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Achterbahn in die Hölle

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Nur einmal im Jahr kam der große Rummel zu uns. Und obwohl ich eigentlich schon ein wenig aus dem Alter heraus war, zog es mich immer wieder dort hin. Und wie in jedem Jahr gab es neue, spektakuläre Fahrgeschäfte, oder sollte ich besser sagen >Monstermaschinen<. Vor allem aber war es die Königsdisziplin jedes Vergnügungsparks die mich anzog und faszinierte. Das rollende, ratternde Ungetüm Achterbahn. Höher, steiler, schneller. Es schien keine Grenzen der Schwerkraft zu geben. Meist stand ich nur am Fuß des ineinander verschlungenen Gerippes das mich an ausgegrabene Riesensaurierskelette erinnerte, und sah hinauf zu den kletternden, rasenden und in die Tiefe schießenden Zuggarnituren. Die in den Himmel gereckten Arme der Süchtigen, die Schreie, der infernalische Lärm zwischen den stählernen oder hölzernen Streben.

Genau kann ich ich es nicht mehr sagen wann mir an jenem Tag zum erstenmal auffiel, dass etwas nicht stimmte. Ganz und gar nicht stimmte. Wohl an die fünfzehn bis zwanzig Durchläufe der verschiedenen Zuggarnituren hatte ich schon beobachtet. In diesem Jahr wartete die Bahn mit einer Neuigkeit auf. Bei der letzten steilen Rampe kurz vor dem Auslauf, donnerten die Waggons in einen etwa zwanzig Meter langen, dunklen Tunnel. Gleich dahinter begann dann die Bremsung.

Dort, an diesem Platz war mein Standort. Am Ende einer dieser Fahrten sandte mein Gehirn ein Alarmsignal. Zuerst versuchte ich es als optische Täuschung abzutun. Doch dann beharrte mein Erinnerungsvermögen auf einer Beobachtung die ich nicht ignorieren konnte. Als die letzte Zuggarnitur aus dem Tunnel hervorschoß fiel mir auf, dass der hinterste Wagen leer war. Und dennoch hatte ich ihn vollbesetzt in den Tunnel rasen sehen. Blödsinn, schalt ich mich. Das war nicht möglich. Ich mußte mich getäuscht haben. Und dann sah ich das blonde, wehende Haar des Mädchens deutlich vor mir. Und da war ich mir sicher, dass es keine Sinnestäuschung war. Der Tunnel hatte zwei junge Leute verschluckt. Oder sollte ich besser sagen herausgeschleudert. Aus welchem Grund auch immer. Und nun lagen vielleicht beide verletzt in diesem Tunnel und ihre Hilfeschreie gingen in dem Lärm unter. Ich sah zum Bedienunspersonal am Auslauf. Alles schien seinen Gang zu gehen. Keinerlei aufgeregte Gesten. Die nun ganz leere Zuggarnitur schloß sich wieder hinten an, bereit für eine neue Fahrt. Ich mußte etwas unternehmen. Ich fuhr zusammen, denn in diesem Moment schoß bereits die nächste Wagenraupe in den Tunnel. Jubelnde Menschen mit geröteten Gesichtern und vom Adrenalinrausch noch weitgeöffneten Augen stiegen aus. Ich mußte etwas unternehmen. Ein paar Schritte und ich befand mich am Eingang, der mit einem einem gut zwanzig Meter langen schmalen, schmalen Steg zur Kasse führte. Voll mit wartenden Menschen die alle eine Fahrt genießen wollten. Was tun? Ich drückte mich an das Eisengeländer das den Steg nach außen sicherte und begann mich an den Wartenden vorbeizudrängen.

"He, warts ab bis du dran bist." Schimpfende, maulende Menschen die den Drängler nicht vorbeilassen wollten. Es gab Knüffe und unmißverständliche Gesten.

"Ich muß zur Kasse. Da ist etwas passiert", murmelte ich fortwährend und gleichzeitig Entschuldigungen aus-

stoßend.

Endlich hatte ich es geschafft. Ein untersetzter Mann saß in dem Glaskasten und raunzte mich auch gleich an:

"Machen sie mir hier keinen Aufstand. Vordrängeln kann ich nicht gutheißen. Das gibt nur Unruhe."

"Entschuldigung, tut mir leid. Aber bei einer des letzten Fahrten ist etwas passiert."

"Was? Was soll der Blödsinn. Wollen sie eine Karte oder nicht. Obwohl ich sie eigentlich wegjagen sollte."

"Bitte hören sie mir doch zu. Ich glaube da sind zwei junge Leute im Tunnel verschwunden. Aus dem Wagen geschleudert worden. Ich habs genau gesehen. Die liegen da vielleicht verletzt."

Zwei kalte, glitzende Augen starrten mich an.

"Jetzt reichts! Verschwinden sie!"

Mir blieb nur eine Wahl. Schnell löste ich ein Ticket und reihte mich ein. Es dauerte nur Minuten und eine weitere Gruppe war zur Abfahrt fertig. Gurte anlegen. Ich war der erste dieser neuen Gruppe und wurde vom Personal zum hintersten Wagen dirigiert. Waren das nicht die Plätze der beiden Verschwundenen? Mir wurde flau im Magen. Jeder Wagen hatte zwei Plätze. Hinter mir ein stand ein junges Pärchen. Sie wollten natürlich in einem eigenen Wagen sitzen. Und auch die nächsten beiden gehörten zusammen. Aus Zeitgründen blieb dem Personal nichts anderes übrig als die Zuggarnitur abzufertigen. Keine Einzelperson in Sicht die sie schnell zu mir lotsen konnten. Es durfte keinen Aufenthalt geben. Der vorausfahrende Zug hatte bereits den Anlaufscheitelpunkt erreicht und raste die erste steile Rampe hinunter.

