Читать книгу HELL WALKS - Der Höllentrip - David Dunwoody - Страница 7

Kapitel 3

Оглавление

Mills hatte die Faust des Little Ones schätzungsweise nicht einmal halb ausgefüllt. Herrgott, das Gebäude, von dem Quebra auf ihn geschossen hatte, war nur so hoch wie die Unterschenkel des Geschöpfs. Es hatte sie absichtlich so vom Boden gepflückt, dass ihr Kopf noch zu sehen gewesen war und abplatzen konnte. Das glaubte Frank ganz sicher. Wieso wurde die Welt nur so bestraft? Er ging davon aus, dass es wahrscheinlich zehntausend unterschiedliche Erklärungen religiöser Art gab, doch die meisten frommen Großvereine hatten sich schon vor langer Zeit selbst den Garaus gemacht. Jetzt gab es nur noch Kulte, die unter anderem für Christus, Allah oder Buddha einstehen wollten, Frank aber bisher allesamt wie ein Haufen wahnhafter Irrer vorgekommen waren. Sie traten unter den gestörten Nomadenbanden auf, deren Wege Chia und er auf ihrer Wanderschaft zwangsläufig gekreuzt hatten. Ohne die Anmut und Staffage der gefallenen Weltkirchen wirkten diese Männlein und Weiblein allerdings wie bloße Straßenprediger. Frank vermutete, die frühen Propheten seien recht ähnlich wahrgenommen worden, nur dass diese Meere hatten teilen können; darin bestand der Unterschied. Er hätte sich jeder Vereinigung angeschlossen, deren Anführer Wasser in Wein verwandeln konnte, das musste er aber erst noch erleben.

Sie und ihre törichten Erklärungen einmal ausgeklammert: Weshalb wurde die Welt bestraft? Denn das wurde sie wirklich, so viel stand fest. Frank war von jeher Atheist, doch dass alledem etwas verdammt Grausames innewohnte, ließ sich nicht in Abrede stellen.

»Kommen wir auf deinen Anfall von vorhin zu sprechen«, sagte Chia zu ihm, womit er Franks trübseligen Tagtraum störte. »In dem Van.«

»Ich bin einfach ohnmächtig geworden«, rechtfertigte sich Frank. »Mein Kreislauf. Du weißt ja, was mit mir los ist.« Dennoch blieb Fakt, dass sein Traum ausgesprochen anschaulich gewesen war und äußerst seltsam dazu, und dass Frank rückblickend das Gefühl hatte, er sei dabei die ganze Zeit über wach gewesen. Eine Halluzination, hervorgerufen durch … wodurch? Sauerstoffmangel? So gravierend, dass er die Graue Frau gesehen hatte, aber andererseits doch nicht bewusstlos geworden war?

»Pass auf«, entgegnete er Chia, während er seine Stimme gedämpft hielt. Die beiden gingen hinter der Gruppe her, und einige hatten die Worte, die Frank nun loswerden wollte, zwar schon einmal gehört, aber er äußerte sie trotzdem gern mit Bedacht. »Chia, du weißt, ich möchte, dass du mich verlässt, falls ich eines Tages zur Belastung werde.«

»Und du weißt, dass das nicht infrage kommt.«

»Aber dann sterben wir beide. Was bringt das denn?« Sie würden unter dem breiten Plattfuß eines Little Ones zu einem einzigen Brei zermalmt, und niemand könnte danach mehr erkennen, dass sie einmal zwei gesonderte Menschen gewesen waren.

»Ich weiß, Frank. Ich weiß, dass ich unvernünftiges Zeug treibe, indem ich beispielsweise versuche, dir ständig den Arsch zu retten, aber die kleine Rede, die du vor dem Mädchen gehalten hast, ist bei mir hängengeblieben – das mit dem Wert des Lebens.«

»Mein eigenes meinte ich damit nicht«, entgegnete Frank kaltschnäuzig.

