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Gratulation und Applaus

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an alle, die hier so vortrefflich bemerken konnten, dass es sich bei diesem Zitat eines altbackenen Sprichworts um eine fehlerhafte Schreibweise handelt.

Aber ich bitte sie, diese Textstelle habe ich unverfälscht gelassen, um die Wirkung der Worte zu demonstrieren, haben sie also lieber ein Augenmerk auf das Gesagte, und versuchen sie zu erkennen, welch verwirrter Geist der Verfasser damals war.

Hin und her gerissen zwischen Einsicht eines Fehlers und völlig desolater Verdrängung.

Wäre ich nicht mit eigener Haut beteiligt und würde den geschehenen Schmerz noch heute fühlen, ich könnte es kaum glauben. Tatsächlich brach ich mir den Arm. Mein Ideenreichtum in Sachen Selbsthass und Aggression war so absonderlich wie genial. Ich möchte anmerken, dass ich nicht aus Bewunderung derart Worte wähle, sondern lediglich erkenne, das mein heutiges Potential zur Kreativität schon in vollem Maße vorhanden war, bevor ich erwachsen wurde, nur war mir vergönnt es zu Sinnvollerem einzusetzen als zum Beispiel dieses: Ich schrieb anschließend:

Tut ziemlich weh, wusste ich’s doch. Habe meinen Arm durchs Treppengeländer gesteckt, ganz unten, die letzten beiden Balken. Hab den Arm so doll es ging dagegen gepresst und dann einfach mit meinem Bein dagegen getreten, also von außen herum.

Is einfach weg geknickt Hatte ja erst Bedenken, ob das Holz das aushält, aber das hat nich mal geknackt. Die Knochen schon, sind am Unterarm durch die Haut gekommen, ganz glitschig voller Blut und komischen weißen Fäden. Sehnen waren das, hat der Arzt erklärt. Vom Blut is mir ganz schwindelig geworden und ich musste mich hinsetzen. Meine Mutter hat das Sitzen nicht gereicht, sie hat sich gleich hingelegt, aber mein Vater hat den Krankenwagen gerufen.

Ich sagte natürlich ich wäre die Treppe runter gefallen und dabei im Geländer stecken geblieben. Habe auch den linken Arm genommen, weil ich ja mit Rechts noch Schreiben muss, obwohl ich gar nicht so genau weiß, warum eigentlich? Irgendwie finde ich das richtig.

Einen ganzen Absatz und eine Auswahl kleinerer Flüche die ich an jenem Tag noch darüber schrieb, dass der Arm in Gips war, und das es furchtbar jucken würde, habe ich mir erlaubt wegzulassen, es ist nicht dienlich weitere Ausschmückungen vorzunehmen. Es ist wohl klar erkennbar, dass diese Zeit eine der Höhepunkte darstellt, in dem was ein junger Mann, der mit sich selber nicht im Reinen ist, fähig ist zu tun.

Dennoch, es gab eine Steigerung, ich folgte dem Kaninchen tiefer in den Bau und achtete dabei trotzdem nicht darauf, das es schrie wir würden zu spät ans Ziel gelangen, denn mein Ziel war mir nicht bekannt. Ich möchte kurz im weiteren Verlauf innehalten, um einen Sprung in die Vergangenheit zu tun. Ich mache einen Zeitsprung durch meine Erinnerungen um ihnen vor Augen zu führen, zu welch interessantem Verhalten ein Junge im Alter von sieben Jahren sein kann.

Natürlich gibt es wie sie sich denken können, keine Aufzeichnungen aus dieser Zeit, denn ich begann das Tagebuch ja erst zehn Jahre später, aber ich will versuchen diesen Tag, dessen ich mich entsinne, in ähnlicher Form aufzuführen, wie es meine bisherigen Zitate waren.

Es steht wohl außer Frage, dass sie mir das Vertrauen schenken müssen, dass alles Gesagte der Wahrheit entspricht und sie nicht etwa Zeuge der Hirngespinste eines Insassen der Psychiatrie werden. Der menschliche Geist und das Bewusstsein ist zu immens abstrusen Vorstellungen befähigt. Man kann nur erahnen was man sich mit genügend Phantasie vorstellen kann. Ich bin jedoch durchaus in der Lage ihnen Realität und Fiktion in ganz voneinander abgewandter Form anzubringen.

