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DIE GEISTERBANDE UND DIE GEHEIMNISVOLLE KRAFT
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Idee: Dennis Weiß
Text: Dennis Weiß
©Dennis Weiß 2015- 2017
Besondere Worte
Ich veröffentliche nun seit 2013 Bücher unterschiedlicher Genres, von Fantasybüchern für Erwachsene bis hin zu Kinderbüchern und es macht mir noch genauso Spaß wie zu Beginn. Leser werden wissen, dass ich nicht fehlerfrei bin, aber es geht mir in erster Linie darum, Geschichten zu erzählen und nicht, perfekte Texte zu verfassen.
Ich möchte an dieser Stelle meinen besonderen Dank meinem Sohn Vinzent aussprechen, der bisher alle meine Bücher gelesen und sogar Kritiken erstellt hat. Dann danke ich meiner Familie für die Geduld mit mir.
Nachtgeräusche
Jeder kennt das Schloss des weltberühmten Vampirfürsten Dracula in Transsilvanien. Aber wer kennt das Alte Schloss in Brachenfeld? Obwohl, es handelt sich eher um ein Schlösschen.
Niemand?
Das ging mir auch mal so. Mein Name ist übrigens Tjalf und ich erzähle euch meine Geschichte.
Am Anfang war alles schön. Ich ging in die zweite Klasse und hatte gerade mein Zeugnis bekommen und was soll ich sagen, ich bin einfach ein Musterschüler- Mr. Einstein und habe das Klassenziel natürlich erreicht? Das klingt eingebildet? Warum ich sowas mache? Na ja, weil ich‘ s kann…
Es war also der letzte Schultag und die besten Ferien ever standen vor der Tür, als meine Mutter und mein Vater mir mitteilten, dass wir umziehen werden.
„Wieso das denn?“ fragte ich in der Hoffnung, sie fühlen sich emotional verpflichtet, den Umzugsgedanken zurück zu nehmen, „Wollt‘ ihr mir mein Leben versauen?“
Das wollten meine bestimmt nicht, aber das wusste ich damals natürlich noch nicht.
„Aber Tjalf“, entgegnete mein Vater, „wir haben das doch schon tausend Mal mit dir besprochen.“
Richtig?!
Mein Vater übertreibt dauernd. Ich weiß noch, wann sie mich das erste Mal damit zugetextet haben. Es war etwa vor drei Monaten. Falls mein Vater mir dies tatsächlich tausend Mal erzählt hätte, dann wäre es etwa zehn bis elf täglich (!) gewesen und daran hätte ich mich erinnert. Aber darum geht es nicht.
Meine Eltern wollen einfach nicht kapieren, dass ich schlicht und weg nicht wollte. Da hätten sie es mir auch zehntausend oder sogar eine Million Mal verklickern können. Als ich dann noch zu erfahren bekam, wohin wir ziehen sollten, wollte ich erst recht nicht.
„Wir ziehen nach Neumonster“, verriet Mama, „eine kleine Stadt mitten im Herzen Schleswig- Holsteins.“
„Mit zwei Meeren“, ergänzte Papa, aber ich hatte schon auf Durchzug geschaltet.
Ich hatte es gegoogelt, Mama und Papa sicherlich nicht. Vielleicht waren sie auch zu alt, wahrscheinlich hatten sie schon gelebt als es den Tyrannosaurus Rex noch gegeben hatte und kannten Google nicht.
Höchste Kriminalitätsrate!
Höchste Arbeitslosenquote!
Daher auch die höchste Hartz- Vier- Empfänger Dichte!
Und heimliche Hauptstadt von Neo- Nazis!
Ich meine, schlimmer geht’s einfach nicht mehr! Dachte ich, aber dazu kommen wir später.
„Und wann wollt‘ ihr dahinziehen?“ fragte ich und wollte eigentlich nicht „Schon Morgen, Tjalf“ hören, aber meine Eltern sagten genau das! Oh nein!
„Ich will aber nicht“, machte ich mit verschränkten Armen meine Haltung zu dem ganzen Thema deutlich, „müsst‘ ihr halt ohne mich fahren!“
„Tjalf, das bringt doch nichts“, sprach meine Mama und sie hatte dabei immer so eine ruhige, verständnisvolle und herzliche Stimme, „wir haben dich bereits auf eine andere Schule umgemeldet.“
„Dann meldet mich wieder zurück“, stänkerte ich, „ist ganz einfach.“
„Schatz“, sagte mein Vater zu meiner Mutter, „es bringt doch nichts mit dem Jungen zu diskutieren. Wir müssen mit härteren Mitteln auffahren. Jetzt ist Schluss!“
Und wenn mein Papa das „S- Wort“ benutzte und ich meinte nicht „scheiße“, dann war meist auch Schluss.
„Mein lieber Sohn, es ist an der Zeit“, begann mein lieber Vater und meine Mutter saß stumm daneben, „dass wir Fakten schaffen: Wir fahren nach Neumonster und Basta!“
Bevor ich was entgegnen konnte, legte er etwas auf den Tisch. Aus Trotz schaute ich erst nicht hin, aber als meine Augen, durch ein kurzes Blinzeln, es erspähten, wusste ich sofort, was es war und ich fühlte mich wie im siebten Himmel!
Ich sag nur Cavegame!
Ihr wisst nicht, was Cavegame ist?
Loser.
Nein, im Ernst, entweder ihr seid steinalt oder von einem anderen Stern oder blind, taub und könnt nicht lesen- dann könnte ich es verstehen.
Für alle Newbies. Es ist ein Game für den Spintendo 3DS. Was sage ich…es ist DAS Game… oh ja!
„Und können wir nach Neumonster fahren?“ wollte Mama von mir wissen, „du kannst während der gesamten Fahrt über spielen.“
Was? Ihr denkt jetzt, ich hätte nachgegeben und habe mich wegen eines Games für 40,-€ kaufen lassen? Ihr denkt, ich habe meine Prinzipien aufgegeben?
Was? Ich bin halt käuflich! Nur die Dummen haben Prinzipien, wenn es um Cavegame geht. Fahren wir ruhig nach Neumonster, ich werde von dort aus meinen Kampf fortsetzen und wir werden bald wieder zurückziehen. Die werden schon sehen.
Ich bin dann erstmal raus, Cavegame zocken und melde mich bald zurück.
Der Umzugstag! Ich bin heute Morgen aufgestanden und habe festgestellt, dass ich das letzte Mal in meiner Geburtsstadt geschlafen habe. Das letzte Mal in meinem Stadtteil, in meiner Straße, in unserem Haus und in meinem Zimmer!
Zur Sicherheit schaute ich mir noch mal das Cavegame an, um meinen Preis für das Ganze zu betrachten.
Da mir der Umzug emotional so schwer fiel, brauchte ich natürlich nicht helfen und konnte den ganzen Tag zocken. Erst gegen Nachmittag machten wir uns auf den Weg. Mama musste weinen. Warum zieht sie denn erst um, wenn sie in Wirklichkeit gar nicht will? Ja, ich weiß, Papa hat einen neuen Job beziehungsweise, er wurde versetzt- er ist nämlich Geschichts- und Kunstprofessor an einer Universität und wollte der Karriere wegen nach Neumonster, da sich in dem kleinen Städtchen eine der ältesten Universitäten des Landes befanden- ihr merkt, ich kannte dieses Lied.
Die eigentliche Reise nach Neumonster begann mit einem Stau auf der A7. Und was für einer! Ich meine, wir hätten es kommen sehen können, denn es war Ferienbeginn und das auch noch im Sommer!
Daher glühte der Akku meines Spintendo 3DS und Cavegame könnte gezockt werden bis zum Ende der Reise, aber es geschah das Undenkbare! Das Spiel ging plötzlich aus! Was war los? Erst dachte ich, dass ich aus Versehen gegen den Reset- Button gekommen war, doch die Gewissheit kam mit 130 km/h daher, anders als wir gerade in unserem Wagen auf der Autobahn.
Was sollte ich denn nur machen ohne Cavegame?
„Na, bist du fertig mit Spielen und hast genug?“ fragte meine aufmerksame Mutter.
NEIN! Ich war nur zu blöd, den Akku nicht mehr vor der Reise aufzuladen, da ich den gesamten Tag schon gespielt hatte, war die Wahrscheinlichkeit der Akkuaufgabe sehr hoch, doch meine Spielsucht und meine Angst davor, helfen zu müssen, ließen mich das übersehen.
Ich antwortete meiner Mutter nicht, sondern schaute aus dem Fenster.
„Wir können ja auch ein anderes Spiel spielen“, versuchte sie mich aufzumuntern, denn wie jede Mutter hatte sie ihre berühmte Intuition und roch den Braten natürlich.
„Wie wäre es mit -Ich sehe was, was du nicht siehst-?“ wollte Mama von mir wissen.
„Nö!“ entgegnete ich kurz und knapp und bildete mir tatsächlich ein, sie würde nachgeben, aber ich kenne meine Mutter mein ganzes Leben und ich hätte es wissen müssen, dass sie einen langen Atem hatte.
„Vielleicht Nummernschilderraten?“ fragte sie dann.
Wer das Spiel des Jahrhunderts noch nicht kennt: Entweder errät man die Herkunft der Abkürzung auf dem Nummernschild eines Autos oder man addiert den Zahlenwert (Wortwahl meiner Mutter). Wer die meisten Punkte hat, verliert!
Erneut antwortete ich nichts. Das war mir einfach zu dumm. Hier im Auto hocken, zu einem Ort zu fahren, der mir nicht gefällt und nicht Cavegame spielen können- das war fast wie die Hölle. Das Auto bewegte sich wieder. Irgendwie war ich froh, auch wenn ich eigentlich gar nicht nach Neumonster wollte.
„Wir halten noch mal bei einer Raststätte“, kündigte Papa an, „ich muss mal dringend für kleine Autofahrer. Wir können uns noch etwas Warmes holen und dann geht’s weiter.“
Auch ich nutzte die Zeit, um mich zu erleichtern. Mein Vater war schon fertig und erklärte mir, dass er vorgehen würde.
„Was willst du essen?“ fragte er mich.
Da ich es eilig hatte, antwortete ich schnell.
„Pommes.“
„Nur Pommes?“ wollte mein Vater genauer wissen.
„Ja.“
„Ich frag‘ ja nur“, ließ er mich wissen.
Ich sagte nichts, sondern ging meinem Business nach. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mich völlig allein in der Raststättentoilette befand. Ich dachte nach über den Umzug und ich vermisste meine Freunde! Benny allen voran. Er war mein bester Freund. Wir kannten uns seit dem Kindergarten. Wir waren uns vom ersten Tag an sympathisch und seitdem unzertrennlich. Und nun? Tja, nun sind wir doch getrennt worden. Wie eine umgekehrte Wiedervereinigung. Es wurde getrennt, was eigentlich zusammengehört. Gedankenversunken bemerkte ich erst jetzt, dass jemand hinter mir stand. Es lief mir im ersten Moment kalt den Rücken runter, denn ich hatte nicht mitbekommen, wie die Toilettentür aufgegangen war. Andererseits war ich gerade am Tagträumen. Ich schloss meinen Pinkelvorgang ab und bewegte mich Richtung Waschbecken. Ich konnte aus dem Augenwinkel erkennen, dass es ein Junge war. Etwas jünger als ich, vielleicht fünf Jahre alt. Ich wusch meine Hände und ließ sie trocken föhnen.
Als ich mich umdrehte, war der Junge verschwunden. Erneute habe ich nicht vernommen, dass er den Raum verlassen hat. Dennoch war ich die ganze Zeit damit beschäftigt nachzudenken. Vielleicht hatte ich es deshalb nicht mitbekommen.
„Da bist du ja endlich“, begrüßte Mama mich, als ich in die Gaststätte kam, um meine Pommes entgegenzunehmen.
„Was hast du denn gemacht? Wohl ein dickes Geschäft erledigt, was?“ scherzte mein Vater.
Ich lachte etwas mit, obwohl er diesen Scherz tatsächlich schon tausend Mal gebracht hatte. Die Pommes schmeckten sehr lecker, was man gar nicht von Raststätten- Pommes erwarten würde. Meine Mutter hatte sich einen Salat geholt, der ihr offensichtlich nicht schmeckte, denn sie hatte die Hälfte übrig gelassen. Mein Vater holte sich den „Best- Burger mit Pommes Spezial“ und haute richtig rein, als gäbe es keinen Morgen mehr.
Als Belohnung durfte meine Mutter den Rest der Strecke nach Neumünster fahren, da Papa ins Suppenkoma fiel. Irritierend ist hier vielleicht der Begriff „Suppe“- es müsste eher „Pommes- und Burger- Koma“ heißen.
Wir verließen das Lokal und ich stieg wieder in das Auto. Es ließ mich sofort daran erinnern, dass ich immer noch kein Cavegame spielen konnte, So weit weg von einer Ladestation! Meine Mutter stellte das Auto auf sich ein, richtete Spiegel und Sitz und wir fuhren los. Als wir wieder auf die Autobahn wollten, mussten wir stehen, da uns keiner reinfahren ließ bei dem Stopp and Go.
„Schau mal“, sprach meine Mutter, „manche fahren wie die Idioten.“
Sie zeigte auf ein Kreuz aus Holz, welches am Straßenrand, links von mir stand. Darunter waren viele frische Blumensträuße. Auf dem Kreuz stand:
„Gott hat dich zu früh von uns genommen. Wir halten dich ewig in unseren Herzen.“
Ich sah das Foto, welches direkt an das Kreuz gestellt war und es ließ mich erschaudern! Das war doch der Junge von der Toilette?! Ich schaute auf das Geburtsdatum und das Sterbedatum und rechnete. Er wäre knapp sechs Jahre alt gewesen. Kann das sein?
Meine Mutter nutzte die nächste Lücke und wir bewegten uns weiter. Es dauerte etwa eine viertel Stunde, ehe wir uns mit angemessener Geschwindigkeit auf der Autobahn bewegen konnten. Der Junge aber ging mir nicht aus dem Kopf. Immer wieder verglich ich das Foto mit der Begegnung auf dem Klo und er kam mir jedes Mal noch ähnlicher vor. Und jedes Mal wurde mir mulmiger bei dem Gefühl, dass es stimmen könnte. Daher schlich sich bei mir der Gedanke ein, dass es alles nur Zufall sein konnte. Wir sind ja hier nicht bei „Sixth Sense“.
Mitten in der Nacht kamen wir in Neumonster an. Eine hässliche Stadt. Selbst in der Nacht. Aber vielleicht lag es auch einfach daran, dass ich müde war und dass ich einfach nicht hier sein wollte.
Wir fuhren in eine Gegend, die etwas abgeschieden war, in einen Stadtteil namens Brachenfeld. Als wir am Tor vorbeifuhren, konnte ich von weitem das beleuchtete Schlösschen sehen. Ringsherum waren Bäume, die keine Blätter mehr trugen, mitten im Juli! Das gesamte Gelände schien nicht gerade einen Nährboden zu haben. Mit der Dunkelheit wirkte es gruselig, aber ich hatte keine Angst, denn ich war zu müde.
Warum musste es ein Schloss sein? Und wie kommen Normalsterbliche zu solch einem Besitz, fragt ihr euch? Nun ja, meine Eltern waren schon immer alternativ, schon weit vor den Neunzigern. Meine Mutter ist Tierärztin und mein Vater im Vorstand eines Elektrofachhandel- Riesen. Da verdient man so Einiges und als sie im Internet gelesen hatten, dass man das Alte Schloss abreißen wollte, haben sie es sich gekauft und modernisiert.
So einfach ist das!
Ich hatte keinen Bock auf so ein Dekadent- Alternativ- Leben, aber ich hatte keine Wahl. Ich sah wie ein Mann, gekleidet wie ein Butler und eine Frau, die wie ein Dienstmädchen aussah, auf uns warteten.
„Wer sind die denn?“ fragte ich mit leicht genervtem Ton, den ich wollte keine Sklaven, die für mich arbeiteten.
„Das sind Heinrich und Isabell“, verriet Mama, „er ist unser Diener und sie Hauswirtschafterin.“
„Wieso das?“ wollte ich wissen und regte mich schon mehr auf.
„Der Oberbürgermeister, Herr Taunus, hatte darum gebeten, der sie hatten schon für die Familie gedient, welche hier früher einmal gelebt hat“, antwortete meine Mutter.
Erst jetzt sah ich, wie alt die beiden waren- das war mir aus der Ferne gar nicht aufgefallen. Merkwürdig. Ich beschloss, die beiden wie Menschen zu behandeln und sie als erstes zu begrüßen.
„Hallo“, sagte ich und mir fiel ehrlich gesagt auch nicht mehr ein.
„Moin“, entgegnete mir Heinrich.
„Es ist Nacht, nicht Morgen“, korrigierte ich und wollte aber nicht unhöflich sein und senkte meinen Kopf nach unten, da ich mich etwas schämte, denn ich wollte den Mann wie einen Menschen behandeln und dann verbessere ich ihn als zweite Handlung.
„Dat heest och net Morgn, sonnern Moin“, lachte Heinrich, „dat is Plattdütsch.“
„Heinrich, verwirr‘ den Jungen nicht“, maßregelte Isabell Heinrich, „entschuldigen Sie bitte“, sagte sie dann zu mir und machte einen Knicks, „er vergisst manchmal seine Manieren. Ich bin Isabella. Zu Ihren Diensten.“
Ich wusste gar nicht, was ich damit anfangen sollte, war ich doch keiner, der blaues Blut in sich trug. Daher gab ich ihr die Hand. Dies wiederum irritierte sie, aber die gab mir die Hand. Heinrich nahm indes unsere Koffer und die anderen Dinge, die wir mitgebracht hatten.
„Ist das Schloss etwa bezugsfertig?“ fragte mein Vater und man vernahm ein Erstaunen in seiner Stimme.
„Gewiss doch, mein Herr“, bestätigte Heinrich und verneigte sich.
„Lassen Sie diese vornehmen Gepflogenheiten“, verlangte Papa und machte mit seiner Hand eine Bewegung als wolle er das Benehmen entfernen.
„Wie Sie wünschen“, sagte Heinrich, „aber wir sind zum Dienen verspflichtet und müssen uns den Vorschriften der Dienerschaft unterwerfen, bitte habt Verständnis.“
„Gut“, sprach mein Vater, „geht in Ordnung. Können wir jetzt in unser Heim?“
Heinrich nickte und führte die beiden und mich natürlich auch zum Eingang. Isabell öffnete die großen, mit Blumen und Drachen verzierten Türen und wir gingen hinein.
„Es ist unglaublich“, zeigte sich Mama begeistert und stürmte in den Saal, der mit Kronenleuchtern, alten Bildern von Landschaften, etlichen Verzierungen, einen roten Teppich und anderem Schnickschnack bestückt war.
Mein Vater war sprachlos, was gleichzusetzen war mit Erstaunen. Er konnte seine Freude allerdings nicht mit der Außenwelt teilen.
„Gut, junger Mann“, sagte meine Mutter plötzlich, „du machst dich jetzt bettfertig und dann wird geschlafen.“
Auf einmal fiel mir wieder Cavegame ein und ich hatte einen Plan. Ich würde mich waschen, Zähne putzen und den Spintendo heimlich in einer Steckdose zum Aufladen anschließen, sodass ich heute Nacht weiterzocken kann.
Ich wusch mich besonders gründlich und meine Zähne würden bei meiner Mühe selbst im Dunkeln funkeln, sodass Mama keine Beanstandung hatte, mich nochmals zum Bettfertigmachen zu schicken.
„Das war aber sorgfältig“, lobte meine Mutter mich, ehe sie mir einen Kuss auf die Wange gab.
„Nacht“, sagte mein Vater kurz und knapp, aber das war in Ordnung- Männer machen das untereinander so.
Eigentlich würde ich mich von meiner Mutter nicht mehr abschmatzen lassen, aber Papa sagte mal, dass sie sonst traurig wäre und das wollte ich natürlich nicht. Und solange es keiner meiner Freunde mitbekam, war es okay.
Ich stürmte nach oben und wollte in mein Zimmer. Auf dem Flur begegnete ich Isabell. Sie lächelte.
„Guten Nacht, junger Mann“, sprach sie.
„Gute Nacht“, entgegnete ich, aber war in Gedanken schon bei Cavegame.
Mein Zimmer sah aus wie aus einem Museum, das Dinge ausstellt aus dem 17. Oder 18. Jahrhundert. Ich hatte es kurz betreten als ich vorhin den Spintendo aufladen wollte, aber nicht weiter beachtet. Mir war nur wichtig, dass eine Steckdose vorhanden war- mehr nicht.
Ich schmiss mich auf das Bett und griff nach unten, wo ich die Steckdose vermutete, aber da war nichts. Gut, die Steckdose schon, aber kein Spintendo! Ich schaute nach, um mich abzusichern, aber das noch immer nichts. Jetzt guckte sich unter dem Bett nach- Nichts! Wie kann das sein?
Es öffnete sich die Tür meiner Zimmers und ich erschrak etwas. Ich sah unter dem Bett hindurch und eine Person bewegte sich, mit langsamen Schritten auf knarzenden Boden, auf mich zu. Als ich umdrehte, sah ich sie:
„Mama?“ mein Gott, war ich erleichtert.
Im nächsten Moment wurde daraus allerdings ein schwerer Klos im Hals, denn meine Mutter hatte den Spintendo in der Hand!
„Was hattest du denn damit vor?“ fragte sie mit leicht wütendem Unterton.
„Äh, nichts“, antwortete ich mit noch zittriger Stimme, die von Erleichterung begleitet wurde, denn es war nur meine Mutter und nicht ein Monster!
„Ich nehme ihn erstmal an mich“, teilte sie mir mit, kam zu mir und drückte mir widerwillig einen Gute- Nacht- Kuss auf die Stirn.
Früher wollte sie immer einen auf den Mund, da ist die Stirn schon ein Erfolg.
„Gute Nacht, Tjalf“, sagte sie, „träume schön. Wusstest du, dass der erste Traum in einem neuen Zuhause wahr wird?“
„Mama“, quengelte ich, denn ich mochte es nicht, wenn sie immer so tat, als sei ich ein kleiner Junge, „den Weihnachtsmann gibt es auch nicht, geschweige denn den Osterhasen oder eben diese Traumerfüllung.“
„Ich wollte es nur gesagt haben“, entgegnete sie und schloss die Tür.
Ich zog mich um und legte mich in mein Bett. Es war ziemlich ruhig geworden und ich konnte, obwohl ich meine Müdigkeit spürte, noch nicht einschlafen. Einen Spintendo XXL wünsche ich mir! Es fiel mir ein, als ich über Mamas Worte nachdachte, die mir lustigerweise einfielen. Wer hätte das gedacht, dass ich über das nachdenke, was meine Mom mir erzählt. Ich glaubte natürlich weiterhin nicht daran. Aber falls es doch zu einer Traumerfüllung durch die erste Nacht kam, dann wollte ich mich absichern! Eine Quasi- Traum- Wunsch- Erfüllung. Spintendo XXL. Er war größer, der Akku hielt bei weitem länger, denn wir hätten mit diesem wahrscheinlich zweimal die Strecke Neumonster fahren können.
Jetzt dachte ich an Zuhause. Vielleicht sollte ich mir etwas anderes wünschen, etwas, was ich eigentlich viel lieber wollte als den Spintendo XXL. Ich wollte wieder zurück nach Hause! In mein Zimmer und in mein Bett!
Meine Gedanken wurden von einem trippelnden Geräusch unterbrochen. Ich konnte es zunächst nicht orten und hörte genauer hin. Es musste vom Dachboden kommen oder eine Etage über mir. Eine Stimme in mir rief, dass ich liegen bleiben sollte, da es sich vermutlich um einen Mader handeln würde. Doch es gab eine weitere Stimme, die sagte, dass ich nachschauen sollte. Sie war die Neugier, die am Ende meines inneren Dialoges siegen sollte.
Ich stand auf und schlüpfte in meine Puschen. Langsam und vorsichtig ging ich in Richtung Zimmertür. Ich wollte kein knarzendes Geräusch erzeugen und den Mader somit verscheuchen. In meinem alten Zuhause gab es keine Mader, nicht mal Mäuse!
Ich fand es irgendwie spannend und es lenkte mich ab von meinem Heimweh. Ich öffnete die Tür und lugte heraus. Es war duster und irgendwie fremd. Der Flur, der einfach riesig war, flößte mir Respekt ein, denn ich war zum einen beeindruckt von dem Bauwerk und zum anderen war es mitten in der Nacht und zwölfjährige haben nun mal ein wenig Furcht, wenn sie durch die Dunkelheit ziehen, auch wenn sie neugierig sind.
Ich hielt kurz inne, um erneut nach dem Geräusch zu hören, denn ich hatte lange nichts mehr wahrgenommen. Just in diesem Moment kam es erneut. Ich schaute in die Richtung des Lautes. Es war direkt über mir! Erst in diesem Augenblick bemerkte ich die Dachbodentür. Ich konnte die Dachbodentür nicht erreichen, da sie sich etwa drei Meter über mir befand.
Meine Suche nach einem Öffner lief ergebnislos, sodass ich nach einiger Zeit aufgab, denn ein kräftiges Gähnen signalisierte mir, dass ich sehr müde war und ich beschloss, die Reise für heute zu beenden und ins Bett zu gehen. Ich würde sicher Morgen herausfinden, wie man oben kommt.
Bevor ich einschlief, dachte ich an den Spintendo XXL und versank im Land der Träume.
„Guten Morgen, Tjalf“, begrüßte mich meine Mutter und riss die Vorhänge auf.
Die Sonne knallte mir ins Gesicht und ich konnte vor lauter Helligkeit kaum etwas erkennen. Meine Augen gewöhnten sich an das Licht.
„Mama, was ist los?“ fragte ich, denn meine Mutter war total aufgebrezelt.
Sie trug ein rotes Kleid, dazu rote Pumps und ein Cardigan in schwarz mit weißen Kreisen.
„Liebling“, antwortete sie in einem Ton, der für sie untypisch war, „die erste Nacht ist vorüber und wir feiern.“
Ich war verwirrt und rieb mir meine Augen, da ich annahm, meine Müdigkeit vernebelte mir das Gehirn. Währenddessen überlegte ich angestrengt, was es denn heute zu feiern gebe und ich kam zu keiner Lösung, denn meine Mom würde da nie ein Geheimnis draus machen- sie freute sich immer sehr und wollte eher, dass wir alle vorbereitet waren als dass wir überrascht gewesen wären.
Plötzlich kam mein Paps hervorgesprungen mit einem Paket in der Hand. Er streckte es mir entgegen und grinste wie ein kleiner Junge. Mein Fragezeichen, das sich in meinem Gesicht gebildet hatte, wurde größer und größer.
„Ich verstehe noch immer nicht“, gab ich zu verstehen, aber dies schien meine Eltern nicht zu interessieren.
„Weißt du denn nicht mehr, was du dir sehnlichst gewünscht hast“, fragte mich mein Papa freudestrahlend und da ich diesen Gesichtsausdruck nicht kannte, machte es mir wenig Angst.
„Ähm, ehrlich gesagt nicht“, antwortete ich, denn ich war in dieser Situation überfordert, „kann ich nicht erstmal aufstehen und duschen?“
„Duschen?“, zeigte sich meine Mutter verwundert, „ ach, das ist überbewertet. Das brauchst du nicht.“
„Vor allem nicht, wenn du unser tolles Geschenk ausgepackt hast“, ergänzte mein Vater.
„Nein, ich kann jetzt nicht“, wehrte ich mich, „und will auch nicht!“
„Aber du musst“, sagte Paps und er wirkte als sei er besessen von einem Roboter.
„Genau, Tjalf, du musst…!“ pflichtet meine Mutter ihm bei.
„Der Spintendo XXXXXXXXL wartet“, flüsterte mein Vater.
„Jetzt hast du es ihm verraten“, sprach meine Mutter und schaute meinen Vater dabei an, „aber egal. Das ändert rein gar nichts.“
Sie gingen auf mich zu und packten mich.
„Jetzt wird gefeiert!“ sagten sie immer wieder.
Ich entriss mich ihrer Fänge und wich nach hinten. Leider war dort das Ende des Bettes, sodass ich Richtung Boden fiel und auf meinen Hinterkopf aufkam. Meine Eltern kamen über das Bett und griffen immer wieder nach mir. Ich hielt meine Arme schützend vor meinem Gesicht und versuchte mich zu wehren.
„Tjalf!“ riefen sie, „Tjalf!“
„Tjalf“, rief eine Stimme, „aufstehen. Was ist los?“
Ich öffnete die Augen und schaute mich um. Meine Mutter war in mein Zimmer gekommen und bewegte sich auf mich zu.
„Tjalf, alles in Ordnung mit dir?“ wollte sie wissen und setzte sich auf die Bettkante.
Ich wich sofort zurück und beäugte sie vorsichtig.
„Kein Geschenk?“ fragte ich dann.
Ich wollte prüfen, ob es nur ein Traum war oder ich gleich wieder angelächelt werde. Dabei registrierte ich, dass meine Mom andere Kleidung trug, was mich ein wenig beruhigte.
„Was für ein Geschenk?“ wollte sie von mir wissen.
Nun schien es, als sei sie verwirrt, welches für mich das Zeichen dafür war, dass ich nur geträumt hatte.
„Ich hatte ein Albtraum“, sagte ich zu ihr.
Mom begann zu lächeln und drückte mich.
„Ein Albtraum über ein Geschenk? Sehr merkwürdig“, sprach sie.
„Es war auch nicht das Geschenk“, entgegnete ich, „sondern die verrückte Art, die du und Paps hattet. Das Geschenk würde mir gefallen.“
„Was war es denn?“ fragte sie, stand auf und ging in Richtung Gardinen, um sie zu öffnen.
Es erinnerte mich sofort an den Traum. Instinktiv zuckte ich erst zusammen, aber als die Vorhänge zur Seite gezogen waren, beruhigte ich mich, denn draußen war Regenwetter, ganz anders als im Traum.
„Ein Spintendo XXL“, antwortete ich.
„Ich denke, das ist eher ein Albtraum für mich und deinen Vater als für dich“, sagte sie, „und nun steh‘ auf, es gibt Frühstück unten in der Küche.“
Ich machte mich auf den Weg in die Küche, wo es nach gebackenen Brötchen roch. Ich liebte diesen Geruch. Ich stopfte mir den Bauch voll und ging wieder nach oben in mein Zimmer. Erst jetzt fiel mir wieder dieser Albtraum ein. Wenn tatsächlich jeder Traum, den man in einem Haus träumt wahr wird- na dann Prosit Mahlzeit. Ich hätte dann zwar einen Spintendo XXL, aber auch völlig abgedrehte Eltern.
