Читать книгу KATENKAMP UND DIE GROSSE SCHWEINEREI - Detlef Wolff - Страница 7
Zweites Kapitel
Оглавление»Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor«, stellte Bürgermeister Stenzel fest. »Wir kommen dann zum letzten Punkt der Tagesordnung...« Stenzel sah in die Runde. »Dieser Punkt entfällt, da die Verwaltung nicht in der Lage war, die erforderlichen Unterlagen bereitzustellen.« Stenzel leierte den Satz schnell herunter. Unmittelbar danach verkündete er: »Die Sitzung ist damit geschlossen.«
Die Gemeinderatsmitglieder von Dalsdorf nahmen die Entscheidung gelassen hin. Es ging auf Mitternacht zu, und die Gemeinderatssitzung hatte sich lustlos von Tagesordnungspunkt zu Tagesordnungspunkt geschleppt.
Minuten nach Stenzels Schlusssatz saß niemand mehr auf den unbequemen Stühlen des Sitzungszimmers. Im Vorraum verschwand Mantel um Mantel von den drei Kleiderständern.
Nur Bäckermeister Jülich war im Sitzungszimmer zurückgeblieben. Jetzt kam er um die hufeisenförmig angeordneten Tische herum und beugte sich zu Bürgermeister Stenzel hinunter:
»Wollen wir den Punkt denn nicht ganz und gar fallenlassen? Ich meine...«
Stenzel setzte die Brille ab und klappte die Bügel zusammen. »Damit kommen wir nicht durch. Ich kann das ein bisschen auf die lange Bank schieben, aber ganz und gar lässt sich das nicht unter den Teppich kehren.«
»Stell dich nicht so an.« Jülich ließ sich neben Stenzel auf einer Sessellehne nieder.
»Du beschädigst hier Gemeindeeigentum.« Stenzel zwinkerte Jülich zu. »Für dein Gewicht sind die Dinger nicht gebaut.«
»Das hätte man bei der Ausschreibung ruhig berücksichtigen können«, flachste Jülich. Er zog einen dünnen Zigarillo aus der Brusttasche. »Am besten schaff ich mir eine eigene Sitzgelegenheit an.« Er ließ ein billiges Feuerzeug aufflammen. »Mach keinen Ärger...« Er blies eine graue Qualmwolke in die Luft. »Es war doch schon ganz gut, die Sache hinten auf der Tagesordnung zu verstecken. Nun kann sie auch noch ganz verschwinden.«
Bürgermeister Stenzel schüttelte den Kopf. »Höchstens bis nach den Wahlen. Und wenn wir Pech haben, buddeln die Grünen das Thema vorher aus. Dann sitzen wir ganz schön in der Tinte. Außerdem trau ich dem Hummel in dieser Beziehung nicht.«
»Hummel!« Jülich lachte höhnisch auf. »Das Würstchen nimmst du dir mal zur Brust. Der ist Beamter und hat sich nicht parteipolitisch zu betätigen. Das wirst du ihm ja noch klarmachen können.«
»Hummel ist nicht das Problem«, sagte Stenzel. »Obwohl... Man weiß ja nie, was so ein armer Spinner anrichtet. Aber grundsätzlich sieht es doch so aus, dass wir riskieren, uns mit Hamburg anzulegen. Es wäre mir schon lieber, wenn wir die Marschrichtung im Gemeinderat abstimmen könnten.«
»Tatsache ist, dass die Schweinemästerei zu nahe an der Reuter-Siedlung steht.«
»Oder die Reuter-Siedlung zu nahe an der Schweinemästerei. Darauf läuft’s doch hinaus!« Stenzel ließ die Schlösser seines Aktenkoffers aufschnappen, als sollte ihr Klicken die Feststellung unterstreichen.
