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KAPITEL EINS

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Juni 1816


Donovan ächzte und umklammerte die Oberseite seines Kopfs. Was, verfluchte Hölle, prallte andauernd gegen seinen Schädel, versuchte geradewegs einen Weg hindurch zu schlagen? Vielleicht sollte er sich herumrollen und das winzige Biest sich durchsetzen lassen. Was hatte er überhaupt, um dafür zu leben? Sein Leben war nicht viel wert und er hatte es so gut wie aufgegeben jemals wieder Glück zu finden. An den meisten Tagen trank er sich selbst zur Besinnungslosigkeit. Er hatte alle Hoffnung an dem Tag verloren, an welchem Estella ihm das Herz gebrochen hatte. Er war vollständig empfindungslos allem gegenüber und sah keinen Sinn darin sich zu kümmern.

Vielleicht war dies das Problem. Er hatte ziemlich heftig getrunken in der Vergangenheit—na ja, immer. Er konnte sich nicht an das letzte Mal erinnern, als er nüchtern gewesen war. Ehrlich gesagt konnte er sich nicht an das letzte Mal erinnern, wann er sich die Mühe gemacht hatte zu baden. Er musste ziemlich übel riechen. Oh na ja, es ist nicht so, also ob er in nächster Zeit mit einer reizenden Frau ins Bett krabbeln würde. Hatte er nicht das Leben aufgegeben? Er wäre so oder so bald tot.

»Was soll’n wir mit ihm tun?«

Der männliche Akzent ließ wenig Zweifel an seiner Herkunft. Er war überhaupt keiner der vornehmen Sorte. Wahrscheinlich ein Hafenarbeiter … Wohin war er überhaupt gestolpert? Er sollte seine Augen aufmachen und es herausfinden, aber er konnte sich nicht dazu bringen sich zu bemühen. Sein Kopf schmerzte so bereits schon genug.

»Der Käpt’n wird wiss’n, was zu tun is’«, sagte ein anderer Mann.

Was war das? Ein Klub für ungehobelte Hafenarbeiter? Donovan wünschte sich wirklich, dass er sich daran erinnern konnte, was er getan hatte. Er vermutete, dass sie etwas anderes als Hafenarbeiter sein könnten. Soweit er wusste, war er in die Elendsviertel Londons gestolpert. Wie dem auch sei, er hatte Glück, dass er am Leben war. Wenn er darüber nachdachte … Warum hatten sie ihn nicht geradeheraus umgebracht? Das hätte mehr Sinn gemacht.

»Wir sollt’n ihn auslösch’n«, sagte der erste Sprecher. »Käpt’n Estes würde uns dafür dank’n.«

»Biste verrückt?«, fragte der andere Mann. »Estes hasst es, wenn wir Entscheidungen allein treff’n. Das wird uns nich’ gedankt; nur unser eig’nes Leben für uns’re Dummheit verwirkt.«

Nun, das beantwortete ein paar Fragen. Sie hätten ihn wahrscheinlich auf eigene Faust getötet. Wer war dieser Estes? Donovan war nicht ganz sicher, ob er den erhabenen Gentleman treffen wollte—wenn er so genannt werden konnte. Er führte mit Sicherheit ein strenges Schiff. Er hätte darüber gelacht, aber leider schmerzte sein Kopf so bereits genug.

»Hast Recht«, stimmte der Mann zu. »Schau nach ihm und ich geh den Käpt’n such’n.«

Er war also auf einem Schiff. Mist und verdammt … Er hatte gehofft, dass er falsch lag. Es ließ sich nicht sagen, wohin sie steuerten. Warum zum Teufel hatte er sich auf einem verfluchten Schiff versteckt? Was hatte er gedacht würde er erreichen. Er hatte wahrscheinlich nicht beabsichtigt auf diesem verdammten Ding zu sein. Sein Vollrausch hatte ihm in den letzten vergangenen Jahren viel eingebrockt. Dies war nur ein weiteres Abenteuer auf seinem Weg zum Ruin. Vielleicht hätte er wieder auf Besuch ins Manchester Castle gehen sollen. Sein Freund hätte ihm vielleicht geholfen wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Nein, der Graf war selig glücklich. Es war scheußlich und wundervoll zu sehen. Er freute sich für Garrick, wahrlich. Aber konnte nichts gegen den Samen der Eifersucht tun, der aufgekeimt war, als er ihn gesehen hatte, wie er die Liebe seines Lebens gefunden hat und in der Lage war sie zu behalten. Er war kein guter Mann oder Freund. Es war das Beste, wenn er fern blieb.

