Читать книгу Nachkriegszeit - Dierk Hoffmann - Страница 9
II. Überblick
ОглавлениеDass die in der Einleitung vorgestellten Forschungsansätze kaum eingelöst wurden, belegen nicht nur die genannten Gesamtdarstellungen, sondern auch die kaum noch zu überblickende Flut an Einzelstudien zur Geschichte der vier Besatzungszonen. In der historischen Forschung zur deutschen Nachkriegsgeschichte besteht eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Diese Diskrepanz kann der vorliegende Band nicht beseitigen. Er verfolgt vielmehr eine doppelte Aufgabe: Zum einen geht es darum, zentrale Debatten in der Zeitgeschichtsforschung zur Geschichte Deutschlands zwischen 1945 und 1949 in den wesentlichen Grundzügen zu skizzieren. Dabei greift die Darstellung stellenweise über das Jahr der doppelten Staatsgründung hinaus und reicht bei einzelnen Problemen und Fragen bis in die 1950er und 1970er Jahre hinein. Überschneidungen mit den bereits vorliegenden Bänden zur DDR und zur Bundesrepublik wurden dabei aber vermieden (34; 35). Zum zweiten erfolgte die inhaltliche Gliederung des Bandes nach verbindenden, d.h. übergreifenden Themenstellungen, die sowohl in den Westzonen als auch in der SBZ von Relevanz waren. Auf diese Weise sollen gleichzeitig Desiderata und Perspektiven der zukünftigen Forschung sichtbar werden. Wegen seines begrenzten Umfangs konnten in diesem Band nur die zentralen Forschungskontroversen Berücksichtigung finden; nicht immer kommen alle Diskussionsteilnehmer zu Wort. Gleichwohl wurde versucht, dem Leser wichtige Positionen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung kurz vorzustellen, so dass die Konturen des Verlaufs der zentralen Debatten deutlich werden. Darüber hinaus geht es nicht nur darum, den Dissens zwischen einzelnen Forschern zu betonen, sondern auch inhaltliche Nuancen zu bestimmten Themenbereichen herauszuarbeiten. Historische Forschung verläuft schließlich als ein nie endender Prozess, bei dem vermeintlich gesichertes Wissen immer wieder kritisch hinterfragt oder neu bewertet werden kann.
Kontinuität und Wandel
Zäsuren stehen im Mittelpunkt des ersten Kapitels. Die Frage nach Kontinuität und Diskontinuität beschäftigt nicht nur Zeithistoriker. Seit jeher gehören die Periodisierung und die damit verbundene Festlegung von Brüchen und langfristigen Traditionslinien zu den Aufgaben der Geschichtswissenschaftler. Im 20. Jahrhundert, besonders für die deutsche Geschichte in diesem Zeitraum, bildet das Jahr 1945 eine herausragende Zäsur: Es markiert nicht nur das Ende der NS-Schreckensherrschaft und des Zweiten Weltkriegs in Europa, sondern auch den Anfang der Besatzungsherrschaft durch die vier Siegermächte USA, UdSSR, Großbritannien und Frankreich. Nachdem die Wehrmacht am 8. Mai 1945 bedingungslos kapituliert hatte, übernahmen die Alliierten in der ‚Berliner Deklaration‘ vom 5. Juni die oberste Regierungsgewalt. Von ihrem Willen hing fortan die Zukunft Deutschlands ab. Anders als 1918 war die militärische Niederlage für die Besiegten eindeutig und irreversibel. Da die wissenschaftliche Debatte über die Bedeutung des Kriegsendes für die weitere Entwicklung Nachkriegsdeutschlands nur vor dem Hintergrund der bundesdeutschen Zeitgeschichtsforschung verständlich wird, geht es in diesem ersten Kapitel auch um die Entwicklung einer Fachdisziplin, die sich in Westdeutschland nach 1945 erst noch etablieren musste. Eng damit verbunden ist die Debatte über Kontinuität und Wandel, die nicht nur in politikgeschichtlicher, sondern auch in sozioökonomischer sowie in erfahrungsgeschichtlicher Hinsicht mit zum Teil konträren Positionen geführt wurde.