»Ich trage eine rosarote Brille, Frankie. Durch sie werden Blutspritzer zu Ölflecken. Sie verwandelt einen Sonnenuntergang in ein Gemälde der großen Meister. Sie verleiht deinem beschissenen Leben eine Bedeutung!«

»Ich hasse dich«, nuschelte Frank aus einem Mundwinkel, während er sich bemühte, ein Lächeln zu unterdrücken.

»Weiß ich«, erwiderte Chia und ging voraus. Nettigkeiten klangen in diesen Tagen wie nichts dergleichen, waren aber womöglich so innig gemeint wie nie zuvor.

»Also, wohin geht unsere Reise denn am Ende?«, fragte O’Brien. »Schwebt jemandem ein spezifischer Ort vor?«

Quebra schaute Chia an. »Dorthin, wo wir gewesen sind? Vor Mills?«

»Wir können nicht zurück«, erklärte der Alte gleichmütig.

»Und auch sonst nirgendwohin.«

»Der Höllengänger steht im Nordosten«, sagte Frank, wusste aber nicht so recht, wieso. »Fünfhundert Meilen weit weg«, schob er hinterher. »Oder einen Steinwurf; verstehst du das unter einem Steinwurf, Quebra?«

Der Soldat antwortete zunächst nicht, sondern starrte Frank nur merkwürdig an. Dann hakte er nach: »Der Höllengänger steht fünfhundert Meilen weit weg im Nordosten ... und?«

»Ich weiß nicht«, fuhr Frank fort. »Als die Little Ones aus ihm kamen, verbreiteten sie sich in alle Himmelsrichtungen. Ich dachte nur, in dieser Richtung sei es vielleicht sicherer, näher hin zu der Stelle, an der sie ausgeschwärmt sind.«

Quebra blinzelte und wischte sich einen Schweißfilm aus dem Gesicht. Frank sah sich versucht, dem Soldaten anzubieten, seinen Rucksack zu tragen, ahnte aber irgendwie, dass der Mann sich im Moment nicht darauf einlassen würde.

»Der Höllengänger hat sich, wie lange nicht mehr bewegt? Seit dem Zusammenbruch?«, fragte Quebra.

»Richtig.«

»Frank, was verleitet dich zu der Annahme, er könne nicht morgen plötzlich aufwachen und wieder in die Gänge kommen?« Quebra erhob seine Stimme. »Darf ich dich daran erinnern, dass wir erst vor ein paar Stunden erlebt haben, wie ein ‘schlafender’ Little One aufstand und Mills zerdrückte? Das Gleiche hätte er auch fast mit dir getan, mein Freund. Geht es dir noch gut?«

Er dachte, Frank drehe nach dem Vorfall am Morgen langsam durch. Konnte man es ihm aber andererseits verübeln?

»War ja nur so eine Idee«, entschuldigte sich Frank nun. »Ich dachte, wir sollten einfach mal Vorschläge in die Runde werfen.«

»Vernünftige Vorschläge!«, betonte Dodger. »Ich würde sagen, wir gehen nach Südwesten, also in die entgegengesetzte Richtung. Auf der Karte runter ist immer gut.«

»Spielt es denn überhaupt eine Rolle?«, fragte Autumn.

»Jawohl, das tut es«, bekräftigte Dodger. »Dass man sich mit manchen Strecken wirklich keinen Gefallen tut, ist doch wohl bekannt. Andere sind da wesentlich aussichtsreicher – wenigstens insofern, dass sie nicht nach Chicago führen. Kapiert

»Warum spuckst du mir gegenüber nie so große Töne, Dodgman?«, stichelte Quebra, der sich sein Gewehr nun auf eine Schulter gelegt hatte. Dodger blickte reichlich angesäuert, sagte aber nichts mehr.

»Fick dich, Dodger«, ätzte Autumn.

