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Ordnung oder wilde Natur?

Ich zog eine Wind’ am Zaune;

Und was sich nicht wollte winden

Von Ranken nach meiner Laune,

begann ich dann anzubinden.

Und dachte, für meine Mühen

Sollt’ es nun fröhlich blühen.

Doch bald hab ich gefunden

Dass ich umsonst mich mühte;

Nicht, was ich angebunden,

war, was am schönsten blühte,

sondern, was ich ließ ranken

nach seinen eig’nen Gedanken.

Friedrich Rückert

Ich schaue in den Garten: Wie gestalte ich ihn, Ordnung oder wilde Natur? Was ist überhaupt Ordnung? Der Mensch bringt Ordnung in eine Sache, um sie zu verstehen und mit ihr besser umzugehen. Die Natur erscheint uns als ein Sammelsurium von Pflanzen und Tieren. Die Biologen ordnen die Pflanzen nach äußeren Kennzeichen grob in Abteilungen, Klassen, Familien und Arten ein. Dies ist die Ausgangsbasis für eine erfolgreiche Erforschung der Flora und ein Versuch die Natur zu verstehen. In Wirklichkeit hat die Natur auch eine Ordnung, die nicht auf den ersten Blick sichtbar und voller Geheimnisse ist, die wir ergründen wollen aber doch letztendlich nie ganz erfassen. Es ist eine innere Ordnung, die den Erhalt und die Weiterentwicklung des Lebens fördert. Kennzeichen dieser Ordnung ist eine ständige Veränderung bis zur Metamorphose der Materie. Allgemein kann man sagen, die Ordnung erfüllt immer einen Zweck. Da wir es jetzt mit dem Garten zu tun haben und ihn nach unserem ästhetischen und Nutzempfinden gestalten und bewirtschaften wollen, kommen wir um eine gewisse Ordnung nicht herum. Die Ausgangsfrage ist also beantwortet.

Jetzt zurück zu meinem Garten. Eine Ordnung ist dort schon vorhanden, nämlich die, wie der Vorgänger seinen Garten mir überlassen hat. Jetzt stellt sich die Frage: Was kann ich vom Vorgänger übernehmen, was nach meinem Geschmack ändern? Der zweite Schritt ist, mich zu fragen, was für einen Garten möchte ich: Einen akkurat angelegten Nutzgarten, einen mehr etwas wild aussehenden Naturgarten, einen Wellnessgarten, einen ostasiatischen Meditationsgarten, eine Spielwiese für Familie und Kinder, ein Schauobjekt für Gartenwettbewerbe oder von allem etwas? Die dritte Überlegung ist, wie viel Zeit kann ich aufbringen, um den Garten zu bewirtschaften.

Mein Schrebergarten misst insgesamt sechs Ar, je eine Parzelle für mich und meine Ehefrau. Drei Ar eines normalen Schrebergarten, wären für mich zu klein. Ich sitze da viel zu sehr auf dem Nachbarn drauf. Da ich ein Einsiedler bin und mehr für mich sein und frei durchatmen will, kommen mir die sechs Ar sehr gelegen. Ich will dort meine Ruhe haben und nicht gleich auf den freundlichen Small Talk wie: „Fressen bei Ihnen die Schnecken auch alles weg?“ meines Nachbarn eingehen. Das Grundstück, das der Stadt gehört, ziert ein Steinhaus mit Gartenlaube und Terrasse. Auffällig sind die zahlreichen Obstbäume und Beerenbüsche, die der Vorgänger gepflanzt hat. Es sind Apfel-, Birnen-, Zwetschgen- und Pfirsichbäume, fast wie in dem ehemaligen Garten meiner Mutter in Tübingen. Die Gartenlaube und die Bäume übernehme ich, so wie sie vom Vorgänger mir übergeben wurden. Dann hat mein Vorgänger auch zahlreiche Buschreihen mit Johannesbeer-, Stachelbeer- und Himbeersträuchern angelegt. Diese behalte ich auch. Es gibt nichts Schöneres als Beeren vom Strauch zu naschen. Schließlich wachsen noch allerlei Stauden im Garten und es befinden sich Zwiebeln in der Erde. Da warte ich mal ab, wie sie sich an ihrem Standort entwickeln. Dann kann ich sie immer noch nach meinem Geschmack umsetzen oder die Pflanzen dorthin versetzen, wo sie besser gedeihen. Mein erster Schritt ist folglich, den Garten im ersten Jahr so zu belassen, ihn zu pflegen und genießen, wie er ist und mich auf die Renovierung und Einrichtung des Gartenhauses zu konzentrieren.