Vergangenheitspolitik
Das zweite Kapitel ist dem deutsch-deutschen Umgang mit der NS-Vergangenheit gewidmet. Zu den vier politischen Leitlinien der Alliierten, die kurz nach Kriegsende auf der Potsdamer Konferenz nochmals bestätigt wurden, gehörten bekanntlich die Dekartellisierung, Entmilitarisierung, Demokratisierung und Entnazifizierung des besiegten Deutschlands. Die beiden letztgenannten Ziele waren zwei Seiten einer Medaille. Um nämlich den Aufbau einer Demokratie langfristig gewährleisten zu können, war die vollständige Beseitigung des Nationalsozialismus notwendig. Dies schloss idealiter einen vollständigen Elitenaustausch ein. Die vergangenheitspolitische Diskussion bewegte sich im Spannungsfeld zwischen alliiertem Siegeroktroi und deutsch-deutscher Systemkonkurrenz. Nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit, sondern auch in der Wissenschaft war und ist die Entnazifizierung umstritten. Im Mittelpunkt dieses Abschnitts steht auch die politische Säuberung, die in den einzelnen Besatzungszonen unterschiedlich ausfiel. Dabei soll der Blick ansatzweise auch auf andere europäische Staaten gelenkt werden, um auf diese Weise die Spezifika und Gemeinsamkeiten des deutschen Falls deutlich werden zu lassen. Im zweiten Abschnitt geht es dann um die Diskussion über ‚Vergangenheitsbewältigung‘ und ‚Vergangenheitspolitik‘, die jedoch in der DDR auf Anordnung der SED nicht offen stattfinden konnte. Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit liefert unter anderem Rückschlüsse auf das sich wandelnde westdeutsche Selbstverständnis. Bis heute wird kontrovers diskutiert, ob in der Bundesrepublik die nationalsozialistische Zeit und die von Deutschen begangenen Verbrechen verdrängt wurden. Obwohl die zum Teil heftig geführte Debatte mit großem Interesse in Ost-Berlin verfolgt wurde, tabuisierte die SED-Führung in der zweiten deutschen Diktatur die breite gesellschaftliche Unterstützung des Nationalsozialismus; sie war nur im Zusammenhang mit der deutsch-deutschen Systemkonkurrenz an der vergangenheitspolitischen Entwicklung in der Bonner Republik interessiert.
Heteronomie und Autonomie
Das dritte Kapitel befasst sich mit dem Verhältnis von Selbständigkeit und Abhängigkeit der besiegten Deutschen; es geht also um die Beziehungen zwischen den vier Siegermächten und Deutschland. Nach 1945 legten die Besatzungsverwaltungen die Handlungsspielräume der deutschen Politiker weitgehend fest, wobei die Besatzungsziele in den alliierten Hauptstädten bestimmt wurden. Da in der Forschung zunächst die Interpretation von der nahezu vollständigen alliierten Vorherrschaft dominierte, erschien Deutschland in vielen Darstellungen in erster Linie als Spielball der großen Mächte. Das zeigte sich insbesondere beim Streit über die Bewertung der Teilung Deutschlands. Es ging bei dieser Forschungskontroverse auch um die Analyse der Ursprünge des Kalten Krieges und die damit zusammenhängende Blockbildung, weil sich Deutschland an der Nahtstelle des West-Ost-Konflikts befand. Zunächst werden hier die Besatzungszonen einzeln vorgestellt, bevor anschließend die Diskussion über Sowjetisierung bzw. Amerikanisierung skizziert wird. Bei diesem Thema spielten einerseits Zwangslagen und Handlungsspielräume eine entscheidende Rolle: Welche Ziele verfolgten die Besatzungsmächte in ihrer jeweiligen Zone und welche Möglichkeiten besaßen die Deutschen, sich den alliierten Neuordnungsplänen zu widersetzen? Andererseits wird aber auch untersucht, ob und inwieweit die Deutschen in Ost und West den Versuch unternahmen, das amerikanische bzw. sowjetischen Modell zu übernehmen. Die dabei behandelten Forschungskontroversen verdeutlichen die Notwendigkeit, zwischen einzelnen Phasen und Politikfeldern sorgfältig zu unterscheiden.