»Biste wach?«, fragte der Mann und trat ihn dann.

Donovan ächzte: »Ach, leck mich am Arsch.«

Er hatte sich nicht auf die Bastarde einlassen wollen, aber dieser eine würde ihn nicht in Ruhe sterben lassen. Oh na ja, wie spaßig wäre es leise zu gehen? Er war nicht dafür bekannt großartige Entscheidungen zu treffen. Nein, die feine Gesellschaft sprach von ihm als dem goldenen Schelm, oder zumindest haben sie das zu tun gepflegt. Er war diesem Ruf in letzter Zeit nicht gerecht geworden. An den meisten Tagen blieb er Zuhause und trank bis er bewusstlos wurde. Er sah den Grund nicht in der Stadt umher zu gehen, wenn er reichlich Alkohol in seiner eigenen Schatzkammer fand, um die Stunden dahinsiechen zu lassen.

»Lieber nich’, mi Lord«, gab der Mann zurück. »Der Käpt’n wird bald hier sein und Ihr riecht ziemlich streng. Ich würde Euch baldigst über Bord werf’n, aber is’ nich’ an mir die Entscheidung zu treff’n.«

Wie steht’s damit? Er hatte richtig mit seiner Vermutung gelegen. Vielleicht sollte es ihn kümmern, aber es war eine Weile her gewesen. Warum jetzt anfangen? Sicherlich sollte er das. Er hatte ein Anwesen, einen Titel, keine Erben, um das weiterzugeben. Also würde irgendein entfernter Cousin oder irgendwer im Begriff sein seinen Wunsch zu bekommen. Er konnte sowieso nichts damit anfangen ein Vicomte zu sein. Was hatte es ihm jemals wirklich gegeben? Geld? Er schnaubte gedanklich. Das hatte ihm keine Spur von Glück gegeben. Sicherheit? In einem gewissen Maße hatte es das. Geld versorgte ihn mit den Notwendigkeiten des Lebens; jedoch gab es ihm ebenfalls die Mittel um es zu ruinieren. Wenn er nicht das Geld gehabt hätte, hätte er möglicherweise arbeiten müssen, um zu überleben. Dann hätte er es vielleicht wertgeschätzt, anstatt sich im Alkohol zu ersäufen. Zu was für einer Art Mann machte es ihn, dass er so verdammt einfach aufgegeben hatte?

»Nicht mein Problem«, murmelte Donovan.

»Gütiger Gott«, sagte eine Frau. »Was ist dieser Geruch?«

»Der Herr«, erklärte einer der Männer. »Wir hab’n ihn hier unten gefund’n.«

»Was wollt Ihr, dass wir mit ihm tun?«, fragte ein anderer Mann.

Die Frau blieb still. Sah er so schlimm aus? War dies der berühmte Estes? Er hatte keine Frau erwartet und diese Überraschung war ziemlich nett. Meistens mochte Donovan einen guten Schock. Es ließ ihn sich lebendig fühlen. Dies war eine dieser Gelegenheiten. Er wünschte, dass er die Energie hätte seine Augen zu öffnen, um einen guten Blick auf diesen weiblichen Kapitän zu bekommen. Sie musste groß und stämmig sein, um die Treue dieser Männer zu beherrschen.

Scheiß drauf. Er würde einen kurzen Blick auf sie bekommen. Vielleicht würde es ihm die Energie geben weiterzuleben. Dann konnte er Manchester Castle besuchen und Garrick von dem weiblichen Kapitän erzählen. Sie beide würden sich gut darüber amüsieren. Es würde genug sein, um für eine Weile nüchtern zu bleiben. Er hatte Momente, in welchen er nicht trunken war, aber sie waren dünn gesät. Dies könnte der Katalysator für einen sein.

