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Kapitel 1: Panik

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Angst.

Für viele Menschen ist sie ein Albtraum.

Jede*r kennt dieses unheimliche und bedrohliche Gefühl. Obwohl sich Angst häufig bloß im eigenen Kopf abspielt – und es nichts gibt, wovor wir uns tatsächlich fürchten müssen – ist sie dennoch real. Doch woher kommt diese Angst? Wieso begleitet sie uns – mal mehr und mal weniger? Was ist der Unterschied zwischen realer und eingebildeter Angst? Finde es in den folgenden sechs Geschichten heraus!

Wer hat Angst – vor der Angst?

Angst ist noch lange kein Gefühl, welches man nur im Dunkeln verspürt. Auch tagsüber und inmitten von Menschen kann es über uns kommen. Ein Geräusch, ein Blick oder auch nur ein Ort lösen diese Gefühle der Hilf – und Schutzlosigkeit aus. Aber nicht alle verspüren Angst gleich – einige spüren sie stärker, andere weniger. Und doch hat jede*r ab und zu das Gefühl der Ohnmacht. Schwach und wehrlos sieht man sich dann der eigenen Fantasie ausgesetzt...

Dale war ein erfolgreicher Geschäftsmann. Häufig arbeitete er über fünfzig Stunden in der Woche – seine Überstunden waren dabei nicht einmal mitgerechnet. Er fragte sich oft, weshalb er über das gesunde Maß hinaus arbeitete und kam meistens zu dem gleichen Schluss: er konnte es einfach.

Als eingefleischter Single stand der schlanke Vierunddreißigjährige mit beiden Beinen mitten im Leben stand. Seine Ausbildung lag schon fast zwei Jahrzehnte zurück, doch die Arbeit als Grafiker machte ihm noch immer eine Menge Spaß. Damals, in den Achtzigern, hatte seine Lehre noch aus komplett anderen Inhalten bestanden und er sein Handwerk ganz anders gelernt, wie es Azubis heute taten. Der schwarzhaarige Mann kannte noch Zeichnungen, welche aufwendig per Hand koloriert wurden. Die Ergebnisse konnten sich immer sehen lassen, aber der Weg dorthin war für ihn verdammt anstrengend. Daher empfand er das Kolorieren am PC wesentlich einfacher, denn dieser Teil seiner Arbeit war eine nicht zu verschiebende Notwendigkeit. Am meisten bereitete ihm mittlerweile aber das Erfinden von Firmenlogos oder kurzen Comics Freude, welche durch Aufträge seiner Kundschaft an ihn herangetragen wurden. Stets seine Ausbildungsinhalte im Hinterkopf, ließ er sich jedoch immer so viel Freiraum, dass seine Kreativität noch frei fließen konnte.

An diesem typischen Samstagmorgen hatte Dale sich etwas fest vorgenommen: endlich einmal zu entspannen. Er wollte relaxen, die Seele baumeln lassen, herumhängen, chillen. So viele Begriffe, die alle das gleiche bedeuteten: Ruhe.

Der Grafiker liebte seinen Job, doch die pausenlose harte Arbeit zermürbte ihn, weswegen er sich selbst Entspannung verschreiben wollte, bevor er in spätestens ein oder zwei Jahren in die Burn Out – Schublade seines Hausarztes gesteckt wurde. Doch bevor er abschalten wollte, kam er nicht umhin, bis in den frühen Samstag hinein an neuen Projekten zu arbeiten und über immer neuen Ideen zu brüten.

Mittlerweile war es fast halb zehn, weshalb sich Dale, der wieder einmal die ganze Nacht im Büro verbracht hatte, völlig fertig von seiner eben erst eingetroffenen Belegschaft verabschiedete. Insgeheim war er froh, es so weit geschafft und durch seine hart erarbeitete Selbstständigkeit keinen Boss mehr über ihm zu haben. Selbst die Bank saß ihm nicht mehr im Nacken, da er aufgrund seiner außerordentlichen Referenzen jeden aufgenommenen Kredit hatte zurückzahlen können.

