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DIE GEISTERBANDE UND DIE SAGENHAFTE RUINE
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Idee: Dennis Weiß
Text: Dennis Weiß
©Dennis Weiß 2017- 2018
Einige Worte
Meine Familie ermöglicht es mir immer wieder, an Geschichten, wie auch dieser, zu schreiben. Ich danke ihr ausdrücklich dafür und widme meinen Liebsten, wie Meike, Vinzent, Merle und natürlich auch Lotti.
Für diese Reihe habe ich nun Ideen für etwa fünf weitere Teile nach diesem! Es zeigt, dass es mir unheimlich Spaß macht und ich diese Geschichte gerne schreibe.
Zu den Orten in den bisher beiden erschienen Teilen, kann ich sagen, dass Neumonster sich an Neumünster erinnert. Es sollte ein wenig auf das Geisterthema einstimmen, daher die kleine Änderung im Ortsnamen. Das Schloss in Brachenfeld gibt es natürlich nicht, aber den wunderschönen Stadtteil Brachenfeld. Sowie es zwar eine Wittorfer Burg gibt, aber von ihr ist sehr wenig übriggeblieben.
Prolog
Tjalf hatte keine Zeit, um sich wirklich auszubilden oder mehr zu trainieren. Er war einfach damit beschäftigt, die Dinge, die er erfahren hat, zusammen zu tragen.
Er hatte sich noch nicht mit seiner neuen Rolle identifiziert. Es war gar nicht so leicht, eine Art Doppelleben zu führen. Noch waren ja Ferien, aber was würde es werden, wenn die Schule wieder begann?
Am Ende war noch alles neu. Die Kräfte, die er noch immer nicht richtig verstand. Diese neue Welt der Geister und anderen Wesen und deren Welt. Die er ebenfalls nicht kapieren konnte. Es war alles anders.
Veränderungen konnten schlechtes bedeuten, weil nichts mehr so war wie vorher. Aber Veränderungen konnten Gutes bedeuten, weil es eine Chance war zu wachsen.
Die Geschichte beginnt da, wo sie im letzten Teil aufgehört hat. Mit einem unbekannten Geistermädchen…
Das Geistermädchen
Das Geistermädchen stand vor meinem Fenster und starrte regelrecht in mein Zimmer.
„Welche Fähigkeiten?“ fragte ich ein wenig irritiert, denn woher wusste sie es? Andererseits war ich auch ein wenig stolz, denn ich wurde offenbar gebraucht mit meinen neuen Fertigkeiten.
Das Mädchen schaute verlegen. In solchen Situationen wäre es wohl angebracht gewesen, wenn sie rot geworden wäre, aber das konnte ich natürlich nicht erkennen.
„Ähm“, begann sie, „ich habe gehört, dass du den Poltergeist besiegt hast.“
Besiegt?!
Jetzt wurde ich verlegen, denn ich hatte Larvaster gar nicht besiegt! Ich bin aus der Geisterwelt geflohen und konnte froh sein, dass meine Eltern nichts bemerkt hatten. Vermutlich wäre dann die Hölle los! Das Wortspiel war nicht beabsichtigt.
„Wieso soll ich dir helfen können?“ fragte ich, denn aus meiner Sicht konnte ich zwar einiges, aber damals war mir nicht bewusst, was ich konnte.
„Du bist doch ein Lacin, oder?“ stellte sie als Gegenfrage statt meine Frage zu beantworten.
„Tja, ich denke, man nennt es so“, antwortete ich, „aber du bist meiner Frage ausgewichen.“
„Naja, da du so mächtig bist, brauchen wir deine Hilfe“, erzählte das kleine Mädchen.
„Du hast dich ja noch nicht mal vorgestellt“, funkte Peter dazwischen.
Das Mädchen schaute nun Peter an. Es war eine abfällige Art, jemanden anzugucken, aber durchaus angemessen für ein Mädchen.
„Mein Name ist Hanna“, sagte sie und wandte sich mir erneut zu.
„Und wie, Hanna, bist du zu einem Geist geworden?“ wollte Peter nun wissen und Hannas Blick ging wieder in Richtung des Geisterjungen.
„Ich bin getötet worden“, antwortete sie kurz und knapp als wolle sie darauf in Wirklichkeit gar nicht antworten.
„Und wie bist du getötet worden und von wem?“ bohrte Peter weiter, denn er glaubte ihr kein einziges Wort.
Womöglich sind Geister untereinander misstrauischer als wir Menschen. Ist irgendwie verständlich, wenn man Larvaster kennengelernt hat- dann würde ich auch niemandem mehr trauen können.
„Warum lassen wir Hanna nicht erstmal herein?“ fragte ich Peter und schaute ihn an.
Ich wollte ihm sagen „Hey, bleib‘ doch mal locker“, aber Peter guckte düster drein. Ich merkte, dass es ihm nicht passte. Aber warum genau, konnte ich nicht sagen. Ja, es war ein Mädchen, aber musste man sich deshalb wie eine Leberwurst verhalten?
„Danke“, sprach mit sie zierlicher Stimme und trat in durch mein Fenster in das Alte Schloss in Brachenfeld ein.
Für einen kurzen Moment vergaß ich, dass meine Eltern sich an nichts erinnert hatten, aber es fiel mir wie Schuppen aus den Augenbrauen als meine Mutter an mein Zimmer klopfte.
„Sie darf euch nicht sehen oder hören“, sagte ich in einem mir befremdlichen Befehlston, nur blieb mir aus meiner Sicht nichts anderes übrig.
„In Ordnung“, versicherte mir Peter und nahm Hanna zur Seite.
„Ja?“ fragte ich und sie öffnete die Tür.
„Alles okay mit dir, Tjalf?“ wollte sie wissen, wie eigentlich jede Nacht seit Larvaster hier gewesen ist beziehungsweise seit sie ohnmächtig geworden sind.
„Ja, mir geht es gut, Mama“, antwortete ich und schaute sie an, damit sie mir glaubte.
„Das ist gut, mein Junge“, sprach sie, „aber ich denke, irgendetwas hat sich verändert, nur weiß ich nicht, was genau. Es ist meine mütterliche Intuition, die mir das immer wieder sagt.“
„Aber Mama“, entgegnete ich ihr, „nur weil ihr einmal umgefallen seid, geht doch die Welt nicht unter.“
„Haha“, lachte sie, „das stimmt und dennoch hat es keine medizinische Ursache gegeben, zumindest hat das der Doktor gesagt.“
„Jetzt ist es einige Zeit her und wir sollten nach vorne schauen“, sagte ich, denn genau so empfand ich es.
Ich war insgeheim froh, dass sie es nicht wussten.
„Dann solltest auch du die Nacht nutzen, um zu schlafen und nicht Nacht für Nacht wach bleiben“, erwiderte meine Mutter und sie hatte recht, denn sonst konnte ich an den Aufzeichnungen nicht weiterarbeiten, „immerhin geht in zwei Wochen die Schule wieder los.“
„Ja, okay, ich verstehe“, erklärte ich und nickte, um ihr zu zeigen, dass ich mich daran halten würde.
„Schön, dann schlaf gut“, sagte sie und gab mir einen Kuss auf die Stirn, dann stand sie auf und verließ den Raum.
Ich winkte ihr hinterher und drehte mich um in Richtung der beiden Geister, nachdem die Tür verschlossen war. Peter und Hanna hatten sich wie vereinbart ruhig verhalten.
„Kommen wir zu deinem Anliegen“, sprach ich, denn ich war neugierig, weshalb das Geistermädchen mich kontaktiert hatte und weshalb ich ihr helfen könnte. Sie hatte bisher noch nichts preisgegeben. Aber dann kam Peter.
„Tjalf“, sprach er und nahm dabei keine Rücksicht, ob Hanna danebenstand oder nicht, „ich traue ihr nicht. Du weißt nicht, ob es eine Falle ist.“
„Mensch Peter“, entgegnete ich meinem Geisterfreund, „warum sollte es eine Falle sein? Ich habe mich doch damals auch auf dich eingelassen, oder nicht?“
„Ja, das ist schon richtig“, gestand Peter ein, „aber das ist was anderes.“
„Das verstehe ich nicht“, machte ich ihm deutlich, „oder geht es hier um etwas ganz anderes?“
Peter schwieg.
„Hey, wir bleiben Freunde, auch wenn ein Mädchen daherkommt“, sagte ich.
„Hallo?“ mischte sich Hanna ein, „ich stehe direkt neben euch.“
„Ist schon gut, Hanna“, versuchte ich sie zu beruhigen, „ich werde dir helfen.“
Dann schaute ich Peter an: „Und wenn etwas faul ist an der Sache, dann warnst du mich und wir sind wieder raus, okay?“
Peter nickte, obwohl ich ihm ansah, dass er nur bedingt damit einverstanden war, dass ich mich auf dieses Abenteuer einlasse.
„Und was sagen deine Eltern?“ wollte Hanna wissen.
„Was sollen die sagen?“ stelle ich als Gegenfrage.
„Na, die werden dich doch vermissen, oder nicht?“ entgegnete sie.
„Ich schleiche mich raus und komme am frühen Morgen wieder“, teilte ich meinen Plan den anderen beiden mit, „die merken gar nicht, dass ich fort war.“
„Gut“, sagte Hanna und bewegte sich Richtung Fenster, „dann sollten wir uns aufmachen.“
„Moment, du hast mir noch nicht verraten, wozu du mich brauchst“, wandte ich ein und blieb in meinem Bett sitzen, „vorher gehe ich nirgends hin.“
Das gefiel Peter, denn er nickte zustimmend und pflichtete mir bei: „…geht er nirgends hin!“
„Ja, ist ja gut, ich mache ja schon“, sagte das Geistermädchen, „ich erzähle es euch…“
Dann setzte sich Hanna auf die Kante meines Bettes und begann zu berichten:
„Ich bin eines von vielen Geisterkindern, die von einem Hexer gefangen gehalten werden…“
„Halt!“ unterbrach Peter, „wie konntest du entkommen?“
„Dazu komme ich noch“, antwortete sie und fuhr fort: „er hat die Macht, ähnlich wie der Poltergeist, Geister zu schaffen und gefangen zu halten. Ich habe keine Ahnung, woher er die Kraft hat- nur dass er ein Amulett trägt, welches eine Art Artefakt hat. Er hält uns alle in einer verlassenen Ruine und das schon seit Jahrhunderten. Ich bin dort seit über 300 Jahren.“
„300 Jahre?“ erstaunte es mich, „wow, das ist lang. Aber wie bist du entkommen?“
„Eines Tages haben wir uns aufgelehnt und ihn herausgefordert“, verriet sie, „aber es endete schrecklich. Ich konnte entkommen, weil andere sich geopfert haben. Ich versprach, dass ich Hilfe hole, um Malit zu besiegen.“
„Malit?“ fragte ich nach, „ist das der Name des Hexers?“
„Ja, so nennt er sich“, antwortete sie.
„Ein Hexer?“ zweifelte Peter, „ich habe noch nie von einem Hexer mit solch einer Macht gehört.“
„Peter, aber du warst auch jahrelang gefangen“, erinnerte ich den Geisterjungen.
„Ja, das stimmt. Danke, dass du mich daran erinnerst“, reagierte er patzig, „ich war einen sehr langen Teil in der Geisterwelt und dort gab es ebenso Hexer, nur waren diese nie mächtig genug, um sich gegen Geister zu wehren. Vielleicht ist er kein Hexer.“
„Doch, dass ist er“, korrigierte Hanna, „er hat es immer wieder betont. Er ist stolz auf seine Spezies, weshalb sollte er an der Stelle die Unwahrheit sagen?“
„Ich habe keine Ahnung“, antwortete ich, „mit ist es ganz gleich, ob er Hexer ist, oder nicht. Ich werde die anderen Geisterkinder befreien, da es offenbar meine Berufung ist.“
„Warte“, warf Peter ein, „woher wusstest du von Tjalf und Larvaster?“
„Ich habe es von Geistern gehört, denn sowas spricht sich herum“, antwortete sie, „ich bin seit einigen Monaten unterwegs und schwirrte nach Hilfe umher. Erst vor einigen Tagen hörte ich von dem Lacin, der sich gegen einen Poltergeist durchsetzen konnte und so ein Lacin ist selten.“
Ich wurde leicht rot im Gesicht, denn ich konnte mit solchen Komplimenten nicht so richtig umgehen. Peter dagegen sah ich an, dass er weiterhin diesem Mädchen nicht traute, aber dieses Mal sagte er nichts.
„Können wir uns nun aufmachen?“ wollte Hanna von mir wissen.
„Klar“, war meine Antwort und ich wollte mir meine Klamotten anziehen, als mir einfiel, dass ein Mädchen, wenn auch ein Geistermädchen in meinem Zimmer stand.
„Ähm“, stammelte ich, „würdest, äh, du dich bitte… umdrehen?“
„Warum?“ fragte sie und verstand wohl nicht, dass ich mich schämte, wenn ich mich hier vor ihr halb nackig machen müsste.
„Also, ich brauche meine Privatsphäre“, erklärte ich.
Sie hatte ein Fragezeichen im Gesicht, denn nun kapierte sie noch weniger.
„Er möchte sich umziehen und du sollst ihm dabei nicht zugucken, wenn du verstehst“, half mir Peter mit seiner Erklärung.
„Achso“, sagte sie und es war als ginge ihr ein Licht auf, „klar!“
Dann drehte sie sich um, damit ich mich umziehen konnte. Ich beeilte mich, aber wie das dann immer so ist, dauerte es dadurch länger.
„So, fertig“, sagte ich und Hanna wandte sich wieder mir zu, „jetzt kann es losgehen.“
„Wo ist denn diese Ruine?“ fragte Peter.
„Es ist die Ruine der alten Wittorfer Burg“, antwortete sie.
„Das ist schon eine dreiviertel Stunde zu Fuß“, sprach Peter und blickte zu mir, „ganz schön lang.“
Ich weiß nicht, ob es ein letzter Versuch war, mich doch noch von diesem Abenteuer abzuhalten, aber er scheiterte kläglich.
„Ich nehme mein Fahrrad“, sagte ich und sperrte das Fenster auf.
„Was ist ein Fahrrad?“ wollte Hanna wissen.
„Ein Fortbewegungsmittel“, antwortete Peter in einer für ihn recht klugscheisserischen Form, aber es passte, denn er konnte Hanna ja nicht ausstehen.
„Es ist besser, es dir zu zeigen“, schlug ich vor, „als darüber zu reden.
Dann nahm ich mein Bettlaken, um es am Fensterpfosten zu befestigen.
„Das müsste reichen“, sagte ich und kletterte vorsichtig an der Wand herunter, um nach unten zu gelangen.
„Warum nimmst du nicht einfach die Tür?“ wollte Peter von mir wissen.
„Meine Eltern sind seit der Sache sehr, sehr aufmerksam“, antwortete ich, „die würde es mitkriegen.“
Kurz bevor ich unten ankam, war mein Laken zu Ende. Ich musste etwa eineinhalb Meter springen. Ich tat es einfach, obwohl ich ein wenig Schiss hatte. Die beiden Geister schauten sich das Spektakel an und schwebten ganz lässig hinunter. Das ist halt der Vorteil, den ein Geist gegenüber eines Menschen hat, dachte ich.
„Jetzt zum Schuppen“, sagte ich und ging voran.
„Zum Schuppen?“ fragte sich Hanna.
„Na, ein Haus zum Abstellen von Dingen“, erklärte Peter.
„Ich weiß, was ein Schuppen ist“, machte Hanny deutlich, „aber was will er da?“
„Mein Fahrrad holen“, antwortete ich.
„Achso“, sagte Hanna.
Ich ging in den Schuppen, der eigentlich immer offen war. Er hatte nur den Anschein, als sei er geschlossen, aber das merkte niemand, denn er war so weit entfernt von der Straße, sodass man es nicht sehen konnte.
„Dann lass uns“, sagte ich und stieg auf mein Bike, „du fliegst voraus und ich folge dir.“
Dann machten wir uns auf den Weg. Anfangs raste ich, denn Hanna gab ein Tempo vor, dass ich zu schnell fand und ich wurde zunehmend langsamer. Das ganze Cavegame- Zocken hatte seine Spuren hinterlassen- ich war nicht in der Form. Auch Peter bemerkte dies.
„Du musst mehr trainieren“, brachte er zum Besten und ich fand es überhaupt nicht witzig.
„Das hilft mir gerade gar nicht“, stöhnte ich und blieb auf einmal stehen.
Ich fühlte mich wie ein alter Mann, der schon sein Leben lang rauchte und nun einmal ein paar Schritte vor die Tür wagte. Hanna hatte es auch mitbekommen und kam zurück, sie war nämlich schon weitergeflogen.
„Was ist los?“ wollte sie wissen.
„Er ist nicht fit“, antwortete Peter, bevor ich etwas sagen konnte.
„Ja, jetzt weiß es bald jeder“, stänkerte ich, denn es war mir ein wenig peinlich.
Ich, der große Retter, kann keine zehn Minuten Fahrradfahren. Ein absoluter Lacher.
„Außerdem können wir auch normal weitergehen“, schlug ich vor.
Zum einen konnte ich dadurch verschnaufen, zum anderen konnten wir uns ein wenig vorbereiten, denn ich hatte ehrlich gesagt noch keinen Plan, wie ich die Geister retten oder geschwiege denn den Hexer etwas entgegenbringen konnte.
„Wie ist der Plan?“ fragte ich Hanna, während wir nun zu Fuß weitergingen und ich mein Bike neben mir herschob.
„Wir gehen rein und du besiegst ihn“, antwortete sie voller Überzeugung und dass, obwohl sie meine körperliche Schwäche gesehen hatte.
„Wie?!“ fragte ich und stoppte.
„Du bist doch ein Lacin, oder?“ fragte sie nochmal nach, denn irgendwas an meiner Reaktion machte sie auf einmal unsicher.
„Ja, aber…“, stammelte ich.
„Er weiß noch nicht von all seinen Fähigkeiten“, warf Peter ein, um mir zur Seite zu stehen.
Hannas Blick wurde traurig und nachdenklich, sodass ich nachfragen musste.
„Was ist denn?“
„Naja, ich hatte die Hoffnung, du kannst Malit besiegen und meine Brüder und Schwestern befreien“, antwortete sie, „aber nun habe ich das Gefühl dich ins Unglück zu stürzen.“
„Das weiß ich“, entgegnete ich, „und ich sagte dir, dass ich dir helfen kann. Und das werde ich auch!“
„Immerhin hast du Larvaster in Schach gehalten“, pflichtete mir Peter bei und blickte zu mir hinüber.
„Wir benötigen nur einen klugen Plan“, brachte ich ein, „sonst wird das nichts.“
„Und den habe ich“, sagte Hanna und ihre Stimme erhob sich wieder als wäre die Hoffnung zurückgekehrt.
„Dann sollten wir weitergehen“, sprach ich, „denn ich habe nur die Nacht und es ist schon ziemlich spät.“
„Sonst kommst du Morgen wieder?“ schlug Peter vor, „denn es bringt nichts, wenn wir überstürzt handeln, auch wenn deine Geistergeschwister die Hilfe dringend brauchen.“
„Ich verstehe“, sagte Hanna, „wenngleich ich es kaum erwarten kann, dass sie befreit werden, ist es besser schlau vorzugehen. Malit ist kein dummer Gegner.“
„Dann wird heute Nacht nur ausgespäht“, zeigte ich den anderen beiden meine Idee, „und Morgen schauen wir weiter.“
„In Ordnung“, bestätigte Peter.
Hanna nickte lediglich, was blieb ihr auch anderes übrig? Wir setzten unseren Weg fort. Ich schob mein Fahrrad. Kurz bevor wir die Ruine erreichten, schloss ich es an einem Zaun fest. Ich kannte Neumonster nicht. Zumal ich mich seit der Entdeckung der Geisterwelt und dem Abenteuer mit Peter mehr mit Gespenster und solchen Phänomenen beschäftige als mit meiner Umwelt. Peter dagegen kannte die alte Burg, natürlich nicht im Original, aber er war vor seinem Geisterleben ein kleiner Junge.
„Man erzählte sich schon früher, dass dort Geister spuken“, berichtet Peter, als wir uns hinter einem größeren Stein versteckten, um auf die Ruine zu blicken. Natürlich sahen wir wenig bis nichts.
„Wann früher?“ fragte Hanna.
„Fünfziger, Sechziger“, antwortete Peter.
„Welches Jahrhundert?“ fragte sie weiter.
„Zwanzigstes Jahrhundert“, war seine Antwort.
„Dann stimmt es“, sagte sie, „es ist schon mehrere Jahrhunderte so.“
„Aber wie konnte ein Hexer so lange überleben und euch die ganze Zeit unterdrücken?“ wollte Peter wissen.
„Er hat ein Artefakt“, teilte sie mit, „wie es funktioniert, weiß ich nicht, aber es verleiht ihm Kraft… Vorsicht!“
Wir duckten uns alle plötzlich. Ich wusste nicht, was geschehen war und schaute Hanna fragend an.
„Ein Geist“, flüsterte sie.
„Was für ein Geist?“ bohrte Peter, dessen Fassungslosigkeit in seiner Stimme deutlich zu hören war, obwohl auch er sich leide äußerte.
„Malit hält sich Schutzgeister“, verriet Hanna.
„Was sind Schutzgeister?“ fragte ich und teilte das Entsetzen meines Geisterfreundes.
„Sie dienen seinem Schutz“, antwortete sie und merkte, dass wir aufgebracht waren, „entschuldigt, dass ich euch das nicht früher gesagt habe, aber ich habe nicht daran gedacht.“
„Was kommt noch alles, was dir nicht eingefallen ist?“ fragte Peter und seine Stimme wurde lauter.
„Peter“, sagte ich, „ruhig, sonst kommt der Geist.“
Schnell lugte ich am Stein vorbei, um zu sehen, ob er uns bemerkt hatte. Es war zu spät. Der Geist war auf den Weg zu uns.
„Wir müssen weg hier“, machte ich den anderen beiden klar, „wenn der uns sieht, dann können wir unseren Plan vergessen.“
„Malit wäre vorbereitet“, ergänzte Hanna.
Wir traten den Rückzug an. Von weitem konnten wir sehen, dass der Schutzgeist zwar unseren Platz hinter dem Felsen untersuchte, aber außer einem Verdacht nichts weiter hatte. Er zog weiter.
„Wir gehen zurück“, sagte ich, „für heute ist Schluss. Wir werden uns besser vorbereiten als heute Nacht und du erzählst uns alles.“
Hanna nickte. Peter hatte ein leichtes Grinsen im Gesicht. Ich wusste, dass er dachte, er hatte recht. Und gewissermaßen hatte er es auch. Ich schwang mich auf mein Fahrrad.
„Morgen Abend treffen wir uns erneut in meinem Zimmer“, orderte ich an, „dann besprechen wir, wie wir weiter vorgehen.“
Dann fuhr ich los. Peter folgte mir. Hanna blieb stehen. Als ich einmal zurückblickte, sah man ihr an, dass sie nachdachte. Ihr Gesicht war von Traurigkeit geprägt.
Am nächsten Tag wurde ich durch meine Mutter geweckt. Die Sonne strahlte derartig heftig in mein Zimmer, sodass ich die Augen zusammenkniff.
„Hast du gut geschlafen?“ fragte sie.
„Nein“, antwortete ich, „ich hätte gerne ein bisschen mehr davon gehabt.“
Ich stand auf, machte mich fertig und ging nach unten in die Küche, um zu frühstücken. Ich registrierte, dass einige Koffer im Hausflur standen. Zudem saß eine Frau mit am Tisch. Ich brauchte gar nicht zu Fragen, die Erklärung folgte prompt:
„Das ist Marie“, sagte meine Mutter und zeigte auf die Dame, „sie ist deine Babysitterin.“
Babysitterin? Ich bin doch kein Baby!
„Ich muss für einige Tage nach Berlin, deine Mutter begleitet mich“, fügte mein Vater hinzu, während er die Tageszeitung las.
„Hallo, Tjark“, begrüßte Marie mich und streckte mir die Hand entgegen.
Ich schlug aus und stand auf: „Zum einen benötige ich keinen Babysitter, da ich kein Baby bin und zum anderen heiße ich Tjalf.“
Dann nahm ich mir zwei Weißbrotscheiben, ein Käse, schmierte etwas Marmelade drauf, klappte es zusammen und verließ die Küche. Meine Eltern sagten nichts, sondern schauten sich fragend an. Marie war eingeschüchtert.
Warum nennt die mich auch Tjark? Vorbereitung ist die halbe Miete. Ebenso wie bei der Befreiungsaktion der Geister. Ich sah plötzlich eine riesige Chance, wenn meine Eltern nicht da waren. Ich hatte mehr Zeit. Sowas konnte auch ein Geschenk sein. Aber nach unten gehen und sich für mein Verhalten entschuldigen? Nope. Nicht jetzt und nicht auf diese Weise. Nach einiger Zeit kam meine Mutter, wie üblich, zu mir ins Zimmer und erklärte sich. Sie versicherte mir, dass Marie keine Babysitterin sei, sondern eine Elternersatzbetreuung. So nennt man das also jetzt. Gut, ich wollte nicht mehr eingeschnappt sein, da ich einen Vorteil darin sah und meine Mutter und vertrugen uns. Am Mittag fuhren sie weg und Marie machte jetzt die Ersatzbetreuung meiner Eltern.
„Hey“, sprach sie, nachdem sie klopfte und die Tür ohne eine Einladung öffnete, „ich wollte mich nur noch mal für meinen Fauxpas entschuldigen. Ich weiß, dass du Tjalf heißt, aber ich war vorhin so aufgeregt, da dies mein erster Job ist.“
„Ist schon gut“, machte ich ihr klar, denn ich verstand es, wenn man das erste Mal etwas macht- war es doch gerade mein Thema.
Bis zum Abend spielten wir Kartenspiele, schauten einen Film und sie machte mir sogar Senfeier! Mein absolutes Lieblingsessen. Sie wollte wohl unser erstes Zusammentreffen wiedergutmachen.
„Dann dir eine Gute Nacht“, sprach sie und schloss die Tür, nachdem ich mich am Abend hingelegt hatte.
„Ja, gute Nacht“, sagte ich und drehte mich um, um zu signalisieren, dass ich schlafen wollte.
Sie schloss die Tür, als Peter erschien.
„Wer ist das denn?“ fragte er gleich.
„Marie“, antwortete ich, „ich meine Baby… nein Ersatzbetreuung für meine Eltern.“
„Ersatz…was?“ fragte Peter, denn er verstand es nicht.
„Meine Eltern sind weggefahren und Marie passt auf mich auf“, erklärte ich.
„Eine Babysitterin“, sagte Peter.
„Eben nicht“, machte ich deutlich, „bin doch kein Baby.“
„Das sagt man so“, rechtfertigte Peter sich.
„Trotzdem!“
Dann hörte ich Schritte. Ich legte mich aus Reflex schnellstens hin. Es öffnete sich die Zimmertür. Dann war es wieder ruhig. Wer stand in meinem Zimmer? Für einen Moment war ich angespannt. Ich spürte, wie mein Herz heftiger schlug.
„Tjalf, schläfst du?“ fragte eine Stimme, die ich als Marias erkannte.
Mein Herz beruhigte sich wieder. Ich antwortete nicht, damit sie dachte, ich schlafe bereits. Mein Plan klappte und sie machte sie Tür wieder zu.
Hannas Geschichte
Wie verabredet erschien Hanna vor meinem Fenster. Erst nachdem ich sie hineinwinkte, schwebte sie durch die Scheibe.
„Hallo ihr beiden“, sagte sie, „ich habe nachgedacht und ihr habt recht. Es ist besser einen Plan zu haben und sich Zeit zu lassen, als blind hineinzustürmen und zu versagen… es hilft meinen Schwestern und Brüdern auch nicht.“
„Danke für dein Verständnis“, kam ich Hanna entgegen, „daher ist es wichtig, dass du uns alles erzählst, was du weißt.“
„Es wäre schön, wenn du uns mal erzählst, wie du zu Malit gekommen bist“, schlug Peter vor, denn er war wirklich neugierig, wie ihre Story war.
„Das werde ich tun“, antwortete sie und setzte sich auf mein Bett.
Wir schreiben das Jahr 1627 n. Chr. Neumonster glich eher einem großen Dorf aus heutiger Sicht, aber damalig galt es als Stadt. Karl und Theodora waren beide hier geboren. Karl war Bäckermeister und Theodora half stets im Betrieb mit, bis sie eines Tages mit Hanna schwanger war und sie eine Hilfe anstellen mussten, um die Arbeit zu verrichten.
Bäcker sein war nicht einfach und kein Beruf, indem man reich werden konnte. Karl tat es, da er zum einen selbst gerne Teigwaren naschte, aber auch, weil er ein sehr guter Bäckermeister war. Sein Vater hat es ihm beigebracht. Leider war er früh verstorben.
Hanna wuchs in dem familiären Betrieb am Kleinflecken auf. So hieß der Marktplatz zur damaligen Zeit und so nennt er sich heute noch. Sie spielte dort, half mit aus, wenn es um die Säuberung des Ladens ging oder sie unterhielt sich gerne mit den Kunden. Hanna war allseits beliebt und bekannt.
„Guten Morgen, Ludwig“, begrüßte Karl einen seiner Stammkunden, „was darf ich dir heute Gutes tun?“
„Guten Morgen auch dir, werter Freund“, grüßte Ludwig zurück.
