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Kapitel 2: In ein neues Leben

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Obwohl Tom am frühen Morgen in Austin losgefahren war, dauerte es bis zum späten Nachmittag, ehe er die Fähre nach Arcane Island erreichte. Stundenlang fuhr er raus aus der Großstadt, vorbei an großen Parks und wilden Wäldern, bis die Fähre, die seiner Meinung nach mal wieder einen frischen Anstrich gebrauchen konnte, endlich vor ihm aufgetaucht war. Seine Gelenke schmerzten von der langen Autofahrt und seine Augen waren müde – hatte er doch Stunde über Stunde nur auf seinem durchgesessenen Sitz verbracht und fast nichts außer Asphalt und lockeren Boden gesehen. Er besaß zwar eine Lesebrille, die konnte er aber schlecht für die Autofahrt nutzen.

Tom schaltete den Wagen vor der Fähre aus und verzog das Gesicht. Die bereits untergehende Sonne schmerzte in seinen Augen, weswegen er diese kurz zukniff. Er atmete hörbar aus. Fast hatte er es geschafft. Bis zu seinem neuen Zuhause waren es nur noch wenige Meilen. Der Autor öffnete wieder die Augen und sah in die Abendsonne, die bald untergehen würde. Nur wenige Wagen standen vor ihm und bildeten eine kleine Schlange vor einer rostigen Rampe. Ein paar vereinzelte Personen taten es ihm gleich und stiegen aus ihren Fahrzeugen aus.

Es wollen wohl nicht viele nach Arcane Island, ging es ihm durch den Kopf.

Die Insel hatte etwas über eintausend Einwohner, aber zählte trotzdem noch als Kleinstadt. Tom hatte sich vor seinem Umzug ausgiebig über seinen neuen Wohnort informiert. Kalifornien hatte mit Washington 1902 einen Vertrag abgeschlossen, welcher Arcane Island unter anderem als Kleinstadt bezeichnete. Früher hatte die Insel mehr Bewohner, doch die Technik dort war ihnen nicht schnell genug vorangeschritten, weshalb es viele bevorzugt hatten, in eine Großstadt oder einer Küste umzusiedeln. Glück für ihn – immerhin hatte er so die Möglichkeit, an einem ruhigen Ort wieder zu sich und seiner künstlerischen Kreativität zu finden.

Der Dunkelblonde ging zu einem Mann in den Fünfzigern, welcher auf einem abgenutzten Zahnstocher herumkaute. Er trug ein kariertes Hemd und eine graue Schiebermütze. Seine Kleidung war verblasst, seine Haut sonnengebräunt und von der Arbeit leicht schmutzig. Offenbar war er für alle Kleinigkeiten auf der Fähre verantwortlich, da Tom einen Werkzeugkasten im Hintergrund ausmachen konnte. Der Mann stand neben den Automobilen und kümmerte sich allem Anschein nach um den Ticketverkauf.

„Ich möchte ein Ticket nach Arcane Island“ erklärte Tom.

Der Mann nickte nur und riss ein Stück Papier von einem Block.

„Das macht fünf Dollar, wenn Sie ohne Wagen rüber wollen und fünfzehn Dollar mit.“

Tom holte seine Geldbörse aus dunkelbraunem Kunstleder hervor und bezahlte die letztgenannte Summe. Dann nahm er das rote Ticket entgegen, besah sich kurz die verblasste Schrift und ging an den anderen Wagen vorbei zurück zu seinem Auto.

Das erste Fahrzeug in der Schlange startete und fuhr auf ein Zeichen des älteren Mannes über die Rampe. Langsam folgten die anderen Wagen.

Tom hörte etwas Geschrei und sah sich um. Mehrere Eltern hielten die Hände ihrer Kinder und gingen mit ihnen in Richtung der Fähre. Tom ließ den Wagen an und tat es den davor fahrenden Fahrzeugen gleich. Als er die Rampe befuhr, machte diese ein polterndes Geräusch.

Wenige Minuten später legte die Fähre nach Arcane Island ab.

Als Tom ausstieg, wehte ihm sofort frische Seeluft in die Nase. Der Wind fuhr durch seine Frisur und zerstörte sie. Doch dem Schriftsteller war das für einen kurzen Moment egal. Er lehnte sich über die Reling, deren weiß lackierte Stangen bereits die Farbe eingebüßt hatten. Dann blickte er nach unten und sah, wie das Schiff das Wasser scheinbar mühelos verdrängte.

Wieder hörte er einige Kinder in seinem Rücken und drehte sich um. Die Sonne beleuchtete die Fähre noch in einem satten Gelbton, welcher aber bereits orangefarbene Schattierungen aufwies. Die Eltern ermahnten ihren Nachwuchs vorsichtig zu sein und nicht zu nah an den geparkten Autos entlangzulaufen. Die Kinder rannten hintereinander her, als ein blonder Junge zu Boden fiel. Er hatte sich das Knie auf dem rauen Boden angeschlagen. Tom verließ die Reling und lief zu dem Kind.

