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KAPITEL 1

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Copper Creek, Georgia Gegenwart

Nichts konnte einen so bei voller Fahrt aus der Bahn werfen wie ein Brief von der Steueraufsicht. Mit einer unbehaglichen Vorahnung in den Knochen blieb Noah Mitchell vor dem Postamt von Copper Creek stehen.

Er hätte es besser wissen müssen. Warum war er auch von seinem Berg heruntergekommen, um sich einen rundherum schönen Samstag zu ruinieren? Zugegeben, das war jetzt nicht die Art und Weise, von der er befürchtet hatte, sie könnte ihm den Tag ruinieren, aber es war immer noch ein Tritt in die niederen Gefilde.

Er sank auf eine Bank in der Nähe und legte das Bündel Briefumschläge neben sich ab. Eine frische Brise strich durch das Tal, aber unter seiner Jacke prickelte Hitze auf seiner Haut. Es war zwar März, aber Mutter Natur hier im Norden von Georgia hatte das wohl nicht mitbekommen. Das Gras lag braun und matt auf der halb aufgetauten Erde, und die Äste der skelettartigen Bäume schlugen klappernd im Wind gegeneinander.

Er zog einen Finger durch die Versiegelung des Umschlags und schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Er nahm an, er war fällig. Er war 31 und noch nie in den Genuss einer Wirtschaftsprüfung gekommen. Unglücklicherweise hatte er seine Steuererklärung letztes Jahr selbst gemacht.

Noah faltete das Papier auseinander, während die Sonne durch die Wolken brach und ihn über das weiße Papier beinahe blendete. Er überflog die Absätze, blinzelte gegen das Licht, und plötzlich blieben seine Augen an einem Schlüsselsatz im zweiten Abschnitt hängen.

Ungläubig blinzelnd las er den Satz ein zweites Mal. Von allen idiotischen …

Noah war so patriotisch wie jeder andere auch. Er hatte sogar bei einem Auslandseinsatz gedient, Himmel nochmal. Stars und Stripes und Baseball und Apple Pie und all das, das war seins. Aber manchmal machte ihn die Unfähigkeit der amerikanischen Regierung einfach nur ratlos.

„Na, schau mal einer an, wer da von seinem Berg heruntergekommen ist.“

Noah sah auf und entdeckte seinen besten Freund, Jack McReady – „Pastor Jack“, wie ihn die meisten in der Stadt nannten –, der auf ihn zu schlenderte. Obwohl es Samstagmorgen war, trug er eine Anzughose und ein ordentliches Hemd. Seine Lippen verzogen sich zu dem Lächeln, das die Hälfte der alleinstehenden Damen in seiner Gemeinde für ihn schwärmen ließ. Nur ihm selbst war das überhaupt nicht bewusst.

„Hey, Jack.“ Noah stand auf, ergriff die Hand seines Freundes und zog ihn in eine kurze Umarmung. „Schön, dich zu sehen, mein Freund.“

„Ich habe schon darüber nachgedacht, ob ich mich nach da oben bemühen und dich ins Tal zerren muss.“

„Die Ranch hält mich auf Trab.“

„Selbst Pferde schlafen mal. Wie geht es dir? Bist du gut über den Winter gekommen?“

„Im Januar habe ich ein Fohlen verloren. Aber sonst geht es ganz gut. Ich baue gerade den Dachboden aus. Wie läuft es hier in der Stadt?“

„Ach, das Übliche, du weißt schon. Gerüchte. Facebookdramen. Zankereien im Stadtrat. Lass uns was zusammen essen. Ich war gerade auf dem Weg ins Rusty Nail.“

Noah dachte an den Brief, der ihm ein Loch in die Jackentasche brannte. „Würde ich echt gerne, aber ich muss noch ein paar Sachen erledigen. Um drei muss ich wieder auf der Ranch sein. Aber lass uns das bald mal nachholen.“

Jacks blaue Augen fingen Noahs Blick auf und hielten ihn, machten dieses Ding, bei dem man den Eindruck hatte, er würde einem direkt in die Seele schauen. „Ist alles in Ordnung?“

In Ordnung war schon lange nichts mehr. Nicht mehr seit der Scheidung. Aber das wusste Jack bereits. „Ja. Nur … Leben eben … Du weißt schon.“

„Klar.“ Den Blick immer noch unverwandt auf ihn gerichtet, nickte Jack. „Sicher.“

Wenige Minuten später trennten sie sich mit dem Versprechen, sich irgendwann in den nächsten zwei Wochen zu treffen.