Nachkriegsgesellschaft
Die unterschiedlichen Deutungsangebote zur Interpretation der deutschen Nachkriegsgesellschaft werden im vierten Kapitel vorgestellt und diskutiert. Ausgehend von dem von Christoph Kleßmann geprägten Begriff ‚Zusammenbruchgesellschaft‘ werden weitere Vorschläge skizziert, die in der Forschung kontrovers diskutiert worden sind. Angesichts der katastrophalen Ausgangslage, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fast überall in Deutschland herrschte, spielte die Versorgung mit knappen Gütern eine wichtige Rolle in der wissenschaftlichen Debatte und beeinflusste die Begriffsbildung. Die enorme Zahl der zuströmenden Flüchtlinge und Vertriebenen verschärfte die politische und sozialökonomische Krise erheblich, in der sich die vier Besatzungszonen 1945 befanden. Hier werden zunächst die Folgen für die Aufnahmegesellschaft betrachtet und anschließend die politischen Konzepte und Maßnahmen zur Integration der Neuankömmlinge vorgestellt, die keineswegs einheitlich waren. Da wir inzwischen über einen annähernd gleich guten Kenntnisstand zu allen vier Besatzungszonen verfügen, können in Zukunft die unterschiedlichen Wege in Ost und West vergleichend analysiert werden. Anschließend konzentriert sich die Darstellung auf das Problem des Elitenwechsels im Nachkriegsdeutschland. Vollzog sich ein Austausch der Eliten, und wenn ja, in welchen Bereichen? Welchen Einfluss übten die Besatzungsmächte aus? Welche Faktoren förderten oder bremsten dieses Vorhaben? In diesem Kontext stellt sich erneut die Frage nach der Bedeutung des Jahres 1945 für die langfristige Entwicklung der Eliten in Ost- und Westdeutschland. Kann man den sozialhistorisch komplexen Prozess in den drei Westzonen als Elitenkontinuität und die Entwicklung in der SBZ als Bruch mit den traditionellen Eliten bezeichnen?
Markt versus Plan
Das fünfte Kapitel befasst sich mit den Grundsatzentscheidungen zugunsten von Markt- bzw. Planwirtschaft. Auch hierbei handelt es sich um eine zentrale Debatte in der Zeitgeschichtsforschung. Die Wirtschaftspolitik war nach 1945 das zentrale Feld der deutsch-deutschen Systemauseinandersetzung. Schon in den ersten Nachkriegsjahren wurde öffentlich eine Debatte ausgetragen, die eine unmittelbare Bedeutung für die Deutschlandpolitik in Bonn und Ost-Berlin hatte. Für die westlichen Besatzungszonen entwickelten Kurt Schumacher und Konrad Adenauer die sogenannte Magnettheorie, derzufolge der erwartete ökonomische Aufschwung im Westen eine Sogwirkung auf den Osten entfalten würde. Trotz unterschiedlicher wirtschaftspolitischer Auffassungen, z.B. in der Sozialisierungsfrage, einte die beiden Parteivorsitzenden die Überzeugung, dass die ökonomische Konsolidierung Westdeutschlands das diktatorische Herrschaftssystem in der SBZ langfristig zu Fall bringen würde. Auf der anderen Seite des ‚Eisernen Vorhangs‘ hatte Otto Grotewohl, neben Wilhelm Pieck Vorsitzender der SED, bereits im Juni 1946 seine Magnettheorie entwickelt, nur mit umgekehrten Vorzeichen. In diesem Kapitel werden erstens die Rahmenbedingungen analysiert, die in der Forschung bis heute kontrovers diskutiert werden. Dazu zählen vor allem die Demontagen und Reparationen sowie der Marshall-Plan und die Währungsreform. Welche Ziele verfolgten die vier Alliierten auf diesen Politikfeldern? Daran anknüpfend wird nach dem Umfang der Zahlungsverpflichtungen und nach den Auswirkungen der durchgeführten Demontagen sowie der Reparationszahlungen auf die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik und der DDR zu fragen sein. Die ökonomischen Startbedingungen bzw. Startschwierigkeiten stehen auch im Zentrum der wissenschaftlichen Auseinandersetzung über die langfristige Bedeutung des Marshall-Plans und der Währungsreform 1948. Sind diese wirtschafts- und währungspolitischen Maßnahmen verantwortlich für das Wirtschaftswunder in der Bundesrepublik bzw. für den ökonomischen Niedergang der DDR? Abschließend wird die Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft und der Planwirtschaft diskutiert, wobei es unter anderem um die Frage geht, ob und inwieweit sie Verbindungslinien zur NS-Kriegswirtschaft aufwiesen.
