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KAPITEL 6

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Das Heulen des Windes gesellte sich zu dem stetigen Prasseln des Eisregens auf dem Dach von Noahs Pick-up-Truck. Er drehte sich zu Josephine, die schweigend aus dem beschlagenen Beifahrerfenster starrte.

Das Kämpferische schien während der kurzen Fahrt vom Stall herüber aus ihr herausgesickert zu sein, und sie hatte sich nach innen gewandt. Das machte sie manchmal. Noah gefiel sie besser, wenn sie aufgebracht war, wenn Funken aus ihren blauen Augen schossen. Mit Wut konnte er umgehen. Dieses stoische Schweigen machte ihn hilflos. Und er fühlte sich nicht gern hilflos.

Auch von seiner eigenen Wut war viel verraucht. Genug, dass er sich schuldig fühlte für die Art, wie er sie ins Auto bugsiert hatte. Er war nie anders als vorsichtig und zart mit ihr umgegangen, selbst wenn sie ihn provoziert hatte. Er fragte sich, ob es daran lag, dass ihre Schultern jetzt hochgezogen und die Knie von ihm abgewandt waren.

„Es könnte sich zu Regen verändern und in ein, zwei Stunden wieder schmelzen.“

Als sie nicht antwortete, stieg er aus und ging zum Haus. Er war erleichtert, als er ihre Schritte hinter sich hörte. Immerhin würde er nicht wieder handgreiflich werden müssen. Dieses närrische Weib. Sie würde dort draußen keine drei Stunden überleben. Ihr wurde ja schon kalt, wenn die Temperatur unter zwanzig Grad fiel.

Er öffnete die Haustür, führte sie hinein und schloss die Tür dann wieder gegen den brausenden Wind. Shadow, sein schwarzer Labrador, kam ihm schwanzwedelnd entgegen, um ihn zu begrüßen. Noah kraulte sein Fell, aber der Verräter erkannte Josephines Geruch und bohrte leise winselnd seine Schnauze in ihre offene Handfläche.

Sie kniete sich hin, und Shadow leckte ihr das Wasser vom Gesicht. Das erste Mal seit ihrer Ankunft umspielte ein kleines Lächeln ihre Mundwinkel. „Hallo, Schätzchen“, gurrte sie. „Oh, ich habe dich so vermisst. Du bist so ein guter Junge, ja wirklich, das bist du.“

Er schenkte ihnen einen Moment und hatte augenblicklich Gewissenbisse, weil er sie voneinander getrennt gehalten hatte. Klar war Shadow sein Hund gewesen, aber er konnte auch nicht leugnen, dass es eine besondere Verbindung zwischen Josephine und dem Labrador gab.

Am Ende stand sie zitternd auf seinem Teppich und sah aus wie ein verwahrlostes nasses Kätzchen. Ihre Hände zitterten, als sie ihre dünnen Ballerinas auszog. Ihr weißer Pullover war so dünn und nass, dass er das hellblaue T-Shirt sehen konnte, das sie daruntertrug.

„Du brauchst eine heiße Dusche.“ Er zeigte den Flur hinunter. „Da lang geht es zum Bad.“

Sie warf einen Blick auf die Holzdielen und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich will nicht deinen ganzen Boden volltropfen.“

„Das trocknet schon wieder.“

Er wartete, bis die Dusche anging, und eilte dann wieder nach draußen. Mary Beth verwahrte Ersatzklamotten im Stall. Vorher hatte er noch nicht daran gedacht, sie zu holen. Der Wind war übel und peitschte ihm auf dem Weg zum Wagen Eis ins Gesicht.

Wind und Regen hatte er erwartet. Viel Regen. Das Sturmtief war enorm. Aber eigentlich war nicht vorhergesehen gewesen, dass die Temperatur tief genug für Eisregen fiel. Jetzt, wo es passiert war, fragte er sich, was sonst noch kommen würde. Vielleicht würde der Eisregen wieder zu normalem Regen werden, und er konnte Josephine später am Abend in die Stadt zurückbringen. Für ihr Auto würde er einen Abschleppwagen rufen, und dann hätte er sie endlich endgültig vom Leib.

