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Gegen zwei Uhr stand Lisa an der Auffahrt zur Autobahn. Noch einmal hatte Lisa die Hände des Mannes an ihren Brüsten fühlen müssen, kurz bevor er sie absetzte, und das junge Mädchen verfluchte ihn, als er lachend davonfuhr.

Es dauerte sehr lange, bis Lisa wieder in einen Wagen stieg. Viele hätten angehalten, wenn sie ein Zeichen gegeben hätte, manche hielten an, auch ohne dass sie sich rührte, und sie lehnte ab.

Lisa lehnte Mitfahrgelegenheiten ab, wenn ein Mann allein oder gar zwei Männer im Auto saßen. Frauen, ob allein oder zu zweit, hielten nie. Warum nicht? Auch Ehepaare oder überhaupt Paare hielten nicht, schien es.

Es war vier Uhr, als Lisa zu frösteln begann, denn hier war es nicht so mild wie am Genfer See. Sie machte sich mit dem Gedanken vertraut, wieder einem Mann in die Hände zu fallen. Vielleicht wäre es auf der Autobahn schwieriger, von ihr etwas zu verlangen, was sie nicht geben wollte.

Dann hielt doch ein Paar. Wahrscheinlich ein Ehepaar, Mann und Frau, Anfang vierzig beide. Solide, wie es schien. Lisa machte verständlich, wohin sie wollte. Der Mann zeigte ihr auf der Karte wohin er fuhr - es war ungefähr der halbe Weg bis nach Bern. Immerhin. Zweieinhalb Stunden Fahrt, machte der Mann ihr klar. Lisa setzte sich hinten in das Auto, und sprach während der zweieinhalb Stunden kaum mehr als zehn Wörter. Auch der Mann und die Frau redeten nicht viel.

Es ging durch eine ziemlich gebirgige Landschaft. Lisas Magen knurrte, weil sie seit heute Morgen nichts gegessen hatte. Sie überlegte sich, wie sie es heute Abend machen sollte: Irgendwo ein billiges Hotel nehmen? Dort essen? Oder wie?

Denn sich in der Dunkelheit (und die setzte ein, bevor sie ihre erste Etappe erreicht haben würde) an die Autobahn zu stellen, das würde sie nicht machen. Würde das, was sie bei der Rückgabe der Fahrkarte gewonnen hatte, durch ihre zusätzliche Übernachtung wieder verlorengehen? Es war unklug gewesen, aus dem Zug auszusteigen. Sie wäre jetzt schon in Bern. Hätte sich dort ein Zimmer genommen, könnte ihre Suche nach der Firma Sernice beginnen. Spurlos verschwinden kann eine Firma ja nicht, irgendetwas musste ja bleiben.

Später ergab sich ein ausgiebigeres Gespräch zwischen dem Mann und der Frau. Nach einer Weile verstand Lisa, dass es um sie ging, aber mehr erfuhr sie nicht. Schließlich schienen sich beide geeinigt zu haben. Der Mann sprach mit ihr in einem seltsamen Dialekt. Seine Frau sagte gar nichts. Man bot ihr an, bei ihnen zu übernachten. Oder wolle sie weiter? Sie könne doch nicht...

Lisa zögerte. Weiter wollte sie in keinem Fall. An sich konnte sie das Angebot annehmen, was sollte passieren? Und sie würde mit Sicherheit eine Menge Geld sparen und auch nicht vor das Problem gestellt sein, sich ein billiges Hotel suchen zu müssen. Lisa bedankte sich für das Angebot und nahm es an.

Der Mann hatte richtig kalkuliert. Um halb sieben verließen sie die Autobahn und fuhren eine halbe Stunde durch die Dunkelheit, ohne auf irgendeinen Ort zu stoßen. Dies schien das Ende der Welt hier zu sein, dachte sich Lisa, denn auch auf den Straßen fuhr niemand, und zu sehen war auch nichts.

„Wo wohnen Sie?“, fragte sie nach einer Weile.

„Ich wohne auf dem Land, bei Niederscherli. Meine Schwester zeigt es dir!“

Lisa musste schlucken. Was hatte er gesagt? Seine Schwester? Er sprach mit der Frau. Die gab Lisa die Karte nach hinten, deutete darauf, zeigte Lisa einen Ort. Aha. Es war ein gutes Stück weg von der Autobahn, führte aber in Richtung Bern. Aber das war nicht das Problem. Sondern:

Sie war also nicht an ein Ehepaar geraten. Nun, das wollte noch nichts sagen. Aber ganz wohl war ihr doch nicht.