Es passiert manchmal, dass … nein, warten sie …

Streichen sie einfach den letzten Satz aus ihrem Gedächtnis, es tut nichts zur Sache, ich möchte ihnen lediglich aufzeigen, wie mein Leben verlief, bevor es begann.

Als ich sieben war und zu Besuch bei meinen Großeltern: Sie hatten einen kleinen Gemüsehandel mitten in der Stadt:

Oma hat Apfelkuchen gebacken, der is lecker, mit Zimt. /...

Nein, halt, so funktioniert das nicht, ich kann einem Siebenjährigen nicht den notwendigen Ernst verleihen, den es braucht, um ein Tagebuch zu verfassen. Das tut man als Jugendlicher, als Leser der Bravo, in den Jahren in denen man die Sexualität entdeckt, nicht im Kindesalter. Wer von Ihnen hat mit sieben Jahren ein Tagebuch geschrieben?

Ich werde dazu übergehen es zu verschieben, mir die Geschichte noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Es ist lange her, ich werde eine neue Formulierung ausarbeiten. Bis dahin fahre ich fort mit der Weitergabe des Geschriebenen aus meiner Zeit als ich mit Gipsarm sowie einer Tüte Chips Zuhause saß und mich langweilte:

Meine Eltern wollen dauernd mit mir darüber reden, was ich denn nach der Schule machen will. Damit sie mir nicht mehr auf den Senkel gehen habe ich gesagt ich würde mich ab nächster Woche bewerben. Will natürlich was geradliniges, bodenständiges lernen, wie mein Vater. Der ist seit ungefähr tausend Jahren Industriekaufmann.

Aber ich habe gesagt ich will ins Handwerk, Maler oder Fliesenleger oder so was, um den Menschen zu helfen ihre Häuser zu bauen und so.

Ich glaube vorerst haben die´s geschluckt.

In fünf Wochen krieg ich den Gips runter, die Ärzte haben mich nicht im Krankenhaus behalten wollen, wäre nicht nötig sagen sie. Warum Alexandra bleiben musste weiß ich aber nicht, ich habe mich nicht getraut zu fragen.

Schade, es ist schönes Wetter und seit Montag ist der See wieder freigegeben, aber mit einem Arm kann ich nicht Schwimmen. Was soll’s, ich werde mich einfach ans Wasser setzen und Jacqueline und den anderen Weibern zusehen. Hoffentlich haben die alle Bikinis an.

Es fällt mir heutzutage beinahe leicht das zu erzählen, aber damals hätte ich keiner Seele gegenüber zugegeben, dass ich als siebzehnjähriger Halbstarker noch kein einziges Mal eine Freundin hatte. Genauer gesagt hatte ich nicht einmal die leiseste Gelegenheit gehabt, auch nur ein Mädchen zu küssen.

Mir ist nie klar geworden, ob mich überhaupt jemand gemocht hat, da ich mich ja ohnehin lieber abgeschottet habe, oder mit plumpen Wiederworten auf meine Mitmenschen reagierte.

Das wirklich erste Mal, dass sich anscheinend ein Mädchen für mich interessierte war dann sogar nur eine Finte.

Ich wurde lediglich Opfer eines blöden Streiches, gekoppelt an eine noch blödere Wette. Das war auch das erste Mal, dass ich direkt mit dem Gesetz in Konflikt geriet. Die Jungen und Mädchen, die sich mit mir einen Scherz erlauben wollten, hatten unmöglich mit meiner Reaktion rechnen können. Das Folgende an Sie weiterzugeben stellt einen ungeheuer hohen Vertrauensbeweises dar, den sie hoffentlich zu würdigen wissen, aber auch wenn nicht, ich mag Sie, ...glaube ich.

Doch, ja. Sie sind mir sympathisch, denn Sie interessieren sich für mein Leben, also für das Leben, das einst war. Das gebührt meinen Respekt.

Ein späterer Eintrag stammt aus dem selben Jahr, aber mittlerweile war ich volljährig geworden, noch immer ohne Führerschein und noch ebenso voller Selbsthass.

Über meine Verhaftung und die Zeit im Richterzimmer gibt es seltsamerweise keine Aufzeichnungen, Terry war wohl damals so voller Wut, dass er selbst zum Schreiben nicht die nötige Ruhe aufbrachte.