Bei der ganzen Nachdenkerei über den Albtraum hätte ich fast vergessen, dass es gestern ja einen Maderalarm gab. Ich beschloss, auf den Dachboden zu gehen, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Ich benötigte eine Taschenlampe, da es dort sicherlich dunkel war. Ich suchte meine Mutter auf, die sich noch immer in der Küche war und den Abwasch machte.
„Was gibt es denn?“ fragte sie, während sie den abwusch.
Einen Geschirrspüler gab es noch nicht. Meine Eltern wollten ihn erst nächste Woche besorgen.
„Haben wir irgendwo eine Taschenlampe?“ fragte ich.
Meine Mutter schaute ohne weiter zu fragen in ein paar Kartons und anderen Stellen nach bis sie schließlich zurückkam.
„Leider nicht“, sagte sie, „oder ich kann es einfach nicht finden. Wofür brauchst du denn eine?“
„Ich wollte auf den Boden“, teilte ich ihr mit, „ich habe gestern Abend einen Mader oder sowas gehört.“
„Nein Tjalf“, wurde sie etwas lauter, „du kannst da nicht hoch. Erst recht nicht, wenn sich dort ein Mader aufhält.“
„Ach Liebling“, unterbrach mein Vater, der gerade die Küche betrat, „lass‘ ihn doch. Mader haben in der Regel mehr Angst vor uns als wir vor ihnen.“
Danke Papa, dachte ich. Er kam im richtigen Moment, um mich zu unterstützen. Allerdings würde dies auch nicht zum Erfolg führen, wenn meine Mom jetzt hartnäckig bleiben würde.
„Wir haben gar keine Taschenlampe“, entgegnete sie mit patzigem Unterton.
„Er kann doch mein Handy haben“, schlug Paps vor.
Meine Mutter überlegte für einen Moment und nickte: „Aber auf deine Verantwortung. Es ist ja nicht mein Handy.“
„Okay“, sagte mein Vater und wandte sich mir zu, „du bist vorsichtig?!“
„Ja.“
„Und baust keinen Mist?“
„Nein.“
Ich war leicht genervt, war ich doch kein Baby mehr, dass noch auf den Arm genommen werden musste. Für mich war es gerade das einzige Spannende hier in diesem alten Haus.
„Na gut, aber du bist zum Mittag wieder hier“, war Moms Kompromiss.
Paps gab mir sein Handy mit dem „du weißt, was dir blüht, wenn dem Smartphone etwas zustößt“ und ich konnte nach oben gehen. Der Dachboden konnte durch eine Ausziehtreppe erreicht werden. Und noch immer hatte ich keine Ahnung, wo sie der Stab befand, der diese Tür öffnen konnte. Ich durchstöberte daraufhin alle Zimmer und fand ihn in einem auf dem Boden liegend. Es erschien mir unlogisch, dass ein Stab, mit dem man zum Dachboden gelangen konnte, weit weg von der Luke lag. Wie sollte denn jemand darauf kommen? Oder sollte dort keiner hoch?
Ich schnappte mir den Stab und ging zu der Stelle, wo sich die Dachbodentür befand. Ich versuchte einige Male, den Haken in die vorgesehene Öse zu bugsieren und es sollte mir erst nach einigen Versuchen und ein einer kleinen Geduldsübung gelingen. Und ja, ich habe auch geflucht, aber das hat meine Mutter (hoffentlich) nicht gemerkt.
Es quietschte und knarzte als ich mit Kraft die Tür aufzog. An ihr war dann die eigentliche Treppe befestigt, die ebenfalls mit einer Öse versehen war. Diese erreichte ich leichter und es gelang mir, die Treppe hinunter zu ziehen.
„Endlich“, flüsterte ich leise und freute mich schon darauf, den Dachboden zu entdecken.
Ich ging vorsichtig hinauf. Meine Angst ließ mich ein wenig in dem Glauben, der Mader könnte dort noch oben sein und würde womöglich sein Revier verteidigen. Ich aktivierte die Taschenlampenfunktion auf dem Handy meines Vaters und leuchtete es einmal rundherum, um mir eine Übersicht zu verschaffen.
Der Dachboden war ein dunkel. Einen Lichtschalter oder eine andere Lichtquelle konnte ich zunächst nicht finden. Ich ging ganz hinauf und horchte, falls das Madervieh kommen sollte. Bei jedem Schritt knarzte der alte Holzfußboden. Nach einiger Zeit bekam ich das Gefühl, dass der Dachboden riesig sein musste. Die ganze Konstruktion wurde durch riesige, dicke Holzbalken getragen. Weiter hinten befanden sich kleine Fenster, die ein wenig Sonnenlicht hinein ließen.
Überall lagen Kisten und Gerümpel herum, die von Staub, Spinnweben und Schmutz bedeckt waren. Eine der Kisten stach mir sofort ins Auge. Sie lag neben einem Spiegel, der einen goldenen und verzierten Rand hatte. Als ich näher kam, erkannte ich kleine Kinder, die wie diese Engelskindern auf manchen Bildern oder als Porzellanfiguren auf Flohmärkten zu finden waren. Sie sahen gruselig aus, aber meine Neugierde trieb mich voran.
Ich ging schnurstracks zur Kiste, die aus massivem Holz war. Sie hatte Verschnörkelungen und Verzierungen, die ich nicht näher erkennen konnte. Es waren aber definitiv keine Kinder oder kleine angstmachende Engel.
Immer wieder fielen meine Blicke aber auf die geheimnisvolle Kiste. Ich konnte es nicht erklären, aber sie zog mich in ihren Bann. Sie war magisch. Ich hielt mit der einen Hand das Smartphone meines Paps und mit der anderen öffnete ich vorsichtig die Kiste.
Sie war schwer, dass merkte ich. Meine Mom würde wieder sagen, ich hätte zu wenig Schwarzbrot gegessen und daher Pudding in den Armen, aber der Deckel von dieser Holzkiste war von Gewicht. Ich beschloss, dass Handy auf den Boden zu legen und mit beiden Händen nun zu Werke zu gehen.
Leider gab das bisschen Licht nicht genug her, sodass ich sehen konnte, was sich in dieser Kiste befand. Ich hielt daher mit der einen den Deckel fest und mit der anderen versuchte ich das Handy zu nehmen.
Ein zufälliger Blick in den Spiegel ließ mich erschaudern, denn ich sah dort einen Jungen, der mich anstarrte. Vor Schreck zog ich beide Hände an mich heran. Der Deckel knallte auf die Kiste und verursachte einen lauten Knall. Das Smartphone meines Vaters ging aus und ich verlor es aus meinen Händen. Nun war es wieder dunkel. Ich spürte mein Herz, wie es mir bis an die Halsschlagader ging und laut pochte. Zudem füllte Kälte den Dachboden. Mein warmer Atem kam wie Nebel aus meinem Mund.
Ich riskierte einen Blick Richtung Spiegel, aber dort war niemand zu sehen. Ich drehte mich langsam um, um nachzusehen, ob ich mir meine Einbildung einen Streich gespielt hatte. Ich konnte nichts erkennen. Vorsichtig kniete ich mich nieder, um das Handy zu ertasten. Ich musste den sandigen und staubigen Boden ein wenig absuchen, ehe ich es finden konnte.
Ich aktivierte die Taschenlampe und hielt das Licht in die Richtung aus der ich den Jungen, oder was auch immer die Gestalt war, vermutete. Plötzlich sah ich ihn dort stehend in einem weißen Nachthemd. Ich erstarrte und meine Hände begannen zu zittern. Ich hatte das Gefühl, Opfer eines Streichs zu werden.
„Das ist nicht witzig, Kleiner“, rief ich mit ängstlicher Stimme, denn obwohl ich annahm, es handelte sich um einen Nachbarsjungen, war ich mir unsicher, denn er lief für seine Verhältnisse spärlich bekleidet herum.
Es kam keine Reaktion.
„Ich schlage vor, du gehst wieder nach Hause“, sagte ich.
Dieses Mal wirkte ich entschlossener. Plötzlich regte sich der Junge und seien Augen wurden rot. Ich bekam einen Schreck und hielt das Handy direkt auf ihn.
„Das glaubt mir keiner“, staunte ich und mir fiel ein, dass das Smartphone eine Kamerafunktion hatte.
„Gut, dass es die moderne Technik gibt“, flüsterte ich, drehte das Handy in die Horizontale und drückte ab.
Es aktivierte sich der automatische Blitz und es wurde für einen Moment hell, als wäre die Sonne in diesen Raum gekommen. Dann wurde es genauso schnell wieder finster. Ich leuchtete wieder mit der Taschenlampenfunktion, aber von dem Jungen war keine Spur.
Aber ich hatte ja die Aufnahme von der Kamera! Ich schaute schnell nach, konnte aber nichts Konkretes erkennen. Ich ging schnell zum Eingang des Dachbodens und merkte, wie etwas hinter mir her war. Dieses Mal packte mich nicht die Neugier, sondern die Angst! Ich beeilte mich und es war ein Lauf inmitten der Dunkelheit. Ich sah den Eingang des Dachbodens, den ich schnell erreichte. Es musste nun rasant gehen, aber ich wollte die Leiter nicht runterfallen. Als ich mich in mittig auf der Holzleiter befand, schaute ich nach oben und sah den Jungen mit den feuerroten Augen. Ich fürchtete, dass er vorhatte, mir zu folgen, sodass ich schnell mithilfe des Stabs die Lucke schloss.
„Alles okay?“ fragte eine Stimme und es versetzte mich in Panik.
Mein Herz macht einen Satz. Als ich wieder klar war, erkannte ich die Stimme meiner Mutter.
„Äh, ja, schon gut“, antwortete ich und wirkte verstört.
„Also Tjalf“, sprach sie, „ich bin deine Mutter und kenne dich. Du kannst ja anderen etwas vorschwindeln, aber nicht mir.“
Sie hatte recht. Sie konnte bei mir eine Lüge immer an der Nasenspitze erkennen. Daher brachte es nichts, sich etwas auszudenken, denn die Dachbodengeschichte an sich klang schon ausgedacht.
„Es war etwas auf dem Dachboden“, antwortete ich.
Meine Mutter schaute verdutzt.
„Was denn?“ wollte sie von mir wissen.
„Ich glaube, es war ein…“, ich überlegte, denn es konnte nicht echt gewesen sein.
Vielleicht machte mir die Angst einen Strich durch die Rechnung und ließ mich Dinge einbilden.
„…Ja?“ wartete meine Mutter meine Antwort ab.
„Marder?“
„Weißt du es nicht?“ fragte sie.
„Nein, ich bin mir nicht sicher“, gab ich wahrheitsgemäß an.
„Hast du etwa ein Foto gemacht?“ wollte meine Mutter erfahren und zeigte auf Paps Smartphone.
„Ähm…“
Ich konnte kaum antworten, da riss mir meine Mutter das Handy aus der Hand und schaute in die Fotoalben des Speichers nach.
„Tolles Bild“, lachte sie, „da erkennt man ja gar nichts.“
Sie reichte es mir zurück.
„Gib‘ es deinem Vater“, sagte sie und ging in die Küche.
Ich konnte es nicht glauben und forschte ebenfalls nach. Was ich erblickte, machte mir Angst und warf Fragen auf, denn ich konnte ganz klar auf dem Bild einen Jungen mit roten Augen erkennen. Er sah krank und irgendwie aus, wie ein Zombie aus einem Film.
Hatte meine Mama das falsche Foto angeschaut oder wollte sie es nicht wahrhaben? Dachte sie, ich spiele ihr einen Streich? Auf all diese Fragen wusste ich keine Antwort.
„Und wie war dein Ausflug auf dem Dachboden?“ wollte mein Vater von mit erfahren als ich ihm sein Smartphone zurückgab.
„Spannend“, antwortete ich.
„Marder- spannend?“ fragte mein Paps.
„Ich denke schon“, sagte ich knapp.
„Vielleicht sollten wir zusammen hoch gehen, um nachzuschauen“, schlug er vor und ich fand die Idee gar nicht schlecht.
„Essen!“ rief meine Mutter aus der Küche und unterbrach unseren Gedanken.
„Wir werden uns erstmal die Bäuche vollschlagen und dann gehen wir auf die Jagd“, grinste mein Vater und ging Richtung Küche.
Und wir hauten rein, dass die Wände wackelten! Es gab nämlich mein Lieblingsessen: Senfeier! Und meine Mami konnte schon immer die besten Senfeier der Welt machen. Das Geheimnis lag daran… ja jetzt hätte ich es fast verraten. Es ist die Sauce. Und ihr Geheimnis ist besser gehütet als das Gold von Fort Knox.
Kurz nach unserem Mal geriet ich ins Suppenkoma. Es ist der Zustand, nachdem der Bauch sich schon etwas dehnen musste und man die Sättigungssignale ignoriert hat und trotzdem weiter geschlemmt hat. Einem ist übel und wohlig zugleich.
„Dachboden?“ sagte mein Vater mit satter Stimme.
„Powernapp?“ entgegnete ich und er nickte sofort.
Okay, für alle Nichtwissenden. Ein Powernapp ist wie richtiger Schlaf, aber halt nur eine Viertelstunde bis längstens zwanzig Minuten. Dann muss man aufstehen, wenn nicht, dann wird es sehr schwer. Und es ist typabhängig- es gibt Menschen, die können es und es gibt Mama- die kann es nämlich nicht (sie schläft dann weiter oder wird erst richtig müde).
Wir ratzten also unseren Schlaf der Gerechten oder wie Paps zu sagen pflegte, wir benutzten die Powern- App. Wortwitz und zwar ein schlechter, aber dafür war mein Vater bekannt.
„Paps“, flüsterte ich nachdem ich aus dem Powernapp wieder erwacht war.
„Ja?“ sagte er und der Schlaf hatte ihn noch fest im Griff.
„Wir wollten auf den Dachboden“, erinnerte ich ihn.
„Stimmt“, sagte er und schwang sich auf.
Es klappte nicht beim ersten Mal, sodass er ein zweites Mal ansetzen musste. Mein Vater wurde halt älter, sagte er selbst immer über sich.
„Taschenlampe“, sprach er und verschwand kurz, um mit einer riesigen zurück zu kommen, „Recht diese hier?“
„Auf jeden Fall“, antwortete ich begeistert und wir machten uns auf.
Papa öffnete mithilfe des Stabs die Lucke und wir kletterten vorsichtig hinaus, zumindest ich, denn ich hatte noch immer den Marder und den Jungen im Kopf. Natürlich wollte ich meinem Vater davon nichts erzählen. Zum einen, um meine eigentliche Angst zu verbergen und zum anderen, damit er mich nicht für verrückt erklärt. Mein Vater schaltete die Taschenlampe an und der Dachboden wirkte an sich schon heller, denn sie strahlte mehr als das Handy.
„Wo war der Marder denn?“ fragte Paps während er suchte.
„Da hinten“, antwortete ich und zeigte in die Richtung der Truhe und des Spiegels.
Mir wurde plötzlich wieder Bange, denn mir wurde wieder bewusst, dass ich diesen Jungen im Nachthemd gesehen hatte. Ich wollte meinem Vater dennoch nichts anmerken lassen und blieb cool.
„Alles in Ordnung?“ fragte mein Paps.
„Ja“ antwortete ich mit zitternder Stimme.
„Der Marder tut dir schon nichts“, versuchte er mich zu beruhigen, „der hat mehr Angst vor dir als du vor ihm.“
Mein Vater ging in Richtung der Truhe und des Spiegels und kam schnell dort an.
„Oh schau mal“, sagte er, „eine Truhe und ein alter Spiegel und anderer antiker Trödel.“
„Mh“, sagte ich kurz und dreht mich ständig um, denn ich wollte nicht schon wieder überrascht werden von diesem Jungen.
Als mein Blick beim Spiegel vorbeiging, erhaschte ich den Jungen wieder. Er stand hinter meinem Vater! Ich schreckte auf und fing zu schreien an. Mein Vater drehte sich blitzschnell zu mir und leuchtete mir ins Gesicht, was mir noch mehr verwirrte.
„Hinter dir ist etwas!“ schrie ich, „Papa, schnell, hinter dir!“
Mein Vater machte eine weitere Drehung und hielt seine Taschenlampe dorthin, aber da war nichts!
„War es der Marder?“ fragte er, schaute sich um und nahm einen herumliegenden Besenstiel vom Boden.
„Ich weiß nicht“, antwortete ich zögerlich, denn ein zweiter Blick in den Spiegel verriet, dass der Junge noch immer da stand.
Ich erstarrte vor Angst und konnte nicht glauben, was ich dort sah. Im Spiegel bildete sich ab, dass der Junge direkt vor meinem Vater stehen musste, aber das tat er nicht, wenn ich in die Richtung schaute. Ich musste unter Halluzinationen leiden- das musste es sein!
„Was ist los?“ fragte mein Vater, der meine Irritation mitbekommen hatte.
Ich sagte kein Wort, denn ich konnte nichts sagen. Als steckte ein dicker fetter Kloß in meinem Hals! Als habe es mir die Luft verschlagen! Durch meinen starren und ängstlichen Blick in Richtung Spiegel, wo noch immer der Junge mit dem weißen Nachthemd stand, drehte sich mein Vater ebenfalls dort hin.
„Ist da was im Spiegel?“ fragte er und seine Stimme verriet, dass er nicht wusste, worauf meine Augen sich fixiert hatten.
„Verrate mich nicht“, ertönte eine Stimme klar und deutlich in meinem Kopf als hätte ich In- Ear- Kopfhörer drin.
„Tjalf“, sprach mein Vater mich an und packte mich an der rechten Schulter, um mich leicht zu schütteln, „Erde an Tjalf, bitte melden.“
Erst jetzt riss es mich aus der Starre und ich schaute meinen Paps an.
„Ja?“
„Alles in Ordnung mit dir?“ fragte er besorgt, „du wirkst abwesend. Hast du Angst?“
„Ja, nein“, stammelte ich, „ich weiß nicht. Habe mich wohl erschrocken.“
„Das hat man gesehen“, sagte mein Vater dann, „ es handelte sich aber wahrscheinlich nicht um Marder- Angst, oder?“
Ich überlegte kurz, denn ich wusste auf Anhieb nicht, was ich ihm antworten sollte. Ich hatte einen Jungen im Spiegel gesehen- was kann man da schon zu sagen? Klapsmühle vielleicht. Und so eine Furcht vor einem Marder? Das kaufte er mir auch nicht ab. Und dann fiel mir wieder die Stimme im meinem Kopf ein und dass dies ebenso verrückt klang wie alles andere. Ich entschied mich für eine Lüge, obwohl ich meinen Vater ungern anschwindele.
„Es war ein Schatten, vor dem ich mich erschrocken habe“, sagte ich, „er erinnerte mich an eine Schattenwesen aus Cavegame.“
„Dieses bekloppte Spiel“, ärgerte es meinen Vater, „überbeansprucht deine Fantasie. Du solltest in Zukunft weniger spielen oder besser gar nicht mehr, wenn es nach mir ginge.“
„Ja, Paps“, pflichtete ihm bei und hoffte insgeheim, dass er es bis heute Abend wieder vergessen hatte.
„Ich denke, für heute beenden wir die Marderjagd“, beschloss mein Vater.
Ich nickte und machte einen letzten Blick auf den Spiegel, wo ich nichts sah, außer dem Spiegelbild. Dann drehten wir um und verließen den Dachboden.
„Na, habt ihr gefunden, wonach ihr gesucht habt?“ wollte meine Mama wissen, als wir wieder in der Küche waren.
„Naja, nicht ganz“, lachte mein Vater, „kein Marder, aber Tjalf hat sich erschrocken von einem Schatten. Und drei Mal darfst du raten, wo das herkommt… von diesem Hefgame…“
„Cavegame“, verbesserte ich.
„Wie auch immer“, entgegnete er, „es ist einfach nicht gut für ihn.“
„Aber Schatz“, sprach meine Mom, „ wir werden ihm jetzt nicht verbieten, damit zu spielen, weil er einmal Angst vor einem Schatten hatte. Der Junge muss lernen, damit umzugehen. Immerhin hast du es ihm zu Weihnachten besorgt.“
Mein Vater schwieg. Es hieß in der Regel, dass meine Mutter recht hatte. Er guckte mich an und verließ die Küche.
„Ist denn alles okay mit dir?“ wollte Mama von mir erfahren und beugte sich ein wenig zu mir hinunter.
„Ja“, antwortete ich und lächelte ein bisschen, damit meine Mutter keinen Verdacht schöpfte, „es geht schon, Ich habe mich nur etwas erschreckt… jetzt geht es wieder.“
„Wirklich?“
„Ja, Mama.“
Damit hatte sich die Sache für meine Mutter erledigt und sie ließ von mir ab. Offenbar glaubte sie mir. Aber für mich war es nicht vom Tisch. Ich machte mich auf in mein Zimmer, denn ich musste nachdenken- scharf nachdenken!
Ich schmiss dabei auf das Bett. So ließ sich am besten der Gehirnschmalz in Wallung bringen. Ich erinnerte mich an den Jungen im weißen Nachthemd. Irgendwie schien er nicht aus unserer Zeit zu stammen. Er machte mir Angst. Zudem hörte sich die Stimme in meinem Kopf so echt an. Ich zweifelte nicht daran, dass er wirklich dort gewesen war, ich zweifelte an mir selbst.
„Vielleicht bist du verrückt?“ fragte ich mich.
Aber ich wusste keine Antwort. Natürlich nicht, das sage ich jetzt, aber damals wusste ich es nicht. Vor lauter Gedanken schlief ich letztendlich ein.
Bilder von dem Jungen im Nachthemd spukten im meinem Kopf herum und immer wieder dieses Bild von ihm im Spiegel. Nur wirkte er böse. Mein Vater war kleiner und schmächtiger. Als er sich umdrehte wirkte er zudem dümmlicher.
„Was ist?“ fragte er lispelnd.
Ich konnte nichts sagen, da eine Kraft mich zurückhielt. Der Junge stieg aus dem Spiegel und ging schnurstracks auf meinen Vater zu. Ich war wie angewurzelt und konnte mich nicht bewegen, obwohl ich es mit meiner ganzen Kraft versucht hatte. Mein Vater schien ihn nicht wahrzunehmen, denn er schaute nur auf mich.
„Was ist denn nun?“ lispelte er weiter.
Der Junge war angekommen, drehte sich grinsend um, bevor er einen Strick emporbrachte und es meinem Vater um den Hals legte. Innerlich schrie ich, dass er aufhören sollte.
Ich wachte schweißgebadet auf. Nur ein Traum.
„Hilf mir!“ hörte ich eine Stimme und sie klang wie die des Jungen vom Dachboden.
Es drang so tief in mich, sodass ich hochschreckte, denn es erinnerte mich an meinen Traum. Er wirkte so real, obwohl ich wusste, dass ich träumte, spürte ich noch immer meine Angst, mein Vater könnte sterben.
„Hilf mir“, ertönte erneut die Stimme.
Vielleicht war es wieder ein Traum? Oder ich war tatsächlich verrückt. Im jedem Fall wollte ich nun wissen, was da vor sich ging, auch wenn ich schiss hatte. Ich stand auf und machte mich auf den Weg zum Dachboden. Meine Neugier leitete mich und ich lief durch das Dunkel des Schlösschens. Es war zwar schwierig, aber es gelang mir, die Luke zum Dachboden zu öffnen. Als ich die Leiter hochkletterte, knarzte und knackte sie.
Mein Puls pochte bis zu meinem Hals als ich tatsächlich auf dem Dachboden stand und bemerkte wie finster es hier oben wirklich war.
„Hilf mir“, wiederholte er sich.
Es könnte eine Falle sein, dachte ich, aber ich schlich dennoch voran. Eine Seite in mir wollte es, auch wenn es sehr langsam war. Wie soll man sich auch vorwärts bewegen, wenn man die Hand vor seinen Augen kaum sehen konnte?
Ein Restlicht ließ Silhouetten von einem Spiegel und einer Truhe erkennen. Ich beschloss, mich hinzuknien, um mir eine Übersicht zu verschaffen und um nicht gleich einen Blick in den Spiegel zu riskieren.
„Bist du da?“ fragte die Jungenstimme.
Ich antwortete ihm nicht, denn ich wollte wissen, ob er sich zeigte. Es könnte sich bei all diesen Ereignissen doch auch um einen Streich eines Nachbarjungen handeln, der gleich aus der Ecke hervorspringt und „verarscht“ ruft, das ganze gefilmt hatte und im Internet veröffentlicht und mich für den Rest meines Lebens mobbt.
Es kam nichts.
„Zeig‘ dich“, sprach ich und ich zitterte am ganzen Körper, denn die Nachbarjungentheorie konnte ich selbst nicht so ganz glauben.
Zumindest nicht in diesem Moment. Es gab immer Restzweifel. Nachdem keine Reaktion kam, lugte ich kurz hoch, sodass ich zwangsläufig den Spiegel sehen konnte, den ich eigentlich vermeiden wollte. Ich sah den Jungen, wie er in meine Richtung starre. Schnell bückte ich mich wieder und ich spürte wie die Furcht meinen Herzschlag beschleunigte.
„Bleib‘ doch“, sagte die Jungenstimme, „ich will dir doch gar nichts antun.“
Trotz dieser sanften und harmlos wirkenden Stimme, konnte ich im ersten Moment nicht anders als unten zu bleiben. Dann aber zog es mich hoch und ich stellte mich hin. Ich sah den Jungen, wenn auch nur schemenhaft. Ich versicherte mich, ob er hinter mir stand. Als ich niemanden vorfand, wandte ich mich erneut dem Jungen zu.
„Danke“, sagte er.
Auf meinem Gesicht bildete sich ein Fragezeichen, denn ich verstand nicht, was er von mir wollte und wofür er sich bei mir bedankte.
„Mein Dank gilt dafür, dass du mich nicht verraten hast“, erläuterte der Junge.
Mit jedem Wort, das seinen Mund verließ, schien er weniger bedrohlich für mich zu sein. Und dennoch blieb ich auf der Hut. Ich meine, ich war mitten in der Nacht auf dem Dachboden eines mir noch fremden Anwesens. Da musste man aufpassen!
„Was machst du in dem Spiegel?“ fragte ich, obwohl eine andere Frage wohl passender gewesen wäre, aber vielleicht wusste ich die Antwort auf diese Frage ja bereits.
„Ich bin ein Gefangener“, antwortete der Junge schüchtern.
„Das verstehe ich nicht“, zeigte ich irritiert, denn es erklärte noch nicht, weshalb er im Spiegel zu sehen war und hinter mir nicht, „ ist das eine Art Trick?“
„Nein, gewiss nicht“, gab er mir zu verstehen, „es liegt viel mehr daran, dass…“
Und er unterbrach seinen Satz mit einem Schluchzen. Es fiel ihm sichtlich schwer, mir auf die Frage eine Antwort zu geben.
„Bist du ein Geist?“ platzte es aus mir heraus.
Es war eine Mischung aus Begeisterung, Restfurcht und einem „Ich hab es schon immer gewusst, dass es mehr gibt, als wir wahrnehmen“- Moment.
„Ja“, bestätigte er meine Vermutung.
„Und was machst du hier?“ bohrte ich weiter.
„Ich brauche jemanden, der mich befreit“, teilte der Junge mir mit.“
Meine Angst verflog von Sekunde zu Sekunde, denn ich hatte das Gefühl, abgesehen von dem Spiegelding, einen ganz normalen, etwa gleichaltrigen Jungen vor mir zu haben.
„Vielleicht hat es einen Grund, dass du in dem Spiegel steckst“, entgegnete ich ihm.
Sein Blick wurde trauriger.
„Ich kann doch nichts dafür, dass ich hier bin, ich habe mir das nicht ausgesucht!“ brüllte er.
Ich erschrak mich vor seiner plötzlichen Energie, die wie ein Blitz durch mich hindurchströmte und genauso schnell verschwand.
„Ey, ich kann auch nichts für deine Situation“, machte ich klar.
Er beruhigte sich wieder und schaute mich an.
„Ich bin Peter“, sprach er, „und ich bin hier gefangen, weil Larvaster mich hier eingesperrt hat.“
„Wer ist Larvaster?“ fragte ich und war leicht aus dem Konzept- klar, ich hatte im Grunde auch nie eines.
„Vielleicht erzählst du mir alles“, schlug ich vor, „und wir schauen, wie ich dir helfen kann.“
Peters Geschichte
Im Jahre 1958 verschlug es Elfriede und Kurt nach Brachenfeld, einem Stadtteil von Neumonster, weil sie dort ein kleines Schloss günstig erwerben konnten. Gerade nach dem zweiten Weltkrieg waren die Häuser der meisten Menschen aus Schutt und Asche gebaut worden. Das war bei diesem edlen Gebäude anders. Es war nicht beschädigt worden und massiv. Elfriede war Lehrerin und Kurt Geschäftsmann, der sehr gut verdiente, sodass sie sich dieses Schloss leisten konnten.
Es war wunderschön und so verliebten sich Elfriede und Kurt in dieses Anwesen. Bei sich hatten sie den kleinen achtjährigen Peter, ihr einziges Kind. Elfriede und Kurt waren glücklich. Und so bezogen sie das Anwesen und verschönerten es auf ihre Weise.
Peters Familie war finanziell sehr gut gestellt, sodass sie sich einen Hauslehrer leisten konnten, während Elfriede an der ortsansässigen Grundschule die Fächer Mathematik und Musik unterrichtete. Kurt hatte einen Laden für Holzspielzeug in Hassbek, einer Nachbargemeinde von Neumonster. Sie lief ziemlich erfolgreich, da er hochwertiges Holzspielzeug anbot. In Neumonster wollte er nun eine zweite Filiale eröffnen, welches viel Zeit binden sollte.
Die Eltern von Peter hatten durch ihre Erwerbstätigkeiten und durch ihre Freizeitbeschäftigung keine Zeit für ihren Jungen. Elfriede war nämlich in der Gemeinde Brachenfeld sozial engagiert, während Kurt dem Golf frönte.
„Mutter, kannst du heute Nachmittag mit mir spielen?“, frage der kleine Peter seine Mutter.
„Aber Peterle“, antwortete sie, „du musst noch Latein und Deutsch machen und außerdem habe ich heute Essensausgabe bei den Armen. Also keine Zeit.“
Peter fragte daraufhin seinen Vater:
„Vater, kannst du etwas mit mir spielen?“
„Mein Sohnemann“, antwortete sein Vater daraufhin, „willst du in der Gosse enden, weil du die ganze Zeit gespielt hast?“
„Nein, Vater, das will ich nicht, ich will…“
„…Kindern mit einem Will’n kriegen was auf die Brill’n“, unterbrach seine Mutter.