Nach vierzig Minuten Fahrzeit kamen sie in einen Ort, Niederscherli, wie es schien. Es tat gut, einmal wieder Lichter, Autos, Leute zu sehen. In der kleinen Ortschaft stieg die Frau aus, sprach mit dem Mann ein paar Worte, sagte dann zu ihr: „Au revoir!“

Lisa fühlte sich mulmig, wieder mit einem Mann allein im Auto zu sein, nach der Erfahrung von heute Vormittag...

„Sie sagt meiner Frau per Telefon Bescheid, dass ich jemand mitbringe“, sagte der Mann zu ihr, als er wieder losfuhr. Seiner Frau! Also gab es eine Frau! Immerhin!

„Hier, da drüben ist es!“

Lisa sah nach einem Licht, auf das der Mann, nachdem er von der kleinen Straße abgebogen war, zufuhr. Es war fast halb acht Uhr als schließlich das Haus auftauchte und der Mann den Motor abstellte.

Offenbar ein großes Haus. Lisa sah nicht viel, bis jemand außen Licht machte. Dann schlug ein Hund an, eine Tür ging auf. Jetzt sah Lisa ihren Gastgeber erstmals richtig an - und der sie.

„Ich heiße Clément du Mez“, sagte er und lächelte. „Und wie heißen Sie?“

Lisa nannte ihren Namen. Es gab solche und solche Männer. Dieser hier flößte ihr Vertrauen ein. Trotzdem wäre es wohl besser, auf der Hut zu sein. Madame du Mez sah sie prüfend an. Sehr prüfend. Dann begrüßte sie ihren unerwarteten Gast freundlich, aber zurückhaltend, auf typische Schweizer Art.

Lisa fühlte sich unbehaglich. Madame du Mez fragte nicht viel, aber so, dass Lisa fast auf jede Frage lügen musste, um nicht zu viel von sich preiszugeben. Sie versuchte, die Unwahrheiten auf die unvermeidlichen Auskünfte zu beschränken und ansonsten, soweit es nur irgend ging, bei der Wahrheit zu bleiben, aber sie fühlte, dass Madame du Mez ihr nicht recht glaubte. Dabei war man freundlich und großzügig zu ihr. Ein Dienstmädchen erschien, zeigte ihr ein Gästezimmer, und sie half, ihr Bett zu machen.

Zum Abendessen erschienen die beiden Kinder von Herrn und Frau du Mez, ein Mädchen von zwölf, dreizehn Jahren, und ein Junge. Eigentlich ein junger Mann. Ein wenig älter als sie, groß, dunkelhaarig, und ein bisschen linkisch. Er sah sie beim Essen ein paar Mal verstohlen an, und als sie einmal seinen Blick erwiderte, lächelte er und wurde rot.

Die beiden Kinder der Familie sprachen akzentfrei Deutsch, Jules und Sophia hießen sie, und während der Unterhaltung bei Tisch bekam Lisa das erste Mal heftiges Heimweh. Sie bat um Entschuldigung, verließ den Tisch, aber man hatte wohl schon bemerkt, dass sie weinte.

Lisa ging früh zu Bett, erschöpft von ihrer Reise. Sophia brachte ihr ein paar Bücher, vielleicht nicht ganz das richtige für ihr Alter, aber genug, um Lisa abzulenken, und sie schlief bald ein.

Sophia war es auch, die sie weckte, brachte ihr Tee ans Bett, plauderte mit ihr. Lisa wäre gern aufgestanden, genierte sich aber, weil sie nackt schlief und weil man an ihrem Höschen sehen könnte, dass sie ihre Tage hatte. Aber die würde Sophia auch schon haben, und wenn nicht, bald kriegen. Lisa gab sich einen Ruck und stand auf.

„Schläfst du immer nackt?“, fragte das Mädchen prompt verwundert. Lisa wurde rot.

„Ich habe meinen Pyjama in einem Hotel liegenlassen!“, log sie.

„Willst du einen von mir?“, bot Sophia freundlich an. Sie ging wohl davon aus, dass Lisa länger bliebe.

„Meine Mutter sagt“, fuhr das Mädchen fort, während Lisa sich rasch etwas überzog, „das du von zu Hause weggelaufen bist...“

„Sophia!“, tönte es da energisch von unten.

„Ich muss weg!“, rief die Kleine ihr zu. Lisa war blass geworden.

Hatte Madame du Mez erkannt, wer sie war?