In der Scheune nahm er sich etwas Zeit, um Kismet zu beruhigen. Das braune Vollblut war neu in seinem Stall und äußerst zaghaft. Gestern hatte er eine Dreiviertelstunde lang bei dem Pferd im Auslauf gesessen, das ängstlich hoch wiehernd auf und ab trabte, während seine Ohren fortwährend hin und her zuckten.

Jetzt sprach Noah in tiefen Tönen mit ihm und streichelte Kismets Widerrist, als der ihn mit einem Stupsen dazu aufforderte. Nach ein paar Minuten beruhigte sich das Pferd. Noah holte Mary Beths T-Shirt und ihre ausgebleichte Jeans. Er schnappte sich die Scheidungspapiere von der Tonne und nahm auf dem Weg nach draußen Mary Beths Arbeitsmantel vom Haken. Nachträglich fiel ihm noch ein, ihre Stiefel ebenfalls mitzunehmen.

Er konnte sich Josephine in diesen abgewetzten Kleidern nicht vorstellen. Mary Beth war ungefähr gleich groß und dürfte in etwa die gleiche Größe tragen, aber sie bestand ganz aus geraden Linien und Kanten, wirkte schlaksig. Josephine dagegen … nicht.

Als er die Wärme des Hauses betrat, überraschte es ihn, dass die Dusche bereits abgestellt war. Früher hatte er sie immer wegen ihrer langen Duschzeiten aufgezogen, aber entweder hatte sie sich gebessert, was das anging, oder aber sie nahm Rücksicht.

Mit einem Klicken öffnete sich die Tür, als er gerade den zweiten Stiefel auszog. „Noah?“ Ein Hauch Panik lag in ihrer Stimme, und er fragte sich, wie oft sie schon nach ihm gerufen hatte.

„Gleich.“ Er brachte ihr das Kleiderbündel. Dampf quoll aus dem Türspalt, als er ihr die Kleider reichte. Er wandte seinen Blick ab und versuchte, nicht daran zu denken, was sie wohl gerade auf der anderen Seite trug oder nicht trug.

„Danke.“ Die Tür schloss sich.

Er legte Jacke und Sweatshirt ab und behielt nur sein schwarzes T-Shirt und die feuchte Jeans an. Lieber erst einmal übers Abendessen nachdenken. Dann würde er duschen und nach dem Wetter sehen. Er hatte gerade erst damit begonnen, den Inhalt seiner Speisekammer zu begutachten, als er sie hinter sich hörte.

Shadow ließ ihn stehen, um sie schwanzwedelnd und mit heraushängender Zunge zu begrüßen.

„Hast du einen Trockner für die hier?“

„Da hinten.“ Mit einer Kopfbewegung wies er in die ungefähre Richtung.

Er beobachtete sie beim Weggehen. Ihre nackten Füße patschten über seinen Küchenboden. Die Jeans hatten die richtige Länge, spannten aber an der Sitzfläche und mussten in der Taille mit einem Gürtel zusammengerafft werden, den sie anscheinend schon vorher getragen hatte.

Er wandte sich wieder seinen Vorräten zu und versuchte, das Bild ihres herzförmigen Hinterns aus seinem Kopf zu verbannen. War das Wollust, wenn sie immer noch verheiratet waren?

Er schlug seinen Kopf gegen die Tür der Speisekammer. Einmal. Zweimal. Idiot. Er war schon einmal verblendet gewesen. Nie wieder. Gib ihr was zu essen und schaff sie hier raus.

Er überflog die Auswahl an Konserven und Schachteln. Noah machte sich nicht die Mühe, für sich allein zu kochen, und sein Vorratsschrank spiegelte sein einfaches Küchenkönnen wider. Er hatte am Samstag vorgehabt, bei Piggly Wiggly ein paar Kleinigkeiten mitzunehmen, war dann aber durch seinen unglückseligen Zwischenstopp bei der Post abgelenkt worden.