Ein Ruck und es ging los. Nach wenigen Metern begann die Anlaufsteigung. Schnarren, rattern und klackern unter mir. Ein Ketten- oder Zahnradaufzug. Geräusche die mir nur allzu gut bekannt waren. Damit war normalerweise gespannte Erwartung auf den bevorstehenden Nervenkitzel verbunden. Doch mir wurde mulmig. Worauf hatte ich mich da eingelassen? War ich nicht einer Täuschung erlegen als ich glaubte im letzten Wagen hätten tatsächlich zwei junge Leute gesessen? Und warum sollten sie in diesem Tunnel aus dem Wagen gestürzt sein? Fragen die mich bestürmten. Ich kam mir wie ein Trottel vor. Und dennoch. Als die ratternde Garnitur den höchsten Punkt des Anlaufs erreicht hatte war ich mir wieder sicher. Ich hatte dieses Mädchen und den Jungen gesehen.

Ein kurzer Blick in die Tiefe. Sechzig Meter oder mehr? Ich sah tausende von Streben. Schienen auf denen unmöglich eine Zuggarnitur, ohne zu entgleisen, wieder sicher den Erdboden erreichen konnte. Und dann wurden meine Gedanken ausgeschaltet. Die Wagen vor mir kippten weg und ich sah hochgerissene Arme und hörte extatische Schreie. Mein Magen und meine restlichen Eingeweide wurden bei der Fliehkraft dieses ersten Sturzes nach oben gepreßt. Ich schnappte nach Luft. Und doch. Da war diese Faszination, der Taumel. Schwerkraft und Schwerelosigkeit. Eine kurze Schußfahrt durch den Talboden und schon schoß die Wagenraupe auf die nächsten Steigung. Keine Zeit zum Atemholen. Erneut oben angekommen, sah ich, dass die Gleise vor mir zu einer schneckenförmgen Form verdreht waren. Zuerst steil nach rechts und gleich darauf wieder in die andere Richtung. Gerade voraus Einfahrt in drei hintereinanderliegende Loopings. Reichte die Schußfahrt der letzten Steigung aus um sie zu durchfahren? Und dann stand die Erde Kopf. Der Haltebügel preßte sich an meine Brust. Zweiter Looping. Der Grund meines Hierseins war in die hinterste Ecke meines Be-

wußtseins gedrängt. Unmöglich sich dagegen zu wehren. Dritter Looping und ich hörte mich schreien. Erneuter Anlauf zur nächsten Steigung. Verdrehte Schienen bei der Schußfahrt nach unten. Im nächsten Augenblick schien mir das Herz stehenzubleiben. Nach einer steilen Kurve kam die schwarze Öffnung des Tunnels in Sicht. Ich wußte wieder warum ich hier war und fröstelte. Wie sollte ich in der Schwärze und bei der Geschwindigkeit etwas erkennen? In diesem Tunnel gab es bestimmt keine Beleuchung. Im Gegenteil. Künstlicher Nebel quoll hervor. Denn die Besucher sollten sich gruseln und fürchten wenn sie hindurchrasten. Scheitelpunkt der letzten Steigung. Das schwarze Loch dort unten gähnte. Plötzlich gingen meine Ohren wieder auf und ich vernahm den höllischen Lärm der Bahn. Konzentrier dich! Aber das blieb eine Illusion. Die Köpfe vor mir verschwanden in der Dunkelheit. Die gestaute Luft, als die Wagengarnitur in den Tunnel schoß, schlug mir ins Gesicht. Unwillkürlich schloßen sich meine Lider. Ein letzter Gedanke: ÖFFNE DIE AUGEN!

Dunkelheit. Absolute Schwärze. Wo war ich? Dann die blitzartige Erinnerung. Achterbahn. Mußte ich nicht längst aus dem Tunnel raus sein? Kein rumpeln und rattern. mehr. Keine Schreie. Stille. Eine schwarze Wolke umgab mich. Meine Hände tasteten ins Leere. Nichts. Kein Haltebügel, kein Wagen in dem ich saß. Ein eiskalter Schauder lief mir über den Rücken. Immer noch nichts zu sehen. Etwas hatte mich verschlungen.

Endlich, nach einer Ewigkeit traf etwas meine Iris. Ein Licht flammte auf. Weit vor mir. Nicht besonders stark. Was hatte das zu bedeuten? Sollte ich auf das Licht zugehen? Der Boden unter mir fühlte sich glatt an. Asphalt? Eine Straße? Unmöglich! Wie war ich hierhergekommen? Und da plötzlich fiel mir das junge Pärchen ein. Waren sie ebenso wie ich hier gelandet? Ich brauchte mich nicht zu bewegen. Das Licht kam auf mich zu. Wo waren die jungen Leute jetzt? Tausend Fragen auf die keine Antwort hatte.

