Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 257 - Davis J. Harbord, Fred McMason - Страница 5

2.

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Am Nachmittag dieses selben Tages schreckten sie alle hoch, als die Stimme ihres Kapitäns über die Decks schallte und befahl, den Anker zu werfen.

Den fuhren sie, seit sie sich nilabwärts treiben ließen, achtern, und zwar aus Zweckmäßigkeitsgründen, und weil sie es bei den anderen Nilseglern abgeschaut hatten. Die ankerten nämlich bei der Talfahrt einfach über den Achtersteven. Dann lagen sie beim Ankeraufgehen gleich in Fahrtrichtung und ersparten sich ein Drehen im Strom. Außerdem konnte man bei der Talfahrt, falls vor einem ein unerwartetes Hindernis auftauchte, mit dem nach achtern ausgeworfenen Anker sofort die Fahrt stoppen, ohne erst weit herumschwojen zu müssen.

Da sie die Ankertrosse nicht einrucken ließen, sondern über das vordere Spill führten und sanft lose gaben, bevor sie belegten, bestand auch nicht die Gefahr, daß der Anker aus dem Grund brach, wie es bei einem plötzlichen Einrucken und abrupten Steifkommen der Ankertrosse meist der Fall war.

Da stand auch sofort der Profos auf dem Achterdeck, den Blick nach achtern auf die Trosse gerichtet, und befahl, „sinnig zu fieren“.

Mit einem Blick zu den Ufern war festzustellen, ob sich die Peilung veränderte, oder ob sie stand. Veränderte sich die Peilung nicht mehr, dann hatte der Anker gefaßt und schlierte nicht mehr über den Grund.

„Belege!“ brüllte Carberry nach vorn zur Back.

Smoky zeigte klar und ließ die Ankertrosse, die in mehreren Buchten über dem Spill lag, um den Fockmast herum an einem Deckspoller belegen.

Jetzt ankerte die „Isabella“, den Bug nilabwärts gerichtet, über das Heck im Strom. Sie lag mehr auf der Ostseite des Nils, querab von Kuft, genau dort, wo die große Nilschleife nach Westen ansetzt, bevor sie bei Kena ganz hart westwärts abknickt und auf Dendera zuführt.

Der Anker hatte also gefaßt. Das Nilwasser gluckerte gegen das Heck, teilte sich dort und floß an den Bordwänden entlang seinem fernen Ziel zu – dem Meer. Es würde schneller dort sein als die „Isabella“.

Fast die Blicke aller waren auf Hasard gerichtet, fragend, verwundert, aber auch etwas irritiert.

Warum jetzt, am Nachmittag schon, ankern? Bisher hatten sie es so gehalten, erst bei Beginn der Abenddämmerung den Anker zu werfen.

„Und was nun?“ fragte der Profos, und der Vorwurf in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Hasard lächelte verhalten und deutete mit dem Kopf zum Ufer an Steuerbord hinüber, wo etwas nördlich von Kuft einige Tempel standen.

„Horustempel“, sagte er, „Stätten der Andacht für die Anhänger des Falkengottes Horus.“

„Was, wie?“ fragte der Profos verwirrt. „Wegen dieses vogeligen Dingsbums haben wir geankert?“ Er stemmte die Pranken in die Hüften. „Das kannst du uns nicht antun, Sir. Tempel stehen uns bis Oberkante Luke, Sir!“ Und der Profos zeigte, wo bei ihm die „Oberkante Luke“ war, nämlich quer über der Stirn.

Die Männer auf der Kuhl und dem Achterdeck nickten. Jawohl, auch ihnen standen die Tempel sonstwo – bis zum Großtopp standen sie ihnen. Und der Horus konnte ihnen mal. Überhaupt, dieses Vogelvieh, von dem gleich zwei Stück links und rechts des Tores zu dem einen Tempel standen, sah mit dem seltsamen Dings auf dem Kopf und der riesigen Hakennase alles andere als anbetungswürdig aus. Dieses falkenköpfige Gebilde sah aus, als wolle es jeden Moment loshacken und Löcher in die Decksplanken der „Isabella“ hämmern.

Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, fragte vorsichtig: „Sir, meinst du nicht, daß wir genug Tempel besichtigt haben?“ Er kratzte sich unbehaglich an der Wange. „Zum Teil hatten wir dabei auch eine Menge Ärger – wie zuletzt im Tal der Könige.“

„Eben, eben“, sagte Hasard, „wir hatten eine Menge Ärger. Vielleicht haben wir den Ärger selbst heraufbeschworen. Schließlich sind wir Fremde in einem Land, das uns selbst ebenfalls fremd ist. Dennoch, das sage ich ganz offen vor euch allen, gibt’s da einige Dinge, die mir nicht gefallen.“

„Aha!“ Das war Old O’Flynn, der dieses „Aha“ sehr laut und vernehmlich äußerte. „Hast du vielleicht auch gewisse Ahnungen, Mister Kapitän, Sir?“

„Gewisse Ahnungen?“ Hasard lächelte wieder. „Die nun eigentlich nicht, Old Donegal. Eher Feststellungen. Zum Beispiel, daß wir in einige Situationen gerieten, die so übel waren, daß man sich ganz nüchtern sagen mußte: jetzt ist es aus. Aber nichts war aus. Wir slipten auf seltsame Weise klar. Na gut, dagegen habe ich nichts, aber allmählich frage ich mich doch, ob das alles noch mit rechten Dingen zugeht. Ich gebe nichts auf Gefühle, aber seit einiger Zeit bedrückt mich das Gefühl, an irgendeinem Haken zu zappeln. Ich kann das nicht näher erklären – allenfalls in der Form, daß ich mißtrauisch geworden bin. Also, um mich kurz zu fassen: wir ankern hier nicht, um weitere Tempel zu besichtigen.“

„Sondern?“ fragte der Profos mißtrauisch.

„Ich möchte etwas feststellen“, erwiderte Hasard. „Etwas, das drei, vier Tage dauern kann, aber dann weiß ich es. Dan, hol mal die Nilkarte, nach der wir uns zur Zeit orientieren!“

Dan O’Flynn hatte sie bei der Hand – jene Karte, die er in den letzten Stunden ständig mit der Landschaft links und rechts des Nils verglichen hatte.

Hasard nahm sie in Empfang, sprang zur Kuhl hinunter und breitete dort die Karte auf den Planken aus. Die Männer versammelten sich rings um ihn.

Hasard kniete sich hin und tippte auf eine Stelle der Karte, wo die Nilschleife nach Westen begann.

„Kuft“, sagte er. „Hier ankern wir zur Zeit.“ Sein Finger glitt nach rechts, also nach Osten, zu einem dünnen Strich, der fast parallel zum Nil nach Norden verlief. „Was dieser Strich hier bedeutet, wissen wir nicht, aber ich vermute, daß er eine Küste oder ein Ufer darstellt, wahrscheinlich das Westufer des Roten Meeres.“ Hasard schaute auf. „Ihr alle kennt unser letztes Ziel hier im Land der Pharaonen: Wir wollen den Kanal finden, der angeblich von einem Arm des östlichen Nildeltas über das Wadi Tumilât zu den beiden Bitterseen führt, die ja ihrerseits wieder eine Verbindung zum Roten Meer haben. Ihr wißt, was die Entdeckung dieses Kanals bedeuten würde – nämlich die Verbindung von Mittelmeer und Indischem Ozean. So, und jetzt will ich euch sagen, warum wir hier, geankert haben. Othman Mustafa Ashmun, der Hafenbeamte in Kairo, hatte damals im Februar, als wir ihm die Karten zeigten, erklärt, dieser legendäre Kanal sei erst in etwa zwei Monaten befahrbar, wenn der Nil Hochwasser führe. Diese zwei Monate sind um, aber der Nil hat nahezu den gleichen Wasserstand wie damals. Ich habe mich heute mittag mit Dan darüber unterhalten. Er hat meine Ansicht bestätigt.“

„Stimmt“, sagte Dan O’Flynn und nickte bekräftigend. „Der Wasserstand des Nils ist in den beiden letzten Monaten unverändert geblieben.“

„Dieser unveränderte Wasserstand hat mich mißtrauisch werden lassen“, fuhr Hasard fort. „Wir haben keine Karten, auf denen das Rote Meer dargestellt ist. Sicher ist allerdings, daß es existiert. Die Frage lautet nur, wo liegt es genau? Wenn dieser dünne Strich, der ja nur angedeutet ist, das Westufer des Roten Meeres darstellt, dann befinden wir uns zur Zeit etwa siebzig Meilen davon entfernt. Hier bei Kuft scheint mir der Nil am dichtesten an das Rote Meer gerückt zu sein – mit Ausnahme des Nildeltas, wo vermutlich ein ganz östlich liegender Nilarm noch näher am Roten Meer dran ist, was die Existenz eines Kanals durchaus glaubwürdig erscheinen läßt. Es geht mir um folgendes: Wenn bewiesen ist, daß wir hier bei Kuft nur siebzig Meilen vom Roten Meer entfernt sind, dann gilt das auch mit einer noch geringeren Entfernung für den östlichen Nildeltaarm und den Kanal, denn Nil und Rotes Meer liegen nahezu parallel zueinander, auch wenn der Nil im weiteren nach der großen Schleife nach Nordwesten ausholt. Oben bei Kairo hat er wieder Nordrichtung und im Delta mit seinen unzähligen Armen sogar Nordostrichtung.“ Hasard lächelte leicht. „Könnt ihr mir soweit folgen?“