Im Spätherbst war alles überstanden und er begann die Dokumentation seines ungeliebten gelebten Lebens wieder aufzunehmen:

Mutter und Vater haben mir nahegelegt auszuziehen. Sie sagen sie kommen nicht mehr mit mir zurecht. Mutter sagte auch sie habe Angst vor mir. Ich verstehe sie, manchmal habe ich selbst Angst vor mir. Vater sagt er kann mit Geld, dass er zurückgelegt hat, eine kleine Wohnung kaufen, die er mir Mietfrei überlässt, bis ich Arbeit habe.

Falls ich jemals Arbeit habe, hätte meine Antwort sein sollen, aber ich blieb stumm.

Hätte ja doch keinen Unterschied gemacht, was zählt hier schon meine Meinung, interessiert mich schließlich auch nicht. So werde ich also ausgesondert, abgeschoben, verfrachtet in eigene vier Wände, ohne den leisesten Schimmer davon wie man auch nur ein Süppchen kocht.

Der Richter hätte mich besser in den Knast schicken sollen, da bekommt man sein Essen vorgesetzt.

Aber ein Gutes hat die Sache: So kann ich mir sicher sein nie wieder gestört zu werden wenn ich mich mit mir selbst beschäftige. Sind doch eigentlich ganz hübsch die Narben.

Sie werden ungeduldig? Haben Fragen? Ich verheimliche nicht, dass diese Reaktion mir durchaus zusagt. Ja, ich erfreue mich sogar daran, mir ihr Gesicht vorzustellen, wie sie jetzt grübeln, wie das Ganze eine solch drastische Wende annehmen konnte. Aber sehen Sie, … oder halt, ist es nicht an der Zeit ihnen das Du anzubieten?

Ich glaube du hast nichts dagegen, und wenn? Du kannst es mir sicherlich schlecht mitteilen, denn ich sitze mit ziemlicher Sicherheit nicht neben Dir!

Nun, wo war ich? Ja richtig. Du willst sicher wissen warum Terry denn überhaupt eines Verbrechens angeklagt wurde, und wenn nicht Gefängnis oder Jugendhaft, wie es korrekt ausgedrückt wäre, die Konsequenz war, was dann?

Aber nur keine Sorge, du wirst dich zwar ein Weilchen gedulden müssen, doch all deine Fragen werden zur Genüge beantwortet. Die Narben allerdings sind verheilt, nicht einmal die auf der so geschundenen und gequälten Seele meines früheren Selbst haben dem standgehalten, was mir vor einem Jahr zuteil wurde. Ich muss noch einmal den Lauf der Geschichte unterbrechen um anzufügen, dass es mir eine Freude wäre meine großartige Erfahrung Aug` in Aug` mit Ihnen, nein, Dir zu teilen.

Es schmerzt nicht wenig, zu wissen, dass nicht andere von so viel Glück berichten können, wie ich es zu tun vermag. Doch leider, und du wirst es dir denken können, was nun folgt, hat dieses Glück vor langer Zeit einen hohen Preis gehabt.

Die Wohnung gefällt mir nicht. Kaum eine gerade Wand, überall Fenster, ein morastiges, stupides Loch unter dem Dach eines Mehrfamilienhauses. Zu mehr hat’s nicht gereicht für unseren Industriesuperfachidioten. Aber ich habe mich natürlich gefreut, habe fein lieb danke gesagt.

Die Möbel sind alle schon dorthin gebracht worden, auch mein Bett. Noch heute Nacht und morgen und die kommenden Nächte schlafe ich darin unter nicht sichtbaren Steinen, fremden Balken und in mir unbekannten Zimmern.

Mein leeres Dasein bekommt eine neue Verpackung, die fahle Scheinwelt bleibt erhalten.

Vielleicht kann ich ja Dichter werden wenn’s zum Maler nicht reicht.

Erstaunlich zu welch komplexen Gedanken ich doch damals schon imstande, und doch fern ab jeglicher Normalität meine Überlegungen meine Zukunft betreffend waren.

Ja, manch einer mag denken die Geschichte nimmt noch einen guten Verlauf, eigene Wohnung, zur Selbständigkeit mehr oder minder gezwungen.

Doch weit gefehlt mein Freund, die Wahrheit ist unendlich viel schmerzlicher.