„Ja, Mutter“, sagte Peter und schaute traurig auf den Boden.
„Du wirst uns später mal dankbar sein“, sprach der Vater, „und nun mache deine Aufgaben, dein Lehrer wartet schon.“
Peter wollte gerade weggehen als er innerlich seinen kleinen, aber feinen Widerstand spürte, der zu nerven begann. Er veranlasste den Jungen stehen zu bleiben.
„Gibt es noch etwas, Peterle?“ fragte die Mutter neugierig.
Peter aber sagte nichts. Er befand sich inmitten eines Gefechts zwischen Widerstand und Gehorsam.
„Peter, hörst du mich?“ wollt der Vater wissen und schaute streng, was Peter aber nicht sehen konnte, „antworte deiner Mutter gefälligst, wenn sie dich etwas fragt!“
Der Ton wurde ziemlich deutlich und Peter spürte die aufkommende dicke Luft, die sich bildete.
Dann drehte Peter sich wieder um.
„Ich will nicht!“ brüllte Peter auf einmal und sein Vater stand auf und gab seinem Jungen eine Backpfeife, sodass sein linkes Ohr klingelte, seine Wange ganz heiß und rot wurde und er kehrt machte und weinend weglief.
„Kurt, dass hätte nicht sein müssen“, sagte Elfriede.
„Aber der Junge wurde aufsässig, das darf ich nicht dulden!“ rechtfertigte der Vater sein erzieherisches Mittel, „sonst wird aus ihm noch ein fauler Sack.“
„Sag sowas nicht, Kurt“, entgegnete sie.
„Ich bin der Herr im Haus und habe das letzte Wort und damit Schluss“, machte der Vater mit energischer Stimme deutlich, sodass die Mutter sich zurückhielt, denn zu der Zeit war es so.
Peter lief auf sein Zimmer und weinte bis er Kopfschmerzen davon bekam. Er hasste sein Leben! Immer war er allein oder mit seinem Lehrer am Lernen. Seine Mutter hatte keine Zeit für ihn, genauso wenig wie sein Vater. Wahrscheinlich wollten sie ihn gar nicht.
Seine Gedanken wurden durch einen gewaltigen Donnerschlag unterbrochen. Peter ging ans Fenster, denn er liebte es, Gewitter anzuschauen. Sie machten ihm keine Angst- sie faszinierten ihn.
Es regnete noch nicht, aber die Blitze schossen durch den Nachthimmel als spielten sie eine Sinfonie. Sie waren derart schnell, sodass Peter sie nicht alle erfassen konnte. Und ihnen folgte stets ein Donnergrollen. Manchmal laut und stark als wenn eine Riese den neben dem Haus vorbeitrabte und manchmal etwas leiser, als wäre es noch weit weg.
„Vielleicht haue ich einfach ab“, sagte Peter zu sich.
In diesem Moment betrat seine Mutter das Zimmer. Hatte sie etwas mitbekommen, als er mit sich gesprochen hatte?
„Wir wollen Abendbrot essen“, sagte sie ihm, „und wenn du bereit bist, dich für dein Verhalten vorhin zu entschuldigen, wird dein Vater dir verzeihen.“
In ihrer Stimme war etwas Flehendes, das Frieden zwischen den Männern im Haus wollte. Gar nicht auszudenken, wenn das weiter anhielt und Vater und Sohn immer stritten, sogar bis ins hohe Alter.
Peter aber stand noch immer am Fenster und guckte sich das Naturschauspiel als hätte er seine Mutter gar nicht gehört. Natürlich hatte er das, aber er wollte eben nicht. Stets verhielt es sich so, dass sein Vater wütend war und er sich entschuldigen musste, ganz gleich ob er schuld war oder nicht. Der Vater war es nie!
„Peter, nun komm‘“, sagte die Mutter und es war ihr wichtig, denn sie fürchtete, dass es sonst sehr ungemütlich werden könnte, „du weißt, dass dein Vater es nicht so gemeint hat. Er liebt dich und sorgt sich um dich. Seine Arbeit läuft gerade nicht so gut, daher ist er gerade so.“
Peter aber wollte all dies nicht hören. In diesem Moment entschied er sich, seine Familie zu verlassen. Er würde es nicht sofort tun, denn seine Mutter würde ihn aufhalten wollen und sein Vater würde ihm den Hintern versohlen, sodass er wochenlang nicht richtig sitzen könnte, ohne Schmerzen zu haben. Also riss er sich zusammen.
„Ich komme gleich, Mutter“, sprach er mit ruhiger Stimme, obwohl er innerlich zitterte, „ich wollte nur noch ein paar Blitze sehen.“
Ein Donnern ertönte. Seine Mutter drehte sich um und ging aus seinem Zimmer.
„Bis gleich“, sagte sie, „und denke daran, dich zu entschuldigen.“
Sie wirkte freundlich, da sie wusste, alles würde wieder gut werden. Dann war sie weg. Peters Anspannung wurde ihm deutlich, denn er spürte, wie anstrengend es war, sich zu verstellen. Er holte flugs seinen Koffer unter seinem Bett hervor, den er noch vom Einzug kannte und packte seine wichtigsten Sachen hinein. Neben ein paar Unterhosen, die man immer benötigte, legte er sich seinen Lieblingsbären Bernd hinein.
Dann ging er nach unten in die Küche, wo bereits sein Vater am Essenstisch saß und die Tageszeitung las. Sein Vater bekam zwar mit, dass sein Sohn die Küche betrat, würdigte ihm aber keines Blickes. Er wollte es ihm schwer machen, da er lernen sollte, wer hier das Sagen hatte. Und das war definitiv nicht Peter!
Peter machte sich sofort auf den Weg zu seinem Vater und blieb vor ihm stehen. Er wartete, ohne ein Wort zu sagen. Peter wollte nur nicht, dass irgendeiner Verdacht schöpft, daher verhielt er sich wie immer, oder zumindest wie er es dachte. Sein Vater knickte eine Ecke der Zeitung ein und schaute grimmig und gespannt.
„Es tut mir Leid“, sagte Peter mit seiner unsicheren Art.
„Was tut dir Leid?“ wollte der Vater wissen und benutzte absichtlich einen strengen Ton.
Er wollte prüfen, ob sein Sohn diese Entschuldigung wichtig war oder gleich.
„Für mein Benehmen vorhin“, antwortete Peter und sein Blick richtete sich gen Boden.
„In Ordnung“, sprach der Vater, „das gibt eine Woche Hausarrest und es hat sich für mich erledigt.
Die Mutter blickte erstaunt, hatte sie nicht mit einer weiteren Strafe ihres Mannes gerechnet. Dennoch sagte sie nichts dazu, um eine Provokation zu vermeiden. Peter blieb ruhig, um ebenfalls seinem Vater nicht das Gefühl zu geben, dass er es nicht akzeptierte.
Im Inneren fand er es total ungerecht. Sein Vater hatte ihn ins Gesicht geschlagen und bekommt keine Strafe. Hätte er den Nachbarn gehauen, würde er im Gefängnis sitzen müssen. Peter brannte innerlich und hätte schreien könne, aber er wollte es nicht. Er wollte jetzt seinem Vater, der ihn eh nicht verstehen wollte, nicht auch noch vorheulen, dass er eigentlich wütend war. Stattdessen kam ein leises:
„Ja, Vater.“
„Gut, dann kannst du dich setzen und Abendbrot essen“, entschied das Familienoberhaupt.
Peter aß so viel wie in seinen kleinen Bauch passte. Als er kurz vor dem Platzen war, schickte ihn sein Vater ins Bad, um sich bettfertig zu machen. Peter tat, was ihm aufgetragen wurde wusch sich und zog seinen Schlafanzug an, um dann ins Bett zu gehen. Seine Mutter kam vor dem Einschlafen noch mal zu ihm, um Peter einen Gute- Nacht- Kuss zu geben.
„Schlaf gut“, sagte sie.
Peter erkannte die liebevolle Stimme, die sie hatte, wenn sie dachte, alles sei in Ordnung. Dass sie sich irrte, wusste sie nicht.
„Gute Nacht“, flüsterte Peter und legte sich in seine gewohnte Schlafposition.
Seine Mutter löschte das Licht und macht die Tür hinter sich zu als sie das Kinderzimmer verlies. Es war plötzlich ruhig. Peter lauschte in die Nacht hinein und es war absolut still. Selbst das Gewitter war weitergezogen und der Regen machte eine wohl Pause.
Peter wartete bis tief in die Nacht, da seine Eltern nicht mitbekommen sollten, wenn er ging. Er schrieb ihnen noch einen Abschiedsbrief.
Liebe Mutter und Vater,wenn ihr diese Zeilen lest, habe ich euch bereits verlassen. Ich ertrage es nicht mehr, für alles die Schuld zu bekommen und die Unwahrheit hinzunehmen. Es tut mir zwar Leid für meine Mutter, aber ich will nicht mehr geschlagen werden.Ihr seid besser dran ohne mich - lebt wohleuer Peter |
Währenddessen beschlich ihn ein kleines Gefühl der Unsicherheit, doch er sich entschied, auf jeden Fall wegzulaufen, da ihm die Bilder des Tages immer wieder in den Kopf schossen.
„Die werden schon sehen“, dachte er sich, „wie sie ohne mich zurechtkommen. Wahrscheinlich vermissen sie mich noch nicht einmal. Vielleicht meine Mutter, aber mein feiner Herr auf keinen Fall.“
Peter nahm seinen gepackten Koffer und schlich wie ein Schatten aus seinem Zimmer. Dabei bemerkte er, dass unten im Wohnzimmer noch Licht brannte. Wahrscheinlich las sein Vater noch ein spannendes Buch, ehe er sich ins Bett begab. Peter blieb zunächst stehen.
Ich will nicht warten, dachte er sich, denn jetzt war er schon unterwegs. Wenn er in diesem Augenblick wieder umdrehte, würde er es nie schaffen. Daher ging er weiter die Treppe hinunter.
Ein Geräusch sorgte dafür, dass er ein weiteres Mal inne hielt. Es hörte sich an, als ob ein Schwein grunzte. Peter natürlich, dass es nicht ein Schwein sein konnte und vermutete zuerst, dass es sich um eine Einbildung handelte, denn es war mitten in der Nacht und Peter schlief eigentlich um diese Zeit schon längst.
Peter wollte weiter, aber ein weiteres Grunzen hielt ihn auf. Zumindest fürs erste. Doch dann kam ihm etwas in den Sinn. Jetzt weiß ich, fiel es ihm ein, es ist das Schnarchen meines Vaters. Er war wohl im Land der Träume und somit hatte der Junge freie Bahn, um das Schloss verlassen zu können.
Als er sich im Flur befand, beschloss Peter die Küche aufzusuchen, um sich seinen Koffer und sein Taschen mit Proviant für seine Reise zu füllen. Wer wusste schon wie lange er unterwegs sein würde? Er jedenfalls wusste es nicht, daher waren Koffer und Taschen prall gefüllt mit Salami, Käse und Brot, aber auch mit der Schokolade aus dem geheimen Versteck seiner Mutter. Von dieser nahm er sich ein Bissen von der Ecke.
„Lecker“, flüsterte er, denn sie war das Schmackhafteste, was er je gegessen hatte.
Den Rest packte er sich ein, denn sonst würde er Zeit verlieren und das wollte er natürlich nicht, denn es sollte der Augenblick sein, dass er das Schloss, sein zu Hause, verlässt. Als er die Haustür vorsichtig hinter sich geschlossen hatte, drehte er sich noch einmal um.
„Auf Nimmerwiedersehen!“ rief er, hielt sich die Hand vor dem Mund, denn ihm kam der Gedanke, dass dadurch seine Eltern wach werden könnten.
Daraufhin lief er vom Gelände und bog links ab, die Pestalozzistraße hoch, aber dies war reiner Zufall, denn in Wahrheit wusste er gar nicht, wohin er sollte. Aber es hielt Peter nicht davon ab, im Gegenteil, er wollte diese Art Freiheit. Er hatte viele Geschichten über Abenteuer gehört und dieses hier war sein eigenes.
Die Straße endete in das Brachenfelder Gehölz. Peter kannte das kleine Wäldchen ein wenig. Zwar war er bisher nur tagsüber hier, aber die Dunkelheit machte ihm keine Angst. Er merkte vielmehr, wie müde er eigentlich war.
„Vielleicht suche ich mir einen Schlafplatz“, sagte er zu sich selbst.
Das Gehölz war teilweise beleuchtet, sodass Peter nicht völlig in der Finsternis umherlief. Da fiel ihm plötzlich ein, dass es inmitten des Waldes einen Unterstand gab, der sich sicherlich sehr gut als Übernachtungsmöglichkeit hergeben würde. Allerdings wusste er nicht genau, wo dieser war, denn es schien keine Sonne und gab demzufolge keine Orientierungspunkte.
Aber dies machte ihm nichts. Er würde einfach weiter in das Gehölz gehen und es schon finden, da war er zuversichtlich. Je tiefer er in den Wald ging, desto dunkler wurde es und er konnte zusehends die funkelnden Sterne des Nachthimmels betrachten. Sie faszinierten ihn. Ein besonders heller, so war sein Eindruck, lächelte ihm zu, in dem er besonders oft blitzte.
„Wie schön“, sprach er und blieb ganz verträumt stehen, um alle Sterne zu betrachten.
Er erkannte den großen Wagen, der Teil des großen Bären war und den kleinen Löwen. Peter hatte dies im Unterricht des Privatlehrers gelernt. Es war tatsächlich etwas, wofür er sich sehr interessierte. Dennoch wollte er nicht, dass ihn diese Gedanken weich werden ließen und dadurch das Gefühl hätte bekommen können, zurück nach Hause zu müssen.
„Peter!“
Die Gedanken des Jungen wurden sofort unterbrochen, denn er hörte seinen Namen und er war der festen Überzeugung, dass es die Stimme seiner Mutter war.
„Peter!“ Ertönte es erneut.
Nur dieses Mal war es die Stimme seines Vaters. Peters war verwirrt. Wie konnten sie wissen, dass er hier war? Sie mussten gesehen haben, wie er das Haus verlassen hatte und ihm gefolgt sein.
„Peter, wo bist du?“ rief seine Mutter.
Hätten seine Eltern ihn nicht sofort gerufen? Auf einmal kam ihm der Gedanke, dass seine Eltern, insbesondere sein Vater nie im Schlafanzug das Haus verlassen würden, selbst in der Nacht nicht. Es könnte sie jemand sehen und es zu einer Peinlichkeit werden lassen. Daher sind sie ihm erst gefolgt, nachdem sie sich umgezogen haben.
„Peter, nun komme doch zu uns“, sagte der Vater, „ich wollte das nicht.“
Sie hörten sich an, als seien sie weiter weg, aber er konnte sie ganz deutlich verstehen. Trotzdem zögerte er. Er glaubte nicht so recht an plötzliche Eingebung seines Vaters, auch wenn es tief in ihm einen großen Wunsch danach gab, dass sein Vater es zugibt, falsch gehandelt zu haben.
„Peter, deinem Vater tut es leid“, rief seine Mutter.
Peter geriet in einen inneren Konflikt. Es merkte es und es fühlte sich schlecht an. Er wollte all dies, deshalb ist er von zu Hause geflohen. Aber irgendetwas ließ ihn stocken, denn er traute der ganzen Sache nicht.
„Peter, es tut mir leid, dass ich dir eine Backpfeife gegeben habe“, sagte sein Vater nun mit besorgter Stimme, „ Ich war ein schlechter Vater, all die Jahre über. Ich habe es jetzt gemerkt, nachdem du weggelaufen bist.“
Peters Widerstand begann zu kippen. Endlich gab sein Vater zu, dass er Fehler begangen hatte! Sein Entschluss stand fest: Er wollte zu seinen Eltern und sich mit ihnen vertragen und sollte sein Vater ihn anschwindeln, würde er danach für immer weglaufen.
„Mama, Papa“, schrie er so laut er konnte.
Er hatte seit er drei Jahre alt war nicht mehr die Worte „Mama“ und „Papa“ benutzt. Sein Vater hatte es ihm untersagt, da er keinen verweichlichten Sohnemann haben wollte. Seither hatte er diese Worte nie mehr in den Mund genommen und sie schon beinahe vergessen.
Nun konnte er Peter kaum mehr erwarten, seine Eltern in seine Arme zu schließen und rannte los. Erst nach einigen Augenblicken bemerkte er, dass er nichts mehr von seinen Eltern gehört hatte.
Also blieb er stehen.
„Mama?“
„Papa?“
Rief er in die Nacht hinein und der Wald verschluckte diese Worte, als ob er hungrig gewesen wäre. Er schaute sich um und horchte, aber er konnte außer dem Laut einer Eule, dem Zirpen einiger Grillen und dem Wind nicht weiter vernehmen.
Hatten sie ihn nicht rufen gehört? Waren sie einfach gegangen? Diese Gedanken ließen Peter Tränen in die Augen schießen und er spürte, wie sehr er seine Eltern vermisste. Jetzt wollte er unbedingt nach Hause! Allerdings wusste er nicht mehr wie er zurückkommen konnte und geriet ein wenig in Panik. Er lief in eine Richtung und blieb wieder stehen.
„Peter!“ hörte er einen Schrei seiner Mutter und er konnte feststellen, aus welcher Richtung dieser Ruf kam.
War sie in Gefahr? In ihrer Stimme vernahm Peter etwas Grauenvolles, als habe sie sich erschrocken. Anders als damals, als sie in das Schloss gezogen waren und sie im Keller Mäuse entdeckt hatte und um ihr Leben schrie. Vater kam dann und beseitigte das Nagetier.
Er rannte. Er rannte, denn er fürchtete nichts Gutes.
„Peter!“, hörte er seinen Vater rufen, „Hilfeeeee…!“
Oh nein! Peter war fast da. Dann blieb er stehen. Er war auf einen Weg gestoßen, den er zuvor noch nie gesehen hatte. War es das andere Ende des Brachenfelder Gehölzes? Zumindest gab es Laternen, sodass er etwas sehen konnte. Auf der anderen Seite waren Mauern mit Verzierungen und vereinzelt hatten sie Zaunelemente. Peter wagte sich heran und konnte feststellen, dass es Eisen sein musste, welches lackiert wurde.
Wo war er?
Peter ging zum Tor, das offen stand. Als er sich direkt davor befand, konnte er ein Schuld erspähen, auf dem geschrieben war:
WestfriedhofamBrachenfelder Gehölz |
Ein Friedhof… Peter dachte nach, denn er war sich nicht sicher, ob er schon einmal von diesem Friedhof zuvor gehört hatte. Er kannte den Südfriedhof und den Nordfriedhof, aber diesen kannte er nicht.
„Peter, hilf‘ uns, wir sind hier“, sprach seine Mutter und es kam eindeutig vom Friedhof.
Peter hatte Angst. Er hatte Angst vor Friedhöfen, besonders mitten in der Nacht und obwohl er nicht genau wusste, wie spät es wirklich war, eines war sicher, es war total dunkel und unheimlich hier. Andererseits hatte er Angst um seine Eltern.
„Bitte, Peter“, flehte sein Vater.
Jetzt reichte es. Peter wollte nicht, dass seine Furcht siegen würde und machte einen Schritt auf den Friedhof.
„Siehst du“, sagte er sich, „es ist nichts passiert.“
Dann machte er einen weiteren Schritt und war nun auf dem Gelände des Westfriedhofs. Es bildete sich Nebel. Peter fiel es schwer, alles genau zu sehen, aber einen Weg erkannte er. Er versuchte herauszufinden, wo seine Eltern sein könnten, denn mehr als das hatte er zurzeit nicht. Obwohl er ab und an stehenblieb, um zu horchen, ob seine Mutter und sein Vater etwas riefen, blieb es still. Außer den Geräuschen der Nacht vernahm Peter nichts.
„Das ist doch zum Verrücktwerden“, sagte er und hielt an, nachdem er eine Weile auf dem Friedhof umhergewandert war, „sie hätten hier irgendwo sein sollen.“
Peter setzte sich auf eine Bank, an der auch eine Laterne befand. Er war sehr müde und wünschte sich sein eigenes Bett zurück. Es kam ihm der Gedanke, dass seine Müdigkeit ihm einen Streich gespielt haben könnte, denn schließlich würden seine Eltern doch weiter rufen, wenn er näher kam, oder etwa nicht? Peter war unsicher.
„Peter!“ schrie seine Mutter plötzlich und er schreckte hoch.
Ohne auch nur einen Gedanken zu verschwenden und mit Trotz gegen seine Müdigkeit, rannte Peter in die Richtung der Stimme seiner Mutter. Er sah einen Brunnen aus uralten Steinen mit Verzierungen.
„Wir sind hier unten!“ rief sein Vater und Peter spurte zum Rand des Brunnens.
So sehr er auch versuchte, etwas zu erkennen, es war viel zu dunkel, um etwas sehen zu können.
„Mama…Papa?“ rief er in den Brunnenschacht und seine Stimme halte etwas.
Dann horchte er, aber eine Antwort kam nicht. Möglicherweise waren seine Eltern so schwer verletzt, sodass sie ihre Kraft aufteilen und deshalb nicht antworten konnten.
„Ich komme und rette euch“, sagte Peter entschlossen und schaute sich in einem Radius von etwa zehn Metern um.
Er wollte unbedingt etwas finden, dass ihm helfen würde, seine Eltern zu befreien. Zum einen wollte ihm nicht einfallen, nach was er suchen sollte und zum anderen fand er nichts. Er landete erneut beim Brunnen und lehnte sich etwas über den Rand hinüber. In einem Moment wie in Zeitlupe bemerkte er, dass er nach vorne abrutschte. Sie Steine waren aalglatt und bevor Peter etwas bemerkte, verlor er sein Gleichgewicht und fiel nach vorne über.
Er schrie reflexartig und nach einer gefühlten Weile prallte er auf den harten und nassen Boden. Da er sich während des Sturzes einmal überschlug, landete er mit voller Wucht auf seinen Rücken, was ihm für einen Augenblick den Atem raubte und einen durchdringenden Schmerz verursachte. Innerlich zerriss es ihn und er wollte laut schreien, aber er konnte nicht.
Es war stockdunkel. Über Peters Gesicht kullerten dicke Tränen Richtung Boden. Er begann zu weinen, musste aber feststellen, dass es noch mehr Qualen verursachte, also unterdrückte seine Traurigkeit. Versuche, sich zu bewegen, endeten abermals in Schmerzen.
Es dauerte einige Zeit, bis er sich für seine Situation einigermaßen beruhigen konnte. Und vor allem ein Gedanke konnte ihn dazu bringen: Seine Mutter und sein Vater!
„Mama…Papa?“ fragte er in die Dunkelheit, „wo seid ihr?“
Es blieb still.
„Mama!“ brüllte Peter und nahm in Kauf, dass es ihm erneut innere Leiden erzeugte, „Papa!“
Es kam keine Antwort.
Peter konnte es nicht glauben und fürchtete, dass seine Eltern ebenfalls, genauso wie er, verletzt waren und deshalb nicht antworteten. Er riss sich aber zusammen.
„Hört ihr?“ fragte er ins Dunkel hinein, „ich werde euch retten…“
Zwar konnte er sich wenig bewegen, ohne Schmerzen zu erleiden, aber er wollte seinen Eltern helfen. Auf einmal hörte er ein Rascheln und spürte eine durchdringende Kälte, die ihm Angst machte. War es ein Tier, welches sich hier unten aufhielt? Vielleicht eine Ratte? Er hasste diese Viecher.
Peter stockte der Atem, denn bemerkte, wie etwas Eisiges seinen Körper, beginnend an seinen Füßen, hinaufkroch. Es sorgte dafür, dass er zunächst seine Beine nicht mehr bewegen konnte und dann als es auf der Höhe seines Herzens war, wurde alles eiskalt.
Es wurde alles weiß und hell und eine Stimme sagte ihm, dass alles gut werden würde.
Aber das wurde es nicht, denn es folgte die Dunkelheit und Peter fühlte sich als sei er in einem Traum. Der Junge öffnete seine Augen und sah eine Art Nebelrauch und ringsherum Finsternis. Er spürte auf einmal, dass er keine Schmerzen mehr hatte und dass er sich wieder bewegen konnte. Zudem konnte Peter trotz des Nebelrauchs mehr sehen. Er stand auf und schaute sich um.
Wo waren seine Eltern?
Plötzlich berührte ihn etwas an seiner Schulter. Es jagte Peter einen gehörigen Schrecken ein. Als er sich umdrehte, erschrak er erneut, denn was er sah, konnte nicht stimmen! Es war eine Mischung aus Rauch und Monster, wie man sich es in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte und auch nicht wollte. Er konnte umrissartig einen Kopf mit feuerroten Augen und zwei Hörner erkennen. Des Weiteren hatte die Bestie einen langen gezackten Schwanz, der sich unregelmäßig hin- und herbewegte. Peter wollte reflexartig weglaufen, aber er spürte eine Kraft, die ihn davon abhielt.
„Du bist jetzt mein“, durchdrang in eine tiefe und brummige Stimme.
Jetzt merkte Peter, was ihm wirklich Furcht einflößte! Es war nicht die Gestalt, die er eh schlecht sehen konnte, sondern die Aura und diese tiefe ins Hirn brennende Stimme. Sie war widerlich und schmerzhaft. Und obwohl er sich gerade in einer aussichtlosen Situation befand, konnte er nicht weinen. Vielleicht wollte er es auch nicht. Vielleicht wollte er diesem Monster nicht noch mehr Macht über ihn verleihen.
„Was hast du mit meinen Eltern gemacht?“ wollte er von dem Ungetüm wissen und brüllte es nahezu heraus.
Dabei vermutete er, dass die Bestie seine Eltern gefangen genommen oder sogar getötet haben müsste. Diese Gedanken machten ihn traurig, aber vor allem auch wütend.
„Sag‘ es schon!“ schrie Peter.
„Schweig!“ donnerte es in dem Kopf des Jungen.
Peter brach sogar zusammen, so stark hatte ihn das Beben der Monsterstimme erwischt.
„Nur weil du tot bist, brauchst du nicht zu denken, du seist unsterblich“, sprach das Ungetüm.
Als die Worte Peter erreichten, versetzten sie ihn Starre. Seine Gedanken kreisten um die Suche nach seinen Eltern, dem Brunnen und den Fall.
„Ich bin tot?“ fragte Peter, noch immer in tiefen Gedanken.
„Finde dich damit ab“, machte das Monster klar und Peter spürte, dass es keine Lust mehr auf eine Fragerunde hatte, „Füge dich oder ich bereite dir unendliche Schmerzen.“
Peters Körper begann zu zittern, denn ein weiteres Beben aus Leiden und Qualen hatte ihn erreicht und verdeutlichte ihn, dass es besser war, nicht zu widersprechen. Peter wollte überleben und Antworten haben. Antworten auf die Frage, wo seine Eltern waren und was tatsächlich hier geschehen war. Daher kniete er sich als Zeichen, dass er gehorchen werde, nieder.
„Ich habe verstanden“, sagte Peter und die Schmerzen ließen nach.
„Aber eine Frage habe ich noch?“ ergänzte er in gebeugter Haltung, „wie ist dein Name?“
„Du wirst mich Meister nennen“, befahl das Monster, „die anderen nennen mich Larvaster.“
Peter nickte.
Im gleichen Moment verspürte er wieder ein ansteigendes Stechen in seinem Kopf.
„Es heißt JA MEISTER“, trug Larvaster dem Jungen auf.
„Ja Meister“, wiederholte Peter mit gesenktem Kopf.
Dann stieg Larvaster empor und verließ den Brunnen. Peter stand wie angewurzelt da, denn er wusste nicht, wie er ihm hätte folgen können.
„Wo bleibst du?“ fragte Larvaster mit wütender Stimme, aber ohne erneutes Beben.
„Ich weiß nicht, wie ich hoch komme“, antwortete Peter.
Er befürchtete, dass im nächsten Augenblick wieder eines der Attacken des Monsters kam und bereitete sich innerlich schon darauf vor.
„Meine Güte“, reagierte Larvaster genervt, „nutze deine Kraft. Du bist ein Geist und kannst den physikalischen Gesetzen trotzen.“
Peter konnte es kaum fassen, was Larvaster ihm mitteile. Ein Geist? Er hätte gerne länger in dieser Phase der Faszination gesteckt, wenn nicht die roten Augen ihn bereits gefühlt mehrfach durchbohrt hätten.
„Also gut“, führte Peter ein Selbstgespräch, „ich bin ein Gespenst und kann offenbar fliegen.“
„Du musst es dir vorstellen“, verriet ihm Larvaster ungeduldig, „und nun sieh‘ zu, bevor ich es mir anders überlege.“
Peter benutzt seine Vorstellung vom Fliegen und nahm als Vorbild Peter Pan, der immerhin auch ein Junge war und fliegen konnte. Zudem waren sie Namensvetter, was ihm in diesem Moment sehr gefiel und ihm Mut machte.
Langsam spürte Peter wie er vom Erdboden abhob und etwas in der Luft schwebte. Wow! War das ein Gefühl! Er flog nach oben und landete auf der Erde.
„Du wirst mich nun zu dir nach Hause führen“, orderte Larvaster an.
„Ja, Meister“, sagte Peter, „ich weiß nicht, wie ich von hier aus zu mir nach Hause komme.“
Die Augen des Rauchmonsters wurden dunkelrot. Peter deutete als Zeichen für Wut und schluckte kurz, denn er wollte nach wie vor keine weiteren Qualen erleiden!
„Horche in dich“, sprach Larvaster, „und nutze deine neue Macht. Ich sage es nicht noch mal, denn dann reißt mein Geduldsfaden, kapiert?“
„Ja, Meister“, antwortete Peter brav und gab keinen weiteren Mucks von sich.
Peter riss sich zusammen und begann auf seinen Körper zu hören. Wie mit Magie verschwanden alle anderen Dinge um ihn herum. Der Friedhof, die Bäume, die Straße und selbst das Grillenzirpen in der Nacht. Es blieb einzig und allein das Schloss übrig. Er sah es klar und deutlich vor Augen und wusste, wo er lang zu gehen hatte.