Noah ordnete seine Post und machte sich auf den kurzen Weg zu Walt Levengers Büro. Er zog sich die Kappe ins Gesicht und senkte den Kopf – gegen den Wind, sagte er sich. Immerhin war ihr Laden auf der anderen Seite der Stadt und an einem Samstagmorgen vermutlich rappelvoll. Ziemlich unwahrscheinlich, dass er ihr da über den Weg laufen würde.

Die Innenstadt von Copper Creek hätte einer Filmkulisse entstammen können. Diagonale Parkplätze an der Main Street. Zweigeschossige Ladengeschäfte mit bunten Markisen überblickten stolz die Straße; die Fähnchen, auf denen „Geöffnet“ stand, flatterten munter im Wind. Man konnte in einer Viertelstunde von einem Ende zum anderen gehen, und gerade war Noah sehr dankbar dafür.

Als er das Büro des Wirtschaftsprüfers betrat, klingelte gerade das Telefon. Zwei Leute warteten am Empfangstisch, wo ein gequält dreinschauender Teenager ans Telefon ging und etwas auf einen gelben Klebezettel kritzelte.

Er stellte sich in die Schlange und kam in Gedanken wieder auf den misstönenden Satz in dem Brief zurück. Walt war ein Freund der Familie. Er würde ihm sagen können, wie man das wieder geradebog. Dann würde Noah das Ganze einfach hinter sich lassen.

Aber irgendwie wühlte der Brief alles Mögliche auf, von dem er eigentlich geglaubt hatte, er hätte es längst hinter sich gelassen. Erinnerungen – das Beste an seinem Leben, das Schlimmste an seinem Leben –, die sich zu einem verwirrenden Cocktail aus Freude und Schmerz vermischten. Ein Schraubstock legte sich um sein Herz und zog zu, bis ihm die Luft knapp wurde.

„Kann ich Ihnen helfen?“ Die Jugendliche sah ihn durch ein paar dicke Brillengläser an.

Er trat vor. „Hi, ich möchte Walt besuchen.“

Das Telefon klingelte. „Haben Sie einen Termin?“

„Nein, aber es ist eine dringende Angelegenheit. Er ist ein Freund der Familie.“

„Name?“

„Noah Mitchell.“

„Setzen Sie sich, bitte.“

Sie nahm den Anruf entgegen, und er gesellte sich zu den anderen im Wartezimmer. In seiner Hosentasche zerknitterte der Brief, während er es sich in dem geschwungenen Plastikstuhl bequem machte.

Er holte sein Telefon heraus und machte sich eine Liste der Dinge, die er bei Piggly Wiggly besorgen musste. Wo er schon in der Stadt war, konnte er auch gleich noch bei Buddys Baumarkt vorbei. Er brauchte Putz- und Schleifpapier für den Dachboden. Da konnte er die Farbe auch gleich mitnehmen. Ein Ausflug in die Stadt weniger. Vielleicht würde er seinen Bruder aufspüren und mit ihm einen Kaffee trinken, falls der Zeit hatte.

„Noah, Sie können dann durchgehen.“

Er ging durch den kurzen Flur zur ersten offenen Tür links und klopfte an den Rahmen.

Walt stand hinter seinem unordentlichen Schreibtisch auf und streckte die Hand aus. „Noah, komm doch rein.“

Noah schlug ein. „Schön, Sie zu sehen, Sir.“

Walt gewann zwar den Kampf gegen das Gewicht, der oft mit einem Schreibtischjob einherging, die Schlacht gegen seinen Haaransatz verlor er aber offenbar.