Langsam öffnete er seine Augen. Er blinzelte einige Male. Vielleicht war er gestorben. Die Frau vor ihm war nicht groß oder stämmig. Sie war schlank gebaut, schmale Hüften eingeschlossen in ledernen Hosen, ein wogendes weißes Oberteil bedeckt von einer ledernen Weste. Ihr rotblondes Haar war an ihrem Rücken herunter geflochten. Diese saphirblauen Augen jedoch—er würde sie in einer Million Lebzeiten nicht vergessen. »Estella?«


Hölle und Verdammnis. Was machte Donovan auf ihrem Schiff? Sie hatte immer beabsichtigt ihn ausfindig zu machen, nachdem ihr Exil geendet war. Sie konnte noch nicht nach London zurückkehren. Ihr Stiefvater behielt den Überblick über sie. Zumindest glaubte er das. Er schickte willkürlich Spione, um sie zu besuchen. Was der Herzog nicht begriff, sie hatte ihre eigenen Spione. Sie wusste, dass sie kamen, bevor sie angekommen sind. Wenn sie es erfuhr, dachte sie immer daran Zuhause zu sein. Die meiste Zeit war sie das sowieso; dann und wann musste sie jedoch auf dem Schiff sein, um sicherzugehen, dass alles wie geplant lief.

Der Herzog hat ihr nicht viel Geld zum Leben gegeben. Er hatte tatsächlich nichts geschickt, seit sie am Anfang hier angekommen war. Sie musste einen Weg finden zu überleben und sie hatte das erste bisschen Geld genommen und es verdoppelt, dann das verdoppelt, bis sie genug hatte um durch das Jahr zu kommen. Als sie darauf hinab gestarrt hatte, erkannte sie, dass sie nicht weiter spielen konnte. Sie konnte auf diesem Weg nicht genug verdienen und die Chancen zu gewinnen waren jedes Mal niedrig. Sie hatte nichts dagegen ein Risiko einzugehen, aber es musste es wert sein. Dann hatte sie zufällig mitgehört, wie jemand über eine Verschiffungs-Unternehmung prahlte. Zu dieser Zeit hatte sie nicht begriffen, was die Unternehmung genau war, aber sie hatte so oder so aus dieser ihren Nutzen gezogen. Sie hatte das bedeutendste Kartenspiel ihres Lebens gespielt und das Schiff des Mannes gewonnen, und seinen Respekt. Er war jetzt ihr Erster Offizier und hielt einmal in der Woche um ihre Hand an.

Sie antwortete Donovan nicht. Er war eindeutig ziemlich betrunken. Vielleicht würde er vergessen, dass er sie gesehen hatte. Sie drehte sich zu ihren Männern und befahl: »Badet ihn. Wenn das erledigt ist, bindet ihn an das Bett in meiner Kammer.« Seine normalerweise schönen goldenen Locken strotzten vor Dreck und Fett. Seine Hautfarbe war weiß und grenzwertig durchscheinend, mit Ausnahme seiner Wangen. Sie hatten vom Alkohol eine rötliche Färbung. Wenn diese Farbe nicht wäre, hätte er tot ausgesehen. Seine Augen jedoch—sie waren das Schlimmste für sie. Die blauen Tiefen waren glasig und schauten beinahe durch sie hindurch. Da erkannte sie, wie schlecht es ihm ging, und dass sie ihm helfen musste.

»Ihr denkt dran ihn zu benutz’n?«, fragte einer der Männer, Schock klang in seiner Stimme nach.