Larvaster folgte dem Jungen. Sie schritten durch das Brachenfelder Gehölz, durch die Straßen bis sie schließlich ankamen. Es war mitten in der Nacht und außer den Laternen, brannte kein Licht mehr in den Häusern, so auch nicht im Heim von Peter. Plötzlich sah Peter einen jungen Mann, der offenbar von einer Feier auf den Weg nach Hause war. Er kam direkt auf die beiden zu, die inmitten des Weges standen. Während Larvaster sich nicht beirren ließ, machte es Peter nervös, denn der Mann könnte sie entdecken und Peters Eltern unnötig in Gefahr bringen oder aber er könnte die Rettung sein. Letzteres glaubte Peter weniger, denn Larvaster war ein Wesen, das gefährlich war.
Noch immer reagierte das Rauchmonster so, als hätte es niemanden kommen sehen und konzentrierte sich auf den Eingang, einem Tor, was nicht abgeschlossen war. Peter bemerkte gar nicht, dass Larvaster nicht hinein kam, da er mit dem Passanten beschäftigt war. Der Mann war bis auf zwei Meter herangekommen. Dann blieb er stehen. Oh nein! Jetzt hat sie entdeckt. Peters wurde mulmig. Gleich würde der Mann in Panik geraten und die ganze Sache würde auffliegen.
„Bitte mich in dein Heim“, sagte Larvaster, ohne auf das Thema mit dem Fremden einzugehen.
Peter reagierte nicht, denn der Mann starrte ihm direkt in seine Augen.
„Der kann uns nicht sehen“, verriet Larvaster, „er ist ein Mensch.“
Im nächsten Augenblick torkelte der Fremde weiter und zu allem Überfluss auch noch durch Peter hindurch. Es fühlte sich an, als mache man eine Röntgenaufnahme. Man spürt zwar nichts, aber man weiß dass es nicht angenehm für den Körper war.
„Bist du fertig mit dem Gaffen?“ fragte Larvaster genervt, denn er wollte in das Schloss und wurde von dem Jungen, den er aber dafür benötigt, aufgehalten.
„Ja, Meister“, gab Peter als Antwort, denn er hatte nicht vergessen, dass dieses Monster auch anders konnte, „wie mache ich das denn?“
„Gehe auf das Grundstück“, teilte Larvaster mit, „und sage, dass du mich hineinbittest.“
Peters Gefühle schlugen Alarm. Er hatte schon bei Vampiren wie Dracula gelesen, dass es eine solch ein Wesen eine Macht verleiht, die kein gutes Ende genommen hatte.
„Falls du auf dumme Gedanken kommst“, warnte das Ungetüm, „falls du mich nicht hineinbittest, werde ich dich töten und wenn es dir nicht reicht, dann reiße ich deinen Eltern die Haut beim lebendigen Leibe ab!“
„Ich bitte dich hinein, Meister“, kam es aus Peter geschossen wie aus einer Pistole.
Das rauchige Schattenmonster schwebte durch die Mauer, die als Grenze diente, hindurch und befand sich nun auf dem Gelände. Peter zitterte am ganzen Körper, denn ihn hatten die Worte von Larvaster hart getroffen. Die Entscheidung, die Bestie hineinzulassen, war keine freie- sie war erzwungen worden. Der Junge hatte das Gefühl, ins Schachmatt gestellt worden zu sein, denn er hätte bei einem „NEIN“ seine Eltern verloren.
Larvaster hingegen verlor keine Zeit. Er wirkte zunehmend unruhig. Peter konnte nicht genau ausmachen, woran es lag und folgte dem Ungetüm, das sich in Richtung Schloss fortbewegte. Es waren brannten keine Lampen im Haus, sodass Peter vermutete, dass es noch immer Nacht sein musste. Der Mond am Himmel leuchtete hell und klar.
Kurz vor dem Eingang wurde auf einmal die Tür geöffnet und die Mutter von Peter kam hinaus. Peter war überwältigt von seinen Gefühlen, denn er freute sich, dass er seine Mutter sah und wollte am liebsten auf sie zu rennen, aber ihn durchkreuzte der Gedanke, dass es nicht funktionieren würde. Seine Mutter lief durch ihn durch und er konnte ihr Herz schlagen hören. Es schlug schnell. Es war sehr aufgebracht.
„Schatz“, hörte Peter die Stimme seines Vaters rufen, „nun warte doch… er ist bestimmt früh zur Schule gegangen.“
Seine Mutter blieb stehen und schaute mit finster Miene: „ Und warum hat er einen Abschiedsbrief geschrieben?“
Sie drehte sich wieder um und ging weiter in Richtung Garage.
„Er will uns doch nur ärgern“, versuchte der Vater eine Antwort zu geben.
Peter kullerten dicke Tränen die Wange hinunter. Es überkam ihn. Er verstand, dass seine Eltern gerade nach ihm suchten und nicht wussten, dass er tot war.
„Sie waren nie im Brunnen“, sagte Peter unter Tränen zu Larvaster.
Dieser reagierte gar nicht, sondern löste sich auf und Peter war allein. Die Mutter hatte inzwischen die Garage erreicht, öffnete sie, stieg in das Auto und startete es. Der Vater stellte sich davor, um ihr den Weg zu versperren.
„Steig ein oder ich überfahre dich!“ brüllte sie in einem hochaufgebrachten Ton.
Der Vater spürte, dass sie es ernst meinte und wich zur Seite. Das Auto fuhr einige Meter und blieb mit laufendem Motor stehen. Die Mutter öffnete die Beifahrertür und der Vater verstand, dass er einsteigen sollte. Er tat, was von ihm verlangt wurde. Peter schaute sich um, da er wissen wollte, ob Larvaster sich versteckte. Er wollte seine Eltern begleiten. Im nächsten Moment stellte er sich vor, dass er fliegen konnte und dann folgte er ihnen. Larvaster hingegen hatte sich im Haus versteckt, unsichtbar für Peter. Er hatte trotzdem alles mitbekommen und es gehörte zu seinem Plan.
„Wo willst du denn hinfahren?“ fragte der Vater die Mutter, die in einem Affentempo raste.
Peter fiel auf, dass sie ohne Licht fuhr, was mitten in der Nacht gefährlich war. Er hoffte, dass ihnen nichts geschehen würde. Auf dem Weg in Richtung Schule fuhren immer mehr Autos an ihnen vorbei. Zudem befanden sich viele Schüler auf ihren Wegen zur Schule.
Mitten in der Nacht?
Peter kam das alles sehr merkwürdig vor. Und als er den Blick zum Mond wagte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augenbrauen-es musste Tag sein, nun er konnte das nicht sehen! Es war immer dunkel für ihn- immer Nacht! So war es für Geister.
Die Mutter parkte das Auto und stieg mit zackigem Schritt aus. Der Vater kam kaum hinterher. Sie betrat das Schulgebäude und suchte das Sekretariat auf. Ohne zu klopfen, riss sie die Tür auf.
„Wissen Sie, ob mein Sohn heute in die Schule gekommen ist?“ fragte sie mit einer Stimme, die Sorgendes, aber auch Drohendes hatte.
Die Sekretärin fühlte sich überrannt und zeigte sich erbost: „ Nun hören Sie mal. Sie können hier nicht einfach reinplatzen und hier hysterisch herumschreien, wann es Ihnen passt.“
Die Mutter lief rot an und wurde richtig wütend. Der Vater war wie gelähmt. Er kannte seine Frau nicht so. Sonst war sie die liebe, zurückhaltende Hausfrau und machte ihren Haushalt und jetzt war sie wie verwandelt.
„Sie hören mir zu“, begann sie zu brüllen, „wenn Sie mir nicht sofort helfen, gehe ich zum Rektor, Herrn Müller und beschwere mich und wenn dies auch nichts bringt, werde ich dem Kultusministerium solange auf dem Leim gehen, bis Sie mir sagen, ob sich mein Sohn hier befindet!“
Die Sekretärin entgegnete nichts und dies erwies sich als kluger Plan, zumal die Mutter sehr aufgebracht war und dadurch unberechenbar.
„Ich werde die Klassenlehrerin Frau Lehmann holen“, sagte sie und verschwand.
Die Eltern warteten ungeduldig auf eine Antwort. Der Vater wusste nicht, wie er seine Frau auffangen sollte, denn schließlich kannte er diese Seite von ihr nicht. Peter erreichte den Raum und schaute sich seinen Vater und seine Mutter an. Er schrie so laut er konnte, denn ein Part in ihm konnte nicht wahrhaben, dass er tot war und als Geist hier herumschwebte.
Eine Reaktion erfolgte nicht. Die Eltern spürten nicht einmal, dass er direkt neben ihnen stand. Peter musste abermals weinen, als er einen starken Sog spürte, der ihn packte und zurückzog, obwohl er sich mit all seiner Kraft dagegen wehrte. Dabei merkte er, dass es Larvaster war, der ihn zurückholte. Seine Kräfte ließen nach, denn es hatte keinen Sinn, sich gegen etwas zur Wehr zu setzen, was ohnehin um einiges mehr an Energie verfügte.
Nach einigen Augenblicken war Peter wieder im Schloss. Larvaster erwartete ihn bereits und grinste:
„Für heute bist du genug ausgeflogen“, sprach das Ungetüm, „und wirst hierbleiben!“
Peter bemerkte ein Brennen an seinen Handgelenken und schaute auf sie. Es bildete sich eine Art Feuerfesseln, die erst hell aufleuchteten und dann wieder verschwanden. Peter aber wusste, dass sie noch immer dort waren, denn das Brennen ließ zwar nach, konnte aber nie ganz versiegen.
„Ab jetzt und für immer bleibst du hier im Schloss Brachenfeld“, teilte ihm Larvaster mit.
Peter war wie gelähmt. Er konnte nicht glauben, was mit ihm geschah. Es war zu viel für ihn und es begann, in ihm die Wut zu kochen. Er erhob seine Hand in Richtung des Monsters und brüllte:
„Lass‘ mich endlich in Ruhe und verschwinde!“
Larvaster riss seine feurigen Augen auf und er wirkte als sei er über die Menge an Widerstand bei einem kleinen Menschenjungen oder Geisterjungen überrascht. Aber nach diesem Augenblick wurde daraus ein schallendes Gelächter.
„Was willst du kleiner Zwerg denn gegen mich ausrichten?“
Peters Miene verfinsterte sich. Er senkte seinen Arm wieder und wurde still.
„Genau“, legte Larvaster nach, „du kannst rein gar nichts machen, da du ein kleiner Wurm bist.“
Im nächsten Moment bemerkte Peter einen tiefen Schmerz, innerhalb seiner Brust. Er fühlte sich an, als würde er zusammengepresst werden. Obwohl es ihm sehr wehtat, versuchte er seinen Schmerz zu unterdrücken. Dennoch sank er zu Boden.
„Damit du nicht vergisst, wer hier Meister und wer hier Dreck ist“, sagte Larvaster und das Leiden endete abrupt.
Larvaster löste sich auf und Peter war wieder allein. Die Traurigkeit breitete sich in ihm aus und er hätte den ganzen Tag und die gesamte Nacht über heulen könne, aber er tat es nicht. Er wollte nicht. Er wollte diesem Ungeheuer nicht die Genugtuung geben.
Es vermochten einige Stunden vergangen sein, als Peter registrierte, dass seine Mutter die Tür des Hauses öffnete und sehr aufgebracht hineingestürmt kam.
„…aber Schatz, willst du etwa sagen, dass ich die Schuld habe, dass er weggelaufen ist?“ fragte sein Vater, „du weißt ich liebe meinen Sohn auch und will nur das Beste für ihn.“
Seine Mutter drehte sich um.
„Aber musstest du immer so streng zu ihm sein? Er hat dir doch gar nichts getan“, entgegnete sie unter Tränen.
Sie sprang auf ihn zu und fuchtelte mit ihren Armen als wolle sie ihren Mann schlagen. Peters Vater aber hielt sie fest und drückte sie an sich und umarmte sie. Peter sah das erste Mal, dass auch sein Vater eine Träne vergoss.
„Es tut mir Leid“, sprach er und beide umarmten sich eine Zeit.
Auf einmal verlief alles ganz schnell. Peter hatte einen Moment bevor es geschah ein Aufblitzen wahrgenommen. Die Schrauben der Lampe, die sich über den Eltern befand, lösten sich. Es veranlasste, dass sich alles losriss und drohte auf die Mutter zu fallen. Dank der tollen Reflexe des Vaters, konnte dieser die Mutter zur Seite schubsen und nur knapp einem Schlag des Leuchters entkommen.
„Was war…?“ fragte die Mutter, die im darauffolgenden Augenblick realisierte, dass ihr Ehemann sie gerettet hatte.
Der Vater stand unter Schock, denn er hatte vor seinem inneren Auge die Lampe schon auf seinen Kopf einschlagen sehen. Die Mutter stand auf und begab sich zum Vater.
„Ist alles gut mir dir?“ erkundigte sie sich und nahm ihn in den Arm.
„Ja, es geht wieder“, antwortete der Vater, „ich dachte schon, dass war’s mit mir.“
Peter hatte das Gefühl, dass dies kein Zufall war, sondern Larvaster dahinter steckte. Zeitgleich erinnerte er sich daran, dass dieses Monster ihm sehr deutlich gemacht hatte, falls Peter sich erneut widersetzte, ihm Konsequenzen drohten. Zumal Peter natürlich nicht wollte, dass seinen Eltern etwas geschah.
Noch bevor Peter sich seinen Gedanken entsagen konnte, machten sich plötzlich alle Bilder inklusive ihrer Rahmen nacheinander von den Wänden los. Dabei schossen sie von ihren Halterungen und machten einen Bogen Richtung Boden. Eines der Gemälde traf dabei den noch ausruhenden Vater und verletzte ihn am Kopf, da weder seine Reflexe ihm diesmal halfen, noch seine Frau, die einfach zu langsam war. Sie erschreckte sich derart, sodass sie bei jedem Bild wieder zusammenzuckte.
Trotz seiner Platzwunde am Kopf, stand der Vater auf. Er wollte zu seiner Frau. Der Teppich unter ihm machte einen kräftigen Satz nach und der Vater fiel unkontrolliert nach vorne.
„Nein!“ schrie die Mutter, aber konnte nicht mehr einschreiten, da sie viel zu weit weg und nicht schnell genug, um zu ihrem Mann zu kommen.
Die Intuition der Mutter hatte es geahnt, denn der Vater knallte mit seinem Gesicht mit voller Wucht auf den Boden und regte sich nicht mehr. Es war wie in Zeitlupe. Peter war unter Schock und starr. Die Fassungslosigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen. Peters Mutter sprang auf und raste zu ihrem Ehemann, der regungslos und mit offenen Augen dort lag.
„Schatz“, sagte die Mutter mit panischem Ton, denn sie wusste, dass das allerschlimmste passiert war, was hätte passieren können.
Sie rüttelte an ihm, aber er zeigte keine Reaktion. Sie wollte, dass er aufwacht, aber das tat er nicht.
„Schatz, nun sag doch was!“ schrie sie und weinte.
Sie fühlte seinen Puls am Handgelenk und am Hals, aber sie spürte, so sehr sie es auch wollte, kein Lebenszeichen. Sie begann wie wild mit dem Reanimieren, indem sie ihm Luft spendete und danach eine Herzdruckmassage durchführte.
„Bitte wach‘ doch auf“, sagte sie unter Tränen, „ich will nicht meine ganze Familie verlieren.“
Ganz gleich, wie oft sie den Vorgang wiederholte, es zeigte sich keine Regung bei ihrem Mann. Peter kam aus seiner Schockstarre und war so schnell bei seiner Mutter. Er wusste, dass er nichts machen konnte als ihm einfiel, dass er beim Fliegen auch nur fest daran glauben musste, um es zu können.
„Warum also sollte es nicht auch beim Wiederbeleben funktionieren?“ fragte er sich.
Peter dachte ganz fest daran. An Zeiten mit seinem Vater und seiner Mutter. An Zeiten, als alles noch in Ordnung war und seine Mutter, sein Vater und er lachen konnten. Je mehr er daran dachte, desto mehr Bilder schossen ihm in den Kopf. Er hatte nahezu das Gefühl wirklich dort zu sein.
„Peter?“ fragte seine Mutter und unterbrach den Gedanken ihres Sohnes und schaute ihm direkt in die Augen.
„Mama?“ fragte Peter.
Peter wusste nicht, dass seine Mutter ihn für den Hauch eines Moments gesehen hatte, wie bei einer Erscheinung. Genau in diesem Moment fiel ein riesiger Schrank um und erwischte die Mutter auf den Kopf und begrub beide unter sich.
„Nein!“ brüllte Peter und wollte seine Mutter, wie auch seinen Vater unter dem Schrank hervorholen, allerdings konnte er keine Sachen bewegen.
„Peter, dich trifft keine Schuld“, sprach eine Stimme und Peter merkte, dass es die seines Vaters war.
Er drehte sich zu ihm und dort stand er, als wäre er gar nicht tot. Im Augenwinkel konnte er sehen, wie seine Mutter erschien.
„Mama“, sagte Peter und alle umarmten sich.
Während Peter seine Eltern so fest hielt wie er nur konnte, denn er wollte sie nie wieder loslassen, spürte er das Aufkommen einer Kraft… es war Larvaster! Sofort blickte Peter sich um und sah das Rauchmonster, wie es etwas Blauleuchtendes in sich aufnahm. Dann drehte sich Larvaster zu ihnen um. Seine Augen sprühten mehr Feuer als zuvor. Als wären sie voller Energie.
Peter löste sich von seinen Eltern und stellte sich demonstrativ vor ihnen. Er zeigte keinerlei Angst, obwohl er es unter Umständen gehabt hätte. Die feurig- roten Augen der Bestie wichen nicht von Peter und seinen hinter ihm stehenden Eltern ab.
„Es wird nicht funktionieren“, sprach Larvaster mit bebender Stimme.
„Du hast versprochen, dass sie am Leben bleiben“, warf Peter ihm vor.
„Ich habe nichts dergleichen versprochen“, entgegnete er, „erstens habe ich lediglich gesagt, dass ich deine Eltern töte, wenn du mich nicht herein lässt und zweitens gehört es zu meinem Geschäft, dass ich lüge.“
Ein Teil des Rauchs schoss in Peters Richtung und er wich aus, indem er zur Seite sprang. Er konnte während des Sprungs sehen, wie der Rauch seine Eltern traf und sie sich auflösten. Peter landete und stand sofort wieder auf. Er schäumte vor Wut.
„Denke daran“, erinnerte Larvaster den Jungen, „ich bin dein Meister.“
„Dann töte mich doch auch gleich mit“, rief Peter.
„Nein, den Gefallen tue ich dir nicht“, widersprach Larvaster, „denn ich werde dich noch gebrauchen.“
Dann verschwand Larvaster wieder und ließ den Jungen alleine.
Professor Lux
Die Jahre vergingen und Larvaster tauchte immer mal wieder auf. Er lockte einzelne Menschen in das Haus, indem er beispielsweise Licht erzeugte. Einige Jugendliche fanden in diesen Mauern ihren Tod, aber auch Obdachlose, die eine Bleibe für eine Nacht gesucht hatten. Dadurch wurde das Schloss auch Todesschloss genannt und fand keinen Käufer, geschwiege denn einen Mieter. Die Stadt Neumonster musste es übernehmen und überließ es sich selbst.
Peter erfuhr, dass die Seelen der Menschen die Energiequelle für Larvaster waren, aber mehr auch nicht. Ansonsten kannte er jede Ecke, jedes Versteck, eigentlich jeden Punkt in diesem Schloss, denn er hatte eine Menge Zeit, die er genutzt hatte.
Eines Tages änderte sich alles. Es betrat eine Mann in einem feinen Anzug und ein älterer Herr das Schloss. Für Peter war es eine Abwechslung nach all den Jahren mal Menschen zu sehen, die nicht als Opfer die Residenz betraten, denn Larvaster war nicht hier. Er war schon länger nicht mehr im Schloss gewesen. Es war selbst für ihn eine lange Zeit.
„Es ist staubig hier“, sagte der Mann im Anzug, der sich als Makler entpuppte, „aber man kann dies bestimmt mit einer kleinen Investition wieder herrichten.“
„Aha“, sprach der alte Herr und setzte seinen kleinen Koffer ab, „ich nehme es.“
Der Makler zeigte sich verwirrt.
„Wie meinen?“ fragte er nach, denn er dachte, sich verhört zu haben.
„Ich würde das Schloss gerne käuflich erwerben“, präzisierte der Herr seine Aussage.
„Aber gerne doch“, freute sich der Makler, „dann müssen Sie einen Termin bei Ihrer Bank machen und der Stadt ein Angebot machen.“
Der Herr öffnete seinen Koffer und zog ein Bündel Scheine hervor und übergab dem Makler das Geld.
„Dies kleine Sümmchen sollte als Anzahlung reichen“, erklärte der Herr, „Machen Sie einen Vertrag fertig und wir werden uns einig.“
Der Makler nahm das Geldbündel und zählte eifrig die tausend Mark Scheine durch. Dann stockte ihm der Atem.
„Das sind 100.000 Mark?!“
Der Makler war komplett von den Socken.
„Sie besitzen die Fähigkeit des Zählens“, scherzte der alte Herr.
„Aber das ist das Doppelte von dem Kaufpreis“, machte der Makler den alten Herrn darauf aufmerksam.
„Dann werden wir uns wohl einig werden“, sprach der alte Herr.
„Bestimmt.“
Die Augen des Maklers funkelten.
„Ich werde noch heute alles vorbereiten, damit wird den Kauf abschließen können“, erzählte der Makler, „allerdings fehlt mir Ihr Name.“
„Meine Name ist Professor Ludwig Lux“, teilte er mit, „Ich habe allerdings eine Bitte.“
„Was immer Sie wünschen“, sagte der Makler.
„Ich möchte noch heute einziehen“, verriet Professor Lux.
„Natürlich“, zeigte sich der Makler schnell einverstanden, denn er wollte diesen Käufer nicht verlieren, es sei denn, er wäre blöd, „ich werde dann bis morgen alles fertig haben und mit dem Notar zu Ihnen kommen.“
„Selbstverständlich“, zeigte der Professor sein Einverständnis.
Der Makler verabschiedete sich und wirkte als habe er gerade einem Dummen etwas Wertloses verkauft. Für viele mochte dies auch stimmen, denn nach wie vor war das Todesschloss eine Ruine und die Stadt, wie auch weitere Interessenten rissen sich nicht gerade um die Immobilie.
Als der Makler die Tür hinter sich schloss, war es ruhig geworden. Der Professor machte ein paar Schritte in dem Raum und begutachtete alles bis schlussendlich sein Blick auf Peter fiel und dort verharrte. Peter war sich nicht sicher, ob der alter Herr ihn sehen konnte oder nachdachte.
„Nein, er denkt nur nach und kann dich nicht sehen, geschweige denn wahrnehmen“, sagte Peter zu sich selbst.
„Da muss ich korrigieren“, widersprach der Professor, „ich verstehe dich laut und deutlich.“
Diese Aussage versetzte Peter in Panik, denn er war es seit Jahren nicht gewohnt, dass irgendjemand mit ihm ein Gespräch führt. Daher flog er dorthin, wo er immer war, wenn es ihm nicht gut ging: In sein Zimmer.
Der Professor konnte dem kleinen Geist kaum folgen und verlor ihn. Dennoch gab er nicht auf und durchkämmte jedes Zimmer, ehe er in das von Peter kam. Er sah den Jungen auf seinem Bett liegen und näherte sich ganz behutsam. Er wollte ihn schließlich nicht erschrecken. Peter entdeckte ihn und erhob sich. Er wusste nicht, was er machen sollte, da er nicht ahnte, ob der Professor ihm gegenüber gut oder schlecht gesinnt war.
„ Habe keine Angst“, versuchte Professor Lux Peter zu beruhigen, „ich werde dir nicht tun.“
Peter antwortete nicht. Seine Verunsicherung blockierte ihn. Er dachte die ganze Zeit an Larvaster, der ihn belogen und reingelegt hatte. Daher misstraute er Fremden.
„Mein Name ist Professor Lux“, stellte sich der alte Herr vor, „ ich bin Professor für paranormale Aktivitäten und weiß, dass du ein Geist erster Ordnung bist.“
Peter brachte das noch mehr durcheinander. Was waren paranormale Aktivitäten und weshalb konnte der Professor ihn sehen? Immerhin schien er lebendig zu sein, sonst hätte der Makler nicht mit ihm sprechen können.
„Ich kann dir vielleicht helfen“, sprach der Professor.
Peters Augen weiteten sich, denn er dachte, sich verhört zu haben. Wie genau sollte der alte Herr ihm helfen können? Er fasste seinen gesamten Mut zusammen, obwohl es Stimmen in ihm gab, die ihm davon abrieten, diesem Menschen zu vertrauen.
„Wie?“ fragte er kurz und knapp.
Der Professor lachte: „Nun, zunächst einmal gehört es zur Höflichkeit, sich vorzustellen, denn ich kenne nicht einmal deinen Namen.“
„Ich heiße Peter“, sagte Peter mit zögerlicher Stimme.
„Professor Lux, genauer genommen Professor Dr. Dr. Ludwig Lux“, sprach der Professor.
Dabei sah Peter bei genauerer Betrachtung, einen alten, kleinen, etwas dicklichen und freundlich wirkenden Mann vor sich. Er schien harmlos zu sein, denn er strahlte eine innere Ruhe und Freundlichkeit aus, die Peter nicht erklären konnte.
„Und wie wollen Sie mir helfen?“ wollte Peter nun wissen, denn der Professor hatte ihn neugierig gemacht.
Auf einmal verfinsterte sich die Miene des Professors etwas und eine Falte an der Stirn verzog sich:
„Sagt dir der Name Larvaster etwas?“ fragte er.
Peter zuckte zusammen. Dieser Name ließ es ihm kalt den Rücken runterlaufen und erinnerte ihn an all die Qualen, die dieses Monster ihm angetan hatte und natürlich hatte Peter nie vergessen, dass dieses Ungetüm ihm seine Eltern genommen hatte.
Peter schreckte wieder zurück. Die Angst ließ ihn wieder vorsichtig werden. Möglicherweise war es ein Trick von dem Monster und der Professor nur ein Handlanger.
„Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte der Professor mit ruhiger Stimme, „ich tue dir nichts. Im Gegenteil, ich will Larvaster bekämpfen.“
Peter schaute Professor Lux erneut an. In seinem Blick sah man Zweifel und ein wenig Hoffnung. Wie sollte es einem einfachen Menschen gelingen, dieses Monster zu bezwingen? Oder wollte er ihm zur Flucht helfen?
„Wie wollen Sie das machen?“ führte Peter seine Frage nun aus.
Ein Flehen war in seiner Stimme und in seiner Mimik zu erkennen, denn er wollte weg von hier- meinetwegen auch zu seinen Eltern.
„Aus deiner Aussage ziehe ich den Schluss, dass der Poltergeist sich in diesem Anwesen befindet“, vermutete Professor Lux und kramte in seinem kleinen Koffer, den er offenbar immer dabei hatte, herum.
Peter schüttelte den Kopf: „Er war länger nicht hier.“
Noch immer wühlte der Professor nach etwas.
„Was ist ein Poltergeist?“ fragte Peter.
„Etwas sehr Gefährliches“, erhielt er als Antwort, „ein Geist der dritten Ordnung.“
Peter verstand nichts: „Wie meinen Sie das?“
Der Professor holte ein Buch heraus, das er aufschlug. Es sah wie ein Notizbuch aus. Es trug den Titel: „Die Einordnung der Geisterklassen und wie diese zu bekämpfen sind.“ Professor Lux blätterte wie wild darin herum.
„Ah….ja“, murmelte er, „hier ist es.“
Dann zeigte er seine Aufzeichnungen, die Peter mehr verwirrten als ihn aufzuklären. Außer dem Zeichnungen, die Larvaster darstellten, konnte er mit dem Rest nichts anfangen.
„Das ist er“, sagte Peter nur und schaute den Professor fragend an.
„Du weißt offenbar nichts über deinesgleichen?“
Professor Lux packte das Buch wieder in den Koffer.
„Ich erkläre es dir“, begann er, „zunächst einmal bist du ein Geist und gehörst zur ersten Ordnung, da du dich zwar in der Geisterwelt bewegen kannst und für Menschen unsichtbar bist, aber über keinerlei Zauberkräfte verfügst. Du kannst Schweben und durch Wände hindurch, wenn du dich anstrengst, aber das war es auch schon.“
„Und wieso sehen Sie mich?“ fragte Peter und unterbrach damit die Ausführungen des Professors, der aber nichts dagegen hatte.
„Ich gehöre zu der Gruppe der Indoles an, der Menschen mit besonderer Begabung“, antwortete Professor Lux, „ich bin mittels Artefakt wie ein Conspect, einem sogenannten Sehenden. Hätte ich ein anderes Artefakt, würde ich über andere Fertigkeiten verfügen.“
Dabei zeigte der Professor auf sein Amulett, welches er unter sein Hemd versteckte.
„Einem Sehenden?“ fragte Peter nach, denn verstand nicht gleich, was das zu bedeuten hatte.
„Ja, ich kann dich dann sehen und mit dir sprechen“, führte Professor Lux aus.
Peter nickte, denn bisher gefiel ihm der Gedanke, nicht mehr alleine zu sein. Er kannte den alten Mann zwar nicht näher, aber er fand ihn jetzt nicht mehr gefährlich, sondern sympathisch.
„Larvaster dagegen ist ein Poltergeist und gehört den Geistern dritter Ordnung an“, erklärte Professor Lux und die Stimmung des Jungen verschlechterte sich wieder, „sie sind mächtig und können Geister wie dich erschaffen und zu ihren Sklaven machen.“
Der Name löste bei Peter zwar Angst aus, er musste aber nicht verschwinden, da er merkte, wie sehr ihn der Professor verstanden hatte.
„Kannst du mich befreien?“ fragte Peter nach.
Die Falten auf der Stirn des Professors wurden mehr, denn er machte sich Sorgen, um die Antwort, die er geben sollte. War die Wahrheit besser als eine Lüge, die den Jungen erstmal schützen würde?
„Ich versuche es“, gab er als Antwort, um so beiden Seiten gerecht zu werden.
Dann kramte er erneut in seinem Koffer herum und holte eine Schachtel hervor und hielt es Peter hin, damit der Junge es näher betrachten konnte.
„Es ist eine Cavea“, erläuterte der Professor, „eine Art Geisterkäfig. Sie verwandelt sich mit einem Zauberspruch in eine Truhe, die den Poltergeist für immer gefangen hält.“
„Kann man ihn nicht einfach töten?“ fragte Peter, dessen Stimme auf einmal laut wurde und zornig, denn es sprach die Rache aus seinem Mund.