Mit klopfendem Herzen blieb ich auf der Stelle. Jetzt war auch ein Geräusch zu hören. Harmlos. Der Motor eines Fahrzeugs. Im Licht des näherkommenden Vehikels sah ich deutlich schwarzen Asphalt unter meinen Füßen. Ein Mittelstreifen. Die Dunkelheit wurde langsam aufgelöst. Und es mußte ein altes Vehikel sein das da auf mich zukam. Nur ein Scheinwerfer, aber kein Motorrad. Das Motorengeräusch rauh. Blech klapperte. Ich starrte auf das näherkommende Licht, hielt mir geblendet die Hand vor Augen. Es quietschte. Bremsen wurden betätigt. Vielleicht zehn Meter vor mir kam das röhrende Ding zum Stillstand. Langsam schälte sich ein Umriss aus der Dunkelheit. Ein Pickup. Nur einer der Scheinwerfer brannte. Der Scheinwerfer auf der linken Seite. Meine Gestalt mußte jetzt deutlich zu sehen sein. Der Motor röhrte weiter im Leerlauf. Ich spürte wie ich zitterte.

Sekunden vergingen. Dann endlich das Geräusch einer sich öffnenden Wagentür. Es klang nach altem ausgeleierten Blech. Ein Schrotthaufen von Pickup.

Eine Gestalt deren Gesicht ich nur undeutlich sehen konnte blieb unmittelbar vor mir stehen.

"Steig ein! Ich habe schon auf dich gewartet."

Was sollte das bedeuten? Ich schluckte und krächzte: "Wer sind sind sie und wo bin ich hier?"

Meine Augen schälten jetzt den Fremden langsam aus der schemenhaften Nacht. Und ich dachte: >Mit dem legst du dich besser nicht an. Ein Muskelpaket<.

"Wo wollen sie denn mit mir hin?"

"Steig ein!"

Ich tat besser was er sagte. Im gleichen Augenblick packte mich schon eine hart zufassende Hand und zerrte mich zur rechten Seite der alten Kiste. Ich wurde auf einen alten abgewetzten Sitz gedrückt. Es stank nach Zigarettenrauch. Der freundliche Mensch ging um den Wagen herum. Ein Gedanke ging mir durch den Kopf. >Flieh solange du noch kannst<. Ich ließ es.

Wir rumpelten los. Der muskelbepackte steckte sich eine Zigarette in den Mund und zündete sie mit einem Zippo-Feuerzeug an. Die Benzinflamme beleuchtete kurz sein Gesicht. Die Visage eines Gangsters. Was sollte das alles bedeuten? Wie war ich bloß hierhergekommen? Eine harmlos Fahrt mit der Achterbahn. Mein Verstand setzte aus.

Weit und breit kein Licht zu sehen. Karge Vegetation zu beiden Seiten. Mir war kalt. Kein Wunder. Wie es aussah befanden wir uns in einer wüstenähnlichen Gegend. Und da wurde es nachts empfindlich kalt. Nur mit leichter Hose und einem dünnen Sommersakko bekleidet war ich zum Rummel gegangen. Hochsommer und heiß.

"Könnten sie vielleicht mal die Heizung ein bisschen aufdrehen", sagte ich.

Keine Antwort. Wahrscheinlich funktionierte die Heizung in dieser alten Schrottmühle gar nicht mehr. Ich verfiel in stumpfsinniges grübeln. Vielleicht würde ich aus diesem bösen Traum bald erwachen.

Plötzlich bogen wir scharf rechts ab. Ein unbefestigter, holperiger Weg. Und da fielen mir die beiden anderen Verschwundenen ein.

"Was habt ihr mit den beiden jungen Leuten gemacht?", fragte ich meinen stummen Geiselnehmer. Denn ich war wohl eine Geisel. Aber wofür und wozu? Aus einem Achterbahntunnel hierher katapultiert. Ein Witz oder höhere Macht? Und dann kam die Antwort.

"Du wirst sie gleich kennenlernen."

"Was?!"

"Warts ab. Wir sind gleich da."

Und tatsächlich. Im funzligen Licht des einen Schein-werfers tauchte plötzlich ein Metalltor auf. Hoch, sehr hoch. Und rechts und links davon ein ebenso hoher Zaun. Kein Schild, kein Hinweis wohin dieses Tor führte. Irgendwie sah es militärisch aus. Oder eine Organisation von deren Existenz niemand etwas wußte und die sich hier verbarg. Blödsinn! Meine Gedanken schoßen ins Kraut.

Das schweigsame Muskelpaket stieg aus und ging zum Tor. Eine Möglichkeit zur Flucht? Doch wohin sollte ich? Ich wußte ja nicht mal wo ich mich befand. Ich hörte einen Schlüsselbund klirren und die beiden Torflügel wurden gleich darauf nach innen gedrückt. Wir fuhren durch das Tor und mein Fahrer schloß hinter uns wieder ab.

Nach etwa einem Kilometer schälten sich aus der Dunkelheit die Umrisse eines flachen, bunkerähnlichen Gebäudes. Unser trüber Scheinwerfer und zwei schwach leuchtende Strahler, an jeder Ecke des Baus, verbargen mehr als sie enthüllten.

"Steig aus!"

Ich gehorchte, denn was blieb mir auch anderes übrig. Langsam wurde ich trotz meiner Angst sogar neugierig was mich hinter diesen Betonmauern erwartete. Nirgendwo ein Fenster auszumachen. Was war das? Ein Überbleibsel in der Wüste nach lang zurückliegenden Atombombentests? Mein Entführer packte mich plötzlich am Arm und zog mich zur rechten Ecke des Gebäudes. Ich konnte auf der Vorderseite ohnehin keinen Eingang ausmachen. Der befand sich seitlich wie ich gleich feststellen sollte. Wir wurden schon erwartet.

