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2.Kapitel Das seltsame Buch

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Ein paar Wochen später, war es noch früh am Morgen, als Matthew wie jeden Tag in den Stall ging, um seine Kühe zu melken. Liebevoll tätschelte er seiner Lieblingskuh Gloria den Hals, und strich ihr über das Fell. „Na, meine Süße, gut geschlafen?“ Er kraulte sie hinter den Ohren, und Gloria genoss sichtlich seine Liebkosungen. Danach fütterte er seine vier Schweine, mistete den Stall aus, und ging dann auf den Hof, um seine Hühner zu füttern. Nach getaner Arbeit ging er zurück ins Haus, kochte sich Kaffee und aß sein Frühstück, das aus selbst gebackenem Brot, mit Wurst und Käse bestand.

Zwei Stunden später sah er überrascht zum Fenster, als er ein lautstarkes Hupen hörte. Er lief hinaus und sein Blick fiel auf Buck, der gerade aus dem Wagen stieg. „Guten Morgen, Matthew! Du wirst überrascht sein, was ich für Neuigkeiten für dich habe!“, rief er mit einem breiten verschwörerischen Grinsen im Gesicht. „Na komm, spann mich nicht auf die Folter! Erzähl schon!“, antwortete Matthew. Er war gespannt, was es so Wichtiges gab, dass Buck schon so früh am Morgen extra zu ihm hinausfuhr, um ihm das mitzuteilen.

Buck stellte sich vor ihm hin, und grinste über das ganze Gesicht. „Halte dich fest! Sarah ist wieder da!“

Matthew war, als hätte ihm gerade jemand einen Schlag versetzt. Damit hatte er nun wirklich nie und nimmer gerechnet.

Matthew richtete seinen Blick auf den fernen Horizont, und sagte mit fester Stimme: „Ich will gar nichts davon hören, sie ist für mich ein für alle Mal gestorben, das weißt du sehr genau Buck.“ „Na, das weiß ich doch Matthew, ich wollte dich nur vorwarnen, falls sie dir eines Tages über den Weg laufen sollte“, entgegnete Buck. „Ich muss dann auch gleich mal weiter, ich habe noch einiges zu erledigen, Matt.“ Er verabschiedete sich, stieg in sein Auto und brauste davon.

Matthew war ganz froh, dass er weg war, so, blieb ihm ein ihm unangenehmes Thema erspart. Er wollte und konnte nicht darüber sprechen, was Sarah ihm vor ein paar Jahren angetan hatte. Er war damals schwer in sie verliebt gewesen, doch sie hatte ihn mit Andrew, einem der Vorarbeiter betrogen und ihn somit vor allen Leuten zum Gespött gemacht. Das konnte er ihr nicht verzeihen. Seither hatte er kein wirkliches Interesse mehr an Frauen. Folglich mied er sie weitgehend, wo und wann er nur konnte. Er bevorzugte sein einsames Leben auf seiner Farm, wo ihm niemand in die Quere kam und wo nur er allein das Sagen hatte.

Matthew schob die Erinnerung an diese Frau so weit weg, wie er nur konnte. Er ließ nicht zu, dass ihn diese Enttäuschung noch weiter quälte. Das war lange her, und er sah keinen Grund dafür, sich gedanklich damit noch weiter zu befassen.

Dieser Herbst brachte nun ständig viel Regen und Wind mit sich. Die Temperaturen ließen auch schon zu wünschen übrig. Matthew sah zum Himmel und entdeckte einige große dunkle Regenwolken, die nichts Gutes verhießen.

Er fuhr den Traktor in die große Scheune, brachte das Werkzeug, das noch im Hof lag, ins Trockene und verschloss dann das Tor. Als er die Haustür erreichte, fielen bereits die ersten Tropfen. Nach den schwarzen, unheilvollen Wolken zu urteilen, die sich über den Himmel schoben, ahnte er schon, dass sich bald ein Sturm zusammenbrauen würde. Er schloss die Haustür hinter sich zu, ging in die Küche und setzte frischen Kaffee auf. Mit einer Tasse dampfendem, köstlichem brasilianischen Kaffee setzte er sich dann gemütlich im Wohnzimmer in den alten großen, von Sally geliebten Sessel. Auch Matthew mochte ihn, weil er so bequem war und man sich ihn ihm wie geborgen fühlte. Er nippte an der Tasse und genoss den Duft. „Ah, es geht doch nichts über guten Kaffee“, sagte er laut vor sich hin, und nahm noch einen großen Schluck. Draußen hörte er den Wind aufheulen. Er blickte durch das Wohnzimmerfenster in den Regen, der gegen das Fenster prasselte.

