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3.Kapitel Der Brief

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Matthew lag seit Stunden in tiefem Schlaf, als er plötzlich aufschreckte. Ihm war, als hätte ihn jemand gerüttelt und aus dem Schlaf gerissen. Er rieb sich die Augen und setzte sich im Bett auf. Als er die Nachttischlampe einschaltete, fiel sein Blick auf den Wecker. Es war zehn Minuten nach zwei Uhr. Er spürte, dass irgendetwas nicht stimmte. Als wäre er nicht alleine im Haus. Er horchte angespannt in die Stille hinein. Waren etwa Einbrecher im Haus? So abgelegen wie er wohnte, war das eher unwahrscheinlich. Trotzdem hatte er das sichere Gefühl, das noch jemand im Haus war. Er konnte es förmlich spüren. Es lag etwas in der Luft, und er wusste, dass gleich etwas geschehen würde. Die Anspannung wurde immer stärker. Er stand auf und ging über die Treppe hinunter, um nachzusehen. Das ganze Haus lag im Dunkeln. Matthew sah zum Fenster hinaus, konnte aber niemanden sehen. Es war stockdunkel da draußen. Nur das schwache Licht des Mondes drang zaghaft durch das Fenster. Plötzlich sah er im Augenwinkel, einen schwarzen Schatten, der an ihm vorbeihuschte. Er drehte sich blitzschnell um. Es war, als ob etwas auf ihn lauern und jeden Moment auf ihn einschlagen würde. Er starrte in die Finsternis hinein, ohne jedoch etwas erkennen zu können. Er war bereit für das, was da kommen sollte. Was auch immer es sein konnte. Als jedoch nichts weiter geschah, ließ seine Anspannung etwas nach. Dann drehte er sich um und ging wieder hinaus auf den Flur Richtung Schlafzimmer, als plötzlich ein Buch auf ihn zugeflogen kam mit aller Wucht und ihn schmerzhaft am Arm traf. „Au, verdammt!“, fluchte er laut. Er wusste nun, dass sein Gefühl ihn nicht getäuscht hatte. Er rief ins Dunkel hinein: „Wer bist du verdammt?! Komm heraus und zeig dich!“ Da hörte er ein leises Wispern und Zischen wie aus weiter Entfernung. Als plötzlich ein weiteres Buch auf ihn zugeschossen kam, reagierte er blitzschnell und reflexartig und hob seine rechte Hand. Mit voller Wucht schmetterte er das Buch mit einem Schlag ab, ohne es auch nur berührt zu haben.

Da vernahm er ein lautes verzerrtes Lachen, das schließlich in einem unverständlichen, flüsternden Stimmengewirr verhallte und nach und nach verschwand. Es war nun still im ganzen Haus. Der geheimnisvolle Spuk war offensichtlich vorbei.

Matthew stand wie erstarrt im Flur. Was war hier gerade geschehen? Was war das oder besser gesagt, wer war das? Er hatte keine Erklärung dafür. Er hatte nur im Reflex reagiert und das Buch abgewehrt, mit dem irgendjemand nach ihm geworfen hatte.

Er konnte sich nicht erinnern, das Buch direkt berührt zu haben. Matthew schob es auf die ganze unheimliche Situation. Er war sich dann doch ziemlich sicher, dass er es nur nicht wirklich realisiert, aber das Buch doch ganz bestimmt berührt hatte. Ja, es konnte ja gar nicht anders sein. Er schüttelte irritiert den Kopf und ging zurück ins Schlafzimmer. Was für eine verrückte Nacht! Er hatte sich bestimmt alles nur eingebildet, ja so musste es wohl sein.

Matthew ging zurück ins Bett, zog die Decke weit über die Ohren und grub sein Gesicht tief in das Kissen. Er wollte, egal was vielleicht noch geschehen mochte, nichts mehr davon mitbekommen. Er wollte nur noch seine Ruhe haben und endlich schlafen. Er hörte noch, wie der Regen an sein Fenster trommelte, dann schlief er endlich ein.

