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ОглавлениеVorwort
Es gibt keine Wunder in der modernen Gesellschaft. Was auch immer geschieht, ist erklärbar, zumindest im Nachhinein; und das, was nicht geschieht, erst recht. Wir sind zu aufgeklärt, um noch an Wunder zu glauben.
Und doch passieren sie. Politische, soziale, ökonomische Umwälzungen, die vorher niemand für möglich hielt, und die so rasant ablaufen, dass denen, die sie erleben, förmlich die Luft wegbleibt. Der Wirtschaftsboom in Deutschland vor 50 und in China vor zehn Jahren, der Mauerfall von 1989, das friedliche Ende des Apartheid-Regimes in Südafrika, sie alle gaben den unmittelbar Beteiligten das Gefühl, ein Wunder zu erleben. Und auch die rationalste nachträgliche Erklärung lässt einen Keim des Magischen in uns zurück.
Und Stolz auf die eigene Leistung. Denn so wie gemäß dem berühmten Satz von Louis Pasteur der Zufall nur den vorbereiteten Geist begünstigt, so kann auch das Wunder nur geschehen, wenn die Menschen dazu bereit sind, es geschehen zu lassen. Am 9. November 1989 brauchte es nicht nur einen Günther Schabowski, der von einem Zettel »ständige Ausreise« abstammelte, sondern auch viele DDR-Bürger, die sich auf den Weg zur Mauer machten, um zu schauen, ob sie sich öffne, und einen Offizier der DDR-Grenztruppen, der nicht Gewalt, sondern Öffnung befahl.
Wenn es also in den kommenden Jahren in Deutschland zu einem Bildungswunder kommt, dann liegt das an allen, die in den letzten Jahren den Boden dafür bereitet haben, und an allen, die auf diesem Boden die Erneuerung des deutschen Bildungswesens bewerkstelligen. Es liegt an Ihnen und an Ihren Kindern, und ein wenig wohl auch an diesem Buch, das dieses Wunder be- und herbeischreiben möchte.
Dieses Buch enthält im ersten Teil ein Plädoyer für die grundlegende Neuorientierung unseres Bildungssystems hin zum Recht auf Individualität – für Schule, Lehre und Universität, für Allgemein-, Aus- und Weiterbildung. Um Talente und Begabungen zu fördern, und um den Menschen dabei zu helfen, ihre Talente zu entdecken und diese dann in einer geeigneten Lernumgebung zu entwickeln. Das sind seit langem bekannte Vorrechte – von schmalen Eliten. Aber so wie im Verlauf des 20. Jahrhunderts unsere gesamte Bevölkerung ein Konsumniveau erreichte, das in früheren Generationen zuvor noch als Luxus-Leben einer Elite qualifiziert worden wäre, kann im Verlauf des 21. Jahrhunderts auch die gesamte Bevölkerung in den Genuss »elitärer« Bildung kommen.
Dabei werden zwar Leitlinien für die deutsche Bildungspolitik vorgeschlagen, aber kein neues System. Weil jedes System dazu tendiert, sich für wichtiger zu halten als das Schicksal des einzelnen, ihm unterworfenen Menschen, obwohl das Verhältnis genau umgekehrt sein muss. So hält es unser Bildungssystem heute schon, indem es auf sehr sympathische Weise unsystematisch geworden ist: Im Prinzip geht an deutschen Schulen und Universitäten nämlich heute schon alles, wenn es nur gut genug begründet ist – im Interesse des Einzelnen.
Leitlinien können eine Entwicklungsrichtung angeben; der Weg zum Ziel muss aber aus einer schier unendlichen Zahl großer und kleiner Innovationen, Programme und Reformen gepflastert werden. Im zweiten Teil des Buches werden deshalb Beispiele aufgeführt, wie wir heute schon dazu beitragen können, unser Bildungssystem an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts – und der Menschen des 21. Jahrhunderts – anzunähern. Ohne die kaugummizähe Kultusministerkonferenz, ohne Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat, ohne Einschaltung von EU-Kommission, Bundesverfassungsgericht oder UNESCO. Dinge, die Schulen, Universitäten, Lehrer, Professoren, Eltern, Städte, Unternehmen oder Stiftungen tun können.
Dann müssen wir nicht mehr darüber jammern, dass nur noch ein Wunder unser Bildungssystem retten kann. Denn dann sind wir Teil jenes Wunders, das unser Bildungssystem rettet.
Marbella, im Mai 2009
Detlef Gürtler
Wenn die Kinder, die in diesem Buch auftauchen, Leonie, Lucie oder Clemens heißen, dann handelt es sich um die echten Namen und meine Kinder. Ohne sie wäre dieses Buch nicht entstanden, ihnen ist es gewidmet. Alle anderen vorkommenden Kindernamen sind geändert.