Es war kalt im Haus. Deshalb ging Matthew zum Kamin und legte Holzscheite auf Papier, um ein Feuer zu entzünden. Die Flammen fraßen sich gierig ins trockene Holz und loderten bald schon steil in die Höhe. Es knackte und knisterte. Eine wohlige Wärme verbreitete sich im Raum. Matthew hockte vor dem Kamin und rieb sich die Hände. „Schon viel besser“ murmelte er. Er überlegte, ob er eine der alten Platten auflegen sollte, aber er entschied sich dann doch dafür, endlich einmal eines der Bücher zu lesen. Da er jetzt sowieso draußen nicht viel tun konnte, hatte er nun endlich Zeit dafür. Er ging zum Buchregal, öffnete die Vitrine, strich sanft über die alten Buchrücken und las deren Titel. Die Auswahl fiel ihm nicht leicht, denn diese reichte von Tolstois Krieg und Frieden, vielen Büchern über die Geschichte, bis Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Und Matthew war nun nicht gerade eine Leseratte von Klassikern. Er bevorzugte eher, wenn er denn mal ein Buch las, einen aktuellen Bestseller der modernen Literatur. Doch als er so von Buch zu Buch streifte mit seinen Fingerspitzen, blieb sein Blick an einem sehr alten Exemplar hängen, das sein Interesse weckte. Sein Einband war aus sehr altem, braunem Leder hergestellt und trug den in Gold geprägten Titel: Die Weisheit der Macht.

Matthew nahm das Buch vorsichtig aus dem Regal und setzte sich in seinen Sessel.

Er rückte sich das kleine, grüne Samtpolster an der Seite zurecht und legte das Buch darauf.

Er klappte es auf und las:

„Von Anbeginn der Zeit sind den Menschen die wichtigsten Dinge des Lebens auf dieser Erde verborgen. Sie gehen durch ihr klägliches Leben, ohne die wahren Hintergründe des Lebens je zu entdecken. Dieses Buch soll den Menschen, die dafür auserwählt wurden, die Wahrheit erzählen, über all die Dinge der Magie der Macht, die diese Welt regiert. Nur wenigen ist die Wahrheit gewährt.“ Matthew blätterte um und las weiter: „Nur wer die Weisheit der Macht besitzt, wird im Bann der Magie bestehen...“

Das war alles, was dort zu lesen war. Matthew blätterte alle Seiten um, doch alles war weiß und unbeschrieben.

Er schüttelte verwundert den Kopf, und konnte sich keinen Reim darauf machen, was das für ein merkwürdiges Buch war. Das ganze restliche Buch war völlig leer! Er drehte und wendete es mehrmals, ohne daraus schlau zu werden. Schon fast ein wenig verärgert, legte er es zur Seite und sah in das Kaminfeuer. Die Flammen waren etwas kleiner geworden. Er stand auf und legte ein paar Scheite Holz nach. Als ob sie darauf gewartet hätten, züngelten die Flammen gierig nach dem Holz. Sogleich stieg der Rauch nach oben durch den Abzug.

Matthew setzte sich wieder und überlegte, ob sich Tom vielleicht einen Scherz mit ihm erlaubt hatte mit besagtem Buch. Denn was konnte ein leeres Buch denn für einen Sinn haben? Zuerst eine so mysteriöse Einleitung und dann nichts mehr. Er schüttelte abermals den Kopf und lachte. Das war bestimmt ein Scherz, es konnte gar nicht anders sein. „Na hoffentlich gibt es nicht noch mehr solche Überraschungen“, sagte er leise vor sich hin, indem er sich in seinem Sessel zurück-lehnte. Er richtete seinen Blick starr auf das prasselnde Kaminfeuer, während draußen der Sturm heulend an den Fenstern rüttelte.