Als der Wecker klingelte, griff er schlaftrunken danach und warf ihn auf den Boden, sodass er abrupt verstummte. Ärgerlich rieb er sich die Augen und streckte sich noch gemütlich im Bett, bevor er sich dann schließlich doch nach einigen Minuten aus seinem Bett quälte. Er hatte ja keine Wahl. Seine Kühe warteten ja um diese Zeit schon darauf, gemolken zu werden. Also schlüpfte er in seine Jeans, zog ein rot-kariertes Flanellhemd über, und streifte sich seine Socken und Hausschuhe über die Füße. Er ging zum Fenster, um zu sehen, wie es um das Wetter heute bestellt war. Es regnete immer noch leicht und der Boden war inzwischen sehr matschig und aufgeweicht. Das hatte ihm noch gefehlt! Jetzt konnte er das Dach heute nicht flicken wegen der Nässe.

Er ging in die Küche, drehte den Herd auf und stellte den Wasserkessel für den Kaffee auf. Er war müde und lustlos. So eine miese Nacht hatte er lange nicht erlebt. Er war sich nun nicht mal mehr sicher, ob nicht alles einfach nur ein Traum gewesen war. „Bestimmt war es so, und ich hab` mir all das nur eingebildet“ murmelte er gähnend vor sich hin.

Der Wasserkessel fing an zu pfeifen. Er nahm ihn vom Herd und goss das Wasser über die zermahlenen Kaffeebohnen in der Kanne. Der Duft, der ihm in die Nase stieg, stimmte ihn gleich etwas fröhlicher. Das war das Wichtigste am Morgen. Die Tasse Kaffee, auf die er nicht verzichten konnte. Ein Morgen ohne Kaffee war für ihn schier unmöglich. Bevor er auch nur einen Handgriff tat, trank er immer zuerst seinen Morgenkaffee. Völlig egal, was war.

Er goss sich den heißen, dampfenden Kaffee in seine große blaue Lieblingstasse und nahm sie mit an den Küchentisch. Er gähnte laut, und fuhr sich mit der Hand durch seine Haare. Nein, heute würde er es gemütlich angehen lassen.

Nachdem er ausgetrunken hatte, ging er die Stufen hinauf zum Dachboden und sah nach den Eimern, die bereits randvoll waren. Es musste die ganze Nacht in Strömen geregnet haben. Matthew tauschte die vollen, gegen leere Eimer aus und nahm die vollen dann mit nach unten, um sie zu entleeren. Eine Dauerlösung war das nun nicht, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten, bis der Regen endlich aufhörte.

Er schloss die Haustür hinter sich und ging in den Stall. Nach dem Ausmisten nahm er den Melkschemel und setzte sich dann zu Gloria seiner Lieblingskuh, um sie an die Melkmaschine anzuschließen. Er strich ihr sanft übers Fell und flüsterte ihr zu: „Braves Mädchen.“

Er ging kurz hinaus in den Hühnerstall, um die Hühner zu versorgen. Als er zurückkam, nahm sein Gesicht eine verdutzte Mimik an, nachdem er gesehen hatte, dass fast keine Milch im Auffangbehälter war. „Na, heute auch nicht gut geschlafen oder warum hast du heute so wenig Milch, Gloria?“, sagte er zu ihr. Sie sah ihn fragend an, und rieb ihre Schnauze an seinem Arm. Er molk auch noch die andere Kuh und als dann bei ihr dasselbe Ergebnis sich einstellte, wunderte er sich sehr. „Drehen die Kühe jetzt auch schon durch?“, fragte er kopfschüttelnd. Er konnte sich das nicht erklären. Alles war wie immer und es gab keinen ersichtlichen Grund dafür. Vielleicht sollte er den Tierarzt anrufen. Obwohl es eigentlich gar keine Anzeichen dafür gab, dass sie krank waren. Er streute den Stall frisch ein und legte mit der Gabel neues Heu für sie auf. Dann verschloss er die Stalltür hinter sich und ging ins Haus zurück. Nachdem er sich eine zweite Tasse Kaffee eingegossen hatte, ging er den Flur entlang in Richtung Wohnzimmer. Er stutzte, als er auf dem Fußboden zwei Bücher liegen sah. Eines davon war das merkwürdige Buch, in dem nur die paar Zeilen standen und an das zweite konnte er sich nicht erinnern, dass er es je zuvor schon gesehen hätte. Er hob sie auf und nahm sie mit ins Wohnzimmer. „Es war also doch kein Traum“, dachte er, und legte die Bücher auf das kleine Tischchen neben dem Ohrensessel. Er nippte an seinem Kaffee und überlegte, ob er sich überhaupt auf das neue Phänomen einlassen sollte. Wenn das jetzt schon wieder so eine Überraschung war, dann konnte er gut darauf verzichten! Das, was in dem ersten Buch stand, war ihm schon nicht ganz geheuer gewesen und er hatte nicht wirklich ein gutes Gefühl bei der ganzen Sache. Er könnte sie genauso gut einfach ins Regal stellen und sie einfach ignorieren. Ja, das wäre bestimmt die bessere Lösung. Er hatte keine Lust, noch einmal derartige schlafraubende Träume zu durchleben. Und sein Gefühl sagte ihm, dass all das irgendetwas mit dem Buch zu tun haben musste. Denn bis zu dem Tag, an dem er es aufgeschlagen hatte, hatte er nie solch merkwürdige Träume gehabt. Also musste das Buch der Grund für sie sein. Seine Fantasie hatte daraus einen irrealen Traum geformt und ihm einen Streich gespielt. Es war sicherlich das Beste, das Ganze zu vergessen und einfach nicht mehr daran zu denken.