Der Professor lachte: „Nein, mein Junge, wenn das im Bereich des Möglichen liegen würde, hätte ich es bereits vollzogen. Und wenn, würde es nur einem Venator gelingen.“
Peter gefiel diese Antwort nicht. Sie ließ ihn befürchten, dass so eine alberne Kiste den mächtigen Poltergeist nicht aufhalten würde. Schließlich war der Professor nur ein Mensch und was sollte der schon ausrichten können? Andererseits- was hatte er für eine Wahl? Und was hatte noch zu verlieren?
„Wie kann ich Ihnen helfen?“ wollte Peter wissen und klag voller Tatendrang.
Der Professor hatte mit einem Angebot zu so einem frühen Zeitpunkt nicht gerechnet. Aber er fand es gut.
„Du kannst mir in der Tat helfen“, antwortete Professor Lux, „ denn du kannst mir sagen, wann er kommt und ihn ablenken, damit ich ihn in der Cavea verbannen kann.“
Peter nickte zustimmend und ergänzte: „Das werde ich tun.“
Ab diesem Zeitpunkt waren der Professor und Peter Freunde und es sollte noch einige Zeit in Anspruch nehmen, ehe sie ihren Plan in die Tat umsetzen konnten. Zumindest ließ es zu, dass sie sich näher kennenlernten und dass Peter mehr aus dem Buch „Die Einordnung der Geisterklassen und wie diese zu bekämpfen sind“ erfuhr.
Generell gab es fünf Geisterklassen: Die bereits beschriebenen Geister der ersten Ordnung, zu dem Peter gehörte, aber auch Erscheinungen und alle Geister ohne Zauberkraft.
Zur Geisterklasse der zweiten Ordnung gehörten verfluchte Geister, die einen bestimmten Zauber oder Fluch ausüben konnten oder die Seelenfresser, ehemalige Geister, die durch einen großen Durst nach Seelen zu ihrem Schicksal gelangen.
Ebenfalls bekannt war der Poltergeist, ein Geist dritter Ordnung. Er war meist ein sehr alter Geist, der andere Geister als Sklaven hielt. Er konnte seine Opfer nur durch Gegenstände oder Tricks töten, außer es waren Kinder. Sie kann er selbst ermorden. Zudem kann er Stimmen imitieren und Gegenstände bewegen und Träume beeinflussen. Sein Bindungszauber ist überaus mächtig.
In die Klasse der vierten Ordnung gehörte der Beschwörungsgeist. Er musste durch Beschwörung herbeigerufen werden und war mächtiger als alle darunterliegenden Geister. Wenn sein Besitzer nicht aufpasste, wurde er vom Beschwörungsgeist getötet und selbst zum Sklaven.
Die Dämonen waren die Geister der fünften Ordnung. Ihre Hauptmerkmale bestanden darin, dass sie zum einen Mensch und Tier als Wirt nahmen und zum anderen mächtige Angriffszauber hatten.
„Kann ich auch zum Seelenfresser werden?“ fragte Peter mit großer Sorge.
„Schlussendlich schon“, antwortete der Professor, „aber erst nach mindestens hundert Jahren ohne Seele.“
Allein der Gedanke, dass er jemals eine Seele „essen“ müsste, ließ Peter erschaudern. Zudem hatte er das Gefühl, dass es nur starke Geister gab, gegen die man nichts ausrichten konnte, aber auch hierzu konnte ihm das Buch eine Antwort geben, denn es gab sogenannten Übersinnlichen, die gegen Geister kämpften.
Zunächst waren da die Indoles, begabte Menschen, die mittels Artefakte, mit bestimmten Fähigkeiten ausgestattet wurden, sowie der Professor.
Die Conspect waren Menschen, die bereits mit einigen übersinnlichen Fertigkeiten ausgestattet waren, ohne dass sie es erlernen mussten.
Die Lacin waren zwar im tiefsten Menschen, zählten aber zu den Übersinnlichen, denn sie konnten ein wenig Geistermagie anwenden und vor allem abwehren.
Ein Venator war eine Art Geisterjäger, der mit allen magischen Fertigkeiten ausgestattet war. Allerdings waren sie sehr selten.
Der Professor hatte ebenfalls die Möglichkeit, neben der Vorbereitung auf die Ankunft des Poltergeistes, an Zeit genommen, um sich häuslich einzurichten. Es sah am Ende richtig nett aus, sodass auch der Hausgeist Peter Gefallen daran finden konnte.
„Ich spüre, dass er kommen wird“, sagte Peter auf einmal und sein Gesicht verfinsterte sich wieder als wäre der Professor nie da gewesen.
„Keine Sorge, Peter, wir bekommen das hin“, versicherte Professor Lux und seine Zuversicht sollte Peter anstecken.
Zuerst gingen alle Lichter aus, indem sie durchknallten. Dann wurde es dunkel. Der Professor wusste nun tatsächlich, dass Larvaster dort war. Es würde der Zeitpunkt näher rücken, auf den er die ganze Zeit hingearbeitet hatte. Aber er verhielt sich passiv, damit der Poltergeist ihn wahrnahm, denn dann hätte er keine Chance.
„Peter“, sprach Larvaster und erschien dem Jungen als Rauchmonster, „was machst du auf dem Dachboden?“
Peter saß einfach nur da und blies Trübsal. Er wollte, dass Larvaster damit beschäftigt war, um den Professor nicht kommen zu sehen.
„Endlich bist du wieder zurück, Meister“, sagte Peter und gab damit keine Antwort auf die Frage, „ich habe auch dich gewartet, denn ich muss dir unbedingt etwas mitteilen.“
Trotz der besten schauspielerischen Leistung des Jungen, roch Larvaster den Braten, aber zuallererst sah er in dem Spiegel, der sich hinter Peter befand, den anschleichenden Professor, der im nächsten Augenblick, die Cavea warf.
Larvaster machte eine reflexartige Bewegung, die eine Art Schallwelle auf Peter verursachte.
„Verräter!“ brüllte er dem Jungen zu und wandte sich ab, um sich dem Professor zu widmen.
Die Welle riss Peter mit und ließ ihm im Spiegel verschwinden, während die Cavea unter dem Poltergeist landete und sich öffnete.
„Et projiciam te in carcerem“, rief Professor Lux und die Kiste wurde zur Truhe und zog Larvaster in sich hinein.
„Nein!“ brüllte der Poltergeist und eine zweite Welle schoss in Richtung Professor. Sie erwischte ihn voll und schleuderte ihn nach hinten und zerschlug beim mehrfachen Aufprall auf den Boden seinen Kopf, sodass er nicht wieder aufstehen konnte. Der Professor lag im Sterben.
Die Gabe
Peters Geschichte verwirrte mich, denn sie dauerte lang, vielleicht die ganze Nacht und ich hatte Schwierigkeiten, mir alles zu merken. Irgendwie hörte ich mir sie erstmal an, ohne wirklich verwundert zu sein. Immerhin sprach ich mit einem Gespenst. Wenn es also möglich war, dass es Gespenster gab, dann waren alle anderen Sachen irgendwie klar. Einige Fragen hatte ich jedoch.
„Sag mal, wie soll ich dir jetzt helfen?“ wollte ich wissen, denn Peter tat mir sehr leid, da er seine Eltern verloren hatte.
„Wahrscheinlich kannst du das gar nicht“, antwortete er, „es ist vielmehr so, dass du mir und dir hilfst.“
Jetzt sprach er in Rätseln. Wie ich sowas hasste. Immer dieses „drum herum reden“, es hatte mich voll genervt.
„Ich kapier’s nicht“, machte ihm klar, „sag’s mir so, dass ich es verstehe, ansonsten hast du recht, ich kann dir dann keine Unterstützung anbieten.“
Peters Blick sprach Bände. Er hatte solch eine Panik in den Augen und konnte nur zögerlich auf meine klare Ansage reagieren.
„I- ich k-k-ann nicht“, stammelte er.
Obwohl mitten in der Nacht und mit einem Geist redend, verspürte ich keinerlei Angst. Ich war sonst vorsichtiger, aber irgendwie war ich zu neugierig und wollte dem Gespensterjungen helfen.
„Ist es da drin gefährlich?“ fragte ich ihn, denn immerhin erzählte er, dass er jemanden sucht, der ihn daraus befreit.
Er drehte sich kurz um.
„Es ist… anders“, antwortete er, „ich kann es dir schlecht erklären.“
„Und warum hast du Angst?“ bohrte ich weiter.
Da war sie wieder- meine direkte Art! Und sie sorgte nicht dafür, dass wir weiter kamen, also übte ich mich in Geduld und wer könnte es wissen, vielleicht brachte es mir was.
Ich wartete und ließ Peter die Zeit, die er benötigte.
„Es ist nicht das, was hier drinnen ist“, sprach er dann, „sondern, das, was bei dir draußen ist.“
Ich atmete tief durch.
„Was ist denn hier draußen?“ fragte ich.
„Lar…“, war seine Antwort und mehr bekam er offenbar nicht heraus.
„Larvaster?“ ergänzte ich fragender Weise.
Peter wandte sich ab, als schämte er sich. Aber es war keine Scham, sondern ein Zeichen, dass dieser Poltergeist ihm wohl immer noch Angst bereitete. Ist ja auch kein Wunder, er hat immerhin die Eltern getötet. Wäre mir so etwas passiert, hätte ich wohl voll Schiss.
„Aber ist der nicht in einer Kiste gefangen?“ fragt ich Peter und plötzlich kam mit der Gedankenblitz.
Die Truhe vor dem Spiegel war die besagte Kiste!!!
Sofort wurde mein Herz schwer. Ich brach zusammen, denn mein Kreislauf spielte verrückt. Mein Brustkorb schnürte sich zusammen und ich musste nach Luft schnappen. Die Angst hatte mich im Griff. Ich war ihr ausgeliefert.
„Tjalf!“ rief Peter und klopfte gegen die andere Seite seines Spiegels.
Aber er konnte nichts tun, denn er hatte nicht die Macht, sich selbst zu befreien. Es ließ ihn verzweifeln. Ich merkte davon nichts, denn mir wurde schwarz vor Augen. Wenn dieser Poltergeist tatsächlich entkommen war, dann waren alle in Gefahr. Ich, meine Mom und natürlich auch mein Paps.
„Tjalf“, hörte ich Peter laut schreien und ich machte meine Augen auf.
Ich musste einen Zusammenbruch erlitten haben. Mir fiel dann alles wieder ein, wie den Poltergeist und natürlich die Bedrohung. Dennoch konnte ich mich aufraffen. Ich war etwas wackelig auf den Beinen, aber es ging. Obwohl ich die Bedrohung verstanden hatte, war mir nicht ganz klar, wie Larvaster entkommen konnte. Peter sah mich und es war Erleichterung in seinem Gesicht zu sehen.
„Geht es dir besser?“ fragte er besorgt.
„Ja, schon, „antwortete ich, aber eine Frage brannte mir unter den Fingernägeln, „wie?“
Peter schaute verwirrt, als hätte er ein großes Fragezeichen vor sich.
„Ich verstehe nicht“, sagte er.
„Wie konnte der Poltergeist entkommen?“ konkretisierte ich meine Frage und setzte mich auch den Boden, da ich merkte, dass ich noch immer erschöpft war.
„Ich weiß es nicht genau, aber er ist herausgekommen, nachdem du die Truhe geöffnet hattest“, antwortete Peter.
Es herrschte Stille, denn es musste uns beiden klar geworden sein, was dies zu bedeuten hatte: Ich hatte ihn befreit!
„Du bist ein Lacin“, sprach Peter und seine Augen begannen zu leuchten.
In diesem Moment fand ich meinen Entschluss gut, mich bereits hingesetzt zu haben, sonst wäre wahrscheinlich wieder umgefallen.
„Was?“ fragte ich, denn ich verstand ihn nicht, „was bin ich?“
„Ein Handelnder“, erklärte Peter mir und es klang wie eine Geschichte, nicht wie die Wirklichkeit.
„Was genau heißt das?“ interessierte mich.
Da mir Begriff des „Handelnden“ nichts sagte, da ich ihn mir aus Peters Erzählung nicht gemerkt hatte, war mir natürlich auch nicht bewusst, was es für mich zu bedeuten hatte, außer dass ich gefährliche Poltergeister befreien konnte, ohne es mitzukriegen.
„Du kannst Geisterzauber abwehren“, begann Peter mir preis zu geben, „und mit mir sprechen und mich sehen und du kannst ebenso Artefakte nutzen. Es ist eine Gabe.“
Ich soll was? Mein Verstand wollte einfach nicht begreifen, was diese vermeintliche Gabe war.
„Und wie soll ich das machen?“ Ich weiß doch gar nicht, wie ich Geisterzauber abwehren soll oder all die anderen Sachen hinbekommen soll.“
Wieder kamen mir Zweifel auf. Ich war für sowas nicht bereit.
„Wieso ich?“ wollte ich wissen.
„Soweit ich weiß, ist es nicht sicher, aber zum Teil vererbt es sich und manchmal hat jemand diese Kräfte ohne, dass jemand die Ursache kennt.“
Es gefiel mir nicht, dass ich es sein musste, der irgendwelche Kräfte hatte, denn bisher hatten sich mich überhaupt erst in dieses Schlamassel gebracht.
„Peter, ich weiß nicht, was ich tun soll“, sagte ich und der Geist konnte meine Hilfelosigkeit verstehen.
„Am besten ist, wenn ihr flieht, denn wenn Larvaster zurückkommt, dann ist es zu spät. Ganz gleich, was er dir verspricht, er wird dich und deine Eltern töten.“
„Das hilft mir auch nicht unbedingt, wenn du mir jetzt noch mehr Unheil prophezeist“, entgegnete ich, „viel wichtiger ist, wenn er gerade nicht da ist, wo ist er und wann kommt er wieder?“
„Als er aus der Truhe kam, war er klein und schwach“, antwortete Peter, „er wird sich stärken, indem er irgendwo Menschen tötet, um sich mit deren Seelen zu nähren. Wo er ist, weiß ich nicht. Aber wenn er wieder kommt, ist er definitiv nicht mehr klein und schwach.“
Wieder so eine Hiobsbotschaft von Peter. Er hatte einfach kein Talent für die richtigen Worte zur richtigen Zeit. Es gab nur die Lösung, dass ich meine Eltern überreden musste, dass sie Schloss Brachenfeld verlassen mussten.
„Und was ist mit dir?“ fragte ich Peter.
„Ich bleibe hier“, gab er mir als Antwort, „und nehme meinen Platz ein, denn ich habe keine andere Wahl. Ich kann nur hoffen, dass er hier nicht hinein kommen kann.“
Ich fand die Idee von ihm absolut daneben.
„Bist du bescheuert?“ fragte ich ihn und zeitgleich fiel mir ein, dass er nicht ganz Unrecht hatte.
„Was soll ich denn tun?“ wollte er von mir wissen und seine Verzweiflung wurde mir wieder deutlich, „ich befinde mich hier im Spiegel, gefangen und ausgestoßen von deiner Welt. Aber möglicherweise dienst es mir als Schutz.“
Der Junge hatte recht! Es war aus dieser Situation heraus wohl die beste Lösung- nicht die optimalste, aber mehr ging halt auch nicht. Peter war auf einmal verschwunden. Ein Sonnenstrahl drang durch ein kleines Fenster und erhellte den Dachboden. Es war Tag geworden und ich hatte mich die gesamte Nacht hier oben aufgehalten. Es sollte zusehen, dass ich meine Eltern informiere und wir schleunigst einen Angang machten. Die Dachbodentreppe wäre ich beinahe heruntergefallen, so schnell wollte ich zu ihnen. Untern angekommen beschlich mich das leise Gefühl, dass es bereits später Vormittag sein musste, denn die Sonne war für Morgens viel zu hell.
„Guten Morgen der Herr“, begrüßte mich meine Mom, kurz nachdem ich die Dachbodentreppe geschlossen hatte, „gehörst du jetzt den Langschläfern an?“
„Ähm, ja“, stammelte ich und wurde rot, „ich habe es so genossen auszuschlafen.“
„Das ist schön“, fand sie, „dann geh mal in die Küche, Papa hat deine Lieblingsbrötchen gemacht.“
Meine Nase nahm nun einen Brötchengeruch aus der Küche kommend wahr. Bei meinen favorisierten Brötchen handelte es sich um Aufbackware. Einfach, aber unheimlich lecker. Ich stolzierte in die Küche und hatte fast vergessen, was ich eigentlich wollte. In diesem Moment meldete sich mein Bauch und signalisierte mir, dass er Nachschub brauchte. Also beschloss ich, erst zu essen und danach meinen Bescheid zu geben, damit wir von hier abhauen konnten.
„Dann mal guten Appetit“, sagte mein Vater und las seine Zeitung, die von Weltwirtschaftskrisen, Kriegen und Flüchtlingen handelte. Könnte es nicht einmal eine Zeitung geben, die nur Gutes berichtet? Das wäre doch mal was.
„Danke“, entgegnete ich und stopfte mir ganze drei Brötchen rein- eines mit Marmelade und zwei mit Haselnusscreme. Man war das lecker! Ich hätte fast verdrängt, dass ich mit meinen Eltern das Problem mit dem Poltergeist besprechen wollte. Mama betrat gerade die Küche. Wunderbar, sie waren beide da, dann konnte ich es angehen.
„Mom, Paps“, begann ich, „ich muss etwas mit euch bereden.“
Mein Vater knickte die Zeitung kurz ein, um mich zu betrachten, dabei zog er eine Augenbraue hoch. Er schien verwundert zu sein, während meine Mutter sich direkt an den Tisch setzte, als könne sie es kaum erwarten, obwohl sie nicht wusste, was der Anlass war.
„Was gibt es denn?“ fragte sie neugierig.
Anscheinend war sie derart froh darüber, dass ich etwas besprechen wollte, dass sie bis über beide Ohren strahlte. Na gut, ich erzähle sonst nicht sonderlich viel und insgeheim wusste ich, dass meine Mutter alles, und ich meine wirklich alles, über mein Leben wissen wollte. Gebe es einen „Tjalfs- Leben“ Blog, sie würde ihn garantiert lesen und ein riesiger Fan sein. Ich versuchte meine aufgeregte Mutter zu ignorieren und schaute zu meinem Vater hinüber, der wieder in seiner Zeitung vertieft war. Meist war er ein Genießer der Ruhe. Obwohl er ein guter Vater war, steckte er sein Zeitmanagement so ab, dass stets etwas Zeit für ihn übrig blieb und diese wollte er alleine verbringen. Zu diesen Momenten gehörte auch das ritualisierte Zeitunglesen. Das wusste und respektierte ich und aus diesem Grunde hatte ich Schwierigkeiten, meinen Vater dabei zu unterbrechen.
„Jetzt leg‘ doch die Zeitung mal weg“, sprach meine Mutter und nahm mir die Aufgabe ab, „unser Junge wollte uns was erzählen.“
Er guckte, als ob ihm eine Laus über die Leber gelaufen wäre, legte die Zeitung aber beiseite. Anschließend schaute er mich an, nein er starrte mich an. Nun lastete der Druck auf mir, da ich die Aufmerksamkeit meiner in diesem Augenblick hatte. Ich kam mir vor wie bei einem Referat vor der gesamten Klasse und spürte meinen Kloß im Hals.
„Also, Mom und Paps“, fing ich an zu erzählen und wurde dabei rot, denn die Aufregung ließ sich nur schwer im Schach halten, „danke, dass ihr mir zuhört.“
„Meine Güte“, unterbrach mich mein Vater, „was ist denn los… haste was ausgefressen?“
„Lass‘ ihn doch mal ausreden“, funkte ihrerseits meine Mutter dazwischen, „vielleicht hat er gar nichts angestellt.“
„In Ordnung, ich will nicht unfair sein und werde nun nicht mehr für eine Unterbrechung sorgen“, räumte mein Vater ein, „die Bühne gehört dir.“
„Gut“, sagte ich, „dann werde ich es euch jetzt erzählen, aber ihr müsst mir zuhören, okay?“
Meine Mutter nickt und mein Vater tat es ihr nach, denn er wollte vermutlich nicht schon wieder etwas hinterfragen.
„Wir müssen hier weg und zwar sofort“, sprach ich mit besorgter Stimme.
Mein Paps wollte nun wieder etwas von sich geben, aber es reichte eine Handbewegung meiner Mutter, die deutlich machte, dass er dies nicht tun sollte. Und er hielt sich dran, auch wenn seine Mimik verriet, dass er es nur widerwillig machte.
„Warum?“ fragte meine Mutter.
„Erst einmal… und bitte glaubt mir… gibt es Geister wirklich. Sie leben unter uns, ohne dass wir sie sehen können. Irgendwie habe ich gestern Nacht einen Poltergeist befreit, der zunächst geflohen ist, aber bald wiederkommt. Und bis dahin sollten wir verschwunden sein, sonst tötet er uns.“
Meine Mutter riss während meiner Erzählungen die Augen immer weiter auf. Ich hatte Angst, dass ihre Augäpfel gleich herausploppten. Mein Vater verzog keine Miene, saß wie versteinert auf seinem Platz.
„Das ist doch Quatsch“, sagte er dann, „du spielst zu viel diesen Caveman- Kram.“
„Es heißt Cavegame“, verbesserte ich ihn, „und es ist alles wahr, so glaubt mir doch. Oben auf dem Dachboden lebt ein Geist, er ist ganz in Ordnung und tut uns nichts. Er ist gefangen im Spiegel.“
Meine Mutter sprang auf und nahm mich in den Arm.
„Mensch Junge, dich hat der Umzug aber auch mitgenommen“, sprach sei und drückte mich ganz fest.
„Es ist nicht der Umzug“, korrigierte ich, „es gibt sie wirklich. Ich kann es beweisen.“
Meine Eltern schauten ziemlich erstaunt. Ich merkte, dass sie mir nicht glauben wollten- es klang ja auch unglaublich.
„Ich zeig‘ es euch“, sagte ich mit Nachdruck und stand auf, „kommt mit.“
Ich lief zur Dachbodentür und öffnete sie. Meine Eltern kamen etwas langsamer hinterher und redeten miteinander. Ich nahm nur Gesprächsfetzen wahr, aber die interessierten mich nicht.
„… er ist nicht verrückt…“ sagte meine Mutter.
„…das geht so nicht…. Ich mache mir Sorgen“, kam von meinem Vater.
Dann waren sie an der Treppe zum Dachboden und stiegen nacheinander hoch. Ich befand mich bereits vor dem Spiegel. Peter konnte ich nicht sehen.
„Peter!“ rief ich.
Meine Eltern stellten sich neben mich.
„Wen rufst du da?“ wollte meine Mutter wissen.
„Peter… er ist ein Geist“, antwortete ich.
„Und wo soll der herkommen?“ fragte mein Vater.
„Er befindet sich im Spiegel“, verriet ich, „Peter zeig‘ dich bitte!“
Auf einmal erschien im Spiegel eine Art Nebel und nach und nach wurde Peter sichtbar.
„Seht ihr, da steht er“, sagte ich und Freude machte sich bei mir breit, denn nun würden mir meine Eltern endlich glauben.
Peter sagte kein Wort. War verständlich, denn immerhin waren sie ihm fremd und er konnte nicht wissen, wie sie waren. Meine Eltern dagegen schauten verwirrt.
„Er tut euch nichts“, sprach ich, damit sie keine Angst bekommen sollten.
„Wo steht er?“ fragte meine Mutter.
„Dort…im Spiegel“, antwortete ich und zeigte mit meinem Zeigefinger in die Richtung.
„Sie können mich nicht sehen“, äußerte sich Peter.
Ich spürte, wie Leid es ihm tat, denn wir beide wussten, es hätte die Sache einfacher gemacht, mich und meine Eltern von hier wegzubekommen. Aber nun war es kompliziert.
„Ich sehe nur Staub“, sagte mein Vater.
Ich drehte mich zu ihnen um. Mir war das Ganze unheimlich peinlich, denn nun verstand ich, dass sie mich für verrückt halten mussten.
„Ihr könnt ihn gar nicht sehen, das habe ich vergessen zu erwähnen“, erklärte ich, „ich kenne mich mit den Geisterregeln noch nicht so aus. Aber die Gefahr ist dennoch da… Poltergeist wird kommen.“
„Ich denke, wir hören jetzt auf mit den Märchen“, sagte mein Vater mit ernster Stimme und ebenso ernster Miene.
Mein Vater war eigentlich ein entspannter Typ, aber wenn er auf die Art anfing, etwas zu sagen, dann sollte man vorsichtig sein, denn er meinte es nicht mehr spaßig.
„Aber…“, wand ich ein, aber es wurde durch ein kurzes, „NEIN!“ meines Vaters unterbrochen. Zudem hob er seinen Zeigefinger als wolle er mich ermahnen.
„Tjalf, ist es wegen des Umzugs?“ wollte meine Mutter wissen.
Sie klang sehr besorgt und kam näher. Sie war im Begriff, mich zu umarmen, aber ich blockte ab.
„Nein“, rief ich, „es ist nicht wegen des Umzugs und auch aus keinen anderem Grund. Es gibt wirklich einen Poltergeist und der kommt hierher und wird uns was antun, wenn wir nicht verschwinden.“
Ich konnte gar nicht aussprechen, dass er in Wirklichkeit meine Eltern und mich zu Hackfleisch verarbeiten würde, wenn er auf uns treffe.
„Jetzt reicht es, Tjalf Theodor Balthasar Andresen“, überkam es meinen Vater.
Er ließ meine Gedanken und meine Stimme stocken. Ich hatte noch nie meinen vollständigen Namen gehört, außer zur Taufe und vermutlich zu meiner Geburt, aber an beides konnte ich mich nicht bewusst erinnern. Ich schluckte kurz, denn ich merkte, dass ich durch jedes weitere Wort, meinen alten Herrn womöglich provozieren würde. Also stellte ich es ein.
„Du bekommst eine Woche Hausarrest“, ergänzte er, „ab auf dein Zimmer, Ich will dich heute nicht mehr sehen. Denk‘ mal darüber nach, was du mit deinen Verrücktheiten mir und besonders deiner Mutter antust!“
Ich sah zum Spiegel rüber, wo Peter noch immer stand und mich ansah, als hätte ich den größten Fehler aller Zeiten gemacht. Ich drehte mich weg, denn ich schämte mich ein wenig. Darüber hinaus wollte ich aber auch dem „Befehl“ meines Vaters nachkommen, nun auf mein Zimmer zu gehen.
„Vielleicht sollten wir nicht zu streng mit ihm sein“, wandte meine Mutter ein, aber auch das blockte mein Vater ab, denn er wollte dieses Mal ein Zeichen setzen und sich wohl nicht veralbern lassen von seinem Sohn.
Ich stieg die die Dachtreppe hinab und ging direkt zu meinem Zimmer. Ich schloss die Tür und spürte den gesamten Druck, der auf meinen Schultern lastete. Sollte die Rettung meiner Eltern jetzt daran scheitern, dass ich Hausarrest hatte? Das konnte es doch nicht sein.
Ich verzweifelte, denn meine Gedanken drehten sich im Kreis und machten meinen Kopf ganz schwindelig. Ich legte mich hin und merkte, wie erschöpft ich in Wirklichkeit war. Es dauerte nicht lange ehe ich das erste Mal einnickte. Ich dagegen, denn es war keine Zeit, um sich auszuruhen, denn immerhin war der Poltergeist bald zurück im Schloss Brachenfeld und bis dahin sollte ich dringend einen Plan entwickelt haben.
Die Tür meines Zimmers öffnete sich und ich erkannte meine Mutter. Ich wandte mich von ihr ab. Ich wollte jetzt keine Diskussion darüber haben, dass es mein Vater nicht so gemeint hat oder über meine Gefühle reden, wie es mir mit dem Umzug ergangen ist. Eigentlich wussten es meine Eltern und haben es die ganze Zeit ignoriert, weil sie eigene Interessen hatte. Wenn sie aus purer Überzeugung für meine Meinung Verständnis gehabt hätte, dann wären wir wohl nie hier gelandet. Dann wäre nicht jedes „NEIN“ von meiner Seite abgebügelt worden oder beschwichtigt worden mit Sätzen wie „du wirst dort auch Freunde finden“ oder „bestimmt wird es toll“. Sie hätten zugehört.
Jetzt erging es mir anders, aber sie verstanden nicht, was mit mir los war. Sie wollten es nicht, so wie es eigentlich immer der Fall war. Werden Eltern von Blindheit kontrolliert? Ich wusste es nicht. Aber warum konnte sie mir nicht einfach glauben?
„Tjalf“, sagte meine Mutter zu mir.
Sie musste wohl seit einem langen Augenblick dort gestanden haben- nicht an der Tür, sondern an meinem Bett. Es hörte sich an wie „Bitte rede doch mit mir“. Aber wenn ich genau das mache und ihrem Wunsch entspreche, hört sie nicht zu. Ein Teufelskreis.
„Wir können doch reden“, sprach sie weiter.
Ich versuchte sie zu ignorieren, da ich einen klaren Gedanken fasste musste. Obwohl die Situation zwischen mir und meinen Eltern gerade sehr schwierig war, wollte ich sie retten und dazu musste ich mir etwas einfallen lassen.
„Ich will jetzt nicht reden“, machte ich deutlich, denn ich wusste, dass meine Mutter nicht nachgeben würde, solange ich nicht reagierte.
„Aber du musst“, entgegnete sie und sie klang, als sei sie wütend auf mich.
Ich drehte mich zu ihr und sah in ihre Augen. Ihre Äußerung verwirrte mich.
„Ich habe doch gar nichts getan“, sagte ich.
„Doch, mein Junge, du hast deinen Vater zutiefst verletzt und mir das Herz gebrochen“, warf sie mir vor.
Ich erkannte meine Mutter gar nicht wieder. Ich hatte sie noch nie so erlebt.
„Was ist los mit dir?“ fragte ich und sah in ihren Augen ein Feuer, „Mama?!“
Ich schreckte nach hinten und fiel vom Bett. Mein Hinterkopf stieß dabei gewaltig auf den Boden, dass es einen stechenden Schmerz verursachte. Ich machte mich schnellstens auf, um zu schauen, wo sich meine Mutter befand. Sie sprang auf mein Bett. Ihre Augen brannten.
„Du wirst nicht verhindern, dass er kommt und deine Seele verschlingt“, rief sie so laut, so dass es sich ins Hirn brannte. Ich spürte die Gegenwart von einem unheimlichen Wesen mit einer feurigen und rauchigen Aura.
„Larvaster?“ fragte ich.
Meine Mutter oder besser gesagt ihre Hülle war im Begriff, mich zu attackieren. Irgendetwas unter dem Bett hielt mich fest und ich wusste, dass ich nicht mehr fliehen konnte. Ich schloss meine Augen und fing an, laut zu schreien.