„Alles klar“, verkündete Carberry großspurig. „Wir schieben unsere alte Lady über den Sand nach Osten und setzen sie im Roten Meer wieder ins Wasser.“

„Nicht schieben“, sagte Hasard grinsend. „Wir spannen sie hinter eine Kamelherde und lassen uns wie eine Kutsche ziehen!“

Smoky kicherte. Gelächter wurde laut.

Hasard wurde wieder ernst und sagte: „Wenn aber das Rote Meer hundert und mehr Meilen von hier entfernt liegt, dann halte ich den Kanal der Pharaonen für eine Utopie – trotz der Geheimkarte, die Othman Mustafa Ashmun für uns entziffert hat und die den Kanalverlauf darstellen soll.“

„Wenn der Kanal eine Utopie ist“, sagte Old O’Flynn voll heiterer Hoffnung, „könnten wir ihn sausen lassen und gleich zum Mittelmeer durchstoßen. Richtig?“

„Richtig“, bestätigte Hasard. „Es sei denn, wir befinden uns hier tatsächlich nur siebzig Meilen vom Roten Meer entfernt. Ich betone noch einmal, daß mich diese Tatsache dann von der Wahrscheinlichkeit eines existierenden Kanals überzeugen würde. Oder ist jemand anderer Ansicht?“

Bedächtig sagte Ben Brighton: „Vielleicht hat uns Othman Mustafa Ashmun was vorgeflunkert. Ich erinnere, daß wir uns darüber bereits unterhalten haben, Sir. Jedenfalls stimmt seine Aussage über das Hochwasser nicht. Ich finde, das ist schon ein ziemliches Ding.“

„Könnte sein, ergibt bloß keinen Sinn“, sagte Hasard. „Was hat er davon, uns etwas vorzuschwindeln?“

„Deine Söhnchen waren damals keineswegs von ihm angetan“, sagte Big Old Shane nachdenklich. „Seine Augen gefielen ihnen nicht. Hasard junior verglich sie sogar mit den Augen des Zauberers Kaliban. Erinnerst du dich?“

Hasard wischte sich über die Stirn. „Ja, diese Augen. Merkwürdigerweise hatte ich in den letzten Wochen mehrfach das Gefühl, diesen Augen begegnet zu sein.“

„Wir treffen den Kerl ja in Kairo“, sagte Carberry. „Da sollten wir ihn ein bißchen ums Spill wickeln und fragen, wie das nun mit dem Hochwasser sei. Oder wir hängen ihn an ’ne Talje und ziehen ihn in die Länge …“

„Ed“, mahnte Hasard, „wir sind keine Folterknechte.“

„Ist doch wahr“, brummte der Profos. „Stell dir mal vor, der hat uns wirklich angeschmiert, Sir. Da sind wir zwei Monate auf dem Nil herumgegurkt, haben uns mit allen möglichen Kerlen herumprügeln müssen, die uns an den Kragen wollten, haben eingewickelte Leichen besichtigt, sind in finstere Grabkammern gestiegen – und dabei hätten wir diesen verdammten Kanal vielleicht schon vor zwei Monaten finden und befahren können.“

Die Männer nickten. Jawohl, vielleicht hatten sie zwei Monate verplempert und hätten längst zurück nach England segeln können.