Er liebte diesen Anblick. Da konnte er dann oft stundenlang davorsitzen, es still betrachten und genießen. Er legte die Füße hoch auf den kleinen Hocker, gleichzeitig sah er den tanzenden Flammenzungen zu, wie sie das Holz nach und nach verschlangen. Und ganz langsam wurden seine Augenlider immer schwerer, und er schlief ein….

Matthew schlug die Augen auf und konnte kaum etwas erkennen. Dichter Nebel umfing ihn und er fand sich auf freiem Feld. Ein seltsames Gefühl durchströmte seinen ganzen Körper, dass er sich nicht erklären konnte. In einiger Entfernung sah er ein altes Gebäude, in dem Licht brannte. Ihm war eisig kalt und er beschloss, dorthin zu gehen. Er wusste nicht, wo er war, jedoch hoffte er, dass die Leute, die womöglich darin wohnten, ihm sagen konnten, wo er sich befand. Alles hier schien ihm so fremd und unwirklich. Er kannte weder die Gegend noch konnte er sich daran erinnern, jemals hier gewesen zu sein. Er setzte langsam Fuß vor Fuß und versuchte, sich den Weg durch den dicken Nebel zu bahnen. Das Licht des Hauses schien sich immer weiter von ihm zu entfernen, je mehr er darauf zuging. In dem dunklen Nebel meinte er, Gestalten zu erkennen, die jedoch sofort wieder verschwanden, sobald er genauer hinsah. Er vernahm ein lautes Grollen aus der Ferne wie von einem Gewitter. Doch es regnete nicht und auch kein Blitz war zu sehen. Nur dieser alles umhüllende Nebel. Matthew zog eine Zündholzschachtel aus seiner Hosentasche und entzündete ein Streichholz. Doch der Nebel verschlang sofort das Licht. Er hatte die komische Empfindung, dass er bereits seit Stunden auf dem Weg zu dem Haus war. Und dennoch kam er dem Haus einfach nicht näher! Die Kälte machte ihm zu schaffen und der Nebel bohrte sich zusätzlich feucht in seine Kleider. Er hoffte inständig, dass er das Haus bald erreichen konnte. Ganz plötzlich stand er vor einem riesigen Tor, an dem ein silberner Löwenkopf prangte mit einem schweren Ring in seinem Maul. Rundherum waren dicke hohe Steinmauern, über die er nicht wegsehen konnte. Matthew fasste sich ein Herz, griff nach dem Ring und schlug damit laut gegen das Tor. Dann trat er einen Schritt weit zurück und wartete. Plötzlich öffnete sich das Tor, ein etwas untersetzter alter Mann erschien. Sein schlohweißes Haar hing ihm in Strähnen bis zur Schulter, unter seinen dicken weißen Augenbrauen lugten seine schmalen, dunklen Augen hervor. Matthew schluckte. Ein sonderbares Gefühl breitete sich in ihm aus. Angst hatte er nicht, aber dennoch ein sehr merkwürdiges Gefühl. Es war ihm, als hätte man hier schon auf ihn gewartet, vielmehr als hätte er ein Ziel erreicht, von dem er bisher nichts wusste.

Da sagte der alte Mann zu ihm: „Meister, ihr werdet bereits erwartet. Tretet bitte ein!“

Verwundert sah Matthew auf den alten Mann und wusste nicht, was er sagen sollte. So blieb er wortlos. Er trat in den langen Gang, der vor ihm lag. In einigem Abstand voneinander, hingen brennende Fackeln an den Wänden, die den Gang erleuchteten. Eine seltsame Stille lag in dem alten Gemäuer, die ihm unheimlich war. Dicke Spinnweben überzogen die Wände, er sah, wie da und dort Spinnen die Wände entlang krabbelten. Unbehagen überkam ihn bei dem Anblick des Hundes, der ganz plötzlich vor ihm saß, mit leuchtend roten, gefährlich blitzenden Augen. Er schien mehr aus Haut und Knochen zu bestehen denn aus Fleisch. Er knurrte grimmig, als er Matthew erblickte und ihm den Weg versperrte. Matthew blieb wie angewurzelt stehen. Dabei blickte er sich hilfesuchend nach dem Alten um. „Barco, gib dem Herrn den Weg frei!“, rief dieser hinter ihm. Der Hund trollte sich und verschwand so plötzlich, wie er gekommen war im Nichts.