Er war ein alter Mann und hatte seine besten Tage hinter sich, aber er war stets freundlich.
„Wo ist denn die kleine Hanna?“ fragte er und sein Blick suchte nach ihr.
Ludwig hatte über die Jahre seine gesamte Familie verloren, darunter seine Frau Gerlinde, seine beiden Töchter Erna und Anna, sowie seinen Sohn Gottfried. Die zahlreichen Krankheiten, die in ganz Europa grassierten, machten auch vor Neumonster nicht halt und ließen sie alle dahinraffen.
Daher trank Ludwig regelmäßig, um zu vergessen. Und er schnorrte sich seinen Lebensunterhalt zusammen, indem er mehr schlecht als recht Violine spielte. Die Leute gaben ihm aus Mitleid Geld. Meist aber bewarfen sie ihn mit Verfaultem, um ihm zu verdeutlichen, dass er aufhören sollte. Karl aber tat dies nicht. Er gewährte ihm Zugang zu seiner Bäckerei. Andere erteilten ihm Hausverbot.
„Sie müsste im Lager sein“, antwortete Karl und blickte nach hinten.
Da kam sie auch schon herausgelaufen, denn sie hatte Ludwigs Stimme gehört.
„Hallo Onkel Ludwig“, begrüßte sie ihn freudestrahlend und umarmte ihn.
Natürlich war Ludwig nicht ihr richtiger Onkel, aber es fühlte sich beinahe so an.
„Ich hätte gerne ein Laib Brot“, sagte Ludwig dann, „und für die junge Dame ein paar geröstete Maronen.“
„Aber Ludwig“, wollte Karl ihn beratschlagen, aber Ludwig winkte ab.
„Ich möchte es so“, sagte er nur und nahm sein Laib Brot entgegen.
Ludwig kam etwa alle drei Tage, wenn es der Geldbeutel zuließ. Und der Ablauf war fast immer gleich. Ab und zu kaufte er Gebäck, aber nur zu Weihnachten oder anderen Festtagen.
Eines Tages im Winter, kurz vor Weihnachten kam er den dritten Tag nicht. Dann verging auch der vierte Tag. Noch war es nicht ungewöhnlich, dass der alte Mann nicht kam, denn im Winter musste das Geld auch noch für eine Unterkunft herhalten und da kam er auch mal alle fünf Tage.
„Vater“, sprach Hanna am achten Tage“, war Ludwig schon hier?“
„Nein, mein Schatz“, antwortete er, „bisher nicht.“
Hanna zog eine traurige Miene, denn es ging ihr bei den Besuchen von Onkel Ludwig nicht um die Süßigkeiten, die er ihr bei all der Geldknappheit gab, sondern sie mochte ihn, da er bei all seiner Trauer, ein fröhlicher Mensch geblieben war.
So fragte Hanna auch am neunten, am zehnten und am elften Tag nach und jedes Mal war die Antwort des Vaters: „Nein.“
„Kann ich schauen, ob er an seinem Platz ist?“ fragte Hanna schließlich, denn sie wollte sich nicht mit einem wartenden „Nein“ zufriedengeben.
„Aber Hanna“, sagte der Vater, „vielleicht ist er auch in einem Wirtshaus, so wie vor zwei Jahren.“
„Und was ist, wenn er gerade friert?“ wollte Hanna von ihrem Vater wissen und traf damit genau sein Herz.
„Nun, gut, mein Kind, gehe zu seiner Stelle, aber mache schnell und kehre rasch um, denn deine Mutter will nicht, dass du allein dort herumziehst.“
„Ich passe schon auf mich auf“, sagte sie, denn Hanna war schon ein großes Mädchen.
„Gut, aber beeile dich, ja?“ stimmte ihr Vater zu, „und sag‘ Mama nichts?“
„Nein, mache ich nicht, versprochen“, versicherte Hanna und ging aus der Tür hinaus.
Die Klingel läutete und dann war sie weg. Hanna schaute sich um, damit sie die Richtung erkennen konnte. Sie war nicht oft dort, am anderen Ende, gleich hinter der Vicelinkirche. Es begann zu regnen, aber das störte Hanna nicht. Sie war ja nicht aus Zucker, und wäre sie es, dann wäre wahnsinnig teuer.
Auf dem Kleinflecken befand sich der große Markt und er war, wie jeden Tag, voll mit Menschen, die sich allerlei Dinge kauften. In erster Linie natürlich Eier, Kartoffeln und Gemüse, aber ach Fisch und Fleisch. Überall roch es nach Fisch. Hanna mochte diesen Geruch nicht. Fisch hatte immer etwas Verdorbenes, fand sie.
Nun schlängelte Hanna sich durch die Menschenmenge, um am Ende vor der großen Kirche zu stehen. Die Uhr schlug in diesem Moment zwölf. Dafür blieb sie stehen, denn den Klang der Glocken waren wie Töne von Engeln. Hanna war ein verträumtes Mädchen. Sie genoss diesen kurzen Augenblick, bevor sie and der Kirche entlangschritt, um auf die andere Seite zu kommen.
Dort waren viele Streuner, Schmarotzer und Bettler, denn die Kirche gab ihnen zeitweilig Unterschlupf oder etwas zu Essen und Wasser. Es waren nicht wenige, die dies in Anspruch nahmen. Meist waren es Frauen, die ihre Männer im Krieg verloren hatten und nun keine Einkünfte mehr hatten. Sie waren arm, bitterarm.
Hanna sah, wie die Menschen in Tüchern oder Laken eingedeckt auf dem Boden lagen und sich bei dem Anblick des kleinen Mädchens beschämt wegdrehten. Hanna blickte zu jedem, um herauszufinden, ob Ludwig dort lag. Am Ende stand sie vor seinem Platz. Dort lag ein Mann. Hanna konnte nicht entdecken, ob es sich um Onkel Ludwig handelte.
„Ludwig?“ fragte sie leicht verunsichert.
Die Person bewegte sich nicht. Der Nachbar aber regte sich und drehte sich zu Hanna um.
„Oh, was willst du denn hier?“ fragte er etwas unwirsch.
„Nach Ludwig schauen“, antwortete sie.
„Ludwig?“ fragte der Mann nach.
„Ja“, sagte sie, „wenn er es ist.“
Sie zeigte auf den Mann, von dem sie vermutete und hoffte, dass es Ludwig war, aber es eben nicht wusste.
„Der schläft“, sprach der Unbekannte, „schon eine Weile.“
„Er ruht sich aus?“ wollte Hanna wissen, denn sie empfand, dass der Mann sich merkwürdig ausdrückte.
„Kann man so sagen“, antwortete er und wandte sich wieder von ihr ab, um weiterzuschlafen.
Jetzt bekam sie Panik, denn es klag als wäre er… sie konnte es nicht einmal denken. Plötzlich nahm sie all ihren Mut zusammen und berührte den Mann, um ihn anzustupsen.
„Ludwig“, sagte sie etwas lauter.
Er rührte sich noch immer nicht. Hanna blieb keine andere Wahl, als die Laken wegzuziehen. Dann würde der Mann entweder sehr wütend werden und sie müsste dann rennen, wie sie noch nie gerannt ist oder es war Ludwig und er würde sich, wie er es stets getan hat, über sie freuen.
Sie ergriff langsam, fast wie in Zeitlupe die Decke und packte mit voller Kraft zu.
„Bei drei“, flüsterte Hanna und führte dabei ein Selbstgespräch. „Eins…, zwei…, drei:“
Sie zog das Laken weg und ließ es los. Es fiel zu Boden. Sie erkannte zwei Dinge. Es war Ludwig! Aber er lag dort in seiner eigenen Blutlache. Hanna war wie angewurzelt. In ihr brach eine ganze Welt zusammen, aber sie konnte jetzt einfach nicht weinen. Sie stand einfach nur da, als wäre die Zeit angehalten.
„Ich hab doch gesagt, er ist tot“, sprach der Nachbar, ohne sich umzudrehen, „ich muss bald umziehen, denn er fängt an zu stinken und dann kommen die Ratten.“
„Wie herzlos können Sie sein?“ fragte Hanna den Mann, ohne über irgendwelche Konsequenzen nachzudenken.
„Herzlos?“ entgegnete der Mann und wandte sich nun doch wieder dem Mädchen zu, denn er fand, sie sei frech.
„Ja, Ludwig war ein Freund und sie lassen ihn hier liegen“, warf sie dem Mann vor, „sie hätten ihn retten können.“
„Ha, das ist lächerlich“, sagte der Mann, „wenn du sein Freund warst, warum hast du ihn denn sterben lassen.“
Das traf Hanna mitten ins Herz. Der Bettler hatte recht, aber das interessierte sie nicht, denn er behandelte ihren toten Onkel Ludwig als wäre er nicht dieser liebenswerte Mensch, der er war.
„Vielleicht waren Sie es!“ brüllte sie auf einmal.
„War ich was?“ fragte er und verstand es im nächsten Augenblick, „nein, Mädchen, da irrst du.“
Aber Hanna ließ nicht ab. Sie zeigte mit dem Finger auf den Herrn und schrie:
„Mörder!“
Der Bettler geriet in Panik, denn er hatte tatsächlich nicht den Ludwig ermordet, aber das interessierte wahrscheinlich die Wachmänner nicht, wenn ein kleines Mädchen auf einen von der Gesellschaft ausgesetzten Bettler zeigte. Dann wollten die Leute Blut sehen!
„Halt dein Maul!“ brüllte er und stand auf.
„Mörder!“ wiederholte sie.
Die anderen Obdachlosen standen auf und entfernten sich langsam, denn sie wollten nicht auch noch die Aufmerksamkeit der Wachen haben. Bettler waren ein Geduldetes Volk, solange sie niemandem Probleme bereiteten.
Der Bettler, auf den Hanna noch immer zeigte, wusste, nicht mehr, was er tun sollte und schlug Hanna daher mitten ins Gesicht. Sie ging sofort zu Boden. Da der Hieb sie unerwartet getroffen hatte, merkte sie nur, wie ihr Kreislauf nachließ. Sie konnte nicht aufstehen, auch wenn sie gewollt hat. Es war ein Kampf gegen Windmühlen.
„Das wollte ich nicht“, sprach der Bettler, „aber du hast mir keine Wahl gelassen, nun muss ich dich beseitigen, denn sonst redest du.“
Der Mann begann zu weinen, denn es tat ihm tatsächlich leid, er war voller Verzweiflung. Ständig ging er hin und her. Er war sich seines Plans wohl nicht so sicher. Hanna dröhnte der Kopf. Der Schlag hatte ganz schön gesessen. Dann blieb der Mann stehen.
„Entschuldige bitte, möge Gott mir verzeihen, aber ich habe keine andere Wahl“, sagte er unter Tränen und schlug erneut zu.
Hanna fühlte erst einen tiefen Schmerz, der sich in ihrem gesamten Körper ausbreitete, dann fühlte sie nichts mehr, alles wurde dumpfer. Am Ende schloss sie die Augen und alles wurde schwarz.
„Hallo?“ fragte eine Stimme, die klang, als sei sie eine sehr weit weg, „kleines Mädchen?“
Hanna öffnete ihre Augen. Sie konnte nur verschwommen wahrnehmen, dass ein anderer Herr, in feiner Kleidung und einem Zylinder auf dem Kopf vor ihr gebeugt war. Hanna zog sofort zurück.
„Ist alles in Ordnung?“ fragte der edle Herr weiter.
Hanna war nicht sicher, ob alles in Ordnung war, denn sie sah den Bettler nicht mehr. Wo war er? Sie schaute sich um.
„Wen suchst du?“ wollte der Herr wissen, „deine Eltern?“
Hanna erblickte den Bettler. Er saß gefesselt schräg hinter dem Mann, der sie geweckt hatte.
„Sind Sie ein Wachmann?“ fragte Hanna und merkte, wie kraftlos sie noch war.
„So ähnlich“, antwortete er.
Der Bettler wollte schreien, aber er konnte nicht, denn er hatte ein Knebel im Mund und er war zudem auch noch gefesselt.
„Wer sind Sie dann?“ wollte Hanna nun wissen, denn sie verstand nicht ganz, was hier vor sich ging.
„Ich werde dich beschützen“, sagte der Mann, „und ich kann dir helfen.“
Hanna traute ihm nicht, denn ihre Intuition verriet ihr, vorsichtig zu sein. Er hatte etwas Freundliches und zeitgleich auch etwas Bedrohliches.
„Wie können Sie mir helfen?“ wollte Hanna dennoch wissen.
„Ich kann diesen Mann bestrafen für das, was er dir angetan hat“, erklärte der Fremde.
Hanna wollte das nicht und schaute beschämt weg. Auch wenn er ihr körperliche Gewalt zugefügt hat, so war sie Christin und vergeben war eines der festen Säulen ihres Glaubens, aber auch ihres Wesens. Dann entdeckte sie ihren Ludwig, immer noch in der Blutlache liegend. Wo sollte er denn auch hin? Der Mann sah ihren Blick Richtung Ludwig.
„Es geht um ihn“, erkannte er, „und gar nicht um den anderen Herren.“
Hanna starrte weiterhin zu ihrem Onkel Ludwig. Immer wieder schossen ihr Bilder der Erinnerung ins Gedächtnis, die sie und ihn lachend im Laden ihres Vaters zeigten.
„Willst du, dass er wieder aufwacht?“ fragte der Mann und beugte sich zu runter.
Jetzt ging Hannas Blick in seine Richtung. Konnte er ihn aufwecken? Aber war ihm nicht bewusst, dass Ludwig tot war?
„Er ist tot“, sprach Hanna, „du kannst ihn nicht mehr aufwecken.“
„Doch, das kann ich“, korrigierte er, „wenn du es willst.“
Hanna schaute dem Herrn nun in die Augen, denn sie wartete auf den Lacher. Sie fühlte sich vorgeführt. Sollte dies ein übler Scherz sein und sie war das Opfer?
„Du musst mir nur einen Gefallen tun, dann mache ich ihn wieder lebendig“, machte der Herr deutlich.
„Wenn Sie das schaffen, dann tue ich Ihnen jeden Gefallen“, sagte Hanna, ohne darüber nachzudenken, was für Konsequenzen ihr Ausspruch haben könnte.
Um ehrlich zu sein, glaubte sie nicht daran. Daher konnte sie auch eine solche Versprechung machen. Und was kann ein Fremder schon von ihr wollen? Vielleicht Köstlichkeiten aus der Bäckerei ihres Vaters? Aber wie gesagt, daran glaubte sie absolut nicht.
Der Mann trug einen langen Mantel aus dem er eine Kette mit einem Amulett zog. Dieses fing an, grünlich zu leuchten. Dann versteckte er es wieder. Hannas Augen wurden größer, denn sie hatte sowas noch nie zuvor gesehen.
„Gleich wird es geschehen“, sagte der Herr, „und denke daran, was du mir versprochen hast.“
„Ja“, bestätigte Hanna, „ich weiß.“
Ludwigs Körper fing auf einmal an zu zucken. Erst der Rumpf, dann die Beine und die Arme, sowie der Kopf. Als nehme das Leben wieder von ihm Besitz.
„Was passiert?“ fragte Hanna, denn sie bekam Angst.
„Was du wolltest“, antwortete er.
War es Teufelswerk? Oder Magie? Auf jeden Fall hatte Hanna es im Gefühl, dass es kein gutes Ende nehmen konnte. Andererseits wollte sie ihren Ludwig wieder zurückholen. Die Bewegungen wurden stärker und stärker, bis es zu einem jähen Stillstand kam und Ludwig regungslos da lag.
„Was ist los?“ wollte Hanna wissen, „hat es nicht geklappt? Es hat nicht geklappt.“
„Warte“, bat der Herr sie, „habe nur Geduld.“
Im nächsten Moment öffnete Ludwig seine Augen und sein Oberkörper richtete sich auf. Hannas Augen wurden größer als je zuvor. Es musste sich um eine Wunder handeln!
„Er…er…lebt!“ rief sie und war voller Begeisterung.
Sie lief sofort zu ihm hin. Noch während ihres Laufs erkannte sie, dass er rote Augen hatte, wie blutdurchtränkt. Hanna blieb sofortig stehen und schluckte, denn es war ein schrecklicher Anblick. Was war passiert?
„Was haben Sie mit ihm gemacht?“ warf Hanna dem Herrn vor und war dabei ziemlich laut.
Anscheinend hörte sie niemand, denn sie war zu weit weg von dem Geschehen auf dem Markt. Der Fremde wandte sich Hanna zu.
„Ich habe dir deinen Wunsch erfüllt“, antwortete er und hatte ein Grinsen im Gesicht.
„Aber das habe ich mir nicht gewünscht“, machte sie ihm sofort klar.
„Dann hättest du es mir besser erläutern müssen“, entgegnete er.
Währenddessen richtete sich der Oberkörper des Rotaugen- Ludwigs nach oben und fixierte das kleine Mädchen. Hanna bekam Angst, denn Ludwig hatte einen Blick, den sie von ihm nicht kannte. Es waren nicht nur diese blutigen Augen, es war vielmehr dieser gierige Blick, als wäre er ein Löwe und sie die Gazelle, die er fressen wollte. Dann stand er auf. Er war zwar langsam, aber am Ende ging er nahezu aufrecht auf Hanna zu. Hanna bekam nun Panik. Es ließ sie erstarren, statt dass sie sich in die Flucht begibt.
„Stopp!“ rief der Herr und Ludwig hielt sofort inne.
Hanna wunderte sich. Es war eine Mischung aus Furcht, aber auch Begeisterung. Die Furcht war offensichtlich, aber die Begeisterung kam von dem Verdacht, dass dieser Mann kein gewöhnlicher Mensch war. War er etwa der Teufel? Als Christin gab es den Glauben an den Teufel- er konnte überall sein. Hanna schluckte als ob sie einen dicken fetten Kloß im Hals hatte.
„Keine Angst, er wird dir nichts tun“, sagte der Mann.
Im nächsten Moment ging alles plötzlich sehr schnell. Zwei Männer, die Gewänder trugen und Hanna an Priester erinnerten, tauchten auf. Es befanden sie nahezu an jeder Stelle ihrer Kleidung Kreuze und Schriften, sowie andere Symbole, die Hanna nicht identifizieren konnte.
„Was wollt‘ ihr denn hier?“ fragte der Fremde.
„Sie festsetzen und wegen Hexerei anklagen“, antwortete der eine.
„Dann werdet ihr mich schon töten müssen“, entgegnete er, „Ludwig, kümmere dich um die Herren der Inquisition.“
Ludwig starrte sie an und fing an zu brüllen. Für Hanna war klar, dass dieses „Es“ zwar wie Ludwig aussah, aber mit ihm nichts mehr zu tun hatte. Ludwig rannte auf die beiden zu und brüllte abermals. Mittlerweile müsste es auf dem Marktplatz zu hören sein, dachte sich Hanna, aber noch immer waren nur die beiden Priester hier. Vielleicht traute sich auch keiner.
„Bartholomäus, ich kümmere mich um den Untoten“, sagte der eine und zog einen Dolch. Dieser war ebenfalls mit kirchlichen Symbole gekennzeichnet.
Untoter? Hanna wurde bei dem Gedanken ganz übel. Wie kann ein Toter wieder lebendig werden? Der Fremde, der ihm dazu gemacht hatte, musste mit dem Teufel im Bunde sein. Wäre sonst die Inquisition hier?
Bartholomäus stand einfach da und wartete ab bis der untote Ludwig nah genug war. Er machte einen Ausfallschritt. Ludwig lief ins Leere. In diesem Moment stach der Priester zu und Ludwig schrie einmal laut auf, ehe er zu Boden knallte. Dann war er regungslos.
„Ein geweihter Silberdolch“, sagte der fremde Mann, „ich hätte es wissen müssen.“
„Gib auf, Malit“, sprach der andere Priester und schloss zu seinem Partner auf, „du hast keine Chance.“
„Da lachen ja die Hühner“, entgegnete Malit, „wenn ihr wisst, wer ich bin, dann wisst ihr auch wie mächtig ich bin.“
„Daher sind wir zu zweit“, sprach Bartholomäus, „mein Name ist Bartholomäus und das hier ist Johannes.“
„Was ist das hier? Eine Kennenlernrunde?“ fragte Malit mit latent drohender Stimme.
Dann zog er einen Stab. Hanna versteckte sich. Sie konnte nicht weglaufen, da sie zur einen Seite Malit hatte und auf der anderen die beiden Priester. Bartholomäus und Johannes zogen ihre Dolche.
„Die helfen nicht bei mir“, verriet Malit, „ich bin ja kein Untoter.“
„Das wissen wir“, entgegnete Johannes, „daher haben wir auch das hier.“
Er hielt einen Stein in die Luft, den Malit sofort erkannte. Jetzt sah man eine Art Furcht in seinem Gesicht, aber er versuchte es zu verbergen.
„Es reicht mir mit dem Gerede“, sagte er mit Entschlossenheit, „ihr werdet, nachdem ich mit euch fertig bin, mich anflehen, euch besser getötet zu haben.“
Dann sprintete er los in Richtung der Priester, mit dem Stab voran. Bartholomäus wartete, während Johannes dem Hexer entgegenkam. Der Stab traf schmetternd den Dolch und es kam zu einem Schlagabtausch. Bartholomäus entschied sich nun doch dazuzustoßen.
„Dein Artefakt verliert seine Energie“, sagte Johannes, während er den Stab abwehrte.
„Das macht mir gar nichts“, entgegnete Malit.
Er brach den Stab entzwei und rammte den überraschten Johannes die beiden Hälften unterhalb der Rippen in den Bauch. Johannes ließ den Dolch fallen, da er nun seine Lebenskraft verlor. Bartholomäus sah dies, konnte aber nicht schneller bei seinem Partner sein, da er schon alles gegeben hatte.
Trotz seiner Emotion, die eine große Trauer in ihm auslöste, blieb Bartholomäus im Kampfmodus und schnappte sich den am Boden liegenden Dolch, um dann mit beiden Malit ebenfalls einen Stich in den Bauch zu verpassen. Dieser konnte so rasch nicht reagieren.
Malit fiel nach hinten auf die Erde und bewegte sich nicht. Bartholomäus sprang auf ihn. Zuerst wollte er ihn gleich töten, aber er musste, weil er bei der Inquisition war, sich an die Regeln halten und die besagten, dass ein Hexer nach einem Schauprozess verbrannt werden musste, um keinen Aufstand der Bevölkerung zu riskieren. Das Amulett mit dem Artefakt entriss er ihm dennoch und steckte es in seine Tasche, die sich am Gewand befand.
Dann blickte er zu Hanna rüber. Sie erschrak kurz, da sie nicht einschätzen konnte, ob er gut oder böse war, wenngleich Bartholomäus von der Kirche zu sein schien und den Teufel gerade zur Strecke gebracht hatte.
„Ich tue dir nichts“, sprach Bartholomäus, „aber was ich dir jetzt sagen werde, wirst dich verwirren und sicher nicht schön.“
Hanna wollte nichts hören, was nicht schön war, denn sie hatte heute einen wichtigen Menschen verloren. Ihr fiel ein, dass ihr Vater sie sicher vermissen wird und sie Ärger bekäme, wenn sie so spät nach Hause komme. Sie musste jetzt los! Und sie sprang auf, ohne darüber nachzudenken, und sprintete los, als wäre der Teufel hinter ihr her. Ein Stück weit, war es ja auch so.
Der Weg bis zum Bäcker dauerte nicht lang, aber es kam ihr vor als wäre es eine halbe Ewigkeit. Als sie vor dem Laden stand, war die Tür weit auf. Sie stürmte hinein. Es ertönte keine Klingel, so wie sonst. Kein Mensch war dort.
„Vater!“ rief sie, aber niemand antwortete.
Sie war gerade im Begriff, nach hinten ins Lager zu gehen, als ihr Vater in diesem Moment von dort kam.
„Vater!“ rief sie abermals mit voller Erleichterung, aber der Vater zeigte keine Reaktion.
Er legte ein paar Laibe Brot ab und schaute sich um.
„Vater, ich bin’s Hanna“, sagte sie und dachte er ignoriere sie, da sie zu spät war, „es tut mir leid.“
Der Vater aber ging wieder ins Lager, ohne Hanna auch nur einmal anzugucken. Er musste mächtig sauer sein! Aber es war sonst auch nicht seine Art, wenn er wütend war, auf diese abweisende Art mit ihr umzugehen.
Was war los?
„Vater! Vater! So höre mich doch!“ schrie sie vor lauter Verzweiflung, denn Hanna wollte nicht, dass er sie mit Abkehr bestraft.
Die Klingel läutete und eine Frau kam herein. Es war Frau Schmidt, die Dame des Dorfschmieds. Hanna kannte sie und wandte sich ihr zu.
„Guten Tag“, begrüßte Hanna sie.
Aber es kam ebenfalls keine Reaktion. Was hatte denn Frau Schmidt für einen Grund, sie überhaupt nicht zu beachten? Es war fast so, als Hanna nichts als Luft, unsichtbar für alle. Als würde Gott sie bestrafen wollen für den Pakt mit dem Satan.
„Guten Tag, Frau Schmidt, was kann ich für Sie tun?“ fragte Karl die Dame.
„Ach, geben Sie mir zwei Laib Brot, ein Weizen- und ein Roggenbrot, bitte“, orderte Frau Schmidt.
In diesem Augenblick hörte Hanna eine Stimme, als sei sie inmitten ihres Kopfes.
„Denk an dein Wort“, sagte sie.
Ihr Vater und Frau Schmidt redeten weiter miteinander, um den Kauf abzuschließen, daher nahm Hanna an, dass weder ihr Vater, noch Frau Schmidt etwas hören konnten von dem.
„Sagen Sie“, fragte die Dame, nachdem sie die Brote entgegennahem und bezahlt hatte, „haben Sie schon etwas von ihrer Tochter gehört?“
Karls Blick wurde traurig. Er versuchte, eine Träne zu unterdrücken, die sich gerade an seinem linken Auge bildete.
„Leider nein“, antwortete er und schluchzte.
„Aber Vater, ich bin hier!“ schrie Hanna, „ich stehe direkt vor dir!“
Sie fuchtelte mit ihren Armen herum, aber ihr Vater würdigte sie keines Blickes. Hanna sank zusammen und weinte. Was war geschehen? War es das, was der Priester ihr erzählen wollte?
„Denke an dein Versprechen“, rief die Stimme in ihrem Kopf erneut, „gehe nach draußen.“
„Warum sollte ich das tun?“ fragte sie, „ich bin hier auf mich gestellt und befinde mich in der Hölle.“
„Weil ich dir helfen kann“, antwortete die Stimme, „und weil du dein Wort gegeben hast. Ist dein Wort nichts wert?“
Hannas Gedanken gingen hin und her. Zum einen wollte sie einfach nicht verstehen, weshalb ihr Vater sie nicht sehen und hören konnte und zum anderen konnte sie diese Situation nicht ändern. Dennoch raffte sie sich auf.
„Ich werde tun, was du sagst, aber du hilfst mir“, sagte sie.
„Erst hilfst du mir“, entgegnete die Stimme, „bevor ich dir helfe, denn schließlich habe ich dir schon einen Wunsch erfüllt.“
Jetzt wusste sie, dass es sich um Malit handeln musste. Er war demnach nicht tot und möglicherweise konnte er ihren Fluch brechen, denn schließlich hatte er sie erst in diese Schwierigkeiten gebracht.
„Auf Wiedersehen“, sagte Frau Schmidt zum Abschied und ging durch die Tür, „oh, hier scheint etwas los zu sein.“
„Was denn?“ fragte Hannas Vater und folgte der Dame, „eine Hexenverbrennung auf dem Kleinflecken.“
Dann war Malit in Gefahr! Wenn er sterben würde, dann wäre sie für immer gefangen in diesem Albtraum! Sie ging ebenfalls nach draußen und sah eine Menschenmenge, die um einen Scheiterhaufen versammelt war. An einem Stamm war Malit gefesselt. Bartholomäus, wie auch zwei weitere Männer der Kirche standen daneben. Sie sprachen von „Verbrechen im Zeichen des Teufels“ und er sei „mit dem Teufel im Bunde“. Die Menge grölte, denn sie wollten ihn brennen sehen.
„Du musst mir mein Amulett besorgen“, verlangte die Stimme.
„Und wo befindet sich es?“ wollte Hanna wissen.
„In der Tasche des Gewandes von dem Priester, der sich Bartholomäus nennt“, antwortete Malit.
Hanna kam sofort die Erinnerung, als Bartholomäus sich das Amulett in die Tasche steckte, nachdem er es Malit entrissen hatte. Sie schlich sich durch die Menge, um zu Bartholomäus zu gelangen.
Als sie bei ihm stand, kam ihr die Idee, dass er sie wahrscheinlich auch nicht sehen oder hören konnte. Um es herauszufinden, musste sie es testen.
„Bartholomäus!“ rief sie so laut sie konnte und sie stand wohlgemerkt neben ihm.
Als er nicht reagierte, war ihr klar, dass niemand sie sehen oder hören konnte. Hanna blieb dennoch vorsichtig, denn was in der letzten Zeit geschehen war, war so irreal, sodass sie nicht wusste, was sie glauben sollte. Sie schlich zu Bartholomäus und griff mit ihrer Hand zum Amulett, dass ein wenig aus der Tasche herausragte. Als sie zugreifen wollte, funktionierte es nicht. Sie versuchte es gleich noch einmal, aber es klappte wieder nicht.
„Warum geht das nicht?“ fragte sie.