Das brachte ihn wieder in Fahrt. »Ach, wirklich?«, echauffierte er sich. »Ihr alle wünscht euch, dass ich abhaue? Ihr wollt mich verstoßen? Wäre schließlich nicht das erste Mal mich. Ich komme auch sehr gut allein klar, versuche aber trotzdem, euch zu helfen.«

»Du versuchst gar nichts«, brummte Chia, »und darüber haben wir uns schon unterhalten. Treib es nicht zu weit.«

Frank hockte derweil am Straßenrand und zog eine kleine Feldflasche von seinem Gürtel. Es war ein rotes Ding aus Plastik mit dem verblassten Aufdruck eines Ninjas, Campingspielzeug für Kinder. Nachdem er einen Schluck Regenwasser daraus getrunken hatte, schloss er seine Augen.

Achtzehn Jahre lag der Weltuntergang nun schon zurück; achtzehn Jahre und er dauerte immer noch an.

Begonnen hatte es mit außergewöhnlich heftigen Stürmen rund um den Globus. Man war gar nicht dazu gekommen, jedem einen Namen zu geben, zumindest soweit sich Frank noch daran erinnerte. Die Wissenschaft hatte sich vielmehr um die anormalen Bewegungen der Winde gesorgt. Sie waren den Gesetzen der Natur selbst zuwidergelaufen und nordwärts gerauscht, und jeder hatte in seinem Sog eine schreckliche Verwüstung hinterlassen. Frank wusste noch, dass es insgesamt siebenundzwanzig gewesen waren, viele davon mit Ausläufern in Form von Hurrikans oder Tornados, die Stadt- und Landgebiete verheert hatten. Jeder Ort war zu einem potenziellen Katastrophengebiet geworden. Die Regierungen hatten höchste Alarmbereitschaft ausgerufen und waren rasch dazu übergegangen, Schuldige zu bestimmen, genauso wie die Religionen. Während die Hauptstädte gefallen, und Wind und Wasser gewütet hatten, war jede Erklärung recht gewesen, angefangen bei Sünden über geheime Technologien bis hin zu Außerirdischen. Jedermann hatte es sich einfach gemacht, seinen jeweiligen Erzfeind zu verleumden. Unterdessen waren die Stürme nicht abgeflaut, sondern hatten sowohl Flugzeuge als auch Gebäude niedergerissen und sich schließlich in der Arktis unmittelbar nördlich von Grönland vereint.

Genau über dem Litketief waren sie zusammengestoßen, einem Meerestief im Eurasischen Becken, dessen Bett dreieinhalb Meilen unter der Wasseroberfläche liegt. Es gibt tiefere auf dem Planeten, doch da dieser keine perfekte runde Kugel ist, reicht es näher an den Erdkern als alle anderen. Dies war für Frank seit jeher eine interessante Fußnote, ergab aber nach wie vor überhaupt keinen Sinn.

Die Wirbel hatten sich dort zu einem »Ultrasturm« vereint – so der geprägte Begriff –, einer monolithischen Wand aus Wind und Schnee, die fast bis in die Exosphäre gestoben war. Sie hatte Satelliten aus ihren Bahnen geworfen und so ganz allmählich das globale Kommunikationsnetz lahmgelegt – schlecht für die weltlichen und geistigen Führer an der Schwelle zu einem Krieg, schlecht auch für die aufgekratzten Bevölkerungen kurz vor den sogenannten »Bürgerunruhen«.

Man hatte die Höhe des Ultrasturms auf vierhundert Meilen geschätzt, erneut ein Widerspruch gegen alles Natürliche. Prediger hatten dies als Beweis dafür erachtet, dass die Forschung schon immer falschgelegen habe. Die Forscher wiederum hatten um Zeit gebeten, um sich einen Reim darauf machen zu können und die Herrschenden auf der Welt davon abzuhalten, den Roten Knopf zu drücken.

