war Zeit, den Tropf von Paul Stumpf zu wechseln.
Gleichzeitig war noch jemand zu Paul Stumpf unterwegs!
Eine grausame Bestie, die eine schreckliche Tat vorhatte!
Zielstrebig ging die unheimliche Höllenkreatur den einsamen und dunklen Flur entlang.
Er betrachtete die Türen nicht, an denen er vorbeikam. Als er jene erreichte, die in das Zimmer von Paul Stumpf führte, verharrte er einen Augenblick.
Seine Hände zuckten, die Finger spreizten sich und ein leises Knistern war zu hören. Kleine gezackte Blitze sprangen von einem Finger auf den anderen über. Die Hände des Mannes, der nicht von dieser Welt war, strahlten auf eine mysteriöse Weise.
Er öffnete die Tür.
Stille herrschte auch im Krankenzimmer. Vier Betten standen darin, doch derzeit waren nur zwei belegt. Paul Stumpf schlief ruhig. Über ihm hing eine Flasche, in der sich eine glasklare Flüssigkeit befand.
Helles Mondlicht schien zum Fenster herein und zeichnete ein silbernes Rechteck auf den Boden.
Die Wahl des Höllendiebs hätte nicht auf jeden Patienten fallen können. Er hatte speziell Paul Stumpf heraus gesucht, der mit seinen fünfunddreißig Jahren bereits Geschäftsstellenleiter einer Versicherung war. Paul war nach einem Autounfall in die Klinik gebracht worden, befand sich aber bereits wieder auf dem Weg der Besserung.
Lebensgefahr hatte für ihn nicht bestanden. Bis jetzt!
Paul Stumpf muss sterben! Das hatte der Höllenmann beschlossen. Niemand konnte den Patienten jetzt noch retten. Er war bereits so gut wie tot!
Ein grausames Grinsen verzerrte die Züge des Unheimlichen. Er näherte sich dem Schlafenden, stand reglos neben ihm und betrachtete ihn mit einer erschreckenden Gier im Blick.
Langsam hob er seine strahlenden Hände. Damit würde er stehlen, was er brauchte. Die Magie, die ihm zur Verfügung stand, würde das Diebesgut konservieren.
Er beugte sich vor.
Plötzlich waren auf dem Flur Schritte zu hören!
Der Mann mit den strahlenden Händen stieß einen leisen Fluch aus. Es wäre nicht nötig gewesen, dass er sich versteckte, aber er wollte jedes Aufsehen vermeiden.
Eine zornige Glut glomm in seinen Pupillen kurz auf und erlosch gleich wieder. Er blickte sich hastig um und versteckte sich dann hinter einer spanischen Wand, die einen Teil des Raumes abtrennte.
Durch die Scharnierspalten konnte er sehen, wer den Raum betrat. Es war eine Krankenschwester. Sie hielt eine Infusionsflasche in der Hand.
Die Krankenschwester ließ die Tür offen. Neonlicht flutete in das Krankenzimmer. Paul Stumpf wurde unruhig und schlug die Augen auf, als Schwester Claudia die Infusionsflasche wechselte.
„Tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe“, flüsterte die Nachtschwester.
„Das macht nichts“, antwortete der Patient verschlafen.
„Wie fühlen Sie sich?“
„Gut, vielen Dank.“
„Das ist die letzte Flasche“, sagte die Krankenschwester. „Von morgen an brauchen Sie nicht mehr am Tropf zu hängen.“
Paul Stumpf lächelte. „Schade, ich hatte mich schon daran gewöhnt.“
„Schlafen Sie weiter“, forderte die Nachtschwester, warf einen Blick auf den Patienten im Nachbarbett und verließ das Krankenzimmer mit der leeren Infusionsflasche.
Während sie in das Schwesternzimmer zurückkehrte, schloss Paul Stumpf die Augen und schlief kurz darauf wieder ein.
Langsam klappte die spanische Wand zur Seite. Die Hände des Diebes begannen wieder zu strahlen. Lautlos näherte er sich seinem Opfer.
Er hob die Arme, hielt die vorgestreckten Hände über den Schlafenden. Das Strahlen nahm zu, wurde intensiver, richtete sich aber nur nach unten.
Zwischen den Händen des Diebes und der Brust des Patienten entstand eine Lichtsäule. In der Mitte dieses knisternden Leuchtens war plötzlich das Gebiss eines Wolfes zu sehen.
„Beiß!“ zischte der Höllenmann. „Beiß zu!“
Im Morgengrauen erwachte Markus Bauer, der Bettnachbar von Paul Stumpf. Man hatte ihm den Blinddarm entfernt, der Tag seiner Entlassung stand kurz bevor. Markus Bauer arbeitete als Obsteinkäufer in der Großmarkthalle. Dieser Beruf brachte es mit sich, dass er ohne Wecker im Morgengrauen erwachte. Dass man in den Krankenhäusern die Patienten bereits um sechs Uhr weckte, machte ihm nichts aus. Für viele war das eine unmenschliche Zeit, für Markus Bauer aber nicht. Er räkelte sich und drehte den Kopf auf die Seite.
Plötzlich krampfte sich sein Herz zusammen!
Mit seinem Bettnachbarn konnte irgendetwas nicht stimmen. Der Mann lag quer über der Matratze, ein Arm hing über die Bettkante herunter. Die Nadel der Infusion war aus seiner Vene gerissen, sein Gesicht war zu einer Maske des Entsetzens erstarrt.
Markus Bauer drückte den Knopf, um Hilfe zu holen.
Im Schwesternzimmer schreckte Schwester Claudia hoch. Sie war vor wenigen Minuten etwas eingenickt, war jetzt aber sofort wieder hellwach und sprang auf.
Ein Lämpchen verriet ihr, in welches Zimmer sie eilen musste. Sie hastete aus dem Schwesternzimmer und machte Augenblicke später im Zimmer von Paul Stumpf und Markus Bauer das Licht an.
Markus Bauer saß bleich im Bett.
„Schwester, schauen Sie, Paul liegt da wie tot!“, stammelte er.
Schwester Claudia warf nur einen kurzen Blick auf Paul Stumpf, dann kehrte sie um und holte den Arzt, der Bereitschaft hatte.
Dr. Claus Vogelrainer kam sofort. Er untersuchte den Patienten, hörte ihn mit dem Stethoskop ab und sagte schließlich: „Da ist nichts mehr zu machen. Der Mann ist tot.“
Schwester Claudia blickte den Arzt ungläubig an. „Um Mitternacht fühlte er sich noch gut. Er hat es mir selbst gesagt, als ich die Infusionsflasche wechselte.“
„Die Obduktion wird ergeben, woran er gestorben ist“, sagte Dr. Vogelrainer und veranlasste, dass der Tote fortgebracht wurde.
Für Markus Bauer war das ein schlimmer Schock. Er hatte sich gut mit seinem Bettnachbarn verstanden. Sie hatten ausgemacht, sich mal zu treffen, wenn sie das Krankenhaus verlassen hatten.
Sein Schock wäre noch viel größer gewesen, wenn er geahnt hätte, dass auch er auf der Totenliste des unheimlichen Diebes mit den strahlenden Händen stand.