Old O’Flynn scharrte mit dem Holzbein über die Planken und sagte etwas verbissen: „Fast genau vor einem Monat hatten wir diesen Lotsen Mohamed bei uns an Bord. Damals erklärte ich, dieser Kerl hätte sich die linke Visage maskiert, die so aussah, als hätte er damit auf glühender Holzkohle gepennt. Die Augen dieses Mannes erinnerten mich ebenfalls an die Augen des Hafenbeamten in Kairo.“ Der Alte blickte Hasard an. „Damals hast du mich angebrüllt und für verrückt erklärt, als ich empfahl, den Kopf des Kerls mal in eine Balje mit Seifenwasser zu tunken. Da wäre dieses Brandmal nämlich sehr schnell weg gewesen. Der Kerl war unecht, da gehe ich jede Wette ein.“

„Das nutzt uns jetzt auch nichts“, sagte Hasard. „Als Lotse war er jedenfalls hervorragend.“

„Ein unverschämter Kerl war das“, erklärte Old O’Flynn. „Den Lammbraten vom Kutscher hat er außenbords gefeuert, dieser Halunke. Außerdem ist mir aufgefallen, daß er unablässig jeden von uns beobachtet hat.“

„Und was soll er davon gehabt haben?“ fragte Hasard stirnrunzelnd. Entweder war Old O’Flynn mal wieder am Spinnen, oder er hatte tatsächlich etwas bemerkt, was niemandem sonst aufgefallen war.

Old O’Flynn kniff die Augen zusammen. „Es sah aus, als versuche er, jeden einzelnen von uns einzuschätzen. Er hat uns sozusagen studiert.“

„Dich auch?“

„Mich auch, aber ich hab zurückgestiert, und da hat er immer schnell weggeschaut“, brummte Old O’Flynn. „Wenn ich nach unserem Krach damals noch einen Verdacht gegen diesen Kerl geäußert hätte, wärst du wahrscheinlich vor Wut geplatzt. Du warst ja nicht mehr ansprechbar.“

„Na gut“, sagte Hasard, „vielleicht hätte ich auf dich hören sollen, Old Donegal, aber mir will auch jetzt absolut nicht in den Kopf, warum uns dieser Lotse ‚studiert‘ haben sollte, wie du es genannt hast. Er ist in Karnak von Bord gegangen, und wir haben ihn nie wiedergesehen.“

„Ich kann mir nur vorstellen, daß er herumspioniert hat“, erklärte Old O’Flynn. „In den drei Tagen, die er an Bord war, hat er alles mitgekriegt, was sich hier so tut. Auf diese Weise hat er alles über unser Schiff und die Crew erfahren.“

„Er hat immer vor dem Ruderhaus gesessen“, sagte jetzt Ben Brighton, „und sich kaum von der Stelle gerührt. Von unserer Ladung kann er nichts mitgekriegt haben.“

„Meinst du?“ Old O’Flynn schüttelte den Kopf. „Da braucht nur einer von uns etwas Unbedachtes über unsere Ladung geäußert zu haben, und schon hätte er’s mitgehört.“

„Er kannte unsere Sprache ja gar nicht“, sagte Dan O’Flynn. „Ich glaube, du siehst das ein bißchen zu schwarz, Dad.“

„Und wer sagt dir, daß er unsere Sprache nicht kennt?“ fragte Old O’Flynn. „Wir haben lediglich angenommen, daß er uns nicht versteht, aber wir wissen es nicht. Würde ich auf dem Schiff eines fremden Landes herumschnüffeln und die betreffende Landessprache verstehen, würde ich das der Crew auch nicht auf die Nase binden.“

Hasard seufzte und sagte: „Das bringt uns jetzt alles nicht weiter, obwohl ich zugebe, daß mich Old Donegals Beobachtungen nachdenklich stimmen. Mich erinnerten die Hände des Lotsen an jemanden, den ich kenne. Aber bis heute ist mir nicht eingefallen, wer das sein könnte. Bei allem, was wir bisher am Nil erlebt haben, ist sehr viel Verwunderliches geschehen, wobei auffällt, daß uns in gefährlichen Situationen absolut nichts passiert ist. Wir sind immer so eben klargefahren und mit einem blauen Auge davongekommen. Das ist ja gerade das Verrückte. Was diesen Lotsen betrifft, könnte er geschnüffelt haben, da gebe ich Old Donegal recht. Aber weiter: als einzelner hat er gegen uns keine Chance. Hat er dann vielleicht im Auftrag eines anderen gehandelt? Wenn ja, können wir nicht vorsichtig genug sein. Anders ausgedrückt: Wir haben noch etwas zu erwarten. Ein Auftraggeber bedeutet immer, daß er Macht hat. Oder Einfluß und Geld, vielleicht beides. Also sperrt die Augen auf, Männer! Wir wollen unsere ‚Isabella‘ wohlbehalten nach England zurückbringen – und uns auch. Ich bin ehrlich genug, jetzt zu sagen, daß mich Old Donegal bei dieser Nilfahrt oft genug mit seiner Schwarzseherei und seinen dunklen Andeutungen geradezu wild gemacht hat …“

„Du nanntest es ‚Gänsegeschnatter’“, sagte Old O’Flynn voller Genugtuung. „Und zusammengeputzt hast du mich, daß mir mein Holzbein nicht mehr paßte.“

Die Männer grinsten verstohlen.