Er nahm also die genannten Bücher und stellte sie in seine Glasvitrine. Matthew streckte sich auf der Couch aus und schaltete mit der Fernbedienung das TV-Gerät ein. Nachdem er genervt festgestellt hatte, dass das Programm heute absoluter Schrott war, schaltete er ihn wieder aus und ging zur Stereoanlage, um eine der Platten aufzulegen. Etwas Musik würde ihm guttun und ihn ablenken. Also kramte er in seiner beachtlichen Sammlung an alten Platten und entschied sich dann für Etta James. Er nahm sie aus der Hülle, und legte sie vorsichtig auf den Plattenteller. Als die Musik den Raum erfüllte, seufzte er, da Erinnerungen an früher in ihm wach wurden. Er setzte sich auf seinen alten Ohrensessel, nippte an seiner Tasse und stellte sie dann auf dem kleinen Tischchen neben sich ab. Er schloss die Augen und genoss die Musik. Sein rechter Fuß wippte im Takt der sanften Melodie mit.

Matthew hörte sich mehrere Platten an und als der Hunger in ihm langsam hochkroch, beschloss er zu Sam`s Kitchen zu fahren und heute ausnahmsweise dort zu essen. Er hatte keine Lust, selbst zu kochen. Also verließ er das Haus, sperrte die Haustür sorgsam ab, ging in den Schuppen und startete den alten Pickup. Dann fuhr er die Straße entlang, die von der Farm wegführte, in Richtung der Stadt. Sun Valley war nur eine kleine Stadt in Idaho, aber man bekam dort alles, was man benötigte. Matthew fuhr nicht sehr oft in die Stadt. Er mochte einfach keine Touristen. In die Stadt begab er sich nur, wenn er dort etwas zu erledigen hatte. Doch heute hatte er keine Lust, zu Hause zu hocken. Ferner verspürte er den Wunsch nach einer gepflegten Unterhaltung. Ab und zu war es ganz gut, die Einsamkeit auf der Farm zu unterbrechen, obgleich er sie doch im Allgemeinen bevorzugte.

Sam, der Inhaber des Pubs grüßte ihn freundlich, als er zur Tür hereinkam. „Hey Matt, na alles klar bei dir? Wie geht es dir? Schön, dass du dich auch mal wieder blicken lässt.“ Er grinste Matthew an und stützte seine Hände auf den Tresen. Matthew setzte sich zu ihm an den Tresen und erwiderte verschmitzt grinsend: „Klar Sam, kennst mich doch. Mir geht’s immer gut. Danke der Nachfrage. Was gibt’s heute zu essen?“ Sam antwortete ihm scherzhaft: „Aha, da hat wohl jemand Kohldampf! Na, dann sehen wir mal, was wir dagegen tun können.“ Er zwinkerte ihm belustigt zu und drehte sich um zu Mary, die in der Küche hinter ihm stand: „Mary, was kannst du Matt heute anbieten?“ Sie streckte den Kopf durch die Öffnung der Durchreiche. „Hallo Matt! Ich kann dir heute Steak mit Kartoffeln anbieten, oder sonst das Übliche auf der Karte. Ganz wie du willst“, sagte sie lächelnd. Matthew schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, nein, Steak wäre prima Mary.“ Mary nickte und machte sich gleich an die Arbeit. Matthew wandte sich um und sah hinter sich in die Runde. Da waren auch Andrew und Lester, die an dem Tisch neben dem Fenster ihr Bier tranken und Karten spielten. Matthew schnaubte heftig durch die Nase, als er Andrew sah. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Andrew war der Vorarbeiter bei Bucks Vater, John. Er war derjenige, der ihm Sarah damals ausgespannt hatte. Seit jenem Tag hatte er mit Andrew kein Wort mehr gewechselt. Er war für ihn gestorben. Ein für alle Mal. Er wusste sehr genau, wie sehr er Sarah damals geliebt hatte und trotzdem hatte er ihm das angetan. Das konnte er ihm nicht verzeihen.