Für den Sturm war das alles einerlei gewesen. Einen höllischen Monat lang hatte er getobt, während die Menschen in ihren Häusern, vor ihren Fernsehern, Tablets und Handys geblieben waren, bis ihr Empfang nach und nach ausgesetzt hatte. An dem Tag, als der Sturm endlich abgeklungen war, hatte man noch einige aktuelle Berichte abrufen können, genauer gesagt waren viele Betreiber, sobald sich der Himmel gelichtet hatte, wieder ans Netz gegangen, wenn auch nur vorübergehend. An jenem Tag, als sich die Arktis beruhigt und der Himmel begonnen hatte, blau durch den weißen Wall zu schimmern, war es einigen Menschen bessergegangen ... besser im Sinne von: Jetzt wird alles wieder gut. Es schien so, als gäbe es bald Antworten und man könne dann etwas bauen oder eine Resolution verabschieden, um zu verhindern, dass so etwas je wieder geschah, woraufhin alle wieder ihren normalen Alltag hätten aufnehmen dürfen.

Aber dann sahen wir, was sich hinter den Wolken verbarg.

Sieben Meilen hoch, sein Körper, wie es aussah, bedeckt mit Platten aus Obsidian oder Metall. Es erinnerte an eine gepanzerte Echse aus einem Kinderbuch über prähistorische Tiere, nur dass dieses Ding nicht irdisch war. Das wusste jeder sofort. Es stand mitten im Litketief, weshalb die Welt zunächst nur die Hälfte von ihm sah. Dann allerdings fing es an, herauszusteigen.

Die Tsunamis entstanden prompt und blieben in der dokumentierten Geschichte ohne Beispiel. Man hatte keine Zeit – nicht einmal als Beobachter auf der anderen Seite der Welt –, um sich auf die apokalyptischen Flutwellen vorzubereiten. Eine Stunde nach dem Ende des Sturmes waren komplette Städte bereits versunken. Hunderttausende hatten während der ersten Minuten den Tod gefunden, und dabei war dies erst der Anfang gewesen.

Der Höllengänger. Er trampelte auf dem Ozeanboden der Arktis herum, und jeder Tritt löste Erdstöße aus, die sich über die gesamte Nordhalbkugel fortpflanzten. Seine Bewegungen waren schwerfällig träge, weshalb er Tage brauchte, um der Tiefe zu entsteigen. Mit jedem Tag wurde er größer und größer, bis sich sein Kopf – ein undefinierbares Etwas, geformt wie eine kosmische Pfeilspitze – in den gewöhnlichen Wolken verlor.

Er war so hoch wie die Troposphäre der Erde, und die Zahl der Todesopfer stieg mit jeder kleinsten Bewegung, die er vollzog. Aus Hunderttausenden wurden rasch Millionen. Als er Grönland erreichte, verließ er das Meer. Das Land war innerhalb weniger Tage ausgelöscht – vollkommen, alle waren tot.

Alles in allem brauchte das Monster vierzehn Jahre, um bis nach Chicago zu gelangen, und jeder Tag während dieser Zeit bedeutete für sich genommen schon ein Armageddon.

Der Höllengänger war so massiv und bewegte sich so langsam, dass viele behaupteten, dass er existiere, sei schlichtweg unmöglich. Sie zeigten direkt auf ihn, wenn er über Mattscheiben flimmerte, und sagten, er sei bestimmt nur ein Hologramm zur Verschleierung einer Wettermaschine, die von den USA, China oder beiden zusammen gebaut worden sei. Was Israel und den Iran betraf, ist es bis heute unklar geblieben, wessen Atomschlag zuerst erfolgte. Fest steht nur, dass keine Nation für diese oder jene Seite intervenierte. Nordkorea zerbombte sich selbst; Russland richtete seine Waffen auf alle Welt und verlangte, in Ruhe gelassen zu werden.