Obwohl Dale alleinstehend war, war er nicht einsam. Die langen Nächte im Büro machten ihm nichts aus, als Chef seiner drei Angestellten musste er schließlich auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Der Schwarzhaarige hatte kein Interesse an einer Beziehung oder dergleichen. Das hatte er schon gewusst, als seine erste feste Bindung mit Fünfzehn in die Brüche gegangen war. Durch das hohe Arbeitspensum verspürte er nicht einmal sexuelle Lust. Und wenn seine Gedanken doch einmal von seinen Aufträgen abdrifteten, hatte er immerhin noch seine Hände, welche ihm ja auch bei der Arbeit gute Dienste leisteten.

Um kurz vor zehn Uhr kam Dale am großen Parkplatz vor der Firma an. Er betätigte seinen Autoschlüssel, der seinen Wagen automatisch entriegelte. Der Vierunddreißigjährige interessierte sich nicht für besondere Marken, weshalb er nur für seine Geschäftskontakte Wert auf ein modernes Auto legte. Nach dem Einsteigen und Einschalten des Motors verließ der 207er Coupé den Parkplatz, um einen Flecken Erde anzusteuern, welcher in der Großstadt besonders rar war: ein ruhig gelegener Wald.

*

An diesem sonnigen Morgen war Tyler schon früh aufgestanden. Als normaler Angestellter war es ihm möglich, das Wochenende ruhig angehen zu lassen. Der junge Mann mit dem honigblonden Haar war gerade zwanzig geworden und hatte seine Ausbildung vor weniger als einem Jahr abgeschlossen. Es war ein typischer Bürojob, so wie ihn wohl die meisten amerikanischen Arbeitenden ausübten. Trotzdem war Tyler zufrieden, denn er hatte neben dem Job noch genügend Zeit für Freizeitaktivitäten. Und von denen hatte er genug: Keyboard spielen, Gedichte schreiben und seit neuestem ging er mit einem eigenen Radiosender on air. Das war auch der Grund, weshalb es in seiner sonst eher aufgeräumten Wohnung so chaotisch aussah. Überall lagen CD´s, Notizen von Playlists und diverse Kabel herum, welche er für seine eigene Vertonung benötigte. Tyler nahm sich für dieses Wochenende vor, alles aufzuräumen, um seine eigenen vier Wände für Gäste wieder vorzeigbar zu machen. Aber zuvor wollte er noch etwas erledigen, weshalb er sich eine gestreifte Sweatjacke überzog und zur Tür seines schlichten Apartments ging. Kurz hielt seine Hand über der Klinke inne.

Ob es wohl wieder passieren wird?, dachte er unruhig.

Vor einem halben Jahr war Tyler mitten in einer Einkaufsstraße zusammengeklappt. Zuvor hatte er ein seltsames Gefühl verspürt, so als ob jemand hinter ihm her wäre. Doch da war niemand gewesen. Der Zwanzigjährige war von Natur aus ein etwas ängstlicher Typ, aber dieses Erlebnis hatte ihn an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht. Auch wenn seine Hausärztin ihm erklärt hatte, dass die Panikattacke wohl eine einmalige Überreaktion seines Körpers gewesen war, wollte er sich dennoch nie wieder derart schutzlos ausgeliefert fühlen.

Seine rechte Hand ließ die Türklinke los. Er drehte sich um, fasste sich an den Kopf und kramte sein Smartphone aus dem Chaos hervor.

Fast hätte ich es vergessen, ging es ihm sorgenvoll durch den Kopf.

Seit dem Vorfall achtete er immer darauf, nie allzu lange an einem wenig frequentierten Ort zu sein und vor allem nie ohne voll aufgeladenen Akku außer Haus zu gehen.

