Читать книгу Jupp Heynckes & die Bayern - Detlef Vetten - Страница 8
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Die Profis des FC Bayern München steigen am Abend des 12. Januar 2018 aus dem Bus, sie tragen die weißen Trainingsjacken, die Hälfte der Spieler steckt unter dicken Kopfhörern. Jupp Heynckes sieht grimmig drein und erkennt nicht, was links und rechts vorgeht. Die jungen Männer sind echt böse Jungs, man möchte ihnen nicht in dunkler Nacht oder in einer einsamen Parkgarage begegnen, sogar Franck Ribéry ist auf Krawall gebürstet.
So betreten sie die Bay Arena. Noch eineinhalb Stunden bis zum ersten Match der Bundesliga-Rückrunde. Eine konzentrierte Zeit haben die Bayern hinter sich. Lang vorbei die friedlichen Abende, an denen sie aus allen Ecken der Welt ihre Neujahrswünsche getwittert haben.
Rafinha grüßte mit ausgestrecktem, reichlich tätowiertem rechtem Arm. Das Foto mit pinkfarbenem verschwommenem Hintergrund war wohl nach einem gewonnenen Spiel entstanden: Das Haar des Spielers ist blondiert, er wirkt zufrieden und müde. In Schnörkelschrift steht da: HAPPY NEW YEAR 2018 – RAFINHA. Das Bayern-Logo oben rechts macht sich prächtig.
David Alaba hatte sein Posting animiert. Zu sehen ist, wie er von der Grundlinie aus nach rechts in den Strafraum flankt. Der Körper ist aufs Äußerste gespannt, bis in die nach oben ragenden Haarspitzen. Der Spieler Alaba scheint unter Strom gesetzt. Flankt also – der Ball löst sich von seinem Schuh, fliegt auf den Betrachter zu, platzt aus dem Laptop. Auf dem Bildschirm erscheint in Comic-Lettern das Wort ALABOOM.
Manuel Neuer war in Feierlaune. Er grüßte mit einem Bankettfoto. Neuer, der Welt bester Torhüter, im weiß-roten Karohemd, lachend, schäkernd. Von einer Verletzung und von Sorgen natürlich nichts zu sehen. Im Hintergrund verwischt Männer in Anzügen und das Geblinke von Bier- und Weingläsern.
Javi Martínez sah klasse aus. Er stellte sich zum Foto vor eine Winterlandschaft: Die Linke stützt er auf ein verschneites Geländer, Daumen und zwei Finger der Rechten umgreifen elegant das zu einem Viertel gefüllte Rotweinglas. Martinez ist lässig gekleidet, den Bart hat er gestutzt, das Lächeln ist das eines Mannes von Welt.
Kollege Lewandowski grüßte mit Frau Anna aus einem Hotel, vor dem Palmen wachsen: Das Paar steht vor dem leeren Pool – er im Smoking, sie im durch Spitze raffiniert aufgearbeiteten kleinen Schwarzen. Lewandowski gibt sich cool, rechte Hand in der Tasche, die Linke umfasst die Taille seiner Hübschen, die den Kopf kokett zur Seite neigt.
Thomas Müller hatte sich im Studio ablichten lassen: Softbox von links, harte Lichtkante von rechts – das macht einen interessanten düsteren Ganovenschatten im Gesicht. Müller trägt Kapuzenpullover und Funktionsjacke drüber. Der Spieler lacht sein Lausbubenlachen, das auch ein wenig wirkt wie die Mimik eines cleveren Überlebenskünstlers von der Straße. Er hebt die Handflächen in die Kamera, in die linke ist ein Herz geklebt: „Happy New Year to all my fans around the world.“
Und auch Ribéry hatte sich nicht lumpen lassen: Da stehen sie auf der Villenschwelle, seine Frau, die beiden Töchter, die zwei Söhne. Die Damen sind allerliebst und verzaubern in Abendgarderobe und mit einem Lächeln zum Dahinschmelzen. Die Söhne gucken lässig, machen Victory-Faxen mit den Fingern und fühlen sich ganz wohl in ihren Brokat-Jacketts. Franck, le patron, hat zu lange Hosen und ein gewagtes Nadelstreifensakko (voilà, ein Gangster aus den 1940ern) an. Er versteckt sich ein bisschen rechts hinten. Und schaut in die Kamera, wie das ein Patron nun mal so tut: streng, kaum lächelnd, alles unter Kontrolle. Aber vor allem: stolz, wie le chef nur sein kann auf sein Unternehmen Ribéry.
Sie hatten nicht viel weihnachtlichen Ausgang. Kaum war Silvester verraucht, mussten die Bayern ins Trainingslager nach Doha. Dahin flog der Verein nun zum achten Mal – alles war wie immer um die Jahreswende. Heißes Wetter, Wüste, Eins-a-Location auf dem Gelände der Aspire Academy.
Und doch ist es anders gewesen in diesen frühen Tagen des Jahres 2018. Dafür hat schon Herr Heynckes gesorgt.
2. Januar. Am Vormittag um zehn hebt die mit überlebensgroßen Lewandowski-, Neuer- und Alaba-Airbrush-Helden veredelte Lufthansa-Maschine in München ab. An Bord: 25 Spieler, darunter Neuzugang Sandro Wagner und die Nachwuchsakteure Ron-Thorben Hoffmann, Lukas Mai, auch die Amateure Niklas Dorsch, Marco Friedl und Felix Götze dürfen mit. Franck Ribéry, Jérôme Boateng, Arjen Robben, Arturo Vidal, Rafinha und James Rodríguez reisen eigenständig aus ihrem Urlaub nach Doha; Manuel Neuer, Thiago und Christian Früchtl bleiben zuhause, um ihr Rehaprogramm in München fortzusetzen. Auch Robert Lewandowski bleibt wegen Muskelbeschwerden daheim.