Man könnte auch sagen willkommen in meiner Welt. Sie kennen sich, … oh ja, wir waren beim Du.

Du kennst dich mit Quantenphysik aus? Nein? Doch? Ich weiß es nicht, kann es nicht wissen. Bingo! Das ist bereits Quantenphysik. Es tritt eben in diesem Moment eine Wechselwirkung auf, eine Interaktion zwischen dir und mir. Aber weder für den Einen noch den Anderen ist es im Moment von Belang, ob oder wie. Kannst du mir folgen? Ganz egal, es ist bereits geschehen. Werfen wir also wieder einen Blick auf das, was ganz anders als ein Quantum von einem gewissen Verhalten und einer festgesetzten sowie veränderlichen Sinneswahrnehmung, abhängig ist.

Es ist erstaunlich wie leicht man sich da zu verwirrenden Überlegungen verleiten lässt, nicht wahr?

So geschehen auch meinem mir wohl bekannten aber dennoch vergangenem Ich, in einer Zeit, die sowohl vergangen als auch gegenwärtig ist, denn bedenke mal, dadurch, dass ich jetzt darüber berichte ist diese Zeit lebendig, im Hier und Heute also tatsächlich vorhanden:

Vorbei. Aus und vorbei. Wofür sollte es sich eigentlich überhaupt lohnen zu arbeiten? Das was man verdient schmeißt man doch nur anderen in den Rachen?! Ich habe tatsächlich einen Einstellungstest gemacht. Ich kapiere beim besten Willen nicht wozu diese Tölpel meinen, ich müsse als Zweiradmechaniker etwas über die Erfindung des Rades wissen, es ist halt irgendwann mal nem tollen Typen eingefallen, aber was kümmert´s mich?

Ich soll doch an den Dingern herumschrauben, die es schon gibt, total egal, woher die kommen, oder seit wann. Ich lebe doch heute. Ja, ich lebe immer noch. Bald werd ich neunzehn, wohne jetzt seit sieben Monaten allein und habe beinahe keine Lust mehr überhaupt in irgendeinem Beruf unterzukommen.

Die Scheiß-Gesellschaft arbeitet ohnehin nur gegen mich. Es ist mir echt unangenehm mich direkt mit Menschen zu unterhalten und ich bemerke, dass die es auch bemerken. Die meisten sind so durchsichtig, und doch keine Diamanten.

Sie sind nicht mal fähig überhaupt zu erkennen wen sie vor sich haben, weil sie in ihrer Überheblichkeit nur ihre Stellung sehen, anstatt darüber nachzudenken, wer sie wirklich sind. Aber was interessiere ich mich dafür? Ich werde nicht mehr sein, wenn die noch immer glauben sie wären super.

Du denkst jetzt ganz bestimmt du hast schon alles durchschaut, hmm? Klar, der arme arme Junge kommt nicht klar und wie absehbar, der bringt sich sicher um.

Sicher?

Nun, möglich, wenn man so die Aussagen die er zu Buche führt aneinanderreiht sieht es schwer danach aus, als hätte Terry große Lust sich umzubringen. Auch habe ich ja anfangs eingeworfen, dass ich tatsächlich starb. Aber aufgepasst, kleiner Tipp von mir, um den weiteren Verlauf der Geschichte auch „genießen“ zu können, ohne sich mit Vorahnungen selbst zu beweihräuchern: Ich erwähnte bereits, dass ich mich derzeit in einem Alter befinde, das ich festlegte mit siebenunddreißig Lenzen. Ich begann auch meine Exkursion in meine Vergangenheit mit der Feststellung, dass mein Leben vor einem Jahr begann. So weit so gut, das musste eigentlich nicht wiederholt werden, aber denk mal drüber nach.

Jedenfalls kam es wie es kommen musste, um an dieser Stelle mal einen total stupiden Satz einzuwerfen, der nicht nur einen berühmten Songtext rezitiert, sondern mir als Überleitung gerade recht unpassend erscheint, ergo: Nehme ich.

Habe mir einen Iro geschnitten. Bin zum Vorstellungsgespräch in zerrissenen Jeans und Lederjacke gegangen. Beim Betreten des Büros vom Chef hab ich mir extra ne Kippe angezündet und mich total plump auf den Stuhl fallen lassen. Ich dachte, wenn die mich einstellen, muss das der toleranteste Laden sein, den es auf dieser beschissenen Welt gibt. Ich konnt es echt nicht glauben, als der Chef reinkam und mich total relaxed fragte ob ich nen Aschenbecher bräuchte.