„Hast du dir wehgetan?“ fragte er ihn besorgt.

Der Kleine schüttelte den Kopf. Sein Knie war lediglich gerötet. Tom streichelte dem Jungen, welcher ihm ein dankbares Lächeln schenkte, über den Kopf. Danach lief dieser wieder zu seinen Freunden. Auch Tom lächelte.

Kurz waren sein Beruf und seine Blockade wie ausgeblendet. Er genoss die Fahrt, welche ihn auf seltsame Weise beruhigte. Der in seiner Kreativität blockierte Autor fühlte sich leicht und er vermochte nicht zu sagen, ob das an dem stetig vibrierenden Boden unter ihm lag, oder an seinem bevorstehenden Neuanfang.

Eine halbe Stunde später war die Fähre an ihrem Ziel angelangt.

Welcome to Arcane Island, stand auf einem verblichenen gelben Banner, der die Inselsilhouette abbildete und so die Ankömmlinge begrüßte.

Tom ging zurück zu seinem Kleinwagen, richtete sich dort behelfsmäßig die Frisur, startete den Motor und verließ die Fähre.

Das erste was ihm in der neuen Umgebung auffiel, waren die vielen Maisfelder, welche auf jeder Seite der Insel zu sehen waren. Er fuhr an Drogerien, kleineren Supermärkten und einer Poststelle vorbei, was ihn etwas verwunderte, schließlich war Arcane Island bloß eine kleine Insel. Die Landschaft war von zahlreichen Feldern gezeichnet, auf denen Weizen und anderes Getreide gedieh. Auf einigen Feldern wuchs hoher Mais, welcher bereits erntereif war. Es war Anfang Oktober, weswegen Tom wusste, dass der Mais bald geerntet werden würde. Erst jetzt holte er sein Smartphone hervor, welches zuvor die ganze Zeit in seiner olivfarbenen Jacke gesteckt hatte. Tom legte das gelbe Mobiltelefon auf das Armaturenbrett und tippte einige Male auf den Touchscreen, um einen Routenplaner aufzurufen. Er staunte nicht schlecht, als er bemerkte, dass der WLAN – Empfang ziemlich gut war.

Doch nicht so unmodern diese Insel, dachte er grinsend.

Das Internet wollte er für seine Recherchen nutzen, auch wenn er noch nicht wusste, was genau er schreiben sollte, geschweige denn ob er hier überhaupt schreiben konnte. Das Postamt würde er aufsuchen, um seine Manuskripte nach Texas zu schicken. Tom brauchte zu seiner Zufriedenheit eigentlich nur noch ein Modegeschäft, denn er wollte sich auf der Insel neu einkleiden. Neben seinen beruflichen Problemen wollte er seinen etwas vernachlässigten Look endlich ablegen.

Er wischte erneut auf seinem Smartphone herum und sah wieder auf die Straße, nachdem eine männliche Stimme ihm den Weg zu seinem Haus wies. Tom hatte damals den Rat seines Steuerberaters befolgt, welcher ihm dazu geraten hatte, sämtliche Einnahmen aus dem Buchverkauf anzulegen. Dadurch hatte er vor einigen Wochen ein kleines Haus auf der Insel kaufen können. Er war etwas aufgeregt, kannte er es bisher doch nur von Fotos. Aber er vertraute dem Makler, welcher ihm per Expressversand bereits den Wohnungsschlüssel hatte zukommen lassen. Tom Rhyer war bisher immer auf der sicheren Seite des Lebens geblieben, diese hatte ihm aber nicht allzu viel gebracht. Warum sollte er also nicht einmal ein – in anderen Augen unvernünftiges – Abenteuer wagen?

Das Smartphone zeigte ihm an, in wenigen Minuten sein Ziel erreicht zu haben. Im Kopf ging er noch einmal die wichtigsten Dinge durch. Sein Mobiliar aus der gekündigten Wohnung sollte per Transporter am nächsten Tag gebracht werden. Darunter befanden sich auch einige Kleidungsstücke und persönliche Gegenstände. Die wichtigsten Dinge hatte Tom in seinem Kofferraum: seinen Laptop, Wechselkleidung, Nachtwäsche und eine Kleinigkeit zu essen.

Die Wohnung sollte bereits über einen Ofen und eine funktionierende Küche verfügen – was äußerst praktisch war, da er die Küche seiner alten Wohnung lediglich angemietet hatte. Zudem kochte Tom gerne und probierte allerlei vegane Köstlichkeiten aus. Auf seinem PC hatte er die Kontodaten des Maklers und des örtlichen Stromversorgers gespeichert. Sobald er das Haus begutachtet hatte und alles freigeschaltet war, wollte er den Betreffenden das Geld für den Hauskauf und die Stromkosten für den ersten Monat überweisen.

Tom gähnte kurz und lächelte, als er vor seinem neuen Haus parkte.

Tödliche Krähen

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