„Danke, dass Sie mich so kurzfristig empfangen können. Sie stecken doch sicher wegen der Steuerfristen bis über beide Ohren in Arbeit.“

Walt zog sich seine Gleitsichtbrille von der Nase. „Dieses Jahr habe ich etwas Hilfe dabei. Junger Hüpfer, frisch vom College. Bringt mich noch ins Grab.“

Noahs Mundwinkel wanderten nordwärts.

„Jedes Mal, wenn ich dich sehe, siehst du mehr aus wie dein Vater“, sagte Walt. „Gutaussehender Teufelsbraten. Setz dich doch. Wie geht’s deinen Eltern?“

„Die genießen ihren Ruhestand. Diese Woche sind sie in Las Vegas. Letzte Woche waren sie in der Sierra Nevada wandern. Wer weiß, was sie nächste Woche machen.“

„Das freut mich für sie. Darauf haben sie sich schon lange gefreut.“

„Oh ja. Wie geht es Ihrer Familie?“

„Alles bestens. Hier, das ist mein neuestes Enkelkind.“ Er reichte Noah das gerahmte Foto eines Neugeborenen, fest eingewickelt und rosig. „Lori Ann, nach meiner Frau.“

„Herzlichen Glückwunsch. Sie ist eine echte Schönheit.“

„Das ist sie, ja.“ Walt stellte das Foto wieder an seinen Platz. „Also, was kann ich für dich tun, Noah? Brauchst du dieses Jahr Hilfe mit deiner Steuererklärung?“

„Das ist es eigentlich nicht.“ Er zog den Brief aus der Hosentasche und reichte ihn über den Schreibtisch. „Den hatte ich heute in der Post. Ich hatte gehofft, Sie könnten mir raten, wie ich jetzt weitermachen soll.“

Walt setzte seine Brille wieder auf. Beim Lesen runzelte er die Stirn.

Eine ganze Stunde schien zu vergehen, bis der ältere Mann endlich aufschaute und Noahs Blick über den Brillenrand erwiderte. „Wann wurde deine Scheidung denn zum Abschluss gebracht, Noah?“

Scheidung. Würde er sich je an das Wort gewöhnen? „Vor dem Januar im fraglichen Steuerjahr.“

„Dann war die getrennte Veranlagung natürlich richtig.“ Sein Blick fiel wieder auf den Brief.

„Wie kann ich das in Ordnung bringen?“

„Nun, falls das hier auf einem Fehler beruht, schickst du ihnen eine Kopie des endgültigen Scheidungsurteils, und die Angelegenheit hat sich erledigt.“

„Was meinen Sie mit ‚falls‘ das auf einem Fehler beruht?“

Walt reichte ihm den Brief zurück. „Vielleicht solltest du bei deinem Anwalt nachfragen, nur, um sicherzugehen, dass alles ordentlich unter Dach und Fach ist.“

Noah blinzelte. „Natürlich ist es das.“

„Nun, sicher. Dann schickst du denen einfach eine Kopie des Scheidungsurteils, und das war’s dann.“

Das war’s dann. Die Scheidung war unangefochten gewesen, einfacher hätte es wohl nicht sein können, nahm er an. Aber nichts war einfach, wenn es darum ging, ein Fleisch zu trennen. Wenn er bei dem Ganzen irgendetwas gelernt hatte, dann das.

Das Klingeln des Telefons im Vorzimmer weckte Noah aus seiner Benommenheit. „Alles klar. Vielen herzlichen Dank, Sir. Dann werde ich Sie jetzt nicht länger aufhalten.“ Er stand auf. Seine Knie zitterten.

„Viel Glück, Noah. Grüß deine Eltern von mir, wenn du sie das nächste Mal siehst.“

„Mache ich.“

Noahs Herz raste, während er den Flur hinunterging. Ihm drehte sich der Kopf.

Das Scheidungsurteil. Er hatte diese Unterlagen. Er hatte sie unterschrieben, und Josephine hatte ihm eine Kopie davon geschickt. An so viel erinnerte er sich, auch wenn diese trauerbehafteten Monate so neblig waren wie das Tal an einem Frühlingsmorgen. Sich Josephine an dem alten, abgewetzten Tisch gegenüberzusehen. Sich wie Fremde zu fühlen, obwohl sie fast zwei Jahre verheiratet gewesen waren. Ihre Porzellanhaut ein blasser Kontrast zu ihrem roten Lippenstift. Wie im Wahn zu arbeiten, das Essen zu vergessen. Nacht für Nacht in seinem leeren Bett zu liegen, mit einem Betonklotz auf der Brust.