Natürlich las sie Zeitungen, sicher. Was war vorgefallen, seit sie vor einer Woche die Heimat verlassen? Suchte man sie noch immer? Oder mehr denn je? Was war los in der Spanner-Affäre?

Lisa wusch sich, zog sich an und ging nach unten. Madame du Mez und Jules saßen beim Frühstück, Sophia und Lisa kamen gleichzeitig dazu. Sie war einsilbig, spürte nur, dass sie weg musste.

„Wenn du möchtest, bringt Jules dich nach Bern. Ich kann leider nicht selbst fahren, denn ich habe etwas vor heute Vormittag...!“

Lisa fiel ein Stein vom Herzen. Sie konnte weg, und dies auch noch auf diese wahrscheinlich komfortabelste und sicherste Weise. Das erste Mal ließ sie mit ihrer Erleichterung auch Unbefangenheit und Herzlichkeit spüren, und sie erreichte damit auch das erste Mal, dass die Dame des Hauses sich weniger kühl gab. Dennoch schien sie froh, dass ihr junger Gast sie verließ, und Lisa stieg in das kleine Auto von Jules und fuhr mit ihm los.

Lisa konstatierte überrascht, dass der Junge, jetzt, wo sie allein miteinander im Auto waren - und die gestrenge Mutter nicht dabei war! -, lockerer, auch selbstbewusster und sicherer erschien als vorher.

Er erzählte ein wenig von sich, von seinem Studium in Genf. Das junge Mädchen bemerkte seine gelegentlichen Blicke auf ihren Körper, auf ihre Beine, und sie hatte den Eindruck, dass sie Jules gefiel. Und er ihr auch, nebenbei. Es war der erste Junge in der letzten Zeit, von dem sie das Gefühl, den Eindruck hatte, er „passe“ zu ihr, seinem Alter und seiner Art nach.

Lisa sah keinen Grund, ihre Sympathie zu verbergen, und nach einer Weile merkte sie, dass Jules einhändig fuhr. Seine rechte Hand legte er zwischen ihren und seinen Sitz, und sie wusste, dass er Kontakt suchte. Einmal ließ sie selbst ihre Hand dort ruhen, und er zuckte zusammen, als er die ihre berührte. Beim nächsten Mal legte Lisa ihre Hand absichtlich so, dass seine und ihre Hand beieinander lagen. Jules sah sie mit einem Seitenblick an und fasste nach ihrer Hand, drückte sie, lächelte sie an und hielt sie fest. In dem Moment allerdings fuhr Jules durch ein Schlagloch, und Lisa meinte grinsend:

„Vielleicht ist es besser, wenn du anhältst! Denn zwei Sachen auf einmal...“

Zugleich biss sie sich auf ihre Lippe, weil ihr bewusst wurde, dass sie den Jungen einfach zu dem aufforderte, was sie vor gerade vierundzwanzig Stunden abwehren hatte wollen.

Jules wartete in der Tat nicht lange. Er stellte seinen Kleinwagen am Rande der Straße auf einem Parkplatz ab und fragte Lisa:

„Wollen wir uns ein bisschen die Füße vertreten?“

Lisa nickte und stieg aus. Heute war ein milder Tag und Lisa konnte ohne Jacke, nur im T-Shirt und ihren Jeans herumlaufen. Jules schloss sein Auto ab, und sie liefen durch einen flachen Weinberg, dessen Weinstöcke schon abgeerntet waren, nur hier und dort hingen noch ein paar Reben. Lisa probierte die blauen Trauben, sie schmeckten süß und gut, aber Jules warnte sie, nicht zu viel davon zu essen, weil sie sonst...

„Was?“

Durchfall kriegen würde, teilte Jules grinsend mit. Auch Lisa musste lachen. Inmitten der Weinstöcke blieb der Junge plötzlich stehen. Lisa war ein paar Schritte weitergelaufen, kehrte um und sah ihn fragend an.

„Was ist?“, fragte sie.

Jules sah sie an, dann meinte er nur kurz: „Komm!“

Lisa stellte sich vor ihn, kam dichter heran, ohne dass er sich noch rührte. Dann stellte sich das junge Mädchen auf die Zehenspitzen und küsste Jules auf den Mund. Kurz nur, dann nochmal.