„Du musst dich konzentrieren“, sagte Malit, „dann müsste es gehen.“
Hanna tat, was Malit ihr vorschlug, aber ganz so einfach war das eben nicht. Zumal einer der Kirchenmänner nun eine Fackel anzündete, um damit dann den Scheiterhaufen zu entfachen.
„Ich muss es hinkriegen“, sagte sie zu sich selbst und griff wieder zu.
Das Amulett aber blieb an Ort und Stelle. Hanna merkte, dass sie ungeduldig wurde. Der Haufen wurde mittlerweile angezündet und das machte die Sache nicht einfacher.
„Du musst daran glauben“, sagte Malit und hörte sich für den Umstand sehr ruhig an, „dann wird es von ganz alleine gehen.“
Hanna schaute kurz zu Malit hinüber. Er hielt seine Augen geschlossen. Vielleicht musste er das machen, um mit ihr kommunizieren zu können. Sie atmete tief durch und versuchte es erneut.
„Es wird gelingen, es wird gelingen, es muss gelingen“, sagte sie und hatte daraufhin das Amulett in der Hand.
Hanna beschlich ein Gefühl von Verwunderung, denn es war wie Magie, dass ihr dies gelang. Im nächsten Moment aber bemerkte Bartholomäus, dass ihm etwas entwendet wurde und er drehte sich zu Hanna.
„Wie?“ fragte er, bevor er sah, dass das Amulett wie von Zauberhand davonschwebte.
Er konnte nicht herausfinden, dass es Hanna war, die das Amulett in der Hand haltend und laufend in Richtung von Malit bewegte.
„Nicht in das Feuer“, warnte der Hexer, „dann verbrennst du. Werfe das Amulett zu mir.“
Sie holte aus und schmiss mit aller Kraft das Amulett in Malits Richtung. Er öffnete seine Augen und fing es, als wollte konnte es nur in seinen Händen landen. Im nächsten Augenblick band er es sich um den Hals. Bartholomäus hatte alles gesehen, bis auf Hanna.
„Alle weg hier!“ brüllte er, denn er wollte die umstehenden Leute warnen.
Malit sprengte die Fesseln und holte mit seiner Faust aus, um auf den Boden zu schlagen. Es entstand eine Energiewelle, die das Feuer auf die Menschen und auf einige Häuser übertrug, sodass ein großer Brand entstand. Das Chaos brach aus. Umherlaufende Menschen, die in Flammen standen, Schreie von Kindern, Frauen und Männern. Abermals musste Hanna feststellen, dass sie dazu beigetragen hatte, Unheil anzurichten. Gott persönlich würde dafür sorgen, dass sie in die Hölle kommen sollte.
Beim nächsten Blick zu Mailt, schien dieser verschwunden. Bartholomäus konnte sie ebenfalls nicht sehen. Dann hatte Malit wohl sein Wort gebrochen.
„Das habe ich nicht“, sprach Malit, der direkt neben ihr stand.
Er berührte das Amulett und für Hanna wurde alles schwarz.
Durch das Tor
„Und was geschah danach?“ wollte Peter wissen.
„Jetzt ist mal gut“, mischte ich mich ein.
Hanna hatte Tränen vergossen, denn die Geschichte machte ihr wohl sehr deutlich, dass sie ihre Eltern nie sehen konnte. Und das schon seit mehr als dreihundert Jahren! Ich meine, manchmal gehen sie einem auf den Keks, aber für immer seine Eltern nicht mehr sehen zu können oder dass einen die Eltern nicht mehr wahrnehme, das war eine schreckliche Vorstellung.
„Sie braucht einen Moment, Peter“, sagte ich zu meinem Geisterkumpel, „das musst gerade du doch verstehen können.“
Peters Blick verriet, dass er es verstanden hatte. Jetzt war nicht die Zeit für Misstrauen, denn Hannas Reaktion auf ihre Geschichte war glaubhaft.
„Er hat sein Versprechen nicht gehalten“, flüsterte sie und Tränen liefen abermals ihre Wange hinunter, „da er es nicht mehr ändern konnte.
Ich war bereits tot, nachdem mich der Bettler angegriffen hatte, nur wusste ich es damals noch nicht. Zum Geist hat Malit mich gemacht.“
„Und warum ist er jetzt in der Ruine?“ bohrte Peter weiter, er hatte wohl wieder vergessen, dass Hanna noch immer ziemlich mitgenommen war von ihrer Geschichte.
„Peter?!“ rief ich, „jetzt ist aber gut.“
Peter schaute mich merkwürdig an, als wären erneut Zweifel an Hanna und ihrer Story. Er sagte nichts. Er ahnte wohl, dass ich etwas dazu entgegnet hätte.
„Okay“, fasste ich zusammen, „Malit hat also ein Amulett, mit dem er einiges anstellen kann. Dazu zählen Fertigkeiten wie die Geistererschaffung, die Telepathie und eine Art Energie, die er für Angriffe nutzen kann.“
„Und Unsterblichkeit“, ergänzte Hanna.
„Das heißt, er kann nicht getötet werden?“ erstaunte es Peter.
„Das bedeutet Unsterblichkeit in der Regel“, antwortete ich, „die Frage ist eher, ob er es auch ohne Amulett ist.“
„Das weiß ich nicht“, antwortete Hanna, „aber er verfügt über weitere Macht, die ich aber nicht kenne, weil er nie alles zeigt, was er kann.“
„Einen Schutzgeist hat er auch noch“, fiel Peter noch ein.
„Gehört das nicht in die Geistererschaffung?“ fragte ich.
„Ist schon spezieller, wenn man bestimmte Geister erschaffen kann“, antwortete mein Geisterfreund.
„Wir haben es demzufolge mit einem sehr mächtigen Gegner zu tun“, stellte ich fest und merkte wie ich plötzlich Respekt bekam.
„Aber die anderen Geister haben keine andere Hoffnung“, sprach Hanna und flehte mich an, „alleine schaffe ich es nicht. Nur dir kann es gelingen. Du bist ein Lacin und meine letzte Hoffnung, bitte hilf mir… hilf den anderen.“
Sie wäre fast auf die Knie gefallen, wenn ich sie nicht abgehalten hätte.
„Lass‘ bitte“, sagte ich, „ich helfe wir…wir helfen dir.“
Peter nickte: „Wenn mein Freund dich unterstützen möchte, dann werde ich es ihm gleichtun.“
„Gut, du bist ja aus der Ruine herausgekommen“, begann ich unseren Plan zu schmieden, „also musst du uns den Weg wieder hinein zeigen.“
„Ohne auf den Schutzgeist zu treffen“, wies Peter hin.
„Ja, das wäre besser“, pflichtete ich ihm bei, „wie ist es dir damals gelungen?“
„Ich habe abgewartet bis der Schutzgeist ruht“, verriet Hanna.
„Wie, der ruht?“ wunderte ich mich, „wann?“
„Ich weiß kein genaues Muster, aber manchmal ist er etwa eine Minute weg“, antwortete Hanna.
„Woher weißt du das?“ fragte Peter nach.
„Mein erster Fluchtversuch scheiterte, also habe ich meine Umgebung besser beobachtet, um dann fliehen zu können“, teilte sie mit.
„Du bist schon mal geflüchtet?“ war meine Frage.
„Ja, aber das ist schon einige Jahre her“, antwortete Hanna, „um keinen Verdacht zu schöpfen, habe ich es nicht gleich nochmal versucht.“
Es dauerte die gesamte Nacht, ehe uns Hanna erklären konnte, wie wir bis ins Innere gelangten. Kurz zusammengefasst: Wenn wir in der Ruine waren, mussten wir durch ein Tor und dann kam ein Höhlensystem, das wie ein Irrgarten war. Dann erst gelangte man in eine riesige Höhle, wo sich auch die Geister befanden.
„Und was machen wir, wenn wir deine Geistergeschwister erreicht haben?“ wollte ich anschließend von Hanna wissen.
„…denn immerhin wird uns Malit nicht einfach so gehen lassen“, fügte Peter hinzu.
„Ich werde ihn ablenken“, schlug Hanna vor, „denn er wird wütend sein und seine ganze Wut auf mich konzentrieren. Dann könnt ihr schnell fliehen. Außerdem bist du ein Lacin und kannst dich wehren.“
„Er ist aber nicht ausgebildet“, wies Peter nochmals hin.
„Dann legen morgen Nacht wir los“, sagte ich.
„Und wir können das nicht tagsüber machen?“ fragte Peter, „dann ist es sicherer und der Schutzgeist ist nicht so aktiv. Ich meine, wenn es hell ist, dann sind da auch Menschen in der Ruine.“
„Ich kann nicht“, entgegnete ich, „wegen Maria. Die wird über Tag mehr auf mich aufpassen als nachts, wo sie selbst irgendwann schlafen geht.“
„Stimmt auch wieder“, musste Peter zugeben.
„Aber für heute muss ich mich erstmal auf’s Ohr hauen“, sagte ich und gähnte, „und morgen werde ich den Tag nutzen, um vorzuschlafen.“
Wir verabschiedeten uns und die beiden verschwanden. Durch die lange Nacht, war der Tag schneller da, als ich gewollt hatte und mit ihm kam auch Marie. Ich musste eine Taktik entwickeln, um weiter im Bett bleiben zu dürfen, damit ich zum einen den Schlaf nachholen konnte und um zum anderen meinen Schlaftank zu füllen.
„Guten Morgen“, begrüßte sie mich fröhlich, wie es meine Mutter täglich tut.
„Guten Morgen“, entgegnete ich und rieb mir die Augen.
Ich schaute, als ob es mir schlecht ging, denn wenn ich krank war, gehörte ich ins Bett. Mein Plan sollte aufgehen, denn Marie wollte nicht riskieren, dass meine Eltern zu hören bekommen, dass der kranke Tjalf habe aufstehen müssen, als es ihm nicht gut ging. Das würde einen Riesenärger geben.
„Ruh‘ dich aus“, sprach sie und brachte allerlei Medikamente gegen Übelkeit, Fiebersaft und eine Schüssel, falls ich mich übergeben müsste.
Nach dem Fiebermessen war klar, dass ich keines hatte, dennoch ließ sie mich liegen und ich musste nur eine eklige Medizin nehmen, sie meinen Magen beruhigen sollte. Ich bedankte mich und schloss meine Augen, denn ich war ja tatsächlich hundemüde.
Meine Augen schlossen sich bis ich ein Rascheln hörte, dann öffneten sie sich wieder. Ich hob meinen Kopf, um nachzuschauen, ob am Fenster etwas war, denn von dort aus kam das Geräusch. Nachdem die Ruhe nun zurück war, schloss ich meine Augen erneut. Es dauerte nicht lange, ehe die Geräusche abermals zu hören waren.
Es reichte! Ich beschloss, aufzustehen und zum Fenster zu gehen, um nachzugucken, was mich dort nervte. Bestimmt ein Vogel oder ein anderes Tier. Als ich endlich hinausschauen konnte, erschrak ich! Direkt vor dem Fenster stand Larvaster! Sofort sprang ich intuitiv einen Schritt zurück.
„Ich kriege dich!“ rief er und zerschmetterte mit einem Schlag die Scheibe.
Ich wollte weiter zurück, konnte es aber nicht. Es war als würde ein Zauber verhindern, dass ich fliehen konnte. Larvaster stieg durch das zerstörte Fenster und kam immer näher.
„Hilfe!“ schrie ich, „Hilfe… Peter…Hanna…!“
Nichts. Keiner konnte mir helfen. Ich war dem Poltergeist hilflos ausgeliefert. Larvaster stand direkt vor mir. Ich konnte tief in seine Höllenaugen sehen, auch wenn ich es gar nicht gewollte hätte.
„Deine Zeit ist vorbei, Junge“, sprach er und etwas stach in mich, „Tjalf… wach doch auf…“
Ich schrie.
Dann machte ich die Augen auf. Schweißgebadet lag ich in meinem Bett, Maria saß an der Bettkante und hatte einen kalten Lappen auf meine Stirn gelegt.
„Alles wird gut“, sprach sie mit ruhiger Stimme.
Es war nur ein Albtraum. Oder nicht? Was ist, wenn das eines der Spielereien von Larvaster war? Und er bereits aus der Geisterwelt entkommen war, um mich zu finden und mir dann mein Leben zu nehmen? Er würde eher aus mir einen Geist machen wollen- einen Sklaven und mich Höllenqualen leiden lassen.
„Geht’s wieder?“ wollte Maria wissen, nachdem ich mich wieder beruhigt hatte.
„Es war ein Albtraum“, verriet ich.
„Erzähle ihn“, schlug sie vor, „dann geht er nicht in Erfüllung.“
Ich konnte ihr doch nicht von Larvaster berichten. Maria würde einen Schock bekommen oder mich für verrückt erklären. Beides wäre nicht hilfreich in meiner jetzigen Situation.
„Ich vermisse meine Eltern“, sagte ich, denn es stimmte, „ich habe Angst, dass ihnen etwas geschieht.“
Und auch das stimmte. Von dem Poltergeist musste sie nicht erfahren, das war mal klar.
„So und damit passiert ihnen nichts, weil du deine Angst ausgesprochen hast“, sprach Maria, „jetzt kannst du dich weiter ausruhen.“
Dann verließ sie mein Zimmer. Ich konnte doch jetzt meine Augen nicht zu kriegen. Nicht nach so einem Traum! Dennoch gewann am Ende die Müdigkeit gegen meinen Kampf, unbedingt wach bleiben zu wollen und ich schlief abermals ein.
„Tjalf“, flüsterte eine Stimme in mein Ohr und ich schreckte hoch.
„Lass‘ mich in Ruhe!“ brüllte ich.
„Hey, beruhige dich, ich bin es, Peter“, sagte mein Geisterfreund und war sehr verwundert über mein Verhalten.
Ich kam wieder runter und setzte mich auf mein Bett. Ich merkte, dass nun alles in Ordnung war und es sich um keinen Albtraum handeln konnte, sonst wäre nach kürzester Zeit schon etwas Verrücktes passiert.
„Ich hatte gestern Abend einen Albtraum“, erzählte ich, „von Larvaster.“
Peter zuckte zusammen, als ich den Namen des Poltergeistes erwähnte. Es war nachvollziehbar, denn immerhin hatte er seine eigene Geschichte mit ihm.
„Kommt er zurück?“ fragte er sofort und die Panik keimte in ihm auf.
„Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht“, antwortet ich ehrlich, denn es brachte nichts, so zu tun, als sei alles in Ordnung, wenn es um den Poltergeist geht.
Hanna erschien vor dem Fenster.
„Komm‘ ruhig rein, du brauchst nicht jedes Mal fragen“, sagte ich und Hanna schwebst hinein.
„Ist alles gut bei euch?“ fragte sie, denn sie nahm wahr, dass wir eine trübe Stimmung hatten.
„Ja, alles gut, Tjalf konnte nur nicht so gut schlafen“, versuchte Peter eine Erklärung abzugeben.
Ich nickte: „Ja, Maria nervte mich immer, da ich gesagt habe, ich sei krank.“
„Sie macht sich Sorgen“, sagte Hanna, „das kann ich verstehen.“
„Und trotzdem ist er müde“, entgegnete Peter.
„Geht es denn heute Abend?“ wollte Hanna von mir erfahren.
„Klar“, antwortete ich, „übermorgen kommen meine Eltern wieder und dann wird es wieder schwieriger.“
Hanna freute sich. Ein Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus. Ich packte ein paar Sachen in meinen Rucksack, die wir eventuell gebrauchen könnten und dann öffnete ich das Fenster, um mit meinem selbstgebastelten Leiterersatz aus Stoffen, die Wand hinunterzuklettern, wie in einem billigen Teenmovie aus den USA. Unten angekommen, schlich ich zu meinem Fahrrad und wie schon vorgestern fuhr ich an die Stelle, um das Vehikel dann anzuschließen.
„Ich sehe keinen Schutzgeist“, sagte Peter.
„Das bedeutet aber nicht, dass er ruht oder nicht da ist“, warnte ich.
„Wir können aber auch nicht die ganze Nacht darauf warten bis sich die Lücke bietet, dann entdeckt Maria, dass du weg bist“, entgegnete Peter.
Es musste also eine Idee her. Ich überlegte angestrengt, wie dieser Schutzgeist von seinem Kontrollgang wegzukriegen war, ohne dass er uns bemerkte.
„Ich hab’s“, sagte ich und kam mir dabei vor, wie Wickie, der seine Nase rieb und plötzlich einen genialen Einfall hatte, aber die beiden würden die Anspielung nicht verstehen- sie kannten den Wikingerjungen nicht, „wir müssen ihn weglocken.“
„Ich könnte ihn ablenken“, schlug Hanna vor.
„Aber dann erwischt er dich. Das hilft uns nicht“, wandte ausgerechnet Peter ein.
„Das stimmt, wir brauchen dich, da wir sonst in der Ruine nicht weiterkommen“, bestätigte ich Peters Einwand.
In diesem Moment kamen zwei Jugendliche. Sie waren offensichtlich angetrunken und in übertrieben guter Stimmung.
„Hey Kevin, lass mal da rein“, sagte der eine.
„Da geh‘ ich nicht rein, Marvin“, widersprach Kevin.
„Bist du ein Feigling?“ provozierte Marvin, „bist wohl ein Lappen.“
Die Jugendlichen sahen mich nicht, da ich mich gut versteckt hatte. Ich sah meine beiden Geister an und machte eine Kopfbewegung in Richtung von Marvin und Kevin.
„Die sind unsere Chance“, sagte ich, „wenn der Geist erscheint, müssen wir schnell da rein, denn er kann nicht zwei Bedrohungen abwenden.“
„In Ordnung, machen wir“, bestätigte Peter, während Hanna nur nickte.
Kevin wollte sich nicht sagen lassen, dass er ein Feigling war und ging schnurstracks in Richtung Ruine. Wie erwartet, tauchte plötzlich der Schutzgeist auf. Allerdings sorgte das nicht für Schrecken bei den Jugendlichen, denn er zeigte sich ihnen noch nicht. Als er aber erkannte, sie wollten in die Ruine, erschien er plötzlich. Kevin blieb sofort stehen, denn er sah ihn als erstes.
„Marvin, siehst du das auch?“ fragte er, „oder hab‘ ich zu viel gesoffen?“
Marvin fing an zu lachen, ehe er auch den Geist sah. Schutzgeister konnten offenbar ihre Gestalt ändern, denn als er sich noch nicht zeigte, war er wie jeder andere Geist, eine helle Erscheinung, die menschlich aussah. Nun hatte er einen Spinnenkopf.
„Ey, alter, das ist eine Riesenspinne“, rief Marvin vor lauter Schreck.
In diesem Moment gab ich das Zeichen und wir rannten in Richtung Ruine, ohne zu schauen, was noch geschah. Ich konnte wahrnahmen, dass die beiden schrien, aber nicht, was genau mit ihnen passierte. Ich war völlig aus der Puste, als ich mich in der Ruine befand.
„Wir müssen weiter“, sagte ich tief atmend.
„Nein, erstmal nicht“, widersprach Hanna, „der Schutzgeist ist nur außerhalb der Ruine tätig.“
„Wenn das Abenteuer vorbei ist, musst du unbedingt deine Ausdauer trainieren“, sagte Peter und hatte ein Grinsen im Gesicht.
Recht hatte er ja, auch wenn es mir nicht passte, was er sagte. Falls wir die Geister retten und wieder hier rauskommen sollten, dann würde ich mit dem Training beginnen.
„Ist noch viel übrig geblieben von der Wittorfer Burg“, stellte Peter das Offensichtliche fest, „aber wo soll hier ein Eingang in eine Höhle sein?“
„Man kann es nicht gleich sehen“, verriet Hanna, „sonst wären viele Menschen schon in die Höhle eingedrungen.“
„Klingt logisch“, merkte ich an, „und wie entdecken wir sie?“
„Ich hatte gedacht, du weist uns den Weg“, antwortete sie und lächelte.
Es war ein Lächeln der Hoffnung, denn schließlich war ich der Lacin- ein Handelnder. Nur wusste ich nicht, wie ich handeln sollte. Es war als hätte ich einen Schatz, aber keinen Schlüssel zur Truhe, in der er sich befand. Durchs Schlüsselloch gucken ging, aber mehr auch nicht.
„Und wie soll ich das machen?“ fragte ich Hanna.
„Das kann ich dir leider nicht verraten“, antwortete sie und das wusste ich.
Trotzdem ärgerte es mich. Wir saßen jetzt hier inmitten der Ruine, hatten den Schutzgeist passiert und kamen nicht weiter, weil ich nicht über meine kompletten Fähigkeiten verfügen konnte.
„Vielleicht musst du dran glauben, so wie mit dem Spiegel“, erinnerte mich Peter.
Könnte das die Lösung sein? Ich musste nur einfach an mich glauben? Das war doch zu simpel. Dennoch blieb mir keine andere Wahl, als es auszuprobieren, danach konnte ich immer noch weitergrübeln.
Ich stand auf und richtete meine Hand nach vorne, weil ich annahm, dass sich auf die Art meine Fertigkeit konzentrieren konnte. Ich wusste nicht, ob es klappte und ich kam mir ehrlich gesagt etwas lächerlich vor.
„Du muss nur an dich glauben“, flüsterte ich mir zu.
„Was hast du gesagt?“ fragte Peter.
„Ich habe mit mir selbst geredet, nicht mit dir“, antwortete ich, „ich bin dabei, mich zu konzentrieren.“
„Gut, ich habe verstanden“, machte Peter mir deutlich und zog sich etwas zurück.
Also begann ich wieder von vorn und streckte meine Hand aus. Wohin wusste ich nicht. Ich richtete sie dahin aus, wo ich den Mittelpunkt der Ruine vermutete. Irgendwie schien es mir logisch, dort einen Eingang zu haben.
Du musst an dich glauben, sagte ich mir. Diese Mal in Gedanken, um Peter nicht erneut zu einer Frage zu animieren. Wo ist hier ein Eingang?
Ich stand bestimmt zehn Minuten dort, ehe ich etwas spürte. Es war wie eine kleine Energie, die meine Hand wie einen Magneten wahrnahm. Im Prinzip wie zwei gleiche Pole, die sich abstoßen.
„Hast du was gefunden?“ wollte Hanna wissen, denn sie hatte gesehen, dass meine Hand leicht zuckte.
„Ja, ich merke was“, bestätigte ich, „aber ich kann nicht genau sagen, wo, nur dass der Eingang zur Höhle in der Richtung sein muss.“
Ich zeigte dabei mit der Hand dorthin.
„Wir können ja schauen, ob wir es entdecken“, schlug Peter vor.
„Das wird nicht funktionieren“, war Hannas Einwand, „er muss es ganz finden, sonst kommen wir nicht rein.“
„Komisch, dass deine Informationen sich immer wieder ändern“, ärgerte sich Peter, „und als nächstes kommt noch, ach ja, mir fällt ein und so…“
„Peter, entspann‘ dich“, mischte ich mich ein, da mich es störte, „ich benötige noch einen Augenblick, dann denke ich, habe ich den Eingang gefunden. Solange müsst ihr euch gedulden.“
Ihre Blicke konnte ich nicht sehen. Es interessierte mich auch überhaupt nicht. Sie benahmen sich wie Kleinkinder, die sich um eine Süßigkeiten stritten. Und das sage ich, der erst acht Jahre und ein halbes alt war!
Die Energie nahm zu und ich konnte wahrnehmen, wie sich ein Tor öffnete. Was ich ebenfalls bemerkte war der Umstand, dass sich das Tor wieder schloss, sobald ich meine Kraft senken ließ.
„Ihr müsst euch beeilen“, rief ich ohne darüber nachzudenken, dass uns eventuell der Schutzgeist hören und verraten könnte.
Ich hatte die Aufmerksamkeit der beiden. Ob ich die des Schutzgeistes hatte, wusste ich natürlich nicht.
Ich fügte hinzu: „Lauft gerade aus, bis ihr etwas wie ein Tor seht und geht hinein. Gebt mir ein Zeichen, kurz bevor ihr drin seid.“
Ich hatte keine Ahnung wie es aussah, da ich es nur durch die Energie auf meiner Hand fühlte. Es war ein gleichermaßen beängstigendes, aber auch faszinierendes Erlebnis. Gleichzeitig merkte ich, wie meine Kraft nachließ, denn es war wie ein Muskeltraining und irgendwann konnte man einfach nicht mehr.
„Wir sind gleich durch“, rief Hanna, ebenfalls mit dem Risiko behaftet, dass der Schutzgeist uns dadurch hätte wahrnehmen können.
Jetzt musste ich schnell sein. Zum einen, weil einfach meine Hand zu zittern begann, aber auch weil ich sonst selbst nicht in die Höhle gelangen konnte. Also ließ ich los und sprintete.
„Das Tor schließt sich“, hörte ich von weitem.
Es war Peters Stimme. Es klang, als handelt es sich nicht um eine sehr große Entfernung, nur war ich bereits sehr schlapp durch die Aktion zuvor und ich war ja bekanntermaßen kein Sportler.
„Tjalf, beeil dich“, hörte ich Peter, ehe ich das sich schließende Tor überhaupt erst zu Gesicht bekam.
Jetzt gab es einen letzten Rest an Energie, der mich bis zum Tor brachte und ich passte mit einem Sprung gerade noch so hinein, bevor es sich vollständig schloss.
„Geschafft“, sagte ich und war völlig aus der Puste.
„Das wurde aber auch Zeit“, scherzte Peter, „trainiert wärst du zügiger an dein Ziel gekommen.“
„Sehr witzig“, entgegnete ich.
„Kannst du aufstehen?“ fragte Hanna.
„Ich brauche einen Moment“, antwortete ich immer noch hastig atmend.
„Meinst du der Schutzgeist hat unser Geschrei gehört?“ wollte Peter wissen und Besorgnis war zu hören.
„Ich weiß es nicht“, konnte meine knappe Antwort sein.
Ich schaute ihn nur an, denn ich brauchte eine Pause.
„Ist gut“, sagte er, „ich lass‘ dich kurz in Ruhe.“
Sollte der Schutzgeist uns entdeckt haben, dann war das Unterfangen eh für die Katz‘. Dann würde uns Malit wahrscheinlich erwarten und uns gefangen nehmen, so wie die anderen Geister. Aber solange ich es nicht wusste, ob dies der Fall war, mussten wir weitermachen.
„Ich glaube nicht, dass der Schutzgeist es gehört hat“, vermutete Hanna, „sonst wären wir schon lange umzingelt.“
„Umzingelt?“ fragte Peter etwas ängstlich.
„Ja, er alarmiert dann Malit, der wiederum seine Geister aus und hetzt“, verriet Hanna.
„Wann wolltest du uns das erzählen?“ fragte ich genervt, denn es wiederholte sich immer wieder.
„Tut mir leid“, sagte sie, „ich kann mich nicht an alles erinnern, da ich schon so alt bin.“
Dazu konnte ich nichts erwidern, denn ich hatte einfach keine Ahnung, ob es die Wahrheit war, die uns Hanna erzählte. Ein Blick zu Peter verriet, dass auch er keine weiteren Erkenntnisse hiervon hatte, obwohl er ein Geist war.
„Gut, dann versuche dich, daran zu erinnern“, sprach ich mit deutlichem Ton, „sonst landen wir am Ende nach als Gefangene bei Malit.“
„Ja, das werde ich“, versprach sie und es tat mir jetzt schon leid, dass ich sie so angegangen bin.
Peter sagte nichts und schaute etwas verlegen weg. Möglicherweise war er nun nicht mehr so stinkig auf Hanna und nun war ich für diesen Augenblick der Buhmann. Es war in Ordnung, da Peter und Hanna sich nicht mehr stritten.
Malit
Nun galt es, sich durch das Höhlensystem zu begeben. Die Schwierigkeit bestand darin, dass Hanna uns nicht genau erklären konnte, wie der Weg durch das Labyrinth war. Wie auch, sie hatte sich keinerlei Notizen gemacht und im Dunkeln kann man sich auch keine Auffälligkeiten merken.
Nachdem ich mich erholt hatte- es dauerte etwa eine halbe Stunde- stand ich auf und konnte drei Gänge erkennen. Es lag daran, dass sich in diesem Raum zwei Fackeln befanden, die ein wenig Licht gaben.
„Weißt du denn, aus welchem Tunnel du herausgekommen bist?“ fragte Peter.
Ich fand es eine gute Frage für den Anfang. Hanna dachte nach und antwortete:
„Aus dem rechten.“
„Dann sollten wir da rein“, schlug ich vor und ging zur Fackel.
Ich nahm sie von der Wand in meine Hand. Dann schritt ich voran. Die anderen beiden folgten mir. Der Gang war zunächst breiter, wurde aber zunehmend schmaler, aber immer noch mit genügend Platz, damit wir drei nebeneinander herlaufen konnten.
„Sind wir nicht auffällig mit der Fackel?“ fragte Hanna nach einer Weile, „denn immerhin weiß jeder im Tunnel sofort, dass wir kommen.“
„Das stimmt“, pflichtete ich ihr bei, „aber was ist die Alternative? Ich kann in der Dunkelheit nichts sehen.“
„Wir schon“, gab Peter an, „für uns ist das kein Problem.“
„Dann kann einer von uns dich führen“, schlug Hanna vor.
„Wie einen blinden?“ fragte ich mit ängstlicher Stimme.