Tyler verließ seine Wohnung mit einem kleinen Gefühl der Sicherheit, an welches er sich klammerte wie eine in einem Cocktailglas zu ertrinken drohende Biene an einem Strohhalm. Schnell waren seine Gedanken an vergangene Zeiten und seine Sorgen vergessen. Stattdessen breitete sich in seinem Kopf Vorfreude aus, denn er hatte im Internet nach einem Film recherchiert, der von einem außer Kontrolle geratenen Ouija – Brett handelte. Eigentlich hatte er ihn damals im Kino sehen wollen, war jedoch irgendwie nicht dazu gekommen und dann hatte er ihn schlicht vergessen.

Dreißig Minuten später bog er in eine Seitenstraße ein, wo er die dort ansässige Videothek betrat. Die Uhr am Eingang über der Leihtheke zeigte zehn Uhr an. Tyler war also der erste Kunde für diesen Samstag. An einer Wand waren die beliebtesten Leihfilme vermerkt, sodass der junge Erwachsene ihn schnell in einer der aushängenden Listen finden konnte. Es dauerte einige Minuten, bis er vor dem richtigen Regal stand. Er nahm die Filmhülle in die Hände und las sich auf der Rückseite noch einmal die Inhaltsangabe durch.

Kurz danach brachte er den Chip mit der Nummer nach vorne und legte ihn auf die rot gestrichene Theke. Ein etwa gleichaltriger Mann stand dahinter, der ihm den gewünschten Film heraussuchte. Seinem Kunden fiel auf, dass er sich an seinem Arm kratzte.

Wahrscheinlich hat er einen entzündeten Mückenstich und trägt deshalb dieses lange Hemd, vermutete er. Die Sommer werden ja auch immer länger...

Als Tyler aus der Videothek kam, atmete er durch. Er war froh, es überhaupt bis hierhin geschafft und nicht wieder eine Panikattacke bekommen zu haben. Da sein Apartment noch eine knappe halbe Stunde entfernt lag, entschloss er sich – auch aufgrund seines guten Gesundheitszustandes – eine Abkürzung durch den Wald zu nehmen. Als er jedoch die vollen Straßen hinter sich gelassen und den lockeren Waldboden betreten hatte, blieb er stehen.

„Das schaffe ich“ sprach er sich selbst Mut zu.

Er blickte sich um. Niemand war in der Nähe.

Die wenigen Minuten werde ich auch noch schaffen.

Der Büroangestellte atmete tief durch und ging in den Wald hinein. Meter für Meter legte er zurück, noch immer fühlte er sich einigermaßen gut. Er kam an einem kleinen Feld entlang, auf welchem Getreide zu wachsen schien. Tyler war nicht besonders gut in Pflanzenkunde, weshalb er die Saat nicht näher bestimmen konnte. Einige Meter vor ihm wuchsen hohe Sträucher, welche die Sicht auf das Feld versperrten. Er ging an ihnen vorbei und sah nach oben. Ein leerer Hochsitz war in ein Gebüsch eingelassen worden. In der Magengegend des Zwanzigjährigen begann es zu grummeln. Er beschleunigte seine Schritte und versuchte regelmäßig zu atmen. Hinter ihm knackte ein Ast, Tyler blitzte herum. Noch immer war niemand zu sehen, das Waldstück schien menschenleer zu sein.

Und trotzdem war da dieses Geräusch gewesen...

Ob sich doch jemand auf dem Hochsitz befindet?, starteten Tyler´s zermürbende Gedankengänge.

Wozu steht der hier überhaupt? Das ist doch eine jagdfreie Zone. Der Hochsitz sieht relativ neu aus. Vielleicht wird er gar nicht zur Wildjagd genutzt... vielleicht treibt sich da oben jemand herum, der auf wehrlose Menschen schießt!

Schluckend lief der Blonde schneller. Wieder ertönte ein Geräusch, welches dieses Mal nicht von einem morschen Ast oder ähnlichem stammte, sondern undefinierbar war. Und undefinierbare Dinge konnten schließlich alles mögliche sein.

Bestimmt ist es der Typ vom Hochsitz. Oh, Göttin, er hat eine Waffe!