Matthew wandte sich wieder Sam zu. Dieser hatte längst bemerkt, dass Matthew nicht gerade begeistert war, als er Andrew entdeckt hatte. „Sieh einfach nicht hin, Matt! Vergiss ihn, er ist es gar nicht wert! Du solltest dich gar nicht mehr darum kümmern. Ist doch alles schon so lange her. Außerdem hat sie jetzt auch einen anderen.“ Matthew sah Sam fragend an: „Was, wer?“ Sam sah sich um, als ob ihm jemand zuhörte, dann beugte er sich zu Matthew und sagte: „Ich weiß nichts Genaues, aber man hört so einiges. Sie soll ja wieder zurück sein und auch ein Kind haben von einem anderen.“ Seine Augen blitzten beinah verschwörerisch auf, und es war unschwer zu übersehen, dass Sam die alte Tratsch-Tante hierbei ganz in seinem Element war. Matthew zuckte mit den Schultern und tat völlig gleichgültig. „Na, soll sie doch, ist mir doch völlig egal, was sie macht. Ist ihr Leben, ihre Entscheidung. Geht mich alles nichts mehr an.“ Er nahm ganz bewusst demonstrativ den Teller entgegen, den ihm Mary brachte und konzentrierte sich ganz auf sein Steak. Was juckte ihn das, was diese Frau jetzt tat? Was ging ihn das noch an? Er versuchte, das Thema zu wechseln, und sagte zu Sam: „Ey Sam, Mary ist wirklich die beste Köchin weit und breit. Das Steak ist absolut perfekt.“ „Das habe ich gehört, Matt, danke dir!“, schallte es lachend aus der Küche. „Ist nur die Wahrheit, Mary!“, antwortete Matthew lachend. Sam nickte zustimmend. „Da hast du wohl recht, Matt, sie ist die Beste. Bin froh, dass ich sie habe.“ Die Jukebox in der hinteren Ecke spielte gerade einen Oldie von Janis Joplin. Matthew lauschte aufmerksam der Musik und versank förmlich in dem Genuss des Fleisches auf seinem Teller. Er hatte nur eine gekannt, die auch so gut gekocht hatte und das war definitiv Sally. Jedes Mal, wenn er bei ihr zum Essen eingeladen war, hatte sie ihm nur das Beste aufgetischt. Er hatte ihr Essen geliebt und war nach dem Verzehr jedes Mal überaus satt gewesen.

Sam und Mary waren seit vielen Jahren ein Paar, aber hatten nie geheiratet, weil er eine starke Abneigung gegen die Ehe hatte. Mary hatte es sich auch anders vorgestellt, aber sie hat ihn letztlich so akzeptiert, wie er war. Nun waren sie seit vielen Jahren ehelos glücklich und führten gemeinsam das Pub. Sie hatten auch Tom und Sally noch gut gekannt.

Sam bediente seine Gäste. Als er zurückkam, stieß er Matt sanft in die Seite und sagte, als könnte er seine Gedanken lesen: „Na, mein Junge, ist fast wie bei Sally nicht wahr?“ Er grinste breit. „Ja fast“, murmelte Matthew und stopfte gierig den nächsten Bissen in sich hinein. „Du solltest dich öfter hier blicken lassen“, sagte Sam. Dabei klopfte er bestätigend auf den Tresen mit seiner rechten Faust.

„Ja, ja Sam. Schon ok. Ich sehe mal, was sich da machen lässt“, lachte Matthew und schabte mit der Gabel die letzten Essensreste auf dem Teller zusammen, um sie dann genüsslich in seinen Mund zu stecken.