Der fragt was ich so die letzten Monate getrieben habe, ich hab gesagt: „Gefeiert, gesoffen und vor der Glotze gehangen.“ Ich hätte zu gern mein eigenes Gesicht gesehen als ich zur Antwort bekam:

„Gut, dann ist’s jetzt vorbei mit dem Feiern, kannst am Montag anfangen!“

Heute ist Donnerstag, wenn mir also nicht ein Laster beide Füße abfährt, bin ich in drei Tagen ein Drahteselschrauber. Was hab ich falsch gemacht?

Werde mir jetzt meine eiserne Reserve Jägermeister genehmigen und wahrscheinlich ausgiebig duschen, oder umgekehrt.

Ich denke gerade, ob es nicht eine total überflüssige Erfahrung war, als Neunzehnjähriger das Rauchen und Saufen anzufangen. Die Phase machten Jungen und Mädchen wie Nicholas Cage, John Travolta und deren Gespielinnen Alexandra, Jacqueline, Kerstin, Johanna und Christine bereits mit Fünfzehn durch.

Aber ich hatte damals nie dazugehört, wollte nicht dazugehören und war somit außen vor, was das anging. Nur zu deinem besseren Verständnis, die Aussage über das Feiern und abhängen war eine glatte Lüge, ich log mir damals so gern einen in die Tasche, dass ich nicht nachvollziehen kann, warum mir nicht die Nähte platzten. Aber Scherz beiseite, mein damaliger Chef hatte einfach schnell durchschaut, dass ich ne Show abzog. Er kannte meine Ergebnisse des Einstellungstests und die waren wider-erwartend gut ausgefallen. Wahrscheinlich waren außer mir einfach noch größere Nullen ins Rennen gegangen und ich hatte deswegen geradezu überragend abgeschlossen.

Um etwaige Missverständnisse auszuräumen, ich bin und war nicht etwa dumm, ich, oder besser gesagt der damalige Terry fühlte sich nur so. Wie sagt man da so schön? Bar besseren Wissens?

Da es nun aus der Zeit meiner Ausbildung keinerlei weitere Aufzeichnungen gibt, werde ich in Kurzform berichten wie sich diese doch recht kurze Zeit gestaltete. Keine Sorge mein Freund, es war so aufregend wie ein Schildkrötenrennen im Regen bei Sonnenuntergang. Was auch erklärt warum Terry wenig Stoff zur Verfügung hatte, den er in seinen Tagebüchern festhalten konnte.

Ist es okay von mir in Bezug auf damals in Dritter Person zu sprechen? Es fällt mir erst gerade auf, dass ich das schon eine Weile so praktiziere. Nun, ich bin nicht gewillt zurückzugehen und es im bereits Geschriebenen zu ändern, somit behalte ich es bei. Deine Antwort darauf kann ich ohnehin nicht hören, möglicherweise gefällt es dir ja.

Eine komplette abgeschlossene Lehre habe ich übrigens bis heute nicht. Meine Zeit in der Werkstatt des Fahrradhandels beschränkte sich auf lediglich dreizehn Monate. Das mir gekündigt wurde lag keineswegs an fehlendem Fleiß, oder gar Unzulänglichkeiten. Ich war recht gut, einigermaßen schnell und kam niemandem in die Quere. Aber etwa in der Mitte des ersten Jahres, kurz vor meinem zwanzigsten Geburtstag war ich so weit, dass ich mich jeden verdammten Donnerstag aus dem Leben schoss. Für alle hier, die weniger vertraut sind mit dem primitiven schroffen Ton jugendlicher Arschgeigen; ich besoff mich bis zur Besinnungslosigkeit.

Aus heutiger Sicht eine Schande, aber damals mein absolutes Highlight der Woche. Die Konsequenz erklärt sich so simpel wie eine Anleitung zum Schuhe zubinden, obwohl ich mir leider den Einwurf nicht verkneifen kann, dass es auch Menschen gibt, die damit hoffnungslos über ... ach was soll’s lassen wir das.

Es folgte jedenfalls einem jeden Donnerstag, ein Freitag. ein unvermeidbares Gesetz der christlichen Zeitrechnung seit nunmehr zweitausend und sieben Jahren.