Estella würde Donovan nie benutzen. Sie wollte nur nicht, dass er nach Belieben über das Schiff verfügen konnte. Ihn zu fesseln war ein Erbarmen, das sie niemand anderem gewährt hätte. Donovan jedoch, sie war es ihm schuldig. Sie konnte das den Männern jedoch nicht sagen. Sie verstanden Gewalt und sie musste sie glauben machen, dass sie zu allem fähig war. Sie betastete den Griff ihres Rapiers—dankbar für ihren Fechtunterricht, bevor ihre Mutter gestorben war. Sie gaben ihr die Fähigkeiten, die sie benötigte, um die blutrünstige Schmugglerin zu sein, die diese Männer erwarteten. Das Rapier war jedoch gefährlicher als das Florett, das sie normalerweise benutzte. »Stellst du mich in Frage?«

»Nein, Käpt’n«, sagte er und schluckte dann schwer. »Wir lass’n Euch wiss’n, wenn es erledigt is’.«

»Gut«, sagte sie und drehte sich, um zu gehen.

»Estella«, rief Donovan aus. Sie hielt an, aber blickte nicht zurück. Sie konnte nicht. Er ähnelte nicht einmal entfernt dem Mann, in den sie sich verliebt hatte. Was war mit ihm über die Jahre passiert? Sie hätte nach ihm sehen sollen und danach schauen, dass es ihm gut geht. Dies war ihre Schuld. Sie hatte ihn an den Rand des Ruins gebracht. Es war an ihr sicherzustellen, dass er einen Weg zurück fand.

»Geh nicht«, flehte er. »Warum musstest du gehen …?« Pein erstreckte sich über diese Frage und stach auf sie ein, wo es am meisten wehtat. Ihr Herz brach von neuem. Das war zu viel. Ihr Stiefvater würde dafür bezahlen, was er getan hatte. Sie hatte das vor langer Zeit gelobt und sie beabsichtigte es einzuhalten. Zuerst schuldete sie Donovan eine Erklärung. Wenn er mehr er selbst war, würde sie ihm alles erzählen. Wenn er entschied sie zu hassen, würde sie ihn nicht aufhalten. Wenn sie nach England zurückkehrten, würde sie sicherstellen, dass er es in einem Stück zurück nach London schaffte.

»Käpt’n?«

Sie blickte über ihre Schulter auf das Mannschaftsmitglied. »Ja?«

»Kennt Ihr ihn?«

»Sei nicht albern«, sagte sie. »Er ist nur ein Mann—ein feiner Pinkel, nicht mehr. Ich bin mit niemandem aus dem gehobenen Kreis bekannt.«

Niemand besuchte sie und das machte es einfacher diese Vortäuschung aufrechtzuerhalten. Sie war für sie nicht Lady Estella Sims und würde es nie sein. Wenn sie ihre Erbschaft erhielt, würde sie England verlassen und niemals zurückblicken. Die einzige Sache, die sie zu bleiben versuchte, war Donovan. Für ihn würde sie alles überdenken und alles tun.

»Er glaubt er kennt Euch«, sagte er geistesabwesend. »Sein Hirn muss noch immer in Alkohol eingelegt sein.«

»Unzweifelhaft«, stimmte sie zu. »Jetzt geh an die Arbeit.«

Er nickte und ging zurück zu Donovan. Der Vicomte kämpfte eine Weile und wurde dann komplett bewusstlos. Es war wahrscheinlich das Beste. Warum hatte er aufgegeben? Hatte es ihn so sehr beeinflusst sie zu verlieren? Möglicherweise war sie es überhaupt nicht. Vielleicht hatte er einen anderen Grund sich an den Rand des Todes zu trinken. Sie konnte nicht der einzige Grund sein, warum er am Leben verzweifelt war. Ihr Donovan war glücklich und charmant gewesen. Er hatte sie von ganzem Herzen geliebt—bis sie es in Stücke zerschlagen hatte. Sie würde all seinen Schmerz von ihm nehmen, wenn sie könnte. Vor allem wollte sie niemals ihre Liebe zerstören. Als ihr böser Stiefvater ihre Beziehung entdeckt hatte, hatte er alles getan, was er konnte, um sie zu zerstören. Schließlich hatte er Erfolg gehabt. Estella hatte zwei Möglichkeiten: Einen alten Mann heiraten und Donovans Herz brechen, oder die Dinge mit ihm zu beenden. Beide hatten dasselbe Ergebnis, doch eine gab ihr die Hoffnung sich selbst zu erretten.

Vielleicht hatte ihr das Schicksal schließlich die Gelegenheit dafür gegeben …

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