„Boah bin ich satt! Ich glaube, ich platze gleich“, sagte er grinsend. Sam nickte ihm zu und sagte: „Gut so, Junge. Damit du wenigstens ab und zu was Anständiges auf die Rippen bekommst. Mit deinen Kochkünsten wird es ja nicht so weit her sein“, lachte Sam. Matthew schüttelte den Kopf: „Aber nein, alles, was ich kann, hat mir Sally beigebracht. Aber ich bin natürlich nicht so ein Genie beim Kochen, wie sie es war. Es reicht, wenn ich mich selbst versorgen kann, das ist doch das wichtigste.“ Sam nickte. „Da hast du auch wieder recht, die meisten Männer können nicht einmal das. Aber das ist auch gut so, sonst hätten wir ja kein Geschäft mehr“, lachte er. Matthew bezahlte, verabschiedete sich dann von Sam und Mary und ging Richtung Ausgang. „Mach’s gut Junge und pass auf dich auf!“, rief ihm Sam noch nach, als er durch die Tür ging. Matthew drehte sich halb um und rief: „Mach ich Sam! Bis bald mal!“ Dann schloss er die Tür hinter sich zu und ging zu seinem Wagen. Er stieg in seinen Pickup und machte sich auf den Weg nach Hause. Die alten Ahornbäume, die die Straße säumten, hatten fast alle schon ihre Blätter verloren. Es dauerte nicht mehr lange, dann stand der Winter vor der Tür. Es war schon sehr kalt und Matthew fröstelte etwas, also drehte er die Heizung im Wagen auf. Er hatte ganz vergessen, seine Jacke anzuziehen, als er das Haus verlassen hatte. Sein Hemd war etwas nass geworden und die Feuchtigkeit spürte er nun unangenehm auf der Haut. Die Wärme, die aus dem Gebläse strömte, erfüllte das Wageninnere und Matthew fühlte sich dadurch gleich wohler.

Er drehte das Radio an. Sofort klopfte er dann mit seinen Fingern im Rhythmus der Musik auf das Leder des Sitzes neben ihm. Als er auf der Farm ankam, hatte der Regen inzwischen gänzlich aufgehört. Er stellte den Wagen in den Schuppen und ging ins Haus. Dort wechselte er die Kleidung zu Arbeitshose, wattierter Jacke und festen Schuhen und ging dann in den Geräteschuppen, um das nötige Werkzeug, eine Leiter und neue Dachziegel, zu holen.

Er stellte die Leiter steil an das Hausdach und legte Werkzeug und Ziegeln in einen Korb, den er an einem Seil befestigt hatte. Als er die Leiter hinaufgestiegen war, zog er den Korb mit dem Seil nach oben. Dann begann er, die Reste der kaputten Ziegel zu entfernen und durch neue zu ersetzen.

Als er einen Wagen heranfahren hörte, beugte er sich etwas seitlich nach unten, um zu sehen, wer da gekommen war. „Hey Matt! Was treibst du denn auf dem Dach?“, schallte es von unten herauf. Matthew erkannte Buck’s Wagen und rief: „Hey Buck! Ich muss das Dach reparieren, das der Sturm beschädigt hat!“ Er lehnte sich wieder zurück, um im Gleichgewicht zu bleiben. „Was treibt dich denn zu mir heraus?“ „Ich wollte dich fragen, ob du mitfährst zum Markt. Ich muss dort etwas abliefern“, hörte er Buck sagen. „Wie du siehst, kann ich jetzt gerade nicht weg, ich muss das Dach reparieren, bevor es wieder zu regnen anfängt“, erwiderte Matthew. Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu und wollte gerade den nächsten Dachziegel anbringen, als dieser ihm aus der Hand rutschte und über die Dachschräge nach unten schlitterte. In einer unbewussten Blitzreaktion streckte er die Hand danach aus und schleuderte den Dachziegel weiter nach links. Damit verhinderte er, dass der Ziegel seinen Freund treffen konnte. Er hatte den Ziegel nicht berührt und dennoch weggeschleudert. Matthew war wie erstarrt, als ihm bewusstwurde, was er gerade getan hatte. Er hatte keinen Schimmer, wie er das bewerkstelligt hatte. Buck zuckte im selben Moment zusammen, als der Ziegel gut zwei Meter neben ihm, auf dem Boden aufschlug. „Ey, Matt, was treibst du denn da oben? Willst du mich umbringen?!“, rief er ihm erschrocken zu. Matthew war jedoch genauso erschrocken wie er, und starrte wie paralysiert ins Leere. „Matt?! Alles ok da oben?!“, hörte er Buck rufen. Das löste ihn aus seiner Erstarrung, und er rief etwas zögerlich zurück: „Sorry Buck, …das war wirklich nicht meine Absicht! Ein, ...ein Ziegel ist mir aus der Hand gerutscht! Es tut mir wirklich sehr leid. Ist dir auch nichts passiert?!“ Buck reckte den Kopf gen Dach und rief: „Nein, Gott sei Dank nicht, aber pass das nächste Mal besser auf, ok?! Also ich fahr dann mal los! Bis dann Matt!“ „Ok gut. Bis dann Buck!“, rief er ihm noch nach. Er sah dann noch, wie Bucks Wagen aus der Einfahrt hinausfuhr.