Staatsgründungen 1949
Im Mittelpunkt des letzten Kapitels steht die doppelte Staatsgründung 1949. Obwohl die DDR-Gründung gut fünf Monate nach der Verabschiedung des Grundgesetzes in Bonn erfolgte, waren in der SBZ wichtige Vorentscheidungen bereits in den ersten beiden Nachkriegsjahren gefallen. So hatten die Bodenreform, die Verstaatlichung der Grundstoff- und Schwerindustrie sowie die Bildung der SED die weitere Entwicklung bereits nachhaltig beeinflusst. Die zunehmenden Konflikte zwischen den westlichen Siegermächten und der Sowjetunion, die ihren Ausdruck im Kalten Krieg fanden, hatten 1947/48 zur Teilung Europas geführt. Mit der Gründung der beiden deutschen Staaten war auch die Teilung des Landes vorerst abgeschlossen. In den folgenden Jahren wurden die Bundesrepublik und die DDR politisch, wirtschaftlich und militärisch weiter in die jeweiligen Bündnisorganisationen integriert. Während die westdeutsche Bevölkerung bei der ersten Bundestagswahl mehrheitlich ihre Zustimmung zur allmählich beginnenden Westintegration gab, durfte sich die DDR-Bevölkerung zum politischen Kurs des sich etablierenden SED-Regimes nicht äußern. Zunächst wird die Entstehung und Entwicklung der Parteienlandschaft in Ost und West betrachtet. Welche Rolle spielten dabei die einzelnen Besatzungsmächte? Diese Frage stand z.B. im Zentrum der Kontroverse, ob es sich bei der Gründung der SED im Frühjahr 1946 um einen freiwilligen Zusammenschluss oder vielmehr um eine Zwangsvereinigung handelte. Anschließend wird die Etablierung der Verwaltungsstrukturen auf Landes- und Zentralebene untersucht. Der Aufbau der Länder, bei dem nur zum Teil an alte Traditionen vor 1933 angeknüpft wurde, verlief nach unterschiedlichen Prinzipien: Föderalismus und demokratischer Zentralismus kennzeichneten die beiden getrennten Entwicklungspfade in den Westzonen bzw. in der SBZ. Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass auch im Osten Deutschlands föderale Strukturen bestanden, die offiziell erst 1952 mit der Länderauflösung abgeschafft wurden. Auf der anderen Seite waren auch im Westen die Befürworter eines zentralistischen Staatsaufbaus zunächst durchaus einflussreich. Welche Handlungsspielräume besaßen die Landespolitiker in den einzelnen Zonen? Schließlich wird die Ausarbeitung des Grundgesetzes bzw. der DDR-Verfassung thematisiert. Welche Konflikte ergaben sich hier zwischen deutschen Politikern und alliierten Vertretern?