Читать книгу Lover gesucht - Desirée Marten - Страница 4
Geheime Post
ОглавлениеMir reichte es, ich konnte und wollte nicht mehr so weiterleben. Das jahrelange, lieblose Nebeneinander, bei dem der Schmerz deutlich die Freude überwog, machte mich zusehends krank, obwohl ich ein Mensch war, der in allem immer das Positive suchte und den Drang hatte, alles verstehen zu wollen. Von einer Blume, der man nach und nach die Blütenblätter ausriss und die man nicht goss, erwartete man ja auch nicht, dass sie gesund blieb und schön aussah. Ich würde mir einen Lover suchen! — Allein schon der Gedanke ließ mich erschaudern, aber wo und wie, das wusste ich noch nicht, und es musste geheim bleiben, ich durfte mit niemandem darüber sprechen, nicht mal mit Birgit, das würde hart werden.
Mein Mann und Vater meiner Kinder (und einziger Liebhaber bis dahin) Peter war zwar nicht sonderlich groß für einen Mann, dafür aber schlank und durchtrainiert. Er besuchte regelmäßig das Solarium, die nahtlose Bräune stand ihm gut. Man konnte ihn mit seinen achtunddreißig Jahren noch als überdurchschnittlich attraktiv bezeichnen. Ja, er gefiel mir noch immer. Ich beschloss, mir die Höhensonne auch zu gönnen, die Wärme und das Licht würden mir guttun. Außerdem zog Peter in Erwägung, ein Fitnessstudio zu besuchen. Ich überlegte sogleich, ob ich Zeit dafür aufbringen konnte. Unmöglich, und für einmal wöchentlich lohnte sich eine teure Mitgliedschaft nicht. (Da kam mal wieder die sparsame Hausfrau durch.)
Klar lernten meine Freundinnen Birgit, Helene und ich auf unseren nächtlichen Streifzügen auch nette Männer kennen, aber da war keiner dabei, der mir so gefiel, dass ich ihm näherkommen wollte. Leider konnten wir nur viel zu selten losziehen, da Peter, durch seine beruflichen Auslandsaufenthalte in Schweden, nur alle zwei bis drei Wochen auf unsere drei Mädchen aufpassen konnte.
Dann beflügelte mich eine Idee, die mich nicht mehr losließ. Ob sie schlau war, konnte ich in diesem Augenblick noch nicht beurteilen, aber musste immer alles intelligent sein, was man tat? Vor allem, wenn man so verzweifelt war wie ich.
Das starke Bedürfnis, unser Problem in die Welt zu schreien, ließ mich voll Euphorie an die Sache herangehen. Ich erhoffte mir einen regen Austausch mit Frauen und Männern, die sich in ähnlichen Situationen befanden. Bestimmt würde mir das Kraft geben, um mit unserer deprimierenden Ehe besser fertig zu werden … oder eine guttuende Lösung zu finden.
Ich saß im Wohnzimmer am Esstisch, kaute nachdenklich auf dem Bleistift herum und sah dabei aus dem Fenster. Mein Blick streifte über den Aprikosenbaum, der seine zierlichen Blüten gegen die blassen Sonnenstrahlen richtete. Sollte ich das wirklich tun? Was wäre, wenn es herauskam? Vielleicht könnte ich im Vorfeld schon ein paar Ausreden erfinden. Richtig gute natürlich, da ich darin verdammt schlecht war. Lügen hasste ich und Ausreden zählten für mich dazu. Wenn ich nur daran dachte, stieg mir schon das Blut in den Kopf. Wie peinlich.