Jetzt saß er wie betäubt auf dem Dach und hatte keine Erklärung dafür, wie das alles hatte geschehen können. Er legte sein Werkzeug beiseite und betrachtete lange seine Hände, als könnte er erkennen, was der Grund dafür war. Seine großen Hände waren sehr kräftig und gezeichnet von der harten Arbeit auf der Farm. Doch viel mehr war daran nicht Erklärbares zu erkennen, was er da gerade getan hatte. Da fiel ihm wieder diese unheimliche Nacht ein, von der er im Nachhinein gedacht hatte, dass alles nur ein Traum gewesen sein musste. „Also doch kein Traum“, murmelte er leise vor sich hin. Und langsam wurde ihm immer mehr bewusst, dass all das nicht mit rechten Dingen zugehen konnte. Kein normaler Mensch hatte solche Kräfte. Zumindest keiner, von dem er je gehört hatte. Er schüttelte heftig den Kopf und wandte sich dann wieder seiner Arbeit zu, um fertig zu werden, mit dem Dach. Er wollte sich nicht verrückt machen lassen von diesen seltsamen Geschehnissen.

Als er mit dem Dach fertig war, stieg er die Leiter wieder hinunter, seilte den Werkzeugkorb ab und stellte alle Kleingeräte wieder an ihren Platz im Schuppen. Und als er zurückkam und vor dem Haus stand, sah er lange auf den Ziegel hinab, der da zerbrochen auf der Erde lag. Er hob die Teile auf und betrachtete sie, als würde er an ihnen eine Erklärung finden können. Wie hatte er das nur gemacht? Wie konnte er den Ziegel wegschleudern, wo er doch schon so weit von ihm entfernt gewesen war?

Er hatte keine Antwort darauf. Kopfschüttelnd warf er die Stücke auf den kleinen Steinhaufen, der etwas seitwärts des Eingangs lag und ging alsdann zurück in sein Haus. Da fiel ihm ein, dass er schon seit drei Tagen nicht mehr in seinen Briefkasten gesehen hatte. Aufgrund der Ereignisse der letzten Tage hatte er gar nicht mehr daran gedacht. Als er sich auf den Weg zum Briefkasten machte, der am Ende der Straße stand, flog ein großer Rabe genau vor seine Füße und zeterte laut umher. Matthew war etwas überrascht, denn normalerweise suchten die Vögel sofort das Weite, wenn man sich ihnen näherte. Doch dieser schlug wie wild mit seinen Flügeln und kreischte laut vor sich her, als wollte er Matthew etwas sagen. „Na, du bist mir ja ein seltsamer Kauz“, lachte Matthew. Er verscheuchte den Vogel, indem er laut in die Hände klatschte, bis dieser aufgeschreckt davonflog.

Er ging ein paar Meter weiter, als er dann endlich am Briefkasten ankam und ihn öffnete. Er nahm die Post heraus und unter den üblichen Rechnungen und Werbesendungen entdeckte er einen Brief, der seine Aufmerksamkeit erregte.

In krakeliger verschnörkelter Handschrift, war darauf sein Name und die dazu gehörige Adresse, zu lesen. Auf der Rückseite stand kein Absender. Neugierig öffnete er den Umschlag, um zu sehen, wer ihm denn einen solchen Brief schickte. Matthew nahm eine matt glänzende weiße Karte aus dem Umschlag, auf der in goldener Schrift zu lesen war:

**Einladung zum Weihnachtsball** Sir Raven de Clare 8. Earl of Pembroke, gibt sich die Ehre, Matthew Smith zum alljährlichen Weihnachtsball in Cardiff Castle am 21.Dezember um 19:00 Uhr einzuladen.