Auch im Flieger: der Trainerstab, die Betreuer. Fans. Journalisten. Ein aufgekratzter Haufen auf dem Weg zur Sonne.
Jupp Heynckes besucht die Medien-Menschen und erklärt: „Die Erholungsphase war sehr kurz, jetzt ist sie zu Ende. Das werden harte fünf Tage. Wir haben ein dichtes Programm. Nun müssen wir an den Stellschrauben drehen, wenn wir in den kommenden Monaten bestehen wollen.“
Echt: Der Mann freut sich auf die Schinderei in Doha.
Der Flieger landet, die Menschen checken aus …
… und zwei Stunden später leisten die Spieler auf dem Gelände der Aspire Academy ihre erste Einheit ab.
Aspire Academy: ein Ort, an dem die Vermessenheit fröhliche Urstände feiert.
Aspire Academy: die Science Fiction des Sports.
Aspire Academy: Traumstatt für Helden in spe.
Die Kataris wollen zu den größten Sportnationen der Welt gehören. Sie haben viel zu wenig Menschen, in der Wüste ist Sporttreiben nicht möglich, es gibt keine Tradition – doch was soll’s?
Dann kauft man sich eben den Erfolg.
Man kauft mit dem Ölgeld Meisterschaften und Turniere und Spiele. Man kauft Trainer und Athleten. Man hat’s ja.
Und für eine Milliarde haben die Scheichs in Doha die Academy aus dem Sand gestampft. Kernstück ist der Aspire Dome – mit 250.000 Quadratmetern überdachter Fläche die größte Sporthalle der Welt. Im Bauch des Monumentalbaus gibt es ein Fußballfeld samt Tribüne für 8.000 Zuschauer, ein Leichtathletikzentrum mit Platz für 3.000 Besucher, ein olympisches Schwimmbecken, eine Halle für Ballsportarten, Anlagen für Turnen, Fechten, Tischtennis und Squash.
Unter freiem Himmel: sieben Fußballfelder mit Nagelscheren-gepflegtem Rasen, Tartanbahnen, Leichtathletik-Greens, Tenniscourts, für alle etwas. Bei 50 Grad und mehr im Sommer liefert ein eigenes Kraftwerk den Strom für die Klimaanlagen des Geländes, auf dem die Nachwuchssportler auch wohnen und zur Schule gehen können.
Aus ganz Afrika kommen die jungen Talente und sollen zu Olympiasiegern und Weltrekordlern geschult werden. Katarische Fußballvereine versuchen sich an der Aufgabe, das Niveau der Europäer oder Südamerikaner zu erreichen. Olympia-Größen aus aller Welt bereiten sich in der Academy auf die nächsten Spiele vor. Und da sind auch noch die europäischen Spitzenklubs, die vermehrt in der Academy ihr Fußball-Trainingslager aufschlagen. Die Schalker sind aus Doha mittlerweile im Winter genauso wenig wegzudenken wie die Bayern.
Normalerweise nehmen sich die Münchner ein bisserl Zeit – 2018 wird’s ein Crashkurs in Sachen Fitness und Stellschrauben-Drehen.
Heynckes – Trainingsanzug, kein Tropfen Schweiß auf der Stirn – versammelt die Spieler um sich. Drei Minuten dauert sein Vortrag, in dem er erklärt, was die Spieler in den nächsten Tagen erwartet und was er von den Männern erwartet. Alle hören zu, alle sind bei der Sache. Sie haben fünf Stunden Flug in den Knochen, mussten sich hopphopp umziehen, nicht einmal ausgepackt haben sie.
Egal. Jetzt wird gearbeitet.
Heynckes klatscht in die Hände. Es geht los. Die Ortszeit: 20 Uhr. Gleißendes Licht auf dem akkurat getrimmten Rasen. 19 Grad. Alles perfekt.
Locker laufen sie und tänzeln, sie hüpfen, sie dehnen ausgiebig. Die Trainer geben Bälle aus. Kommandos kommen nun von Peter Hermann, der hat ein platzgreifendes Organ.
„Klatschen lassen!“
„Pass! Pass! Pass!“
„Und Feuer!“
Heynckes steht, die Arme verschränkt, am Rand und saugt alles in sich auf. Er sieht es, wenn einem Profi der Ball zu weit vom Fuß springt, wenn der scharfe Kurzpass ungenau gerät, wenn ein Spieler nicht hochkonzentriert die Übungen abarbeitet.
Ab und zu sprechen die Trainer kurz etwas miteinander ab – und es kommt vor, dass Heynckes einen Spieler zu sich heranruft und ihm erklärt, warum er etwas falsch gemacht hat. Der Spieler nickt und mischt sich wieder ins Geschehen.
Nur Hermanns Rufen hallt über den Platz, zu hören ist das entschiedene Ploppen satt getroffener Bälle, das Schnaufen der hetzenden Profis beim Spiel auf engem Raum ohne Tor.
Es ist ein anstrengender Abend, für alle Beteiligten.