Ich hatte etwas Angst im Dunkeln. Dabei war dies meist der Fall, wenn die Dunkelheit zwar da war, aber noch etwas Restlicht, beispielsweise durch die Straßenlaterne, die in das Fenster schien oder Elektrogeräte, die durch ihre LED Lampen ein wenig Licht erzeugten. Wenn ich aber auch noch blind war, gab es keinen Rest an Helligkeit mehr. Davor fürchtete ich mich mehr.
„Ja“, antwortete Peter, „vertraust du mir etwa nicht?“
„Doch… klar“, stammelte ich, „aber ich habe eben etwas Angst. Ich war noch nie im absoluten Dunkel.“
„Ich werde auch dich aufpassen“, versprach Peter und wollte mir mit Sicherheit ein bisschen von meinem Unwohlsein nehmen, aber es funktionierte nicht.
„Dann machen wir es“, sagte ich dennoch, denn welche Alternative hatte ich schon?
Am Ende ging es bei unserer Mission um die Rettung der Geister und die retteten sich nicht von alleine und schon gar nicht, wenn ich nicht half. Ich machte das Feuer der Fackel aus, indem ich sie auf den Boden warf und etwas Erde draufschüttete.
Jetzt war alles duster!
Ich spürte einen Hauch, als wenn einem von jemand in den Nacken pustete. Ich bekam Gänsehaut. Zum einen, weil ich meine Angst bemerkte. Sie wurde immer größer! Zum anderen war das wohl Peter.
„Hier bin ich“, sagte er und ich konnte ihn sehen, wie auch mit Licht.
Er war hellblau und trotz seines Lichts, erhellte sich die Umgebung nicht. Hanna erschien ebenfalls. Sie hatte eine leichte Grüneinfärbung und war dadurch türkis. Die beiden verhalfen mir als diese Erscheinungen zu mehr Sicherheit, denn so konnte ich sehen, dass ich nicht alleine war. Wie ein Nachtlicht.
„Da vorne scheint eine Weitung zu sein“, sprach Peter, „und dort scheint eine Gabelung zu sein. Ein Weg links und ein Weg rechts.“
„Weißt du, wo du dann lang bist?“ wollte ich wissen.
Hanna überlegte kurz: „Ich habe keine Ahnung. Ich denke rechts, aber es könnte auch links sein.“
Dann hörten wir ein Geräusch wie ein Heulen. Sofort erschlich mich das Gefühl von Panik! Hatten sie uns entdeckt? Wollten sie uns jetzt holen?
„Das ist kein Geist“, rief Hanna.
„Nicht so laut“, warf Peter ein.
„Das ist kein Geist“, flüsterte sie.
„Was denn?“ wollte ich wissen und wurde ungeduldig, denn es war schon wieder etwas, was sie nicht erwähnt hatte.
„Vielleicht ein Golem“, antwortete sie.
„Was ist denn das?“ fragte Peter, „und viel wichtiger: Warum erzählst du es nicht früher?“
„Als ich geflohen bin, hatte er keinen“, erklärte Hanna, „und das letzte Mal war es vor mehr als hundert Jahren.“
Gut, ich kann mir teilweise nicht mal merken, was ich letzte Woche gegessen hatte. Von daher konnte ich nachvollziehen, weshalb sie in ihrem Alter so viel nicht mehr wusste.
„Gut, wir hatten das schon“, sprach Peter, „aber was ist ein Goblem?“
„Golem“, verbesserte sie und fügt hinzu: „Ein Wesen, geformt aus Lehm und mittels Zaubersprüchen zum Leben erweckt.“
„Also, niemand, mit dem man gut Kirschen essen kann?“ fragte ich.
„Warum sollte er Kirschen essen?“ verwunderte Hanna meine Frage.
„Das sagt man heute so“, antwortete ich, „es bedeutet, dass man demjenigen nicht gut auskommt.“
„Ah“, sagte sie, „ja, das stimmt. Aber er ist auch sehr gefährlich. Stark wie ein Ochse und dumm wie ein Esel.“
„Oh, wie Hulk“, haute ich raus und beide schauten mich verdutzt an.
„Wer ist…?“ wollte Peter fragen, aber eine Art Urschrei dieses Wesens unterbrach unsere Diskussion.
„Wir sollten uns verstecken“, schlug Hanna vor.
„Aber wo?“ fragte Peter, der sich umschaute, „wir können uns hier nicht verbergen, sodass das Wesen uns nicht findet.“
„Dann müssen wir durch den anderen Gang“, machte ich einen Vorschlag, „und zwar in dem, in der dieser Golem nicht ist.“
„Leider haben wir keine andere Wahl“, stimmte Hanna zu.
„Und in welchem Tunnel befindet er sich?“ fragte Peter.
Wir horchten alle auf den nächsten Laut, den der Golem abgeben sollte. Und tatsächlich kam ein weiteres Brüllen, welches verriet, dass er sich im rechten Tunnel befinden musste.
„Dann nach links“, sagte ich und wir machten uns rasch auf den Weg und verschwanden in Richtung linkem Tunnel.
Ein weiterer Laut des Wesens ließ uns merken, dass es gar nicht so weit entfernt von uns sein musste.
„Ab jetzt können wir nicht mehr in Ruhe überlegen“, sprach ich, „vielleicht weiß Malit schon, dass wir hier sind.“
„Oder nur der Goglem weiß es“, fand Peter.
„Golem“, korrigierte Hanna, „es kann beides sein. Aber ich denke, Malit würde uns sofort gefangen nehmen wollen, wenn er wüsste, dass wir an diesem Ort befinden.“
Nun musste ich mit den Hanna und Peter durch die Dunkelheit eines Höhlensystems, blind und mit Angst vor der Dunkelheit auch noch vor einem Golem fliehen, der uns wahrscheinlich nicht herzlich begrüßt, wenn er uns einholt. Zu allem Übel merkte ich meine Unfitness wieder.
„Los, wir müssen schneller sein“, sagte Peter und hetzte mich damit.
„Ich kann nicht“, entgegnete ich und blieb stehen.
Erneut konnten wir ein Brüllen vernehmen.
„Er kommt näher“, sprach Hanna, „ich denke, er verfolgt uns. Golems sind wie Tiere, er könnte unsere Fährte aufgenommen haben.“
„Na super“, stöhnte ich, „jetzt sitzen wir in der Falle.“
„Das heißt, unsere Flucht ist eigentlich sinnlos?“ fragte Peter und ich konnte seine steigende Wut wahrnehmen.
„Nicht ganz“, antwortete Hanna, „ich weiß es nicht. Ich vermute es nur. Schlussendlich müssen wir schauen.“
Ein weiteres Geräusch, wie ein Donnern ertönte hinter uns, sodass uns klar war, dass der Golem unseren Tunnel benutzt hatte.
„Er kommt“, rief Peter, „was machen wir jetzt?“
„Verstecken?“ fragte Hanna.
„Wo sollten wir uns denn verstecken?“ fragte ich und war ebenfalls sauer, „wenn der uns überall findet?“
„Ich habe keine Ahnung“, antwortete sie und schaute traurig.
Möglicherweise war die Kritik auch zu viel an der Stelle, denn sie half uns nicht weiter. Sie war hunderte von Jahren Gefangene des Hexers. Sie konnte vielleicht gar nicht alles verstehen oder wissen, da Malit ihr sicherlich nicht alles gezeigt hat, was er draufhatte.
„Okay, wir hören auf damit, auf Hanna herumzuhacken“, fasste ich, „es Hilfe uns nicht und wir müssen gucken, wie wir entweder das Vieh loswerden oder es zur Not bekämpfen.“
Peter verstand sofort, was ich meinte und ließ von seinem Gegenargument ab: „Gut, was sollen wir machen? Ich meine, ich will keinen Druck ausüben, aber er müsste jeden Moment bei uns sein.“
„Weglaufen macht keinen Sinn“, meinte ich, „denn dann führt er uns wahrscheinlich in die Enge.“
„Aber du kannst nicht gegen ihn kämpfen“, wandte Hanna ein, „da du deine Kräfte nicht kennst.“
„Und verstecken bringt uns am Ende auch nichts“, äußerte Peter.
Wir kamen nicht weiter. Im nächsten Moment hörten wir die polternden Schritte des Golems. Er befand sich jeden Moment an der gleichen Stelle wie wir! Ich konnte durch den gesamten Druck keinen klaren Gedanken fassen und daher drehten diese sich im Kreis.
Ein lautes Brüllen mitsamt seinen schweren Schritten, die den Boden zum zittern brachten, kündigte der Golem sich an und stand plötzlich vor mir und hielt an. Der Raum erhellte sich, denn seine Augen waren wie Feuer. Sein Atmen war schwer und er musterte mich. Peter und Hanna würdigte er keines Blickes. Er schaute mich an, als sei ich ein Alien von einem fremden Planeten, das gerade auf der Erde gelandet war. Hatte er nie zuvor einen Menschen gesehen?
„Was du sein?“ fragte er mit tiefer männlicher Stimme und zeigte dabei auf mich mit seinem dicken Finger.
Jetzt erinnerte er mich tatsächlich an das grüne Monster. Zum einen fand ich es witzig, aber zum größten Teil eher beeindruckend, denn wenn er dieselbe Kraft hatte, war meine Chance gegen ihn gen Null.
„Hey, du Golem!“ rief Peter und wollte die Aufmerksamkeit auf sich lenken, was ich nobel und zugleich dumm fand.
Allerdings beachtete der Golem ihn nicht. Er starrte mich weiterhin an und knurrte nur leicht. Was sagte Hanna vorhin? Stark wie ein Ochse und dumm wie ein Esel. Ich dachte in diesem Moment an meine Fähigkeit des Magica- Angriffs. Aber half es auch bei Lehmwesen? Oder nur bei Geistern? Dann hatte ich eine Idee…
„Ich bin Malit“, sagte ich in der Hoffnung, dass er mir das abkaufen würde.
Jetzt guckte er sehr verdutzt.
„Du nicht Malit, du zu klein“, entgegnete er.
„Ich kann mich jetzt in andere verwandeln“, erklärte ich.
„Du sicher, dass du nicht Mensch?“ wollte er wissen.
„Ja, ich weiß doch, wer ich bin, weißt du das nicht?“ stellte ich als Gegenfrage.
Der Golem überlegte.
„Du haben recht“, sagte er, „Golem grüßt Meister Malit.“
In diesem Augenblick hätte ich mich abfeiern können, aber ich musste zur Aufrechterhaltung meines Theaters natürlich böse Miene zum guten Spiel machen.
„So und nun verschwinde und mach deinen Job“, wies ich mit finsterer Stimme an.
Ich gebe mir bei meiner Imitation, obwohl ich Malit nie reden hören habe, Mühe und wahrscheinlich hätte jeder andere nicht geglaubt, dass ich ernst werden kann, aber der Golem zog ab. Allerding drehte er sich nochmal um, bevor er in die Richtung ging, aus der er gekommen war.
„Meister Malit, ich finde den Jungen“, sagte er und war dann im Tunnel verschwunden, so wie auch das Licht seiner feurigen Augen.
Hatte ich das richtig verstanden? Er sucht einen Jungen? War ich dieser Junge? Wusste Malit von uns?
„Was hat er gemeint?“ fragte Peter, der sich wie auch Hanna, zurückgezogen hatte, denn sein Trick mit der Aufmerksamkeit, brachte ja bekanntermaßen nichts.
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich, „aber ich befürchte, er hat mich gemeint.“
„Das wäre schrecklich, denn dann wären wir in einer Falle“, sprach Peter.
„Sicher meinte er nicht dich“, versuchte Hanna uns zu beruhigen, „denn Golems finden ihre Opfer, auch wenn sie dumm sind, erkennen sie den, den sie suchen. Da müsste schon ein Zauber dafür sorgen, dass das nicht funktioniert.“
War die Erklärung merkwürdig? Klar. Aber war die Erklärung hilfreich. Ebenso klar! Daher sorgte dies für Entspannung bei mir.
„Naja, Hauptsache der Golem ist nicht mehr hinter uns her.“
„Das denke ich auch und dennoch kann ich den Gedanken nicht loswerden, dass Malit bereits weiß, dass wir hier sind“, entgegnete ich.
„Willst du umkehren?“ fragte Peter.
„Nein, natürlich nicht“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen.
„Dann machen wir weiter“, sagte Peter, „denn wir haben nicht so viel Zeit, bevor Maria merkt, dass du dich nicht in deinem Bett befindest und schläfst.“
Ich nickte nur. Peter hatte irgendwie recht. Ich könnte weiterspekulieren, ob Malit Kenntnis von uns hatte oder nicht- am Ende musste ich die Geistergeschwister von Hanna retten, weil ich es so wollte.
„Bitte höre nicht auf“, flehte Hanna, die den Verdacht hegte, dass ich die Mission nun abbrechen wollte.
„Das tue ich nicht“, versicherte ich, „denn wir gehen nur mit den Geistern, die von Malit gefangen gehalten werden, aus der Ruine wieder raus.“
Hannas Gesicht strahlte. Ich war überzeugt, dass ich es schaffen würde, denn sonst machte es keinen Sinn. Wir gingen also den Weg weiter, den wir zwangsläufig gegangen sind, um zum einen dem Golem nicht nochmal zu begegnen und zum anderen voranzukommen.
Wieder konnte ich außer den beiden Geistern nur die Finsternis sehen. Sie umschloss uns. Es war ein trauriger Ort, wenn niemals Licht hineingelangte. Licht war Elixier für Leben und das gab es offenbar nicht.
„Stopp“, sagte Peter und unterbrach damit meine Gedanken.
„Was ist?“ wollte ich erfahren.
„Eine Treppe“, antwortete Peter und konnte es wohl selbst kaum glauben.
„Eine… Treppe?“ erstaunte es mich.
Warum befand sich eine Treppe hier unten? Und wieder hatte Hanna davon nichts berichtet. Es war wie ein Déjà-vu.
„Bei mir gab es keine Treppe“, rechtfertigte Hanna sich, ohne dass einer von uns fragen musste.
„Wirklich nicht?“ fragte Peter mit leichtem Misstrauen.
„Wenn ich es doch sage“, entgegnete sie, „ich erinnere mich nicht an alles mit meinen über dreihundert Jahren, aber was nicht war, das war einfach nicht.“
„Gut, dann glauben wir dir“, sagte Peter, „kannst du denn sagen, ob es runterging?“
„Ja, aber durch eine Senkung“, antwortete Hanna, „schlussendlich geht es nach unten. Nur durch eine Treppe weiß ich nicht, wo wir dann hinkommen und ich habe mich ja heimlich entfernt. Das heißt, ich habe nicht die üblichen Wege gewählt.“
„Bedeutet es, dass die Treppe ein normaler Weg wäre?“ fragte ich.
„Keine Ahnung“, meinte sie.
„Vorteil ist, es handelt sich um eine Wendeltreppe, also können wir sehen, wenn einer kommt“, sprach Peter, „Nachteil ist, dass uns einer sieht und wir nicht so leicht wegkommen, wie vorhin.“
„Möglichweise ist es eine Abkürzung und wir sparen Zeit“, bemerkte ich, „denn eine Senkung ist langatmiger.“
„Also benutzen wir die Treppe?“ wollte Peter wissen.
Am Ende müssten wir den Weg wieder zurückgehen und dann den anderen Tunnel nehmen. Und die Zeit hält nicht an, um auf uns zu warten.
„Ja, wir werden die Wendeltreppe hinunterschleichen“, bestätigte ich.
„In Ordnung“, sagte Peter.
Dann zeigten sie mir den Weg, indem Hanna und Peter jeweils eine Stufe, Schritt für Schritt, hinuntertappten. Nur zögerlich kamen wir weiter, aber es war besser so, denn ich wusste nicht, wo sich die einzelnen Stufen befanden. Natürlich tastete ich mit meinem Fuß. Sicher war ich deshalb aber trotzdem nicht.
Nach einer Weile kam es mir vor, als dauerte es ewig. Vielleicht war sie gar nicht so lang, aber ich musste ja für jeden Schritt vorsichtig den einen Fuß so platzieren, sodass es passte.
„Wie lange brauchen wir noch?“ fragte ich mit ungeduldigem Ton.
„Wir sind etwa bei der Hälfte“, antwortete Peter.
„Dauert demzufolge noch“, stellte ich fest.
„Ja, geht nicht anders“, entgegnete er.
„Haltet mal kurz an“, unterbrach Hanna Peters und mein Smalltalk.
„Was ist denn?“ wollte ich wissen.
„Ich habe etwas gehört“, verriet sie.
Peter uns ich horchten in die Dunkelheit hinein.
„Also ich höre nichts“, sprach ich.
Peter schüttelte den Kopf: „Ich auch nicht.“
„Dann habe ich es mir eingebildet, aber da war was“, sagte Hanna.
Ab diesem Augenblick waren meine Sinne geschärft, was meine Angst im Dunkel und mit dieser permanenten Blindheit nicht einfacher machte. Durch diese Stille, bildeten sich die Ohren stets etwas ein, aber meist war das ein Piepen oder ein hochfrequentierter Ton. Aber ich konnte nichts wahrnehmen, wenngleich ich mich anstrengte. Zudem musste ich mich wegen der Treppe sehr konzentrieren, sodass ich mich entweder auf das Horchen oder auf das Hinabsteigen der Treppe fokussieren konnte, aber nicht auf beides.
„Halt“, unterbrach Hanna abermals meine Gedanken, „jetzt höre ich es wieder.“
Alles hielt inne, um erneut die Ohren zu spitzen.
„Meine Güte, so kommen wir aber auch nicht voran“, sagte Peter.
Plötzlich tauchte vor uns ein unheimliches Wesen auf. Es fletschte seine Zähne und sah einfach schrecklich aus. Ich konnte es sehen, da es ebenfalls leicht leuchtete. Das Gesicht war zerfetzt und erinnerte nur vage an einen Menschen.
„Das ist ein Seelenfresser!“ schrie Peter und schreckte zurück, wieder auf dem Weg nach oben.
„Wir müssen hier weg!“ rief Hanna mit panischer Stimme, „sonst sind wir verloren.“
„Er will meine Seele“, sagte ich, „und ich werde ihm diesen Gefallen nicht tun.“
„Aber wenn du bleibst, wird er dich töten“, warnte Hanna und war mit Peter schon drei, vier Stufen aufwärts geflohen.
Der Seelenfresser kam noch näher. Ich konzentrierte mich auf einen Magica- Angriff und zögerte, um ihn möglichst nah an mich rankommen zu lassen, damit ich dem Seelenfresser viel Schaden anrichten konnte. Als er meiner Meinung nach in einer guten Position war, zog ich rasch meine Hände nach vorn und feuerte eine Druckwelle ab, sodass es den Seelenfresser endgültig vernichtete. Dann brach ich zusammen, da es mich viel Energie gekostet hatte. Hanna und Peter stürmten herbei.
„Hey, alles in Ordnung?“ fragte Peter.
„Ja, eigentlich schon, aber ich denke, dass der Angriff eine Menge Kraft von mir genommen hat“, sagte ich und merkte, wie ich müde wurde.
„Du kannst jetzt nicht einfach einschlafen“, sagte Peter, „wir wollten doch die Geister retten.“
„Ach du meine Güte, war das ein Angriff“, zeigte sich Hanna begeistert, „damit kannst du sogar Malit schaden.“
„Wenn er nicht schlapp macht“, widersprach Peter.
„Wieso sollte er?“ wollte Hanna wissen.
„Weil seine Energie weniger wird“, antwortete er.
Ich musste mich echt zusammenreißen, um nicht auf der Stelle wegzunicken. Es war wie Magie, die mich in ihren Bann zog. War es ein Angriff von Malit?
„Er muss aufstehen“, sagte Hanna, „wir brauchen ihn doch.“
„Wenn er in diesem Zustand ist, kann er niemandem helfen“, entgegnete Peter, „und er begibt sich in Gefahr. Das kann ich nicht zulassen.“
Hanna reagierte nicht. Sie musste es akzeptieren. Immer wieder schaute sie sich um, als ob sie wieder etwas gehört hätte. Peter bemerkte dies.
„Ist da noch irgendwer? Hast du was wahrgenommen?“ fragte er sie.
„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete sie.
Ich merkte, wie ich kurz weg war, ehe ich etwas sah, was von oben kam. Ich wollte meine Hand heben, um in die Richtung zeigen zu können, aber es gelang mir einfach nicht.
„Da…da…ist…was“, flüsterte ich, da meine Stimme ebenfalls nachließ.
Peter schaute nach oben. Ich konnte sehen, wie er mich panisch ansah, bevor sich meine Augen schlossen. Was war geschehen?
„Guten Morgen“, sagte eine Stimme und ich wachte auf.
Ich wusste sofort, dass es nicht der Realität entsprechen konnte, dass ich jetzt wieder zu Hause war. Maria hatte meine Zimmertür geöffnet und dabei, meine Vorhänge zu öffnen.
„Ich weiß, du bist nicht echt“, entgegnete ich, „also lass‘ die Spielchen.“
„Ich verstehe dich nicht“, sagte Maria, „ist alles okay mit dir?“
Ich glaubte kein Wort. Das war doch wieder ein Trick von wer weiß wem. Vielleicht von Malit, um mich fertig zu machen oder von Larvaster? Sollte er hinter dem ganzen stecken?
„Du bist nicht Maria“, sprach ich, „egal, was du versuchst, ich werde es dir nicht abkaufen. Fertig.“
Marias Blick änderte sich von dem gewohnt freundlichen Blick zu einem irren. Sie holte eine Axt hervor und sprang auf mich drauf und hielt mich mit einer Hand fest. Sie war kräftig.
„Dann verrecke!“ brüllte sie und holte aus.
Ich wehrte mich, indem ich mich hin und her wälzte, um mich zu befreien. Bevor sie mit der Axt meinen Kopf einschlagen konnte, löste sich der Griff und ich konnte mich vom Bett rollen.
„Ich kriege dich!“ wütete sie und wie ein Affe sprang sie vom Bett und befand sich wieder vor mir.
„Es ist nur ein Traum“, rief ich, „zeige dich und verstecke dich nicht wie ein Feigling.“
In diesem Moment hielt Maria inne und ließ die Axt fallen. Meine Zimmertür ging auf und ein Mann mit Umhang stand dort.
„Du bist Malit, wenn ich mich nicht irre“, vermutete ich.
Der Fremde sagte zunächst nichts, sondern betrat mein Zimmer. Er trug ein Amulett, welches grünlich leuchtete. Es musste sich demnach um Malit handeln.
„Ja, ich bin Malit“, bestätigte er dann meine Annahme.
Dann wurde alles plötzlich schwarz. Ich hatte recht, es war ein Traum. Als sich meine Augen öffneten, konnte ich mich in einer Zelle wiederfinden. Ich war noch kaputt, aber eben nicht wie vorhin. In der gleichen Zelle befand sich auch Hanna. Sie lag regungslos da. Mir war klar geworden, dass wir Gefangene von Malit sein mussten. Ich stand auf und ging zu Hanna hinüber.
„Hanna“, sagte ich, „wach auf.“
Aber es tat sich nichts. Geister atmen nicht, daher konnte ich nicht einschätzen, wie es um ihren Zustand aussah. Die Zelle war nur vorne mit Gitterstäben, der Rest war Mauerwerk. Ich konnte demzufolge nicht sehen, wo sich Peter befand. Er war nicht bei uns. Ich hörte eine Tür, die sich öffnete. Ich stellte mich vor die Stäbe, um zu schauen, wer da kommen mag. Ich erkannte dieselbe Person, wie in meinen Traum.
„Malit“, sagte ich.
„Wie ich sehe, bist du nicht um deinen Verstand gekommen“, merkte er an.
„Sehr witzig“, erwiderte ich, „mich hier einsperren, wie ein Feigling.“
„Damit kriegst du mich nicht“, entgegnete Malit, „denn ich nicht so dümmlich wie du denkst. Mein Plan war es, dass du zu mir kommst.“
Sein Plan? Ich war irritiert. Wie konnte das sein Plan sein? Sollte es sein, dass der Schutzgeist, der Golem und der Seelenfresser alle mit Absicht uns durchließen, damit wir zu Malit gelangen konnten? Oder war das jetzt auch eine Taktik der Verwirrung?
„Ich glaube dir nicht“, machte ich ihm klar, „und ich muss anmerken, dass du keine Chance hättest, wenn ich nicht dein Gefangener wäre.“
„Hahaha“, lachte er auf einmal, „wenn du so stark bist, dann befrei dich doch.“
Das nehme ich an. Sollte er mal sehen, wie viel Energie ich besitze. Er würde erschaudern! Ich formte meine Hände, streckte sie nach vorne und dachte an eine Druckwelle. Ganz tief im Inneren hoffte ich, dass es funktionieren würde, so wie damals in der Geisterwelt gegen den Seelenfresser, denn seitdem klappte es nicht immer. Ich konzentrierte mich und aus meinen Händen kam eine große Druckwelle, die die Gitterstäbe komplett zum Herausbrachen veranlasste und Teile der Mauer einstürzen ließ. Malit staunte nicht schlecht. Er zückte einen Stab, um sich zur Wehr setzen zu können.
„Jetzt bist du fällig“, drohte ich und spürte die Wut in mir.
Ich ging rasches Schrittes schnurstracks zu ihm und feuerte ihm mit einer zweiten kleineren Welle den Stab aus der Hand. Zudem hatte es ihn nach hinten geschlaudert, sodass er auf den Boden knallte. Er wollte wieder aufstehen und faselte etwas, was ich nicht verstanden habe. Ich vermutete, er wollte einen Zauberspruch sagen. Daher feuerte ich noch eine weitere Welle ab. Es zog ihn abermals nach hinten, nur dieses Mal gegen die Wand. Er sank zu Boden und bewegte sich nicht mehr.
„Malit?“ fragte ich und näherte mich.
Er reagierte nicht. Blut quoll aus seinem Hinterkopf. Ich merkte, dass ich Malit besiegt hatte. Es erschlich mich ein Gefühl von Stolz und mit einem viel größeren Anteil von Scham.
„Tjalf?“ fragte hinter mir eine Stimme, die ich beim Umdrehen als Hannas identifizierte.
„Ja?“ fragte ich, „war das Malit?“
Ich war so unsicher, denn er wurde als so mächtig beschrieben und war im Enddefekt leicht niederzustrecken. Möglicherweise hatten sich meine Kräfte vervielfacht und daher war ich stärker.
„Wo ist eigentlich Peter?“ wollte ich wissen und schaute mir Malit genauer an.
Das Amulett hatte aufgehört zu leichten. Ich riss es ihm vom Hals und packte es in meine Tasche.
„Sicherheitshalber“, sagte ich, „bevor er zurückkommt.“
Von einem auf den anderen Moment erlitt ich einen Schwächeanfall. Wider wurden mir meine Kräfte total entzogen, als würde jemand es abschalten, wie bei einem Lichtschalter.
Ich sank zu Boden und merkte, wie mir schwarz vor Augen wurde. Ich konnte erkennen, dass Hanna auf mich zukam. Dann war ich weg.
Der Verrat
Erneut wachte ich in einer Zelle auf. Allerdings lag nicht Hanna, sondern Peter neben mir. Der Unterschied zu vorher war, dass ich kaum aufstehen konnte, denn ich fühlte mich sehr schwach. Ich hatte nicht einmal die Kraft, um mich zu Peter zu bewegen, nicht einmal robben war möglich.
„Peter?“ fragte ich mit erschöpfter Stimme.
Peter aber lag einfach nur da. Es war keine Bewegung zu vernehmen. Ich machte mir Sorgen. Nicht nur, dass ich mich auf dem Boden befand, in sehr geschwächter Form, mein Freund war ebenfalls nicht bei Bewusstsein. Und was war eigentlich mit Hanna? Es klopfte an den Gitterstäben. Ich musste meinen Kopf drehen, was sehr anstrengend war, um zu sehen, wer oder was da war. Was ich zu sehen bekam, ließ mich stark wundern.
„Malit?“ fragte ich ungläubig.
„Wie ich sehe, wundert es dich“, sagte Malit.
Ich war platt! Nicht nur körperlich, sondern einfach, weil dieser Kerl noch stand. Wie konnte das sein?
„Ich werde es dir verraten“, gab Malit preis, „ich habe einen Doppelgängerzauber benutzt, sodass es eine exakte Kopie von mir gibt. Einfach, um herauszufinden, wie stark du bist.“
Ein Doppelgänger? Nur um zu erfahren, wie stark ich bin? Und ich bin darauf reingefallen. Ich kam mir so schlecht vor.
„Was ist mit Peter?“ fragte ich.
„Ihm geht es den Umständen entsprechend“, antwortete Malit, „aber wenn er erwacht, wird sein Zustand besser sein.“
Irgendwas war merkwürdig an dieser Antwort, denn ich spürte, dass was nicht stimmte. Warum sollte er sich auf einmal besser fühlen als vorher?
„Was hast du vor?“ wollte ich wissen.
„Das werde ich dir nicht sagen“, antwortete er und drehte sich um, „ich muss nun verschwinden. Ich werde mich zu einem späteren Zeitpunkt um dich kümmern.“
„Es wird dir nicht gelingen, ganz gleich, was du planst“, rief ich und ich hatte keine Ahnung, was sein Plan gewesen sein konnte, „und wo ist Hanna?“
„Die ist in Sicherheit“, verriet er und verließ den Gang.
Nun war ich in der Falle. In einem unterirdischen Gefängnis irgendwo im Nirgendwo. Ich werde es wohl nicht mehr schaffen, rechtzeitig zu Hause zu sein und Maria wird es merken und dann werden meine Eltern sie feuern und nach mir suchen lassen.
