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Kapitel 2

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»Wenn man sich lieb hat, dann macht man das!«

Was denn? Ich verstehe nicht, was Onkel Heinz meint.

Er möchte, dass wir uns genau wie gestern nach dem Essen wieder hinlegen. Ich habe schon mehrmals gesagt, dass ich nicht müde sei und lieber im Garten spielen wolle. Aber Heinz hört mir gar nicht zu.

Frieda ist schon in ihrem Zimmer. Ich habe gehört, dass sie die Tür hinter sich zugezogen hat.

Heinz hat schon die große Decke auf dem Sofa ausgebreitet und möchte jetzt, dass ich mich daraufsetze.

»Wir ruhen uns jetzt beide aus. Du wirst sehen, das gefällt dir auch.«

Ich schüttle den Kopf. Ich habe Angst.

Aber Heinz geht nicht darauf ein, lächelt mich nur freundlich an.

»Nachher bekommst du Gummibärchen, ich habe eine große Tüte für dich gekauft«, lockt er und zieht mir jetzt die Jacke aus.

»Ich bin nicht müde«, sage ich noch einmal. »Überhaupt nicht!«

»Kinder wissen nicht, wann sie müde sind. Da müssen sie auf die Erwachsenen hören. Die können das besser beurteilen.«

Und jetzt zieht er mir schon die Hose herunter, bevor er seine auch auszieht.

Ich habe Heinz noch nie ohne Hose gesehen. Er hat schrecklich dünne, staksige Beine.

Er schiebt mich jetzt sanft, aber bestimmt auf das Sofa und legt sich vor mich hin. Was dann kommt, ist schlimmer als gestern. Denn dieses Mal hält Heinz nicht mehr nur meine Beine fest, nein, er schiebt auch seinen Finger in meinen Schlüpfer, und das ist richtig ekelig.

Wie tags zuvor versuche ich auch jetzt, von ihm wegzukommen, aber er hält mich wieder fest, richtig fest. Ich kann mich kaum bewegen, und er macht immer weiter. Ich will nicht schreien, ich weiß ja, dass Tante Frieda schläft, aber es tut so weh. Denn Heinz hält mir mit seiner großen Hand den Mund zu. Ich fühle mich ausgeliefert und spüre Panik in mir aufsteigen. Die Angst, der Schmerz. Jetzt bekomme ich auch keine Luft mehr.

Hilfe, ich ersticke! Ich reiße die Augen weit auf, und Heinz lockert daraufhin ein bisschen den Druck.

Das ist es also. Wenn ich stillhalte, mich nicht so verzweifelt wehre, dann drückt er auch seine Hand nicht so fest auf meinen Mund. Es ist am besten, wenn ich einfach ganz starr liegen bleibe und versuche, mich nicht mehr zu bewegen. Gestern war es ja auch schnell vorbei.

Ich sehe aus dem Fenster auf die Terrasse. Da steht mein neuer Puppenwagen. Bärbel schläft darin, meine süße Bärbel. Ob sie mich vermisst?

Ich denke weiter ganz fest an Bärbel.

Heinz hat gesagt, sie brauche frische Luft und könne beim Essen ruhig draußen bleiben. Ob sie wohl schläft? Oder fühlt sie sich einsam? Immerhin sind wir alle im Haus, und sie ist ganz allein auf der Terrasse.

Es tut immer noch weh, und er hört nicht auf.

Ich muss weiter an etwas anderes denken. Das ist das Einzige, was gegen die Schmerzen hilft.

Heute gab es leckere Eierpfannkuchen mit Apfelmus. Superlecker. Was Frieda wohl morgen für uns kocht? Ich kann mir ja gleich etwas wünschen? Spaghetti vielleicht. Die würde ich gern mal wieder essen.

Warum hört Heinz nicht endlich auf?

Jetzt wischt er mir mit einer Serviette die Tränen aus dem Gesicht.

»Das macht dir doch Spaß, Kleines. Stimmt’s? Du musst dich daran gewöhnen. Es wird richtig schön für dich. Ich habe dir etwas hineingemacht, damit du es gern hast, etwas Creme. Spürst du das?«

Ich verstehe nicht, was er meint, und antworte nicht.

Später werde ich mit Bärbel Johannisbeeren pflücken. Heinz hat gesagt, ich dürfe so viel davon essen, wie ich mag. Ich liebe Johannisbeeren.