Mein Blick verharrte in der flachen Krone. Ach was, wenn ich äußerst vorsichtig vorging … Ich hatte schon meine genauen Vorstellungen: Ich wollte eine Kontaktanzeige aufgeben. — Erst mal nur zum Erfahrungsaustausch, beruhigte ich mein Gewissen. Unter Chiffre und mit falschem Namen. Das war doch genial … oder feige? Es gab im Internet eine lokale Kleinanzeigenplattform, in der alles Mögliche angeboten wurde. Ich hatte dort schon einiges gekauft und verkauft. Sie war sehr beliebt bei Jung und Alt, da das Aufgeben von privaten Kleinanzeigen nichts kostete. Die Zuschriften wollte ich mir zuschicken lassen, da war ich altmodisch, ich hatte lieber etwas in der Hand, als immer vor dem Rechner zu sitzen. Außerdem wollte ich keine Spuren hinterlassen, wer weiß, wer in meinem Postfach herumstöberte …
Nach reiflicher Überlegung entschied ich mich für folgenden ehrlichen Text:
Hilfe, mein vielbeschäftigter Mann schläft nicht mehr mit mir, obwohl ich attraktiv, sportlich, lustig und Mitte dreißig bin. Wer hat ähnliche Erfahrungen oder Tipps? Freue mich über jede mitfühlende Zuschrift.
Ich kritzelte mit brennenden Wangen den Anzeigentext auf ein Notizblatt und schaltete den PC an. Während ich den Text in die Tastatur tippte, sammelte sich in meinen Handflächen kalter Schweiß. Eine heiße Woge durchströmte mich, als ich meine Adresse angab, denn die musste ja stimmen. Mit Herzklopfen saß ich vorm Rechner und atmete tief ein und aus. Allmählich beruhigte ich mich wieder. Die freudige Erwartung gab mir Auftrieb und ich fühlte mich langsam ein bisschen besser. Fast so, als wäre ein feuerrotes Blütenblatt nachgewachsen.
Streng nach dem Motto „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ rutschte ich am nächsten Morgen wieder einmal rüber auf Peters Seite und streichelte ihn. Mit geschlossenen Augen legte ich den Kopf an seine Brust, spürte seinen Herzschlag und roch seinen vertrauten Nachtschweiß, der aus der Achsel emporstieg. Bevor es mir zu wohl wurde, schnellte er hustend hoch und stürmte ins Bad. „Ich glaube, du bist allergisch gegen mich“, rief ich niedergeschlagen. Ich würde ihn bestimmt kein weiteres Mal belästigen, darauf konnte er Gift nehmen. Mein Herz raste vor Wut und Enttäuschung. Ich wollte auch nicht mehr neben ihm schlafen, das war wie ausgehungert vor einer Sahnetorte zu sitzen und nicht davon naschen zu dürfen. Eine Rückzugsmöglichkeit musste her, und zwar schnell.
Unter der Dusche entschied ich mich, mit meinen Töchtern darüber zu sprechen, ob sie sich nicht ein Zimmer teilen wollten.
Rebekka und Mira spielten in Miras Zimmer — ausnahmsweise in schöner Eintracht — mit kleinen Plastiktieren Zoo.
Ich strich ihnen über den Kopf und begrüßte sie mit einem Kuss auf die Stirn. „Ihr spielt aber schön.“
Die zwei lächelten. „Hallo Mama.“
Ich setzte mich zu ihnen und nach einer Weile kam ich zu meinem Anliegen. „Hört mal, ich hätte gern ein eigenes Zimmer, zum Zeichnen und Schreiben, wie wäre es, wenn ihr euch ein Zimmer teilt?“
Die zwei blickten mich entsetzt an und schüttelten energisch den Kopf. „Nein, die ärgert mich dann die ganze Zeit“, versicherte Mira und ihr sonst so liebliches Gesicht verfinsterte sich.
„Nee, die macht mir immer alles kaputt“, lehnte auch Rebekka ab und warf ihrer kleinen Schwester einen bösen Blick aus ihren grünbraunen Augen zu.
„Wirklich nicht?“, hakte ich nach, obwohl ich wusste, dass es keinen Sinn hatte. Erneutes Kopfschütteln ließ mich verständnisvoll nicken.
Johanna fragte ich erst gar nicht, denn mit fast dreizehn und voll in der Pubertät wollte ich das nicht von ihr verlangen. Okay, dann gab es für mich nur die Alternative, mein Nachtlager bei Mira einzurichten, natürlich ohne mit Peter darüber zu sprechen. Sozusagen als kleine Retourkutsche. Die Kleine hatte nichts dagegen, aber es interessierte sie brennend, warum ich bei ihr schlafen wollte. Die Anziehungspunkte ihres runden Gesichtchens waren ihre dunklen, fast schwarzen Augen, die mich nun fragend anblickten.