„Scheiße!“ rutschte es mir heraus.
Ich fühlte mich dermaßen mies, sodass ich zu dem Zeitpunkt glaubte, ich käme da nicht wieder raus. Plötzlich bemerkte ich Bewegung von Peter.
„Peter?“ rief ich zu ihm rüber.
Er drehte sich zu mir um und schaute mich fragend an: „Was… wer…bist du?“
„Wie meinst du das, wer bin ich?“ wollte ich wissen und es verwirrte mich.
„Ich kenne dich nicht“, antwortete er, „also frage ich nach deinem Namen.“
„Ich bin Tjalf“, sagte ich, „und dein bester Freund.“
„Das kann jeder erzählen“, erwiderte er, „ich weiß nicht, wer du bist.“
„Und du wunderst dich jetzt nicht, was wir hier machen?“ fragte ich ihn, denn ich konnte es immer noch nicht glauben, was gerade geschehen war.
Peter guckte sich um und fing an zu grinsen; „Du hast mich eingesperrt.“
„Ich?!“ rief ich voller Entsetzen.
„Ja, du“, wiederholte er seine Behauptung.
„Wie soll ich das gemacht haben?“ wollte ich wissen und meine Empörung konnte ich kaum verbergen, „Mensch Peter, komm‘ zur Besinnung.“
„Ist gut, Peter“, sprach eine Stimme und ich erkannte, dass Hanna vor dem Gefängnis stand.
„Hanna?!“ fragte ich und meine Verwirrung war komplett, „was machst du da?“
„Sie arbeitet für mich“, verriet Malit, der plötzlich wiederaufgetaucht war.
„Du arbeitest für ihn?“ fragte ich geschockt, „wie konntest du nur?“
Das Hanna die gesamte Zeit über Gedächtnislücken hatte, fiel Peter und mir ebenso auf. Ich hatte so ein Mitleid mit ihr und am Ende sollte Peters intuitive Skepsis Hanna gegenüber stimmen!
Hanna antwortete nicht. Sie schaute nur beschämt drein. Dann machte sie die Zellentür auf, damit Peter rausschweben konnte. Ich hätte nicht mal die Chance nutzen können, da meine Kraftlosigkeit zu stark war, sodass es mir noch immer nicht gelang aufzustehen.
„Peter, höre, du machst einen Fehler“, flehte ich meinen Freund an, „geh‘ nicht mit, bitte.“
Aber Peter ging weiter ohne sich einmal umzudrehen. Er hatte eine Gehirnwäsche und dieser Malit hatte ihm das angetan.
„Hanna, es ist alles deine Schuld“, warf ich ihr vor.
Malit lachte: „Wie süße, regt sich der kleine Junge auf. Da dachte er, er habe eine Chance gegen mich.“
Hanna wandte sich ebenfalls von mir ab.
„Falls es dich interessiert“, teilte er mir mit, „sie ist einen Handel eingegangen. Ihre Freiheit für dich.“
Ich explodierte innerlich. Dieses verlogene kleine Geistermädchen. Nie wieder falle ich darauf rein!
„Hanna, das wirst du noch bereuen“, drohte ich, obwohl ich nicht so bin.
Meine Verletzung in meinem Herzen war stark, sodass ich es sie spüren lassen wollte. Malit verließ mich wieder. Die nächste Zeit verbrachte ich allein. Ich konnte mich wieder aufraffen, denn meine Kräfte kamen zurück. Irgendwann hörte ich Geräusche und ich legte mich hin, um vorzutäuschen, dass ich weiterhin angeschlagen bin.
Ohne ein Wort zu sagen, legte jemand etwas in meine Zelle. Ich drehte mich so hin, sodass ich etwas denjenigen im Blick hatte. Es war ein anderer Geist!
„Was ist das?“ fragte ich.
„Nahrung“, antwortete er.
„Und wer bist du?“ wollte ich wissen.
„Hans“, antwortete der Geisterjunge.
„Weißt du, wo Peter ist?“ fragte ich weiter.
„Nein“, sagte er, „aber pass‘ auf Hanna auf.“
„Hanna?“ wiederholte den Namen, fast als kenne ich sie gar nicht.
„Ja, sie gehört zu Malit“, verriet der Geist.
Das wusste ich bereits, aber ich schämte mich in diesem Augenblick um so mehr, dass ich drauf reingefallen war.
„Aber warum macht sie das?“ wollte ich wissen, denn ihre Geschichte schien mir glaubwürdig.
Sie hatte es so lebendig erzählt und ihre Emotionen wirkten so echt. War sie eine tolle Schauspielerin? Oder war ich einfach zu naiv? Ich konnte es nicht beantworten. Beides ist nicht schön.
„Sie war der erste Geist, den Malit je geschaffen hat“, erzählte Hans, „und sie schuldete ihm etwas.“
„Wegen Ludwig?“ vermutete ich.
„Ja, wegen Ludwig“, wiederholte Hans, der sichtlich erstaunt darüber war, dass ich Wissen darüber hatte.
„Aber diese Schuld hätte lange abgegolten sein sollen“, äußerte ich meine Gedanken laut.
„Hanna hat alles für ihn getan, was er verlangt hat, um endlich wieder zu ihren Eltern zu kommen“, verriet Hans, „sie sind ebenfalls Geister geworden und werden hier auch als Geister gefangen gehalten.“
„Wie ist es dazu gekommen?“ wollte ich erfahren.
„Hanna denkt, sie sei schuld daran“, antwortete der Geisterjunge, „sie wollte sie eigentlich warnen, aber Malit hat sie zuerst getötet und dann zu seinen Geistersklaven gemacht.“
„Kommen sie und ihre Eltern jetzt frei?“ fragte ich nach.
„Drei Mal kannst du raten“, entgegnete er, „bisher hat Malit immer noch einen Weg gefunden, sie für seine Zwecke zu benutzen.“
„Und warum sollte ich dir all das glauben?“ war meine Frage, „denn schließlich bin ich schon einmal hintergangen worden.“
„Ich verlange es nicht“, antwortete Hans, „aber ich sage dir, dass wir uns alle die Freiheit wünschen und dich unterstützen, wo wir können.“
„Kannst du mich befreien?“ fragte ich und wollte seine Aussage testen.
„Und dann?“ stellte er als Gegenfrage, „was willst du dann machen? Du kommst hier aus dem Komplex nicht heraus.“
„Und wie willst du oder ihr mir helfen?“ interessierte es mich.
„Ich allein kann gar nichts ausrichten, außer dass es dir in der Gefangenschaft gut ergehen kann“, antwortete er, „aber wir alle können einiges tun, nur trauen sich die meisten nicht.“
„Na toll“, stellte ich fest, „eigentlich kann mir keiner helfen.“
„Bist du denn ein Lacin?“ fragte Hans auf einmal.
„Ich denke schon“, antwortete ich, „aber ich weiß meine Kräfte noch nicht zu nutzen. Manchmal sind sie sehr stark und ein anderes Mal bin ich sehr schwach. Ich verstehe es noch nicht.“
In Hans Augen bildete sich eine Träne, die die Wange hinunterkullerte.
„Du weinst ja“, sagte ich und es überraschte mich, „ihr könnt weinen?“
„Klar können wir das“, entgegnete er.
„Und warum weinst du?“ wollte ich wissen.
„Weil die alte Minna uns sagte, dass ein Lacin kommen wird, um uns zu befreien“, verriet Hans.
„Wer ist die alte Minna?“ fragte ich.
„Sie war mal eine von uns, ehe Malit sie hingerichtet hat. Er konnte sie nicht gebrauchen, da sie sehr alt war“, antwortete der Geisterjunge, „zu ihren Lebzeiten war sie eine Wahrsagerin.“
Es zeigte die Verzweiflung der Geister, die von Malit gefangen gehalten wurden. Sie glaubten einer alten Dame schon und sahen es als eine Art Prophezeiung. Dabei hatte ich das Gefühl, dass sie es ihnen gar nicht mehr gelingen konnte. Ich, der Lacin, der Retter, war doch am Ende! Wie sollte da eine Befreiung möglich sein?
Gar nicht!
„Ich muss weiter, sonst merkt einer was“, sagte Hans dann und zog wieder ab.
Ich war wieder allein. Es brachte mich zum Nachdenken. Wäre ich doch bloß zu Hause geblieben und hätte mal auf meinen Geisterfreund gehört! Aber nun war es zu spät. Plötzlich konnte ich Geräusche wahrnehmen und instinktiv legte ich mich erneut hin, da es zumindest augenscheinlich so aussah als sei ich weiterhin geschwächt. Die Augenlider ließ ich leicht geöffnet, um zu erfahren, wer da kam.
Es war Hanna, zusammen mit zwei Geistern. Sie machten die Zelle auf, stießen sie hinein und schlossen die Tür wieder. Ich wollte mich aufraffen, aber ich sah keine Möglichkeit, so schnell bei ihnen zu sein und wusste nicht einzuschätzen, ob Hanna eine Gefahr darstellte, obwohl sie uns verraten hatte.
„Lasst mich raus!“ brüllte sie und fing an zu weinen.
„Das können wir nicht machen“, widersprachen die beiden Geister, „und gerade nicht bei dir, wo du uns alle hier in die Hölle geholt hast.“
„Aber ich wollte doch nur…“, versuchte sie zu erklären, aber sie ließen sie gar nicht ausreden.
„Schweig!“ rief der eine, „und sei froh, dass wir dich nicht töten!“
Hanna sackte zusammen. Die beiden zogen ab und wir waren allein. War das eine erneute Falle, um mich auf die Probe zu stellen? Oder war Hanna tatsächlich all die Jahre so blind, ihre Eltern zu sehen, sodass sie alles für das Scheusal getan hatte?
Hanna weinte immer noch. Sie hatte mich nicht einmal angeschaut. Ich öffnete meine Augen ganz und sah ein kleines, verbittertes und hilfloses Mädchen. Auch ich wäre jetzt gerne bei meinen Eltern. Ich würde auch alles tun, um sie zurück zu bekommen. In diesem Moment hatte ich Mitleid. Andererseits wollte ich Peter retten, denn er konnte auch nichts für die Situation. Vielleicht könnte ich Hanna dafür noch gebrauchen.
„Hanna?“ fragte ich mit leiser Stimme.
Hanna hielt sich verdeckt, sodass man ihr Gesicht nicht sehen konnte. Sie hörte zwar kurz auf zu weinen, aber nach einigen Sekunden machte sie weiter.
„Hanna, nun komm‘“, forderte ich sie auf, „wir müssen reden, ansonsten kann ich dir nicht helfen.“
In diesem Augenblick endete das Geheule abrupt. Sie zeigte ihr Gesicht und ich konnte ein riesiges Fragezeichen wahrnehmen, welches über ihren Kopf schwebte. Sie verstand diese Situation einfach nicht und dann hatte ich sie da, wo ich sie haben wollte.
„Du fragst dich, warum ich noch mit dir rede?“ fragte ich, ohne auf ihre Antwort zu warten, da ich wusste, dass es genau ihre Frage war, „um ehrlich zu sein, kann ich dich verstehen.“
„Du…verstehst mich?“ fragte sie zögerlich, „nach allem, was ich dir angetan habe?“
„Ich finde es nicht gut, das kannst du mir glauben“, antwortete ich, „aber nachdem mir zugetragen wurde, dass du es für deine Eltern tust, kann ich es nachvollziehen.“
„Ich will nur, dass wir wieder zusammen sind“, verriet Hanna, „Malit nimmt sie seit Jahrhunderten als Geißeln, damit ich alles für ihn erledige.“
„Und warum fällst du immer wieder darauf rein?“ wollte ich wissen.
„Weil er es immer wieder schafft, mich zu überzeugen“, antwortete sie, „und am Ende glaube ich ihm, da die Hoffnung zuletzt stirbt.“
„Ist das jetzt auch so?“ fragte ich.
„Nein“, antwortete Hanna so schnell, sodass ich den Eindruck hatte, es könnte stimmen., „um nun ehrlich mit dir zu sein, kann ich verstehen, wenn du mir nicht mehr trauen kannst, aber ich wollte die anderen wirklich retten, inklusive meiner Eltern.“
„Dann war dein Plan nicht gerade gut“, äußerte ich.
„Das weiß ich nun“, sagte sie, „aber das kann ich nicht mehr ändern.“
„Wir können immer noch alles hinkriegen“, versuchte ich sie, aber auch mich zu motivieren, „aber erst, wenn wir einen Deal abschließen.“
„Einen…was?“ fragte sie nach.
„Einen Deal… einen Vertrag“, antwortete ich.
„Wie soll der aussehen?“ wollte sie von mir wissen.
„Du holst mich aus der Zelle raus und wir befreien Peter“, verriet ich, „und dann retten wir alle anderen, wenn das wirklich dein Plan war.“
„Gut, ich schlage ein“, sprach sie.
„Weißt du denn, wo mein Freund sich befindet?“ fragte ich dann.
„Ja, das weiß ich“, verriet sie, „in den Schächten.“
„In welchen Schächten?“ bohrte ich weiter.
„Sie graben nach einem Tor“, antwortete Hanna, „dem Tor zur Geisterwelt.“
Ich zuckte kurz zusammen. Malit ließ nach einem Tor zur Geisterwelt graben? Gab es also noch weitere Zugänge dorthin? Was ist, wenn es ein offenes Tor war und keines wie mit dem Spiegel, was prinzipiell verschlossen war? Es durfte nicht dazu kommen, dass er es öffnen würde, denn sonst würde das Chaos ausbrechen. Ich musste Malit aufhalten!
„Das müssen wir verhindern“, sagte ich entschlossen, „und halte deinen Part ein und sorge dafür, dass ich hier rauskomme.“
„In Ordnung“, bestätigte sie, „ich werde dich nicht enttäuschen, nicht nochmal.“
Sie stellte sich an das Gitter und rief laut: „Heinrich!“
Es geschah nichts.
„Was soll das?“ wollte ich erfahren, bevor wir irgendeinen Plan verfolgten, von dem ich nichts wusste.
„Heinrich holt uns hier raus“, erklärte Hanna.
„Kannst du nicht einfach rausspazieren? Es ist doch nur eine Zelle“, interessierte es mich.
„Nein, kann ich nicht. Es hat eine magische Wand, durch die wir passieren können“, antwortete das Geistermädchen.
„Aber du hattest schon noch vor, mir zu erzählen, wie der Plan lautet, oder?“ fragte ich.
„Heinrich mag mich trotz allem“, verriet sie, „er wird mich hier freiwillig rauslassen. Das hat er damals auch gemacht, als ich schon mal fliehen wollte.“
Es klang erstmal nach einem guten ersten Schritt einer Idee, die klappen könnte und dennoch hatte ich gewisse Zweifel.
„Warum sollte er mich auch gehen lassen?“ wollte ich wissen, „denn schließlich bin ich Malits Gegner und wer mir hilft, ist doch sicherlich des Todes.“
„Das weiß er, aber er will genauso weg von diesem schrecklichen Ort wie ich“, entgegnete sie.
„Obwohl du dafür verantwortlich bist, dass er ein Gefangener von Malit ist?“ fragte ich.
Hanna schaute beschämt weg.
„Von wem kommt diese Information?“ wollte sie nun von mir wissen.
„Von Hans“, antwortete ich, denn Hanna hatte meiner Meinung nach die Wahrheit verdient.
„Sowas kann nur von ihm stammen“, äußerte sie.
„Was soll das bedeuten?“ fragte ich.
„Das heißt, er lügt“, teile sie mit, „ich habe nicht alle Geister, die sich in Malits Sklavenschaft befinden, hierher gelotst. Hans hat ebenso dafür gesorgt. Und nun will er mich loswerden, denn er will Malits Lieblingsgeist sein. Etwas, was ich nie sein wollte.“
Immerhin hat sie zugegeben, dass sie für Malit gearbeitet hat, sonst hätte ich ihre Aussage auch nicht geglaubt. Aber nun schien es dadurch wahrheitsnah zu sein. Andererseits war ich nicht in der Verfassung, alles davon abhängig zu machen, ob es der Wahrheit entsprach oder eben nicht. Ich musste Peter retten und das hatte jetzt oberste Priorität.
„Gut, dann rufe Heinrich“, sagte ich, „und was passiert dann?“
„Wir gehen in den Schacht“, antwortete sie, „um direkt nach Peter zu suchen.“
„Ist das nicht gefährlich?“ fragte ich.
„Auf jeden Fall“, teilte Hanna mit, „aber wir haben keine andere Wahl. Wir können nur hoffen, möglichst unerkannt an allen vorbei zu kommen.“
„Klingt wie eine Kamikaze- Aktion“, sagte ich, „machen wir’s.“
„Heinrich!“ rief sie dann abermals, „Heinrich!“
Im nächsten Moment kam er. Ein kleingewachsener Geist, der aber von der Gestalt her älter aussah als ich. Klar er war natürlich viel älter als ich, aber ich meinte das Aussehen.
„Was ist denn, Hanna?“ fragte er und musterte mich, „du bist bei ihm?“
„Ja, Malit hat mich zu ihm gesperrt“, antwortete sie, „und jetzt kannst du mir helfen zu entkommen.“
„Was hast du denn verbrochen?“ fragte Heinrich und schaute immer wieder zu mir, als ob es ihm überhaupt nicht gefiel, dass ich mit ihr zusammen in einer Zelle war.
„Malit will mir zeigen, dass ich niemals zu meinen Eltern kann“, antwortete sie und musste sich zusammenreißen, dass sie nicht gleich losheulte, „und will mich loswerden, denn ich kritisiere ihn und er braucht mich nicht mehr.“
„Ich werde dir helfen“, sagte Heinrich und öffnete die Tür, „aber der bleibt drin.“
„Heinrich“, sagte sie und schaute ihm tief in die Augen, „er ist der Erlöser, das weißt du, oder? Er wird uns retten, denn er ist ein Lacin.“
Heinrich musterte mich erneut. Dieses Mal nicht so abfällig, wie zuvor, sondern mit einem ungläubigen Blick. So nach dem Motto: Das soll der Heilsbringer sein?
„Er ist es“, sprach Hanna, „also lass‘ ihn frei.“
„Gut, aber ich will mit“, forderte er ein und Hannas Blick ging nun zu mir.
„Soll er?“ fragte sie.
„Meinetwegen“, antwortete ich, „wenn er helfen kann.“
„Das kann ich gewiss“, sagte er und seine Stimme wurde hektischer, „ich kenne mich hier sehr gut aus und außerdem will ich Malit auch fertigen.“
„Fertigen?“ fragte ich nach.
„Ja.“
„Das heißt fertig machen“, korrigierte ich.
„Ja, genau, das meinte ich“, grinste er verlegen.
Er machte die Tür weit auf und Hanna und ich konnten hindurch.
„“Passt der Schlüssel überall?“ wollte ich wissen, denn ich wollte auf dem Weg zum einen weitere Gefangene befreien, aber natürlich nicht vor einer verschlossenen Tür stehen, wenn Peter dahinter war.
„Nur für die Zellen“, verriet Heinrich.
„Das reicht“, meinte ich, „gibst du ihn mir?“
Heinrich schaute zu Hanna als wolle er fragen, ob man mir trauen könne. Das sollte er sie mal fragen!
„Ist in Ordnung“, sagte sie nur und Heinrich übergab mir den Schlüssel.
„Wo gehen wir hin?“ fragte Heinrich.
„Zu den Schächten“, antwortete Hanna, „wir müssen erst seinen Freund befreien.“
„Aber Malit wird sich ebenfalls dort befinden“, wandte Heinrich ein.
„Dann werde ich ihn bekämpfen müssen“, machte ich deutlich, da ich mich erstarkt fühlte.
„Dann folge man mir“, sagte Heinrich und ging schnellen Schrittes voran.
Wir mussten einen schmalen Gang entlang und kamen zu einer weiter Tür, für die wir keinen Schlüssel benötigten. Heinrich schaute zuerst hinaus, um zu testen, ob Gefahr lauert.
„Die Luft ist rein“, sagte er und wir passierten die Tür.
Er machte deutlich, dass wir nach rechts mussten, um zu den Schächten zu gelangen. Dieser Gang ging eine ganze Zeit geradeaus, ehe er in eine Art Halle endete.
„Wartet hier“, flüsterte Heinrich, „da vorne sind Wachen.“
„Wachen?“ fragte ich, „wie viele kann er denn beherrschen?“
„Bestimmt einhundert“, antwortete Hanna, während Heinrich zu den Wachgeistern ging.
Ich konnte aus der Entfernung nicht verstehen, was Heinrich mit ihnen besprochen hatte. Aber auf einmal kamen sie in unsere Richtung.
„Mist“, sagte Hanna, „sie werden herausgefunden haben, dass etwas nicht stimmt.“
Während Hanna zurückwich, blieb ich stehen. Ich würde nicht mehr weglaufen. Dadurch kriege ich Peter auch nicht zurück. Zudem konnte ich meine Kraft auch noch aktivieren, um die Wachen auszuschalten.
„Sei gegrüßt, Hanna, er soll also in die Schächte?“ fragte die eine Wache.
„Ja…genau, auf Befehl von Malit“, bestätigte Hanna und hoffte so sehr, dass die beiden es schluckten.
„Und dann schickt Malit euch beide?“ fragte die andere Wache.
„Ja, wo soll er denn auch hin?“ stellte Heinrich als Gegenfrage.
„Stimmt, da ist was dran“, erkannte die Wache.
„Ihr dürft passieren“, sagte die andere, „bevor Malit ungeduldig wird. Und ihr wisst, was dann geschieht? Und das wollen wir nicht.“
Die Wachen begleiteten und bis zu einem riesigen Tor, welches sich automatisch öffnete und in die Dunkelheit führte.
„Sind das die Schächte?“ flüsterte ich, während wir an den Wachen vorbei waren.
„Noch nicht“, antwortete Hanna leise, „wir müssen erst durch die Passage.“
„Was ist das denn?“ fragte ich und es beschlich mich das Gefühl, es werde nichts Angenehmes.
„Eine Art Brücke des Todes“, erklärte Heinrich und das Tor schloss sich wieder.
Das Tor zur Geisterwelt
„Was ist denn die Brücke des Todes?“ fragte ich entsetzt und kam mir vor, als wäre es ein Titel aus der Indiana Jones Reihe.
„Das Tor zur Geisterwelt wird dadurch geschützt“, erklärte Heinrich.
„Und wie schützt es das Tor?“ bohrte ich weiter.
„In der Tiefe unterhalb der Brücke lauert ein Wesen, dass wir als Canis nennen. Es ist eine Mischung aus Monster und Wachhund.“
„Und wie kommt ihr da sonst rüber?“ wollte ich wissen und merkte, dass es mit der Angst zu tun bekam.
„Malit sorgt dafür“, antwortete Heinrich, „jetzt musst du uns helfen.“
Wie sollte ich das denn machen? Der würde uns zerfleischen. Ich konnte doch nicht einem Riesenmonsterhund irgendwo nahe dem Mittelpunkt der Erde in Schach halten oder gar bekämpfen. Er war sonst der Wächter zum Tor. Warum wohl! Er konnte dafür sorgen, dass nichts reinkam, aber eben auch nichts herauskam.
„Wir müssen es einfach probieren“, schlug ich vor, da keine Ahnung hatte, wie ich vorgehen sollte.
„Und wenn Canis erscheint?“ fragte Heinrich.
„Dann improvisieren wir“, antwortete ich und ging los, damit wir an Ort und Stelle nicht verharrten.
Ich konnte einige Meter zurücklegen, ehe ich ein lautes Brüllen aus den Tiefen unter mir vernahm. Es musste Calis sein! Mir ging echt die Muffe, aber stehenbleiben wollte ich eben auch nicht. Hanna und Heinrich positionierten sich hinter mich.
„Das schaffen wir nicht“, sagte Heinrich und schlotterte.
Ein Geist, der Angst hatte, schon eine lustige Vorstellung. Dabei würden die meisten behaupten, Gespenster existieren, um Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. Wenn also ein Geist es mal mit der Angst zu tun bekam, musste es eine wahrhaftige Bestie sein!
„Jetzt sei ruhig“, rief Hanna, „das hilft uns auch nicht, wenn du jammerst.“
Und da hatte sie total recht. Es unterstützte mich, indem was von mir verlangt wurde, nämlich uns drei rüber zu bringen über die Brücke des Todes. Im nächsten Moment versteinerte es mich, da mit einem Satz dieser riesige Hund auf einmal auf der Brücke stand. Er sah aus wie eine Mischung aus Rottweiler und Drache, da er kein Fell hatte. Seine Augen waren gelb und leuchteten. Er war etwa vier Mal so groß wie wir.
Er brüllte derartig laut, sodass eine Druckwelle davon erzeugt wurde und wie Windstärke 8 an uns vorbeizog. Hanna und Heinrich versteckten sich nun hinter meinem Rücken. Ich glich einer Statue. Das Monster schaute mir tief in die Augen, grimmig und bereit zum Angriff.
„Jetzt müsstest du was machen“, flüsterte Heinrich.
„Oh, Heinrich“, sagte Hanna, „halt die Klappe. Das weiß er bereits selbst.“
Canis kam langsam näher. Es war merkwürdig, denn ich hatte erwartet, dass er uns oder besser gesagt mich eher angreifen wollte, aber er zögerte. Nicht, dass ich das nicht auch als gut empfunden habe, es ließ mich nur fragen, weshalb er sich zurückhielt.
„Was will er denn?“ fragte ich nach hinten.
„Ich weiß es nicht, da ich nicht dabei bin, wenn Malit ihn entgegentritt“, antwortete Hanna.
„Ich weiß es“, sagte Heinrich auf einmal, „er will essen.“
„Essen?“ fragte ich verwunderlich, „was ist denn ein Höllenmonster so? Menschen, Geister oder kleine Kinder?“
„Nein“, antwortete Heinrich, „Knochen.“
„Knochen? Das ist ja wie bei einem normalen Hund“, stellte sich fest.
„Aber wo bekommen wir jetzt einen Knochen her?“ fragte Hanna.
„Vielleicht reicht auch ein Stock“, vermutete ich, „denn Hunde lieben Stöcker.“
„Merkt er nicht, dass wir ihn reinlegen?“ fragte Heinrich.
„Versuch macht klug“, gab ich als Antwort, „sonst kommen wir nicht weiter.“
Also schaute ich kurz zurück und suchte nach einem Stock. Canis kam indes immer ein Stückchen näher. Und zu meinem Glück lag auf dem Boden ein Holzstück.
„Das müsste es auch tun“, sagte ich und hielt es hoch, sodass Canis es sehen konnte.
Er blieb sofort stehen und schaute misstrauisch. Er konnte aus der Entfernung nicht erkennen, was ich da in der Hand hielt. Also spielte ich mit ihm, indem ich das Holzstück hin und her wedelte. Er stand weiterhin dort, ohne wie ein Hund sich mitziehen zu lassen.
„So, nun spring hinterher“, sagte ich und warf mit aller Kraft das Holz in Richtung Abgrund.
Jetzt machte Canis einen Satz, sodass er dem Holzstück folgte.
„Jetzt!“ rief ich, „müssen wir rennen!“
Ich lief, was das Zeug hielt und die beiden schwebten so schnell sie konnten, damit wir zum anderen Ende kamen, bevor das Monster wieder auf der Brücke sein konnte. Wieviel Zeit wir hatten, wussten wir nicht. Ich hörte Geräusche, die ich Canis zuordnete. Eine Art Jaulen und Hecheln.
„Wie lang ist die Brücke denn noch?“ fragte ich, denn ich bemerkte meine Kondition, die sich wieder einmal meldete.
„Ein Stück noch“, antwortete Hanna.
Dann stoppten wir abermals, denn Canis ist erneut vor uns auf die Brücke gesprungen.
„Na, super“, rief Heinrich, „dein Trick hat wohl nicht funktioniert.
Anders als vorhin guckte er nicht böse drein, sondern erwartungsvoll. Allerdings war er viel näher dran und ein zweites Holzstück war nicht in Sicht. Zurücklaufen konnten wir auch nicht, sodass wir praktisch in der Falle waren. Dann kam Canis noch weiter heran. Ich konzentrierte mich, um zur Not einen Feuerball oder eine Druckwelle erzeugen zu können. Als die Hundebestie vor uns stand, merkten wir, wie gewaltig er war. Canis setzte sich und spukte ein speicheltriefendes Stück Holz aus. Wir waren allesamt baff!
„Passiert das gerade wirklich?“ fragte Hanna und war sehr verwundert.
Canis hatte das Spiel angenommen. Ich war so erleichtert und zeitgleich angewidert von dem Schleim, den das Holzstück umgab. Sehr eklig, aber eben für mich auch lebensrettend. Wer weiß wie ich aussehen würde, hätte Canis ernst gemacht? Ich nahm das Stück und schmiss es erneut in Richtung Abgrund. Canis verschwand wieder.
„Dann sollten wir uns dennoch beeilen“, rief ich, „bevor ihm langweilig wird.“
Bevor wir das Ende erreichten, musste ich noch einmal das Wurfspiel wiederholen. Dann standen wir vor einem weiteren Eingang in einen Tunnel.
„Sind das die Schächte?“ fragte ich.
„Ja, wir sind da“, bestätigte Hanna
Wir gingen hinein. Es war schmaler als vorher im Höhlensystem, aber ich konnte gerade voranschreiten und musste mich nicht gebückt halten.