Dann blieb sie abwartend stehen. Und fühlte seine Hände, die sich auf ihre Schultern legten, sie an ihn zogen, dass sich ihre Brüste gegen seinen Oberkörper pressten. Dann fasste Jules sie an der Hüfte, zog sie fester an sich, und spürte seinen Unterkörper gegen ihren Schoß gepresst, fühlte plötzlich das Prickeln zwischen ihren Beinen, das ihr anzeigte, dass ihre Scheide feucht und aufnahmebereit war.

Jules küsste sie, und sie ließ sich küssen, erst ganz passiv, dann öffnete sie ihre Lippen, versuchte mit ihrer Zunge seine Zahnreihe zu ergründen, machte dem Jungen Mut, selbst seine Zunge zu benützen. Was Jules konnte. Lisa erkannte, dass er schon andere Mädchen geküsst hatte, und wahrscheinlich hatte er auch schon mit Mädchen und Frauen geschlafen. Und während sie sich küssten, fingen seine Hände an zu wandern. Die beiden sanften Hügel ihres Busens waren sein erstes Ziel, der doppelte runde Berg ihres Popos das zweite. Sein und ihr Unterkörper waren so dicht zusammengefügt, dass seine Hand kaum Platz gefunden hätte, auch noch ihren Schoß zu streicheln.

Dann ließ er Lisa los, sah sie an, lächelte. Lisa blieb ernst. Sie war überzeugt, dass er jetzt - hier oder in seinem Auto oder sonst wo - mit ihr schlafen wollte, und was sie gestern vor unerwünschten Angriffen schützte, kam ihr heute als Handicap vor. Würde Jules ihr glauben, wenn sie ihm sagte, dass sie nicht könne? Noch nicht. Morgen vielleicht, übermorgen bestimmt wieder...

„Komm, ich glaube, wir müssen weiter!“, meinte Jules dann zu ihrer Überraschung. Sie ging los, Jules hinter ihr.

„Wie hübsch du bist!“, meinte er.

Lisa wusste, was er meinte. Sie wusste, dass Männer und Jungen nach ihrem Hintern sahen, weil er schlank und gut geformt war, besonders, wenn sie Jeans trug.

Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, sich dem Jungen nackt zu zeigen, wenigstens von hinten, sozusagen als Versprechen.

„Entschuldige, ich muss noch mal austreten!“, murmelte sie, trat zur Seite und ließ Jules an sich vorbei.

Jules machte drei Schritte nach vorn, dann hörte sie, dass er stehenblieb, und sie fühlte seinen Blick. Sie knöpfte ihre Jeans auf, zog den Reißverschluss herunter, streifte sie ab, ließ ihr Höschen folgen und blieb stehen, zeigte dem Jungen ihren nackten Po.

Dann ging sie in die Hocke, wie es Mädchen tun, wenn sie müssen, drehte sich nach Jules um und traf sich mit seinem Blick. Jules wurde rot und wandte sich ab. Zehn Meter weiter, außer Sichtweite, wartete er auf sie. Als Lisa fertig war, schien er noch immer verlegen.

Du hättest dabei bleiben können, wollte Lisa sagen, biss sich aber noch rechtzeitig auf die Lippen. Warum sollte sie Jules das anbieten? Und Jules schien verlegen, fast verstört, dass er sich nach ihr umgedreht hatte. Sie saßen eine Weile schweigend nebeneinander, dann nahm sie seine Hand.

„Was ist denn?“, fragte sie.

Jules du Mez blieb stumm. Dann schließlich schien er sich einen Ruck zu geben und fing an zu sprechen. Lisa hörte zu, mit steinernem Gesicht, blass, aber sie blieb ruhig.

„Ich verbringe viel Zeit am Computer, natürlich auch im Internet“, begann Jules.

Lisa nickte und eine Ahnung machte sich in ihr breit.

„Da gab es eine Geschichte, die mich aufgeregt hat. Aufgeregt, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Und nun, durch einen bloßen Zufall, kommt ein Mädchen bei uns vorbei, das mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der Geschichte mitgemacht hat, die durch die Presse gegangen ist. Wenn ich Recht habe, weißt du was ich meine, und wenn ich nicht Recht habe, kann ich es dir erklären. Und diesem Mädchen gegenüber verhalte ich mich genauso wie... diese Schweine, diese...“

Jules brach ab. Lisa blieb stumm, bleich, aber ruhig.

„Komm, fahren wir weiter!“, meinte Jules nach einer Weile. „Lassen wir die Sache auf sich beruhen. Vergiss einfach, was ich gesagt habe.“

Lisa zog seine Hand vom Zündschlüssel weg.

„Das ist gar nicht so ganz einfach!“, sagte sie dann.

