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Der Traum vom eigenen Garten

Wenn du

ein Gärtchen hast

und eine Bibliothek,

so wird dir nichts fehlen.“

Marcus Tullius Cicero

Ich glaube, jeder von uns hat schon irgendwann von einem eigenen Garten geträumt, in den er sich zurückziehen, sich vom Alltagsstress entspannen und die Seele baumeln lassen kann. Ich frage mich, braucht man überhaupt einen Garten, um das zu tun. Ich kann doch auch eine Wanderung zum Beispiel in den Schwarzwald unternehmen, mir ein Plätzchen mit schöner Aussicht aussuchen, dort Picknick machen und abschalten oder in einem öffentlichen Park zum Beispiel im Luisenpark in Mannheim lustwandeln, mich auf einer Liege niederlassen und klassische Musik hören. Warum muss es ein eigener Garten sein, der mir das totale Glückserlebnis vermittelt? Nun, irgend etwas fehlt, wenn ich in schöner Landschaft eine Rast einlege. Es ist das Gefühl zu Hause zu sein. Dieses Gefühl gibt einem nur der eigene Garten, womöglich mit Häuschen. Es ist das Abgeschlossene des Gartens .Es verleiht mir Schutz gegenüber der Umgebung und lässt mich sicher und daheim fühlen. Das wussten schon die alten Perser, die einen umfriedeten Baumhain als Paradies bezeichneten. Mache ich Siesta auf einer Wanderung, so schweift mein Blick auf eine offene Landschaft, die vielleicht Sehnsucht aber kein Zuhause in mir weckt. Meine Frau träumt immer von einem Garten mit einem roten Holzhäuschen an einem See in Schweden. Ich dagegen träume von einem Garten mit mediterraner üppiger Blumenpracht und Weinreben. Solch einem Garten begegnete ich in Valdemossa auf Mallorca, wo George Sand und Chopin ihre Zeit verbrachten. In lebendiger Erinnerung ist mir auch der Garten von Gerhard Hauptmann auf Hiddensee geblieben. Von den roten Tupfern der Tulpen, die im hohen grünen Gras leuchteten, bin ich heute noch bezaubert. Hier lässt es sich in freier Natur frühstücken. Ein reichhaltiges Frühstück mit duftendem Kaffee, frisch gepresstem Orangensaft, frischen Brötchen, einem weichgekochten Ei, Käse, Wurst und Müsli inmitten der Natur sind für mich einfach ein absolutes Glückserlebnis. Es ist ein Hauch von Urlaub. Nüchterner äußert sich der amerikanische Schriftsteller Arthur Miller:„Ich glaube , für manchen Heimgärtner ist die Gartenarbeit so anziehend, weil sie pflichtbesessene Neurotiker sind: Immer wenn einem das Leben sinnlos vorkommt oder ganz besonders schwierig ist, kann man in den Garten gehen und da etwas Nützliches tun.“

Nun, seien wir bescheiden, hier wo ich wohne, ein verwunschenes Häuschen mit einem großen Garten, das wär’s. Mehr bräuchte ich nicht im Leben, eben ein Zuhause, in dem ich mich so wohlfühle, dass ich gar kein Bedürfnis habe, in andere Länder zu reisen und am liebsten zuhause in meinem Garten buddeln und mich ausruhen möchte.. Warum in die Ferne schweifen und von einem Garten am Mittelmeer oder in Schweden träumen? Das Gute liegt so nah.

Die Gärten, denen ich bei einem Spaziergang durch mein Wohnviertel begegne, machen mich nicht gerade an. Es sind Vorgärten von Einfamilienhäusern. Ein paar blühende Rosensträucher, Ampeln mit Fuchsien, Geranien oder Margariten, ein paar Rhododendronbüsche harmonisch auf einem kurzgeschnittenen englischen Rasen verteilt. Die Gärten sehr gepflegt und blitz sauber. Kein Grashalm auf dem Kiesweg. Nein, das sind keine Gärten zum träumen, eher Zweckgärten, der obligatorische Eingangsschmuck, der verrät, dass die Leute im Haus sauber und ordentlich sind. Nein, so einen Garten möchte ich nicht.

Ich erinnere mich an den Garten meiner Mutter in Tübingen. Er bestand aus einer großen Terrasse, die von Rabatten roter Rosen als Dauerblüher umgeben war. Den Hauptteil des Gartens bildete eine Baumwiese mit Apfel- und Birnenbäumen, Aprikosen-, Mirabellen-, Pfirsich- und Zwetschgenbäumen, einem Nussbaum und Haselnusssträuchern. An der Hauswand um die Fenster rankten Weinreben, deren satte Tafeltrauben im Herbst zum Fenster hereinhingen und sogar köstlich schmeckten. Hier wuchs das Obst einem sozusagen in den Mund, ein Schlaraffenland, Hier kann ich mir vorstellen, das kleine Paradies gefunden zu haben, wie es sich die Perser und Ägypter in der Antike vorstellten. Meine Mutter wusste jedoch anderes zu berichten. So ein Garten bedeute viel Arbeit. Nach dem Tod ihres Mannes kam sie mit der Arbeit nicht mehr nach. Sie klagte, die Arbeit wüchse ihr über den Kopf. So stellte sie einen Türken an, der ihr die Wiese mähte, das Obst erntete und den Baumschnitt besorgte. Zum Ausruhen kam sie kaum, und wenn, dann hörte sie die Nachbarn flüstern: „Hat die nichts zu schaffe!“ Als ihr die Arbeit im fortgeschrittenen Alter doch zu viel wurde, verkaufte sie Haus und Garten - eigentlich schade - und zog in eine Eigentumswohnung.. Ihr Traum war, kein Garten mehr, sondern einfach eine Wohnung zu haben, die man hinter sich abschließt, ohne sich um einen Garten kümmern zu müssen. Aber ich lasse mich trotz der Unkenrufe vom Traum eines eigenen Garten nicht abbringen. Ein Handicap besteht jedoch: Solch ein Haus am Stadtrand mit so einem Obstbaumhain kann ich mir nicht leisten. Aus der Traum.