Lassen sie mich sinnieren, ähm, lass du mich ... richtig, so war es:

Die Lehre begann im April, im August blieb ich zum ersten Mal an einem Freitag der Arbeit fern. Am darauf folgendem Montag wurde ich natürlich angesprochen und erklärte absolut wahrheitsgemäß dass ich kaum ein Auge auf bekommen hatte und bis einschließlich Samstag Morgen das Bett nicht verlassen hatte. Ich vergaß auch nicht zu erwähnen dass der Auslöser die Einnahme einer gewaltigen Menge Alkohol nebst Nikotin gewesen sei.

„Das mir das nicht wieder vorkommt.“ war die entsprechende Ansage und ich versicherte meine Einhaltung. Diese kam kein einziges mal zur Anwendung. Ich fehlte jeden Freitag, machte mir auch bei halbwegs klarem Schädel nicht die Mühe zu spät oder kurz vor knapp noch zu erscheinen, ließ es einfach so laufen. Weder kamen weitere Fragen, noch wurde ich ermahnt. Irgendwie schien klar geworden zu sein, dass es wohl ohnehin keinen Sinn hatte meinem rebellischen Verhalten entgegenwirken zu wollen.

Ach ja, ich will nicht die Frage offen lassen, die möglicherweise deine momentanen Gedanken beschäftigt: Zu meinen Eltern hatte ich keinen Fetzen Kontakt, ließ mich vom Anrufbeantworter verleugnen und öffnete die Tür nicht. Jemand anderes als einer meiner Elternteile war ohnehin nicht zu erwarten. Somit erübrigt sich eine weitere Frage; ich brauchte mir nicht die Mühe machen, nachzusehen wer da meine Klingel ausprobierte.

Jedenfalls zurück zu meinem Job, der mir zwar lag aber nicht einen Tag Spaß machte.

Im Mai war ich eine Woche krank, wirklich krank, lag flach und hatte elende Magenkrämpfe einhergehend mit Durchfall und Erbrechen, das war wohl die einzige Zeit, in der ich jemals ein paar Kilo abnahm. Halt, abgesehen von der Rennerei zum Gerichtssaal.

Als ich wieder genesen war und zur Arbeit erschien schaute mich ein Kollege fragend an und meinte: „Was machst denn du hier? Du bist doch raus!“ Ich begriff, dass ich wohl mal in meinen Briefkasten schauen und dort die Kündigung finden sollte, machte kehrt und wart dort nie wieder gesehen.

Um nun wieder zurück zu den Tagebüchern zu gelangen bedarf es einiger Brückenbauerei, wie ich es mal salopp nennen möchte.

Das erste Mal, dass ich wieder schrieb hing damit zusammen, dass ich endlich von Jacqueline loskam, meine, bis dahin noch immer heimliche Liebe.

Grund für diesen plötzlichen Sinneswandel war ein Mädchen namens Johanna. Wenn du gut aufgepasst hast und ein braver aufmerksamer Leser warst liegt jetzt die Vermutung nahe ich rede über eine Person die bereits im Text genannt wurde. Nah dran, aber nicht nah genug. Meine Johanna war allerdings (ja, die Welt ist so verdammt klein) die Cousine der bereits erwähnten Johanna, die ihrerseits dieser verhassten Clique anhing, über derer Aktivitäten so Einiges aufgeschrieben wurde. Was im Sommer nach dem Rausschmiss aus der Ausbildung bis zu dem dokumentierten Zeitpunkt im Winter geschah ist schnell erzählt: - Nichts.

Die Cousine, die Johanna um die es gleich gehen wird, und seien sie zurecht erstaunt über den Tonfall und die weitgreifende Beschreibung des früheren Terry, hatte mit all dem nichts zu schaffen, und war mir aus diesem Grund auch vor unserer Begegnung nicht bekannt gewesen, papperlapapp – Begegnung, das Ganze spielte sich so ab:

Es ist schweinekalt draußen, aber mir ist heiß. Ich kann nur noch an sie denken, und wie sie mich angesehen hat. Ich war einkaufen und stapfte durch den Schnee, wollte bloß ne Tüte Chips und Bier holen, weil doch heute Abend endlich mal wieder ein guter Film kommt. aber ob ich den jetzt sehe oder nicht ist mir total egal, ich will sie wiedersehen. Ich weiß wo sie wohnt, bin ihr gefolgt, ich weiß wie sie heißt, es stand an der Tür zum Haus ihrer Familie. Johanna. Wie konnte ich nur Jacqueline, dieses hässliche Mädchen lieben? Hanna, werde ich sie nennen wenn sie bei mir sein wird.