Im zweiten Jahr folgte der nächste Schritt: Was will ich mit dem Garten? Will ich einen Nutzgarten mit Gemüse, einen Spielplatz für meine Familie und zum Grillen am Wochenende oder einen Platz, um mich zurückzuziehen zum Meditieren und die freie Natur zu genießen? Die Antwort auf diese Frage wandelte sich mit den Jahren, so dass sich der Garten immer wieder ein wenig veränderte.

Der Nutzgartenbereich mit Obst und Beeren war schon vom Vorgänger vorbestimmt. Eindrucksvoll war die Pergola, die vollständig mit Weinreben überzogen war. Sie bildeten nicht nur, wenn die blauen Burgunderrauben reif waren, ein schattenspendendes Dach, sondern hingen so zahlreich von der Decke, dass man sich in einem Schlaraffenland wähnte. Man brauchte nur die wohlschmeckenden Trauben von der Decke zu pflücken und vernaschen. Das war die Attraktion für uns und jeden Besuch. Mit der Zeit jedoch wurden die Traubenstöcke von Mehltau befallen und die Weinstöcke gingen ein. Ich ersetzte sie dann durch Clematis, die im Frühsommer sehr schöne große lila Blüten entwickelten.

Am Anfang diente der Garten als eine Art Freizeitpark für uns. Die Kinder hatten einen Sandkasten und eine Schaukel. Wir verwandelten die Gemüsebeete des Vorgängers in eine Spielwiese, auf der unsere Kinder Federball und Fußball spielten. Wenn der Ball in die Nachbarparzellen flog, gab es großen Ärger mit den angrenzenden Gartenfreunden. Im Mittelpunkt für die Kinder stand an heißen Tagen der Wasserschlauch, mit dem sie sich mit lautem Geschrei bespritzten. Durch dieses Geschrei, das an ein öffentliches Schwimmbad erinnerte, waren wir nicht gerade bei unseren Gartennachbarn beliebt. Am Anfang bestanden die Gartenfreunde nur aus älteren Ehepaaren, die fleißig ihr Gemüse züchteten und das Vereinsleben als ihren Mittelpunkt betrachteten. Wir brachten die ersten Kinder in den Garten. Das war ein Novum für die Gartenkolonie. Heute ist das ganz normal. Mit der Zeit wandelte sich das Bild der Gartenfreunde: Junge Ehepaare mit Kindern aus Russland, Jugoslawien, Italien und der Türkei zogen hinzu. Sie haben ganz andere Vorstellungen vom Garten. Für sie ist der Garten einerseits ein Nutzgarten, andererseits ein Freizeitpark für die Familie und die Gartenlaube eine Art Datschaersatz. Nun waren wir nicht mehr allein mit unseren Kindern. Das Vereinsleben stand zum Leidwesen der Alteingesessenen nicht mehr im Mittelpunkt, dafür drehte sich bei den neuen Gartenfreunden alles mehr um die Familie. Man hörte die alteingesessenen Gartenfreunde sagen: „Es sind doch immer die Gleichen, die sich für die Gartenkolonie einsetzen!. Was wird, wenn wir mal nicht mehr da sind?“ Na ja, das Leben geht weiter, es hat sich schon immer eine Lösung gefunden. Auf der Terrasse der Gartenlaube stellten wir einen Grill auf, auf dem wir Steaks und Würste brutzelten, eine einfache Malzeit, die schmeckte und wenig Arbeit machte. Ich war dann der Grillmeister, während meine Frau für die Salate und den Abwasch zuständig war. Mit der Zeit ließ jedoch das Interesse meiner Familie für den Garten nach. Meine Kinder wuchsen heran und bevorzugten am Sonntag mehr ihre Freunde, mit denen sie durch die Stadt zogen. So ließ auch das Interesse meiner Frau am Garten nach. Zum Schluss blieb ich allein im Garten.