„Tjalf“, hörte ich eine Stimme.
Es hörte sich zunächst so an, als wäre sie weit weg, aber ich realisierte, dass sie direkt über mir war. Ich öffnete meine Augen und erblickte meine Mutter. Ich wich zurück.
„Lass‘ mich!“ brüllte ich.
Ich spürte einen Schmerz an meinem Hinterkopf und fasste mir an die Stelle. Ich hatte wohl geträumt und musste vom Bett gefallen sein.
„Tjalf, oh nein, was ist nur mit dir los?“ fragte sich meine Mutter und kam zu mir.
Ich konnte mich nicht wehren, denn mir wurde schwindelig und meine Augen, so sehr ich mich auch dagegen wehrte, wurden schwerer und schlussendlich schloss ich sie.
„Es wird alles wieder gut“, hörte ich meine Mutter in der Ferne sagen.
Die Bande
Ich hatte das Gefühl, ewig geschlafen zu haben als ich meine Augen wieder öffnete. Es fiel mir schwer, überhaupt irgendwo hinzuschauen, denn meine Augen mussten sich an das Tageslicht gewöhnen. Dieses Mal hatte ich nichts geträumt. Es blieb absolut schwarz. Meine Gedanken wurden durch ein Klopfen an meiner Zimmertür unterbrochen.
„Ja?“ fragte ich und die Person würde merken, dass ich verwundert gewesen bin, dass jemand anklopfte, um sich den Zutritt zu erfragen.
Die Tür öffnete sich und herein kam ein älterer Herr, den ich sofort als Arzt identifizierte, denn er trug einen Kittel wie ein typischer Doktor. Im Schlepptau hatte er meine Mutter, die ein Strahlen in ihrem Gesicht kaum verbergen konnte.
„Guten Tag der Herr“, sprach der Doktor und gab mir seine Hand, „wie ich sehe, sind sie wieder bei uns. Ich bin übrigens Doktor Klein.“
Ich schaute meine Mutter fragend an, da ich nicht wusste, wie der Arzt dies gemeint hatte. Zudem wollte ich überprüfen, ob ich mich wieder in einem Traum befand, denn ich war vorsichtig.
„Du wurdest bewusstlos“, erklärte sie und ich sah, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten.
Sie hielt sich dennoch zurück, denn sie weinte nicht gerne vor Fremden. Der Doktor stellte seine Tasche ab und begann, mich untersuchen. Dafür leuchtete er mir in die Augen, schaute in den Rachen, fühlte Puls und nahm mir Blut ab. Ich war sehr tapfer. Eigentlich war ich allergisch gegen Blutabnahmen. Gemeint waren hier diese Riesenspritzen, die in meine dünnen Arme gestochen werden sollten. Das konnte nicht gut gehen. Aber dieses Mal war es anders. Ich nahm es hin und es war okay, nicht super und ich würde es wahrscheinlich beim nächsten Mal wieder mit Kampf abwehren wollen.
„So…das war’s“, sagte Dr. Klein und zog die Nadel wieder heraus, „jetzt ganz fest drücken, sonst gibt es blaue Flecken.“
Ich drückte so fest wie ich konnte. Dafür legte mir der Arzt einen Karamellbonbon auf das Bett.
„Weil du so tapfer warst“, erklärte er.
Dann räumte er seine Instrumente wieder ein und verabschiedete sich von mir.
„Noch ein, zwei Tage Bettruhe“, erzählte er meiner Mutter auf dem Weg aus meinem Zimmer, „dann sollte es wieder gehen.“
„Ich müsste sie da noch was fragen“, sagte meine Mutter und schloss die Tür, sodass ich nicht mithören konnte.
Es weckte meine Neugierde dermaßen, sodass ich beschloss aufzustehen. Ich schaffte nur mit allergrößter Mühe, mich aufrecht hinzustellen. Mein Kreislauf meldete sich sofort, aber ich konnte mich halten.
„Was kann ich denn für Sie tun?“ fragte der Doktor mit freundlicher Stimme.
„Wissen Sie, mein Sohn träumt schlecht und erzählt seit unserem Umzug in dieses Haus ständig von Geistern und irgendwelchen Monster“, erzählte meine Mutter, „was sollen wir da tun?“
„Seien Sie für ihn da“, antwortete der Arzt, „er ist nur unsicher und die Geister scheinen seine Ängste zu repräsentieren. Wenn Sie ihm Aufmerksamkeit geben, verschwinden diese Geister und Monster.“
„Vielen Dank“, sagte meine Mutter und geleitete den Doktor nach draußen.
Ich machte mich zurück in mein Bett, ehe meine Mutter Verdacht schöpfen konnte, denn wie ich sie einschätzte würde sie noch „mal gucken kommen“. Und ich sollte recht behalten. Ich tat als schliefe ich wieder, als meine Mutter das Zimmer betrat. So würde sie sich nicht lange dort aufhalten. Ich weiß, es klingt böse, aber in diesem Moment konnte ich meine Mutter einfach nicht haben. Auf eine Art machte ich all diese Sachen, um sie und auch meinen Paps zu schützen.
Nach einer Weile verließ sie mein Zimmer und es herrschte Ruhe. Meine Gedanken hatten freien Lauf. Und sie kreisten sich um Larvaster, der bald hier sein würde. Zunächst ließ es mich verzweifeln, keine Lösung zu haben, meine Eltern vor dem Poltergeist schützen zu können, aber dann nervte mich es nur noch. Ich hatte ein Gefühl der Machtlosigkeit und des Versagens. Es war ganz gleich wie ich etwas anpackte, ich bekam es nicht hin, alle zu retten.
Wenn doch nur Peter frei sein könnte!
Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augenbrauen: Die Lösung musste in diesem Buch stehen, dass der Professor aus Peters Erzählung hatte. Ich nahm mir vor, bei Nacht erneut aufzustehen und auf den Dachboden zu gehen, um Peter zu fragen, wo es sich befinden könnte. Mit diesem Gedanken kehrte meine Müdigkeit zurück. Ich ließ zu, dass meine Augen sich schließen konnten. Dennoch versuchte ich mir vorzustellen, keinen Albtraum mehr zu bekommen.
Ich wurde durch ein leichtes Ruckeln und den Worten meiner Mutter geweckt: „Tjalf, aufwachen.“
Ich stellte fest, dass ich tatsächlich geschlafen hatte, ohne einen schrecklichen Traum zu erleben. Im ersten Moment dachte ich, es könnte ja die Möglichkeit bestehen, dass es jetzt ein böser Traum war, aber als ich meine Mutter ansah, wusste ich, dass ich mich in der Realität befand.
„Wie geht es dir?“ fragte sie.
„Gut“, antwortete ich und rieb mir die Augen, „ich habe Hunger.“
Mein Magen knurrte für zehn starke Männer. Ich hatte schließlich den gesamten Tag nichts gegessen. Meine Mutter grinste.
„Na dann komm‘ mein Großer“, sprach sie und reichte mir eine Hand, „ ich helfe dir hoch und dann gehen wir zusammen nach unten, Abendbrot essen.“
Ich richtete mich auf und merkte, dass es mir schon deutlich besser ging. Selbst das Aufstehen war nicht so schwer, wie ich es eingeschätzt hatte. Ich freute mich. Zum einen, da es schrecklich war, ans Bett gefesselt zu sein und zum anderen wegen meines heimlichen Plans heute Nacht. Ein zusätzlicher Nebeneffekt war, dass ich nun ausgeschlafen war, was meine nächtliche Aktivität erleichtern sollte.
„Guten Abend Tjalf“, begrüßte mich mein Vater, als ich die Küche betreten hatte, „wie ich sehe, geht es dir besser.“
Ich ahnte, dass er noch mehr auf dem Herzen hatte, denn ich sah die auffordernden Blicke meiner Mutter, die ständig meinen Vater anmorsten. Ich setzte mich erstmal hin und bediente mich am Abendbuffet. Meine Mutter musste gewusst haben, dass mit mir wieder alles gut wird- oder sie hatte es gehofft.
Nichtsdestotrotz hatte sie reichlich Essen zubereitet. Da waren Muffins, Rührei mit Speck, Bacon, Würstchen und Eier. Sogar Nutella und Marmelade fand ich auf dem Abendbrottisch, obwohl wir nie so etwas abends aßen. Sie hatten sich wohl wirklich um mich gemacht. Kein Wunder, wenn ich ihnen von Geistern und Monstern berichtete. Ich musste noch lernen, dass nicht jeder diese Welt sehen, geschweige denn verstehen konnte. Nicht einmal ich kapierte, was da abging.
„Ähem“, sprach mein Vater auf einmal und es fiel ihm schwer, „ich muss ähm mochte dir noch etwas sagen….“
Wieder schaute er erst zu meiner Mutter. Es war wie ein billiges Laienspiel, aber ich ließ mir nicht anmerken, dass ich es durchschaut hatte, denn mein Vater gab sich Mühe und die wollte ich ihm nicht zerstören.
„Tjalf, es tut mir Leid, dass ich in letzter Zeit und gerade gestern gemein zu dir war“, sagte er und es war das bisher netteste, was er je gesagt hatte.
Ich wusste gar nicht wie ich reagieren sollte, denn obwohl ich es spürte, war ich in diesem Augenblick gefangen und genoss es. Meine Mutter schaute mich an. Es erinnerte mich an unserem Mathematiklehrer, der immer, wenn sich zwei gestritten hatten, wollte, dass sie sich vertrugen und gegenseitig auch die des anderen annahmen.
„Ich nehme die Entschuldigung an“, sprach ich und wie mein Vater ging der Blick erneut zu der Richterin, ähm ich meinte meiner Mutter.
Sie nickte, was zur Erleichterung von allen führte und wir konnten endlich mit dem Essen fassen beginnen, denn ich hatte Bärenhunger. Ich aß wie ein Scheunendrescher und schlang alles in mich hinein, als hätte ich jahrelang keine Nahrung zu mir genommen. Wie lecker alles auf einmal war!
„Ich werde aber nun wieder ins Bett gehen“, teilte ich meinen Eltern mit, „mir geht es viel besser, aber ich denke Schlaf tut mir ganz gut. Ich mache mich im Bad noch bettfertig- Gute Nacht.“
Meine Mutter gab mir einen Kuss auf die Wange: „Schlaf schön, „flüsterte sie mir ins Ohr.
Von meinem Vater gab es ein High Five. Dann machte ich mich fertig und ging in mein Zimmer. Da ich warten musste bis auch mein Paps und meine Mama ins Bett gingen, so wie in der ersten Nacht, legte ich mich in mein Bett, um bei einer möglichen Kontrolle durch meine Mutter keinen Verdacht zu schöpfen.
Was ich unterschätzte, war das sogenannte Suppenkoma. Es war das Müdigkeitsgefühl nachdem man sich den Bauch vollgeschlagen hatte. Es hatte mich voll umgehauen und ich schlief ein, ohne mich dagegen wehren zu können.
Ich wachte mitten der Nacht auf. Ich merkte es daran, dass zum einen der Mond in seiner vollen Pracht in mein Fenster schien und zum anderen war es einfach sehr still- nachtstill. Ich stand sofort auf, da ich keine Zeit verlieren wollte. Larvaster könnte jederzeit kommen und dann stünde ich ziemlich blöd da.
Ich schlich mich aus meinem Kinderzimmer und über den Flur, um zur Dachbodenluke zu gelangen. Was ich nicht bedacht hatte war, dass der Stab für die Treppe nicht an seinem gewohnten Platz stand. Es irritierte mich zunächst, aber dann konnte ich mir einen Reim darauf machen:
Mein Vater musste ihn versteckt haben, damit ich nicht mehr hoch kam!
Ich ärgerte mich, denn es machte alle umständlicher. Da ich keine andere Sache fand, die mir helfen könnte, beschloss ich, nach der Stange zu suchen.
Wenn ich mein Paps wäre, wo würde ich sie aufbewahren, damit mein Sohnemann nicht herankam?
Als erstes kamen mir das Wohnzimmer und das Schlafzimmer meiner Eltern in den Sinn. Ich hoffte natürlich auf ersteres, da sich dort keiner mehr befand. Ich schlich mich runter und öffnete leise die Wohnzimmertür. Da es dunkel war, konnte ich nichts erkennen. Ich hatte die Befürchtung, die Stange befand sich tatsächlich im Schlafraum.
Ich schaltete kurz das Licht an, um mich schnell umzuschauen. Zu meinem Pech war keine Stange da. Ich guckte zur Sicherheit ein zweites Mal, genauer, mit verschärftem Blick, aber da war nichts.
Wieso?
Ich machte das Licht wieder aus und kam mir vor als sei ich fast blind, denn meine Augen brauchten einen Moment, um sich erneut an die Dunkelheit zu gewöhnen. Es war nun an der Zeit, mich dem zu stellen, was ich die gesamte Zeit schon geahnt hatte: Ich musste in das Schlafzimmer meiner Eltern!
Bis zur Tür war alles ganz einfach, aber ab dem Zeitpunkt, als ich den Türgriff anfasste, merkte ich, wie mein Herz schneller und stärker pochte als zuvor. Ich war dermaßen aufgeregt. Einen Moment, bevor ich den Griff leicht nach unten drückte, horchte ich kurz, um festzustellen, ob ich Geräusche hörte, die darauf schließen ließen, dass meine Eltern noch wach waren.
Es war still- absolut still. Obwohl, ich konnte ein leises Schnarchen wahrnehmen. Vermutlich handelte es sich um meinen Vater. Langsam und zwar extrem langsam und vorsichtig drückte ich den Türgriff nach unten und drückte die Tür nach innen auf. Sie machte keine Geräusche, da sie nicht auf dem Boden schliff.
Wie ich vermutete, schnorchelte mein Vater leise vor sich hin und meine Mom war womöglich im Tiefschlaf.
Quietsch!!!
Oh nein, die Tür machte ein unerwartetes quietschendes Geräusch. Es ließ mich erstarren. Mein Vater bewegte sich kurz auf die Seite. Dann war alles ruhig. Selbst das Schnarchen hatte er eingestellt. In diesem Moment fiel mir ein Stein vom Herzen. Ich hätte eher vermutet, das Türengeräusch würde meine Eltern aufwecken und dann gebe es Ärger.
Als nächstes musste ich hier die Stange finden, aber im Gegensatz zum Wohnzimmer konnte ich an dieser Stelle nicht einfach das Licht anknipsen, denn dann wären meine Eltern hellwach. Also musste ich ein wenig meine Augen benutzen, um in der Dunkelheit nach dem Gegenstand zu suchen.
Tatsächlich konnte ich etwas entdecken, was den Umrissen einer Stange gleichkam. Ich schlich mich hin und fühlte daran und ich erkannte, dass es die Stange sein musste. Ich kannte meinen Vater recht gut und es kam ein Gefühl von Stolz in mir auf.
Ich und die Stange verließen das Schlafzimmer und ich schloss die Tür schnell, aber leise wieder hinter mit zu. Ich spürte Erleichterung, denn ich hatte diesen Teil meines Plans geschafft. Ich machte mich nun auf zur Dachluke und öffnete sie. Ich sputete mich, die Treppe hochzukommen, sodass ich beinahe ausgerutscht wäre. Ich ging, ohne nach links oder rechts zu schauen, direkt zum Spiegel.
„Peter?“ sagte ich fragend.
Es war ruhig.
„Peter!“ rief ich nun etwas lauter, aber natürlich nicht so laut, dass es meine Eltern hätte wecken können.
Ich wartete einen Moment, aber Peter erschien noch immer nicht. Was hatte das zu bedeuten? Es verunsicherte mich und ich vermutete, dass eventuell Larvaster etwas damit zu tun hatte. Womöglich war er schon da und hatte Peter in seiner Gewalt. Und was war mit meinen Eltern? Waren die in Gefahr?
„Tjalf?“ fragte Peter und erschrak mich, wo ich doch mitten in meinen Gedanken war.
„Ja?“
Ich musste mich etwas beruhigen nach meinen wilden Vermutungen:
„Wo warst du?“ wollte ich wissen.
Meine Stimme war angesäuert, obwohl ich erleichtert war, den Geisterjungen anzutreffen.
„Wurde aufgehalten“, antwortete er und mir fiel erst jetzt auf, dass er erschöpft wirkte.
„Was war denn los?“ fragte ich ihn.
Er schaute deprimiert und wirkte hilflos.
„Eine lange Geschichte“, entgegnete er, „da kannst du mir nicht helfen.“
„Woher willst das denn wissen?“ fragte ich und regte mich etwas darüber auf, denn Peter bat mich gar nicht erst um Hilfe.
„Es handelt sich etwas hier drinnen“, teilte er mir mit und zeigte hinter sich, „und bekanntermaßen kannst du hier nicht rein.“
Da hatte er natürlich recht.
„Aber wenn ich könnte, würde ich dir helfen“, versicherte ich.
„Das weiß ich“, bestätigte er.
Dann war es für einen Moment still. Es war ein Moment, wo für uns klar war, dass dies der Beginn einer Freundschaft werden könnte.
„Warum bist du eigentlich hier?“ wollte Peter wissen und beendete die Stille.
„Ich habe viel nachgedacht“, begann ich, „und mir ist klar geworden, dass ich gegen Larvaster etwas unternehmen muss.“
„Das kannst du nicht“, unterbrach Peter mich und wirkte sehr besorgt, „du musst fliehen, solange du noch kannst.“
„Aber das geht nicht“, sprach ich und wandte mich etwas ab, „meine Eltern glauben mir nicht. Sie denken ich sei verrückt.“
Peters Augen verrieten mir, dass er meine Verzweiflung verstehen konnte.
„Aber ganz gleich, was du dir vornimmst, es wird nicht funktionieren“, sagte er mir mit flehender Stimme, „er ist zu mächtig.“
„Ich habe keine andere Wahl, Peter“, sagte ich entschlossen, „ich muss es tun.“
Peter schwieg, denn er hatte alles gesagt, was er sagen konnte. Für mich war es an der Zeit, meinen Plan und eigentlich meine einzige Hoffnung zu realisieren, denn so unrecht hatte Peter nicht- Larvaster war sehr mächtig. Ich glaubte dies auch, aber ich steckte jeden Hoffnungsschimmer in das Buch des Professors.
„Sag mal, wo ist eigentlich dieses Buch vom Professor?“ fragte ich Peter.
„Die Einordnung der Geisterklassen und wie diese zu bekämpfen sind“, korrigierte mich Peter.
„Ja, genau das!“ rief ich.
„Ich weiß nicht“, teilte Peter mit, „ich habe keine Erinnerung daran, wo es sein könnte.“
„Aber du warst doch die ganze Zeit hier drinnen seitdem dich der Professor hier reingezaubert hat, oder nicht?“ wollte ich wissen.
„Ja, schon“, Peter machte eine kleine Pause, ehe er seine Antwort fortsetzte, „ich hatte halt Probleme.“
Ich schaute ihn nur fragend an, da ich gar nichts mehr verstand.
„Ich stand nicht die ganze Zeit an diesem Fleck, am Ende dieser Welt, direkt am Spiegel“, führte Peter weiter aus, „ich musste mich schützen, denn hier gibt es noch weitere Geschöpfe, die nichts Gutes von mir wollen.“
„Das tut mir leid für dich“, sagte ich, „aber kann dir das Buch nicht auch helfen?“
„Ja, sicher und dennoch weiß ich nicht, wo es sich befindet“, antwortete Peter.
Es ärgerte mich, denn irgendwie schien nichts hinzuhauen, was ich anpackte.
„Aber ich brauche es!“ rief ich wütend und vergaß dabei, dass ich mitten in der Nacht nicht so laut sein sollte.
„Hey, du weckst noch deine Eltern“, flüsterte Peter, um zu demonstrieren, dass ich leise sein soll, „und dann wäre alles umsonst.“
Er konnte meine Wut trotzdem nicht bändigen. Ich war so sauer, sauer auf diesen blöden Poltergeist, sauer auf meine Neugier und sauer darauf, dass ich diese doofe Kiste überhaupt geöffnet hatte. Ich trat vor lauter Wut gegen sie, um mich abzureagieren. Sie bewegte sich etwas und offenbarte, was ich mir die ganze Zeit gewünscht hatte: Das Buch!
„Es lag die ganze Zeit unter der Truhe“, stellte ich voller Begeisterung fest, „wer hätte das gedacht?“
„Ich nicht“, machte Peter deutlich, der mindestens genauso freudig über meinen Fund war.
Ich schlug es schnell auf, um nach etwas zu suchen, was mir beim Kampf gegen Larvaster helfen könnte, aber ich stellte fest, dass die Seite leer war. Ich blätterte weiter und wieder zurück, aber jede einzelne Seite war ohne eine einzige Notiz. Zudem sah es nicht danach aus, als hätte jemand Seiten entfernt.
„Oh nein“, jammerte ich und schaute zu Peter rüber.
„Was ist los?“ wollte Peter wissen.
„Da steht nichts drin“, antwortete ich ihm.
Ich setzte mich auf den Boden, denn jetzt fühlte ich mich vom Schicksal verschleudert. Ich schloss das Buch und legte es auf den Boden.
„Es hat kein Zweck“, sagte ich verzweifelt, „Larvaster wird kommen und ich kann nichts dagegen tun.“
Plötzlich schlug sich das Buch wie von Magie wieder auf und ein Leuchten entsprang aus der Mitte. Ich schreckte ein wenig zurück, da ich nicht wusste, wie ich diese Situation einschätzen sollte. Selbst Peter verschwand hinter dem Spiegel. Aus dem Licht erschien ein Kopf, der zu einem alten Mann wurde.
„Professor Lux?“ fragte Peter.
„Ja, zumindest das, was von mir übrig geblieben ist“, antwortete er mit freudiger Stimme.
Ich saß noch immer wie angewurzelt da. Der Professor bestand nur aus seinem Kopf und der sah aus wie ein Geist. Er war erst der zweite Geist meines Lebens und ich spürte, dass ich eigentlich noch nichts verstanden hatte und mich alles überraschte. Wie sollten demzufolge meine Mom und mein Paps das erst einordnen können?
Wahrscheinlich gar nicht.
„Oh, ein junger Mann“, sprach der Professor mit noch freundlicherer Stimme, „wer bist du denn?“
„Äh“, stammelte ich, „i-ich b-bin Tjalf.“
„Angenehm“, entgegnete der Professor, „ich bin Professor Ludwig Lux, ich würde dir ja gerne die Hand geben, aber wie du sicher festgestellt hast, bestehe ich nur aus einem Kopf.“
„Ja, das habe ich“, sagte ich.
Ich war noch immer perplex, aber das gab sich.
„Nun gut“, sprach Professor Lux, „jetzt bin ich wieder da.“
„Aber Professor“, äußerte Peter auf einmal, „wie kommen sie in das Buch hinein?“
„Nun ja“, antwortete der Professor, „ich habe mithilfe dieses Buches einen alten Geisterzauber ausgesprochen, der mich an dieses Werk bindet. Für Menschen unsichtbar, kann es demzufolge nicht für böse Zwecke missbraucht werden. Es kann nicht durch Geister geöffnet werden und nur durch einen Lacin geöffnet werden.“
In diesem Moment veränderte sich der Gesichtsausdruck des Professors.
„Du, lieber Tjalf, musst ein Lacin sein“, stellte er fest und machte einen Freudensprung mit seinem Kopf, was im Übrigen sehr lustig aussah, „das ist wunderbar.“
„Was soll mir das denn bringen?“ fragte ich mit wütender Stimme, „wenn ich so ein Falin…“
„Es heißt Lacin“, verbesserte Peter mich.
Ja, Lacin. Dann bin ich halt ein Lacin, aber was nützt es mir, wenn es mir nicht einmal gelingt, diesen Larvaster aufzuhalten.“
Der Professor zuckte zusammen und er bekam eine für ihn ungewöhnlich besorgniserregende Miene.
„Der Poltergeist existiert noch?“ fragte er zögerlich.
„Ja“, bestätigten Peter und ich zeitgleich.
„Das ist ziemlich blöd“, sagte der Professor, „ich hatte ehrlich gesagt gehofft, dass er weg ist oder bereits von jemandem erledigt, wenn ihr versteht.“
„Ist er aber nicht“, machte Peter nochmals deutlich.
Der Professor schaute sich um, als könnte der Poltergeist jeden Moment aus irgendeiner Ecke kommen.
„Er ist nicht hier“, sagte ich, „aber er wird bald kommen.“
„Dann müssen wir gehen“, schlug Professor Lux.
„Das ist nicht möglich“, teilte Peter mit.
„Ja, richtig“, stellte der Professor fest, „Peter, dich können wir nicht mitnehmen. Aber wir sollten uns sputen.“
„Ich kann auch nicht“, sprach ich, „denn meine Eltern werden ebenfalls nicht mitkommen. Sie glauben mir nicht und ehrlich gesagt kann Weglaufen nicht die Lösung sein.“
„Oh nee“, der Professor bekam eine sehr ängstliche Stimme, „euch ist schon bewusst, dass wir sterben oder in ewiger Sklavenschaft sein werden?“
Peter und ich antworteten nicht auf die Bemerkung des Professors. Peter hatte keine andere Wahl. Ich dagegen hatte eine und wollte mich gegen den Poltergeist stellen.
„Kann man denn nichts tun?“ fragte ich Professor Lux.
„Du? Als Lacin?“ stellte er als Frage in den Raum, „nein eigentlich nicht.“
Wieso nicht?
„Aber es muss doch etwas geben?“ ich konnte es nicht glauben.
„Hättest du ein Artefakt, dann wäre etwas möglich“, verdeutlichte der Professor, „aber als Lacin besitzt du nur wenig Geisterzauberkraft und dazu bist du noch ungeübt. Du bräuchtest Jahre, um dich gegen einen Poltergeist wehren zu können.“
Die Antwort von Professor Lux enttäuschte mich. Aber es geschah eine Sache, die mich überraschte: Peter meldete sich zu Wort und zwar energisch.
„Professor, sie müssen etwas tun“, sagte er, „erst hat er mich zu dem gemacht, was ich bin und sie dazu gezwungen, dem Tod von der Schippe zu springen, indem sie sich an dieses Buch binden. Wenn wir Larvaster nicht aufhalten, wer dann? Er wird weiter sein Unwesen treiben. Und Angst haben wir alle…“
Der Professor schaute verlegen als hätte Peter mit seinen Worten den Nagel auf dem Kopf getroffen.
„Peter, du hast recht“, sprach Professor Lux.
Ich spürte, dass er dennoch dagegen war, Larvaster zu bekämpfen, aber er blieb.
„Und wie habt ihr euch das vorgestellt?“ wollte der Professor wissen.
„Kann uns das Buch da nicht helfen?“ stellte ich als Gegenfrage.
„Ja, sicher“, antwortete Professor Lux zögerlich, „aber ich sagte ja schon, dass es theoretisch Jahre dauern würde, ehe du die kleine Möglichkeit hättest, um den Poltergeist zur Strecke zu bringen.“
„Woher wissen Sie das?“ interessierte es mich, da er das Wort „theoretisch“ benutzte.
„Ich weiß es nicht“, teilte er mit, aber…“
Wieder hielt er sich zurück, als wollte er uns die Wahrheit nicht sagen. Vielleicht würde sie uns schockieren. Aber was sollte uns denn jetzt noch schockieren?
„Professor Lux, spannen Sie uns nicht auf die Folter, erzählen Sie es uns endlich“, forderte Peter auf, der offenbar ebenso entschieden hat wie ich, den Poltergeist den Gar auszumachen.
„Aber in alle den Jahren“, fuhr der Professor fort, „in denen ich als Indoles meiner Tätigkeit nachgegangen bin und die Geister und ihre Welt, wie auch die Übersinnlichen studiert habe, ist mir keiner begegnet, der mir berichten konnte, je einen Poltergeist besiegt zu haben und dabei habe ich das Vergnügen gehabt, einen Venator kennenzulernen.“
„Was soll das sein?“ fragte ich wie aus einer Pistole geschossen.
„Ein Jäger, der über besondere Geisterzauber und andere Kräfte verfügt. Allein ihm würde es gelingen, einen Poltergeist Einhalt zu gebieten“, antwortete er mir.
„Und mithilfe eines Artefakts?“ bohrte ich weiter, denn ich wollte so schnell nicht aufgeben und jeder, auch noch kleiner, Chance nachgehen.
„Das wäre im Bereich des Möglichen“, antwortete Professor Lux, „ist etwa eines in deinem Besitz?“
„Nicht, dass ich wüsste“, musste ich leider als Antwort geben.
„Dann haben wir nichts“, sprach der Professor und ein wenig war es so, als sollte er recht behalten.
Aber ich wollte es nicht dazu kommen lassen. Nicht aus dem Grund, um selbst zu haben, sondern, da ich eine tiefe Entschlossenheit spürte, die aus meinem Herzen kam und mir die Zuversicht gab, dass es funktionieren würde.
„Professor Lux, sie zeigen und erklären mir alles, was in diesem Buch steht“, forderte ich, „ich werde lernen, soviel wie ich kann.“
„Und dann?“ fragte der Professor.
„Mich ihm entgegenstellen“, entgegnete ich ihm und mein Entschluss stand fest, felsenfest, „aber nun sollte ich ins Bett zurück, denn wenn meine Eltern etwas bemerken, dann wird der ganze Plan nichts.“
„Du kannst mich doch mitnehmen, um das Buch zu studieren“, schlug der Professor vor.
Im ersten Moment fand ich diese Idee gut, aber dann kam es mir befremdlich vor, einen alten Geist mit in mein Zimmer zu schleppen, in dem ich auch noch schlafe. So sicher war ich in der Geisterwelt eben noch nicht.
„Ich weiß nicht“, sagte ich, da ich nicht wusste, wie ich es dem Professor mitteilen sollte.
„Wenn du das Buch schließt, bin ich wieder weg“, teilte Professor Lux mit.
Er hatte vermutlich wahrgenommen, dass es mir Unbehagen bereitete.
„Ganz weg?“
„Ja, ganz weg. So als wenn du das Haus verlassen würdest, dann wärst du ja logischerweise nicht mehr drin“, führte der Professor aus.
„Klingt nachvollziehbar“, stellte ich fest, „dann nehme ich sie mit. Aber bevor wir gehen: Ist es möglich, Peter zu befreien? Schließlich haben sie ihn da reingezaubert.“
Professor Lux schaute zu Peter rüber.
„Um ehrlich zu sein, nein, das geht leider nicht“, antwortete er, „ich besaß damals einen Ring, ebenfalls ein Artefakt. Es verlieh mir die Macht, das Tor in die Geisterwelt zu öffnen.“
„Das heißt, Peter befindet sich in einer Geisterwelt?“ wiederholte ich fragend und es regte mich auf, denn wie konnte der Professor zulassen, dass Peter dort gefangen war.