Die Spieler atmen denn auch auf, als Heynckes anordnet, man werde nun auf halbem Platz ein Trainingsspiel veranstalten. Leibchen werden ausgegeben, das Match nimmt seinen Lauf.
Laut ist es nun. Die Spieler wollen auf sich aufmerksam machen, jeder fordert den Ball. Wer hier nicht schreit, kommt nicht weit. Hier wird der Ernstfall geprobt, hier wird gebrüllt, als sei man inmitten von 66.000 Menschen.
Kingsley Coman, den sie zuhause in Frankreich „la dynamite“ getauft haben, ist einer der Lautesten an diesem Abend. Und er macht auch das erste Tor des Trainingslagers Doha 2018. Freut sich tierisch – wie im Ernstfall eben.
Nach 75 Minuten pfeift Jupp Heynckes ab. Die Spieler trotten verschwitzt zum Hotel zurück, bis zur Lobby sind’s nicht mal fünf Minuten Fußweg.
Es ist nicht unbedingt ein Bau nach dem Geschmack junger Menschen. Viktorianischer Stil, protzig, viel Kristallglas, viel Bling-Bling, dicke Teppiche allerorten. Im Grand Heritage mögen sich vielleicht neureiche Oligarchen oder die Scheichs aus der Region wohlfühlen – das Haus ist aber nicht der Stil der Bayern-Profis. Die mögen es moderner, lässiger, westlicher …
Obwohl: Es ist schon okay, das Grand Heritage mit seinen 136 superteuren Zimmern und Suiten. Du musst dich um nichts kümmern. Das Frühstücksbüfett ist großartig, die Pools und Terrassen vom Feinsten, das Personal allzeit bereit. Du latschst in den Pantinen durch die Lobby und bist der Hausherr, sozusagen. Heynckes hat alles unter Kontrolle, die Fuzzis von der Presse können einen nicht belagern, die Fans bleiben in angenehmer Distanz, du hast die Ruhe, die du brauchst.
Manchmal ist den Profis fad. Dann twittern sie ein wenig, das ist unverbindlich und vertreibt die Langeweile. Niklas Süle klatscht sich im Teppich-Brokat-Silber-Gold-King-Size-Bed-Room nach dem Training eine Feuchtigkeitsmaske aufs Gesicht – und Kumpel Ribéry filmt sich und diesen Clown von Süle. Das Video ist auf Twitter ein Renner und schafft es bis in die Bild.
Ansonsten trainieren sie. Schlafen, essen, werden massiert. Mehr geht nicht. Dieser Heynckes nimmt sie böse ran.
Acht Einheiten und ein Testspiel in fünf Tagen. Das ist übel Stress.
Die meiste Zeit üben die Bayern mit Ball. Sie schulen das Zweikampfverhalten, sie behaupten sich auf knappstem Raum, sie verfeinern die Kurzpässe, sie schlagen weite Flanken. Zack, zack, eine Übung nach der anderen. Nur kein Stillstand, nur kein Innehalten. Das Arbeiten unter Heynckes ist körperlich anstrengend – und es zuzelt die letzte Aufmerksamkeit aus den Spielern.
Nach eineinhalb Stunden am Ball schlurfen sie zurück ins Hotel und sind durch mit der Welt. Da interessiert nicht mal mehr die Gesichtsmaske des Kollegen. Da wirft man sich nur noch aufs King-size-Bett und erholt sich.
Einmal bleibt der Ball außen vor. Das ist an Tag zwei, Heynckes erwischt die Burschen kalt. Sie werden gepiesackt, bis ihnen das Frühstück im Hals steht.
Sit-ups mit Gewichten, Klimmzüge, Kniebeugen mit Gummiseil, Einbein-Sprünge über Minihürden. Das ist der Prolog, nun sind die Herrschaften warm. Jetzt folgt der Kraftzirkel.
Acht Stationen haben die Fitnesstrainer des FC Bayern vorbereitet, die jeder Spieler zweimal für 30 Sekunden durchlaufen muss. Funktionelle Ganzkörper-Kräftigungsübungen zur Stabilisation und Prävention nennt das der Fachmann. Klingt eher harmlos und gesund – ist aber ein Grenzgang für die Leistungssportler des FC Bayern München.
Jede Übung ist wie eine Runde Boxen. Du steigst in den Ring und gibst alles. Du weißt, dass die Schmerzen kommen werden. Du weißt, dass dein Körper revoltieren wird. Spürst die Blicke des Trainers, der keinem eine Schwäche durchgehen lässt. Wenn du jetzt nicht alles gibst, stellt er dich nicht auf. Wenn du nicht genug drauf hast, stellt er dich nicht auf. Wenn die Kollegen es besser machen, stellt er dich nicht auf. Also ignorierst du den Schmerz und schreist dich in bester Sportlermanier an: Quäl’ dich, du Sau!
Es gibt ein Foto des Abwehrspielers Javi Martínez, der sich gerade durch den Kraftzirkel schindet. Das Trikot ist verrutscht, die dunklen Haare hängen nass in die Stirn. Javis Mund ist geöffnet, der Mann bekommt nicht genug Luft. Die verschatteten Augen sind schmerzerfüllt.
Der Spieler arbeitet mit einer Zehn-Kilo-Hantelscheibe. Er muss sie über einen Parcours tragen und in höchst anstrengenden Pumpbewegungen vor und über den Körper hieven. Martinez kann eigentlich nicht mehr. Er hält die Scheibe nicht mehr gerade, sie gleitet ihm fast aus den verkrampften Fingern. So wuchtet er sie nach oben und steht mit gequältem Gesicht unter Dohas Sonne.