„Ihr werdet im großen Saal erwartet, Herr“, sagte der weißhaarige Mann hinter ihm. Matthew nickte und ging weiter in Richtung der großen, schweren, eisenbeschlagenen Tür, die vor ihm lag. Er wunderte sich darüber, dass der Alte ihn Meister nannte, aber er wagte es nicht, danach zu fragen, denn er hatte einen seltsamen Kloß im Hals und das Gefühl, als würde seine Stimme den Dienst verweigern, sobald er es auch nur versuchte. Als er nun an der Tür angekommen war, huschte der Alte an ihm vorbei, öffnete flink, und deutete ihm an einzutreten. Als sich nun die Tür vor seinen Augen öffnete, trat er ein, erblickte eine Frau, die in lange, blaue sonderbar glänzende Kleider gehüllt war. Sie hatte langes, dunkles Haar und strahlende blaue Augen, die ihm freundlich entgegenblickten. Ihre Gestalt war von solcher Zartheit, dass man befürchten musste, dass sie wohl zerbrechen würde, sobald man sie auch nur berühren wollte. Ein weiches, schimmerndes Licht umgab sie, als würde es sie beschützen wollen. Matthew sah sich im Raum um und entdeckte, dass der ganze Raum voll von Porträtgemälden an den Wänden war, die uralt zu sein schienen. In der Mitte des Raumes befand sich ein großer Kamin, in dem ein loderndes Feuer brannte, wobei jedoch das Holz nicht verzehrt wurde. Davor standen zwei sehr große, goldene, alte Stühle, die aus schwerem Holz mit rotem Samt bezogenen Polstern gefertigt worden waren. Sie luden förmlich ein, darauf Platz zu nehmen.

Da erklang die sanfte Stimme der Dame: „All das sind deine Vorfahren Matthew. Sie alle haben ihr Leben dem Kampf gegen die bösen Mächte auf dieser Welt gewidmet, genau, wie ich es getan habe. Nur war es mir leider nicht vergönnt, mein Werk fortzuführen.“

Da keimte eine Vermutung in Matthew auf, er fragte zaghaft: „Bist du, …?“ Da nickte die Dame und sagte: „Ja Matthew, das bin ich. Ich bin deine Mutter. Es tut mir sehr leid, dass ich dich schon in jungen Jahren zurücklassen musste. Ich hätte dir noch so vieles sagen müssen, aber dazu kam es leider nicht mehr. Sie haben dafür gesorgt. Nun ist es an dir dich zu entscheiden. Du bist nun in einem Alter, in dem du reif genug dafür bist. Ich wünschte, ich könnte dich lehren, was du wissen musst.“ Ihr Blick war traurig. Sie hielt kurz inne und leise seufzend fuhr sie fort: „Suche deinen Weg, mein Sohn, es ist allein deine Entscheidung! Aber ich hoffe inständig, dass du den richtigen Weg erwählst. Alles wird zu dir kommen, wenn du so weit bist. Achte auf die Zeichen, und suche nach der Wahrheit!“

Dann tat es einen lauten Donnerschlag. Alles, was er zuvor gesehen hatte, war verschwunden. Matthew sah sich plötzlich weit weg von dem Haus auf einer grasbewachsenen und weiten Fläche, auf der in einiger Entfernung riesige Steine in seltsamer Formation standen. Es war sehr dunkel. Deswegen musste er sich sehr anstrengen, um etwas erkennen zu können. Er sah Menschen in langen schwarzen Gewändern, die das Geweih eines Hirsches auf ihrem Kopf trugen und brennende Fackeln in ihren Händen hielten. Plötzlich breitete sich dichter, dunkler Nebel aus. Die schnell entstandene Dunkelheit umhüllte alles, sodass er überhaupt nichts mehr sehen konnte. Er bekam Angst und versuchte, um Hilfe zu rufen, doch es kam kein Laut aus seiner Kehle. Panik breitete sich in ihm aus, und er rannte so schnell, er nur konnte davon…