Die Vereinigten Staaten und Kanada mussten währenddessen ein ganz anderes Problem bewältigen: Der Höllengänger nahte! Weder Raketenangriffe noch Aufklärungsdrohnen hatten etwas bewirkt, weil das Wesen ein unheimlich weites Elektromagnetfeld streute. Am Grund des nördlichen Polarmeers verstreut lagen unzählige funktionsgestörte Sprengköpfe, nur sehr wenige schlugen verbindlich bestätigt überhaupt irgendwo ein. Am kohlrabenschwarzen Äußeren des Höllengängers deutete nichts auf Schäden hin.

Eine Koalition von zweiundfünfzig Nationen einigte sich schließlich auf einen neuen Plan, dieses Mal auf eine Truppenbewegung hinaus zu dem Ding – auf das Ding zu genauer gesagt, um es anzubohren und mit Sprengstoff zu spicken. Dabei hoffte man, eine der Platten an dem Monster lockern oder gar lösen zu können, damit sich etwas Verwundbares darunter offenbarte. Das Vorhaben gelang allerdings nur zur Hälfte.

Nur sehr wenige Funkrufe der Soldaten, die am rechten Bein des Höllengängers hinaufkletterten, waren überhaupt verständlich. Denn ihre Geräte verweigerten schon nach kurzer Zeit den Dienst. Der denkwürdigste Übertragungsfetzen wurde einem Briten namens John Carlson zugewiesen und las sich: »Gott, ist das heiß … wie Lava statt Blut … für uns ist alles zu spät.«

Bis etwas passierte, vergingen Wochen, und wenngleich man verrauschte Satellitenbilder empfing, welche die Männer beim Aufsteigen in den Rillen und Spalten an dem Monster zeigten – eine Einstellung, in der sie sich an der Kante einer Platte unruhig im Schlaf wälzten, schaffte es auf die Titelseiten aller verbliebenen Presseerzeugnisse –, galt ihre Mission als gescheitertes Unterfangen. Ihr Roboterbohrer gelangte tatsächlich unter den Rand einer schroffen Kniescheibe und stieß dahinter sehr wohl auf etwas Weicheres, aber falls es den Soldaten gelungen war, der Koalition irgendwelche Informationen zu senden, wurden diese nie veröffentlicht. Bekannt war nur, dass die Männer sich bald hektisch abseilten und plötzlich in den Tod sprangen.

Als sich die Little Ones zum ersten Mal zeigten, hatten sie Flügel. Sie stiegen direkt aus dem Höllengänger auf und schwärmten in alle Winde aus, wie Frank bereits erzählt hatte. Dabei bewegten sie sich viel schneller als ihr … ihre Mutter? Ihr Mutterschiff? Niemand wusste es so genau. Flieger wurden daraufhin zusammengetrommelt und Raketen abgefeuert.

Das alles ging ganze sieben Jahre nach dem Erscheinen des Höllengängers auf der Erde vonstatten. Einige Menschen – nein, um die Wahrheit zu sagen, die meisten, Frank eingeschlossen – versuchten fortwährend, ein halbwegs normales Leben zu führen. Aber der Osten Kanadas war weitgehend verlassen, und ein großer Teil der Nordstaaten der USA waren ebenfalls Geisterstädte. Es gab Tage, da galten die Schlagzeilen nicht dem mühseligen Fortschritt des Höllengängers, sondern der Störung und den Kosten, die die Flüchtlinge verursachten.

Ein paar Little Ones wurden im Flug über den Globus abgeschossen. Dutzende weitere erreichten allerdings ihre Zielorte, wesentliche Städte weltweit, wo sie ihre eigentümlich knochigen Schwingen abstießen und sofort anfingen, ihr Werk zu verrichten.