Er versuchte immer noch, einen Plan zu schmieden, als der Trockner ansprang. Einen Moment später fühlte er Josephines Gegenwart in seinem Rücken.

„Warum gönnst du dir nicht eine heiße Dusche, während ich mich ums Abendessen kümmere?“, schlug sie vor.

„Essenstechnisch ist da nicht viel zu machen.“ Er sah sie über seine Schulter an. „Ich müsste längst mal zum, äh …“

Das Farnam-Logo auf ihrem lila-grauen T-Shirt spannte sich straff über ihrer Brust. Wenn Mary Beth das T-Shirt je getragen hatte, erinnerte er sich nicht daran.

Er riss seine Augen von dem Logo los und blinzelte. „Äh, Supermarkt. Vielleicht ist noch was im Gefrierschrank.“

„Mir fällt schon was ein.“

Die Küche war um zwei Größen geschrumpft. Irgendetwas Metallisches klickte gleichmäßig in der Trommel des Trockners.

Ihr feuchtes Haar war zerzaust, und ihr Gesicht war ungeschminkt, was ihre Augen hervorhob, obwohl die ihn immer noch nicht anschauten. So war sie ihm immer am liebsten gewesen. Natürlich. Sie brauchte keinen Lippenstift und keine Wimperntusche. Obwohl sie, echtes Südstaatenmädel, das sie war, nie ohne aus dem Haus ging. Ohne diese Maske aus Make-up haftete etwas Verletzliches an ihr.

Es befindet sich kein verletzlicher Knochen in ihrem Körper, Mitchell.

Sein Herz wehrte sich gegen den Gedanken, aber sein Hirn wusste es besser. Sosehr sie sich auch bemühte, es zu verstecken – vor ihm, vor allen anderen –, da drin steckte irgendwo ein geschundenes kleines Mädchen.

Aber es lag nicht mehr an ihm, dieses Rätsel zu lösen. Er wandte sich Richtung Bad. „Dann überlasse ich dir das Feld.“


Sobald sich die Badezimmertür geschlossen hatte, taumelte Josephine gegen die Wand. Die Dusche hatte sie aufgewärmt, aber diese unfassbare Situation setzte sie so unter Adrenalin, dass ihre Knie weich waren wie gekochte Nudeln.

Shadow schob sein Maul in ihre Hand. Er bettelte um Aufmerksamkeit und bekam sie auch. Mit gesprenkelten braunen Augen schaute er zu ihr auf, das eine Ohr aufgestellt, das andere geknickt. Noah hatte immer gescherzt, es sei kaputt, aber Josephine hielt dagegen, es sei einfach Teil seines Charmes.

„Gut jetzt, Mädchen“, murmelte sie sich selbst zu. „Reiß dich zusammen.“ Sie wandte sich der Speisekammer zu, schob Dosen beiseite, überflog die Etiketten, gab aber angesichts der wilden Mischung bald auf. Der Gefrierschrank spuckte immerhin etwas Hackfleisch und gefrorenen Brokkoli aus.

Sie taute das Fleisch auf, und als sie hörte, wie Noah im Nebenzimmer das Feuer schürte, brutzelten längst Frikadellen in der Pfanne. Ein bisschen Fett spritzte ihr aufs T-Shirt, als sie einen der Burger umdrehte, aber das war ihr so was von egal.

Als er sagte, er würde trockene Kleider für sie heraussuchen, hatte sie eins seiner T-Shirts und eine Jogginghose erwartet. Doch diese Klamotten schrien förmlich nach „Mary Beth Maynor“. Sie versuchte, nicht weiter über den Grund nachzudenken, warum Mary Beth Kleider in Noahs Zuhause aufbewahrte. Versuchte, alle Gerüchte aus ihrem Kopf zu verbannen. Aber sie krochen immer wieder aus den Schatten und verspotteten sie.