Heinz’ Gesicht ist richtig verzerrt. So kenne ich ihn gar nicht. Er atmet auch wieder ganz schnell, so wie gestern. Ob es jetzt ebenfalls schon bald wieder vorbei ist?

Ich habe Glück. Er hört auf.

Schwer atmend legt er sich auf den Rücken, zieht zeitgleich die Hand aus meinem Schlüpfer.

»Wenn man sich lieb hat, macht man das, Prinzessin! Glaub mir das!« Wieder sagt er diesen Satz.

Er spricht jetzt auch von »unserer schönen gemeinsamen Zeit« und dass es »unser riesengroßes Geheimnis ist«.

Ich weiß nicht, was er damit meint, ich weiß nur, dass es immer noch wehtut und dass ich das, was er neuerdings mit mir macht, absolut nicht will.

»Du darfst niemandem etwas erzählen, hörst du« sagt er jetzt schon wieder eindringlich, und damit er endlich aufhört, darüber zu reden, nicke ich schnell.

Ich weiß es doch. Die ganze Zeit schon spricht er davon, dass ich nicht erzählen dürfe, was wir zusammen machen.

Dann ändert er schnell das Thema, endlich.

»Weißt du was, Prinzessin? Wir gehen schaukeln. Das wünschst du dir doch!«

»Können wir auch zu den Kaninchen?«, frage ich.

»Klar, wir machen, was du willst. Du entscheidest. Das gehört auch dazu, wenn man sich lieb hat. Dann sollen beide ihren Spaß haben, verstehst du?«

Ich verstehe nichts. Was haben den Schmerzen mit lieb haben zu tun? Aber egal. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt etwas machen möchte. Mir ist so schlecht, dass ich glaube, mich übergeben zu müssen.

»Kann ich mal auf die Toilette?«, frage ich leise.

»Ja klar, geh schnell, aber zieh dir vorher deine Sachen an. Das ist wichtig, hörst du? Und ich gucke mal, ob Frieda schon wach ist und was sie für leckeren Kuchen für uns hat.«

Mit einem Satz springe ich vom Sofa, nehme meine Kleidung vom Stuhl und laufe auf die Toilette. Aber jeder Schritt schmerzt. Es tut alles so weh zwischen meinen Beinen.

Als ich Pipi machen muss, brennt mein ganzer Unterleib fürchterlich. Was soll ich bloß Oma sagen, wenn sie mich holt? Sie sieht doch, dass ich nicht richtig laufen kann.

»Der Kakao ist fertig!« Als ich die Toilettentür öffne, steht Frieda plötzlich vor mir. »Komm, gib mir deine Hand. Wir decken jetzt zusammen den Tisch.«

Es sind nur wenige Schritte bis zum Tisch, aber sie sind für mich mühsam. Ich muss langsam gehen, und Frieda bleibt bei mir. Zum Glück fragt sie nicht, was los sei. Ich möchte ihr so gern sagen, woher die Schmerzen kommen. Aber Heinz hat es ja verboten.

Am Tisch habe ich Mühe zu sitzen. Aber es gibt zwei frische Waffeln mit Kirschen für mich. Dazu Kakao.

Während ich noch alles in mich hineinstopfe und Frieda um eine weitere Tasse Kakao bitte, holt Heinz plötzlich eine Tüte aus dem Wohnzimmerschrank.

»Sieh mal, Onkel Heinz hat ein Geschenk für dich. Magst du es dir ansehen?«

Er stellt die Tüte direkt neben meinen Kakaobecher, und während ich noch an meinem Waffelherz kaue, holt er einen lustigen lilafarbenen Elefanten heraus. Lila wie der Lavendel, Heinz’ und Friedas Lieblingsblumen.

»Hier, Prinzessin, den stellen wir jetzt aufs Sofa, und immer wenn wir uns dort ausruhen, kannst du mit ihm spielen.«

Der Elefant ist süß, mit großen braunen Kulleraugen und einem langen Rüssel. Heinz legt ihn mir jetzt in den Arm, und ich streichle vorsichtig über sein plüschiges Fell. Für einen Moment sind die Schmerzen vergessen.

»Ob er sich mit Bärbel verträgt?«, will ich wissen.

Heinz nickt. »Natürlich. Das werden die allerbesten Freunde. Aber komm, iss erst mal deine Waffel auf, und dann stellen wir ihr mal den kleinen Elefanten vor. Wie soll er denn heißen?«

Ich weiß es nicht und zucke nur mit den Schultern.