Eine schwere, Metalltür öffnete sich und ich wurde nach innen gestoßen. Vor mir ein langer Gang der rechts und links von Betonwänden gesäumt war. Auch hier trübe Beleuchtung. Hinter mir mein Fahrer und vor mir ein weiterer Hüne in einer Art Uniform. Sollte es sich doch um eine militärische Anlage handeln? Ich schüttelte den Kopf ob meiner verrückten Gedanken. Aus dem Tunnel einer Achterbahn in einen Militärbunker? Blödsinn! Nach ein paar Metern blieben wir vor einer weiteren Metalltür stehen. Der militärisch Gekleidete öffnete sie und ich wurde in einen fast nackten Raum gestoßen. In der Mitte eine von der Decke herunterhängende Metalllampe die einen kegelförmigen Strahl nach unten warf. Zwei rostige, eiserne Stühle.

Und darauf saßen die zwei vor mir verschwundenen jungen Leute. Ich blinzelte in das fahle Licht. Die beiden waren an die Stühle gefesselt. Sie starrten mich mit weit aufgerissenen Augen an. Mein Adamsapfel hüpfte vernehmlich. Es lief mir eiskalt den Rücken runter. Automatisch suchte mein Unterbewußtsein nach einem Fluchtweg. Ich drehte mich um, aber da stand nur der Pickupfahrer und die Metalltür war jetzt geschloßen. Der zweite Hüne wandte sich jetzt mit schnarrender Stimme an mich: "Kennst du diese beiden?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Umso besser."

"Was wollen sie von mir?", fragte ich. Meine Stimme war mehr krächzend als bestimmt. "Und was wollen sie von den beiden?", legte ich trotzdem nach. Die Irrationalität meines Hierseins wurde mir in diesem Augenblick wieder bewußt. Es mußte ein Traum sein. Eine harmlose Achterbahnfahrt und plötzlich in eine anderen Welt geschleudert (Parallelwelt?).

"Diese beiden da", und damit zeigte der Schrank auf die Gefesselten , "sind nicht so harmlos wie sie aussehen. Das Bürschen da und seine Freundin haben ein Attentat geplant."

"Wa...was für ein Attentat?"

"Ein Attentat auf die Premierministerin."

Ich sah die beiden Gefesselten an und mußte lachen.

"Das ist ein Witz, oder?"

"Mitnichten. Das sind zwei fanatische Terroristen. Umgepolt in einem anderen Land. Seit zwei Jahren planen sie das Attentat und haben dabei kräftige Unterstützung. Das ist ja gerade der Trick dabei. Niemand würde diese beiden harmlosen jungen Leute verdächtigen."

Ich konnte es nicht glauben. Diese zwei verängstigten Jugendlichen. Was ging hier wirklich vor? Was war das für ein Theater? Und was hatte ich damit zu tun? Und was hatte ein Rummelplatz damit zu tun auf dem Leute verschwanden? Laut sagte ich deshalb: "Ich glaube ihnen kein Wort. Niemand kann Leute aus einer Achterbahn ver-

schwinden lassen. Das ergibt alles keinen Sinn. Sagen sie mir endlich wer sie sind, wo wir hier sind und was sie von mir wollen. Und außerdem, der Typ hinter mir sieht nicht gerade aus als gehörte er einer Organisation an, die die Premierministerin schützt."

Der militärisch gekleidete vor mir fixierte mich kurz und erwiderte dann: "Du stellst ein paar Fragen zu viel. Dafür bist du nicht in der entsprechenden Position. Was wir von dir wollen ist ganz einfach. Du wirst die beiden jungen Leute aufhalten. Nach deiner Rückkehr versteht sich."

??? Jetzt verstand ich überhaupt nichts mehr. Das erste was ich nach einer Weile hervorbrachte war: "Und warum erledigt ihr das alles nicht selber? Und außerdem sind die beiden da ja jetzt gewarnt."

"Sie werden nichts von ihrer Anwesenheit hier wissen. Und wir können die beiden in der Realität auch nicht aufhalten. Das was hier vor dir sitzt sind nur zwei Kopien.

Und die bleiben hier. Außerdem wollen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht körperlich in euere Welt eindringen."

Was meinte er damit? Langsam wurde es mir zu bunt.

"Aber ich weiß dann doch noch alles über meinen Aufenthalt hier?"

"Deshalb bist du hier. Damit wir dich entsprechend programmieren. "

"Und ich bin wohl auch eine Kopie?"

"So ist es. Aber nach deiner Rückkehr wirst du wieder du selbst sein. Allerdings wirst du über deine Aufgabe Bescheid wissen und die beiden da kennst du ja jetzt."

Es war verrückt. Wie konnte man Personen aus einer Achterbahn verschwinden lassen bzw. eine Kopie davon?

Ich hatte doch die beiden jungen Leute real auch nicht mehr gesehen nach ihrem Verschwinden.

"Zerbrich dir nicht den Kopf darüber wie das alles möglich ist."

Die konnten meine Gedanken lesen.

"Und jetzt werden wir dich genau instruieren."

Bevor ich mich an die beiden Gefangenen wenden konnte um ihnen möglichst fies zu sagen, was sie mir da eingebrockt hatten, waren die Stühle vor mir leer.

"Also pass auf..."

"Moment mal. Ich habe da eine Frage an. Oder vielleicht auch mehrere. Ich bin nur kleiner Angestellter in einer Versicherung. Ich kann keine Terroristen aufhalten. Warum holen sie sich da nicht professionelle Hilfe. Holen sie sich Profis. Und was interessiert euch eigentlich unsere Premierministerin?"