„Ich hatte keine andere Wahl“, entgegnete Professor Lux mir, „ich wollte ihn retten und ihn nicht zum Opfer von Larvaster machen.“
„Und wo befindet sich der Ring?“ wollte ich wissen, um nichts unversucht zu lassen, Peter doch noch zu retten.
„Ich weiß es nicht“, antwortete der Professor, „glaube mir, Tjalf, ich hätte ihn schon lange befreit, wenn ich gekonnt hätte.“
„Kümmert euch erst um den Poltergeist“, sprach Peter, „mich könnt‘ ihr auch noch später befreien.“
Er versuchte so zuversichtlich wie möglich zu klingen. Ich merkte, dass wir heute mit der Befreiung von Peter nicht vorankamen, also beschloss ich, für heute Schluss zu machen. Wir verabschiedeten uns von Peter und ich schloss das Buch und der Professor war tatsächlich weg. Schnell vom Dachboden und nicht vergessen, den Stab wieder in das Zimmer meiner Eltern zu legen und dann ging es ab in mein Bett, denn ich war müde- hundemüde.
Verteidigung
Am nächsten Morgen weckte mich meine Mutter. Zum Glück hatte ich das Buch unter meinem Kopfkissen versteckt, sodass sie es nicht finden konnte und mir auch keine Fragen stellte. Allerdings meldete sich meine Müdigkeit und ich musste herzhaft gähnen, gerade als sie mein Zimmer betrat.
„Na junger Mann, ausgeschlafen?“ fragte sie und zog die Gardine zur Seite, um die Sonnenstrahlen hineinzulassen.
„Ja, einigermaßen“, antwortete ich und streckte mich.
Ich stand auf, wusch mich und zog mich um, dann machte ich mich auf zur Küche, um zu frühstücken. Wieder hatte ich einen Bärenhunger und ich konnte aus den Augenwinkeln wahrnehmen, dass mein Vater mich anstarrte und sich fragte, woher all dieser Hunger kommen könnte.
„Was hast du heute eigentlich vor?“ wollte meine Mutter wissen.
Da ich wollte, dass ich wieder in mein Zimmer konnte, um das Buch zu lesen und verstehen zu lernen, musste ich mir eine Ausrede ausdenken.
„Ich… äh… wollte… schreiben“, antwortete ich, da es das erste war, was mir einfiel.
„Was willst du denn schreiben, einen Roman?“ fragte mein Vater neugierig, aber er machte sich zudem ein wenig lustig über mich.
Ich konnte es ihm nicht verdenken, denn weder lesen, geschweige denn schreiben waren bisher meine Steckenpferde.
„Ja, habe ich mir so überlegt“, entgegnete ich.
„Das hört sich ja nicht gerade vielversprechend an“, sagte mein Vater anschließend und ließ mich doof dastehen.
Jetzt musste ich aus der Nummer wieder rauskommen, ohne, dass es wie eine Ausrede klang. Also dachte ich nach.
„Ich dachte mir, dass es mir helfen würde, den Umzug und den ganzen Stress zu verarbeiten“, stellte ich heraus.
Und bäm! Das saß.
Meine Mutter riss die Augen auf und blickte zu meinem Vater rüber. Ich konnte förmlich ihre Gedanken lesen. Sie schickte ihm die Botschaft: „Wir müssen das unterstützen, was ihm hilft“, ganz so, wie der Doktor es sagte und mein Vater reagierte genervt, war aber an der Reihe, sich dazu zu äußern.
„Gut, Tjalf, dann mach‘ das mal“, sprach mein Paps und damit hatte sich das für ihn erledigt.
Doch das reichte meiner Mom nicht:
„Ich finde es super… ähm… wir, dein Vater und ich finden es super, wenn du einen Weg gefunden hast, mit dem Umzug und dem Ganzen zurecht zu kommen.“
„Danke“, sagte ich und damit hatte es sich für mich erledigt, denn meine anfänglich schwache Ausrede präsentierte sich im Nachhinein als sehr stark, „ich bin dann oben.“
Und schwupps war ich oben in meinem Zimmer und hatte den Vormittag für mich und den Professor mit seinem Buch. Ich griff unter meinem Kissen und holte es hervor. Als ich es aufschlug, erschien Professor Luxes Kopf in sehr schwacher Gestalt.
„Was ist denn mit Ihnen?“ fragte ich erschrocken, denn er wirkte kränklich auf mich.
„Och nichts. Das ist nur die Lichtallergie, die alle Geister haben“, antwortete er.
„Lichtallergie?“ wiederholte ich fragend.
„Ja, wir sind Geschöpfe der Nacht. Es heißt ja nicht umsonst Geisterstunde, wenn man Mitternacht meint. Es ist halt unsere Zeit“, erklärte der Professor, „der Tag lässt uns erblassen.“
„Können wir trotzdem an dem Buch arbeiten?“ wollte ich wissen.
„Natürlich, junger Tjalf“, antwortete er fröhlich und ich merkte, dass er mindestens eine genauso große Vorfreude hatte wie ich.
„Dann legen wir mal los“, sagte ich und schlug das Buch auf die erste Seite. Es handelte sich um die Einleitung des Buches. Die einzelnen Kapitel bestanden aus Allgemeines, den Stufen der Übersinnlichen, der Einordnung der Geister und die Verteidigung und Bekämpfung von Geistern.
Ich begann bei dem ersten Kapitel „Allgemeines“.
Die meisten Menschen waren ganz normale Menschen, ohne besondere Fertigkeiten. Die Menschen mit besonderen Fähigkeiten nannte man Übersinnliche. Über den Ursprung der Übersinnlichen gibt es bisher keine Erkenntnisse. Der Professor hatte in seinen Aufzeichnungen vermutet, dass es vererbt wurde. Es gab bisher vier Stufen an Übersinnliche. Jeder Übersinnliche einer höheren Stufe hatte jeweils die Fähigkeiten der unteren.
Es gab die Indoles. Sie zählten zur Stufe eins und nutzten Artefakte. Artefakte waren verzauberte Gegenstände, die durch Hexen oder andere Wesen verzaubert wurden.
Die Conspect waren die sogenannten Sehenden. Sie gehörten der zweiten Stufe an. Sie besaßen die Fähigkeit, mit Geistern zu kommunizieren, sie auch sehen zu können, auch wenn sie es nicht wollten.
Ein Lacin oder auch „Handelnder“ wurde der dritten Stufe zugeordnet. Sie besaßen magische Fähigkeiten, die sie erlernen mussten. Dazu gehörten mehr Abwehrzauber, wie Schutzschilde und Gegenzauber, vereinzelt aber auch Angriffszauber, wie Magicazauber, der Geistern aller Art Schaden zufügen könnte. Allerdings ist er eher als schwach einzustufen.
Zur vierten Stufe und zur seltensten Gruppe gehörte der Venator. Er hatte starke Abwehrzauber und Deuszauber, einen starken Angriffszauber. Zudem verfügte er über eine eigene magische Waffe, meist ein Schwert oder eine Axt, welche eine immense Schlagkraft hatten und nur durch ihn benutzt werden konnten.
Der Rest waren normale Menschen.
Menschen nahmen die Geister und anderen Wesen als solches gar nicht wahr. Sie konnten lediglich ihre Spuren sehen und wenn sich Gegenstände bewegten. Natürlich konnten Geister bewusst zulassen, dass Menschen sie sahen. Ein sogenannter Geisterkodex hatte es allerdings verboten, da es gerade im Mittelalter zu vermehrten Erscheinungen kam. Daher hielten sich Geister daran, es sei denn sie beabsichtigten sowieso, den Menschen zu töten.
Geister ernährten sich von Seelen. Je niedriger die Geisterklasse war, desto weniger Seelen benötigten sie. Ein normaler Geist kann mit einer Seele auskommen, während ein Dämon mindestens eine Seele pro Tag brauchte. Es gab einen Zusammenhang zwischen der Macht über die ein Geist verfügte und seinem Seelenverbrauch.
„Das reicht für heute“, unterbrach mich der Professor und dabei hatte ich erst ein paar Seiten.
„Warum?“ fragte ich enttäuscht.
„Viel hilft nicht viel, eher weniger ist mehr“, entgegnete Professor Lux, „du musst eher seine Fertigkeiten trainieren, statt nur zu lesen.“
„Und wie soll ich das lernen?“ fragte ich ihn, denn ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass ich als Lacin Magie anwenden könnte. Es war noch immer unbegreiflich.
„Üben“, antwortete der Professor, „üben, üben und nochmals üben. Ich will dich nicht unter Druck setzen, aber du hast nicht viel Zeit. Wir wissen zwar nicht wie viel, aber ich denke, dass es nicht mehr lange dauert. Nenne mich einen Pessimisten, aber ich stehe dazu.“
„Ich glaube, sie haben mich nicht verstanden“, entgegnete ich dem Professor, „aber…“
„Ich verstehe dich sehr wohl“, unterbrach er mich, „schaue in dich und horche auf deine Energie. Sie wird es dir zeigen und alles geht von selbst. Mehr weiß ich nicht. Ich war nur ein Indoles und kannte mich mit Artefakten aus. Über die Magie habe ich in all meinen Jahren wenig erfahren können und glaube mir, ich hätte gerne mehr gewusst.“
In mich horchen? Wie sollte das denn gehen? Ich schlug das Buch trotz Protestes des Professors zu, denn ich brauchte Stille, um nachdenken zu können. Das Buch zu lesen und die Dinge, die darin stehen zu verstehen, war meiner Meinung nach nicht sonderlich schwierig. Aber Magie erlernen? Ohne einem Lehrer? Wie sollte das gehen? In diesem Moment wurden meine Gedanken unterbrochen, denn meine Mutter kam in mein Zimmer.
„Oh, lass‘ dich nicht stören“, sagte sie und nahm sich ein paar Kleidungsstücke, die gewaschen werden mussten.
Als sie mein verdutztes Gesicht sah, hielt sie inne.
„Was ist denn los?“ fragte sie, „bekümmert dich irgendetwas? Kann ich dir helfen?“
„Nein, leider nicht“, antwortete ich, „es ist etwas, was ich alleine lösen muss.“
„Wie willst du denn wissen, ob ich dich unterstützen kann oder nicht, wenn du es nicht mal ausprobiert hast?“ entgegnete sie fragend.
„Vielleicht, da du es nicht verstehen kannst“, war meine Antwort, aber ich merkte, dass ich damit meine Mutter nicht zufrieden stellen konnte, im Gegenteil, sie fühlte sich jetzt erst recht aufgefordert.
„Um was geht es denn?“ fragte die einfach, ohne auf meine Antwort einzugehen.
„Ich versuche in mein innerstes zu horchen, aber es gelingt mir nicht“, teilte ich meiner Mutter mit.
Anders als ich erwartet hatte, wollte sie den Grund dafür nicht wissen. Sie wird gedacht haben, es läge an der Geschichte mit dem Umzug, denn das würde für sie einen Sinn ergeben.
„Tjalf, um zu dir zu finden, benötigst du Selbstvertrauen, du musst an dich glauben“, sprach sie, „denn Glaube versetzt bekanntermaßen Berge.“
Und auf einmal machte es Klick. Ich kann es nicht erklären, aber die Worte meiner Mutter waren wie eine Initialzündung für meine Gedanken und öffneten mir eine Tür, die mit Zuversicht gekennzeichnet war. Meine Mutter umarmte mich und ihre Wärme war noch eine zusätzliche Stärkung für mich. Genau das habe ich gebraucht.
„Danke, Mom“, sagte ich.
„Gerne, Tjalf“, äußerte sie, „und beim nächsten Mal gibst du mir eine Chance, einverstanden?“
„Einverstanden.“
Dann ging sie aus meinem Zimmer. In diesem Moment war ich sehr dankbar für meine Mutter. Ich schlug das Buch wieder auf und der Professor erschien.
„Was sollte das denn?“ fragte er mit verärgerter Stimme, „ich bin doch keine Maschine, die man einfach abschalten kann, wenn einem danach ist.“
„Es tut mir leid“, sagte ich.
Professor Lux stoppte und schaute mich an:
„Ach ist schon gut“, sprach er mit gewohnt freundlicher Miene, „ich kann eh nie lange wütend auf jemandem sein. Bin ein Harmoniemensch… Geist.“
„Ich habe nachgedacht, beziehungsweise meine Mutter hat mir geholfen, auf eine Lösung zu kommen“, berichtete ich dem Professor, „allerdings weiß ich nicht, was dieser Geisterzauber…“
„Magica“, verbesserte der Professor mich sofort.
„…ja, dieses Magica alles kann“, beendete ich meinen Satz.
„Hast du es deiner Mutter erzählt?“ wollte Professor Lux wissen.
„Nein, natürlich nicht“, antwortete ich, „aber sie hat trotzdem eine Lösung gehabt.“
„Mütter eben“, strahlte der Professor, „aber nun gut, um auf deine Frage zu kommen…“
Er blätterte an eine Stelle weiter hinten, so etwa zwei Drittel des Buches.
„Hier fängt es an“, sagte er und schaute mich an.
„Die Verteidigung von Geistern“, las ich.
Ich erfuhr, dass die Verteidigung meist aus Energieschilden bestand, die einen Angriff abwehren konnten. Je stärker der Anwender eines Schildes war, desto stärker war auch sein Schild.
„Aber wie sollen wir das üben?“ fragte ich den Professor.
„Hm, versuch es doch einfach mal“, antwortete er.
Ich stellte mich also mitten in mein Zimmer und hielt die Arme nach vorne, als wollte ich jemanden aufhalten. Ich dachte an ein Schild, so wie es die Ritter im Mittelalter trugen und glaubte ganz fest daran. Ich hielt diese Position für einige Minuten bis sich meine Oberarmmuskeln meldeten und ich sie senkte.
„Möglicherweise funktioniert es nur, wenn du auch angegriffen wirst“, bemerkte Professor Lux.
„Und wer soll mich angreifen?“ fragte ich.
„Gute Frage“, musste der Professor zugeben, „du könntest doch einen Ball gegen die Wand werfen.“
„Im Ernst?“ fragte ich, denn die Idee klang komisch.
„Mein absoluter Ernst“, bestätigte Professor Lux, „Besondere Umstände erfordern besondere Einfälle.“
Ich konnte nicht hier drinnen einen Ball gegen die Wand werfen. Da würde mein Vater ausflippen. Ganz egal, ob ich Heimweh hatte, oder nicht. Aber wie dämlich sieht das aus, wenn ich das draußen mache? Andererseits konnte es kaum einer sehen, so weit außerhalb wie wir wohnten.
„Gut, tun wir’s“, sagte ich und schnappte mir das Buch.
„Bis gleich“, sprach der Professor, denn er ahnte schon, dass ich das Buch gleich schließen würde.
„Wo willst du denn hin?“ fragte meine Mutter, als ich auf dem Weg in den Garten war.
Ihr entging aber auch fast nichts.
„Ich will ein wenig Ball spielen, mir die Zeit vertreiben“, antwortete ich, zog meine Jacke ganz pflichtbewusst an, sonst würde meine Mom mich daran erinnern und ging raus.
Ich legte das Buch auf einen Gartentisch ab und öffnete es wieder.
„Das ist ganz schön beengt da drin“, nörgelte Professor Lux, „gut legen wir los. Ich schlage vor, du wirfst so kraftvoll wie du nur kannst und versuchst den ankommenden Ball abzuwehren.“
Leichter gesagt als getan, denn ich musste feststellen, dass sich die jahrelange Abwesenheit in einem Sportverein nun rächte. Während andere Kinder, die beispielsweise Handball oder Basketball spielten treffsicher waren, kam ich mir vor wie so ein Baby, das gerade Ballwerfen lernt. Ich zielte und traf beim allerersten Mal nicht einmal die Mauer, sondern ein Fenster! Glück im Unglück war, dass es keiner gesehen hat, besonders nicht meine Eltern und dass ich es nicht zerstört hatte.
„Da musst du aber noch üben“, merkte der Professor an und sah anhand meines Blickes, dass dieser Kommentar völlig überflüssig gewesen ist.
Meine Unsportlichkeit, im Besonderen die Erkenntnis darüber, erhöhte den Druck, der eh schon auf mir lastete, enorm. Ich konnte mich schlecht konzentrieren, da sich meine Gedanken immer wieder um die bevorstehende Rückkehr des Poltergeists kreisten.
„Du musst dich frei machen von deinem Ballast“, sprach Professor Lux.
„Wie soll das gehen?“ wollte ich wissen.
„Denke an etwas Schönes oder an das Ziel“, antwortete er.
Das Ziel war klar: Meine Familie beschützen und Larvaster besiegen! Doch diese Gedanken waren gebunden daran, dass ich noch immer nicht wusste, wie ich das anstellen sollte.
„Stell‘ dir vor, du schaffst es, ohne an eine Lösung zu denken“, schlug Professor Lux vor.
Gut, Tjalf, konzentriere dich. Nimm all deine Fantasie zusammen. Ich stellte mir vor, wie eine Welt ohne Larvaster wäre. Auch wenn ich kein Bild von ihm hatte, war er einfach ein schwarzes, rauchiges Monster für mich. Was machte man mit Rauch? Klar, es weg pusten. Also holte ich tief Luft und blies ihn weg. Ich war voller Energie, sodass er einfach weggeweht wurde, als hätte ihn ein Orkan erwischt.
„Ich habe verstanden“, sagte ich zum Professor.
„Dann versuch es noch einmal“, sprach er.
Ich legte meine volle Konzentration und meine ganze Kraft auf diesen Wurf, holte aus und ließ los. Er kam gerade auf die Mauer zu, prallte ab, kam einmal auf den Boden auf und nahm Kurs auf mich. Ich streckte meine Hände nach vorne und versuchte ihn abzuwehren. Der Ball erwischte mich am Kopf! Ich stellte fest, dass ich eine hohe Wurfkraft hatte, da es wehtat.
„Alles in Ordnung?“ fragte der Professor nach.
„Ja, geht schon“, antwortete ich, „habe mich gerade selbst überrascht.“
Ich fasste mir an die Stirn, dort, wo der Ball mich getroffen hatte. Eine Beule wollte es nicht werden. Gott sei Dank!
„Ich weiß nicht wie ich mir eine Abwehr vorstellen soll“, wandte ich mich an Professor Lux.
„Stell‘ dir im Inneren Auge eine Art Schild vor, der den Ball abwehren muss“, sprach der Professor, „es ist eine Form der Imagination, möglicherweise hilft es dir.“
Ich hob den Ball auf, holte aus und warf ihn erneut. Wieder prallte er an der Wand ab, kam auf den Boden auf und flog in meine Richtung. Ich streckte die Hände wie beim letzten Mal nach vorne und erzeugte mithilfe meiner Fantasie eine Art Lichtschild. Der Ball prallte daran ab und ich trug keinen weiteren Treffer davon.
„Heureka“, freute es denn Professor.
Ich wollte erst „Gesundheit“ sagen, da ich diesen Begriff für Freude nicht kannte. Ich schloss aber schnell darauf, dass er einfach nur feierte, dass es mir gelungen war, den Ball abzuwehren.
„Und jetzt heißt es üben, üben und nochmals üben“, sagte Professor Lux, nachdem die Freudentanz vorüber war.
Ich trainierte noch den gesamten Nachmittag, ehe ich abends wieder in das Anwesen ging. Es wurde auch Zeit, denn schließlich gab es Abendbrot und ich hatte mächtigen Hunger. War ja auch kein Wunder, denn ich hatte viel Training.
Nach dem Abendessen ging ich zunächst ins Bett, denn um auf den Dachboden zu gelangen, musste ich wieder solange warten bis meine Eltern beide schlafen gegangen waren und dies dauerte eine Weile. Obwohl ich keinen Wecker gestellt hatte, wachte ich mitten in der Nacht auf, wie es auch gestern der Fall war.
Ich schlich mich, mit dem Buch unter meinem Arm, in das Zimmer meiner Eltern, die beide tief und fest schliefen. Die Stange befand sich an der gleichen Stelle, sodass ich sie mir zügig nehmen konnte, um aus dem Schlafzimmer zu verschwinden.
„Was hast du denn vor?“ fragte plötzlich die Stimme meines Vaters und erschreckte mich total.
Obwohl ich jederzeit damit hätte rechnen müssen, überrumpelte es mich und ich stand wie angewurzelt an Ort und Stelle. Ich bekam nicht mal ein Pieps raus.
„Lege die Stange wieder zurück“, sprach er, „was du vor hast, wird nicht funktionieren. Am besten gehst du wieder in dein Bett und schläfst.“
Ich hielt die Stange fest in meiner Hand. Was meinte er damit, dass es nicht funktionieren würde? Wusste mein Paps etwa Bescheid?
„Was würde nicht funktionieren?“ wollte ich von ihm wissen.
Plötzlich richteten sich die Oberkörper meiner Eltern auf und sie schauten wie Roboter in meine Richtung, indem sie ihre Köpfe synchron drehten.
„Larvaster zu besiegen“, sagten sie.
Es waren zwar ihre Stimmen, aber nicht sie! Larvaster musste angekommen sein und ich merkte nun, wie unvorbereitet ich war. Bevor etwas passieren konnte, handelte ich instinktiv und floh aus dem Schlafzimmer. Ich schlug während des Laufs das Buch auf.
„Was ist los?“ wollte der Professor wissen, der mich abhetzen sah.
„Er ist da! Larvaster ist da!“ brüllte ich.
„Oh nein!“ entsetzte es Professor Lux.
Ich konnte seine Panik in seinen Geisteraugen erkennen.
Ich sah nach hinten und konnte erkennen, dass meine Eltern wie Zombies meine Verfolgung aufgenommen hatten. Ich konnte nicht mehr an ihnen vorbei, also musste ich auf den Dachboden. Ich rannte zu der Stelle und legte das Buch ab, um beide Hände frei zu haben. Ich setzte die Stange an die Treppe an, ehe ich aus dem Augenwinkel sah, dass sich eine Lampe von der Decke löste und auf mich fallen sollte. Ohne darüber nachzudenken erzeugte ich ein Lichtschild und wehrte sie ab. Ich war ein wenig stolz auf mich, hatte aber keine Zeit, mich großartig zu feiern.
„Gut gemacht“, rief der Professor, „aber beeile dich bitte, deine Eltern haben uns gleich erreicht und ich denke, sie wollen nichts Gutes von uns.“
„Ich mache ja schon“, machte ich klar.
Ich hackte die Stange ein und zog an der Treppe. Allerdings erkannte ich, dass wir nicht hochkamen, bevor meine Zombieeltern hier waren. Also musste ich handeln.
„Ist ein Magica- Angriff tödlich?“ wollte ich von dem Professor wissen.
„Wieso?“ fragte er und realisierte sofort danach, dass ich diese Frage auf meine Eltern bezogen hatte, „du hast doch noch nie einen Magica- Angriff versucht. Ich rate davon ab.“
„Und dann? Ich sag‘ es Ihnen“, entgegnete ich, „dann gehen wir drauf, denn das da sind nicht meine Eltern. Sie sehen aus wie sie, aber sie verhalten sich nicht wie sie.“
„Es gibt keine Garantie, denn wenn dein Angriff zu stark werden würde, dann bist du ein Waisenkind“, argumentierte Professor Lux.
Dennoch hatte ich das Gefühl, in diesem Moment keine andere Wahl gehabt zu haben. Ich stellte mir einen Angriff vor, ähnlich wie eine Druckwelle. Wenn meine Zombieeltern nahe genug waren, würde ich diese Welle lostreten.
Der Professor erkannte meinen Plan und schaute ebenfalls zu meinen Zombieeltern. Ich konnte meine Augen schließen, um meine Konzentration erhöhen zu können.
„Jetzt“, rief Professor Lux plötzlich.
Ich ließ meine Energie los, die wie eine Welle meine Zombieeltern um stieß. Sie flogen ein paar Meter nach hinten und knallten auf den Boden. Dann bewegten sie sich nicht mehr.
„Oh nein!“ schrie ich und stürmte zu ihnen rüber.
Sie lagen da, als würde sie noch immer schlafen. Anhand der Atmung erkannte ich, dass ich sie zumindest nicht getötet hatte.
„Sie sind wohl bewusstlos“, analysierte der Professor aus der Ferne, „so können sie immerhin keinen weiteren Schaden anrichten.“
Professor Lux hatte recht. Sie sollten hier bleiben. Da ich sie nicht ins Schlafzimmer tragen konnte, holte ich ihnen Kissen und Decken und legte es drüber, damit sie es bequemer hatte und nicht frieren mussten. Auf einmal bemerkte ich einen aufsteigenden Rauch und erkannte sofort, was dies zu bedeuten hatte!
„Larvaster!“ rief ich so laut wie ich konnte, denn er jagte mir allein durch die Geschichten über ihn einen Schrecken ein.
„Schnell, nach oben“, sagte der Professor, „und vergiss‘ mich bitte nicht.“
Ich zog an der Stange und die Treppe kam runter, schnell schnappte ich mir das Buch und rannte nach oben. Die Treppe ließ sich leider nicht hochziehen, sodass ich nach etwas Ausschaue halten musste, was den Poltergeist aufhalten würde. Es musste eine Kommode herhalten, die ich an die Luke schob und fallen ließ, sodass der Eingang versperrt wurde.
„Hoffentlich hält es ihn auf“, sagte der Professor und seine Furcht war deutlich zu spüren.
Ich lief zum Spiegel. Peter war nicht zu sehen, daher rief ich ihn:
„Peter!“
Dieses Mal erschien er sofort.
„Larvaster ist da“, sprach er.
„Woher weißt du das?“ wollte ich wissen, denn es erstaunte mich.
„Ich bin von ihm geschaffen worden, ich merke, wenn er kommt“, erklärte Peter.
Er wirkte sehr traurig. Vermutlich hatte er, genau wie ich und der Professor wahrscheinlich gehofft, dass es dauern würde, ehe der Poltergeist auftauchte. Auf einmal rumste es am Eingang es hörte ich an, als würde eine Kommode zerstört worden sein. Obwohl die Angst in mir unendlich groß war, fasste ich all meinen Mut zusammen.
„Es reicht, ich werde jetzt nicht mehr weglaufen“, sagte ich entschlossen, „und kämpfen.“
Ich legte den Professor beiseite und machte einen Schritt in Richtung des Poltergeists.
„Halt! Nein, Tjalf, tu das nicht“, warnte mich Peter mit flehender Stimme, „er wird mit dir dasselbe machen, wie mit mir.“
„Das werde ich nicht zulassen“, entgegnete ich dem Geisterjungen und ging weiter.
Vor mir baute sich der Rauch auf. Er wirkte unheimlich und kalt. Als er eine gewisse Größe erreicht hatte, erschienen zwei feuerrote Augen.
„Du wirst verlieren, Junge“, versuchte er mich einzuschüchtern.
„Ich denke nicht“, widersprach ich ihm, „ich werde dafür sorgen, dass du von hier verschwindest und uns in Ruhe lässt.“
„Genau“, pflichtete der Professor mir von hinten bei.
„Interessant“, sagte der Poltergeist und ich wusste nicht, was es zu bedeuten hatte.
Innerlich bereitete ich mich auf eine Attacke seinerseits vor.
„Sieh einer an, der Professor“, lachte Larvaster, „schön, Sie wiederzusehen. Wie geht es Ihnen so als Geist?“
Larvaster wirkte überhaupt nicht überrascht, Professor Lux als Geist zu sehen.
„Was geht hier vor?“ wollte ich in Erfahrung bringen und wandte mich an den Professor.
„Los, Ludwig, erzähle es Ihnen schon“, ermutigte Larvaster den Professor höhnisch.
Professor Lux schwieg, aber ich sah ihm an, dass er Mist gebaut haben musste. Ich wusste nur nicht, um was es sich handelte.
„Wenn Ludwig nichts sagen mag, dann packe ich halt aus…“, begann Larvaster.
„Nein, stopp“, unterbrach der Professor, „ich erzähle es ihm. Ich bin ebenfalls eine seiner Schöpfungen.“
„Was?“ fragte ich voller Erstaunen und Entsetzen, „heißt das, du wusstest, dass er kommt?“
„Ja, nein,…äh“, stammelte Professor Lux.
„Eigentlich sollte er dich erledigen und nicht trainieren“, erklärte der Poltergeist, „aber das ist mir nun gleich, ich werde es nun nachholen und dich zu meinem Sklaven machen.“
Ich war zwar tierisch sauer auf den Professor, aber ich hatte keine Zeit, ihn dafür anzubrüllen, um ihn meine Enttäuschung zu zeigen, denn Larvaster bereitete sich vor, mich anzugreifen. Ich hatte nicht viel Zeit, um ein Lichtschild zu formen, da kam der erste Angriff in Form einer schwarzen Masse. Es beschlich mich ein Gefühl, dass ich nicht rechtzeitig abwehren konnte, so wie beim ersten Ballversuch im Garten und dieser Gedanke blockierte mich. Ich sah, wie mein Leben zum Ende kam.
Plötzlich flog das Buch mitsamt Professor in die Schusslinie und nahm den gesamten Angriff auf sich und damit von mir weg. Es erleichterte und schockierte mich zugleich, denn ich musste mitansehen, wie das Buch und der Professor von der schwarzen Masse verschlungen wurden.
„Nein!“ hörte ich aus dem Spiegel, während es mich eher lähmte.
Dennoch war ich in der Lage, mein Lichtschild weiter zu formen, sodass der zweite Angriff des Poltergeistes mich nicht treffen konnte.
„Scheinst ja ein kleiner Zaubermeister zu sein“, rief Larvaster, „aber das wird dir nichts nützen. Ich mache dich kalt und wenn ich mit dir fertig bin, dann mache ich deine Eltern kalt, einer nach dem anderen.“
Was er sagte, machte mir Angst. Aber ich blieb stark und versuchte, ebenfalls einen Angriff zu starten, denn in meiner Angst versteckte sich die Wut und sie breitete sich aus, denn niemand sollte mir und meinen Eltern drohen.
„Lass‘ ihn in Ruhe, Larvaster“, schrie Peter auf einmal.
Der Poltergeist wandte sich ihm zu:
„Es heißt für dich immer noch Meister, schon vergessen? Du bist dran, wenn ich mit dem Kleinen hier fertig bin.“
Bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich lenken konnte, haute ihn eine Druckwelle um. Ich konnte in Ruhe meine Energie sammeln und den Poltergeist mit einem Volltreffer umwerfen, sodass er um einige Meter nach hinten weichen musste. Allerdings formierte sich der Rauch neu und er war zurück, als wäre nichts geschehen.