Nun hatte ich den Garten ganz für mich und ich konnte nach meinem Geschmack darüber bestimmen. Ich hatte einen Platz, um mich zurückzuziehen, zum Genießen und zum Meditieren, ein kleines Paradies, hier fand ich meine Ruhe, es herrschte nicht mehr der laute Familienrummel vor. Der Garten war nun das, was ich mir in meinem Innersten schon immer gewünscht habe. Hier galt das Goethezitat: „Hier bin ich Mensch, hier kann ich’s sein“.

Jetzt , da ich im Garten allein schalten und walten konnte, wurde die Frage wieder erneut aktuell: Bevorzuge ich einen Naturgarten oder eher einen konventionellen Garten? Einen Wildwuchs mit hohem Gras, verwilderten Bäumen und undurchdringlichem Brombeergestrüpp erlaubt schon die Gartenordnung unserer Gartenkolonie nicht. Aber das entspricht auch nicht meiner Vorstellung von einem Garten. Ein Garten ist für mich ein Stück Natur, bei dem ich der Schöpfer bin, aber nur soweit, dass die Natur nicht in eine Zwangsjacke gesteckt wird. Es soll alles natürlich aussehen, aber nicht perfekt. Ist eine Frau perfekt gebaut, eine vollständig harmonische Schönheit wie Aphrodite, so kommt bei mir kein Gefühl auf. Hat sie kleine Schönheitsfehler wie nicht ganz gerade Beine mit durchtrainierten Waden, so wirkt eine Frau auf mich sehr anziehend. Das Gleiche gilt für den Garten. Einzelne Blickpunkte wecken in mir Gefühle, bringen mir den Garten näher, verinnerlichen ihn in mir. Eine verträumte Bank könnte es sein oder ein kleiner Gartenteich mit einem Springbrunnen, der beruhigend plätschert. Als Solitär machen sich auch Pampagras oder Bambus ganz gut.

Nun zur Sache: Soll es nun ein konventioneller oder ein Naturgarten sein? Unter einem konventionellen Garten versteht man im Allgemeinen ein paar sauber angelegte Gemüsebeete, einen kurzgeschnittenen Rasen, evtl. Obstbäume und Buschreihen mit Beeren und ein paar Rabatten mit Blumen zur Verschönerung. Bei einem Naturgarten dagegen müssen Voraussetzungen geschaffen werden, dass sich verschiedene Lebensgemeinschaften zu einem Stück Natur entwickeln können. Das erfolgt nur, wenn man die Natur versteht und die vernetzten Zusammenhänge und Wechselspiele in der Natur erkennt. Vor allem sollen nach meiner Meinung meine Bedürfnisse wie Entspannung, Muße und Natur erleben in den Naturgarten integriert werden. Haus und Garten müssen eine harmonische Einheit bilden.

Ich entschließe mich für einen Kompromiss zwischen einem konventionellen und Naturgarten. Ich schaffe wilde Ecken. mit Glockenblumen, Margariten, Salbei, Hahnenfuß, Klee, Knautien, Flockenblumen und Schafgarben. Auch das Gemüsebeet soll eine Lebensgemeinschaft von Blumen und Gemüse sein, halt ein richtiger Bauerngarten. Zwischen das Gemüse pflanze ich Ringelblumen, Löwenmäuler, Dahlien, Sonnenblumen und Nachtkerzen in der Hoffnung, dass alle Gartenteile zu einem natürlichen gesamten Lebensraum zusammenwachsen. Mache ich es richtig, werden sich auch bald Tiere wie Vögel, Schmetterlinge, Bienen, Blindschleichen, Igel, Käfer und Frösche einfinden, und ich habe einen Garten, in dem ich mit Muße die Natur beobachten, mich entspannen und meine Seele baumeln lassen kann.

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