»Benny, das klingt gut, findest du nicht?«

»Gute Idee«, meint Frieda. »Wir taufen ihn Benny, und gleich gehen wir alle an die frische Luft. Es ist doch ein herrlicher Sommertag!«

***

Wir unternehmen viel heute, gehen erst auf den Spielplatz, genau wie es Heinz versprochen hat, und Frieda kommt sogar mit. Es macht viel Spaß mit den beiden. Ich sitze in der Schaukel, und Frieda gibt mir Schwung, während Heinz vorn mit ausgebreiteten Armen in der Hocke sitzt und mich in Empfang nimmt. Es ist wirklich schön – und trotzdem ist etwas anders als sonst. Ich habe eine unbestimmte Angst vor Heinz. Was er mit mir getan hat, tat wirklich weh, und ich fürchte mich davor, dass er es noch ein drittes Mal mit mir macht.

Ich möchte Oma davon erzählen. Aber ich habe auch Angst davor, dass sie dann böse wird. Sie mag Heinz, ich glaube, sie ist sogar gut mit ihm befreundet. Wie wird sie reagieren, wenn ich sage, dass Heinz solche Sachen macht?

»Hui, fliegst du hoch«, jubelt Frieda jetzt, und als ich am höchsten Punkt von der Schaukel aus auf sie hinuntersehe, kommt sie mir klein vor.

»Hui, komm, noch einmal«, ruft Frieda und schubst mich wieder kräftig an. Heinz läuft jetzt vor und zurück. Wenn die Schaukel auf ihn zukommt, geht er schnell nach hinten und läuft dann wieder auf mich zu, wenn die Schaukel nach hinten zu Frieda fliegt. Dabei juchzt auch er ausgelassen. Ich liebe es zu schaukeln. Wenn nur die Schmerzen nicht wären. Immer wieder läuft eine Träne über meine Wange.

Ich will morgen nicht mehr zu Heinz. Morgen nicht und übermorgen auch nicht. Ich kann doch wie die anderen Kinder bis zum Abend im Hort bleiben, zumindest so lange, bis Oma von der Arbeit kommt.

Aber ob ich dann Bärbel und Benny behalten darf? Oder nimmt Heinz mir die beiden wieder weg? Und auch den Kinderwagen? Und die vielen Sachen für das Puppenhaus? Ich spiele doch so gern mit den Sachen.

Aber ich will nicht, dass Heinz mir noch einmal so wehtut. Dann nehme ich lieber wieder mein altes Spielzeug.

***

»Wie? Was möchtest du nicht? Du möchtest nicht mehr zu Heinz?«

Omas Stimme vibriert gefährlich. Keine Frage, sie ist sauer, richtig sauer. Ich habe mir am Tisch ein Butterbrot gemacht, während Oma am Herd steht und das Essen für den nächsten Tag vorbereitet. Sie kocht immer große Mengen. Ich glaube, sie hat Angst zu verhungern und ist deshalb erst zufrieden, wenn sich im Haus das Essen türmt.

Heute kocht sie Kartoffeln und Rosenkohl, und im Ofen brutzelt ein Schweinebraten. Der ist so groß, dass wir eine ganze Woche davon essen können.

Aber es gibt auch Apfelkompott und natürlich auch Topfkuchen. Den hat Oma gestern schon gebacken. Sie mag es, dass Mama und Papa immer etwas zu essen haben, wenn sie kommen. Oder Onkel Frank, der seit Kurzem nebenan wohnt und auch immer Hunger hat.

Ich habe mir meine Malstifte geholt und male ein buntes Haus, umgeben von vielen Sommerblumen. Es soll Heinz’ Haus sein, aber Oma erkennt es nicht. Obwohl ich finde, dass es sehr ähnlich aussieht. Aber egal.

Während ich male, überlege ich, wie ich Oma sagen kann, was passiert ist. Ich muss es loswerden, auch wenn es Heinz’ und mein Geheimnis ist. Ich will das nicht länger für mich behalten. Oma soll wissen, was er mit mir gemacht hat.

Ich atme tief durch. Schließe die Augen. Dann ist es so weit!

»Heinz tut mir weh, da unten«, sage ich ganz schnell, damit es heraus ist. Ich habe keine Ahnung, wie Oma darauf reagiert.

Doch kaum habe ich den Satz beendet, knallt sie mir auch schon ihre flache Hand ins Gesicht.

