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II. Weischedels Grundlegung einer zeitgemäßen philosophischen Theologie

Weischedels philosophische Theologie geht aus von der Grunderfahrung der Fraglichkeit von Weltwirklichkeit und Menschenexistenz, dem Schweben zwischen Sein und Nichtsein sowie zwischen Sinn und Sinnlosigkeit. Das Letzte, wohin das philosophische Fragen führt, ist das »Vonwoher« und dessen mächtiges Vorgehen. Es grenzt sich gegenüber dem herkömmlichen Gottesbegriff ab. Es begründet Freiheit, Offenheit und Loslassen.

1. Zeitgemäßes Philosophieren und Sinnproblematik

Die Ausführungen des Kapitels geben Weischedels Grundlegung einer zeitgemäßen philosophischen Theologie in Kurzform wieder.1 Es wird die Überwindung des Nihilismus verständlich gemacht, ohne an Glaubensinhalte anzuknüpfen.

Philosophieren vollzieht sich nach Weischedel als Fragen und Infragestellen. Es wird gefragt, wie es mit dem als selbstverständlich Erscheinenden in Wahrheit steht. Philosophieren ist unbegrenzt fortgesetztes Fragen. Nichts darf in »unbefragter Fraglosigkeit« stehen bleiben. Philosophieren ist demnach radikales Fragen.

Das radikale Fragen ist die Wurzel der Metaphysik ebenso wie der Kritik an derselben. In der Metaphysik wird nach dem Sein des Seienden ebenso wie nach dessen Ursprung gefragt. Aber auch der Ursprung muss hinterfragt werden. Es gibt kein Ende des Fragens. Dogmatische Behauptungen, die ein Ende herbeiführen, sind unzulässig. So gerät die Frage nach dem Sein des Seienden sowie nach dessen Ursprung vor den Abgrund des möglichen Nichts: »Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?«

Das radikale Fragen als Grundbestimmung des Philosophierens darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, als ginge es in letzter Intention ums Fragen und Infragestellen. Intendiert wird eine Antwort, auch wenn diese erneut hinterfragt wird. Damit besteht allerdings die Gefahr, einem leeren Skeptizismus zu verfallen, und somit die Versuchung, sich letztendlich doch wieder in unbefragter Gewissheit zu bergen. Letzteres wäre aber das Ende des Philosophierens.

Das radikale Fragen darf aber auch nicht vor sich selbst Halt machen. Es muss sich selbst radikal in Frage stellen. Es muss radikaler gezweifelt werden, als es Descartes getan hat, dem noch das zweifelnde Ich gewiss erschien. Diese Radikalität des Fragens und Zweifelns ist nach zweieinhalb Jahrtausenden Philosophiegeschichte unumgänglich, trotz der aufgezeigten Gefahren.

Das radikale Fragen hat zunächst die Form des »offenen Skeptizismus«. Der Skeptizismus in der Philosophiegeschichte (von den Sophisten bis zu Hume und Nietzsche) bezweifelt die Möglichkeit wahrer Erkenntnis. Nicht so der offene Skeptizismus, der die Möglichkeit von Wahrheit zulässt, jedoch jeder Wahrheitsaussage skeptisch gegenübertritt.

Das radikale Fragen hat des Weiteren die Form des »offenen Atheismus«. Dabei geht es nicht um den eingeschränkten Atheismus, der es vermeidet, den personalen Gott als Ausgangspunkt des Philosophierens zu setzen, sondern um den extremen Atheismus, der ein jegliches göttliches Seiendes leugnet. Der extreme Atheismus behauptet, es gibt keinen Gott, dies jedoch in einseitig dogmatischer Form, denn der Standpunkt lässt sich ebenso wenig erweisen wie die gegenteilige Position, es gibt einen Gott. Das Philosophieren muss deshalb dafür frei bleiben, dass sich im Fortgang des radikalen Fragens die Notwendigkeit ergibt, einen Gott anzunehmen. Dies ist der offene Atheismus.

Das radikale Fragen hat schließlich die Form des »offenen Nihilismus«. Nihilismus ist dabei nicht in abwertender Bedeutung gemeint und auch nicht in seinen recht zahlreichen philosophiegeschichtlichen Varianten, darunter der dogmatische Nihilismus von Nietzsche. Nihilismus wird dagegen als offen bleibende Antwort auf die Seinsfrage einerseits und die Sinnfrage andererseits gesehen. Beide Fragen zusammen gehören zum Kern der philosophischen Theologie.