„Papa und ich haben gerade ein bisschen Stress und brauchen Abstand“, erklärte ich stark untertrieben und zog die Mundwinkel nach oben. Sie nickte und nahm mich in die Arme. Ich strich über ihre weichen, braunen Haare, die gewellt bis auf ihre Schultern fielen. Mein Herz ging auf, sie war so süß. Mira zeigte sich, obwohl sie erst sieben war, als Einfühlsamste von meinen Dreien.
Beim leckeren Sonntagsfrühstück mit Eiern, gebratenem Speck und frisch gepresstem Orangensaft wartete ich gespannt auf Peters Reaktion. Solange die Mädchen am Tisch saßen, verhielt er sich, als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen, später meinte er dann: „Heute Nacht war richtig gute Luft im Schlafzimmer. Ich habe super geschlafen.“
Die Retourkutsche wendete um 180 Grad und der Hieb ließ mich zusammenzucken. Mit so einer Reaktion hatte ich gewiss nicht gerechnet. Eigentlich wolle ICH ihm eine auswischen. Ich sprang auf und eilte ins Bad. Gedemütigt ließ ich mich auf den Badewannenrand fallen und raufte mir die Haare. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich musste endlich meine Scheuklappen ablegen und akzeptieren, dass unsere Ehe am Ende war. Leider, denn ich liebte Peter noch immer. Er brauchte nur zärtlich zu sein und ich würde dahinschmelzen. Mit sechzehn Jahren hatte ich mit ihm meinen ersten heimlichen und sehr aufregenden Sex. Von Anfang an wussten wir, dass wir zusammengehörten, und bauten zielstrebig ein gemeinsames Zuhause auf. Wir heirateten, bekamen bald darauf drei wundervolle Mädchen und hatten unglaublich viel Spaß zusammen. Es gab nur uns, alle Probleme meisterten wir gemeinsam, wir hielten zusammen wie Pech und Schwefel. — Leider war nur das Pech geblieben ...
Umso mehr freute ich mich auf die Post, die mich sicher aufbauen würde. Vielleicht erging es ja vielen Frauen oder Männern so und es wurde nur nicht darüber gesprochen. Ein Erfahrungsaustausch würde mir bestimmt helfen.
Da meine Freundin Birgit — eine moderne, berufstätige Frau, die mir trotz Scheidungsdesaster immer mit Rat und Tat zur Seite stand — über einen freien Montagnachmittag verfügte, kam sie zu einem Kaffee bei mir vorbei. Ich erzählte ihr vom Wochenende.
„Inka, ich glaube, da wir müssen wir mit schwereren Geschützen auffahren. Wir gehen heute in die Stadt und kaufen sexy Dessous. Mal schaun, ob wir den Hengst nicht wieder zum Decken kriegen“, schlug Birgit frech grinsend vor.
Ich zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Meinst du? Ich glaube nicht, dass das noch was bringt.“ Ich dachte an seine verletzende Äußerung, die mir noch in der Seele brannte.
„Man darf nichts unversucht lassen“, versicherte sie, trank ihren Kaffee aus und stand auf.
Birgit ließ mir keine Wahl und so begleitete ich sie in die Stadt zu einem Sexshop. Beklemmt blieb ich davor stehen. Sie zog mich hinein. Peinlich berührt stand ich im Laden. Ich fühlte mich alles andere als wohl und blickte mich verstohlen um.
„Wow, was es hier alles gibt, wie in einem Spielzeuggeschäft“, raunte ich ihr zu. Birgit lächelte wissend.
Eine Verkäuferin begrüßte uns herzlich und beriet uns so locker und lustig, als würde sie Obst verkaufen. Meine Unbehaglichkeit wich rasch dem Übermut. Wir hatten viel Spaß in dem Geschäft. Das Ergebnis: ein Hauch aus schwarzer Spitze (Slip und BH), zwei glänzende Samtstrings, ein enger Rock mit hohen Seitenschlitzen und High Heels.