»Ich will nicht noch einmal so einen Unsinn hören. Lüge nicht, hörst du?«

Oma baut sich bedrohlich vor mir auf. Ihre Augen funkeln böse, und ihre Mundwinkel zittern vor Wut.

Ich darf jetzt nichts mehr sagen. Noch ein falsches Wort und sie wird den Teppichklopfer holen und mir damit auf den Po oder sonst wohin schlagen. Ich bin ruhig. Aber ich spüre, dass die Tränen in mir aufsteigen, und dann laufen sie mir auch schon wie warme Bäche über das Gesicht.

»Warum heulst du?«, faucht Oma mich an. »Ständig denkst du dir irgendwelche Lügengeschichten aus. ›Heinz hat mir wehgetan.‹ Was soll das denn heißen? Vermutlich warst du bei ihm auch so frech wie bei mir, und er hat dir deshalb auch eine gescheuert. Du hast es garantiert verdient. Aber ich werde dir das Lügen schon austreiben.«

Oma redet sich jetzt richtig in Rage. Das ist immer so, wenn sie sich aufregt. Dann hört sie nicht mehr auf, und ihre Worte prasseln jetzt wie Schläge auf mich ein.

Mittlerweile steht sie wieder am Herd und rührt aufgebracht mit dem Schneebesen in der Soße. »Du gehst morgen zu Heinz, wie immer. Und wenn du noch ein schlechtes Wort über ihn sagst, komme ich wieder rüber. Kapiert?«

Sie sieht mich nicht mehr an, brummelt ihre Drohungen nur vor sich hin. Das ist aber nicht weniger gefährlich. Es kann gut sein, dass sie den Schneebesen gleich in den Topf knallt und wieder zu mir herübergerannt kommt, um mich dann »richtig zu versohlen«, wie sie es immer nennt.

Aber heute scheint sie nicht mehr auszurasten. Sie spricht plötzlich nicht mehr vor sich hin, sondern kocht ganz konzentriert weiter. Ob ihre Wut vorbei ist? Ich bin unsicher und bleibe einfach am Tisch sitzen, mit gesenktem Kopf, starr vor Angst.

»Zieh dich schon mal aus und leg dich ins Bett«, sagt sie dann plötzlich, und ihre Stimme klingt ungewöhnlich mild. Warum sie auf einmal so verträglich ist, kann ich nicht sagen. Oma ist unberechenbar. Heute ist sogar alles richtig verrückt, denn plötzlich will sie gar nicht mehr, dass ich in mein Zimmer gehe.

»Komm, Diana, wir können für morgen auch noch einen Kuchen backen. Du magst doch Streuselkuchen. Ich zeige dir, wie das geht.«

Ich bin froh, dass sie wieder lieb ist, und laufe sofort zu ihr rüber, hole die Rührschüssel und den Quirl aus dem Schrank, auch das Mehl und Butter. Und dann machen wir beide uns an die Arbeit.

Oma braucht kein Rezept. Sie hat alles im Kopf und sagt mir genau, was ich alles in die Schüssel geben muss. Es macht Spaß. Ich liebe es zu backen, und als die Form im Ofen steht, kann ich noch so lange in der Küche bleiben, bis der Kuchen fertig ist.

Als ich später in mein Zimmer gehe, ist der Schmerz zwischen den Beinen etwas weniger geworden. Aber wenn Heinz morgen wieder das Gleiche mit mir macht, tut es bestimmt wieder ganz doll weh. Wie soll ich das nur aushalten?

»Denke daran, wie schön es ist«, hat Heinz mir geraten. Aber das kann ich nicht. Es ist nicht schön. Es ist furchtbar.

Ich werde mir etwas wirklich Schönes vorstellen, etwas von Bärbel und Benny. Dann denke ich nur daran, und es geht wieder schnell vorbei. Ganz bestimmt.

Bevor ich einschlafe, hole ich noch Lisa in mein Bett. Sie ist die Puppe meiner Mutter. Ich habe sie von ihr zum Geburtstag geschenkt bekommen. Lisa ist nicht neu, sie hat schon ein paar Schrammen im Gesicht, aber ich liebe sie trotzdem. Lisa werde ich erzählen, was mir passiert ist. Und dann Mama.

Ich frage Oma, wann ich zu Mama und Papa könne. Sie werden mir glauben, ganz bestimmt, und dann muss ich nicht mehr zu Heinz. Auch wenn ich die vielen schönen Stunden vermissen werde. Schade, dass er nicht immer lieb zu mir sein kann.

Lavendelmädchen

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