„Wir sollten aufpassen“, warf Hanna ein, „denn es befinden sich überall Geister und wir wissen nicht, ob sie Malit verhelfen oder uns.“
„Das Risiko gehe ich ein“, sagte ich, denn ich war es leid, immer wieder einem Problem aus dem Weg zu gehen.
Es kamen uns einige Geister entgegen, ehe ich sei wahrnehmen konnte. Sie taten uns nichts, denn sie mussten das Gestein des Schachtes abbauen. Geister können Gegenstände tragen?
„Wie kommt es, dass sie die Fertigkeiten der Menschen haben, aber aussehen wie Geister?“ fragte ich.
„Malits Artefakt im Amulett ermöglicht es“, antwortete Heinrich, „es ist sehr mächtig.“
„Mächtiger als damals“, ergänzte Hanna, „aber auch ich weiß nicht, was er alles damit anstellen kann. Er wäre ja auch zu blöd, wenn er mir alles verraten hätte.“
Die Geister ließen uns einfach passieren, obwohl ich ein Mensch war. Vielleicht waren Menschen schon vor mir in den Schächten und wurden dann zu Gespenstern gemacht. Es gab demzufolge keinen Grund für Misstrauen. Zudem waren Heinrich und Hanna den meisten ja ein Begriff.
„Ist der Bereich hier unten groß?“ wollte ich wissen.
„Ja, schon“, teilte Heinrich mit, „von daher müssten wir uns entweder aufteilen oder eine lange Suche in Kauf nehmen.“
„Aufteilen ist Unsinn“, warf ich ein, „denn Peter kennt dich nicht, Heinrich und warum sollte er Hanna vertrauen?“
„Hast du keine Sonderkräfte für das Aufspüren von Freunden?“ fragte Heinrich und ich merkte, dass es sich um einen Scherz handelte- einen schlechten Scherz.
„Haha, sehr witzig“, entgegnete ich, „sag zur Abwechslung ruhig mal Konstruktives.“
„Dann müssen wir Schacht für Schacht durchsuchen“, stellte Hanna fest, „wenngleich es viel Zeit in Anspruch nehmen wird.“
Dann verbringe ich vielleicht sogar eine Woche unter Tage? Wie sollte ich das bloß Maria oder meinen Eltern erklären? Die würde bestimmt schon nach mir suchen und eine Vermisstenanzeige bei der Polizei gestellt haben. Das wird ein Ärger!
„Dann machen wir es so“, bestätigte ich, „sonst finden wir ihn nie.“
Ich hatte extra nichts von meiner letzten Begegnung mit Peter erzählt, denn ich wusste nicht, ob sie dann einer Suche so leicht zugestimmt hätten. Womöglich wollte sich Peter aber auch einfach nur selbst schützen.
„Dort lang geht es zu einem Schacht“, sagte Heinrich.
„Wie viele Schächte gibt es denn?“ wollte ich wissen.
„Keine Ahnung, ich denke vier oder fünf“, antwortete er.
„Dann sollte es doch schnell gehen“, vermutete ich.
„Naja, sie sind schon sehr lang“, entgegnete Heinrich.
Wir begaben uns in den von uns aus gesehen ersten Schacht und meine Augen hielten sich offen, um nach meinem Freund Ausschau zu halten. Dort war alles beleuchtet. Wahrscheinlich, da selbst die Geister besseres Licht benötigten beim Abbauen des Gesteins, obwohl sie im Dunkeln sehen konnten.
Noch trafen wir kaum auf andere Geister. Demnach gestaltete sich die Suche eher schleppend. Nach einer Weile sahen wir einige von ihnen stehend an den Wänden.
War das Peter?
Ich sah einen jungen Geist, abgewendet von mir bei dieser Gruppe von fünf und war mir sicher, dass es Peter sein musste. Schnellen Schrittes näherte ich mich ihm.
„Peter?“ rief ich kurz bevor ich ihn erreichen konnte.
Er drehte sich um und schaute verdutzt:
„Peter? Was soll das? Wer bis du?“ fragte er leicht irritiert.
„Das ist doch der Menschenjunge“, sagte ein anderer aus der Gruppe und er zeigte sich.
Es war Hans. In diesem Moment konnte ich bemerken, dass Hans und Hanna sich nicht leiden konnten, denn sie gaben sie jeweils nur abwertende Blicke.
„Was willst du hier?“ fragte Hans, „denn eigentlich solltest du und er in den Zellen sitzen.“
„Malit hat es sich anders überlegt“, log Hanna spontan.
Geister konnten nicht rot werden, deshalb hätte ich es ihr abgekauft. Hans dagegen glaubte ihr nicht. Er traute Hanna generell nicht.
„Ihr seid geflohen“, sagte Hans und die anderen fünf umzingelten uns langsam.
Heinrich war so beeindruckt, sodass er kein Wort herausbekam. Ich konzentrierte intuitiv meine Kräfte, damit ich uns verteidigen konnte, wenn die Bande auf dumme Gedanken kommen sollte.
„Das stimmt nicht“, log Hanna weiter, „und ich werde es Malit berichten, dann wirst du sehen, was du davon hast.“
„Ich glaube dir kein einziges Wort“, entgegnete Hans, „denn es macht keinen Sinn. Weshalb sollte Malit ihn ausgerechnet in die Schächte beordern? Und das auch noch mit einer Verräterin wie dir?“
Hannas Blick senkte sich. Sie konnte dem nichts entgegensetzen und schaute hilfesuchend zu mir rüber. Ich konnte sie nicht einfach hier lassen, obwohl es mir doch eigentlich nur um Peters Rettung ging, daher mischte ich mich ein.
„Lasst uns weiterziehen“, sprach ich und lenkte nun die Aufmerksamkeit von Hans und seinen Geisterleuten auf mich.
„Das wird nicht passieren“, widersprach er und grinste, „ich hatte dir bereits erzählt, dass man Hanna nicht trauen kann und nun siehst du, dass sie lügt und folgst ihr weiter?“
„Ja, das tue ich, denn sie hat einen Fehler gemacht und wird sich ändern“, entgegnete ich.
Da fing Hans laut an zu lachen.
„Das glaubst du doch selber nicht“, sagte er dann.
„Doch“, widersprach ich ihm mit aller Deutlichkeit, „und lasst uns nun weitergehen.“
„Oder was?“ fragte er provozierend.
Ich hatte den Eindruck, dass Hans eher der Betrüger war, denn er zeigte sich in der Zelle ganz anders. Alle Geister hatten gelernt, Intrigen zu stiften, denn sie kannten es so von ihrem Meister.
„Ich kann euch alle befreien“, teilte ich mit.
„Und was ist, wenn gar nicht alle befreit werden wolle?“ wollte er wissen und hatte dabei einen sehr herablassenden Ton.
„Dann kann ich demjenigen, der weiter von diesem Tyrannen beherrscht werden will, nicht weiterhelfen“, antwortete ich.
Hans zeigte sich von dieser Antwort erstaunt. Er hatte wohl nicht damit gerechnet.
„Dann werden wir dich jetzt aufhalten und dich wieder in die Zelle sperren“, sagte er, „und dich, Hanna, werden wir Malit übergeben, damit er dich bestraft und du, Heinrich, ich bin enttäuscht von dir.“
Hans machte eine Handbewegung und die vier Geister griffen uns an. Hans schnappte sich Heinrich und hielt ihn fest. Ich pustete einen mit einer Druckwelle um. Hanna dagegen hatte es gleich mit zwei von ihnen zu tun.
„Hört auf“, rief Hans plötzlich, „oder ich werde Heinrich etwas antun.“
Plötzlich hörten alle auf und schauten Hans an.
„Wenn ihr nicht aufgebt, dann ist Heinrich dran“, drohte Hans erneut.
„Das ist mir gleich“, entgegnete ich und hielt meine Hände nach vorne, um zu zeigen, dass ich für einen Angriff bereit war.
Hanna war verwundert: „Du kannst ihn doch nicht…?“
„Doch, kann ich“, unterbrach ich sie, „ich bin nur wegen Peter hier, nicht um euch zu befreien, wenn es keiner will. Ihr könnt euch nur selbst von den Ketten des Malits loslösen.“
In diesem Moment stieß Heinrich Hans weg, sodass dieser nach hinten stolperte. Ich ließ eine Druckwelle los, Heinrich schmiss sich zu Boden und Hans wurde voll getroffen. Es schleuderte ihn mit ganzer Wucht auf den Boden. Die anderen Geister staunten. Sie wichen zur Seite.
„Es tut uns leid“, sagte einer von ihnen, „wir hatten nicht mehr an die Prophezeiung geglaubt nach all den Jahren. Bitte vergebt uns. Wir wollen natürlich frei sein.“
Hans hatte sich wohl verletzt und wurde nun von ihnen festgehalten. Heinrich schwebte zu uns und schaute mich nun mit großen Fragezeichen an.
„Du hättest mich doch nicht wirklich geopfert, oder?“ fragte er.
„Hätte ich nicht“, antwortete ich, „wenn ich nicht gemusst hätte.“
Heinrich verwirrte es noch mehr und er wurde unsicher. Hanna dagegen schaute mich mit bösem Blick an.
„Wie kannst du nur?“ fragte sie mit Entsetzen, „ich dachte du seist aufrichtig.“
„Zum einen bin ich weiterhin so, wie ich immer bin“, entgegnete ich, „und zum anderen, sagt das die Richtige. Uns hierherlocken und dann hintergehen und mir jetzt was vorhalten, wo nichts passiert ist.“
Ich war sauer und das sollte Hanna merken.
„Du hast recht“, sagte sie und überraschte mich, „ich habe riesigen Mist gebaut. Nur werde nicht auch zu einem Mistbauer.“
Darüber musste ich fast lachen- Mistbauer! Und obwohl die Situation nicht ernster ein konnte, lachte ich los. Vielleicht, um meinen Stress der letzten Stunden loszuwerden, ich weiß es nicht. Was ich bemerkte war, dass es mir guttat. Hanna lachte nach anfänglichem Zögern ebenfalls mit, während es Heinrich irritierte.
„Wir müssen weiter“, sagte er nur und unterbrach unseren Lachausbruch.
Damit hatte er natürlich recht. Es machte mir aber auch klar, dass Hanna und ich gut miteinander konnten, auch wenn wir etwas zu klären hatten. Wir gingen weiter und ließen Hans mit den anderen Geistern zurück. Obwohl sie und Unterstützung zugesichert hatten, traute sich keiner, mit uns zu kommen. Einige Geister, die wir trafen, ließen uns gewähren. Mein Eindruck war, als würden die meisten uns dadurch helfen wollen und eine Befreiung wünschen.
Wir durchsuchten den gesamten Schacht nach Peter, aber wurden leider nicht fündig. Dann mussten wir den gesamten Weg wieder zurück. Hans und die anderen konnten wir nicht mehr sehen.
„Wo er wohl ist?“ fragte Hanna an der Stelle, an der wir vorhin waren.
„Vermutlich weggesperrt“, sagte ich.
„Oder es ist eine Falle“, meinte Heinrich, der sich wieder zu Wort meldete.
„Eine Falle?“ fragte ich, denn ich kapierte nicht, weshalb dies eine Falle sein sollte.
„Ich denke, dass die uns alle passieren lassen, ist eine Falle von Malit“, erläuterte er weiter, „denn eigentlich sind etwa die Hälfte trotz der Unterjochung durch Malit gerne hier, weil sie profitieren. Daher fand ich es ungewöhnlich, dass es plötzlich anders sein soll.“
Irgendwie hatte Heinrich recht. Es beschlich mich der Gedanke, eigentlich niemanden trauen zu können. Ob Hanna auch dazu zählte, würde sich noch herausstellen. Aber es lief am Ende auf eines heraus: Ich und Malit würden aufeinandertreffen und das würde schlussendlich zwar auch die Geister von ihren Fesseln befreien, auch wenn das gar nicht jeder wollte und mich zu Peter bringen.
„Eigentlich ist das egal“, sprach ich, „da ich sowieso nicht um Malit herumkommen werde.“
Hanna bekam große Augen.
„Du willst auf ihn treffen?“ fragte sie.
„Nein, ich denke nur, dass es unausweichlich ist“, entgegnete ich.
„Und was machst du dann?“ wollte Heinrich von mir wissen.
„Das beste“, antwortete ich, „aber am Ende will ich Peter retten.“
„Und wenn er nicht zu retten ist?“ bohrte Heinrich weiter und ich hatte den Verdacht, er wüsste etwas.
Am Ende darf mich es nicht mehr überraschen, sind doch Lug und Trug hier weit verbreitet.
„Wie meinst du das?“ war meine Gegenfrage.
„Naja“, begann er zögerlich mit seiner Antwort und verhärtete meinen Verdacht, „was ist, wenn er ihn assimiliert hat?“
Assimi- was?
„Was soll das sein?“ wollte ich erfahren, denn ich konnte mit Begriff nichts anfangen.
„Es bedeutet, dass er Peter auf seine Seite gezogen hat“, antwortete Hanna für Heinrich.
Dann war es nicht das erste Mal, dass jemand in Malits Bann gezogen wurde? Jetzt bekam ich Panik, dass ich meinen Freund nie wieder sehen würde beziehungsweise, dass er mich nicht mehr als ein solchen ansah.
„Kann man etwas dagegen tun?“ fragte ich.
„Nein“, gab Heinrich als knappe Antwort.
„Leider nicht“, meinte auch Hanna.
Damit war mein Unterfangen nahezu sinnlos. Selbst wenn ich ihn aus den Schächten, über die Brücke des Todes, durch das Höhlensystem, aus die Ruine bekam, am Ende sorgte Malits mächtiger Einfluss dafür, dass Peter mir es noch nicht einmal dankte.
In all meinen Gedanken, die mich spekulieren ließen, hatten meine Aufmerksamkeit vernachlässigt, sodass ich nicht bemerkte, dass sich um uns herum eine ganze Menge an Geistern sammelten und uns somit umzingelten.
„Tjalf“, sagte Hanna und ich schaute sie an, „wir bekommen Besuch.“
Ich war erschrocken, wie viele Geister es waren. Schätzungsweise an die fünfzig. Sie stellen sie alle so eng zusammen, sodass wir nicht hindurchkommen sollten. Mir kam der Gedanke, dass Gespenster auch durch alle Materialien hindurchschweben konnten, warum sollte ich nicht also auch durch sie kommen? Ich lief und knallte gegen sie. Wie konnte das sein?
„Du fragst dich sicherlich, weshalb du nicht einfach abhauen kannst?“ fragte eine Stimme und die Reihen lichteten sich für Malit, der sich zu erkennen gab, „na, weil ich es so will.“
Ich stand wieder auf, denn es war fast als knallte ich gegen eine Wand aus Gestein.
„Es ist sinnbildlich für deine Situation, dass du gegen eine Wand aus Geister läufst“, sprach Malit und kam sich dabei so überlegen vor, „denn bei einem Kampf gegen mich hast du einfach keine Chance.“
„Hochmut kommt vor dem Fall“, entgegnete ich und ließ eine Druckwelle auf ihn ab, die nicht die Stärke hatte, wie andere, aber ihn zumindest von den Füssen holen sollte.
„Er hob seinen Stab und wehrte den Angriff mir nichts, dir nichts ab und schmälerte meine Aussichten auf einen Sieg über ihn deutlich. Mittlerweile hatten die Geister eine Art Ring gebildet und somit eine kleine Arena für uns geschaffen.
„Schlaue Sprüche bringen dich weiter“, sagte Malit, „du solltest lieber aufpassen, dass du nicht aus Versehen stirbst.“
In der Zeit, in der er redete, machte ich mir Gedanken, ob ein Feuerball ein entsprechender Angriff war. Ich formte es in meinen Händen und konnte die Hitze spüren. Dann feuerte ich die Kugel ab. Sie war wirklich schnell, aber Malit verschwand einfach und tauchte an anderer Stelle wieder auf, sodass der Feuerball sein Ziel verfehlte.
Stattdessen riss es einige Geister mit und somit ein tiefes Loch in den Kreis. Mich überkam eine Mischung aus Überraschung und Furcht, aber zeitgleich auch eine Möglichkeit der Flucht gefunden zu haben. Ich rannte los, um die Lücke zu erreichen.
„Hierblieben!“ rief Malit und ich merkte, wie mich etwas festhielt.
Als ich es erblicken konnte, stellte ich fest, dass es der Golem war, der mich zu packen hatte.
„Du nicht Malit“, stellte er nun fest, „du mich belogen.“
Dann griff er etwas fest zu, sodass er mir wehtat. Ich stöhnte vor Schmerz und versuchte mich zu befreien, aber gegen die Kraft des Golems hatte ich keine Chance.
„Es bringt nichts“, machte Malit mir klar, „es ist verlorene Müh, sich gegen ihn zu wehren. Er ist stärker als alles, was ich kenne, aber eben auch das dümmste.“
Ich gab auf, mich groß anzustrengen, denn es verursachte nur weitere Schmerzen. Und unter diesen Umständen konnte ich meine Kräfte nicht mobilisieren. Der Golem schleifte mich hinter sich her und schleuderte mich auf eine Art Altar.
„Was wird das?“ fragte ich und merkte, dass ich es mit der Angst zu tun bekam.
„Damit du nicht erneut fliehst“, erklärte Malit und es sollte offenbar ein Witz sein, den ich nicht verstanden hatte.
Der Golem schnallte mich fest, sodass ich mich nicht entfernen konnte. Meine Arme und Beine waren in ihrer Bewegung ebenfalls eingeschränkt. Jetzt konnte ich keine Angriffe tätigen, oder zumindest oberhalb von mir.
„Wie die Fliege bist du mir ins Netzt gegangen“, feierte sich Malit selbst.
Und Überheblichkeit kann leicht dazu führen, dass man Fehler macht, dachte ich mir. Zu Malits Fähigkeiten zählte offenbar nicht das Gedankenlesen oder er täuschte auch dies vor. Aber warum sollte er das?
Natürlich hatte ich Angst, aber was half mir das? Ich hatte es satt, immer wieder einstecken zu müssen. Alle führten mir ein Theaterspiel vor und ich versuchte stets, mich an die Gegebenheiten zu halten. Ich war auch erst neun, wie sollte ich da wissen, wie man sich wie ein Erwachsener verhält, der das Spiel bestens kannte. Meine Eltern konnte ich in diesem Augenblick leider nicht fragen. Selbst wenn sie da wären, dann auch nicht. Also musste ich in die Offensive gehen.
„Noch kannst du aufgeben“, warnte ich ihn, „bevor du nicht mehr zurückkannst.“
Malit fing so laut an zu lachen, dass der Schutzgeist vor der Ruine der Wittorfer Burg es wahrscheinlich gehört hatte. Sein Hochmut war in diesem Moment am deutlichsten zu sehen und eben dadurch auch seine Schwäche.
„Sehr witzig“, sagte er dann und drehte ich um.
„Du willst einfach so von dannen ziehen?“ provozierte ich, „wie ein Feigling, statt allein gegen mich zu kämpfen überlässt du es deinen Dienern.“
Das Artefakt
„Wo gehen wir hin?“ fragte Peter, nachdem er die Zelle verlassen hat, in der sich Tjalf befand.
„Zum Meister“, antwortete der eine Geist.
„Malit?“ fragte Peter nach.
„Ja, wer denn sonst?“ regte es die Wache auf.
Er brauchte Peter nicht führen, denn der ging freiwillig mit. Sie passierten andere Wachposten und durchstreiften gefühlt das halbe Höhlensystem. Am Ende landeten sie an einer Brücke. Malit stand bereits dort und wartete.
„Wo sind wir?“ wollte Peter von der Wache wissen, ehe sie Malit erreichten.
„An der Brücke des Todes“, verriet der Geist.
„Da ist er ja“, begrüßte Malit Peter, „der Verräter.“
„Verräter, wer, ich?“ zeigte sich Peter irritiert, „oder er?“
Die Wache zuckte bei dem Wort „Verräter“ zusammen, denn sie hatte die Befürchtung, dass Malit die nicht ganz so ernst gemeinte Beschuldigung Konsequenzen für ihn haben könnte.
„Nein, ich meine dich“, verriet Malit, „aber ich meine das echt positiv.“
Peter reagierte nicht auf das Gesagte, sondern griff Malit direkt an, indem er auf ihn losschwebte. Der Hexer machte einen Ausfallschritt und Peter ging an ihm vorbei. Dann zückte er seinen Stab und faselte magische Worte, die Peter nicht verstand, aber es sorgte dafür, dass Peter wie gelähmt war.
„Dann hast du kleine Ratte es nur vorgespielt“, sprach Malit und war sauer, aber ein wenig überrascht.
Peter konnte nicht antworten, selbst wenn er das gewollt hätte. Der Zauber machte es unmöglich.
„Hast du ernsthaft gedacht, du könntest mich erledigen?“ wollte Malit erfahren, „wie dumm von dir! Und ich hätte wirklich gute Pläne für dich gehabt.“
Peter fühlte sich schlecht. Nicht nur, dass er Tjalf angelogen hat, um diese Gehirnwäschenummer vorzutäuschen, sondern er hat auch versagt. Eigentlich wollte er sich sogar opfern, um Tjalf zu retten. Eine andere Möglichkeit sah er nicht.
„Für ihn ab“, wies Malit an, „in die Schächte. Er soll kräftig mitanpacken. So kann er mir noch nützlich sein. Wenn er sich weigert, dann bringt ihn um.“
Auf einmal merkte Peter, dass er nicht vollkommen sterben wolle. Tjalf brauchte ihn doch und in Wahrheit brauchte er ihn auch. Es war ein Fehler, sich aus der Zelle nehmen zu lassen, um diesen stumpfsinnigen Plan zu verfolgen, Malit eventuell umzuhauen.
Malit begab sich auf die Brücke und Canis erschien. Er gab ihm etwas, was Peter nicht erkennen konnte und der Höllenhund ließ ihn passieren. Die Wache tat, was ihr aufgetragen wurde. Sie wurde unterstützt von einer zweiten, denn Peter konnte sich nicht von allein fortbewegen. Sie schlappten ihn über die Brücke, indem sie Malit folgten. Hinter dem Eingang zu den Schächten, trennten sich die Wege von Malit und Peter. Die Wachen brachten ihn in den letzten Schacht und ließen ihn liegen.
„Die Lähmung ist bald vorbei“, sagte der Geist und ging.
Peter schaute sich an, wie viele Geister die Gesteine abbauten und dahinter konnte man sehen, dass eine sich dort ein Tor befand. Nach einer Weile kam ein Geist, um Peter zu holen.
„Los, aufstehen“, befahl er.
Peter fühlte nach und er konnte sich tatsächlich bewegen. Sein Blick zu dem Geist und er stand auf.
„An die Arbeit!“ wies der Geist nun an.
„Was ist das hier?“ wollte Peter wissen.
„Nicht fragen, arbeiten“, wiederholte der Geist seine Anweisung, „sonst sollen wir dich beseitigen.“
„Ist ja gut“, versuchte Peter sein Gegenüber zu beruhigen.
Peter sollte vorangehen. Der Geist stieß ihn immer dann an, wenn er die Richtung ändern sollte und so landete er direkt vor dem Tor, das noch zu dreiviertel bedeckt war. Es war sehr groß. Es hätten problemlos Riesen durchgepasst. Peter sollte sich eine Hacke nehmen und mit dem Abbau beginnen.
Peter hatte die Schnauze voll. Er wollte nicht mehr herumgeschubst werden. Er würde sich nicht noch einmal unterjochen lassen, so wie damals bei Larvaster! Es musste also hier und jetzt gestoppt werden.
„Das mache ich nicht“, verweigerte Peter.
Der Geist war mit der Aussage Peters völlig überfordert. Er hatte nie zuvor auch nur mit Widerstand zu tun gehabt und wusste gar nicht so recht wie er damit umzugehen hatte. Klar er musste dafür sorgen, dass Peter spurte und das mit allen Mitteln.
„Du wirst es tun oder ich muss dich töten“, sagte er.
Peter schaute sich um. Niemand hatte es scheinbar mitbekommen, dass er die Arbeit verweigert hatte, also musste er lauter sein.
„NEIN!!!“ brüllte er, so laut wie er konnte, um die Aufmerksamkeit komplett auf sich zu lenken.
Die gesamte Geisterschaft, die sich zu dieser Zeit beim Tor befand hielt inne, denn das Gebrüll war so auffällig, sodass es keiner überhören konnte, auch wenn er es gewollt hätte.
„Was ist hier los?“ wollte ein anderer Geist wissen.
„Nichts“, entgegnete der bei Peter befindende Geist, „du solltest weiterarbeiten oder ich muss es melden und Malit kümmert sich auch noch um dich.“
„Er hat doch nichts verbrochen“, mischte sich ein weiter ein.
Nach und nach kamen alle Geister hinzu und interessierten sich für das Geschehnis. Je mehr dazustießen, desto mehr regte sich der eine Geist auf und drohte allen mit dem Hexer.
„Vielleicht sollten wir ihn festnehmen“, schlug Peter vor, „denn er hat vergessen, wo er herkommt.“
„Hey, du bist jetzt ruhig“, rief der Geist dann, „sonst töte ich dich.“
Dann hielten ihn zwei fest und versuchte, sich zur Wehr zu setzen, aber er konnte sich nicht befreien, ganz gleich wie sehr er sich anstrengte. Eine Unaufmerksamkeit eines der Festnehmer sorgte dafür, dass er sich losreißen konnte, um Peter anzugreifen. Er kam aber nicht weit, denn ein anderer Geist aus der Menge schlug ihn nieder und er fiel zu Boden. Dann löste er sich auf.
„Jetzt stecken wir alle drin“, äußerte einer.
„Und das sollten wir nutzen, um uns zu befreien“, rief Peter auf einmal, „wir sind zusammen eine Einheit, die endlich frei sein kann.“
Ein Raunen ging durch die Reihen.
„Und was ist mit dem Hexer?“ fragte einer, der nicht mal den Namen seines Meisters aussprechen wollte, denn er fürchtete, dass Malit es hören könnte.
„Den erledigt der Lacin“, antwortete Peter.
„Es ist wie in der Prophezeiung!“ rief einer und die anderen jubelten.
„Dann lasst‘ uns losgehen“, sagte Peter, „zu Malit und ihn endlich besiegen.“
Bis auf zwei Geister folgten alle Peter. Es waren schon einige. Sie gingen zunächst in die anderen Schächte und Peter versuchte, sie alle zu überzeugen. Es gelang ihm nicht immer, aber sie waren am Ende bestimmt zwanzig. Es war zwar keine Revolution und doch fühlte es sich ein wenig so an.
Als dann andere hinzukamen, dachte Peter erst, die Geister, die zunächst nicht mitmachen wollen, hätten sich umentschieden, aber er sollte erfahren, dass es einen anderen Grund hatte.
„Wir sollen zu Malit kommen“, verriet einer, „dort will er den Lacin hinrichten.“
Tjalf hinrichten?! Das musste Peter verhindern und er war nicht allein, sodass sein kläglicher Versuch von vorhin sich nicht noch einmal wiederholen würde. So stellten sich die Aufständischen zu den anderen, um zu sehen, dass Tjalf bereits angeschnallt war. Peter musste sich nach vorne schleichen, um es zu erblicken. Er sah dort den Golem, der direkt neben Tjalf stand.
Peter konnte wie auch all die anderen mitbekommen, dass Tjalf ihn herausforderte und ein Gemurmel durchdrang die Reihen. Es waren sowohl welche dabei, die an einen Sieg Malits glaubten. Einige wollten aber auch, dass der Lacin gewinnt. Für Malit wäre es ein Zeichen von Schwäche, eine Herausforderung, gerade eines neunjährigen, ganz gleich ob Lacin oder nicht, auszuschlagen.
„Geister“, forderte Malit sie zur Ruhe auf, indem er ein Handzeichen gab, „ich nehme die Herausforderung an.“
Die Geister jubelten. Jeder hatte ja einen anderen Grund für seine Freude. Am Ende musste Peter sich irgendwie einmischen und die anderen dazu bekommen, dass sie es ihm nachmachten. Hanna und Heinrich wurden weiterhin festgehalten. Peter entdeckte sie erst jetzt.
„Mach‘ ihn los“, befahl Malit dem Golem und er machte, was ihm aufgetragen wurde.
Tjalf erhob sich und stellte sich kampfbereit hin. Er wollte keine Schwäche zeigen, denn dann würde Malit schon deshalb gewinnen. Die anderen Gespenster sollten sehen, was für Erbärmlicher der Hexer war und dass es sich lohnen würde, sich zu wehren.
„Fangen wir an“, sagte Malit und schwang seinen Stab in Tjalfs Richtung.
Tjalf ließ eine Druckwelle ab und Malit stoppte sie. Gleichzeitig kam er näher, denn im Nahkampf würde Tjalf keine Chance gegen ihn haben. Alleine schon wegen der körperlichen Kraft.
Tjalf sah dies und feuerte einige Feuerkugeln ab. Entweder wich Malit aus oder er wehrte sie mit dem Stab gekonnt ab. Hanna haute in diesem Moment dem festhaltenden Geist eine, sodass sie sich losreißen konnte. Schnell lief sie zu Tjalf rüber, der ihr am nächsten war.
Malit war nahe dran, sodass er einen Reflexionsangriff durchführte. Bei diesem spiegelte er quasi den Angriff seines Gegenübers. Tjalfs Feuerkugel prallte ab. Hanna dachte, dass war es für Tjalf und sprang instinktiv dazwischen. Der Feuerball sollte sie vollständig erwischen und sie mitrei0en. Sie ging zu Boden.