Ein Mann, der ein Stück Metall über seinen Kopf hebt: Das kennt man doch. Das kennt man gerade von einem wie Martínez. Normalerweise ist das Metall edel und zu einem Pokal oder einer Schale verarbeitet. Und Martinez lacht wie einer, dem die Welt geschenkt worden ist. An diesem Mittwoch im Januar hält er mit letzter Kraft nur eine Eisenscheibe hoch. Und zum Lachen gibt’s auch keinen Grund.
Am Samstagabend treffen die Bayern im Freundschaftsspiel auf das Team von Al-Ahli. Sie gewinnen mit 6:0. Ein Tor erzielt der Neue. Flanke James, Kopfball Wagner – Tor! So ist’s recht. Sandro Wagner ist hochzufrieden. In der Winterpause haben die Bayern-Bosse den Hünen eingekauft – er ist ein Mittelstürmer mit Fortune und soll vor allem für den Fall Sicherheit geben, dass der unersetzliche Robert Lewandowski verletzt ist.
Nun also ist der Pole in München geblieben, und Wagner macht gleich mal seinen Job. Er ist immer gefährlich, scheitert dreimal an einem exzellenten Torhüter, trifft einmal die Querlatte, dann köpft er ins Tor.
Super!, sagen Trainer und Kollegen. Den Mann kann man brauchen.
Jérôme Boateng: „Ich glaube, dass wir einen guten Stürmer bekommen haben. Er ist sehr ehrgeizig und gibt Gas.“
David Alaba: „Ich glaube, dass er sich schon sehr wohlfühlt. Er hat sich super eingefügt.“
Jupp Heynckes: „Sandro hat sich wirklich sehr gut eingegliedert. Er war sehr aktiv, hat sich in den Trainingseinheiten immer wieder positiv gezeigt. Ich finde, dass er für uns noch ein wichtiger Spieler werden kann.“
Okay, so darf’s weitergehen: „Nach einer harten Trainingswoche mit sehr intensiven Einheiten war das heute ein ordentlicher Test, denke ich“, resümiert Wagner nach dem 6:0. „Wir hatten gute Spielzüge, alle sind gesund geblieben. Mit der nötigen Frische hätten wir noch das eine oder andere Tor mehr machen können.“
Er ist, erklärt er, rundum glücklich: „Ich habe beim FC Bayern das Fußballspielen gelernt, dann ging es mal rauf und mal runter. Dass ich noch einmal bei den Bayern landen würde, dass ich jetzt mit 30 sogar Nationalspieler sein würde – das habe ich nicht mal geträumt.“
Der gebürtige Münchner ist als Fußballer in der Tat ordentlich Achterbahn gefahren: FC Bayern München, zweite und erste Mannschaft. MSV Duisburg. Werder Bremen, erste und zweite Mannschaft. Kaiserslautern. Hertha BSC Berlin, Erste und Zweite. Darmstadt. Hoffenheim. Und jetzt, 2018, FC Bayern München. „Ja, das ist echt ein Traum. Ich habe ein gutes Leben. Und Herr Heynckes ist für mich wie eine Vaterfigur.“
Gegen Ende des Trainingslagers muss der Neue beim Abendessen singen. So ist das Usus bei den Bayern. Mal sehen, wie sich der Novize beim Karaoke blamiert.
Wagner singt nicht, er knödelt. Sehr musikalisch ist er nicht. Aber loyal. Und der Refrain des Songs, den sich der Kerl ausgesucht hat, ist toll: „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht.“
Das finden sie geil, die anderen. Jupp Heynckes schmunzelt.
Zurück in Deutschland gibt’s einen Tag frei. Dann ist Endspurt der Rückrundenvorbereitung. Mats Hummels (Adduktorenprobleme) und Robert Lewandowski (Patellasehnenprobleme) stoßen zur Mannschaft. Hummels ist, zusätzlich zur abklingenden Verletzung, ein wenig abgelenkt. Seine Frau wird in den nächsten Tagen ihr erstes Baby bekommen. Das macht den Profi nervöser als ein Pokalspiel.
Letzter Test gegen die SG Sonnenhof Großaspach. 5:3 gewonnen, Ribéry schießt drei Tore.
Letzte Pressekonferenz vor der Rückrunde. Heynckes ist prima gelaunt. Er warnt, was soll er sonst wohl machen: „Seit zwölf Spielen hat Leverkusen nicht mehr verloren. Das ist eine junge, hochtalentierte, hungrige, schnelle Mannschaft, die auch viel Fantasie hat. Ein hartes Spiel wird das – mit vielen Zutaten, die den Fußball attraktiv machen. Es ist schon ein Auftakt, der es in sich hat, der prickelnd und schwierig ist.“
Heynckes grinst (übrigens: Der Mann müsste mal zum Friseur, das silbergraue, nach hinten gekämmte Haar gerät aus der Fasson). Er ist gerade gefragt worden, ob er keinen Bammel vor der Statistik habe; schließlich hätten die Bayern seit Jahren nicht mehr in Leverkusen gepunktet.