Als ich erschöpft, aber voll Vorfreude nach Hause kam eilte ich ins Schlafzimmer und schloss es ab, sogleich probierte ich den BH und einen String an. Ich stand vor dem Spiegel im Schlafzimmer und betrachtete meinen mit ein bisschen Spitze bedeckten Körper. Also ich fand mich sehr sexy! Der durchsichtige Spitzenstoff reizte meine Brustwarzen, sie stellten sich auf. Der String betonte meinen wohlgeformten Hintern. Verführerisch lächelnd strich ich über meinen Bauch, Po und Busen. Sogleich flammte Lust auf und ich spielte mit meinen Brustwarzen. Schwungvoll ließ ich mich aufs Bett fallen.
Mit geschlossenen Augen stellte ich mir Martin vor, den ich vor einem halben Jahr bei einem meiner Kurse mit Pferden kennengelernt hatte. Der äußerst attraktive Cowboy lag mit mir im Heu. Er strich mit einem Heuhalm über mein Gesicht und den Hals. Langsam knöpfte er meine Bluse auf und reizte schließlich meine Brüste mit dem Halm und seiner Zunge. Zitternd vor Lust zog ich ihm sein T-Shirt über den Kopf.
Wie in Zeitlupe zog er seine Hose aus, danach meine und legte sich auf mich. Ich konnte fast seinen herben Geruch riechen und seinen Dreitagesbart auf meiner Wange spüren. Sein drängender, angespannter Körper erregte mich ungemein und mein empfänglicher Körper fing sogleich Feuer.
Meine Hand wanderte streichelnd nach unten.
Martin flüsterte mir Liebesworte ins Ohr, unterbrochen von tausend leidenschaftlichen Küssen, bis ich mich für ihn öffnete. Heißes Blut schoss durch meine Adern. Ich stöhnte verhalten und leckte über meine Lippen, die im Traum mit Martins vereint waren. Wohlige Wellen durchdrangen meinen Körper. Von Zeit zu Zeit hielt ich inne, um noch länger diesen himmlischen Genuss zu spüren. Die Wollust intensivierte sich ein ums andere Mal, bis ich körperlich befriedigt, aber seelisch ausgehungert dalag.
Die erste Post erhielt ich schon Mitte der Woche. Ich gebe zu, ich genoss die Heimlichtuerei und steckte den Umschlag rasch in die Innentasche meiner Jacke. Wie aufregend! Es war wie ein Kick. Ich kam mir vor wie ein Kind, das nicht beim Naschen erwischt werden wollte.
Bald ergab sich eine Gelegenheit, die Zuschriften in Ruhe zu lesen, und ich huschte ins Schlafzimmer. Mit zitternden Fingern riss ich das Kuvert auf und zog sechs Briefe heraus. Ich legte mich aufs Bett und las genüsslich einen nach dem anderen mehrmals durch, versuchte zwischen den Zeilen zu lesen und mir den Schreiber vorzustellen, bei dem kein Foto dabei war.
Brief Nr. 1:
Hallo, ich heiße Mario und komme aus H. Bin 26 Jahre alt, Südländer, 1,70 m groß, 70 kg, gut aussehend, gut gebaut und schlank und möchte Dich gern kennenlernen.
Die Worte „gut gebaut“ stießen mich ab, das war ja wohl eindeutig, was der wollte, und außerdem war er ein bisschen zu jung für mich. So Anfang bis Mitte dreißig würde ich passender finden. Ich hatte ja noch Auswahl …
Brief Nr. 2:
Liebe Unbekannte! Auf der Suche nach einer netten Frau mit Niveau, wende ich mich heute vertrauens- und hoffnungsvoll an Dich. Da ich ein neugieriger Mensch bin, der öfters Lust bekommt, etwas Neues auszuprobieren, schreibe ich Dir. Falls Du kein Interesse an einer erotisch angehauchten Begegnung verspürst, so brauchst Du nicht weiterzulesen. Träumst Du aber von zärtlichen Berührungen, sanften Streicheleinheiten und lustvollen Vibrationen? Neugierig geworden? Dann melde Dich bitte bei mir. Finanzielle Interessen habe ich keine. Tagesfreizeit ist auch vorhanden. Gesundheit und Diskretion geboten und erwartet. Zu meiner Person: Ich bin 28 Jahre alt, lebe in H., bin 1,90 cm groß und schlank.