„Hanna?!“ rief Heinrich und sank auf die Erde.
Seine geliebte Hanna war gefallen. Er konnte es nicht fassen. Tjalf sah, dass sie sich geopfert hatte und spürte eine immense Energie. Doch bevor er handeln konnte, schlug ihn Malit mit dem Stab ins Gesicht, sodass er bewusstlos wurde.
„Hanna, Hanna, Hanna“, sprach er zu dem Geistermädchen, „all die Müh und dabei sind deine Eltern längst tot.“
„Es reicht!“ brüllte Peter und rannte auf Malit zu.
Dieser schaute kurz und realisierte, dass es Peter war. Der übermütige Geisterjunge, dem es nicht gelingen sollte, Malit auch nur ein Haar zu krümmen.
„Du schon wieder“, sagte er herablassend, „du wirst auch dieses Mal nicht erfolgreich sein. Das bedeutet, ich werde dich jetzt töten müssen.“
Peter blieb stehen. Sein Blick ging zu dem Golem hinüber.
„Hey Golem“, rief er und dieser guckte ihn an.
„Was wollen Geist?“ fragte er.
„Golem“, unterbrach Malit die Situation, „höre nicht auf ihn. Du wirst ihn packen und töten.“
Der Golem schaute traurig. Anscheinend wollte er aber unbedingt wissen, was Peter zu sagen hatte.
„Entscheide selbst“, sagte Peter, „er kommandiert dich nur rum und hält dich für dumm.“
Jetzt war der Golem deprimiert. Seine Gedanken gingen hin und her.
„Golem! Jetzt mach, was ich dir aufgetragen habe!“ brüllte der Hexer.
Tjalf nutzte die Gunst der Stunde und formte einen Druckwellenangriff, da Malit gerade durch den Golem abgelenkt war, und steckte all seine Energie rein. Dann schoss er los in Richtung Malit. Dieser drehte sich und sah die Attacke nun kommen.
„So ein Mist!“ rief er und versuchte auszuweichen, aber der Angriff nahm ihn mit und er wurde nach hinten geschleudert.
„Golem, du kannst jetzt dafür sorgen, dass du dich freimachen kannst von dem Hexer“, rief Peter.
„Golem kann nicht“, entgegnete er, „da Golem Verpflichtung, egal wie schlimm.“
Dann lief er zu Peter rüber. Tjalf wandte sich den beiden zu und ließ eine Feuerkugel ab, die den Golem voll traf. Seine Schulter sprang von seinem Körper ab. Der Golem brüllte und machte eine 180 Grad Drehung um nun zu Tjalf zu gelangen. Peter ließ er in Ruhe.
Malit stand wieder auf. Die Druckwelle heftig. Er hatte jetzt eine Ahnung davon, wie mächtig dieser kleine Junge sein konnte und war nun auf der Hut. Es würde ihm nicht noch einmal passieren, dass er unaufmerksam war. Er hielt kurz sein Amulett und grinste.
„Golem stopp“, rief er und der Golem hielt inne, „ich werde ihn selbst fertig machen. Kümmere du dich um den Geisterjungen.“
Tjalf wollte in diesem Moment erneut angriffen, spürte aber, dass seine Kräfte ihn wieder verließen.
„Du wirst schwächer, hm?“, fragte Malit und man konnte hören, dass er den Grund dafür wusste, „jetzt spürst du meine Macht.“
Tjalf konnte kaum noch auf den Beiden stehen und sackte zusammen. Es war als sauge ihm etwas die Energie aus. War es Malit? Oder dieses mysteriöse Amulett?
„Los, Geister, ihr könnt für eure Freiheit kämpfen“, rief Peter die anderen auf, denn gegen den entgegenkommenden Golem hatte er keine Chance, „wir sind viele und die nur zu Zweit.“
Ehe der Golem den Geisterjungen erreichen konnte, stellten sich Peter einige zur Seite. Das Lehmwesen zeigte sich unbeeindruckt. Es wurde immer mehr, bis etwa die Hälfte dort stand.
„Ihr geht wieder zurück in den Kreis“, wies Malit an, „sonst werde ich euch alle zu Tode quälen.“
Die Geister hörten die Worte und entschieden sich stehenzubleiben, denn es war Zeit für eine Veränderung. Malit sollte nicht mehr über ihr Leben herrschen. Dass sie eine Mini- Chance hatten, sahen sie gerade jetzt. Der Hexer war nicht mehr unbesiegbar in den Augen vieler.
„Das werdet ihr bitter bereuen“, drohte Malit und bewegte sich nun auf die Menge zu.
Um Tjalf brauchte er sich nicht kümmern, der lag völlig erschöpft auf der Erde. Peter wollte gerne zu ihm, aber zwischen ihm und seinem Freund befand sich der Hexer.
„Golem, greife sie alle an!“ brüllte Malit und das Lehmwesen tat dies auch.
„Wehrt euch!“, rief Peter und die Geister traten dem Golem entgegen.
Er schlug zwar mit der Faust einige nieder, aber andere sprangen auf ihn drauf. Er versuchte sie wie Kletten zu entfernen und stolperte und viel zu Boden. Dabei teilte er sich und konnte niemandem mehr etwas antun. Malit, der auf dem Weg zu ihnen war, stoppte und konnte kaum glauben, was er sah. Sie hatten es tatsächlich vollbracht, den Golem zu besiegen. Nun war der Zeitpunkt gekommen, dass die Geister wirklich das Gefühl hatten, den Hexer zu besiegen.
„Und jetzt bist du dran!“ hörte man Peter rufen und sie stürmten in Malits Richtung.
Mittels des Stabs konnte er einige abwehren, aber er merkte, dass sie wie Ameisen waren, die einen übergroßen Gegner zusammen erlegten. Er verschwand und tauchte an Tjalfs Stelle wieder auf.
„Er ist da hinten“, sagte einer der Geister und die Menge machte sich auf, „er benutzt seinen Verschwinde- Zauber.“
Malit merkte, dass er sich beeilen musste und packte Tjalf. Zusammen verschwanden sie aus dem Schacht zum nächsten, indem sie tatsächlich niemand mehr befand. Kein Geist baute gerade Gestein ab.
„Es muss auch so funktionieren“, murmelte der Hexer.
In dem anderen Schacht, der voller Geister war, konnte Peter endlich zu Hanna gehen, um zu schauen, ob sie tot war, denn das war seine größte Angst. Irgendwie hat er sie liebgewonnen nach all der Zeit und schließlich hat sie versucht, seinen Freund zu retten. Hanna war nicht tot, denn sonst würde sie sich auflösen. Allerdings war sie noch nicht über den Berg und könnte ihren Verletzungen erlegen.
„Ich bleibe bei ihr“, sagte Heinrich, „haltet ihr Malit auf.“
„Gut“, sprach Peter, „wir machen ihn kalt für all das, was er getan hat.“
Malit legte Tjalf auf den Boden und sprach eine Zauberformel, die Tjalf nicht verstehen konnte. War das Latein? Am Ende berührte er mit seiner Hand den Torso des Jungen und die Energie wollte wie in einer geschüttelten Mineralwasserflasche, die man gerade öffnen wollte, einfach herausschießen, aber im letzten Moment stoppte der Hexer diesen Vorgang.
„Warum machst du das?“ fragte Tjalf mit schwacher Stimme.
„Nun, ich möchte in die Geisterwelt und du bist mein Schlüssel“, antwortete Malit.
Das war also die ganze Zeit der Plan! Tjalf hätte es wissen müssen, aber wie? Malit schickte Hanna, damit er in die Ruine ging, durch das Höhlensystem, über die Todesbrücke zu den Schächten, damit Malit in die Geisterwelt konnte.
„Und woher weißt du das?“ wollte Tjalf wissen und die Worte waren schwer zu sprechen.
„Ich hatte deine Energie wahrgenommen und konnte natürlich nicht einfach rausgehen, um dich zu fangen“, verriet Malit, „denn ich bin mit diesem Ort verbunden.“
Er ist Gefangener seines eigenen Reiches?
„Siehst du das Amulett? Hier befindet sich ein Artefakt, welches mir viel Macht verleiht, allerdings verlangt es, dass ich das umsetze, was es will“, erklärte der Hexer.
Was es will? War das Artefakt ein Wesen? Es war doch nur ein in ein Amulett eingefasster Stein.
„Wir müssen weiter“, sagte Malit, „dieses ist nicht das Tor zur Geisterwelt.“
Dann verschwanden sie wieder, um zum nächsten zu gelangen. Dort wiederholte Malit die Prozedur. Währenddessen stürmte die Geisterhorde in einen anderen Schacht.
„Was will das Ding denn aus der Geisterwelt?“ fragte Tjalf.
„Das weiß ich nicht“, antwortete er, „aber ich werde die Macht unendlicher Kraft erhalten. Dann kann mich niemand mehr besiegen.“
„Das werde ich verhindern“, sprach Tjalf.
„Du wirst gar nichts mehr“, entgegnete Malit, „du kannst froh sein, wenn du das ganze hier überlebst.“
Wieder murmelte der Hexer einige Worte und es tat sich nichts, außer das Tjalf erneut spürte, wie sich Energie in ihm sammelte.
„Verdammt!“ regte der Hexer sich auf, „es klappt wieder nicht. Dann muss es eines der drei übrigen sein. Wir müssen weiter.“
Zur gleichen Zeit stellten die Geister fest, dass sich keine Malit in dem Schacht befand, indem sie sich aufhielten.
„Wir sollten uns aufteilen“, schlug einer der Geister vor.
„Das wäre dämlich“, widersprach Peter, „denn wir haben nur gemeinsam eine Chance gegen den Hexer.“
Die restlichen Geister stimmten ihm zu, bis auf einen. Es war Hans.
„Ihr werdet alle sterben“, warnte er, „und am Ende unendliche Qualen erleiden.“
Aber niemand hörte auf ihn und sie schritten weiter voran zum nächsten Schacht. Hans merkte, dass er nu ganz alleine war. Malit und Tjalf tauchten im dritten Schacht auf. Tjalf hatte große Schwierigkeiten, um sich wach zu halten, denn dieser Energieraub hinterließ seinen Preis.
„Du bleibst wach“, sagte Malit mit deutlicher Stimme, „schlafend bringst du mir nichts. Ich müsse sonst du anderen Mitteln greifen.“
Dann hielt er Tjalf die Hand auf die Brust und faselte erneut die Zauberformel und die Energie strömte aus dem Jungen in Richtung Tor.
„Da ist es“, freute es Malit und er strahlte wie ein kleiner Junge.
Das begann blau zu leichtend und man erkannte nun, dass sie Schriften zeigten, die sich alle erhellten. Im nächsten Moment konnte Tjalf erkennen, dass einige Geister in den Schacht strömten, ehe er seine Augen schloss.
„Da ist er!“ riefen sie und Malit nahm seinen Stab.
„Bleibt zurück oder ich bin gezwungen, euch alle zu töten“, warnte der Hexer.
Doch sie blieben nicht stehen, sondern gingen einer nach dem anderen weiter. Malit überraschte dieses Verhalten, kannte er es doch bisher nicht von seinen Geistersklaven. Aber es versetzte ihn nicht in Panik. Er wusste, dass er der mächtige war und am Ende die Ameisen, seien sie in der Überzahl, auch nicht jeden Gegner niederstrecken können.
„Eure letzte Chance“, rief er und holte mit seinem Stab aus.
Trotz großer Angst machten die Geister weiter. Einige waren weit vorne, andere eher hinten. Dennoch machten sich alle auf den Weg zum Hexer, um ihn aktiv zu bekämpfen. Malit erkannte dies und schlug den Stab mit voller Wucht auf den Boden. Es erzeugte eine ähnliche Druckwelle, wie bei Tjalfs Angriffen. Die Geister wurden allesamt von ihr mitgerissen. Manch einen verletzte es, andere hingegen blieben schadlos und versuchten erneut, den Hexer anzugreifen.
Hinter Malit öffnete sich langsam das Tor und er konnte es erkennen. Es wurde auch höchste Zeit, dachte er sich und packte Tjalf, denn er brauchte ihn, um hineinzugelangen. Eigentlich konnte kein sterblicher in die Geisterwelt, wenn er nicht gerade übersinnliche Kräfte besaß.
Die Geister konnten selbstverständlich in die Geisterwelt, nur war dort noch keiner von ihnen und gerade, wenn sie dort gewesen sind, dann wollten die meisten nicht wieder an so einen schrecklichen Ort. Nur Gespenster mit einem bösartigen Wesen fühlten sich in der Welt wohl.
Nun musste alles sehr schnell gehen, denn die meisten Geister hatten sich von der Verteidigung erholt und wollten wiederkommen, um Malit aufzuhalten. Malit griff nach Tjalf und ließ sich nahe genug an das Tor teleportieren, ehe er mit Tjalf einen Schritt in das Tor machte. Die Geister folgten ihm nicht, denn keiner war mutig genug, sich in die Geisterwelt zu begeben.
„Nein!“ brüllte Peter, dem es ebenfalls nicht gelungen war, rasch an der Stelle zu sein, wo Malit mit Tjalf war.
Es war ihm einfach nicht möglich, denn er beherrschte das Teleportieren nicht. Er konnte nur mit aller Kraft schweben, aber das wirkte wie ein Rennen gegen einen Porsche- man konnte nur verlieren.
„Was machen wir nun?“ fragte ein Gespenstermädchen.
„Ihm folgen“, sagte Peter, obwohl er größte Furcht vor dieser Welt hatte.
„Nein, das mache ich nicht“, widersprach sie und andere nickten oder stimmten ihr mit einem „genau“ oder „sie hat recht“ zu.
„Und was sollen wir machen? Hier rumstehen und nichts tun?“ fragte Peter.
„Eigentlich ganz einfach“, entgegnete ein anderer Geist, „wir gehen. Malit ist nun weg und kommt nicht wieder. Dein Freund hat uns so gesehen gerettet, da er sich geopfert hat. Ich danke ihn dafür, aber verlasse nun diesen schrecklichen Ort.“
Er drehte sich um und wollte abziehen. Einige stimmten ihm zu und machten sich ebenfalls auf den Weg, als Peter etwas einfiel.
„Wie wollt ihr an Canis vorbeikommen?“ fragte er.
„Canis?“ stellte einer als Gegenfrage, denn er kannte diesen Namen wohl nicht.
„Na, der Wachhund an der Brücke des Todes“, erläuterte Peter.
Manche Geister zuckten zusammen. Man stelle sich mal vor, Geister hatten Angst. Wenn dies der Fall war, da war es richtig übel.
„Da kommen wir schon rüber“, zeigte sich einer zuversichtlich, „wir haben Malit vertrieben, dann wird der Höllenhund uns schon gehen lassen. Wir wollen ja nicht in die Geisterwelt, sondern nur weg von hier.“
Die Menge war sich einig, denn immerhin haben sie den großen Hexer besiegt, das beschwingt schon mal und veranlasste sie, dass sie die neue Gefahr durch Canis nicht wahrnahmen oder auch eben nicht wahrhaben wollten. So oder so entschlossen sich die Gespenster, von dannen zu ziehen. Freiheit bedeutet halt nicht immer, die richtige Entscheidung zu treffen, sondern überhaupt eine treffen zu dürfen.
Peter ließ sie gehen, denn es hatte keinen Zweck, sie aufhalten zu wollen oder ihnen womöglich entgegenzutreten. Peter war damals auch froh, Larvaster hinter sich lassen zu können. Er wäre auch geflohen, wenn es weitere Gefahren gegeben hätte. Peter konnte nachfühlen wie es in ihnen aussah.
Nach einer Weile stand er allein vor diesem riesigen Tor. Ruhe war eingekehrt und er überlegte, ob er nun als einiger in das Geistertor sollte, um seinen Freund zu retten. Dafür musste er seine Angst überwinden, was ihm ehrlicherweise schwerfiel.
Die Entstehung der Geisterbande
Kurz bevor Peter den ersten Schritt in die altbekannte Welt der Geister machen wollte, hielt ihn ein Rufen aus der Ferne davon ab.
„Peter!“ hörte er und konnte die Stimme zunächst nicht zuordnen.
Wer war es? Peter hielt inne, denn es könnte ja auch eine Falle. Wäre an diesem Ort nicht weiter verwunderlich. Einige Sekunden später war er erleichtert, denn er wusste nun, wer es war.
„Heinrich“, strahlte er, „und Hanna?!“
Peter war erstaunt. Lag das Geistermädchen einige Momente zuvor noch regungslos am Boden und war dem Tode nah. Nun stand sie vor ihm, lebendig, wie ein Geist lebendig sein konnte. Angeschlagen war sie, keine Frage und doch strotzte sie vor Kraft.
„Du lebst“, begrüßte Peter sie und umarmte sie.
Hanna war über einen derartig übertriebenen Gefühlsausbruchs Peters irritiert. Er war ja sonst nicht so. Hatte die Gehirnwäsche ihr übriges getan?
„Was ist los mit dir?“ fragte sie und stieß Peter leicht von sich, „hat Malit dich noch unter Kontrolle?
„Hatte er nie“, teilte Peter mit, „und ich bin halt froh, dich zu sehen. Ich meine, du hast versucht, Tjalf zu retten, hättest dich fast geopfert.“
„Ist ja gut“, sagte Hanna und lachte, „sonst werde ich noch rot.“
„Sie ist zäh, dieses Mädchen“, sprach Heinrich und man merkte, wie stolz er auf Hanna war.
Und wahrscheinlich noch mehr verliebt in sie als sowieso schon. Peter dagegen mochte sie, mehr aber auch nicht.
„Wo sind die anderen?“ fragte Heinrich dann.
„Alle weg“, antwortete Peter, „nachdem Malit und Tjalf in die Geisterwelt sind. Sie wählen die Freiheit und wollten nicht mehr mit in die Geisterwelt.“
Jetzt erst sahen die beiden anderen das Tor. Sie waren halt vorher abgelenkt und hatten es nicht weiter beachtet. Jetzt hatte das Tor sie komplett in seinen Bann.
„Handelt es sich um das Tor zur Geisterwelt?“ wollte Heinrich wissen.
„Ja“, antwortete Peter kurz und knapp.
„Müssen wir da rein?“ fragte Hanna.
„Sonst bekommen wir Tjalf nicht zurück“, erklärte Peter, „und seien wir mal ehrlich, wir schulden ihm alle was.“
„Ja, ich weiß“, machte Hanan deutlich, „ohne mich wäre er nicht in diesem Schlamassel. Ich helfe ihm.“
„So Hanna hingeht, führt auch mein Weg hin“, sprach Heinrich.
„Mich braucht ihr nicht zu fragen“, sagte Peter, „ich wollte schon gehen, wenn ich nicht so einen Respekt hätte. Immerhin war ich schon mal in der Geisterwelt.“
„Bist du ein wahrer Geist?“ wollte Heinrich erfahren.
„Nein, natürlich nicht“, entgegnete Peter, „ich wurde dorthin entführt.“
„…von Larvaster, dem Poltergeist?“ fragte Hanna.
Peter zuckte zusammen. Es lief ihm ein kalter Schauder über den Rücken. Die Erinnerung an dem Poltergeist waren zwischenzeitlich blasser geworden, doch nun waren sie alle wieder aktiv.
„Wer ist Larvaker?“ wollte Heinrich nun wissen.
„Er heißt Larvaster und es ist ein ganz sensibles Thema“, antwortete Hanna für Peter.
„Mein Schöpfer“, verriet Peter nur, „aber das erkläre ich dir ein anderes Mal. Jetzt lasst uns Tjalf retten, sonst kommen wir noch zu spät.“
Als erstes passierte Peter das Tor. Es hatte eine Art glänzende Wand. Es fühlte sich merkwürdig an, als ob ein leichter Stromschlag einen durchzog. Peter hielt zuerst die Hand hinein und ließ seinen Körper langsam hineingleiten. Er hatte ein wenig Angst, Malit könnte auf der anderen Seite bereits warten. Dann war er völlig verschwunden. Als hätte ihn die Wand verschluckt.
„Hoffentlich geht das gut“, sagte Heinrich, der als nächstes gehen wollte.
„Das wird schon“, versuchte das Geistermädchen ihn zu ermutigen.
Heinrichs Hand war ebenfalls das erste, was durch das Tor bewegt wurde. Er machte deutlich, dass es sich anders anfühlte, als alles, was er zuvor gespürt hatte.
„Komisches Gefühl“, sagte er und tauchte sein Kopf hinein.
Der Rest seines Körpers kam danach und er war auch verschwunden. Nun war Hanna allein. Sie schaute sich noch einmal um, da sie sich nicht sicher war, ob sie jemals wieder zurückkommen würde. Dann nahm sie Anlauf und rannte in das Tor.
Auf der anderen Seite war es dunkel und sehr ruhig. Als wenn gleich etwas Schreckliches geschehen würde. Hanna war wieder allein. Sie sah die beiden anderen nicht. Als sie hinter sich blickte, konnte sie dasselbe Tor sehen, nur von der anderen Seite. Wie eine negative Gegenwelt, dachte Hanna sich.
„Hanna?“ fragte eine Stimme und entpuppte sich als Heinrichs.
Auch Peter kam hinzu und die drei waren wieder zusammen.
„Alles gut bei euch?“ erkundigte Peter sich bei den beiden.
„Ja, aber es ist irgendwie…“, antwortete Hanna.
„…merkwürdig?“ ergänzte Peter.
„Ja“.
„Wo sollen wir suchen?“ fragte Heinrich.
„Es gibt keine Karte, wenn du das wissen willst“, antwortete Peter, „aber die Geisterwelt ist eine wandelnde Welt und hat ihre eigenen Gesetze. Am Ende werden wir Malit finden.“
„Da überlässt du uns aber dem Schicksal“, zeigte ich Heinrich besorgt, „das hättest du mal vorhersagen können.“
„Glaube mir, wir finden Malit und Tjalf“, war Peter zuversichtlich, „ich habe hier Jahrzehnte verbracht.“
Sie befanden sich in einer Höhle, die am Ende eine Tür aufwies. Es waren Ähnlichkeiten zu der Menschenwelt zu erkennen, aber eben mit Tür. Dahinter wüsste keiner, was kommen konnte. Peter machte sich auf, Hanna folgte ihm und etwas dahinter befand sich Heinrich.
„Was ist das?“ fragte Heinrich auf einmal und versetzte die anderen beiden in Schrecken.
„Wo?“ wollte Peter wissen und sah am Tor ein Wesen, dass er sofort erkennen konnte, „schnell, wir müssen raus hier!“
Aber es war zu spät. Am anderen Ende befand sich ein zweiter Seelenfresser. Sie hatten wie die Spinnen darauf gewartet, dass sich eine Fliege sich in ihrem Netz verfing.
„Was sind das für Wesen?“ fragte Hanna und ihre Angst konnte man deutlich wahrnehmen.
„Seelenfresser“, antwortete Peter, „eigentlich ungefährlich für uns, da wir keine Seele besitzen, aber sie vergreifen sich auch an Geister, wenn es nichts anderes gibt.“
„Sie fressen uns?“ fragte Heinrich mit panischer Stimme, denn er wollte noch nicht draufgehen.
„Sie fressen alles“, antwortete Peter und machte seinem Geisterkumpel nicht gerade Mut damit.
„Und kann man sie bekämpfen?“ erkundigte sich Hanna.
„Bestimmt, nur weiß ich nicht wie das geht“, antwortete Peter ehrlich und nahm ihnen damit den restlichen Mut, der übrig war, „wir sollten versuchen, zu fliehen, solange wir noch können.“
„Mh, lecker“, brummte der Seelenfresser an der Tür.
„Die können reden?“ wunderte es Hanna, denn sie dachte, dass diese Geisterart wie Tiere waren und die sprachen bekanntermaßen auch nicht- sie gaben höchstens Laute von sich.
„Sie sind Seelenfresser, ebenfalls mal Menschen gewesen, aber der Hunger nach einer Seele hat sie zu dem gemacht, was sie nun sind“, erklärte Peter.
„Hunger nach Seelen?“ fragte Heinrich, „heißt das, wir essen Seelen?“
„Aber ich hatte nie Hunger“, teilte Hanna mit, „ich dachte, es wäre einer der Vorzüge, die ich als Geist hätte.“
„Das heißt, du hast knapp vierhundert Jahre nichts gegessen?“ fragte Peter.
„Nee, nicht wirklich“, antwortete Hanna.
„Dann wird es höchste Zeit!“ rief Peter, „sonst wirst zu einem von ihnen.“
„Woran merke ich das?“ wollte Hanna wissen.
„Ehrlich gesagt, das weiß ich nicht“, erklärte Peter, „sonst hätte ich es dir längst mitgeteilt.“
Heinrich piepte kurz, sodass die beiden wieder im Hier und Jetzt waren. Beide Seelenfresser kamen immer näher.
„Wir sollten zur Tür laufen“, schlug Peter vor, „und ihnen geschickt ausweichen, was anderes fällt mir nicht ein. Bekämpfen können wir sie nicht. Das wäre eine dumme Idee.“
„Dann jetzt“, sagte Heinrich und schwebte in Richtung Tür.
Peter und Hanna folgten ihm. Heinrich war ein schneller Junge, aber der Seelenfresser hatte eine Ahnung, dass sie zur Tür wollten und schnitt ihm den Weg ab. Heinrich stoppte als der Seelenfresser direkt vor ihm stand. Noch ehe Hanna und Peter eingreifen konnten, packte der Seelenfresser Heinrich und riss ein Teil von ihm an.
Heinrich schrie wie am Spieß. Der Seelenfresser saugte das Stück von Heinrich durch die Nase in sich hinein. Dann machte er weiter. Heinrich konnte sich nicht wehren, denn es handelte sich beim nächsten Stück um seinen Kopf.
„Heinrich, nein!“ schrie Hanna und merkte wie wütend sie auf diese Monster war.
Der Kopf war ebenfalls verschlungen, als der Rest sich auflöste. Heinrich war getötet worden. Der Seelenfresser drehte sich nun zu den beiden um.
„Schade, andere Geister lösen sich immer so schnell auf“, sprach er, „und stellen sich als schnelllebige Küche heraus.“
„Ich will auch“, rief der andere und Peter, wie auch Hanna befanden sich nun wieder in der Mitte der Seelenfresser.
„Du sollst noch zu deinem Genuss kommen“, sagte der andere, „ich sehe, wir haben hier einen älteren Jahrgang- besonders deliziös.“
„Ihr werdet uns nicht kriegen“, machte Peter deutlich und stellte sich vor Hanna.
Hanna dagegen sagte nichts. Sie spürte plötzlich einen riesigen, unstillbaren Hunger, der nur schwer zu kontrollieren war. Die Wut war wie ein Multiplikator für einen unendlichen Durst nach…. Seelen!
„Haaaa!“ brüllte Hanna und merkte, wie sie sich verwandelte.
Sie hätte sich gerne gewehrt, aber konnte es nicht, denn ihre Wut auf die beiden Seelenfresser war enorm. Sie hatten immerhin einen ihrer besten Freunde ermordet. Peter drehte sich während des Brüllens zu ihr und sah ihre Metamorphose.
Ach du scheiße! Dachte er sich und wich zurück.
Zu weit konnte er nicht gehen, denn da wartete schon der andere Seelenfresser. Die beiden warteten ab, denn mit einer Frischverwandlung legte man sich nicht an. Die waren zu ihrem eigenen Schutz richtig stark. Vielleicht überließen sie Peter dem neuen Seelenfresser. Es dauerte nicht lange, ehe Hanna in anderer Gestalt, etwas größer und sehr hässlich, dastand und tief durchatmete. Als wenn eine alte Dame Asthma hätte.
„Jetzt seid ihr fällig“, rief sie.
„Willst du nicht erstmal ihn da fressen?“ fragte der andere.
„Der kann warten, da er sowieso nicht überleben wird“, antwortete sie und raste zu dem, der in Richtung Tür war.
Sie riss ihm den Kopf ab. Einfach so, ohne langes Zögern. Er konnte sich gar nicht wehren, obwohl er es gewollt hätte. Dann löste er sich auf. Der andere beobachtete dies und war nun auf der Hut.
„Mich kriegst du nicht so leicht“, warnte er, „ich bin der ältere und mächtigere von uns beiden gewesen.“
„Das…ist…mir…voll…egal…“, sagte sie mit deutlicher und harter Stimme.
Dann lief es wahnsinnig rasant ab. Hanna schwebte in einem Eiltempo zu dem Seelenfresser. Sie versuchten sich gegenseitig zu treffen. Jeder verfehlte einmal sein Ziel. Der andere Seelenfresser konnte Hanna zu Fall bringen, aber sie verletzte sich nicht sonderlich. Noch als er dachte, der Sieg sein seiner, rammte Hanna ihm ihren kompletten Arm einmal durch den Hals, sodass der Kopf abfiel.
Ein Schrei füllte den Raum und den Kopf fiel zu Boden. Zum einen eine Erleichterung, zum anderen roch Peter die Gefahr, die sich nun für ihn abzeichnete. Schnell versuchte er zu fliehen, um diese blöde Tür zu erreichen, aber Hanna war vor ihm dort und wartete.
„Hanna, warte doch, ich bin es, Peter“, sagte er vor lauter Verzweiflung, denn er wollte so nicht sterben, „du warst wütend auf die beiden, weil sie Heinrich umgebracht haben, aber ich hatte damit nichts zu tun.“
Hanna schaute auf den Punkt, wo zuvor Heinrich von dem einen Seelenfresser sein Leben ließ. Dann ging ihr Blick zurück auf den Geisterjungen.