In ihrem Gehirn arbeitete es. Der Junge hatte sie aus den Berichten im Internet erkannt. Das konnte also ihm, aber auch anderen so gehen, wenn sie nach der Firma Sernice suchte.

Jules schien offenbar bereit, nicht in sie zu dringen. Er schien bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen, wie er gesagt hatte, dann würde er sie in Bern absetzen und ihre Wege würden sich trennen. Aber es war ja komplizierter. Sie fühlte, dass er sie mochte, und sie ihn auch. Und dass er jemand war, der ihr helfen könnte, an den sie sich wenden könnte, wenn sie in Bern Schwierigkeiten bekäme.

„Du meinst die Spanner-Geschichte?“, fragte sie nach einer langen Pause. Jules sah das junge Mädchen überrascht an.

„Ja!“, sagte er dann. „Du warst dabei, nicht wahr?“

„Alle, die mitgemacht haben, waren noch damals noch minderjährig und hatten nicht die Kraft und den Mut sich zu wehren und...“, setzte Lisa an und versuchte, sachlich zu sprechen.

„Du brauchst da überhaupt nichts zu erklären!“, meinte Jules. „Oder sagen wir mal zu entschuldigen. Sag mir nur: Du bist das Mädchen, das abgehauen ist mit den ganzen Adressen...“

„Nein! Das stimmt nicht! Natürlich bin ich abgehauen, und es tut mir leid, dass ich deine Mutter gestern angelogen habe...“

„Die weiß zwar, dass du abgehauen bist, aber nicht warum!“, focht Jules ein.

„Und wenn ich nicht abgehauen wäre, säße ich heute noch in diesem verfluchten Heim unter staatlicher Aufsicht! Und die Adressen hatte ich nie! Hab mich auch nie dafür interessiert! Bis sie mir in dem Heim sagten, dass ich dort bleiben muss, bis... bis entweder der Anführer gefunden ist...“

„Der das alles organisiert hat.“

„Genau. Oder bis ich die Listen rausgerückt hätte...“

„Und wo sind die?“, fragte Jules.

Lisa spürte, dass er noch immer zweifelte, dass sie die Wahrheit sagte.

„Ich habe keine Ahnung! Gabriel Wehrli muss sie haben! Ich habe nur einen Anhaltspunkt: Ich glaube, dass ich die Firma kenne, die, na, wie sagt man?“

„Das Computerprogramm erstellt hat?“

„Ja, genau. Aber...“

„Und die ist in der Schweiz ansässig?“

Lisa zögerte.

„In Bern?“, hakte Jules nach.

„Ja.“ Mehr sagte sie nicht.

Sie fuhren eine Weile schweigend durch die Landschaft, die sich jetzt sehr verändert hatte. Es war noch etwas wärmer geworden. Jules fuhr mit offenem Verdeck. Lisa war froh, vom Fahrtwind gekühlt zu werden. Und das Anfang Oktober, dachte sie sich.

„Traurig?“, fragte Jules.

Lisa nickte, fühlte Tränen hochkommen, unterdrückte sie jedoch. Der Junge strich ihr mit der Hand über die Wange. Sie hätte jetzt am liebsten, so wie vor ein paar Wochen mit dem Heimleiter, mit ihm im Bett gelegen und sich trösten, drücken und umarmen lassen. Ein bisschen weinen, ein bisschen geküsst werden, dann mehr küssen als weinen, dann schon wieder lachen über einen Scherz, dann seine Hände fühlen, erst ganz zurückhaltend, dann da, wo sie die meiste Aufregung verursachten. Der Heimleiter hatte es gut verstanden, sie zu trösten. Wie oft hatte der Mann wohl traurige, verzweifelte Mädchen zu sich ins Bett genommen? Sie beruhigt, sie gestreichelt, bei ihnen und sicher auch mit ihnen geschlafen, und ihnen in dieser Weise zum Aufstieg in der strengen Hierarchie verholfen, ihnen Hoffnung gegeben, nicht mehr am untersten Ende der Leiter die Quälereien der anderen Mädchen ertragen zu müssen.

Die friedensstiftende, beruhigende Wirkung des Betts!