Typ: charmant, niveauvoll, kultiviert, gepflegt, ausgeglichen, selbstbewusst, unkompliziert, locker, neugierig, spontan, flexibel, fantasievoll, zärtlich, feinfühlig, fingerfertig, einfallsreich und ausdauernd.
Was hältst Du von einem unverbindlichen Treffen in einem netten Café oder im Park? Wenn wir uns sympathisch sein sollten, tja dann ... Wäre super, wenn Du Dich mal ganz unverbindlich bei mir meldest.
Ich merkte, wie mir das Blut in die Wangen stieg und mir ein wohliger Schauder durch den Körper lief. Das hörte sich schon extrem verführerisch an lustvolle Vibrationen … wie sehr sehnte ich mich danach! Aber gab es so viele positive Eigenschaften tatsächlich auf einem einzigen Mann vereint? Das bezweifelte ich stark. Gut, dass noch mehr Briefe gekommen waren.
Brief Nr. 3:
Hallo! Ich glaube, wir könnten gemeinsam unsere Fantasien und Gedanken verwirklichen. Du wirst sicher mit Antworten überschüttet und vielleicht ist Dir das Beantworten schon vergangen, aber ein Versuch ist es allemal wert und vielleicht ... Übrigens bin ich nicht mehr der Jüngste (41), fühle mich aber noch recht fit und mindestens zehn Jahre jünger. Bin gebunden und habe sonst noch die eine oder andere Macke … Wenn Du meinst, wir könnten einfach Spaß haben, und Du Dich gerne verwöhnen lassen willst, na dann ... und wenn es funkt, na dann erst recht ...
O je, von Macken hatte ich im Augenblick die Nase gestrichen voll. Danke, kein Bedarf, sollte sich doch die, an die er gebunden war, mit seinen Macken herumärgern …
Brief Nr. 4:
Hallo, ich bin 42 Jahre alt. Ich suche eine Frau für alles, was Spaß macht. Zärtlichkeit, Sex, aber alles mit Diskretion und Sauberkeit … Ich strebe eine Dauerfreundschaft an und habe keine finanziellen Interessen. Schreib mir!
Wie naiv war ich eigentlich zu glauben, dass hier ein offener Gedanken- und Erfahrungsaustausch stattfinden würde? Wahrscheinlich war mein Anzeigentext viel zu provokativ gewesen. Aber wenn ich ehrlich war, hatte ich mir ja auch ein bisschen mehr erhofft. Betonung auf ein bisschen. So wie sich das las, gab es Frauen, die dafür bezahlen würden … Ich sicher nicht! Und wie die Schreiber Sauberkeit betonten, war es nicht selbstverständlich sich vorher zu duschen? Kopfschüttelnd griff ich nach dem nächsten Blatt.
Brief Nr. 5:
Hallo, sportliche, lustige Sie, ich kann ihn gar nicht verstehen, so wie Du Dich selbst beschreibst. Mir kommt das selbst nicht ganz unbekannt vor. Nach acht Jahren ist alles immer noch sehr schön, aber es fehlen manchmal der Reiz und Kick des Unbekannten und die Anforderung zum Erobern. Man kennt sich einfach zu gut. Bei uns ist es nicht so, dass wir nicht mehr miteinander schlafen, aber eben nicht mehr so oft wie früher. Das ist nicht einfach und es gibt, glaube ich, auch kein allgemeingültiges Rezept. Was ich Dir, so wie Du Dich selbst beschreibst, als Hilfe anbieten würde, ist, den Kick eventuell außerhalb der Ehe zu suchen. Da Deine Beschreibung auch exakt auf mich zutrifft, könnte das eventuell passen und wir könnten uns gut darüber austauschen und vielleicht beide interessante neue Erfahrungen machen. Über eine Rückmeldung von Dir würde ich mich sehr freuen.