Weitere sieben Jahre sollten vergehen, ehe die Regierung der Vereinigten Staaten gemeinsam mit den meisten anderen fiel. Sieben Jahre, in denen Monster durch manche Städte tollten, wohingegen sich die Menschen in anderen weiterhin täglich zur Arbeit quälten. Sieben Jahre dankbare Beschäftigung für Nachrichtensprecher. Während jener Phase wurden sogar Spielfilme gedreht. Zum überwiegenden Teil handelte es sich dabei um schrille, überzeichnete Reißer zum Heben der Gemüter, praktisch die Stooges auf LSD. Eines der weltgrößten Studios verlagerte sich auf die Produktion und den Vertrieb von Pornografie. Dokumentationen entstanden selbstverständlich auch, mit Wissenschaftlern und Weisen, die vorgaben, den Albtraum beenden zu können, wenn die Menschen doch nur auf sie hören würden. Das tat allerdings niemand, zumal sie ja sowieso logen.

Die letzte Präsidentenwahl in Amerika ging über die Bühne, kurz bevor ein paar Little Ones in Washington einfielen, im Grunde genommen der Sargnagel für die Regierung. Tatsächlich kristallisierte sich noch ein neues Oberhaupt heraus, ein Kerl namens McAvoy, wobei die Wahlbeteiligung selbst für US-Verhältnisse wirklich armselig ausfiel. Der Mann war verrückt, genauso wie der Großteil seiner Befürworter. Zum Glück wurde er nie vereidigt, obwohl: Verdammt, wenn er das Land wollte, könnte er es jetzt gern haben.

Ungefähr zur gleichen Zeit trat der Höllengänger aus dem Michigansee auf einen großen Teil von Chicago und blieb dort einfach stehen. Die wüsten Stürme und Beben, die jede seiner Zuckungen begleitet hatten, hörten dementsprechend auf. Seitdem bewegte sich der Gigant nicht mehr. Sein Kopf ragte immer noch über die Wolken hinaus, und der Körper war gerade aufgerichtet, aber er rührte sich nicht. Wie er es überhaupt geschafft hatte, sich voranzuschleppen, geschweige denn, wie er so senkrecht stehen konnte, war nach wie vor ein Rätsel, physikalisch so unmöglich wie die Wirbelwinde zuvor. Soweit das jetzt überhaupt noch etwas ausmachte, könnte es nur durch Zauberhand möglich gewesen sein. Die zivilisierte Welt war nicht mehr, und die Little Ones setzten ihre Jagd nach Restposten fort.

Dreieinhalb Jahre später schraubte Frank nun den Deckel der Kindertrinkflasche wieder zu und hängte sie an eine Gürtelschlaufe seiner Jeans. Dann stand er auf und dehnte seine Arme im Versuch, die unsäglichen Gelenkschmerzen loszuwerden, dies verschlimmerte das Ganze aber eigentlich nur. Er seufzte. »Sind wir schon zu einem Schluss gekommen?«

»Mir persönlich gefällt die Golfküste besser als der Westen«, sagte Quebra.

»Warum nicht Florida? Es ist noch da«, warf Chia ein und schnippte mit den Fingern. »Wie wäre es mit den Keys? Stellt euch bloß vor, wir könnten ein Boot und dann eine Insel finden.«

»Ich bin mir sicher, den gleichen Gedanken hatten auch viele andere Leute«, entgegnete Autumn. »Wir haben damals auch mit der Idee gespielt.«

»Gut, aber die meisten Überlebenden schaffen es wahrscheinlich nicht«, beharrte Chia. Er erkannte eine Sekunde zu spät, dass die Eltern der beiden Mädchen wohl dazugehört hatten, und machte ein langes Gesicht.

»Eine Insel«, seufzte Caitlin. »Mir egal, wo sie liegt, solange es dort warm ist. Eine Insel

Dodger ging kommentarlos auf und ab, wobei er sich bestimmt ausmalte, Bürgermeister der besagten Insel zu sein ... ein Leben voller Blumenhalsketten, Alkohol und gebräunter Brüste ... oder war dies eher Franks Fantasie? Immerhin war er derjenige, der es gerade dachte, und die Vorstellung von Frauen führte ihn automatisch zu Nan. Scheiße!