„Ich… kämpfe… gegenan“, sprach sie, „… aber… so… schwer… HUNGER!“
„Bitte friss mich nicht“, flehte Peter, der zunehmend glaubte, dass sein Ende beinahe gekommen war.
Hanna warf sich zur Seite und rollte sich. Es sah für Peter aus, als kämpfe sie gegen sich selbst. Wer würde die Oberhand gewinnen? Peter hoffte so sehr, dass es Hanna, das Geistermädchen war und nicht Hanna, die Seelenfresserin. Dann plötzlich fiel sie um.
„Hanna, ist alles in Ordnung?“ fragte Peter und schielte in Richtung Tür, denn dies war seine Gelegenheit, um aus diesem Raum zu fliehen.
Sie öffnete überraschend die Augen und schaute in direkt an. Peter bildete sich ein, dass sie der alten Hanna wieder ähnlich sah. All das Seelenfresserische war irgendwie verschwunden. Dennoch war er auf der Hut.
„Ja, es geht mir erstaunlicherweise gut“, antwortete sie und versuchte aufzustehen, was ihr nach mehreren Versuchen auch gelang.
„Und du hast keinen Hunger mehr?“ wollte Peter wissen, denn er traute dem Braten nicht.
„Schon, aber ich kann es kontrollieren“, antwortete sie und Peter hoffte so sehr, dass sie es kontrollieren konnte.
„Bist du denn nun eine Seelenfresserin?“ fragt er.
„Ich weiß es nicht“, teilte die mit, „ganz gleich, was ich bin, ich werde dir nichts tun.“
Und auch wenn Peter ihren Worten Glauben schenken wollte, musste er sich an die neue Hanna erst noch gewöhnen. Er merkte, dass er sie ungerne hinter sich stehen lassen wollte. Nur falls sie sich erneut verwandeln sollte.
„Wir sollten durch die Tür und Tjalf suchen“, sagte Hanna, „denn wir haben durch diese Aktion Zeit verloren.“
Sie wirkte entschlossener und weniger ängstlich. Einerseits gefiel es Peter. Andererseits machte es ihm Sorgen, denn möglicherweise war die Entschlossenheit der Seelenfresser in ihr.
„Nach dir“, sagte Peter und folgte Hanna bis zur Tür, die sie dann aufmachte.
Dahinter war ein altes Dorf, etwa aus dem Jahrhundert, aus dem Hanna stammte. Sofort wurden Erinnerungen in Hanna wach. Für sie war es ein einzigartiges und zugleich gruseliges Gefühl. Peter dagegen kannte die Geisterwelt und wusste, dass sie wie ein Wesen war, welches dynamisch war. Es lebte quasi von Veränderungen. In dieser Weise unterschied es sich nicht von der Menschenwelt.
„Ich weiß, wo Tjalf ist“, sagte Hanna auf einmal und unterbrach Peters Gedanken.
„Wie? Wo?“, stammelte er.
„Ich kann ihn riechen“, verriet sie.
„Aber du willst ihn nicht fressen, oder?“ fragte Peter und klang dabei sehr besorgt.
„Ich denke nicht“, antwortete sie.
Diese Aussage beruhigte Peter nicht unbedingt. Er würde ein Auge sie haben müssen, wenngleich er keine Chance gegen sie hatte, wenn sie erneut zur Seelenfresserin werden würde.
„Folge mir“, sprach sie und bog links ab.
Peter schwebte hinterher. Sie waren nun auf der Straße in diesem alten Dorf. Angrenzend war dort ein Marktplatz, ganz so wie Hanna es kannte. Sonst war da niemand oder zumindest nahm Peter kein anderes Wesen war, Sicher war er sich nicht, aber zur Not würde Hanna es sonst riechen.
„Sie sind in der Kirche“, war sich Hanna sicher und wie ein Spürhund zeigte ihr gesamter Körper in die Richtung.
Zum Aufspüren von Beute waren die Fertigkeiten eines Seelenfressers offenbar ganz gut. Aber Peter verließ sich nicht darauf.
„Ich nehme nichts war“, sagte er nur.
„Ist schon in Ordnung“, sprach sie.
„Was?“ fragte er.
„Dass du Angst hast“, ergänzte Hanna, „ich habe sogar vor mir selbst ein wenig Furcht. Aber es hilft jetzt nichts, wenn wir nicht zusammenarbeiten. Am Ende müssen wir Malit bekämpfen, da brauche ich dich- da braucht Tjalf dich.“
Da hatte sie irgendwo recht. Peter musste sich darauf verlassen, dass Hanna sich an ihr Wort hielt. Sie hätte ihn schon verspeisen können, wenn sie gewollt hätte!
„Gut, dann machen wir weiter“, sagte Peter, „also in die Kirche?“
„Ja, und zwar durch den unterirdischen Gang“, schlug Hanna vor.
„Hast du das erschnüffelt?“ wollte Peter wissen und zeigte sich beeindruckt.
„Nein, dass kann ich sehen. Da vorne ist ein Eingang, der in einen Keller oder sowas führen muss“, verriet sie.
Peter nahm es ebenfalls wahr. Sie schwebten beide dorthin und gingen nach unten. Der Eingang war durch eine Tür verschlossen.
„Im ernst?“ regte sich Hanna auf, „in der Geisterwelt gibt es verschlossene Türen? Warum?“
„Keine Ahnung“, antwortete der Geisterjunge, „dann müssen wir einen anderen Weg hineinfinden. Einen Schlüssel gibt es mit Sicherheit nicht.“
„Hintereingang?“ fragte sie und hielt sich mit ihren Worten ungewöhnlich kurz.
„Ja“, gab es eine knappe Zustimmung durch Peter.
Sie machten sich auf, um auf die andere Seite der Kirche zu gelangen. Dort befand sich der Hintereingang, der ebenso verschlossen war.
„Das ist doch eine Verarschung“, ärgerte es Hanna und sie benutzte dabei ungewöhnlich harte Worte, um dies auszudrücken.
„Durch ein Fenster?“ fragte Peter.
„Dann können wir auch gleich durch die Fronttür hereinspazieren“, entgegnete Hanna und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augenbrauen, „das ist Malit. Er muss es versiegelt haben, damit wir keine andere Wahl haben, als durch den Vordereingang reinzugehen.“
„Dann sollten wir es tun“, sprach Peter, „denn auf eine andere Art kommen wir nicht an Tjalf heran.“
Hanna passte es nicht, dass der Plan nicht so funktionieren wollte, wie sie sich das ausgedacht hatte. Es machte sie wütend und sie musste sich in diesem Moment echt beherrschen, um nicht erneut zur Seelenfresserin zu werden. Peter ahnte es, aber sie tat so als würde nichts sein.
„Dann durch die Vordertür“, stimmte sie zu.
Hanna ging als erstes durch und konnte Malit wie auch Tjalf sehen. Hinter ihr platzierte sich Peter. Malit hatte Tjalf auf einen Altar festgeschnallt und murmelte wieder irgendwelche Formeln, ehe er unterbrochen wurde.
„Hanna?“, zeigte er sich überrascht, „du hast tatsächlich überlebt und traust dich nun in die Geisterwelt? Willst du dich mir wieder anschließen?“
„Nein, dich töten“, entgegnete sie.
„Schlagfertig bist du, das muss ich dir lassen. Warst du schon immer“, sprach Malit und setzte sein Ritual nicht fort.
Dann entdeckte er Peter. Malits Blick schweifte zum Eingang der Kirche und zurück. Dann schaute er verdutzt, aber zugleich auch erleichtert.
„Mehr kommen nicht? Ihr seid zu zweit?“ fragt er und konnte sich das Grinsen nicht verkneifen.
„Es reicht, um dich auszuschalten“, machte Hanna klar und Malit konnte eine Veränderung vernehmen, er wusste eben nicht, was es war.
„Du solltest dich hüten“, warnte er, „ich werde euch beide töten. Für dich Hanna besteht nur noch ein letztes Angebot. Schließe sich an oder verrecke. Deine Eltern bringt es nicht zurück- sie sind längst tot.“
Das war zu viel! Hannas Wut stieg ins Unermessliche. Sie hatte seit dem letzten Angriff durch den Hexenmeister nicht mehr daran gedacht. Aber in diesen Moment kam alles zurück. Die Verwandlung in eine Seelenfresserin konnte sie nicht mehr aufhalten- sie wollte es auch nicht. Sie ließ sich komplett darin fallen.
„Was wird das?“ fragte Malit und zog seinen Stab.
Er hatte noch nie zuvor so eine Kreatur gesehen und gleichzeitig fragt er sich, warum er es all die Jahre übersehen hatte.
„So eröffnen sich neue Möglichkeiten“, sagte er, „wir können zusammen herrschen. Ich der Kopf und du die Kraft.“
„Vergiss es!“ brüllte Hanna, „ich werde deine Seele verschlingen und es genießen.“
Malit machte sich zum Kampf bereit. Genau in diesem Augenblick erwachte Tjalf, denn die Kontrolle von Malit ließ nach. Der Hexer benötigte seine ganze Kraft bei sich, um sich verteidigen zu können.
Was Tjalf sah, erschrak ihn. War das Hanna oder eine Mischung aus einem Monster und Hanna? Im jeden Fall ein Seelenfresser! Dann sah er Peter und dieser sah gerade zu ihm rüber. Mit einer Handbewegung machte er ihm klar, dass er kommen sollte. Peter schlich sich hin, ohne dass die beiden ihn bemerkten.
„Peter, da bist du ja. Du scheinst wieder der alte zu sein. Was ist denn alles passiert, wo sind wir?“
„Ich mache dich erstmal los“, versuchte Peter Tjalf zu beruhigen, „und dann erklär ich es dir.“
„Erzähle es mir“, verlangte Tjalf, „ich muss es wissen.“
„Gut, gut“, berichtete Peter, „Malit hat dich in die Geisterwelt mitgenommen. Offenbar brauchte er dich. Hanna ist jetzt eine Seelenfresserin und kämpft gegen Malit.“
„Dann ist sie verloren“, sagte Tjalf.
„Irgendwie nicht. Es klingt merkwürdig, aber ohne Hanna, die Seelenfresserin hätte ich dich gar nicht gefunden“, teilte Peter mit, „sie kann sich zurückverwandeln.“
Tjalf war überrascht über diese Information. Ein Seelenfresser, der sich zusammenreißen konnte? Wollte er es glauben? Oder war es ein Trick, wie schon in der Vergangenheit. Peter jedenfalls schien zu glauben, dann wollte Tjalf es ihm gleichtun.
„So, jetzt habe ich dich losgelöst“, sagte Peter und Tjalf sprang mit einem Satz auf.
„Bist du wieder genesen?“ fragte Peter, „so schnell?“
„Ich weiß auch nicht, aber es ist wie ein Turboboost“, antwortete Tjalf.
„wie was?“ wollte Peter wissen.
„Ein Beschleuniger“, erklärte Tjalf.
Hanna und Malit trafen aufeinander. Sie versuchte ihn mittels ihrer Hände zu treffen, wie eine Katze mit ihren Pfoten zuschlug. Malit hielt mit seinem Stab dagegen. Er konnte nicht sehen, wie eine Feuerkugel hinter ihm auf ihn zuflog. Tjalf konnte in aller Ruhe eine formen und sie auf den Weg bringen.
Im nächsten Moment schlug sie ein und riss ihn nach vorne. Er lag auf den Boden. Hanna sprang auf ihn rauf und zerfetze ihm das Geeicht. Malit riss sich zusammen, nicht zu schreien. Er nutzte seinen Stab, um ihn Hanna in die Seite zu rammen. Sie fiel von ihm runter und lag schmerzverzerrt auf dem Boden. Malit stand wieder auf.
„Du kleines dreckiges Mistkind“, fluchte er, „ich hätte dich damals sterben lassen sollen!“
Dann riss ihn eine Druckwelle mit, die er wieder nicht sehen konnte, denn Tjalf hatte sich neu positioniert. Malit hatte sich auch auf Hanna konzentriert und Tjalf ausgeblendet, obwohl er den Feuerball spüren konnte.
Malit richtete sich erneut auf und grinste ein wenig. Tjalf zeigte sich demonstrativ, um auch Hanna zu schützen, die vor Schmerzen schrie. Sie zog sich den Stab heraus uns brach ihn entzwei.
„Du scheiß Lacin hast keine Chance, mich zu besiegen“, machte Malit deutlich, „ich werde dich töten, auch wenn ich dich eigentlich brauche. Hole ich mir einen neuen Lacin.“
Tjalf sprach nicht. Er formte einen weiteren Feuerball, denn er am Ende des Gesprochen losließ. Malit sah ihn und wich aus, sodass es hinter ihm in die Wand schoss.
„Zu langsam“, provozierte er und bewegte sich weiter wieder auf Hanna zu.
Tjalf musste etwas einfallen. Es war wie bei den Videospielen, die er damals immer gespielt hatte. Um jemanden zu treffen, musste man leichte daneben zielen, quasi die Laufrichtung und die ungefähre Geschwindigkeit einberechnen. Vielleicht sollte er einfach mehrere kleine Stöße abgeben und nicht immer einen gewaltigen. Also machte er auf die Weise und feuerte kleine Kugeln ab. Eine davon traf Malit, ehe er bei Hanna war, um sie wahrscheinlich zu töten.
Malit schrie, denn es hatte ihm nicht nur das Gleichgewicht genommen, sondern er hatte sich auch verletzt. Nun lag er auf der Erde und wimmerte vor Schmerz. Tjalf ging zu ihm rüber und stellte sich an das Fußende des Hexers.
„So endet deine Geschichte“, sagte Tjalf und konzentrierte sich auf eine besonders große Druckwelle.
Malit fasste sich an das Amulett und sagte wieder einige Wörter auf Latein, die Tjalf nicht identifizieren konnte. Dann tippte ihm etwas von hinten auf die Schulter. Es war Hanna, Für einen kurzen Augenblick erschrak er.
„Ich will ihn töten“, sagte sie und sprang ohne die Zustimmung des Jungen abzuwarten auf Malit und riss ihm das Herz raus. Ein kurzer Aufschrei beendete das Leben des Hexers. Die Seele verspeiste sie anschließend.
„Irgendwie eklig“, sagte Peter, „aber es beendet den Spuk endgültig.“
„Das stimmt, der Zweck heiligt die Mittel“, sprach Tjalf und blieb im Kampfmodus.
Er wusste nicht einzuschätzen, ob Hanna als Seelenfresserin sich wieder zurückverwandeln würde oder jetzt so blieb, da sie vom Kuchen genascht hatte. Während er sich diese Frage stellte wurde seine Druckwelle so kraftvoll wie nie zuvor.
Hanna wurde ruhiger und die Lage entspannte sich ein wenig. Es gab für sie keinen Grund mehr, wütend zu sein. Heinrich brachte es auch nicht zurück, aber der Tod von Malit brachte ihr das Gefühl der Genugtuung. All diese Jahre der Sklaverei, all diese Aufträge und all die emotionalen Schmerzen, weil die Menschen und Geister verraten hatte.
„Vorsicht, Hanna!“ rief Tjalf und erkannte, dass Malit sich wieder aufraffte, „zur Seite!“
Hanna hatte keine Zeit, um genau zu sehen, was war, sie sprang zur Seite, wie Tjalf es gewünscht hatte. Das Amulett leuchtete in einem sehr hellen grün auf und Malits Augen nahmen dieselbe Farbe an. Er wirkte wie besessen. Tjalf zielte und die Druckwelle rollte auf Malit zu. Am Ende zerfetzte es ihn und er löste sich komplett auf. Das Amulett knallte auf den Boden.
„Ich würde es liegenlassen“, riet Peter seinem Freund.
„Damit es sich ein anderer nehmen und dann umbinden kann?“ fragte Tjalf Peter, „und das noch in der Geisterwelt. Dann braucht der nächste Malit nicht lange.“
„Darüber habe ich nicht nachgedacht“, sagte Peter.
Tjalf ging zum Amulett rüber und hob es auf. Dann legte er es in seine Tasche. Hanna starrte noch immer auf den Punkt, an dem Malit sich, vermutlich als Geist, auflöste.
„Du hast mir das Leben gerettet“, sprach sie und hatte wieder dieses freundliche Hanna- Gesicht.
„Gern geschehen, aber du hattest meines auch schon gerettet“, sagte Tjalf.
„Aber ich brachte dich erst in diese missliche Situation“, erwiderte Hanna.
„Am Ende zählt, dass wir alles geschafft haben. Die Geister befreit, Peter gerettet und Malit besiegt“, erläuterte Tjalf und klang dabei sehr zufrieden.
„Wir sollten wieder zurück in die Menschenwelt gehen“, sagte Peter.
Er fühlte sich zunehmend unsicher, da er fürchtete, andere Geister, Seelenfresser und weitere, weit aus schlimmere Wesen könnten kommen und sie attackieren und töten.
„Dann lasst uns“, sprach Tjalf und machte sich zur Tür auf, an der Peter bereits wartete.
Tjalf wusste dadurch, dass sie in diese Richtung mussten. Hanna drehte sich um und schwebte dann ebenfalls zu den beiden.
„Ist es denn weit?“ wollte Tjalf wissen.
„Nein, nur durch diese Tür und dann müsste da das Tor zur Menschenwelt sein“, antwortete Peter und machte die Tür auf.
Er schaute sich um, da er Angst hatte, es könnten erneut Seelenfresser kommen. Hanna dagegen schritt durch die Tür, ohne irgendeine Art von Furcht zu zeigen. Tjalf hatte die Angriffe durch die beiden Seelenfresser nicht mitbekommen, daher ging er ebenfalls ohne Sorge in den Raum.
Das Tor war noch immer dort und zeigte sich von der anderen Seite. Es gab kein Leuchten, aber man konnte den kreisrunden Ausgang aus der Geisterwelt sehen. Tjalf war froh, dass es noch geöffnet war, denn sonst wüsste er nicht, wie sie es in die Menschenwelt geschafft hätten.
„Erwartet uns etwas auf der anderen Seite?“ fragte Tjalf.
„Eigentlich nicht“ antwortete Peter.
„Was ist mit dem Golem?“ wollte Tjalf wissen.
„Der ist tot“, verriet der Geisterjunge, „du hattest ihn doch an der Schulter getroffen. Danach erledigten ihn die anderen Geister.“
„Ich kann mich nicht mehr so erinnern, da ich mich sehr schwach fühlte“, erklärte Tjalf, „ich vermute, dass es das Amulett war.“
„Das Amulett ist nutzlos“, äußerte Hanna auf einmal, „es ist das Artefakt.“
„Weißt du etwas davon?“ fragte Tjalf nach.
„Leider nein“, war die knappe Antwort.
Tjalf hätte gerne mehr gewusst, aber es musste warten. Jetzt passierten sie nach und nach das Tor, um zurück in die Schächte zu gelangen. Zuerst ging Tjalf, dann folgten Hanna und zum Schluss Peter.
Auf der anderen Seite wirkte der Schacht verlassen. Tjalf schaute sich den ausgewühlten Boden an und konnte dadurch schlussfolgern, dass hier einiges losgewesen sein muss. Natürlich auch durch die Informationen von Peter.
„Das Tor muss wieder zu“, sagte Tjalf, „sonst gelangen die Wesen zu uns in die Menschenwelt.“
„Aber wie sollen wir das machen?“ fragte Hanna, „am Ende sind wir nicht Malit und können kein Latein.“
„Aber wir haben mich“, sprach Tjalf, „ich könnte versuchen, es zu schließen.“
„Kannst du das?“ wollte Hanna wissen.
„Ich weiß es nicht, aber finden wir es heraus“, zeigte sich Tjalf motiviert.
Er stellte sich vor das Tor und konzentrierte sich darauf, dass es sich schließen sollte. Es war doch nur logisch, denn wenn er der Schlüssel war, müsste er doch auch abschließen können.
Die Energie, die sich in ihm bildete, konnte er deutlich spüren. Es war ein wenig anders als bei den Angriffen mit Feuer oder mit den Druckwellen, aber tief drinnen wusste er, dass es genau das Richtige war, was er tat. Er hatte nur keine Ahnung wie lange es dauern würde und was er im Detail tun musste. Es war reiner Zufall, mit viel Gefühl.
„Brauchst du Hilfe?“ fragte Hanna nach zehn Minuten.
„Geht schon“, antwortete er.
Plötzlich merkte er, dass das Leuchten erlosch und das Tor sich wieder schloss. Es ist ihm gelungen. Er war ein wenig stolz auf sich.
„Dann können wir endlich raus hier“, sagte er voller Begeisterung.
„Nicht ganz“, unterbrach Peter die Freude seines Freundes, „wir haben da noch den Höllenhund.“
„Klar, aber den kriegen wir, indem wir ein Holzstück schmeißen“, sagte Tjalf.
Die drei machten sich auf den Weg zur Brücke des Todes. Sie merkten nicht, dass sie verfolgt wurden, denn sie waren zu sehr fokussiert darauf, den Komplex zu verlassen. Dann standen sie an der Brücke und wie die Zuverlässigkeit selbst, erschien Canis direkt vor ihnen, indem er auf seiner Brücke stand.
„Hallo Canis“, begrüßte Tjalf den Wachhund und hielt ein weiteres Holzstück in der Hand, welches er von einer Spitzhacke abgebrochen hat.
Er holte aus und warf das Stück in Richtung Abgrund. Doch widererwartend blieb Canis stehen und schaute Tjalf direkt in die Augen.
„Ich glaube, er hat den Trick durchschaut“, sagte Peter.
„Das sehe sich auch“, entgegnete Tjalf.
„Ihr wollt gehen?“ fragte eine Stimme hinter ihnen.
„Hans?“ fragte Hanna, „was machst du hier?“
„Ich will euch aufhalten“, antwortete er.
Tjalf musste fast lachen, denn immerhin waren sie zu dritt und er allein.
„Wie genau soll das passieren?“ fragte Hanna.
„Canis wird euch erledigen“, verriet Hans.
Hatte er den Hund unter seiner Kontrolle? Wenn ja, dann wäre dies sein einziger Trumpf. Oder bluffte er? Dann wäre er ziemlich dumm oder eben total verzweifelt. Er dreht sich zu Canis und sagte etwas zu ihm, was sich dem Latein ähnlich schien.
„Es reicht mir“, sagte Hanna“, geh aus dem Weg oder ich werde dich nicht verschonen.“
Hans wandte sich wieder zu ihr. Es war ein Fehler, denn Canis verschlang ihn, ehe er etwas erwidern konnte, komplett.
„Das habe ich nicht kommen sehen“, sagte Hanna und zeigte sich überrascht.
Dann sprang der Höllenhund von der Brücke und der Weg war auf einmal frei.
„Das habe ich jetzt nicht kommen sehen“, sprach Peter.
„Wir sollten schnell rüber, bevor er sich es anders überlegt“, schlug Tjalf vor.
Alle drei begaben sich so rasch über die Brücke des Todes, sodass sie in kürzester Zeit auf der anderen Seite waren. Ohne zurückzuschauen, gingen sie ins Labyrinth, denn dann hätten sie Canis gesehen, wie er ihnen von einem Felsvorsprung, etwas Abseits zugeschaut hatte.
Der Höhlenirrgarten hatte ihnen ebenfalls etwas Zeit gekostet, denn sie kannten den Weg nicht. Selbst Hanna musste immer wieder nachdenken. Am Ende schafften sie es herauszukommen, denn anderes als in das Höhlensystem zu gelangen, war es einfach, nach draußen zu gehen.
Epilog
Dann standen sie plötzlich wieder in der Ruine. Mitten am Tag. Die Sonne strahlte und der Himmel zeigte sein schönstes Blau. Es war vorbei. Endgültig. Malit würde niemals wieder irgendeinen Menschen zum Geist machen und keine Geistersklaven mehr halten.
„Ich sollte nach Hause“, fiel es Tjalf wieder in, „Maria macht sich sicherlich große Sorgen.“
Also ging er zu seinem Fahrrad. Obwohl er ordentlich in die Pedale trat, hatte Tjalf das Gefühl, nicht voranzukommen. Es war ein typischer Effekt, wenn es mal schneller gehen musste. Das Fahrrad wurde rasch in den Schuppen gestellt und er kletterte mit aller Kraft wieder zurück in sein Fenster, um in sein Zimmer zu gelangen.
„Ganz schön trainiert“, sagte Peter und war offenbar beeindruckt von dieser sportlichen Leistung.
„Danke“, sagte Tjalf und schmiss sich auf sein Bett.
Just in diesem Moment klopfte es an der Tür. War es Maria?
„Tjalf, Guten Morgen“, begrüßte sie ihn.
Tjalf war sehr müde, denn immerhin hatte er gar nicht geschlafen, aber das wusste sie natürlich nicht. Zumindest hätte sie eine andere Reaktion gezeigt, wüsste sie es, dass er über Nacht fort war.
„Alles in Ordnung mit dir?“ fragte sie und Tjalf nahm ihre ehrliche Sorge wahr.
„Nee, ich fühle mich krank“, antwortete Tjalf.
Und obwohl seine Schauspielerei eigentlich sehr schlecht war, kaufte sie es ihm ab.
„Soll ich dir Tee machen?“ fragte sie und ging ohne die Antwort abzuwarten in Richtung Zimmertür.
„Gerne“, antwortete Tjalf und schaute zur Untermalung noch mal mit seinem traurigsten Dackelblick.
„Du bist also krank?“ witzelte Peter, „alles klar.“
Ich brauche Schlaf“, rechtfertigte Tjalf.
„Ist schon in Ordnung“, sagte Hanna, „wir kommen heute Abend wieder. Erhole dich gut.“
Peter und Hanna schwebten zum Fenster. Kurz bevor Hanna durch das Fenster wollte, drehte sie sich noch einmal zu Tjalf um und sagte:
„Wir sind schon ein tolles Team. Eine Art Geisterbande.“
„Bis auf mich“, wandte Tjalf ein.
„Och, du gehörst auch dazu“, erwiderte sie und verschwand.
Nach einer Weile kam Maria mit dem Tee. Tjalf trank etwas und legte sich dann zum Schlafen hin. Dieses Mal träumte er nichts. Vielleicht war er einfach zu platt dafür. Dann klopfte es erneut an der Tür.
„Ja?“ fragte er, denn es kam ihm vor als hätte er ein Powernapp gemacht.
Maria öffnete die Tür und hatte einen enttäuschenden Blick. Tjalf wusste nicht, weshalb. Er konnte aber sehen, dass es bereits Abend war. Sein Schlaf hatte ihn offensichtlich umgehauen.
„Zieh dich bitte an und komme runter, da sind zwei Herren, die mit dir sprechen wollen“, erklärte Maria.
Zwei Herren? Warum machte sie so ein Geheimnis daraus? Tjalf zog sich um und stiefelte nach unten. Da saßen in der Küche zwei Polizisten. Tjalf zuckte zusammen. Obwohl er nichts verbrochen hatte, guckte er ziemlich schuldbewusst.
„Guten Abend, junger Mann“, begrüßte der eine Beamte Tjalf und reichte ihm die Hand.
Tjalf streckte brav sie Hand entgegen, war aber weiterhin irritiert, denn er verstand nicht, was los war.
„Du fragst dich bestimmt, weshalb wir hier sind“, sprach der andere Polizist.
„Ja“, antwortete Tjalf kurz und knapp.
„Wir möchten, dass du uns auf das Polizeirevier begleitest, um uns einige Fragen zu beantworten“, erklärte der Beamte dann.
„Warum denn?“ fragte Tjalf mit leichter Verunsicherung.
„Es hat etwas mit gestern Nacht zu tun und ich denke, ich will dich nicht vor der Dame blamieren“, entgegnete der Polizist, „also komme bitte mit.“
Tjalf zog sich Jacke und Schuhe an und folgte den Beamten zum Wagen. Während er einstieg, sah er Hanna und Peter, die wohl mitbekommen hatten, dass er gerade abgeführt wird. Sie hatten beide ein großes Fragezeichen im Gesicht. Während der Fahrt fiel Tjalf auf, dass sie nicht auf dem Weg zum Polizeirevier waren. Dennoch blieb Tjalf ruhig. Was sollte er auch machen? Dann würde die Öffentlichkeit wissen, was er war und es nicht verstehen.
Sie fuhren durch ein Tor und in eine Art Tiefgarage. Tjalf hoffte so sehr, dass Hanna und Peter dem Wagen gefolgt sind, denn er fürchtete, in Schwierigkeiten zu sein. Das Polizeiauto hielt an und die Tür wurde geöffnet.
„Guten Abend, Tjalf“, begrüßte der Mann ihn freundlich.
Woher kannte er Tjalfs Namen? Jetzt bockte der Junge, denn er sah nicht ein, weiterhin im Unklaren gelassen zu werden. Es reichte jetzt!
„Was soll das alles?“ fragte er aufgeregt, „wer seid ihr?“
In diesem Moment erschienen Peter und Hanna, denn sie wollten ihrem Freund beistehen, ganz gleich, ob irgendjemand von Geistern Kenntnis hatte dadurch oder nicht. In diesem Augenblick starrte der Mann auf Hanna und sie bekam große Augen.
„Bartholomäus?“ fragte sie ungläubig, „wie es das möglich?“
„Du bist Bartholomäus?“ wollte Tjalf wissen und war vielleicht nur halb so überrascht wie Hanna.
„Ja, ich bin es“, bestätigte er.
„Und was machst du hier?“ wollte Hanna erfahren.
„Wir sind Venatoren“, verriet Bartholomäus.