„Ich bitte ja um Verzeihung“, sagte Hasard, „und laß mich bitte zu Ende sprechen. Von jetzt ab möchte ich, daß auch Vermutungen geäußert werden – und seien sie noch so vage. Was irgendwie Verdacht erregt, muß der Schiffsführung gemeldet werden. Alles kann wichtig sein. Jeder von euch hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, Augen und Ohren aufzusperren. Ich behaupte: Irgend etwas stimmt nicht mehr. Ich sagte zwar, daß ich auf Gefühle nichts gebe. Das revidiere ich jetzt. Da wir zur Zeit nichts wissen, sind wir auf Instinkte und Gefühle angewiesen.“

Big Old Shane, der Riese mit dem granitharten Gesicht, sagte trocken: „Dann sagt mir schon jetzt mein Instinkt, daß wir zusehen sollten, das Mittelmeer zu erreichen. Diesen Kanal halte ich für eine Phantasterei. Wenn es ihn wirklich gäbe, würde er auch benutzt werden, und das würde bestimmt kein Geheimnis bleiben. So etwas spricht sich herum. Außerdem könnten sich die geschäftstüchtigen Türken einen erheblichen und ständigen Gewinn sichern, wenn sie von jedem Benutzer des Kanals eine Art Wegezoll verlangten.“ Er schüttelte den mächtigen Schädel. „Also, ich glaube nicht daran. Außerdem stimme ich Ed zu. Wir sollten diesen Othman Mustafa Ashmun schwer ins Gebet nehmen, wenn wir Kairo erreicht haben.“

„Na gut“, sagte Hasard, „dennoch bietet sich hier die Gelegenheit, das Geheimnis etwas zu lüften. Damit wären wir wieder bei dem Punkt, den ich mit euch besprechen wollte. Mir ist durch den Kopf gegangen, ob es nicht ratsam wäre, etwa zwei Mann ostwärts zu schicken und die Lage peilen zu lassen, das heißt, festzustellen, ob die dünne Linie auf dieser Karte identisch mit dem Westufer des Roten Meeres ist. Wenn die errechnete Distanz von etwa siebzig Meilen von Kuft bis zum Westufer des Roten Meeres stimmt, könnten die beiden Männer in drei, vier Tagen wieder zurück sein. Natürlich müßten sie auf Kamelen losziehen, die wir sicherlich drüben in Kuft besorgen können.“ Hasard blickte seine Männer der Reihe nach an, zuletzt den Profos.

Carberry kratzte sich verlegen den Nacken.

„Sir“, sagte er zögernd, „fürs Lagepeilen bin ich immer der richtige Mann, aber mit so einem verlausten Bock loszuschaukeln, das ist nichts für den alten Carberry. Da geh’ ich lieber zu Fuß, Sir, damit du nicht denkst, ich wollte mich drücken. Hast du mal gesehen, was diese Hökkerviecher für dämliche Gesichter haben? Wie eingebildete Lordschaften! Denen könnte ich auch dauernd was auf die Schnauze hauen. Wo war ich stehengeblieben? Ach so, ja, also zu Fuß melde ich mich freiwillig, da kenne ich überhaupt nichts, da marschier ich glatt in einem Stück hin und zurück.“ Er blickte Hasard erwartungsvoll an.

„Mit einem Kamel geht’s schneller, Ed“, sagte Hasard. „Und du mußt auch bedenken, daß allerlei mitzunehmen ist, Waffen, Proviant, Trinkwasser, Dekken. Willst du das alles schleppen?“

„Hm, ich könnte ein Maultier mitnehmen.“

„Streng dich nicht an, Ed“, sagte Dan O’Flynn grinsend. „Ich hab mich bereits mit Batuti verständigt. Er und ich übernehmen die Erkundung, aber nicht zu Fuß, sondern auf Kamelen. So ein Tier würde vor dir sowieso ausreißen. Und wie ich mich erinnere, kannst du allenfalls auf einem Kielschwein reiten, und das auch nur im Linksgalopp.“

Carberry schniefte verächtlich und musterte Dan O’Flynn von Kopf bis Fuß.