Der Bayern-Trainer wird zum Schelm: „Den letzten Bayern-Sieg in Leverkusen, wer hat den errungen? Wer war da Trainer?“ Die Herrschaften von der Presse schweigen, worauf der Jupp die Frage selbst beantwortet: „Das war ich. Warum soll ich da Bammel haben?“
Als er mit der Mannschaft in den Katakomben der Arena verschwindet, ist vom Schelm nichts übrig. Jupp Heynckes ist im Fight-Modus, genau wie seine Spieler.
Auf der Ehrentribüne lockert Präsident Hoeneß den Fanschal.
Die Gladiatoren laufen ein, machen sich ein letztes Mal warm. Hoeneß sieht hinunter auf die teuren Akteure: die Ersatzspieler und die elf Männer, die Heynckes ins Gefecht schickt.
Vor einem Vierteljahr war das noch ein Haufen außergewöhnlicher Fußballer, die nicht so recht zusammenzupassen schienen. Die zum Teil verunsichert waren, die ihre Laufwege vergessen hatten, die nicht mehr an geile Spiele glaubten. Nun hat sie dieser Jupp zu einem Trupp von Sieg-Söldnern geschweißt. Sie klatschen sich ab und machen sich an die Arbeit.
Die erste Bayern-Elf 2018:
Sven Ulreich. Manuel Neuer, der beste Torhüter der Welt, ist noch immer nicht gesund, quält sich durch eine knüppelharte Reha. Sein Stellvertreter Sven Ulreich spielt klasse. Jupp Heynckes mag seine nüchternen, effizienten Auftritte. Und der Trainer schätzt die Intelligenz Ulreichs. Der weiß, dass sein Freund Neuer unerreichbar ist. „Manu hat einfach eine Gabe, die brutal ist. Er antizipiert die Bälle extrem früh. Manu ist auf einer anderen Ebene als alle anderen Torhüter auf der Welt.“ Aber solange er, Ulreich, den Job bei Bayern machen darf, genießt er’s. Macht keine Fehler, ist einer der Besten der Liga. Hält sogar Elfer, die der Neuer nicht pariert hätte. Die Fans haben Vertrauen, er hat ein gesundes Selbstvertrauen: „Fußball ist so schnelllebig. An einem Tag bist du der Depp, am anderen kannst du der Held sein. Wichtig ist, dass du weißt, du hast ein gutes Spiel gemacht, ohne in der Bewertung zu übertreiben. Man muss immer die Kirche im Dorf lassen.“
Rafinha, bürgerlich Marcio Rafael Ferreira de Souza, geboren 1985 im brasilianischen Londrina. Friedlicher Zeitgenosse, mit dem Mann kann man nicht streiten. Keine Allüren, keine Extrawürste, ein zuverlässiger Dienstleister, in der Abwehr wie auch im Aufbauspiel. Die Bosse mögen den Rechtsverteidiger sehr. „Rafinha ist für uns ein wichtiger Spieler auf dem Platz, aber auch ein sehr beliebter Mensch in der Kabine“, sagt Karl-Heinz Rummenigge. Und Rafinha? Macht eine gänzlich unkomplizierte Liebeserklärung: „Der FC Bayern ist für mich wie eine zweite Familie und einer der besten Vereine der Welt. Hier kann ein Fußballprofi alt werden. Hier möchte ich noch so viele Titel wie möglich gewinnen.“
Jérôme Boateng. Weltmeister. Einer, der eine Abwehr versichert mit seinem Können. Fehler sind ihm fremd. Schlägt Pässe, wenn es sein muss, bis zum Mond. Ein ruhiger Zeitgenosse. Bildet sich nichts auf sich ein – auch wenn er einen Modefimmel kultiviert und mit Werbung viel Zugeld verdient. Hatte mit Verletzungen an der Schulter und am Oberschenkel zu tun, nun will er wieder der Alte werden. Vergisst allmählich die letzten Tage unter Trainer Ancelotti, vor allem die Momente vor dem Spiel in Paris. „Wir saßen im Besprechungsraum, und fünf von uns wurde dann anderthalb Stunden vor dem Spiel gesagt, dass wir nicht spielen, plötzlich und ohne jede Erklärung“, schildert Boateng den denkwürdigen Tag: „Die betreffenden Spieler waren geschockt, das kann man schon sagen.“
Niklas Süle, ungarische Wurzeln, gradlinig, auf dem Platz ein harter Brocken. „Du musst versuchen, du selbst zu bleiben. Das Wichtigste ist für mich, dass alles respektvoll abläuft. Man sollte sich nie verstellen, sondern einen guten Job machen und nicht künstlich werden.“
David Alaba. Kommt aus Wien, hat’s manchmal mit Selbstzweifeln. Stiller Kollege, der ohne Alkohol feiern kann wie ein Volltrunkener. Sein Vater George, Musiker aus Nigeria, sagt: „Moral ist wichtig. Das wollten wir unserem Sohn David mit auf den Weg geben. Afrikanisch-asiatisch-europäische Moral. Das Beste von drei Kontinenten.“ Afrikanisch sei Davids Ehrgeiz. „Und sein unbändiger Wille, etwas zu erreichen.“