Bei diesem schrecklichen Gedanken hielt Tyler nichts mehr in dem Wald, in dem er offensichtlich jedem Verrückten hilflos ausgeliefert war. Nun bereute er seinen Ausflug. Er wäre stattdessen lieber Zuhause geblieben. Zuhause, wo es sicher war und er die Kontrolle hatte. Tyler rannte so schnell er konnte, wobei er die Filmhülle in seiner Hand fest umschloss.

Seine Ohren begannen taub zu werden, doch noch versagten sie ihren Dienst nicht. Unter ihm hörte er das Getrappel seiner laufenden Schuhe, über ihm einige Vögel, die hektisch aus den Baumkronen flogen. Tyler kam der Wald unendlich vor, obwohl er eigentlich eine Abkürzung zu seinem häuslichen Zufluchtsort war. Während er noch immer lief, tastete er nach seiner Hosentasche. Sein Mobiltelefon steckte glücklicherweise nach wie vor darin und war während seiner Flucht nicht herausgefallen. Sollte ihn tatsächlich jemand verfolgen, konnte er also das Police Office verständigen. Vorausgesetzt, er war in der Lage, dessen Nummer zu wählen, bevor ihn der tödliche Schuss eines Wahnsinnigen traf.

Tyler´s Herz pochte unregelmäßig. Schweiß stand auf der Stirn des Gehetzten. Er sah sich noch einmal um. Wild ein – und ausatmend blieb er stehen, beugte sich hinunter, legte seine Hände auf die Knie und versuchte, nicht wie damals ohnmächtig zu werden.

*

Zweihundert Meter weiter saß Dale bereits seit einiger Zeit auf einer Bank im Wald. Vor ihm stand ein großer Ahornbaum. Der Vierunddreißigjährige kam sich jetzt, in diesem Moment, genau so geerdet wie der Baum vor. Von seinem gemütlichen Platz aus besah er sich dessen dicken, stabilen Stamm. Hunderten Stürmen und Gewittern hatte er bereits getrotzt und wahrscheinlich auch mehrere Kriege miterlebt. Und noch immer ragte er – beinahe stolz – in die Lüfte. Dale hörte im Hintergrund einige Vögel zwitschern, streckte seine Arme auf der hölzernen Rückenlehne aus und schloss die Augen.

Auf seinem Gesicht stand ein zufriedenes, entspanntes Lächeln.

Wir haben nun Einblicke in zwei unterschiedliche Leben erhalten. Dale und Tyler sind beide zufrieden in ihrem Beruf und können sich nicht beklagen. Während Dale selbstständig ist und sogar mehrere Angestellte beschäftigt, ist Tyler in einem Unternehmen angestellt, wodurch er zumindest finanziell ein Gefühl von Kontrolle und Sicherheit erhält. In Dale´s Leben läuft alles strukturiert ab, er widmet sich eher den greifbaren Dingen. Tyler dagegen beschäftigt sich in seiner Freizeit gerne mit Übernatürlichem und ist vielleicht deshalb auf nicht rationale Vorfälle konditioniert.

Beide erleben den selben Tag und die selbe Uhrzeit vollkommen anders, obwohl sie sich am gleichen Ort befinden: der Grafiker genießt das Vogelgezwitscher und die frische Luft des Waldes, während Tyler darin scheinbar verfolgt wird und um sein Leben rennt. Seine Panikattacken, die Teil einer Angststörung sind, führen zu Horrorvorstellungen, in denen ein eigentlich harmloser Hochsitz zu einem Lager eines schießwütigen Irren wird. Solche Angstanfälle treten bei Betroffenen ganz plötzlich und unerwartet auf – ohne das ein objektiver Grund dahintersteckt. Besonders anfällig dafür sind Menschen mit erhöhtem Stresspegel, bei denen eine einmal aufgetretene Panikattacke bei häufiger Wiederholung in eine Angststörung münden kann. Um die Panik wieder in den Griff zu bekommen, können Entspannungsübungen, Antidepressiva oder eine Verhaltenstherapie helfen.

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