»Genau. Und je später das geklärt wird, umso besser. Also lass die Akte schmoren. Du kannst doch dafür sorgen, dass keiner den Vorgang zu Gesicht kriegt.«
»Das kann ich nicht riskieren.«
»So? Aber du kannst riskieren, dass wir an der Sache kaputtgehen?«
»Soll doch ein Gericht entscheiden, wer da Mist gebaut hat. Im wahrsten Sinn des Wortes. Ich bin dafür, dass wir die Initiative ergreifen. Ich reich die Klage lieber selber ein, als dass ich sie mir von Hamburg aufzwingen lasse. Ich habe schon lange kein gutes Gefühl mehr. Jetzt erst recht nicht. Seitdem da drüben der Tote rumlag... Wer weiß denn, was die bei der Gelegenheit alles feststellen?«
»Komm!« Jülich schnippte die Asche des Zigarillos neben einen Aschenbecher. »Die Geruchsbelästigung tritt höchstens mal bei Nordwestwind auf.«
»Der ja oft genug herrscht«, warf Stenzel ein.
»Ich schlage vor, dass ich mich mit Reineker selbst in Verbindung setze. Mit dem Mann ist zu reden. Und sonst mit seiner Frau.« Jülich spitzte die Lippen. »Mit der besonders... Also: Ich übernehme das, und du unternimmst vorläufig nichts.«
»Der Schuss kann nach hinten losgehen. Du bist imstande und bringst Reineker erst auf den richtigen Gedanken. Unser Pech, dass hier gerade die Landesgrenze verläuft.«
»Ich seh da nur Vorteile«, bemerkte Jülich.
»Ich nicht«, widersprach Stenzel. »Nehmen wir mal an, die Hamburger haben die Baugenehmigung unter falschen Voraussetzungen erteilt. Dann kostet die das ein finanzielles Lächeln, für den Schaden aufzukommen. Die weisen Reineker neues Gelände nach und zahlen die Umsiedlung aus der Westentasche.«
»Na, na«, protestierte Jülich schwach.
»Jedenfalls tut das denen nicht weh. Aber wenn der Fehler bei uns liegt, dann kannst du sicher sein, dass die sich stur stellen. Und dann können wir die Reuter-Siedlung abreißen lassen. Was da an Forderungen auf uns zukommt, ist nicht auszudenken. Im günstigsten Falle erweist sich der Abriss der Siedlung als nicht zumutbar. Dann verlangt Hamburg von uns, dass wir Reineker sämtliche Kosten erstatten. Und das ist schon mehr, als wir verkraften können. Von der Blamage wollen wir mal gar nicht reden.«
»Es ist ja noch nicht aller Tage Abend«, sagte Jülich bedächtig. »Hummel...«
»Hummel ist Beamter«, ereiferte sich Stenzel. »Dem kann man gar nichts! Es bleibt so oder so an uns hängen. Wir liefern den Grünen jede Menge Wahlkampfmunition. Wobei ich den Verdacht nicht loswerde, dass Hummel mit denen sympathisiert.«
»Für dich scheint schon entschieden zu sein, dass der Planungsfehler bei uns lag.«
»Wo der lag, interessiert im Augenblick gar nicht so sehr. Fest steht, dass wir vor den Gemeinderats wählen so und so keine Entscheidung darüber kriegen. Bis dahin kann man alles gegen uns verwenden. Das kostet garantiert Stimmen.«
»Genau das will ich verhindern!« Jülich legte den Zigarillo auf den Rand des Aschenbechers. »Meine Idee wäre, mit Reineker direkt zu verhandeln.«
Stenzel grinste. »Und wie weiter?«
»Ihm die Sache so darstellen... Ihm klarmachen, dass er keine Chance hat.«
»So wird das nichts.« Stenzel legte den Kopf schief und lächelte Jülich von unten herauf an. »Wie soll er denn reagieren? Die Bude dichtmachen? Dazu hat er doch gar keinen Grund. Er ist völlig außen vor. Seine Baugenehmigung ist in Ordnung. Der kann nur gewinnen.«
»Soll er ruhig. Es genügt, dass wir nicht verlieren.«
»Jaaa...« Stenzel nickte. »Hört sich gut an. Auf der Basis können wir uns verständigen. Vor allem dann, wenn wir deine sauren Wiesen am Rabenacker als Gewerbegebiet ausweisen.«
Jülich fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »So direkt wollte ich das nicht sagen.«
»Aber dran gedacht hast du.« Stenzel stand auf und stieß Jülich in die Seite.
