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Ich öffnete den Briefkasten im Hausflur unseres Wohnblocks, weil ich sehen wollte, ob die Abbey-Road-Fotos angekommen waren. Sie würden mein Geschenk an Luna Müller sein, die jüngere Schwester meines Dolmetschers Walter Müller. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss – es fühlte sich etwas locker an, als hätte jemand die Schrauben heraus- und dann hastig wieder festgedreht. Doch als ich mir die Briefkästen der anderen Mieter ansah, entdeckte ich, dass auch sie reparaturbedürftig waren. Bei allen war das Holz zerkratzt. An den meisten Messingschlössern, hergestellt in den 1930er Jahren, fehlten Schrauben. Es war schwieriger als sonst, den Schlüssel ins Loch zu manövrieren. Der Vermieter erhöhte unsere Miete jedes Jahr, tat aber nichts zur Sanierung des Gebäudes, das mehr oder weniger verfiel. Die alte Dame aus dem oberen Stock, Mrs Stechler, kam aus dem Fahrstuhl und humpelte in den Hausflur, ihre behandschuhten Hände umklammerten die stählerne Stange ihres Rollators. Sie schien zu erschrecken, als sie mich auf den Knien vorfand, die Schlösser aller Briefkästen anstarrend. Sie trug einen Pelzmantel und fing an, über ihre Arthritis zu klagen, wie das feuchte Wetter die Entzündung verschlimmere und sie noch steifer mache. »Regen ist eine schlechte Nachricht für meine Knochen«, sagte sie mit ihrer mürrischen, tiefen Stimme. Ich schaute durch die Glastüren des Hausflurs. Die Sonne schien. Das Gras in den Gemeinschaftsgärten war noch gelb von der Hitzewelle in diesem Sommer. Das Herbstlaub war nicht feucht.

»Stimmt etwas nicht, Saul?«

»Alles in Ordnung.«

»Ich wollte mich nach Ihrem Familiennamen erkundigen«, sagte sie.

»Was ist damit?«

»Auf Ihrem Briefkasten steht der Name Saul Adler.«

»Ja.«

»Adler ist ein jüdischer Name.«

»Ja, und?«

Sie wartete darauf, dass ich mehr sagte, und ich sagte mehr.

»Saul ist auch ein jüdischer Name. Einverstanden?«

Ihr Mund stand offen, als brauchte sie ein größeres Loch zum Atmen. Anscheinend war mein Name das Gespenst, das Mrs Stechler heimsuchte.

Ich erhob mich, weil es zu unterwürfig war, auf den Knien mit ihr zu reden. Nach einer Weile fragte ich sie, ob sie mir sagen könne, wo man eine Dose Ananas bekomme.

»Überall. Jedes Geschäft hat eine Dose Ananas. Sogar der Eckladen. Möchten Sie Scheiben oder Stücke? In Sirup oder Saft?«

Sie starrte mich durch ihre dicke Brille an, als wäre ich ein Dieb, der alle Briefkästen in dem Gebäude ausrauben wollte. Ich hatte einen Umschlag in meinem Briefkasten vorgefunden und wollte ihn gern öffnen, sie sollte mich aber nicht dabei beobachten. Sie teilte mir mit, dass sie ein Stück Mohnkuchen in dem neuen polnischen Geschäft kaufen wolle, und einmal unterwegs, müsse sie ein Mittel finden, das den Fleck auf ihrem schildkrötengrünen Sofa entferne. Ich dachte über Schildkröten nach und welche Art von Grün sie für das Polsterei-Geschäft repräsentierten, als sie wieder zur Klage über ihre Gelenkschmerzen und das Wetter ansetzte. Ich konnte mich an kein polnisches Geschäft in der von ihr genannten Straße erinnern. Es gab dort eine Fleischerei und einen Zeitungskiosk und einen Friseur, der hauptsächlich Rentner und Rentnerinnen wie sie bediente, aber nichts, was einem polnischen Geschäft ähnelte, wenn der bengalische Kiosk-Betreiber nicht neuerdings osteuropäische Backwaren verkaufte. Ich war abgelenkt, weil ich nun den Umschlag geöffnet hatte und auf die Schwarz-Weiß-Fotos starrte, es waren drei.

Dort lief ich barfuß auf dem Zebrastreifen, in meinem weißen Anzug mit den Schlaghosen, die Hände in den Taschen des weißen Jacketts. Es war eine Notiz von Jennifer dabei:

Übrigens ist nicht John Lennon barfuß gelaufen. Das war Paul. JL hatte weiße Schuhe an. Ist mir gelungen, Dich wie auf dem Original mitten im Schritt zu erwischen, dank meiner verlässlichen Trittleiter.

Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich die Schuhe ausgezogen hatte, aber es stimmte, ich war barfuß auf dem Foto. Als ich aufblickte, entdeckte ich, dass Mrs Stechler ihren Rollator im Hausflur zurückgelassen und hinter dem Pförtnerplatz verstaut hatte. Durch die Glastüren sah ich sie in ihrem Pelzmantel, wie sie flotten Schrittes in Richtung Bushaltestelle ging. War nicht die Rede davon gewesen, dass die Arthritis sie behindere?

Ich legte die Fotos in meinen Briefkasten zurück, schloss ihn ab und lief zu meinem nächsten Supermarkt, um die Dose Ananas für Walter Müller zu kaufen. Was würde Jennifer heute machen? Wahrscheinlich kümmerte sie sich um ihr Flugticket nach Amerika. Natürlich wäre sie in der Dunkelkammer des College und bereitete ihre Abschlussausstellung vor, und später, viel später, würde sie mit Saanvi und Claudia in der Sauna faulenzen, Gespräche über die Unendlichkeit führen und darüber, wie ein manisch-depressiver Mathematiker namens Georg Cantor eine Möglichkeit entdeckt hatte, unendliche Zahlen zu notieren. Inzwischen versuchte ich herauszufinden, ob ich Dosenananas in Ringen oder Stücken, in Sirup oder Saft kaufen sollte. Am Ende kaufte ich zwei Bananen, ein Baguette, ein Steak und lungerte schließlich vor der Käsetheke herum. Allmählich verspürte ich ein wenig Sympathie für die Floristin, die nur Rosen verkaufte. Wenn es unendlich viele Rosen zur Auswahl gab, dann traf auf Käse dasselbe zu. Shropshire Blue, Stilton, Farmhouse Cheddar, Lancashire, Red Leicester, Gouda, Emmentaler.

Ich bat den Verkäufer, mir eine große Ecke schmelzenden Brie abzuschneiden. Es tropfte von seinem Messer. Er hatte sanfte Hände.

Der Himmel war genauso grau wie der Gehsteig. Es hatte angefangen zu regnen. Ein Mann in einem afrikanischen Gewand kämpfte mit einem kaputten Schirm, während der Regen über seine Sandalen spritzte. Ich begab mich für ein Glas Tee und ein Baklava-Gebäck in ein türkisches Café. Das Gebäck war klebrig von Honig. Ich bat um eine Serviette, doch die mich bedienende Frau schien meine Bitte nicht zu hören. Sie ging zu einem kleinen Mädchen, vielleicht sieben Jahre alt, das an einem Nachbartisch ein Buch las, und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ich dachte, sie bäte das Kind, mir eine Serviette zu bringen, doch sie ordnete eines der roten Bänder im Zopf ihrer Tochter.

»Die Sache ist die, Saul Adler: Du bist nicht immer der Mittelpunkt.«

Die Sache ist die, Jennifer Moreau: Du hast mich zum Mittelpunkt gemacht.

Der Mann, der alles sah

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