„Du kleiner Mistkerl“, fluchte er, „ich hätte dich nicht unterschätzen sollen. Aber das hört nun auf! Jetzt bist du tot!“
Ich ging in Verteidigung und formte ein Lichtschild. Dieses Mal benutzte er keine schwarze Masse, sondern ebenfalls Druckwellen.
„Was du kannst, kann ich schon lange“, sagte er und es landete ein Treffer nach dem anderen bei mir.
Ich hatte große Mühe, Widerstand zu leisten, da ich merkte, wie sehr das Abwehren an meiner Kraft zerrte. Zu meinem Übel stolperte ich über meine eigenen Füße und fiel nach hinten weg. Ich verlor die Kontrolle und mein Schutzschild war dahin. Die Druckwelle knallte gegen den Spiegel und reflektierte sich, sodass sie zurück zum Absender ging und ihn erneut umriss, denn seine Druckwelle war weitaus stärker als meine. Ich stand auf, so schnell wie ich konnte. Ich sah nun meine Chance, ihm den Gar auszumachen, auch wenn ich ehrlich nicht wusste, wie ich das bewerkstelligen sollte. Ich konzentrierte mich und setzte an, die stärkste Druckwelle zu erzeugen, die ich je gefertigt hatte. Ja, ich weiß, allzu viele waren es bisher auch nicht.
„Überdenke deine Entscheidung“, flehte der Poltergeist, „ich werde gehen und dich und die deinen in Ruhe lassen.“
„Das glaube ich dir nicht“, entgegnete ich ihm.
Ohne lange zu lange hinauszuzögern, feuerte ich die Druckwelle ab, die tatsächlich sehr stark war. Sie kam auf und der Rauch verpuffte. Larvaster war verschwunden. Hatte ich es geschafft?
„Tjalf, nein, er ist noch da…“, rief Peter und verschwand.
Ich drehte mich um und konnte sehen, wie der Poltergeist im Spiegel verschwand. Eine Druckwelle würde dabei nicht helfen, denn ich hatte gesehen, was dann geschieht. Was sollte ich jetzt tun? Ich konnte Larvaster nicht folgen, denn mir blieb der Weg in die Geisterwelt verwehrt.
Das Tor zur Geisterwelt
Ich stand einige Minuten vor dem Spiegel und merkte, wie erschöpft ich war. Mir fielen meine Eltern ein, die noch immer dort unten lagen. Ich beschloss, nach unten zu gehen um nachzusehen, wie es ihnen ging. Sie lagen noch immer dort. Ich wusste nicht, ob sie verflucht waren oder dieser Zombiezauber an Larvaster hing, denn dann würde alles beim Alten bleiben und ich hatte eher verloren als gewonnen.
Ich musste in die Geisterwelt, aber wie?
Das Buch gab es jetzt nicht mehr und ein Kapitel darüber habe ich nicht gefunden. Wahrscheinlich würde es mir auch nicht weiterhelfen, denn es schien, als dauerte alles, was man über Geister und Magie und eigentlich allem erlernen wollte, eine Ewigkeit braucht, um es sehr gut zu können. Diese Zeit hatte ich definitiv nicht.
Nachdem ich meine Eltern erneut ordentlich zugedeckt hatte, ging ich wieder auf den Dachboden und stellte mich vor den Spiegel. Ich untersuchte ihn. Es standen einige Schriftzeichen drauf, die ich nicht identifizieren konnte. Auch einen Spruch oder dergleichen, wie eine Art Passwort konnte ich nicht finden. Ich spürte wieder, dass mich diese Hilflosigkeit wütend machte.
„Warum kannst du mich nicht einfach in diese verdammte Geisterwelt lassen!“ brüllte ich und ballte meine Fäuste.
Ich entschuldige mich für den Fluch, meine Mutter hatte mich anständig erzogen, aber es bewirkte Wunder, denn der Spiegel leuchtete auf. Ich hatte das Gefühl, das Portal hatte sich geöffnet. Mit Stolz und einer Menge Furcht streckte ich meine Hand aus. Der Spiegel war wie kalte Sauce, etwa in dieser Konsistenz. Ich fasste ganz hinein und es war als zöge etwas an mir. Ohne, dass ich hätte reagieren können, war ich auf der anderen Seite des Spiegels. Das Leuchten hörte auf.
Die andere Seite war voller Dunkelheit gefüllt. Zudem fühlte sich alles dumpfer und kälter an. Ansonsten spiegelte es die wirkliche Welt. Ich ging bis an die Luke heran, denn ich vermutete, dass der Poltergeist Peter folgen würde und einen anderen Ausgang wie den Dachbodeneinstieg kannte ich nicht.
Ich bemerkte erst jetzt, dass ich verfolgt wurde. Zuerst dachte ich, dass es sich um den Poltergeist handeln müsste, aber es wäre unlogisch, dass er sich versteckt, um von mir nicht entdeckt zu werden. Also war es jemand anderes. Vielleicht Peter? Ich drehte mich demonstrativ um und scheute in die Richtung des Schattens.
„Zeig‘ dich endlich“, forderte ich meinen Verfolger auf.
Aus der Dunkelheit kam ein Schattenwesen mit weißen Augen. Es stellte sich direkt vor mich und musterte mich ausgiebig.
„Du gehörst hier nicht her“, stellte es fest.
Die Stimme war klar und hallte etwas.
„Das weiß ich auch“, sagte ich, „ich will auch nur meinen Geisterfreund Peter holen.“
Ich erwähnte Larvaster nicht, denn ich wusste nicht, wie ich dieses Wesen einschätzen sollte.
„Warum?“ fragte es.
„Er ist in Gefahr“, antwortete ich.
„Welche Gefahr?“ wollte das Schattenwesen nun wissen und brachte mich ins Grübeln.
Sollte ich es nun verraten oder doch lieber schweigen? Ich konnte das Wesen nicht einschätzen. Bisher hatte es mir nichts angetan, aber das hatte erfahrungsgemäß nichts zu bedeuten.
„Wir warten auf eine Antwort“, sprach das Schattenwesen.
Wir? Nun wurde mir mulmig, denn wenn hier noch mehr von ihnen waren, dann musste ich fast schon mit einer Gefahr, die von ihnen ausging, rechnen.
„Ein anderer Geist will ihm etwas antun“, gab ich an.
„Wir wollen, dass eine konkrete Angabe auf die Frage gemacht wird“, führte das Wesen weiter aus.
Ich kam aus dieser Situation wahrscheinlich nur raus, wenn ich die Fragen beantworte. Da ich diese Wesen nicht kannte und nicht sagen konnte, in was für einer Lage ich mich befand, entschied ich, auf die Frage zu antworten:
„Es geht um einen Poltergeist namens Larvaster. Er will Peter töten, einen Geist und Freund von mir.“
„Wir haben dich angehört“, sprach das Schattenwesen, „und urteilen, dass du ein Viertel eines Tages erhältst, um deine Aufgabe zu lösen. Danach werden wir dich wieder zurück in deine Welt bringen.“
Kaum ausgesprochen, löste sich das Schattenwesen auf. Ein Viertel Tag? Das hieße sechs Stunden? Ich wusste nicht, ob das viel war, denn ich hatte keine Ahnung, wo ich mit meiner Suche anfangen sollte. Ich ging auf die Ausziehtreppe, die mich nach unten führen sollte und ich war überrascht, was ich dort sah. Immerhin war es heller und es handelte sich nicht mehr um ein Spiegelbild von der wirklichen Welt, sondern um einen dichten Wald, in dem ich hinabstieg.
Ich fühlte mich wie in einem Dschungel, nur dass die Bäume alle krank aussahen. Sie waren grau und hatten schwarze Blätter und einige waren mit rot- leuchtenden Früchten ausgestattet. Ich blieb mitten auf der Treppe stehen, denn sie verschaffte mir eine Übersicht. Ich stellte schnell fest, dass ich nirgends hindurchsehen konnte.
„Peter!“ rief ich und merkte zugleich wie dumm das sein muss, denn wer weiß, was für Wesen das anlockte?
Peter hatte immer wieder von Problemen gesprochen, die ihn in dieser Welt beschäftigten und weshalb er nicht immer gleich sofort am Spiegel war, sobald ich ihn rief. Er hatte nie genau angegeben, um was es sich dabei handelte, aber es hinterließ bei mir den Eindruck, als wäre es etwas Ernstzunehmendes. Daher sollte ich auf der Hut sein und an dieser Stelle nicht laut in die Gegend rufen.
Andererseits bedeutete es, dass ich in den Dschungel hinabsteigen musste, um Peter zu finden. Langsam und mit voller Vorsicht bewegte ich mich hinab. Der Boden war matschig und schleimig- wirklich eklig. Es raschelte in den Bäumen und unregelmäßig knarzten die Äste, was mich in voller Konzentration ließ.
Ich wusste nicht, in welche Richtung Peter gegangen sein könnte oder ob er überhaupt in diesem Wald war, aber irgendetwas in meinem Inneren trieb mich voran. Ich machte einen Schritt nach dem anderen, bis ich merkte, dass mein rechter Schuh sich festgesaugt hatte, wie bei einem nassen Saugnapf an einer Scheibe.
Ich zog mit aller Kraft, aber ich konnte den Schuh nicht herausbekommen, im Gegenteil, er sank in die Erde! Im Übrigen geschah dies ebenso mit meinem linken Schuh, sodass ich feststeckte. Ich hatte das Gefühl, je mehr ich zappelte und mich dagegen zur Wehr setzte, desto schneller sank ich.
Zu meinem Übel erkannte ich, dass etwas drei bis vier Meter vor mir ein Wesen stand. Es war ein Skelett mit Hautfetzen. Die Augen waren Blutdurchtränkt und es schaute mich an, als wolle es mich fressen. Zwar wirkte es insgesamt eher mager, aber darauf setzte ich nicht.
Ich schlüpfte aus meinen Schuhen und befreite mich von den Fängen des Erdbodens, während das blutrünstige Wesen auf mich zulief. Ich formte einen Magica- Angriff in Form einer Druckwelle, da mir nichts anderes in den Sinn gekommen ist und ich auch nichts anderes kannte.
Ich konnte natürlich keinen heftigen Angriff starten, denn dafür war dieses Ungeheuer zu schnell bei mir, aber es reichte, um es wegzustoßen. Ich musste erneut Energie aufladen, um eine zweite Druckwelle zu erzeugen. Diese schoss, zu meinem Pech, leider daneben und ich musste der Laufattacke ausweichen.
Das war vielleicht knapp!
Andererseits hatte das Monster wohl alles auf diesen Angriff gesetzt und konnte daher nur schwer stoppen, was mir wiederum Zeit verschaffte, um einen dritten Angriff durchzuführen. Dem Wesen schien es gleich zu sein, denn es bremste ab, machte kehrt und rannte direkt wieder zu mir. Ich stellte mir eine Tsunamiwelle vor, denn es war die größte Wellenform, die mir auf Anhieb einfiel. Dann ließ ich meine Attacke los und sie riss Ungeheuer um.
Kaum hatte ich dies realisiert, richtete es sich mühsam wieder auf, was mich erstaunte. Ich formte eine weitere Druckwelle, die schwacher als die vorherige, denn auch meine Kräfte waren begrenzt. Allerdings ließ sich das Wesen nicht aufhalten und nahm in Kauf, dass einige Hautfetzen von ihm flogen.
Ich machte noch zwei Angriffe, mit viel weniger Angriffskraft als zuvor bis es mich erreichte und meinen Hals zupacken bekam. Es hob mich in die Luft und ließ mich zappeln. Ich spürte, wie mir der Atem ausgehen würde. Mir kamen Bilder meiner Eltern in den Sinn. Wie sie mit mir im Legoland waren oder als ich bei einem Geburtstag, es muss der Dritte gewesen sein, die Kerzen einfach nicht auspusten konnte, weil ich es nicht hinbekam, direkt auf die Flamme zu pusten, sondern immer drüber weg blies. Ich dachte an meine Einschulung, an dem Umzug, an Peter und daran, dass ich nicht aufgeben werde.
Ich sammelte meine letzte Energie und diese Mal stellte ich mir Feuer vor. Es hatte die Eigenschaft, alles niederzubrennen, was es gibt. Vielleicht half es mir und ich konnte, wie bei dem Lichtschild und der Druckwelle auch, ebenso Feuer erzeugen. Es mag an dem Luftmangel liegen, aber ich spürte eine enorme Hitze in mir.
„Nun stirb doch endlich, damit ich deine Seele fressen kann“, krächzte das Wesen.
Ob es sich um einen Seelenfresser handelte? Ich konnte es in diesem Augenblick nicht beantworten, denn ich musste überleben. Kurz bevor ich merkte, wie das Leben langsam aus mir herausgequetscht wurde, ließ ich die Feuerattacke los. Das Wesen ließ mich los und ich knallte auf den Boden. Ich konnte mitansehen, wie es durch meinen Feuerstoß zurückgeworfen wurde und begann zu brennen. Es lief panisch herum und schrie, dann fiel es um und zuckte ein paarmal, ehe nur noch das Feuer loderte.
Ich war mir sicher, dass es nun tot war. Im Nachhinein trafen das Verhalten und die Beschreibung auf einen Seelenfresser. Ich stand auf. Ich merkte wie kaputt ich war, aber ich durfte nicht aufgeben, denn Larvaster musste gefunden und erledigt werden, so wie dieser Seelenfresser.
Erst jetzt nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, dass Peter an von einem Baum umschlungen war. Er war nicht bei Bewusstsein. Ob er bereits von uns gegangen war, konnte ich nicht erkennen. Ich hoffte aber, dass das Gegenteil der Fall war.
Ich ging schnell zu ihm hin, um nachzuschauen, ob er noch lebte, wenn man bei einem Geist überhaupt davon sprechen konnte. Kurz bevor ich ihn erreichte, erwischte mich eine Druckwelle von links und schoss mich gegen einen Baum. Ich knallte voll dagegen und prellte mir die Schulter. Dann fiel ich zu Boden. Schon wieder dieser matschige und stinkende Erdboden. Ich raffte mich trotz Schmerzen auf und sah ein Rauchmonster, welches ich eindeutig als Larvaster identifizieren konnte.
„Sieh mal einer an“, sagte der Poltergeist, „der Retter der kleinen Geister. Konntest tatsächlich einem Seelenfresser entkommen. Jetzt musste ich doch zu dir kommen, um dich zu erledigen.“
„Das wird dir nicht gelingen“, machte ich mir verzehrter Miene klar.
„Du kleine Amöbe willst mir etwas anhaben?“ lachte er voller Hohn, „du bist doch zu schwach, um überhaupt einer Fliege etwas zu Leide zu tun.“
„Das täuscht“, widersprach ich und richtete mich demonstrativ auf.
„Ich will nicht so sein“, sprach Larvaster, „ich werde dir eine Chance einräumen und dich zu meinem ewigen Sklaven machen, wenn du dich freiwillig ergibst, ansonsten sehe ich mich gezwungen, dich auf brutalste Art und Weise den Bäumen zum Fraß vorzuwerfen.“
Den Bäumen? Ich machte einen Rundumblick.
„Genau, die Bäume“, bestätigte Larvaster nochmals, „sie warten nur auf Menschenfleisch. Ich dagegen werde mir deine Seele einverleiben.“
Ich schluckte kurz, denn die Drohung war durchaus realistisch umzusetzen. Ich war schwach und hatte nur noch wenig Energiereserven, während der Poltergeist wahrscheinlich hundertprozentig fit war. Wie standen da meine Chancen? Nicht gut.
„Ich werde mich nicht ergeben“, entgegnete ich und machte mich größer, denn ich war nicht so weit gegangen, um nun zu scheitern.
„Das hatte ich mir fast gedacht“, sprach Larvaster, „aber so sei es. Dann wirst du qualvoll sterben müssen.“
Innerlich war ich schon dabei, ein Lichtschild zu formen, da ich annahm, dass er jeden Moment begann, mich zu attackieren und ich sollte recht behalten. Er streckte einen Arm nach vorne und schoss einen langen Feuerstrahl, der mit voller Wucht auf mein Schild prallte. Funken sprühten an der Seite vorbei und ich spürte sie Hitze, die mit jeder Sekunde heißer wurde.
Eines war klar, lange würde ich das nicht durchhalten können. Als ich an Larvaster vorbeiblickte, erkannte ich, dass Peters Augen geöffnet waren. Es freute mich, sodass ich neue Kraft schöpfen konnte. Mir war dennoch bewusst, dass ich nicht stärker sein konnte als der Poltergeist.
Was konnte man gegen einen mächtigen Gegner tun? Als ich in der ersten Klasse war, gab es einen Jungen, namens Kevin, der bereits in der dritten Klasse war. Kevin war viel größer und stärker als ich und er bestahl mich und verhaute mich fast täglich bis ich es meiner Mutter sagte. Meine Mutter pflegte zu sagen, dass ich ihm aus dem Weg gehen sollte und dafür sorgen sollte, dass ich Freunde hatte, denn ein großer, gemeiner und vermeintlich übermächtiger Gegner legte sich nie mit mehreren an. Ähnlich wie ein Mikadostäbchen, das man einzeln brechen konnte. Legt man aber mehrere zusammen, so lässt es sich nicht mehr brechen und bleibt stabil.
Jetzt hatte ich einen Plan!
Ich entfernte mein Schild und wich dem nächsten Angriff aus, sodass der Feuerstrahl komplett ins Leere ging. Ins Leere, nein mitten in die Bäume. Larvaster unterbrach seinen Angriff und entschied anstelle eines Strahls nun Feuerkugeln zu schießen. Ich wich einer nach der anderen aus. Alle landeten schlussendlich bei den umherstehenden Pflanzen. Ich erkannte, dass Peter losgelassen wurde.
„Hey Larvaster“, rief er so laut wie er konnte und hatte die Aufmerksamkeit des Poltergeistes.
„Wie konnte du dich befreien?“ fragte Larvaster ärgerlich.
Er hielt nun uns beiden je eine Hand entgegen, die einen sehr großen Feuerball formte.
„Stehenbleiben!“ brüllte er, „Nur einen Schritt weiter und ihr seid des Todes. Ich habe die Schnauze voll von euren Spielchen. Jetzt werdet ihr Sterben!“
Noch bevor er die Feuerkugel loslassen konnte, schnappten Baumwurzeln sich den Poltergeist und stürzten ihn um. Die Feuerkugeln aber schossen in unsere Richtung. Ich wich aus, indem ich zur Seite sprang, aber ich konnte nicht sehen, ob Peter es geschafft hatte.
Erst nach dem Aufschlag auf den Boden, erkannte ich, dass Peter ebenfalls entkommen war. Was für ein Glück! Ich raffte mich erneut auf und ich spürte jeden Knochen, jeden Muskel und jeden Schmerz in meinem Körper.
„Tjalf, geht es dir gut?“ fragte Peter, der sich zu mir aufgemacht hatte.
„Den Umständen entsprechend“, antwortete ich.
„Du lebst, das zählt“, sagte er freudestrahlend.
„Stimmt“, pflichtete ich ihm bei.
Ich war in diesem Augenblick echt total glücklich, noch am Leben zu sein. Ich bin schließlich den Tod mehrfach von der Schippe gesprungen. Das hätte vermutlich nicht jeder geschafft. Wir sahen zu Larvaster rüber, der nun von Baumwurzeln gefesselt war. Er wirkte schwach. Er richtete seinen Kopf auf und schaute mit seinen feuerroten Augen zu uns.
„Ihr glaubt doch nicht, dass ich euch entkommen lasse?“ rief er.
„Du wirst nicht entkommen“, sprach eines der Bäume.
Ein knorriger, alter Baum hatte ein Gesicht geformt und zeigte sich uns.
„Du weißt, dass ihr meiner Kraft nicht lange standhalten könnt, Lignum“, entgegnete der Poltergeist.
„Da wäre ich mir nicht so sicher“, widersprach der Baum, dessen Name Lignum war, „denn du hast unser Abkommen gebrochen und einige meiner Brüder und Schwestern getötet. Dafür sollst du büßen.“
Der Baum drehte sich zu uns um:
„Ihr könnt gehen“, sprach er, „und beeilt euch, bevor meine Brüder und Schwestern vergessen haben, euch nicht anzugreifen.“
Wir machten uns auf, so schnell wir konnten. Ich hatte dennoch das Gefühl, wie eine Leibspeise von jedem Baum, an dem wir vorbeischritten, angeschaut zu werden.
„Die werden dir schon nichts antun“, versuchte Peter mich zu beruhigen, aber es funktionierte nicht so recht.
Da Peter den Weg kannte, erreichten wir die Tür zum Dachboden in der Geisterwelt sehr zügig. Von da an war es nicht mehr weit bis zum Spiegel.
„Halt!“ brüllte von hinten eine Stimme, die wir als Larvaster identifizierten.
Wie konnte er nur entkommen?
„Tjalf, öffne das Tor“, flehte Peter, der in Panik geriet.
Ich konnte mir nicht merken, was genau dazu führte, dass sich der Spiegel zum Öffnen kriegen ließ und schaute Peter fragend an.
„Was?“ fragte Peter mit enttäuschter, aber auch wütender Stimme, „willst du mir jetzt sagen, du weißt nicht wie? Das ist der unpassendste Zeitpunkt, den du wählen konntest.“
„Glaub‘ mir, ich habe es mir nicht ausgesucht“, sagte ich und es tat mir leid, denn Larvaster hatte sich schon vor uns aufgebäumt.
„Ich habe euch doch versprochen, euch zu erwischen“, sprach er, „wer hätte gedacht, dass es so schnell gehen würde?“
„Wie konntest du nur entkommen?“ wollte Peter wissen und stellte sich vor mich.
Er drehte sich zu mir und flüsterte:
„Versuche das Tor aufzubekommen, ich lenke ihn solange ab.“
„Aber…“, versuchte ich entgegen zu bringen.
„Nein, diskutiere jetzt nicht mit mir“, sagte er und wandte sich wieder dem Poltergeist zu.
„Ich habe mich befreit“, verriet Larvaster, „so ein paar dumme Bäume können mich doch nicht aufhalten.“
Während Larvaster mit Peter sprach, stellte ich mir innerlich vor, wie ich den Spiegel öffnete, aber ich spürte rein gar nichts, anders als bei der Magica. Wie sollte es mir demzufolge gelingen, hier wegzukommen?
Larvaster formte einen Feuerball. Peter wich nicht von der Stelle weg, um mich zu schützen. Wenn ich gegen den Poltergeist kämpfen würde, würde ich verlieren, ebenso wie Peter, aber ich war die einzige Person neben dem Poltergeist, die in der Lage war, das Tor zu öffnen- aber was hätte ich machen sollen? Ich entschied, Peter zur Seite zu schubsen, denn ich war nicht hergekommen, um ohne ihn zu gehen. Während meiner Grübelei hatte ich ganz unbemerkt ein Lichtschild geschaffen. Es diente mir nun, um den Angriff des Poltergeistes abzuwehren. Die Feuerkugel verpuffte.
„Du glaubst doch nicht, dass du mich aufhalten wirst?“ fragte Larvaster und ich spürte das allererste Mal, dass ihm bange war.
„Ich glaube es nicht, ich weiß es“, entgegnete ich schlagfertig.
Peter richtete sich indes auf. Er schaute zu mit, als hätte ich den Verstand verloren. Er begriff nicht, was ich bezweckte. Es erklärte mir aber, weshalb er zu einem Gegenstand hinter sich griff und es gezielt an den rauchigen Kopf des Poltergeistes warf. Der Rauch war also nicht durchlässig. Larvaster wandte sich Peter zu.
„Du Verräter, jetzt mach‘ ich dich kalt und dann lasse ich dich im Fegefeuer leiden“, drohte er.
Doch bevor er eine weitere Attacke ausführen konnte, kreierte ich meinerseits einen Feuerball, der ihn sehr hart traf. Es überraschte ihn sichtlich, denn er wich zurück und wurde wahrscheinlich verletzt, auch wenn wir nichts sahen.
„Wie?“ fragte er nur und seine feuerroten Augen riss er dabei weit auf.
Ich hingegen drehte mich zum Tor. Ich spürte die verzweifelte Wut in mir, die wieder anstieg, denn der Angriff hätte nichts genützt, wenn wir in diesem Augenblick nicht entkommen würden.
„Jetzt geh‘ doch endlich auf, um uns herauszulassen!“ brüllte ich.
Und tatsächlich, der Spiegel leuchtete wieder und öffnete sich.
„Schnell, lass‘ uns fliehen“, rief ich Peter zu.
Peter rannte zu mir und wir schritten durch das Portal. Kurz darauf schloss es sich wieder und es wurde auf einmal mucksmäuschenstill.
„Alles Okay?“ fragte ich Peter.
Er strahlte von einem Ohr zum anderen und wirkte sehr glücklich.
„Danke“, sagte er zu mir und umarmte mich, wenngleich er mich nicht berühren konnte.
Seine Freude hatte nur eine kurze Verweildauer.
„Was ist mit Larvaster?“ wollte er wissen.
„Was soll mit ihm sein?“ stellte ich als Gegenfrage.
„Er lebt und befindet sich auf der anderen Seite“, antwortete Peter, „er hat die Macht, durch das Portal zu gehen und du wirst ihn nicht aufhalten können.“
In diesem Moment sah ich Larvaster im Spiegel. Peter drehte sich um und konnte ihn ebenso erblicken. Der Poltergeist sprach kein Wort. Es schaute so aus, als meditiere er.
„Siehst du, er bereitet seinen Gang aus der Geisterwelt vor“, warnte Peter, „und wenn er das geschafft hat, dann werden wir uns warm anziehen müssen.“
„Dann werde ich dafür sorgen, dass er nicht zu uns kommen kann“, sagte ich entschlossen.
„Und wie willst du das anstellen?“ wollte Peter von mir wissen.
Ich antwortete nicht, sondern nahm eine alte Lampe, die auf dem Dachboden herumstand. Peters Fragezeichen, das sich in seinem Gesicht gebildet hatte, wurde mit jedem Augenblick größer, denn er wusste nicht, was ich vorhatte. Ich genoss es ein wenig, ihn auf die Folter zu spannen. Ich holte aus und warf die Lampe mit voller Wucht gegen den Spiegel, der im nächsten Moment in tausend Stücke zerbrach. Peter hatte es verfolgt. Er war fassungslos.
„Jetzt kommt er nicht mehr hier her“, sagte ich.
„Ja, aber…“, versuchte Peter entgegenzubringen.
„Was ist denn?“ wollte ich nun in Erfahrung bringen.
„…er wird einen anderen Weg finden“, warnte Peter.
„Heute?“ fragte ich.
„Nein, nicht heute, aber vielleicht in ein paar Tagen oder in einigen Wochen“, antwortete der Geisterjunge.
„Dann werde ich trainieren müssen“, entgegnete ich.
Ich war der festen Überzeugung, es mit dem Poltergeist bei genügend Übung, aufnehmen zu können. Peter gefielen meine Antworten offenbar nicht. Er war ja auch jahrelang Gefangener von Larvaster. Möglicherweise konnte er noch immer nicht glauben, dass es einer mit ihm aufnehmen konnte. Wir konnten es in diesem Moment nicht lösen, daher beschloss ich, zu meinen Eltern zu gehen.
Peter folgte mir. Als ich nach unten kletterte, nahm ich wahr, dass meine Eltern noch immer schliefen. Ich beeilte mich zu ihnen zu kommen, als mein Vater aufwachte. Es schien als sei er sehr schlapp, denn er konnte kaum seine Augen öffnen.
„Tjalf?“ fragte er mit heiserer Stimme, „alles in Ordnung?“
„Ja, Paps, alles okay“, antwortete ich.
Peter stand still neben mir. Mein Vater konnte ihn ja nicht sehen, daher funktionierte es.
„Was ist denn geschehen?“ wollte mein Vater wissen.
„Ihr seid beide gestern plötzlich ohnmächtig geworden“, log ich, „ ich habe euch Decken und Kissen geholt, da ich euch nicht ins Schlafzimmer tragen konnte.“
„War wohl etwas im Essen“, vermutete mein Vater, denn er konnte sich zunächst keinen Reim daraus machen. Dann kamen plötzlich aufwachende Geräusche von meiner Mutter, die mindestens genauso kaputt aussah.
„Huch?“ fragte sie, „warum bin ich hier?“
„Wahrscheinlich das Essen von gestern“, antwortete mein Vater, ehe ich etwas dazu beitragen konnte, „und Tjalf hat uns Kissen und Decken gebracht.“
„Danke“, sagte meine Mutter.
„Gerne“, sprach ich und war schon etwas verlegen, denn sie kauften mir die Notlügen ab.
Dann standen sie nach einer Weile auf, trugen ihre Bettwäsche zurück und der normale Alltag hielt wieder Einzug in unser Leben. Ich konnte nach dem zweiten Tag ziemlich sicher sein, dass sie nichts wussten, denn sonst hätten sie schon lange etwas unternommen oder wären vermutlich durchgedreht.
Nachwort
Das Abenteuer kostete mich einiges an Kraft, aber es brachte mir Erfahrung. Peter und ich versuchten, die Aufzeichnungen des Professors zu rekonstruieren, was mir nicht gelang. Außer den Geisterklassen und der Einordnung für die Übersinnlichen, einigen Namen war Vieles verlorengegangen. Daher beschlossen wir, ein neues Buch mit dem Namen „Die Einordnung der Geisterklassen und wie diese zu bekämpfen sind, zweite Fassung“ zu verfassen. Wir würden jedes Mal, wenn wir neue Erkenntnisse gewonnen hatten, die Einträge erweitern oder verbessern.
Peter und ich arbeiteten häufig des Nachts an unserem Werk. Peter konnte nun in mein Zimmer gelangen, ohne dass es auffiel und ich mich ewig zu meinen Eltern schleichen musste, um auf diesen Dachboden zu kommen. Eines Nachts wurde Peter auf einmal still.
„Psst“, flüsterte er und legte seinen Zeigefinger vertikal vor seinen Mund.
„Was ist denn?“ fragte ich, „ist es etwa…?“
„Nein“, antwortete Peter zügig, „jemand anderes.“
„Wer denn?“ bohrte ich weiter, denn ich hasste es, jemandem alles aus der Nase zu ziehen.“
„Ich“, antwortete stattdessen ein junges Mädchen.
Ich erkannte, dass sie ebenfalls ein Geist war.
„Was willst du hier?“ fragte ich.
„Ich habe von dir und deinen Fähigkeiten gehört“, antwortete sie, „wir brauchen deine Hilfe.“