Sein schlimmster Anfall hatte ihn vier Jahre zuvor ereilt, und damals war Nan noch am Leben gewesen. Die beiden hatten zusammen in einem Appartement gewohnt, und Franks Arzt, ein unglaublicher Mann, der mit seinen Sprechstunden einfach fortgefahren war, bis irgendein Verrückter seine Praxis mit einem Raketenwerfer hochgejagt hatte, hatte ihm nahegelegt, es sei an der Zeit, »Vorkehrungen« zu treffen.

Damit gemeint waren letzte Vorkehrungen. Denn Frank litt unter einem Herzklappenfehler, und eine Operation würde es wohl in naher Zukunft nicht geben. Deshalb war er nach Hause gegangen und hatte Nan gesagt, er werde sterben.

Sie hatte mit ihm auf der Couch gesessen und ihm tief in die Augen geschaut – darauf gewartet, dass er weinte, das wusste er, aber so weit war es nicht gekommen, also hatte sie schließlich gefragt: »Und was sollen wir jetzt tun?« Nan mit ihrem krausen, braunen Haar, ihren goldig leuchtenden Augen und ihrem verdammten, unnützen Optimismus … Ständig tun. Was sollen wir tun?

»Wir?«, hatte Frank trocken erwidert.

»Dann eben: Was wirst du tun?«

»Ich weiß nicht, was du meinst.« Es war ihm sehr wohl klar gewesen, hatte ihn aber schlicht und einfach wütend gemacht. »Du meinst, meinen Job kündigen, diese Wohnung aufgeben und mich mit dem Rucksack in die weite Welt aufmachen? Du meinst einen angenehmen Tod in irgendeinem griechischen Fischerdorf sterben, bei Sonnenuntergang und umringt von bescheuerten Katzen? Nancy, ich habe keinen Plan, ich werde sterben – genau das werde ich tun.«

»Frank ...«

»Nein, hör jetzt bitte auf. Du kannst es nicht wissen und hast übrigens genauso wenig einen Plan.«

»Okay«, hatte sie erwidert und sich von ihm abgewandt. »Du bist aufgebracht, das verstehe ich.«

Da war er endgültig aufgebraust. »Wie kannst du es verstehen, wenn ich es selbst nicht einmal verstehe?« Die Wände des größtenteils leeren Appartements hatten die Frage seltsam widerhallen lassen. Nan war dabei zusammengezuckt und er hatte sich sofort beschissen gefühlt.

»Du weinst.« Ihm war aufgefallen, dass sie die Nase hochzog.

Ohne sich umzudrehen, hatte Nan entgegnet: »Deinetwegen, nicht meinetwegen.«

»Du solltest aber um deinetwillen weinen, immerhin bist du diejenige, die zu meiner Beerdigung gehen muss und so.« Der bockig infantile Tonfall, in dem Frank das und so gesagt hatte, hatte ihn innehalten lassen. Daraufhin war er in Gelächter ausgebrochen.

Schließlich hatte sie sich ihm wieder zugewandt. »Wie kannst du dabei nur lachen?«

»Tut mir leid«, hatte er geröchelt – und war zusammengebrochen. Er hatte sehr lange, vielleicht bis nach Einbruch der Dunkelheit, in ihren Armen geweint.

Frank war weiter mit der defekten Herzklappe klargekommen und noch heute am Leben, sogar nach einer Begegnung mit einem Little One. Nan hingegen lebte nicht mehr, und zwar wegen irgendeines Arschlochs in einem Lieferwagen. Also ja, vielleicht war Frank leicht aufgewühlt, leicht sonderbar, leicht leichtsinnig mit seiner Idee, nach Nordosten zu marschieren.

»Ich mag Inseln«, sagte er lapidar.

HELL WALKS - Der Höllentrip

Подняться наверх