Schwer atmend und schweißgebadet erwachte Matthew und schreckte aus dem Sessel hoch. Er konnte die Angst noch in seinen Knochen spüren. Matthew war völlig verwirrt. Er konnte kaum glauben, was er gerade geträumt hatte. Das konnte doch unmöglich wahr sein! Wahrscheinlich hatte er wohl nur einen Albtraum gehabt? Dessen war er sich nunmehr ziemlich sicher. Es lag bestimmt daran, dass er diese geheimnisvollen Zeilen des Buches zuvor gelesen hatte. Und sein Gehirn hatte alles zu einem Brei vermischt. Das musste es wohl sein! Zuerst dieses seltsame Buch und dann dieser unwirkliche Traum, der mehr als Rätsel aufgab. Er schüttelte die Gedanken an den Traum ab und stand auf. Matthew sah in das Kaminfeuer und bemerkte, dass das Holz fast vollständig verbrannt war. Er musste Stunden geschlafen haben. Er drehte sich um und sah auf die alte Standuhr auf dem Sideboard hinter ihm. Hierbei stellte er überrascht fest, dass vier Stunden vergangen waren, seit er sich hier hingesetzt hatte. Es war bereits nach Mittag und so versuchte er, den Traum so schnell wie möglich zu vergessen. Auf solche abstrusen Träume konnte er getrost verzichten.

Ein Hungergefühl im Magen machte sich bemerkbar. So ging er in die Küche, um Essen vorzubereiten. Als er dann am Küchentisch seine aufgewärmten Bohnen mit Speck verspeiste, versuchte er sich den Traum in Erinnerung zu rufen und logisch zu ergründen, was die Ursache dafür sein konnte. Hatte er wieder einmal an seine Herkunft gedacht und daraufhin diesen absolut schrägen Traum in seinem Gehirn heraufbeschworen? Irgendeine Erklärung müsste sich doch finden lassen? Er grübelte noch lange darüber nach, kam jedoch auf keine passende Erkenntnis. Er vermutete nun die Ursache seines Traumes darin, dass er sich jahrelang nach seiner Mutter gesehnt hatte. Ja, das musste es wohl sein. Sein Gehirn hatte ihm einen bösen Streich gespielt. Mit dieser Erklärung gab sich Matthew zufrieden.

Er brachte das Buch wieder an seinen Platz nach dem Essen. Dann ging er nach hinaus auf den Hof, um nachzusehen, ob der Sturm Schäden hinterlassen hatte.

Matthew stapfte über den stark aufgeweichten Boden der Farm und inspizierte alle Zäune, den Stall und die Scheune, um dann endlich wieder beim Haus anzukommen, wobei er feststellte, dass ein paar Dachziegel fehlten. Der Sturm hatte sie weggefegt und sie lagen nun zerbrochen auf dem Boden. „So ein Mist!“, fluchte er ärgerlich und ging ins Haus zurück.

Doch im Moment konnte er nicht viel tun, da es noch regnete und es deshalb zu gefährlich war, auf das Dach zu steigen wegen der Rutschgefahr. Er stieg die Treppe zum Dachgeschoss hinauf, sah sich nach den Stellen um, wo nun außen die Löcher klafften. Und tatsächlich tropfte es hier schon auf den Boden. Matthew war verärgert und ging nochmals hinunter, um zwei Eimer zu holen, Er stellte sie dann genau unter die Tropfstellen. Bis morgen sollte das Provisorium halten, dann wollte er das Dach reparieren, sobald der Regen aufgehört hatte. Er ging zurück ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein und streckte sich der Länge nach auf der Couch aus. Der Tag war für heute gelaufen. Bei dem Mistwetter konnte man sowieso nicht viel anfangen. Im Fernsehen wurde ein alter Liebesfilm gesendet und Matthew schaltete sofort auf einen anderen Kanal, denn auf einen oberflächlichen Schmalzfilm hatte er so gar keine Lust. Er suchte nach etwas Bodenständigerem und fand eine Dokumentation über die Kelten, einem alten indoeuropäischen Volk. Er verfolgte die Sendung mit wachsendem Interesse, vor allem, weil er sich schon so oft gefragt hatte, woher seine Familie stammte und wo seine Wurzeln waren. Er wusste bis heute absolut nichts darüber. Deshalb sah er sich öfter solche Beiträge an, wenn sie von anderen Ländern und anderen Kulturen berichteten. Er tat es immer in der vagen Hoffnung, etwas Vertrautes zu entdecken, das ihm vielleicht mehr Aufschluss darüber gab. Obwohl sein Verstand es ihm sagte, dass dies völlig unsinnig und aussichtslos war, trieb ihn oft dieses unbestimmte Gefühl vor das TV-Gerät.