Das Scheidungsurteil. Er konnte nicht sagen, wo genau es jetzt gerade war, aber er wusste, dass er es hatte.

Es war alles nur ein Fehler. Aber es ergab keinen Sinn, den ganzen Weg zurück auf den Berg zu fahren, wenn er nur ans andere Ende der Stadt musste, um sicherzugehen. Er würde bei seinem Anwalt eine Kopie anfertigen lassen und sie abschicken, solange er noch in der Stadt war. Es hinter sich bringen. Stante pede.

Auf dem Gehweg wandte er sich nach links und marschierte zu seinem Silverado. Es war viel Verkehr in der Stadt, weil alle ihre Erledigungen machten. Als er die Büroräume von „Connelly Law Office“ erreichte, bog er auf den Parkplatz ein und eilte nach drinnen.

„Noah, schön Sie zu sehen.“

„Ich war mir nicht sicher, ob Sie heute geöffnet haben.“

Die Männer schüttelten die Hände. Joes Partner, Vernon, hatte sowohl Noah als auch Josephine in der Scheidungsangelegenheit vertreten. Aber ein ernster Herzinfarkt hatte den Mann kurz darauf in den Ruhestand und nach Colorado befördert, wo er es genoss, Zeit mit seinem Sohn und seinen Enkeln zu verbringen.

„Heutzutage muss man auch samstags geöffnet haben, wenn man im Geschäft bleiben will. Meine Sekretärin hat die Grippe und ist zu Hause. Setzen Sie sich doch. Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee oder Tee anbieten?“

„Kaffee klingt gut.“

Joe goss eine Tasse ein und reichte sie ihm. „Kommen Sie mit. Ich arbeite gerade an einer eidesstattlichen Erklärung, nichts, was nicht warten könnte.“

Noah folgte ihm und atmete tief durch, versuchte, seine Nerven zu beruhigen. Lag das nur an ihm, oder roch das Gebäude tatsächlich wie ein Ort, an den Ehen kamen, um zu sterben?

Er setzte sich Joe gegenüber – an einen Schreibtisch, der einen völligen Kontrast zu Walts darstellte. Außer einen winzigen Stapel Papiere und einem Stifteköcher war nur glänzendes Mahagoni zu sehen.

Joe faltete seine Hände auf der Tischplatte. „Was kann ich für Sie tun, Noah?“

Zum zweiten Mal an diesem Morgen zog er den Brief aus seiner Hosentasche und erklärte die Situation.

Joe hörte aufmerksam zu, seine habichtartigen Augen aufmerksam auf Noah gerichtet. „Ich verstehe“, sagte er, als Noah zum Ende kam. „Na, hoffen wir, dass die Steueraufsicht sich irrt – wäre nicht das erste Mal. Erinnern Sie sich daran, das Scheidungsurteil unterschrieben zu haben?“

„Ja. Ich habe eine Ausfertigung zu Hause.“ Möglicherweise war er im Laufe des Prozesses nicht so aufmerksam gewesen, wie er es hätte sein sollen. Er hatte in einem Tunnel gesteckt und das überwältigende Bedürfnis verspürt, die ganze Kleinarbeit Josephine zuzuschieben. Sie hatte es ja schließlich darauf angelegt.

„Ein Scheidungsurteil ist endgültig vollzogen, wenn beide Parteien, und abschließend auch der Richter, es unterschrieben haben.“

„Der Richter?“ Noah rieb sich mit der Handfläche den Hals und fühlte sich wie ein unglaublicher Trottel. „Ich kann mich nicht an die Unterschrift eines Richters erinnern, aber ich habe auch nicht wirklich darauf geachtet.“

„Nun, das Gericht ist geschlossen, aber wir können auf jeden Fall in unseren Unterlagen nachschauen.“ Joe stand auf und ging zu einer Wand mit Aktenschränken hinüber. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Vernon das durchgegangen ist.“