Zeitgemäßes Philosophieren erfolgt somit zwischen Seinsund Sinngewissheit und Nihilismus. Die Seinsfrage im Verhältnis zum Nihilismus ist in der neueren Philosophie, besonders bei Heidegger, eingehend behandelt. Die Sinnfrage hat demgegenüber kaum Beachtung gefunden, obwohl sie erst den Entschluss zum Philosophieren begründet.

Folgende Wesensmomente zum Begriff des Sinns werden von Weischedel hervorgehoben. Sinn heißt so viel wie Verstehbarkeit. Sinnhaft ist das Verstehbare. Im Verstehen vollzieht sich Sinngebung. Sinn ist aber nichts subjektiv Erfundenes, sondern kommt der Sache selbst objektiv zu. Beispielsweise ruht in der Buchstabenfolge eines Wortes ein zunächst verborgener Sinn. Das Sinnhafte verweist auf ein Sinngebendes. Dieses andere ist der eigentliche Sinn des Sinnhaften. So gibt die Wortbedeutung der Buchstabenfolge ihren Sinn. Das, was sinnhaft erscheint, ist der Fraglichkeit enthoben. Jedes einzelne Sinnhafte erhält seine Sinnhaftigkeit von einem je höheren Sinnhaften. Es bildet sich eine unumkehrbare Sinnkette bzw. Sinnhierarchie. Es gibt keinen Einzelsinn ohne einen umfassenderen Sinn. Der bedingte Einzelsinn verweist letztendlich auf einen unbedingten höchsten Sinn.

Obwohl sich der Mensch unreflektiert in sinnhaften Zusammenhängen glaubt, tritt doch auch das sinnlos Erscheinende an ihn heran, etwa im Angesicht des Todes oder in der Leere des Alltags. Aber weder unbedingter Sinn noch absolute Sinnlosigkeit sind erweisbar. Umgekehrt gilt, dass weder die Sinngewissheit noch die nihilistische Sinnleugnung eindeutig widerlegbar sind. Hinsichtlich der Sinnfrage muss deshalb vorerst alles in der Schwebe bleiben. Am Ende des Gedankengangs von Weischedel steht daher der freie Entschluss zum Philosophieren als radikales Fragen unter Zulassung eines offenen Nihilismus. Die zu bedenkende Alternative des Selbstmords wird verworfen, denn er würde die Entscheidung zur absoluten Sinnlosigkeit voraussetzen, die nicht gerechtfertigt werden kann.

2. Die philosophische Grunderfahrung

Am Anfang des Bemühens Weischedels um eine zeitgemäße philosophische Theologie steht also der Grundentschluss zum Philosophieren, aufgefasst als radikales Fragen. Das radikale Fragen setzt eine entsprechende Fraglichkeit des Seins und des Sinns der Wirklichkeit voraus. Diese Fraglichkeit tritt (nach Weischedel) als Grunderfahrung des Menschen auf, etwa bei der Konfrontation mit Tod und Vergänglichkeit, Krankheit und schwerer Behinderung, Unrecht und Mord, Betrug und Verrat, aber auch bei identisch wiederkehrenden Vorgängen oder im Zustand der Langeweile.

Kennzeichnend für die genannte menschliche Grunderfahrung ist deren Unmittelbarkeit und Präsenz, was sie von den Wirkungen eines Schlusses unterscheidet. Sie ist für das menschliche Dasein vom Grunde her bestimmend und nicht auf andere Erfahrungen rückführbar. Aus ihr kann Philosophieren und damit philosophische Theologie entstehen. Die Grunderfahrung der Fraglichkeit tritt somit bei Weischedel an die Stelle der in bisherige Entwürfe eingegangenen metaphysischen Erfahrungen oder positiven Setzungen.

Die Grunderfahrung tritt als schwebende Erfahrung der Fraglichkeit von Sein und Sinn auf. Sie hält die Mitte zwischen Sein und Nichtsein bzw. zwischen Sinn und Sinnlosigkeit. Sein und Sinn sind dabei eng verwoben. Nur der jeweils vorherrschende Grundzug markiert den Unterschied.