Als ich meine Sachen bezahlt hatte und gerade gehen wollte, da kam sie rein in den Laden und diese Hitze, die ich noch jetzt spüre traf mich. Sie hat mich direkt angesehen, hat gelächelt, als würde sie mich kennen. Sie hat nicht gleich wieder fort geschaut Ich glaube ihre Augen sind blau, jedenfalls leuchteten sie wie der Winterhimmel, ihre Haare sind eine Mähne aus blonden herrlichen Locken.

Ich habe draußen gewartet, bis sie ihre Einkäufe hatte und nach Hause ging. sie hat nur Obst gekauft, scheint sich gesund zu ernähren, was ihre perfekte Figur erklärt. Oh man, sie das erste mal nackt sehen wird mich sicher umhauen.

Ich muss aufhören zu Schreiben, brauche noch ein Bier.

Klingt das nicht irgendwie niedlich? An diesem Punkt möchte ich eine kleine Warnung aussprechen an dich lieber Leser. Es fällt dir wahrscheinlich schwer nach dem bisher Gehörtem eine klare Meinung über mich zu haben, wie ich heute bin und wie meine Sicht der Dinge im heutigen Zusammenhang zu den Tagebüchern von Terry aus der Vergangenheit stehen. Nun, das ist beabsichtigt. was würde dich noch dazu verleiten weiterzulesen wüsstest du bereits wohin das Ganze führt?

Aber eins nehme ich vorweg. Beginne nicht Terry zu mögen, auch wenn er süße verliebte Dinge schreibt, mit denen es vorerst weitergeht, sein Geisteszustand jener zeit war äußerst bedenklich, um nicht zu sagen, du wirst ... nein, das wiederum ginge dann doch zu sehr ins Detail, mach dir doch lieber selbst ein Bild. Ach, halt, eines noch. Nimm dir einmal Folgendes vor und begreife was gemeint sein könnte: Prognosen sind besonders schwer, wenn sie die Zukunft betreffen. Was aber ist wenn eine Prognose für ein Ereignis erstellt werden soll, dass in der Vergangenheit spielt, also bereits geschehen ist?

Eigentlich müsste ja hierfür keine Prognose mehr von Nöten sein, sagst du. Aber in speziellen Fällen liegt eine weitere Schwierigkeit vor: Das Vergangene ist dir genauso unbekannt wie das Zukünftige, daher ist eine Prognose zumindest theoretisch möglich.

In meiner mir eigenen Arroganz wage ich jetzt einen mutigen Schritt und empfehle dir, nicht ohne eine Lösung dieses Rätsels das Weiterlesen in Angriff zu nehmen, du wirst sonst hoffnungslos überfordert sein. Terry jedenfalls schien damals wie ausgewechselt. Er war weder überfordert mit der Vorstellung ein Mädchen zu erobern, noch hatte er jedweden Zweifel daran, dass es gelingen würde:

Es ist seltsam. Ich bin gleichzeitig gut gelaunt und unglaublich wütend. Aber ich bin nicht auf irgend wen, sondern nur auf mich selber wütend. Das war früher auch immer so, aber jetzt verstehe ich es nicht. Ich bin doch verliebt, wieso geht es mir dann nicht einfach nur gut?

War seit vier Tagen dauernd einkaufen, war gestern dreimal dort, aber Hanna tauchte nicht auf. Vorgestern habe ich eine Stunde vor ihrer Tür gewartet, doch sie kam weder Heim, noch heraus.

Bin mir nicht sicher, aber ich glaube ich konnte ihre Mutter in der Küche sehen, man ist die fett.

Der Vater fährt nen weißen Volvo. Ob der wohl nett ist? Mein Alter war nie nett, der hat immer bloß bemäkelt, dass ich doch mein Leben... ach egal, er hat ja recht. Aber Hanna findet mich nett, sie hat schließlich gelächelt, hat mich angelächelt.