"Deine letzte Frage zuerst. Weil sie eine von uns ist."

Ich schluckte. "Was? Was heißt das eine von uns? Wer seid ihr überhaupt? Aliens? Habt ihr uns etwa schon übernommen?"

"Da liegst du gar nicht so falsch. Es ist an der Zeit diesen Planeten in Ordnung zu bringen. Andernfalls geht ihr unter. Und die geplante Aktion muß so unauffällig wie möglich erfolgen. Du kannst dich dann als großer Held feiern lassen der durch Zufall ein Attentat verhindert hat. Und es ist noch nicht an der Zeit dass wir direkt auftreten.. Wie sagt ihr doch so schön: >Gut Ding will Weile haben.< Die Antwort lautet also: Hilfe durch Profis würde zuviel Aufsehen erregen. Und solche Leute müßten wir danach verschwinden lassen. Nicht gut."

Mich schwindelte. Ich ging zu einem der Stühle und setzte mich um gleich darauf wieder aufzuspringen. Vielleicht saß ich einem Geist auf dem Schoß. Der Große vor mir grinste ein wenig. Und dann erklärte er mir wie alles ablaufen würde und was ich zu tun hatte.

Und dann mein letzter Versuch: "Was wenn ich das nicht tun will?"

"Dann wirst du deinen Vater nie wieder sehen!"

Vertrautes rattern. Ein Ruck. Und eine halbe Sekunde später blendendes Tageslicht. Der Zug schoss aus dem Tunnel und wurde im nächsten Augenblick hart abge-

bremst. Mein Kopf knallte an die Nackenstütze. Die Haltebügel lösten sich und ich stieg mit den anderen Passagieren aus, deren Erregung über die irre Fahrt sich in Gelächter und hektischen Gesten ausdrückte. Und ich spürte eine gewaltige Erleichterung. Ein Traum, alles nur ein Traum, der sich im Dunkel des Tunnels in Millisekunden in meinem Kopf abgespielt hatte. Mit weichen Knien strebte ich dem Ausgang zu. Und dann der Schock.

Die zwei jungen Leute, Terroristen wie ich wußte, standen vor dem riesigen Gerippe der Bahn und leckten genüßlich ein Eis. Da standen sie, unschuldig, als könnten sie keiner Fliege etwas zuleide tun. Zwei Kopien hatten sie sich geschnappt? Das war verrückt. Ich glotzte sie aus etwa zehn Metern Entfernung an. War in eine regelrechte Schockstarre verfallen.

Schnell wandte ich den Blick ab, bevor sie auf mich aufmerksam wurden. Hier, in der unbeschwerten Realität eines Rummelplatzes kamen mir gewaltige Zweifel. Zweifel ob ich wirklich von ein paar Wüstenkriegern entführt und für einen bizarren Einsatz instruiert worden war. Nun war ich bestimmt kein Kandidat für ausufernde Phantasie oder andauernde Albträume. Das kam bei mir eher selten vor. Meine Kindheit war behütet gewesen und mein Vater hatte mir bei schwierigen Entscheidungungen in meinem Leben, beigestanden. Niemand hatte mich geschlagen oder sonstwie psychischem oder physischem Druck ausgesetzt. Ja, Schulhofschlägereien. Das hatte es gegeben. Aber ich hatte mich immer gleichwertig geschlagen und war nicht Opferlamm gewesen.

Es waren ja noch ein paar Tage bis zum öffentlichen Auftritt der Premierministerin. Noch ein verstohlener Blick auf meine Kandidaten. Ich schüttelte den Kopf und ging schnell meines Weges, bevor ich auffiel. Ich brauchte die beiden nicht zu beschatten, denn ich wußte ja genau Ort und Zeit, wo sie beabsichtigten zuzuschlagen. Dennoch überkam mich eine Ahnung, dass dies vielleicht doch keine leichte Aufgabe sein könnte. Was wenn ich sie zwischen den Menschenmassen nicht schnell genug entdeckte? Wenn sie ihr Ziel erreichten.

WAS WÜRDEN SIE MEINEM VATER DANN ANTUN?

Aufmerksam verfolgte ich in den kommenden Tagen die Presseberichte über die bevorstehende jährliche Parade. Es ging bei diesem Spektakel um die Erinnerung an einen siegreichen Feldzug auf einer fernen Inselgruppe. Dabei hatte es allerdings eine große Anzahl getöteter, eigenner Soldaten gegeben. Was mit großem Schlachtgetöse und Hurra begonnen hatte war zu einem Horrortrip geworden. Ein noch so großer Tag des Erinnerns würde die jungen Soldaten nicht wieder lebendig machen.

Eigentlich hatte mich dieses Ereignis nie besonders interessiert. Es lag schon länger zurück.

Sollte ich meinen Vater über alles informieren? Ich entschied mich dagegen. Sein hoher Blutdruck würde nicht besser werden. Außerdem, mein Vater war ein rational denkender Mensch. Er würde an meinem Verstand zweifeln. Je näher der Zeitpunkt meines Einsatzes rückte umso nervöser wurde ich. Also beschloß ich mir den Ort des Geschehens in Ruhe anzusehen. Das hätte ich schon längst tun sollen. Aber eine unterschwellige Angst hatte mich davon abgehalten. Ich nahm die U-Bahn und sah mir den geplanten Tatort an. Die ersten Straßensperren wurden bereits entlang der Gehwege aufgestellt. Und dies war nicht einfach ein Straßenabschnitt sondern eine Art großes Rondell in dessen Mitte eine Reiterstatue stand. Die Wagen bzw. Kutschenkolonne mußte dieses Hindernis im Halbkreis umfahren. Der Zug würde aus nördlicher Richtung kommen, und nach etwa fünfhundert Metern einen weiteren Platz umrunden. Dann ging es auf der gegenüberliegenden Seite zurück.