Nein, lieber nicht, es sollte kein verheirateter Mann sein, der einen Kick suchte, aber würde ich einen anderen finden? Ich war ja selbst verheiratet und suchte ich nicht auch einen Kick?! Vielleicht bekam ich auch einen gehörigen Kick in den Hintern von Peter, wenn er dahinter käme …
Brief Nr. 6:
Hallo, liebe Unbekannte! Ich habe Deine Anzeige mit Interesse gelesen und festgestellt, dass ich ein ähnliches Problem habe. Meine Frau macht zurzeit ihre zweite Karriere und viel Zwischenmenschliches bleibt auf der Strecke. Viel zu selten, wenn überhaupt, tauschen wir Zärtlichkeiten aus. Wahrscheinlich geht es Dir genauso. Vielleicht merken unsere Partner gar nicht, was uns fehlt. Deshalb wäre es gut, wenn man sich mit jemandem, dem es genauso geht, zusammentun würde. Da wir ja beide verheiratet sind, versteht sich Diskretion von selbst. Ich bin auch kein Spinner. Ein paar Infos zu mir: 45 Jahre, 1,78 m groß, 74 kg, blond, blaue Augen, Nichtraucher. Ich bin ein lustiger, aufgeschlossener Typ und zu Vielem bereit. Also, wenn Du Lust hast, rufe mich an oder schreibe ein paar Zeilen.
Befremdet stellte ich fest, dass alle Männer mir offensichtlich ihre Liebesdienste anboten. Besonders schlimm fand ich die Angebote, der Männer, die in intakten Beziehungen lebten. Die armen Frauen, wenn die wüssten ...
Diese Männer konnten ihre Frauen nicht sehr lieben, wenn sie einer Fremden die tollsten Versprechungen gaben. Offene Ehe hieß wohl auch hier das Zauberwort, das alles entschuldigte. Vor allem, wenn sie noch mit ihren Frauen schliefen. Ich konnte das nicht ganz nachvollziehen, wenn Peter noch mit mir schlafen würde, käme ich niemals auf die Idee mit einem anderen Sex zu wollen. Das wäre Betrug in meinen Augen, aber so rechtfertigte ich mein Handeln eher als Hilfeschrei einer Ertrinkenden … und Peter hatte offensichtlich nicht vor, mich zu retten.
Ich nahm mir vor, den einen oder anderen anzurufen, um mich ein bisschen nett zu unterhalten. Da ich auf mehr Zuschriften hoffte, entschloss ich mich damit noch ein paar Tage zu warten.
Peter bemühte sich, seit ich nicht mehr im Schlafzimmer schlief, mehr um uns. Er ging am darauffolgenden Wochenende einkaufen, kochte und verbrachte den Sonntagmittag mit uns. Freudig nahm ich die kleinen Erfolge wahr, aber wagte nicht, zu viel zu erwarten. Er wedelte zwar mit dem Rettungsring, aber warf ihn mir noch nicht zu.
Am Abend, als ich mich mit den Mädchen im Bad befand, fragten Rebekka und Johanna, warum ich gar nicht mehr bei Papa schliefe, das sei doch echt komisch.
„Die haben Stress“, nuschelte Mira, den Mund voll mit Zahnpasta, und verdrehte die Augen.
Johanna blickte mich ernst und verunsichert aus ihren blauen Augen an. Sie trug ihr langes, glattes Haar meistens offen und kämmte es mehrmals täglich, außerdem bevorzugte sie Markenkleidung und legte großen Wert auf die Meinung anderer.
Rebekka unterbrach das Zähneputzen und kaute schweigend auf dem kläglichen Rest ihres Fingernagels. Die Neunjährige war in letzter Zeit sehr schweigsam und ich streichelte über ihre hellbraunen Haare, die ihr wirr um den Kopf standen. Mit den Sommersprossen und dem Kurzhaarschnitt sah sie aus wie ein Lausbub.