Das geht dich alles nichts an, Josephine. Er gehört dir nicht mehr. Egal, was es mit den Papieren auf sich hat.

Sie briet die Frikadellen fertig, packte sie mit einem großzügigen Klecks Senf zwischen zwei Scheiben Weißbrot und legte zwei davon auf Noahs Teller. Sie verteilte den dampfenden Brokkoli und platzierte die Teller auf dem Tisch der Essecke, die einst seiner Großmutter gehört hatte.

„Es ist fertig“, rief sie.

Noah betrat den Raum. Er roch sauber und trug frischgewaschene Jeans und T-Shirt.

Er setzte sich ihr gegenüber und senkte den Kopf, schloss sie aus seinem stillen Gebet aus. Vermutlich bat er Gott um eine Hitzewelle.

Früher hatte er an genau diesem Tisch immer ihre Hand gehalten und für sie beide gebetet. Nach dem Amen hatte er dann sanft ihre Hand gedrückt. Josephine hatte es nicht so mit dem Beten. Es hatte ihr nie viel gebracht. Aber aus ihrem abendlichen Ritual hatte sie Mut geschöpft. Aus seinem Glauben.

Jetzt sah sie seine Hände an, die zu Fäusten geballt neben dem Teller lagen. Seine starken, männlichen Hände hatte sie immer gemocht. Männerhände: rau, schwielig, aber zärtlich. Ein Hauch dunkler Haare zog sich über seinen Unterarm und führte zu ihrem Lieblingsteil seiner Anatomie – seinem Bizeps, geformt und gehärtet durch stundenlange körperliche Arbeit. Sein Beruf hatte sich verändert, nicht aber diese Arme.

Ihr Blick wanderte hinauf zu seinem arglosen Gesicht. Dunkle Augenbrauen schwangen sich über seinen geschlossenen Augen. Seine Wimpern waren feucht und hoben sich spitz von seiner olivfarbenen Haut ab, und dichte Stoppeln zogen sich über seinen Unterkiefer. Zwei-Tage-Bart, schätzte sie.

Damals hatte sie ihn manchmal an faulen Samstagvormittagen rasiert. Er konnte nie stillhalten oder seine Hände bei sich lassen. Oft lag er am Ende halb rasiert wieder mit ihr unter den kühlen Bettlaken, wo sich das Lachen in seinen Augen schnell genug in Lust verwandelt hatte.

Seine Augen öffneten sich und richteten sich auf ihre. Sie war wie ein Reh im Scheinwerferlicht gefangen. Sie fragte sich, ob er wohl ihre Gedanken lesen konnte, und lief rot an. Was die wechselseitige Chemie anging, hatten sie nie Probleme gehabt.

Sie senkte den Blick auf ihren Teller und hob ihren Burger mit zitternden Händen.

Sie musste aufhören, so zu denken. Da sah man doch gleich, was es mit ihr machte. Sie konnte nicht einmal in seiner Nähe sein, ohne ihn wiederhaben zu wollen. Sie hatte sich gesagt, diese Gefühle seien tot, aber offenbar hatten sie nur Winterschlaf gehalten. Und drohten bei der leisesten Hoffnung auf Wärme wieder ans Licht zu kommen.

„Immer noch ein Mann des Gebets, wie ich sehe.“ Sie freute sich, dass ihre Stimme stark und gleichgültig klang.

„Das hat mich durchgetragen.“ Er biss in seinen Burger, und Josephine schwieg.

Warum hatte sie das nur wieder gesagt? Sie wollte nicht über den Glauben reden. Das war eine der verwirrenden Facetten ihres Lebens. Die emotionale Bekehrung, als sie noch ein Kind war, die Abwesenheit Gottes, als sie ihn am meisten gebraucht hätte, ihr widersprüchliches Bedürfnis nach Vergebung und Buße. Sie konnte dem Ganzen keinen Sinn abgewinnen. Also hatte sie aufgehört, es zu versuchen.