„Mal wieder die große Schnauze, was, wie?“ sagte er. „Na ja, mit der paßt du auf jedes Kamel – wegen der Ähnlichkeit, verstehst du? Du brauchst nur die Oberlippe über die Unterlippe hängen zu lassen, dann bist du von einem echten Kamel nicht mehr zu unterscheiden.“

„Ich werde morgen mal darüber lachen“, sagte Dan O’Flynn. „Besser eine zu große Schnauze als ein zu kleines Hirn, nicht wahr, Mister Profos?“

„Herrschaften!“ mahnte Hasard. „Müßt ihr euch immer anstänkern?“

„Ha!“ sagte Carberry. „Was kümmert den Löwen das Piepsen einer Maus!“

„Löwe ist gut“, sagte Dan O’Flynn unbeeindruckt, „aber Stier paßt besser.“

Er wollte noch mehr sagen, aber Hasard fuhr dazwischen. „Schluß jetzt mit den Tiervergleichen! Ed, laß die Jolle aussetzen, Dan und Batuti brechen sofort auf.“

„Aye, Sir“, brummte der Profos. „Wir sollten dem Kleinen auch den Bootskompaß mitgeben, damit er immer weiß, wo’s längs geht. Sonst rennen er und Batuti mit ihren Kamelen immer im Kreis rum, und wir warten noch nächste Woche auf die beiden, was, wie?“ Er mußte eben doch weiterstänkern, der Profos, ohne versteckte Spitzen ging’s nicht. Dabei würde er der erste sein, wenn es darum ging, nach Dan und Batuti zu suchen, falls die nach spätestens vier Tagen nicht zurück waren.

Dan O’Flynn grinste. „Danke, Mister Profos. Den Bootskompaß hätte ich glatt vergessen, und wir wären sicher auch im Kreis herumgeirrt, weil wir nicht damit vertraut sind, unseren Kurs nach den Gestirnen zu richten. Da ist ein Kompaß natürlich unersetzlich.“

„In einem Sandsturm nutzen dir die Gestirne nichts, Kleiner“, sagte der Profos freundlich.

„Richtig, Mister Profos.“ Dan O’Flynn nickte. „Nur werden weder Batuti noch ich so blöd sein, während eines Sandsturms weiterzuzockeln.“

„Dann ist es ja gut“, erwiderte der Profos und beendete den erbaulichen Dialog, indem er Smoky anfuhr, ob er vielleicht glaube, daß sich eine Jolle von allein ins Wasser setze.

„Glaub ich nicht“, murmelte Smoky und trollte sich, um mit sechs Männern die Jolle aus der Rah auszuschwenken und abzufieren.

Dan und Batuti nahmen Handfeuerwaffen in Empfang. Der Kutscher verstaute Proviant in Segeltuchsäkken. Trinkwasser in den entsprechenden Ziegenlederschläuchen würden sich die beiden an Land besorgen, wo sie auch die Kamele erstanden. Natürlich nahmen sie auch den Bootskompaß mit, der zwar seine Mucken hatte, aber doch die ungefähre Nordrichtung angab.

Hasard gab Dan die Nilkarte mit, auf der jener geheimnisvolle feine Strich eingezeichnet war, von dem er annahm, daß er die westliche Grenze des Roten Meeres darstelle.

Noch einmal schärfte er Dan ein, nicht weiter als höchstens einhundert Meilen nach Osten zu reiten. Wenn sie dann nicht auf das Rote Meer stießen, sollten sie umkehren.

„Geht klar“, sagte Dan. „In spätestens vier Tagen sind wir zurück. Ihr bleibt auf diesem Ankerplatz?“

„Natürlich – falls nichts Unvorhergesehenes passiert. Sollte ein solcher Fall eintreten, und wir müßten ankerauf gehen, könnt ihr nur weiter nilabwärts auf uns stoßen. Wenn alle Stränge reißen, sollten wir als festen Treffpunkt Kairo vereinbaren, und zwar jene Pier im alten Hafen, an der wir schon einmal gelegen haben.“

„In Ordnung“, sagte Dan O’Flynn lächelnd. „Wird schon schiefgehen.“

Der Profos ließ es sich nicht nehmen, die beiden mit der Jolle an Land zu setzen. Jetzt war er fast verlegen, der harte Knochen, als er Dan und Batuti die Hand quetschte.

„Paßt ja auf euch auf“, knurrte er.

„Tun wir“, sagte Dan O’Flynn, „Batuti auf mich und ich auf Batuti.“ Und beide grinsten sie den Profos an.

„Ihr Affenärsche!“ sagte der Profos, aber das sagte er fast liebevoll.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 257

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