Wahrheit und Wirklichkeit der vorstehend beschriebenen philosophischen Grunderfahrung bestimmen sich aus dem Merkmal der unmittelbaren Präsenz. Wiederum ist die Verbindung eng, denn eine Erfahrung ist wahr, wenn das in ihr Erfahrene wirklich ist. Die Grunderfahrung des Schwebens ist wahr und das in ihr Erfahrene wirklich. Andererseits stürzt die Grunderfahrung alles vermeintlich Wirkliche ins Fraglichsein. Folglich ist das Wesen des Wirklichen Fraglichkeit.

3. Gott als das Vonwoher der Fraglichkeit

Ausgehend von der philosophischen Grunderfahrung der Fraglichkeit von Sein und Sinn vollzieht Weischedel den Schritt zu seiner philosophischen Theologie. Zunächst ist die Bedingung der Möglichkeit von Fraglichkeit zu klären. Die radikale Fraglichkeit kann von drei Ausgangspunkten her begriffen werden, die sich überschneiden. Es kann nach der Bedingung der Möglichkeit von Fraglichkeit gefragt werden: Von woher kommt das Schweben in Gang? Es kann gefragt werden, wieso Sein und Sinn ohne Halt erscheinen und doch nicht dem Nichtsein und der Sinnlosigkeit verfallen: Wie ist das Sich-Halten in der Haltlosigkeit zu erklären? Schließlich kann nach der Hinfälligkeit von Sein und Sinn gefragt werden: Woher rührt die ständige Bedrohung bei gleichzeitiger Vermeidung des Absturzes? Weischedel umgeht die naheliegenden Begriffe »Grund«, »Ursprung« oder »Herkunft«, weil sie Substanzhaftigkeit bzw. Statik ausdrücken. Er bevorzugt die Neubildung »Vonwoher«, die den Geschehenscharakter hervorhebt.

Das Vonwoher ist das Letzte, wohin das philosophische Fragen in seinem Rückgang hinter die Grunderfahrung der radikalen Fraglichkeit gelangen kann. Das ist insofern spekulativ, als es nicht mehr unmittelbarer Gegenstand der Erfahrung ist, auch wenn es an die Erfahrung anknüpft. »Spekulativ« ist somit im ursprünglichen Wortsinn als »schauend« zu interpretieren.

Das Vonwoher der Fraglichkeit ist der einzige noch verwendbare Begriff, wenn im Rahmen eines offenen Nihilismus von Gott gesprochen werden soll. Die traditionellen Bestimmungen von Gott sind gemäß dem Grundsatz der radikalen Fraglichkeit nicht durchhaltbar, etwa »höchstes Seiendes«, »absoluter Geist« oder »absolute Person«. Weischedels philosophische Theologie wird daher zu einer Theologie des Vonwoher.

4. Das Wesen des Vonwoher

Die von Weischedel umsichtig ausgearbeitete philosophische Theologie wird am Wesen des Vonwoher erläutert. Dieses erschließt sich über die nachfolgend zusammengefassten unterschiedlichen Bestimmungen.

Die Aufgabe, das Vonwoher seinem Wesen nach auszulegen, soll über die Sprache gelöst werden. Sprache ist aber (nach Weischedel) von der Erfahrung her gebildet. Wie ist dann ausdrückbar, was nicht der unmittelbaren Erfahrungsebene angehört? Andererseits würde Schweigen dem auch nicht gerecht, denn was als Problem entgegentritt, will durchdacht sein, und Denken erfolgt mittels Sprache. Sprache knüpft an das Bekannte an, um auch das Unbekannte verständlich zu machen. Da die gemeinte Sache, das Wesen des Vonwoher, den Zustand des Schwebens beinhaltet, muss die Sprache diesem Aspekt gerecht werden. Um den Geschehens- und Beziehungscharakter in den Vordergrund zu stellen, will Weischedel den Verben den Vorzug vor den Substantiven geben.

Aber das ist noch unzureichend für das Reden vom Vonwoher als Gott. Dieses Reden bedarf zusätzlich der Analogie: Reden von etwas im Hinblick auf ein anderes (Gott). Trotz der bemühten Ähnlichkeit wird der qualitative Unterschied der Seinsebenen nicht aufgehoben. Wenn analoges Reden der Erhebung vom Endlichen zum Unendlichen, vom Zeitlichen zum Ewigen dient, dann entsteht daraus eine »überschwängliche« Theologie. Wird dagegen das Endliche negiert, um zum Unendlichen zu gelangen, dann ist dies die Grundlage der negativen Theologie. Beide Sprechweisen sind im vorliegenden Fall nur mit Einschränkungen anwendbar. Am deutlichsten wird sich das Schweben im Begriff des Vonwoher durch dialektisch-analoges Reden ausdrücken lassen. Erst in Verbindung von Begriff und Gegenbegriff, Aussage und Gegenaussage erscheint im vorliegenden Fall die Wahrheit.