Als sie frisch in die Stadt gezogen war, hatten ihre leisen Beichten bei Pastor Jack ihr kurzzeitig Trost geschenkt. Doch als ihr klar wurde, dass der lutherische Pfarrer ein guter Freund von Noah war, hatte sie aufgehört, sich mit ihm zu treffen. Soweit sie wusste, hatte er sowohl ihre Treffen als auch ihre Geheimnisse für sich behalten.

Sie aßen schweigend. Die Mahlzeit zog sich, bis Josephine kurz vorm Verrücktwerden war.

Zu guter Letzt stand Noah auf und trug seinen Teller zur Spüle. „Ich werde mal nach dem Wetter schauen.“ Er verschwand im Zimmer nebenan.

Josephine aß zu Ende und ließ sich dann beim Abwaschen Zeit. Als sie das Wohnzimmer betrat, entdeckte sie Noah, der auf seinen Laptop starrte. Das Leuchten des Monitors hob seine Gesichtszüge rau hervor.

Sie hielt an der Schwelle an, zögerte, das zu kleine Zimmer mit seinem knisternden Feuer und der vertrauten Couch zu betreten. Der Raum wirkte gemütlich im sanften Licht, mit dem steingefassten offenen Kamin und den Deckenbalken. Ein großer Flickenteppich lag auf dem Holzfußboden und lud die Gäste dazu ein, ihre Schuhe abzustreifen.

Noah, der stirnrunzelnd den Monitor betrachtete, schien ihre Ankunft nicht zu bemerken.

Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Was sagt denn die Wettervorhersage?“

Sein Blick huschte zu ihr, dann wieder zurück auf den Bildschirm. „Das gleiche Wetter wie jetzt, und das für die nächsten paar Stunden. Eigentlich hätte die Temperatur über dem Gefrierpunkt bleiben sollen, aber es ist zu erwarten, dass sie jetzt doch eine ganze Weile grenzwertig bleiben wird.“

„Mehr Graupel und Schneeregen.“

„Anscheinend.“

Sie verlagerte das Gewicht auf ihren Füßen. Es sah aus, als würde sie die Nacht über hierbleiben müssen. Seinem finsteren Blick nach war Noah noch unglücklicher darüber als sie.

Der kleine Gefallen, den sie sich da ausgedacht hatte – was für ein Schuss in den Ofen. „Ich schätze, da hast du mich bis morgen am Hals.“

Noahs Nasenlöcher weiteten sich, und seine Augen wurden schmaler, obwohl er sie weder ansah noch antwortete.

„Hast du ein Gästezimmer?“

„Nein.“

Sie war am Hauptschlafzimmer vorbeigekommen, wo ein Doppelbett fast den ganzen Raum ausfüllte. Aber ihr war auch die schmale Treppe am Ende des Flurs aufgefallen. „Was ist oben?“

„Das ist noch nicht fertig.“

Oh. Na ja, sie würde auf gar keinen Fall sein Bett benutzen. „Dann nehme ich die Couch.“

Im Kamin verrutschte ein Holzscheit. Funken stoben auf.

Eine Ader pulsierte in Noahs Stirn. „Du kannst das Bett haben.“

„Es macht mir nichts aus, auf dem Sofa zu schlafen.“

Er durchbohrte sie mit einem harten Blick.

Die Intensität ließ sie zurückweichen, aber sie fand noch ein bisschen Mumm in der Stimme. „Na gut.“

„Na gut.“

Ihr Blick flog zur Uhr auf dem Kaminsims. Es war zu früh, um ins Bett zu gehen. Viel zu früh, aber das war eben Pech. Hier, wo sie keinen Moment länger erwünscht war, würde sie auch keinen Moment länger bleiben.

Dann schaute sie wieder zu Noah und entdeckte den Packen Papiere auf dem Tisch neben ihm, aufgeschlagen auf der letzten Seite, die Linie über seinem Namen immer noch leer.