Die Massen auf der anderen Straßenseite sollten auch in den Genuß kommen die Premierministerin aus nächster Nähe zu sehen. Und bei der Rückfahrt sollte es passieren. Genau auf der anderen Seite der Reiterstatue. Die beiden unscheinbaren jungen Leute würden mit Sprengstoffgürteln unter der Kleidung möglichst unauffällig und erst im letzten Moment aus dem nur fünfzig Meter entfernten U-Bahnschacht auftauchen. Damit die Gürtel unter der Kleidung nicht auffielen würden sie besonders legeren, modischen Fummel tragen. War dann die offene Kutsche genau auf Höhe der Reiterstatue planten Sie nach vorn zu stürzen, die vor ihnen stehenden Leute gewaltsam beiseite stoßen, über das etwa einen Meter zwanzig hohe Absperrgitter hechten und sich direkt auf der ihnen zugewandte Seite der Kutsche platzieren. Ohne zu zögern sollten sie die Sprengladungen hochgehen lassen. Keine Überlebenschance für die Premierministerin. Und für die Attentäter. Wenn ich nicht vorher eingriff. Bei diesen Gedanken wurde mir die Unmöglichkeit meines Auftrages bewußt.

In der letzten Nacht vor meinem Einsatz schlief ich kaum. Wälzte mich im Bett hin-und her. Was für ein Wahnsinn. Und da kamen wieder die Zweifel ob diese zwei unschuldigen jungen Leute wirklich Terroristen waren. Dabei fiel mir der Anschlag vor einem Jahr in einer amerikanischen Großstadt ein. Vielleicht hatte ich alles nur in einer Art Wachtraum erlebt. Und doch sah ich wieder glasglar vor mir wie im diffusen Licht ein einäugiger Pickup auf mich zukam. Hörte die befehlsgewohnte Stimme des Mannes der mich instruiert hatte. Ich stand auf um etwas zu trinken. Unter dem Oberteil meines Schlafanzuges war ich schweißnass. Als ich wieder in mein Bett kroch reifte in mir der Entschluß einfach nicht auf diese Party zu gehen. Mein Gedankenapparat gewährte mir daraufhin gnädige Ruhe.

Das erste was mir am nächsten Morgen einfiel waren die Worte: "DANN WIRST DU DEINEN VATER NIE

WIEDERSEHEN."

Ich sah auf die Uhr. Siebenuhrdreißig. Um vierzehn Uhr sollte die Parade starten. Heute war Sonntag. Und ich mußte meinen Beobachtungsposten mindestens zwei Stunden vorher einnehmen. Mein Magen rumorte. Außer einer Tasse Kaffee konnte ich nichts zu mir nehmen. Obwohl der Kühlschrank meiner Junggesellenbude gut gefüllt war. Sonntags ein paar eingefrorenen Brötchen in der Mikrowelle rösten das war mein Ritual. Wenn ich nur an Essen dachte rebellierte mein Körper. Ich sah aus dem Fenster. Paradewetter. Blauer Himmel. Wahrscheinlich um die Mittagzeit dreißig Grad. Der Schweiß brach mir jetzt schon aus. Also duschte ich so kalt wie möglich und zog dann meine Jeans, ein T-Shirt und bequeme Joggingschuhe an.

Die Unsicherheit nagte mir das Gehirn leer. Was wenn ich beim Ablauf des Geschehens nicht die Hilfe bekam die ich brauchte. Doch sie hatten mir abgeraten vorher zur Polizei zu gehen. Dort würde man mich unter Umständen als Spinner und Wichtigtuer abtun.

Die U-Bahn brachte mich zu der dem Tatort am nächsten liegenden Station. Während der Fahrt dorthin bekam ich neue Ängste. Was, wenn mich die beiden Attentäter erkannten? Angeblich waren es ja nur Kopien gewesen die mich in dem Bunker gesehen hatten. Kopien? Aber sie waren doch wirklich aus dem Wagen der Achter-

bahn verschwunden? Ich wußte nicht mehr was ich denken sollte. Als ich um die Mittagszeit herum ins grelle Sonnenlicht trat standen bereits die ersten Schaulustigen auf beiden Straßenseiten. Langsam schlenderte ich in Richtung der Reiterstatue. Ich blickte an den Häuserfassaden hoch. Die Sonne stand um diese Zeit fast senkrecht über der Straße. Nirgendwo Schatten. Und natürlich hatte ich meine Sonnenbrille vergessen. Das grelle Licht würde meine Aufgabe erschweren.

An meinem späteren Zielort blieb ich kurz stehen. Ich sah mich unter den Wartenden um, blickte zur Reiter-statue. Natürlich waren die beiden Verdächtigen noch nicht da. Sie würden sich erst kurz vor dem Attentat unter die dann dichte Menge mischen. Vermutlich kamen sie aus der gleichen U-Bahnstation die ich vorhin verlassen hatte. Während ich langsam weiterging sah ich mir die Häuserfassaden auf beiden Seiten der Straße genauer an. Ich entdeckte die ein oder andere Überwachungskamera. Aber ob sie etwas verhindern konnten, daran zweifelte ich. Eher waren sie für die spätere Spurenauswertung geeignet. Doch die beiden jungen Leute konnte das nicht mehr stören.