„Unser Prozess kam gerade zum Abschluss, als er seinen Herzinfarkt hatte.“

Joes Finger tasteten sich über die Aktenordner. „Er ist vor seinem Umzug noch einmal ins Büro gekommen, um ein paar lose Enden seiner Fälle zu verknüpfen. Ich nehme an, die Möglichkeit besteht, dass das Scheidungsurteil übersehen wurde.“ Joe zog eine Akte hervor und schloss die Schublade. „Wollen doch mal sehen, was wir hier haben.“

Noahs Herz pochte gegen seine Rippen, während Joe durch die Unterlagen blätterte. Bitte, Gott. Er war nur in die Stadt gekommen, um ein paar Erledigungen zu machen. Wie konnte das jetzt nur passieren?

Joe zog einen Stapel aus der Mappe. „Also, hier ist eine Kopie des Urteils.“

Noahs Lungen leerten sich. „Gott sei Dank.“

„Also … immer mit der Ruhe“, sagte der Rechtsanwalt, der schnell zur letzten Seite vorblätterte. „Es ist nicht vom Richter unterschrieben.“

Noah sank in seinem Stuhl zusammen.

„Hier ist eine Notiz, die besagt, dass Vernon Josephine am 28. September eine Ausfertigung übergeben hat. Wenn der Richter unterschrieben hat, schicken wir beiden Parteien eine Kopie und behalten eine für unsere Akten. Nachdem nun keine solche Ausfertigung hier vorliegt, ist sie wohl nie dem Richter vorgelegt worden. Sie können das am Montag im Gericht überprüfen, um ganz sicherzugehen, aber es sieht so aus, als wäre Ihre Scheidung nie abgeschlossen worden.“

Ihm entfuhr ein nervöses Lachen. „Ich kann nicht glauben, dass das gerade passiert.“

Joe legte Noah eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß, das scheint schlimm zu sein, aber das lässt sich leicht beheben. Die Scheidungsangelegenheit ist möglicherweise noch in der Schwebe. Das passiert öfter, als Sie sich vorstellen können. Seien Sie nur einfach froh, dass keiner von Ihnen beiden wieder geheiratet hat. Und ja, auch das kommt tatsächlich vor.“

Leicht beheben.

Die Worte sprangen in Noahs Kopf hin und her, während er das Büro verließ. Joe hatte gut reden. Der war ja nicht, ohne es zu wissen, die letzten achtzehn Monate mit der Frau verheiratet gewesen, die seine Welt zertrümmert hatte. Der war ja nicht von der Frau, die er mehr liebte als sein Leben, völlig im Stich gelassen worden – jetzt zum zweiten Mal.

Josephine. Du bist immer noch mit ihr verheiratet. Sie ist immer noch deine Frau.

Sein verräterisches Herz tat einen besonders schweren Schlag, gefolgt von einem schnellen Stottern. Sehnsucht brandete auf, stark und unerbittlich, machte seine Brust eng und das Atmen schwer.

Die reflexhafte Reaktion brachte sein Blut zum Kochen. Dass sie immer noch so viel Macht über ihn hatte … Würde es nie aufhören? Was war er nur für ein Idiot?

Das war alles ihre Schuld. Sie hatte versprochen, das abzuwickeln. Und hier waren sie nun. Achtzehn Monate später und immer noch verheiratet.

Irgendwie hatte er für die Dauer ihres endlosen Scheidungsprozesses einen Deckel auf seinen Gefühlen gehalten. Hatte sie einfach blockiert, die Zähne zusammengebissen, seine Lippen verschlossen. Wenn sie wusste, dass er am Boden zerstört war deswegen, dann nicht, weil er vor ihr zusammengebrochen war. Wenn sie von dem Zorn wusste, der in seinem Inneren brodelte, dann nicht, weil er ihr gegenüber gewütet hätte.

Aber die Gefühle, die jetzt in ihm tobten, bettelten darum, freigelassen zu werden. Und seine Füße, die jetzt zielstrebig über den Gehweg schritten, schienen dieser Macht gegenüber hilflos. Diesmal würde sie ganz genau wissen, wie er sich fühlte.

Hüter meines Herzens

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