James David Rodríguez Rubio, kurz „James“. War bei der WM in Brasilien Torschützenkönig, ist aber in Madrid in der Versenkung verschwunden. Als ihn die Bayern holten, höhnte die Zeit, durch die Verpflichtung dieses Hinterbänklers mache sich der Münchner Verein „klein gegenüber Real“. Im Januar 2018 sagt der Kolumbianer, ohne mit der Wimper zu zucken: „Ich denke, dass wir imstande sind, es zu schaffen, alle drei Titel zu gewinnen. Wenn so große Qualität in der Mannschaft ist, darf man schon mal vom Triple träumen.“
Javi Martínez. Spricht mit dem Trainer gern mal Spanisch. Sagt, Heynckes habe das drauf mit den ganz großen Siegen. Blind folge er diesem wunderbaren Coach. Martínez ist der Gentleman der Mannschaft. Sogar die Bunte ist berückt: „Javi, der mittlerweile zu den absoluten Bayern-Stars zählt, verzauberte seine Fans auf Instagram jetzt mit einem niedlichen Schnappschuss. Papa und Sohn liegen sich auf der Couch ganz gemütlich gegenüber und strahlen um die Wette. Sein sonniges Gemüt hat Baby Luca offensichtlich von seinem Vater geerbt. Der Fußballer scheint in seinem Vaterglück vollkommen aufzugehen – und seine Fans freuen sich sehr für ihn! Sie posten jede Menge Herzen in ihren Kommentaren und beglückwünschen ihn und seine Aline zu einem so goldigen Söhnchen. Hoffentlich sehen wir in Zukunft mehr von dieser süßen Familie!“
Arturo Erasmo Vidal Pardo, kurz „Vidal“. Im September 2017 gerät er in eine Disco-Schlägerei, und die Bild veröffentlicht seine „Skandal-Akte“: „November 2011: Vidal kommt nach einer Taufe zu spät und betrunken zum Training. Folge: Kurz-Rausschmiss aus der National-elf. – Oktober 2014: Schlägerei vor Nachtklub in Turin, mehrfach soll er betrunken beim Training erschienen sein. Folge: Juventus brummt ihm 100.000 Euro Strafe auf. – Juni 2015: Unfall mit 1,2 Promille, Ehefrau Maria verletzt, Ferrari Schrott. Ex-Nationaltrainer Sampaoli: ,Er mag es zu trinken, ist ein Fall für den Arzt.‘ – August 2017: Casino-Party in Chile. Von einem Polizei-Einsatz morgens um 7 Uhr ist die Rede. Die Schwiegermutter von Torwart Claudio Bravo (34) im TV: ,Alle Welt weiß, dass Vidal besoffen zum Training kam.‘“ Das also ist Vidal, chilenischer Profi beim FC Bayern München, sie nennen ihn den „Krieger“. Auch mit dem muss Heynckes klarkommen.
Arjen Robben. Freundlicher Holländer, Künstler am Ball, hemmungslos ehrgeizig, neigt manchmal zum Mimosentum. Ist mit den Niederlanden 2017 bei der WM-Qualifikation ausgeschieden, war untröstlich. Lang kann er nicht mehr auf dem ganz hohen Niveau spielen, er weiß das. Will mit den Bayern partout noch alles gewinnen, was sich darbietet. „Mittlerweile bin ich Bayer durch und durch. Ich bin ein Teil dieses Vereins.“
Franck Ribéry. Comment? Monsieur Robben soll Bayer durch und durch sein? Ça va pas, non? Da hat Franck Ribéry denn doch ein Wort mitzureden. Le FC Bayern Munich, c’est lui, Franck Ribéry, né à Boulogne-sur-Mer. Der Franzose, geboren in Boulogne-sur-Mer, ist Monsieur Munich, er liebt die Stadt, die Stadt liebt ihn, die Fans wollen ihn sehen, auch wenn er mal 90 Minuten lang wie ein wirres Huhn über den Platz derwischt. Ribéry, das ist der Mann fürs „Mia san mia“. Ribéry rennt für die Mannschaft – bis sie ihn vom Platz tragen. Außerdem kleidet ihn die Lederhose trefflich.
Thomas Müller. Keiner, dem eine Lederhose passt. Er hat Waden wie Steckerl. Dünn und wenig tragfähig scheinen sie, aber er macht mit seinen dürren Beinen Dinge, die die Fachleute auch nach Jahren nicht begreifen. Die gegnerischen Verteidiger treibt er damit zur Verzweiflung. Eine Weile freilich schien es, als habe er das Müllern verlernt. Carlo Ancelotti, der Trainer, mochte ihn nicht besonders. Thomas Müller verkümmerte, ein griesgrämiger Sucher wurde er, das Tor traf er schon gar nicht mehr. Dann kam Jupp Heynckes – und jetzt ist er aufgeblüht, der Mann mit den Steckerl-Waden.
Das sind die elf Mann, die ins Jahr 2018 starten. Stille und Laute, Bedächtige und Vorlaute, Hitzige und Besonnene, Familienmenschen und Hallodris, Trainingsschwänzer und Überstundenleister. Sie alle hat Jupp Heynckes in drei Monaten ziemlich auf Kurs gebracht.
Nun beginnt die Rückrunde. Es folgen Endspiele in den Pokalwettbewerben, lauter Endspiele. In der Liga zeigen alle Gegner das Beste, was in ihnen steckt. Siege gegen die Bayern sind so wunderschön – und voller Häme. Nun muss das Orchester FC Bayern zeigen, ob es die guten Töne kann. Keine Schonfrist mehr.
Schiedsrichter Siebert pfeift an. Uli Hoeneß’ Blutdruck ist hoch.