Ich bin froh, mein Freund, dass ich heutzutage in klaren Bahnen denken kann. Jener zeit passierte allein aufgrund Terrys unangepasster Art der Gesellschaft und seinen Eltern gegenüber kaum etwas Erfreuliches. Doch zumindest eine Sache muss man dem Junior, der übrigens zur Zeit der kommenden genannten Einträge bereits einundzwanzig Jahre alt, monatelang arbeitslos und mittellos war, lassen:

Er, oder wenn du so willst, ich, hatte damals noch kein einziges Wort mit Hanna gewechselt aber trotz dessen eine gewisse Annäherung geschaffen. Das Tagebuch-schreiben hinkte während dieser Spanne ein wenig, so dass sich eine lange undokumentierte Pause ergibt, die ich kurz in Erwähnung bringe, da sich doch mehrere für die folgende Geschichte wichtige Ereignisse nicht einfach unter den Tisch kehren lassen:

So etwa wie der letzte genannte Tagebucheintrag, so verhielt sich Terry permanent. Er beobachtete aus der Distanz seine Hanna. Machte sich sogar einmal daran mit einem Fotoapparat, (den er leider gestohlen hatte) ein Bild von ihr zu machen, aber traute sich nicht nah genug heran. Er verschoss dennoch den kompletten Film, wie ein irrer Reporter hämmerte er den Auslöser herunter. Später ließ er sogar jedes Bild entwickeln, obgleich nicht ein einziges dabei war, auf dem mehr als eine weit entfernte Gestalt, mit dem Rücken zum Betrachter, zu sehen war. Er lernte Hannas Gewohnheiten, und die ihrer Eltern. folgte ihr, dem Vater, der Mutter. Aber nie sprach er sie an, kam nicht einmal in direkten Kontakt, ganz im Widerspruch zu seiner zuvor so zuversichtlichen und mutigen Meinung, Hanna würde ihn sicherlich mögen.

Kennen sie, ähm, kennst du den Begriff Stalker?

Heute weiß ich was ein Stalker ist, anders als damals. Allerdings wage ich die Vermutung, dass Terry seinerzeit durch seine „Liebe“ zu Hanna zum Stalker wurde.

Da ihm dies aber unbewusst anhing und er, also ich, es nie als eine Untat gesehen oder auch nur im entferntesten an meinen durchweg guten Absichten gezweifelt hätte, übe doch bitte Nachsicht mit dem was passiert ist.

Es lag ja so gesehen nicht in meiner Absicht jemandem zu schaden, ich realisierte es nur leider zu spät, dass mein Verhalten, naja, ich will doch nicht zu viel verraten, du wirst noch sehen worauf ich aus bin.

Jedenfalls gab es für Terry annähernd zwei Jahre kaum ein so spannendes Thema, wie Hanna, Hannas Optik, Hannas Gewohnheiten und .. ja Hanna. Irgendwie ist es nicht einfach dir jetzt zu verstehen zu geben, dass er in seiner eigenen Welt sozusagen überzeugt war, bereits ein Teil ihres Lebens zu sein. Dabei hatte sie bisher nichts als ein flüchtiges Lächeln für ihn übrig gehabt und konnte sich wahrscheinlich nicht einmal daran erinnern. Wobei wir wieder bei unserer kleinen Verworrenheit eine gewisse Prognose zu treffen wären: Dass sich eine unausweichliche Katastrophe anbahnen würde, kannst du dir jetzt denken, oder aber, ich überrasche dich mit etwas total unvorhersehbarem. So oder so, du hast bereits bewusst oder unbewusst, ganz egal, deine eigene Prognose erstellt, und das obgleich das was du liest sowohl vergangen ist, als auch für dein Wissen in der Zukunft verborgen liegt. Betitle mich ruhig als Klugscheißer, aber wenn du nicht gerade hinter unser kleines Rätsel gekommen bis, dann... naja, ich möchte schon noch, dass du mein Leser bleibst, also halt ich mich zurück. Heute macht mir das auch keine Mühe, ganz im Gegensatz zu dem Terry, der einst war. Jedenfalls nahm auch die Ära-Hanna ein jähes ende, womit ich hoffentlich in deinem Sinne nicht zu viel verrate.

Dazu schrieb Terry, und dieses Mal erstaunlicher Weise mit exakter Datierung und sogar einem Eintrag über die Uhrzeit:

TERRY

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