Unwillkürlich schüttelte ich bei dem Gedanken an diese zwei Menschen den Kopf. Was ging in Ihnen vor? Und da kam mir eine Idee. Vielleicht hatten die Fremden die richtige Premierministerin gegen einen Klon aus ihren Reihen ausgetauscht. Und wußten die beiden Attentäter das etwa? Handelten vielleicht im Auftrag der Regierung? Dann hatte ich ganz schlechte Karten. Bei diesem Gedanken kam ich erneut ins grübeln. Warum sollte die Regierung versuchen an einem öffentlichen Platz quasi eine Hinrichtung zu inszenieren? Das konnte man doch auch unauffälliger abwickeln. Halt! Vielleicht hatte sich die falsche Premierministerin in ihrem Palast bereits eingeigelt, umgeben von ihresgleichen. Und da war noch eine Frage: Was war bei diesem Szenario aus der richtigen Premierministerin geworden? Und auf welche Seite sollte ich nun mein handeln stellen?

Die Uhr rückte unaufhaltsam vor. Mehrmals war ich jetzt schon einen guten halben Kilometer in Richtung Startpunkt der Parade gelaufen, um dann wieder meinen Zielort anzusteuern. Die Menschenmenge wurde immer dichter.

Ich sah auf die Uhr. Kurz vor vierzehn Uhr. Ich vernahm plötzlich Jubel. Er kam aus Richtung das Startpunktes. Reiter. Pferde waren bereits zu sehen. Eine Kapelle. Ein Trommlersolo. Bald würden sie die Statue auf der anderen Straßenseite erreichen. Und dann blieb nicht mehr viel Zeit. Die Kehrtwende des Zuges erfolgte dann nach etwa fünfhundert Metern. Ich stellte mich in die hinterste Reihe. Der Gehweg war jetzt so voll, dass ich mit dem Rücken fast zur Hauswand hinter mir stand. Schweiß brach mir aus. Vorsichtig reckte ich den Kopf um über die vor mir Stehenden hinwegzusehen. Manche Väter hatten Kinder auf ihren Schultern. Das erschwerte meine Aufgabe. Vorsichtig sah ich mich um. Nichts von den jungen Leuten zu sehen. Sie konnten eigentlich nur an den Hauswänden entlang zu ihrem Zielort gelangen. Dabei würden sie mich entdecken. Ich verlegte meinen Standort einige Meter nach rechts. Gegenüber kam gerade die Kutsche der Premierminsisterin vorbei. Jubel brandete auf. Ich schob meinen Kopf zwischen zwei Vordermänner. So konnten mich die Attentäter nicht erkennen.

Immer wieder schickte ich verstohlene Blicke in Richtung der U-Bahnstation. Nach weiteren zehn Minuten reckte ich den Kopf und sah die Parade zurückkommen. Auf meiner Seite der Straße. Da die Straße sehr breit war gab es diese Hin-und Rückfahrt. Schließlich sollten die Wartenden die Premierministerin ganz nah erleben können. Als der Zug vielleicht noch dreißig Meter entfernt war hielt ich es vor Anspannung kaum noch aus. Ich begann zu zittern. Der Impuls abzuhauen wurde übermächtig. Was ging mich das an?

In diesem Augenblick sah ich die beiden. Ich hatte sie zu spät entdeckt um dem Plan zu folgen. Keine Zeit mehr loszuspurten. Sie waren schon am Ort des Geschehens. Und tatsächlich. Ihre Kleidung war sehr flippig. Ich kroch förmlich zwischen ein paar Zuschauer und beobachtete sie. Zielstrebig kamen sie auf mich zu und würden in wenigen Sekunden auf Höhe der Reiterstatue sein. Längst hätte ich mich einem der Uniformierten in meiner Nähe anvertrauen können. Dazu war es zu spät. Was sollte ich tun? Meine Gedanken rasten. Ich dachte an meinen Vater. Tu etwas!

Und dann nahmen die Ereignisse eine überraschende Wendung. Mit weit aufgerissenen Augen und verzerrtem Mund verfolgte ich das unglaubliche Geschehen. Die offene Kutsche war nur noch wenige Meter entfernt. Die beiden Attentäter rissen gewaltsam ein Bresche in die wartenden Zuschauer. Sie wollten direkt vor die Kutsche gelangen. Ich vergaß völlig, dass ich bei einer Explosion inmitten des Geschehens sein würde. Schon sah ich wie vor mir abgerissene Körperteile durch die Luft wirbelten und ich der nächste war den die Bomben zerfetzten. Und trotz dieses Gedankens drängte ich mich durch ein paar Leute um besser sehen zu können. Das ist die morbide Neugier des Menschen an blutrünstigen Dingen. Noch während mir dieser Gedanke durch den Kopf schoß warfen sich beiden jungen Leute unmittelbar vor der Kutsche auf den Asphalt, rissen die Arme in die Höhe und schrien: "Helfen sie uns! Helfen sie uns!"