»Na, hör mal!« Jülich lachte verhalten. »Schließlich sitzen wir an der Quelle.«
»Beschlossen und verkündet«, sagte Stenzel laut. »Der Rabenacker wird Gewerbegebiet.«
»Und ich überrede Reineker dazu, seinen Betrieb über die Landesgrenze zu verlagern.«
»Was nur gut für uns ist, denn für die Ansiedlung von Gewerbebetrieben gibt es Landeszuschüsse.«
»Und Gewerbebetriebe bringen Steuern in die Gemeindekasse.«
»Und wer das Steueraufkommen verbessert, kann mit gutem
Gewissen in den Wahlkampf gehen.« Stenzel verschränkte die Arme in Siegerpose vor der Brust.
»Eleganter lässt sich die Affäre nicht aus der Welt schaffen«, konstatierte Jülich.
»Theoretisch«, sagte Stenzel. »Falls Reineker mitspielt. Wir müssen mal genau durchrechnen, was für ihn dabei drin ist. Immerhin kann er sein Gelände da drüben ja noch verscheuern. Wir müssen ihm das nur richtig schmackhaft machen.«
»Lass mich nur machen. Der spielt mit.«
Der agile Bürgermeister und der massige Bäcker standen sich gegenüber. Beide musterten einander mit taxierenden Blicken. In ihr Schweigen hinein drang nur das leise Knacken eines Heizkörpers. Schließlich sagte Jülich: »Ich habe also freie Hand?«
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest.« Stenzel zog seinen Aktenkoffer über den Tisch.
»Das genügt mir.«
»Unter einer Bedingung: Mein Name bleibt aus dem Spiel.«
»Das wird sich nicht machen lassen. Du bist schließlich der Bürgermeister.«
»Mein Name fällt nicht, solange die Verhandlungen nicht in ihr offizielles Stadium eingetreten sind.«
»Einverstanden. Aber glaub nicht, dass du die Hände in den Schoß legen kannst.« Jülich trat dicht an Stenzel heran. »Du sorgst dafür, dass Hummel nicht redet.«
»Das lässt sich machen. Wo kämen wir denn hin, wenn ein Bürgermeister mit dem Leiter des Bauamts nicht mehr fertig wird... Nein, den Hummel überlass man mir!«
»Sei vorsichtig. Stille Wasser können tief sein.«
»Das stillste Wasser scheinst im Augenblick du zu sein.« Stenzel bewegte sich zum Ausgang des Sitzungssaales.
Jülich folgte ihm. »Wenn man mir Munition liefert, braucht man sich nicht zu wundern, wenn ich davon Gebrauch mache.«
Bürgermeister Stenzel blieb stehen. »Was hat dir Reineker denn geliefert?«
»Kannst du schweigen?«
»Unbedingt.« Stenzel legte die Hand auf den Lichtschalter neben der Ausgangstür.
»Das freut mich. Ich nämlich auch.«
»Lump.« Stenzel schaltete das Licht aus.
Jülich lachte. »Ein hartes Wort. Können wir uns nicht anders einigen?«
»Erpresser«, sagte Stenzel und schloss die Tür zum Sitzungssaal. »Hast du gar keine Angst, dass Reineker die Flucht nach vorn antritt?«
»Das wird schon jemand zu verhindern wissen.«
»Du meinst... Der Tote in seinem Schweinestall...«
»Darum geht es gar nicht«, sagte Jülich.