„Immerhin wirst du jetzt Zeit haben, dir das durchzulesen“, versuchte sie es.

Seine Augen blickten in ihre. Seine Lippen kniffen sich zu einer schmalen Linie zusammen.

„Ich … ich glaube, ich geh dann mal schlafen.“ Als er nicht darauf antwortete, wandte sie sich zum Flur. „Gute Nacht“, sagte sie, aber auch darauf reagierte er nicht.

Beim Betreten des Schlafzimmers sah sie sich um. Das Bett war nicht gemacht, hier und da lagen ein paar Kleidungsstücke, aber im Großen und Ganzen war es aufgeräumt. Die blaue Steppdecke und die grauen Laken erkannte sie nicht wieder, aber das Betthaupt und der Nachttisch aus Eichenholz hatten schon ihr Zuhause in der Katydid Lane geziert.

Sie schlüpfte aus der Jeans, ließ die kleine Lampe auf dem Nachttisch an und schlüpfte unter die Decke. Was sollte sie die nächsten paar Stunden machen? Ein prüfender Blick offenbarte ein Taschenbuch, das aufgeschlagen auf dem Nachttisch lag – eine Biografie des American-Football-Stars Tony Dungy. Nicht gerade das, was sie sonst las, aber einem geschenkten Gaul und so weiter. Sie nahm sie zur Hand, machte ein Eselsohr in die aufgeschlagene Seite und begann bei Kapitel Eins.

Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ihre Augen schwer wurden. Gerade als sie das Buch auf das Nachtschränkchen legte, klopfte es an die Tür.

Sie zog die Decke hoch. Ihr blöder Puls raste. „Komm rein.“

Die Tür öffnete sich, und Noah erschien. Er sah noch ausgezehrter aus als vor ein paar Stunden. „Deine Kleider …“ Er trat ein und legte den kleinen Stapel auf den Nachttisch, darauf bedacht, ordentlich Abstand zwischen ihnen beiden zu halten.

Unter der Decke zog sie ihre Knie an. „Danke.“

„Ich brauche noch ein paar Sachen für morgen früh. Und ich habe dir nichts gegeben, worin du schlafen kannst.“ Er ging quer durchs Zimmer zu der großen Eichenkommode in der Ecke. Die Schublade knarzte, als er sie öffnete. Er zog ein blaues T-Shirt und eine Jogginghose heraus, die er ihr hinwarf.

„Danke.“

Er nahm noch einige weitere Dinge aus der Schublade und eilte nach draußen. „Gute Nacht.“

„Nacht.“

Die Tür war beinahe zu, als er das Licht ausmachte.

Sie schoss aufrecht in die Höhe. „Mach das nicht.“

Noahs Schatten hielt auf der Schwelle inne.

Ihr Herz kratzte innen über ihre Brust, als wäre es zerbrochenes Glas, und sie konnte sich gerade noch bremsen, aus dem Bett zu krabbeln. „Ich … ich meine … bitte lass es an. Bitte.“ Sie hasste die Panik in ihrer Stimme.

Die Lampe ging wieder an. Das goldene Licht offenbarte sie roh und ungeschützt. Vor Noah. Hitze stieg ihr in die Wangen, als sie die Augen von ihm abwandte. Sie bemühte sich, gleichmäßig zu atmen und die Decke ganz ruhig in Ordnung zu bringen, als wäre sie gerade nicht völlig durchgedreht.

„Danke.“ Ihr ganzer Körper stand unter Strom. Sie ließ sich in die Kissen sinken, versuchte, beiläufig zu tun, und schloss die Augen. Das Klopfen ihres Herzens erschütterte die Matratze. „Gute Nacht.“

Es kam ihr vor, als stünde er noch volle zehn Minuten in der Tür. Das Gewicht seines Blicks lastete auf ihr. Endlich schloss sich die Tür, und ein tiefer Seufzer entwich ihrem Körper.

Hüter meines Herzens

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