Ich erstarrte, verstand nicht. War das nun ein letzter Trick bevor sie ihre Sprengsätze zündeten? Es blieb mir keine Zeit weitere Überlegungen anzustellen. Und tatsächlich, es war ein Trick. Der Kutscher zügelte die Pferde, die Karosse kam direkt vor den beiden jungen Leuten zum Stehen. Sie wollten jetzt wohl in die offene Kutsche springen. Wollten ganz sicher gehen. Und während sie sich erhoben um ihre tödliche Fracht zu zünden sprang die Premierministerin, die bislang bequem auf den Polstern der Kutsche gesessen und den Menschen huldvoll zugewinkt und zugelächelt hatte, auf. In ihrer Hand hielt sie eine schwere, offensichtlich großkalibrige Pistole. Schüsse peitschten durch die Luft. Die Menschen duckten sich, schrien und ich tat wohl das gleiche. Und dennoch konnte ich sehen wie die beiden jungen Leute auf dem Asphalt zu Boden sanken. Kein Laut kam mehr über ihre Lippen. Ich sah, dass sie wohl in letzter Sekunde versucht hatten mit den Händen an die Zünder unter ihren flatterigen Kleidern zu gelangen. Vergeblich, denn jetzt wurde mir bewußt, dass die Köpfe der beiden förmlich explodiert waren. Welch eine Kaltblütigkeit. Gezielte Schüsse in den Kopf, damit keine Kugel versehentlich den Sprengstoff treffen konnte.

Die Premierministerin stand wie eine Rachegöttin in dem vergoldeten Gefährt während der Kutscher die wildgewordenen Pferde zu zügeln versuchte. Es waren mindestens sechs Schüsse gewesen die auf die beiden jungen Leute vor wenigen Sekunden abgefeuert wurden. Unter ihren auf die Straße niedergesunkenen Körpern breiteten sich Blutlachen aus.

Mir wurde schlecht und ich taumelte. Die flüchtende Masse Menschen neben mir verhinderte dass ich zu Boden fiel. Meine Gedanken rasten.

Ein harter Befehl bellte durch die eingetretene Stille. Es war die Premierministern die dem Kutscher zurief: "Fahr endlich weiter Idiot!"

Die Menge in blinder Panik. Schreie erfüllten die Luft. Und in meinem Kopf brannte die Frage:

WOZU HATTE MAN MICH IN DIESEM OFFENSICHTLICH ABGEKARTETEN SPIEL GEBRAUCHT?

Sirenengeheul erfüllte die Luft. Kinder schrien. Trotz des allgemeinen Fluchtreflexes blieb ich stehen und starrte die Frau in der Kutsche an. Unsere Blicke trafen sich. Ein Schauder rannte mir über den Rücken. Dann verschwand sie hinter einem Kordon Leibwächter die die Kutsche umringten und sich sogar ins Innere der Karosse warfen, sodass diese gefährlich schaukelte. Wo waren die als die Attentäter vorsprangen? Ich wollte mich gerade abwenden und der Menge folgen als das Unglaubliche geschah. Wieder stand die Premierministerin auf - sie hatte wohl ein neues Magazin in die Pistole geschoben - und begann auf die Männer zu schießen die das Innere der Kutsche erreicht hatten. Zwei Männer sanken zu Boden und dann stürzten sich weitere Bodyguards auf sie und entrangen ihr die Pistole. Ein letzter Schuss ging in die Luft. Ich hatte wohl eine Weile Atemstillstand. Was zum Teufel...

...hatte das zu bedeuten?

Es gab nur eine Erklärung. Der Gedanke den ich vor wenigen Minuten hatte. Die Regierung hatte erkannt, dass diese Frau ein Duplikat war. Ein Duplikat für das es keine Erklärung gab. Was würden diese Fremden jetzt tun?

Die Kutsche war wieder zum Stillstand gekommen. Also waren die beiden jungen Leute von der Regierung angeheuert die Doppelgängerin zu töten. Und sie wollten es nicht durch geschulte Agenten erledigen lassen, deren Auftreten der fremden Machthaberin sofort aufgefallen wäre. Dennoch hatte sie das falsche Spiel der zwei jungen Leute sofort erkannt.Und mir dämmerte, dass mich die Fremden tatsächlich dazu ausersehen hatte die beiden Attentäter aufzuhalten. Rechtzeitig aufzuhalten damit sie gar nicht erst in die Nähe der Kutsche kommen sollten. Wenn ich den Plan des Anführers befolgt hätte. Ich hatte nicht mehr reagieren können. Nun würde ich meinen Vater nie mehr wiedersehen. Und ich war diesen Fremden ausgeliefert.

Schlagzeilen des nächsten Tages:

FALSCHE PREMIERMINISTERIN ENTARNT UND GETÖTET! VIER BEAMTE ERMORDET! RICHTIGE PREMIERMINISTERIN UNVERSEHRT AUFGErFUNDEN! DAS WERK VON TERRORISTEN!

Ich las nicht mehr weiter. Sie hatten keine Ahnung. Terroristen? Ich ging nicht zur Polizei. Sie würden mir kein Wort glauben und ich landete womöglich in der Psychiatrie. Die beiden jungen Agenten hatten natürlich keine Sprengstoffgürtel unter ihren Kleidern. Sie wollten, kurz bevor sie starben, nur ihre Pistolen aus den Halftern ziehen. Natürlich erfuhr ich nie was aus der Alien-Premierministerin geworden war.

Meinem Vater war nichts geschehen. Es war nur eine Drohung gewesen. Doch wer weiß...??? Aber von diesem Tag an lebte ich in ständiger Angst. Angst die mich bis an mein Lebensende begleitete.

Nie wieder betrat ich einen Rummelplatz.

P.S. Etwa ein Jahr nach den Ereignissen wurde mein Vater bei einem mysteriösen Verkehrsunfall getötet. Ob Sie mir das glauben oder nicht: Ich bin fest davon überzeugt, dass SIE ihre Drohung doch noch wahrge-

macht haben.

Achterbahn in die Hölle...

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