Nachdem er Stunden vor dem Fernsehgerät verbracht hatte, war es später Abend geworden. Er richtete sein Abendbrot an und kehrte dann wieder ins Wohnzimmer zurück. Er wollte zu Bett gehen, also beendete er das Fernsehen und wollte gerade die alte Stehlampe neben dem Ohrensessel ausschalten, als er verdutzt auf das Papier starrte, das da unter dem Sessel ein kleines Stück hervorragte. Er wunderte sich, wo es herkam, denn er konnte sich nicht daran erinnern, dass er überhaupt in letzter Zeit ein Papier hier in der Hand gehabt hatte. Matthew bückte sich, um es aufzuheben, und klappte das zweimal gefaltete Papier auseinander.

Da stand mit Tinte in alter Handschrift geschrieben:

Per Omnia saecula saeculorum pro domo

Magia est aeterna

Mundus vult decipi, ergo decipiatur

Audivimus solam virtutem

quod est in mundo, in medio lapidum

quintum in eadem es

possim vestros probare peritias

quae dantur tibi nascenti.

Nos viceritis huius saeculi!

Hereditatem tuam et suscipe verba Magistri jurare

Matthew starrte wie gebannt auf das Papier. Es war lange her, seitdem er Latein in der Schule gelernt hatte. Dennoch setzte er sich auf den Sessel und versuchte, die Sätze zu übersetzen. Er brauchte einige Zeit dafür, aber er brachte in etwa eine Übersetzung zustande, die da lautete:

„Von Ewigkeit zu Ewigkeit für das Haus. Die Magie ist ewig. Die Welt will betrogen, werden also soll sie betrogen werden. Uns gehört die alleinige Macht, die im Herzen der Welt bei den Steinen ist. Du bist der Fünfte unter Gleichen. Finde deine Fähigkeiten die dir von Geburt an gegeben sind. Schwöre auf des Meisters Worte und nimm dein Erbe an.“

Matthew starrte auf die Buchstaben und konnte es nicht glauben, was er da las. Er war wie vor den Kopf geschlagen. Langsam fing er an, daran zu zweifeln, dass der erlebte Traum wirklich nur ein Traum war. Denn dieses Papier, das er nun in seinen Händen hielt, war so echt wie die Tatsache, dass es ihn gab. Es musste von ihm unbemerkt aus diesem merkwürdigen Buch gefallen sein. Anders konnte er es sich nicht erklären, wo es hergekommen war. Matthew hatte nun immer mehr Fragen im Kopf, die ihm keine Ruhe mehr ließen. War dieses Buch überhaupt von Tom? Wenn nicht, woher kam es dann, und wer hatte es ihm ins Regal gestellt? Denn er selbst konnte sich nicht daran erinnern, es je vorher gesehen zu haben. Und wer genau war gemeint in diesem Brief? Er? Oder betraf dies jemand anderen? Vielleicht wurde er mit jemand anderem verwechselt? Möglich war eigentlich alles nach Matthews Ansicht. Doch beantworten konnte ihm das keiner. Sein Kopf schwirrte und war nur noch ein einziges großes Fragezeichen.

Er war inzwischen sehr müde nach all der Aufregung. Er löschte das Licht im Haus, ging in sein Schlafzimmer, zog sich aus, streifte seinen Pyjama über und legte sich ins Bett. Er beschloss, nicht mehr darüber nachzudenken, sonst würde er wohl kaum Schlaf finden diese Nacht. Er zupfte sich sein Kissen zurecht und zog die Decke bis über die Ohren, als ob er die Welt um sich herum aussperren wollte. Bald darauf schlief er ein.

Die Magier von Stonehenge

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