In früheren Jahren war Lisa oft in das Bett ihrer Eltern gekrochen, hatte sofort Wärme und Geborgenheit gespürt. Wie es alle Jungen und Mädchen tun. Weder ihre Mutter noch ihr Vater hatten dagegen etwas gehabt. Natürlich - ihre Mutter hatte immer ein wenig Eifersucht gezeigt, wenn sie mit ihrem Vater schmuste, im Bett und auch sonst. Lisa erinnerte sich, wie sie dicht bei ihm lag, manchmal sogar auf ihm. Sie wurde gestreichelt, am ganzen Körper, und genoss die befriedigende Gewissheit, dass das, was ihr Vater tat „nicht schlimm“ war, obwohl nie ein anderer Mann jemals sie so berühren hätte dürfen wie ihr Vater. Oftmals auch hatte sie seine männliche Härte gespürt, obwohl ihr Vater diese stets zu verbergen suchte, aber sie hatte auch nie das Bedürfnis gehabt, danach zu fragen, was das Harte zwischen seinen Beinen sei - nein, sie wusste, dass Männer das haben, und ob hart oder nicht hart, darüber machte sie sich keinerlei Gedanken. Lisa wusste genau, welches das letzte Mal gewesen war, als sie so im elterlichen Bett lag, mit ihrem Vater schmuste und tollte, bis er sie auf sich zog und sie mit einem Klaps auf den Popo „strafte“. Ihre Mutter erhob sich, meinte noch ein wenig missmutig: „Los, jetzt aber Schluss!“, und verschwand im Bad. Lisa aber blieb liegen, wie sie war, fühlte die wohltuenden kräftigen Hände ihres Vaters auf ihrem Hintern, wusste auch, dass sich seine männliche Härte gegen ihr Schambein presste. Tat ihm das nicht weh? Instinktiv machte Lisa ihre Beine breit...

Seitdem war ihr Vater abweisend, kühl zu ihr. Nie wieder war sie in seinem oder dem Bett ihrer Mutter. Obwohl sie gerade in dem Alter war, wo sie Anerkennung gebraucht hätte, Anerkennung, dass ihre Brüste heraustraten, Anerkennung, dass Härchen wuchsen unter ihren Achseln und am untersten Stück ihres Bauchs, Anerkennung und Mitgefühl, wenn es aus ihrer Scheide blutete, Anerkennung dafür, dass sie zur Frau heranreifte.

Jetzt war sie eine Frau, dachte Lisa, und sie war froh, eine richtige Frau zu sein.

War Jules du Mez neben ihr ein richtiger Mann?

Lisa sah ihn heimlich von der Seite an, und auf einmal kamen ihr Zweifel. Sie hatte sich ja vorhin in dem Weinberg nicht entblößt, weil sie musste, sondern vor allem, weil sie ihm zeigen wollte, dass sie bereit war, mit ihm zu schlafen, dass sie jetzt gerne mit ihm geschlafen hätte, wenn sie ihre Tage nicht gehabt hätte, und dass sie auch, jetzt, sofort, bereit war, ihm als Mann Befriedigung zu gewähren, wenn auch nur als Ersatz.

Hatte Jules schon einmal mit einem Mädchen geschlafen?

Er konnte küssen, konnte streicheln, sicher. Hatte ihn schon einmal ein Mädchen gestreichelt, so, wie es Jungen gern haben? Hatte schon einmal ein Mädchen oder eine Frau an seinem Glied geleckt, es in den Mund genommen, daran gesaugt?

Lisa hatte keinerlei Ekel empfunden, als sie Timos oder Lucas Eichel im Mund hatte, diese zu lutschen und zu saugen. Sperma hatte Lisa bislang noch nicht in den Mund bekommen, obwohl sie auch dazu bereit gewesen wäre, nachdem Lucas ihr klargemacht hatte, dass dieser Stoff im Mund eines Mädchens wirkungslos war.

„In zehn Minuten sind wir in Bern!“, riss Jules das junge Mädchen aus seinen Überlegungen. „Was wirst du jetzt machen?“

Lisa zögerte. Was würde sie jetzt machen? Gute Frage.

„Und du, was machst du?“

„Ich muss nach Fribourg, in die Vorlesung. Aber erst möchte ich sehen, wo du unterkommst. Du wirst ja ein Hotel brauchen, oder?“

Lisa nickte. Jetzt wurde es ernst.

„Wenn du in Fribourg bist - kann ich dich da irgendwie erreichen?“, fragte sie.

Jules nickte. „Das wollte ich dir gerade vorschlagen. Ich gebe dir meine Handynummer, du kannst mich jederzeit anrufen oder mir eine Nachricht per SMS oder über WhatsApp schicken.“

Lisa nickte und beschloss, sich in Bern ein Wegwerf-Handy zu besorgen.

Ermittlungen im Mädchenhandel

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