Leverkusen geht es schnell an, attackiert früh, diktiert das Spiel. Aggressiv sind die Gastgeber, sie wollen die Bayern einschüchtern. Volland bekommt nach zehn Minuten Gelb, vier Minuten später gibt es eine Gelbe Karte für Bellarabi.
Nach einer Viertelstunde ist das erste Pulver verraucht. Die Münchner finden ihren Rhythmus, sie fangen die gegnerischen Attacken ab und marschieren selbst nach vorn. Vidal ist einer, der besonders viel Druck macht. Er schießt scharf aus linkem Winkel, das ist nicht ungefährlich. Die folgende Ecke segelt in den Strafraum, da ist dieser Vidal schon wieder am Ball. Der „Krieger“ ist auf den Geschmack gekommen.
Die Bayern nehmen Fahrt auf. Mit Angriffen von außen berennen sie das Leverkusener Tor.
Raus aus der Defensive! Kontrolle! Thomas Müller hat sich warm gespielt. Er rennt und brüllt, er hadert mit dem Schiedsrichter. Müller bekommt Gelb, weil er zu ungestüm mit dem Gegenspieler umspringt. Er ist genervt, klaut einem besser postierten Kollegen den Ball.
In der Mitte soll es Müller richten. Da der Lewandowski noch nicht wieder fit ist, hat Heynckes den Müller auf die zentrale Position vor der Leverkusener Abwehr beordert. Das behagt dem Münchner nicht so recht – er treibt sich am liebsten überall und nirgends rum. Nun aber muss er mittig auf die Bälle lauern. Lang schlagen die Mitspieler die Bälle in seine Richtung, aber er ist nicht der Typ, der mit dem Rücken zum Tor die Pässe annimmt, sich irgendwie in den Strafraum wurschtelt und dann zielstrebig aufs Tor zugeht. Müller spielt gern „über Bande“, unkonventionell – so wie es nur Thomas Müller kann.
Nun, Heynckes hat es anders angesagt. Und so läuft und hetzt der Stürmer durch die Angriffszentrale – nur der Ball gehorcht noch nicht.
Ecke. Vidal mit Kopf. Abwehr Sven Bender. Martínez ist da. Hält drauf. Kunstvoll ist das nicht, aber ein Tor. Es ist die 33. Minute.
Heynckes lässt weiter über die Außenbahnen spielen. Das ist anders als bei Pep Guardiola, der die Mannschaft zum Passen und Verlagern anhielt. Das ist auch anders als bei Ancelotti. Auf jeden Fall zwingt es den Gegner in Standardsituationen. Mit denen ist Leverkusen in der ganzen Saison nicht so recht klargekommen.
Martínez schon wieder mit dem Kopf nach einer Ecke in der 38. Minute. Gefahr, Gefahr für Bayer!
Jetzt haben die Bayern die Partie im Griff. Schon die sechste Ecke. Süle mit dem Kopf dran. Gefahr, Gefahr!
Im Mittelfeld gewinnen sie jetzt die Zweikämpfe, vor allem die nickligen. Wie oft haben sie das in Doha geübt: rein in den engen Zweikampf, das Stochern um den Ball, das Spitzeln zum Nebenmann, das Behaupten des Balls, der befreiende Pass in den freien Raum.
Den Bayern gehört das Mittelfeld, sie sind jetzt die Platzherren.
Nach der Pause machen sie weiter so. Lassen sich auch durch einen Lattentreffer in der 55. Minute nicht beirren.
Alaba. Rafina. Martínez. Süle. Das sind Arbeiter des soliden Zweikampfs
Genau eine Stunde rum.
Konter. James flankt. Von rechts kommt mit Tempo Ribéry, von der Mittellinie kommt er, nimmt den Ball nach rechts mit, schlägt einen Haken, legt sich den Ball auf den rechten Fuß, zieht durch.
Dann hoch die Faust. Ein Siegerzeichen zu James. Heldenpose vor den Fans.
2:0. Das war’s dann wohl.
Noch einmal bäumen sich die Leverkusener auf.
71. Minute.
Volland bekommt den Ball an der rechten Strafraumecke. Zieht nach links. Gegen Ribéry rennt er an, gegen Vidal, gegen Süle – er ist immer noch am Ball. Er schießt, der Ball wird abgefälscht. 1:2.
Später wird Bayer-Coach Heiko Herrlich sagen: „Da habe ich geglaubt, dass wir das Spiel noch gewinnen können.“
Volland frei vorm Tor, langes Bein von Boateng in der 76. München kommt nicht mehr aus der Defensive.
Das Spiel kippt. So etwas mag Heynckes gar nicht.
Ribéry, mittlerweile ausgewechselt, hält es nicht mehr auf seinem Stuhl. Er streift die Kapuze ab, geht ein paar Schritte nach vorne und signalisiert: Gebt mal ein bisschen Gas!
James wird am Strafraum gefoult, da war er auf dem Weg zum Tor. Er schießt den Freistoß selbst. Zwei lockere Schritte. Kunstschuss mit links, der Ball dreht sich über die Mauer und landet links oben im Tor. Da kann Bayer-Torwart Leno fliegen, wie er will.
Die Bayern werfen sich auf James. Jetzt ist ihnen der Sieg nicht mehr zu nehmen.
Auf der Ehrentribüne rüsten sich die Menschen für den Heimweg. Michael Schade, Sprecher der Bayer-Geschäftsführung, kommt zum Gratulieren. Hoeneß steht kurz auf, nickt wie ein Politiker, setzt sich wieder. Ernst sieht er aus, dabei gewinnen die Jungs doch gerade.