Aus der Traum? Da gibt es doch auch Gärten mit kuscheligen Gartenhäuschen für die weniger Betuchten, für die kleinen Leute wie ich. Ich sehe sie jeden Tag in der Nähe vom Bahnhof, wenn ich mit dem Zug zur Arbeit fahre. Das sind Schrebergärten, die sich meist entlang von Bahngleisen reihen, wo es sich nicht lohnt, diese schmalen Korridore zu bebauen. Als meine Frau frisch von Lateinamerika nach Europa kam und die Gartenkolonien vom Zug aus sah, fragte sie mich: „Sind das die Favelas der Stadt?“ Ich klärte sie auf, dass das Freizeitgärten für die Stadtbewohner sind, die sich dort erholen und sich in einem Verein zusammengetan haben.

Eigentlich bin ich kein Vereinstyp und Gruppenmensch, mehr ein egoistischer Einsiedler, aber die Höhe des Kaufpreises einer Gartenlaube als auch die Pacht lagen innerhalb meines Budgets, so dass wir uns entschlossen, uns so einen Garten anzueignen. Meine Frau und ich dachten, wir könnten dort das Wochenende mit den Kindern verbringen und grillen. Die Kinder haben eine Spielwiese mit Schaukel und Sandkasten, es wird ihnen Spaß machen. Nebenbei lernen sie auch den Naturkreislauf Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter kennen und bekommen ein Verhältnis zur Natur. Wir hatten das Glück, das Vereinsleben war nicht aufdringlich. Anders als ich mal eine Schreberkolonie in einer Stadt im Schwäbischen besuchte. Dort wurden am Eingangstor alle Gartenfreunde aufgezählt, die ihre Gärten nicht in Ordnung hielten. Das Gartenziel eines jeden Gartenfreundes war folglich, nicht am Eingang an den Pranger gestellt zu werden. Ist der Garten sauber und in Ordnung, dann ist das Gartensoll erfüllt. Beileibe kein Gartentraum. Schon die vorgegebenen Maße und Regeln , die eingehalten werden müssen, lassen einen nicht gerade abheben. Aber wie es in der Gesellschaft so ist, im Staat, in der Familie und in der Gartenkolonie kann keine Gemeinschaft ohne Regeln existieren. Wir lassen uns nicht entmutigen, akzeptieren die Vereinsordnung und versuchen, unser kleines Gartenparadies zu schaffen.

Letztes Jahr war ich wegen einer schweren Darmerkrankung im Krankenhaus. Man machte mit mir so unangenehme Untersuchungen wie eine Darm- und Magenspiegelung. Als es mir wieder etwas besser ging, machte ich mich auf, den Park um das Krankenhaus zu erkunden. Nach einer Krankheit genoss ich jeden Fortschritt zur Gesundung und jeden Schritt, den ich machen konnte. Es ist irgendwie ein elementares Gefühl. Es war eine Woche lang herrlichstes Wetter. Der Park war mit Bänken bestückt, wo sich die Besucher mit den Patienten trafen, um ein Schwätzchen in freier Natur zu halten oder die Schwestern sich in der Mittagspause sonnten. Plötzlich entdeckte ich ganz abgelegen hinter dem Flugplatz des Krankenhaushubschraubers einen richtigen Bauerngarten mit Salatköpfen, Gurken, Tomaten, Erbsen, Stangenbohnen, Kartoffeln, Krautköpfen und Küchenkräutern, dazwischen Dahlien, Ringelblumen, Gladiolen, Zinnien, Rittersporn, Sonnenhüten, Sonnenblumen, Tagetes, Löwenmäuler, Lupinen, blauen und roten Storchschnäbeln, blaue Wegwarten, Glockenblumen und Borretsch, rote und blaue Flockenblumen, gelben Schafgarben, Nachtkerzen, Goldruten und ein paar herumliegende Gießkannen. Fleißige Bienen flogen von Blüte zu Blüte, um den süßen Nektar aufzunehmen. Hier fühlte ich mich wohl. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich ließ mich auf einem verloren dastehenden schon etwas kaputten Gartenstuhl nieder, um die Farben der Blumen zu genießen, das leise Summen der Bienen zu hören und die Welt zu vergessen. Hier ging ich dann jeden Tag hin, genoss die Natur und verlor mich in dem Roman „Schloss Gripsholm“ von Tucholsky. Ich hatte meinen Traumgarten gefunden.

Gartenträume

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