Matthew konnte gar nicht glauben, was er da las. Wer zum Teufel war der Earl of Pembroke? Und was hatte er mit ihm zu tun? Er wusste ja noch nicht einmal, wo dieses Cardiff Castle zu finden war. Ob es sich wohl um eine Verwechslung handelte? Ja, so musste es wohl sein, denn er konnte sich sonst mit keinem Wort erklären, wie er in zu dieser Ehre gekommen war. Er steckte den Umschlag in seine Hosentasche, und machte sich auf den Rückweg. Da fiel ihm der seltsame Rabe wieder ein, der vorhin ein solches Gezeter veranstaltet hatte. Da keimte in ihm ein sonderbarer Gedanke auf. Er zog den Umschlag aus seiner Hosentasche und las noch einmal: Sir Raven de Clare.

Das waren wirklich merkwürdige Zufälle, zuerst der aufgeregte Rabe und dann die Karte mit demselben Namen wie der Vogel. Langsam kam Matthew der Verdacht, dass all das keine Zufälle mehr waren. Als würde ihm jemand etwas sagen oder einen Weg weisen wollen. Dazu kamen noch die zwei Vorfälle mit dem Buch und dem Ziegel, die unbestritten keine Zufälle sein konnten. Irgendetwas hatte sich verändert. Er hatte sich verändert. Dennoch hatte er keine Antworten auf all die Fragen, die in seinem Kopf kreisten.

Matthew ging in das Haus zurück, und legte den Umschlag mit der Einladung auf das kleine Tischchen im Wohnzimmer. Er wollte sich vorerst nicht mehr damit beschäftigen. Er bereitete sein Abendmahl und machte es sich anschließend auf der Couch im Wohnzimmer vor dem Fernsehgerät gemütlich. Der Tag hatte genug an Aufregungen in sich gehabt und so wollte er nur noch seine Ruhe haben und sich entspannen, bevor er etwa drei Stunden später, früh zu Bett ging und mit tiefen ruhigen Atemzügen einschlief.

Am nächsten Morgen weckten ihn die Regentropfen, die an die Scheibe trommelten. Missmutig stieg er aus dem Bett und zog sich an. Er ging in die Küche, setzte Wasser für den Kaffee auf, ging dann ins Wohnzimmer und holte den Umschlag mit der Einladung. Es ließ ihm keine Ruhe mehr. Er wollte endlich wissen, was es damit auf sich hatte.

Der ganze Spuk musste endlich ein Ende haben. Der Wasserkessel pfiff und rief ihn in die Küche. Er goss das heiße Wasser über den Kaffee und setzte sich dann mit der Tasse an den Tisch. Er zog die Karte aus dem Umschlag und las immer wieder, was darauf stand: Cardiff Castle. Wo war das? Matthew beschloss, nach der Stallarbeit danach zu suchen. Er trank den Kaffee aus und ging dann aus dem Haus, um seine Tiere zu versorgen. Als er zurückkam, setzte er sich an seinen Computer im Wohnzimmer. Wenn es dieses Schloss gab, dann musste es auch da irgendwo zu finden sein. Vielleicht erfuhr er so auch etwas über dessen Besitzer.

Er gab den Namen bei Google ein, und staunte nicht schlecht, als er sah, wie groß es war und dass es in England lag. Allerdings fand er nichts über den Schlossherren heraus. Matthew überlegte, was er denn nun tun sollte. Zumindest wusste er nun, wo dieses Schloss zu finden war, aber viel mehr auch nicht. Er konnte nicht einfach dort anrufen und nachfragen, denn es gab keine Telefonnummer. Ob es eine gute Idee war, im Ausland nach einem Schloss zu suchen nur wegen einer Einladung, die vielleicht gar nicht ihm galt, war er sich gar nicht sicher. Eine wirklich verrückte Idee. Er kannte dort ja auch niemanden und wenn diese Leute dort nicht ihn, sondern jemand völlig anderen eingeladen hatten, konnte er nur wieder nach Hause fahren. Er musste ja auch irgendwo dort übernachten können. Matthew überlegte lange, was er nun tun sollte. Aber der Trieb in ihm nach Antworten war inzwischen so stark, dass er beschloss, es zu wagen. Er musste einfach herausfinden, was dahintersteckte hinter all den merkwürdigen Ereignissen. Vielleicht war das ja auch ein Wink des Schicksals, dem er einfach nur folgen musste.

Die Magier von Stonehenge

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