Ich nickte und zog freudlos die Mundwinkel nach oben. „Stimmt, aber macht euch bitte keine Sorgen, das wird schon wieder. So und jetzt sagt Papa noch Gute Nacht und dann ab ins Kuschel.“
Als die Kleinen im Bett lagen und Johanna in ihrem Zimmer las und Musik hörte, spülte ich in der Küche nachdenklich das Geschirr. Es belastete mich sehr, dass die Mädchen so viel von unserer Krise mitbekamen. Das hatten sie nicht verdient. Es müsste eine Kinder-Krisen-Kur geben, für Familien, bei denen die Eltern gerade Stress miteinander hatten. Aber solange wie das bei uns schon ging, so lange konnte man kein Kind wegschicken. Außerdem gehörten Krisen zum Leben dazu, redete ich mir ein. Ich konnte sie nicht vor allem beschützen. Obwohl ich das so gern getan hätte. Ich verhielt mich oft wie eine Glucke, nicht nur in dieser Beziehung.
Später setzte ich mich zu Peter, der sich im Wohnzimmer mit gerunzelter Stirn die Nachrichten ansah.
„Ich möchte unbedingt ein eigenes Zimmer, wo ich zeichnen kann und meine persönlichen Sachen auch mal liegen lassen kann, ohne dass die Kinder alles durcheinanderbringen“, fiel ich mit der Tür ins Haus. Ich traute mich nicht ihn dabei anzusehen, sondern blickte in den Fernseher, ohne etwas zu registrieren.
Peter schnaubte. „Ich habe auch kein eigenes Zimmer.“
„Du vergisst wohl dein Büro. Zwar spielen die Mädchen hin und wieder am PC, aber sonst ist es dein Zimmer.“ Peter schwieg und stellte provokativ den Ton des Fernsehers lauter.
Gekränkt eilte hinaus und knallte die Tür hinter mir zu. Mein Herz hämmerte und Tränen stiegen mir in die Augen, als ich mich zu Mira ins Zimmer legte. So eine taube Nuss! (Im wahrsten Sinne des Wortes.) Also musste ich weiterhin dort zeichnen, schreiben oder telefonieren, wo ich mich ungestört fühlte und auch wenn es im Bad auf dem Fußboden sein musste. — Ein unmöglicher Zustand … obwohl, im Sommer war es angenehm kühl.
Täglich kontrollierte ich den Briefkasten, denn die sechs Briefe konnten ja nicht alles gewesen sein. Fünf Tage nach der ersten Post kamen zwei dicke Umschläge an. Insgesamt dreißig Zuschriften! Die interessanten hob ich auf, die anderen zerriss ich gründlich, warf sie draußen in die Restmülltonne und schüttete sorgfältig Müll darüber.
Brief Nr. 7:
Hallo und guten Tag, ich, Anfang 40, Akad., 1,80 m, blond, blaue Augen, sportlich schlank, nett und sympathisch, bin sehr neugierig auf Dich geworden und würde mich freuen, von Dir zu hören. Vielleicht über ein erstes Telefongespräch? Bis bald?
Kurz und knapp. Das hörte sich doch schon ganz sympathisch an und es gab nichts zu meckern. Keine abstoßenden Anzüglichkeiten, das sprach für Niveau, vielleicht würde ich mich bei ihm melden. Leider war auch hier kein Foto dabei.
Brief Nr. 8:
Hallo, unausgefüllte Ehefrau, wer Dir schreibt, ist eine 36-Jährige, die die gleiche Erfahrung gemacht hat. Ich habe jahrelang fast immer die Initiative ergreifen müssen. Irgendwann war mir das Ganze zu blöd, obwohl es für meinen Mann voll okay war. Ich habe dann einfach mal abgewartet, ob er anfängt. Vergeblich. Ich habe mich als Frau nicht mehr attraktiv gefühlt. Erst nachdem ich ihm drohte fremdzugehen, hat er sich bemüht. Das hat ein paar Monate geholfen.