Eine Minute später pfeift Schiedsrichter Siebert ab. Thomas Müller läuft mit den anderen Bayern zu den Fans, die sind genauso ausgelassen wie die Akteure. War ein hartes Stück Arbeit, das hätte auch noch schiefgehen können. Na ja, sei’s drum, die drei Punkte sind gebongt, Zeit zum kurzen Feiern. Müller winkt lachend zu den Menschen auf der Tribüne. Nimmt Alaba in den Arm, gibt dem Ulreich einen Klaps auf den Hintern, latscht zur Mittellinie zurück. Ein Reporter steht im Weg.
Schnell, schnell, eine Antwort, auf den Punkt:
„Das war mehr als okay. Wir haben gleich mal allen gezeigt, dass mit uns nicht zu spaßen ist.“
Schon begriffen. Die Frankfurter Allgemeine sieht die Bayern anderntags „kampfbereit auf den Spuren von Rocky. Seit Monaten schon und seit dem Winter-Trainingslager vielleicht noch ein bisschen mehr wirken die Münchner wie besessen von der Vorstellung, es allen – und auch sich selbst – noch einmal zeigen zu wollen: in Gedanken ganz bei sich, den eigenen Stärken und dem Ziel. Die Welt da draußen mit ihren Verführungen und Fallen? Ausgeblendet.“
Autor Christian Kamp reibt sich die Augen über dieses Team, das im Herbst noch in Schockstarre schien: „Es ist eine schöne, ja eine romantische Geschichte, in der die Bayern derzeit schwelgen. Und spannend ist sie auch. Schließlich ist noch längst nicht klar, wohin die ganze Schufterei am Ende führen kann. Ob die Münchner auf ihre älteren Tage vielleicht wirklich noch einmal einen legendären Fight in sich haben oder ob doch eher das Handtuch fliegt, wenn die schweren Jungs aus Paris, Barcelona oder Manchester kommen.“
Ach, was soll das Gerede? In München versuchen die Verantwortlichen, zu große Euphorie zu kontrollieren. Immer gelingt ihnen das nicht. Ein durch und durch beseelter Karl-Heinz Rummenigge singt im Fernsehen das Hohelied auf diesen phänomenalen Jupp. Den wollen sie auch in der nächsten Saison als Ausbilder haben:
„Es gibt diese Charmeoffensive von Uli Hoeneß – und wenn ich ehrlich bin, unterstütze ich die total. Wir haben jetzt 17 Spiele betrieben – 16-mal sind wir als Sieger vom Platz gegangen. Die ganzen jungen Spieler lieben ihn. Wir wären ja schlecht beraten, diesen Mann, der nicht nur ein guter Trainer ist, sondern auch ein wunderbarer Mensch, wenn wir den so ohne Weiteres kampflos aufgeben würden. Es ist nicht auszuschließen, dass Jupp Heynckes am 1. Juli noch auf der Trainerbank sitzt. Heynckes wäre der idealste deutsche Trainer. Man muss den Jupp, ohne ihn zu drängen, mit der notwendigen Eleganz begleiten.“
Der Trainer selbst ist schon Minuten nach dem ersten Sieg des Jahres die Nüchternheit in Person. „Meine Mannschaft“, sagt Heynckes – ein wenig blass, mit ein paar hektischen Flecken auf den Wangen, „meine Mannschaft hat heute über weite Strecken taktisch sehr gut gespielt, vor allem in der Defensive. Leverkusen war sehr offensiv ausgerichtet, und da mussten alle unserer Angriffskräfte defensiv arbeiten. Es ist schwer, in Leverkusen zu gewinnen. Das ist eine junge, hungrige und talentierte Mannschaft, und heute waren sie ungemein offensiv ausgerichtet, aber wir haben das defensiv sehr gut gemacht.“
Aber: „Es hat ganz einfache Ballverluste gegeben, die Jungs sind ein bisschen oberflächlich und nicht konzentriert genug aufgetreten. Es gibt noch viel zu tun. Wir sind noch nicht auf dem Level, das ich mir vorstelle.“
Katrin Müller-Hohenstein vom ZDF fragt, warum Heynckes den Stürmer Sandro Wagner erst recht spät eingewechselt habe.
Der Bayern-Trainer sieht an der Fernsehfrau vorbei, er hat einen kleinen Ekel in der Mimik. Diese Art Fragen ist ihm zuwider. „Ich weiß, dass alle wollten, dass Sandro von Anfang spielt. Aber ich habe gesehen, dass er noch nicht so weit ist. Er muss sich an uns gewöhnen. Und ich werde nicht so aufstellen, wie sich die Leute das vorstellen. So ticke ich nicht.“
Basta.
Und da ist noch der unverfälschte Emotionalist Franck Ribéry. Der redet mittlerweile auf Anfrage ungebremst Deutsch. Das hört sich dann an wie nach dem Kick gegen Leverkusen: „Is gut, wenn du mach Tor. Ich hab immer viel Dribbling, dann mach Tor. Is schön. Leverküsen ist immer ein schwierig Spiel. Wir haben gemacht ein gut Urlaub in Katar. Aber das ist schön, dass wir gewinn 3:1. Ich hoffe, weiter spielen bei Bayern, so lange wie möglich bleiben. Bin immer glücklich, habe meine Spaß, auch mit die Fans. Ciao.“
Avec plaisir, Franck! Ciao!