Wenn ich jetzt Lust habe, schicke ich ihm eine versaute SMS. Das funktioniert! Er hat Zeit, sich darauf einzustellen, und bekommt Lust. Eine zweite Möglichkeit wäre, sich einen Lover zuzulegen. Nicht, um ihm eins auszuwischen, sondern nur, um Dein Selbstbewusstsein wieder zu stärken. Du wirkst anziehender und hast wieder Ausstrahlung, das wirkt auch. Ist natürlich viel gefährlicher. Ich würde mich freuen, wenn Du mir schreiben würdest, ob es funktioniert hat.
Ich begeisterte mich über den weiblichen Tipp, also erging es anderen Frauen — wie vermutet — auch so, aber ich glaubte nicht daran, dass es bei Peter noch etwas nützen würde. Ich hatte es schon zu oft versucht und war jedes Mal abgewiesen worden. Außerdem hatte ich Hemmungen ihm versaute SMS zu schicken.
Brief Nr. 9:
Hallo, du Arme, wie kann Dein Mann nur so ignorant sein? Bei so einer attraktiven Frau ... Meine Tipps: Lass Dich scheiden! Geht nicht, denkst Du, mein Mann verdient das Geld. Verführe ihn mit heißen Dessous! Geht nicht, denkst Du, das bemerkt er überhaupt nicht. Suche Dir einen Liebhaber! Geht nicht, denkst Du, der bringt mich nur in Schwierigkeiten. Tu es mit Deiner Freundin! Geht nicht, denkst Du, sie steht nicht auf Frauen. Mach es Dir selbst, geht schon, denkst Du, aber dann ist nur der Körper befriedigt und nicht die Seele. Wir beide treffen uns mal! Geht, denkst Du und greifst zum Telefon. Viele liebe Grüße und viel Spaß mit deinen Antwortbriefen.
Ich musste lachen, sehr originell. Dieser Schreiber hatte bestimmt viel Humor und somit schon mal Pluspunkte. Ich legte seinen handgeschriebenen Brief auf den Stapel, bei denen ich mich eventuell melden wollte, hielt inne, nahm das Blatt wieder in die Hand und ging zum Telefon. Warum nicht gleich Nägel mit Köpfen machen? Wahrscheinlich war er tagsüber nicht zu erreichen, aber vielleicht hatte er einen Anrufbeantworter und ich könnte seine Stimme hören.
Als ich seine Nummer wählte, schlug mein Herz hart gegen die Rippen. Die Bandstimme hörte sich älter an, als ich mir erhofft hatte, und nicht sonderlich sympathisch. Da kein Alter im Brief stand, war der Fall für mich schon erledigt, denn ich wollte — wenn überhaupt — einen sportlichen Lover um die Dreißig.
Ich ging zurück ins Schlafzimmer und legte das Blatt auf den Stapel mit den uninteressanten Zuschriften.
Brief Nr. 10:
Hallo, Michelle, ich befinde mich in der gleichen Situation wie Du. Da meine Frau ebenfalls sehr gestresst ist, kommt der Rest zu kurz. Wie lange ist es bei Dir her, dass Du von Deinem Mann verwöhnt wurdest? Wenn ich verwöhnen sage, meine ich so richtig ausdauernden, hingebungsvollen Sex mit einem langen, ausgiebigen Vorspiel. Ich bin sehr ausdauernd mit der Zunge. Ich würde Deinen Körper mit meinen Händen, Lippen und der Zunge langsam erkunden und Dich so zum Höhepunkt bringen. Zu meiner Person: Ich bin 33 J., 180 cm groß, 75 kg schwer und habe eine sportliche Figur. Da ich verheiratet bin, kann ich Dir 100 % Diskretion und Gesundheit garantieren. Sollte Dich mein Brief angesprochen haben und falls Du Interesse an einem Treffen hast, kannst du Dich ja melden. Vielleicht bis bald. Jürgen
Eingehend betrachtete ich das Foto. Es zeigte einen jungen Mann, der in die Kamera lächelte. Ein brauner Lockenkopf umspielte sein sympathisches Gesicht, große Statur, modern gekleidet. — War er einen Versuch wert? Ich war mir noch nicht sicher, aber sein Schreiben sprach exakt das an, nach dem ich mich so sehr sehnte ...