Ein erster analog gebrauchter Begriff, der sich für die Aufklärung des Vonwoher eignet, ist der des Geheimnisses, denn er beinhaltet in besonderer Weise das Schweben: das nicht von vornherein Begreifbare, die mit dem Verstand nicht ergründbare Tiefe, die gleichzeitig beunruhigende und faszinierende Wirkung, die Mischung von Offenheit und Verborgenheit mit verschiebbarer Grenze, das wesensmäßig nie völlig Enträtselbare.

Der philosophischen Theologie des Vonwoher obliegt es, dem Geheimnis des Vonwoher nachzuspüren. Die fragliche Wirklichkeit weist auf das Geheimnis zurück. Damit ist aber das Wesen des Vonwoher nicht ausreichend bestimmt. Weitere Analogien sind erforderlich, um zu einem genaueren Begriff des Vonwoher zu gelangen.

Eine erste positive Bestimmung des Vonwoher erfolgt über den Begriff des Vorgehens (analog ausgedrückt). Das Vonwoher tritt in seine Präsenz über die Erfahrung der fraglichen Wirklichkeit. Das Vonwoher bringt die Wirklichkeit in ihre Fraglichkeit. Dazu muss es die entsprechende Mächtigkeit (analog ausgedrückt) besitzen. Das mächtige Vorgehen liefert die Wirklichkeit dem Nichtsein aus und hält sie doch wieder im Sein. So wird das Sein über dem Abgrund des Nichtseins gehalten, und das macht den Schwebezustand der Wirklichkeit aus. Die Mächtigkeit des Vorgehens bedeutet jedoch kein mächtiges Seiendes, keinen mächtigen Geist und schon gar keine mächtige Person. Die Annahme eines allmächtigen Gottes würde der radikalen Fraglichkeit widersprechen.

Der Begriff des mächtigen Vorgehens des Vonwoher ist noch zu formal. Es muss genauer bestimmt werden, in welcher Weise sich dieses Vorgehen vollzieht. Nach Weischedel vollzieht es sich als Erschüttern, als Im-Sein-Halten und als Erwirken des Schwebens (analog ausgedrückt). Das Vonwoher erschüttert in seinem Vorgehen das Bestehende, es liefert das Seiende (einschließlich der menschlichen Existenz) dem möglichen Nichtsein aus. Das fragliche Seiende hält sich dennoch im ständig gefährdeten Sein, das Sein im fraglichen Seienden kommt erst durch die Präsenz des Vonwoher zustande (jedoch nicht als schaffendes Prinzip). Schließlich gilt es, die abstrakte Trennung des vom Vonwoher Erwirkten in Sein und Nichtsein aufzuheben. Was eigentlich erwirkt wird, ist das Schweben zwischen den beiden Extremen; eben das macht die Wirklichkeit aus.

Es stellt sich die Frage, ob nicht nur das Vorgehen des Vonwoher, sondern auch dieses selber durch analoge Bestimmung gekennzeichnet werden kann – über die Momente des Geheimnisses und der Mächtigkeit hinaus. Welche Strukturen sind dem Vonwoher zuzusprechen, damit es gerade so, wie beschrieben, vorgehen kann und nicht anders? Zum Vonwoher gehört das Sein schlechthin, durch das es über das Sein aller Weltwirklichkeit mächtig ist. Ebenso gehört die »Nichtigkeit« dazu, durch die es als Abgrund für die Weltwirklichkeit wirkt. Schließlich hält das Vonwoher das Sein und die Nichtigkeit in der Schwebe – in einem Prozess ständigen Auseinandertretens und Wiedervereinens. Das Vonwoher ist daher das Unfragliche über aller Fraglichkeit.

So und nur so kann nach Meinung von Weischedel heute vom Gott der Philosophen gesprochen werden. Es ist dies kein unmittelbarer Gott, aber auch kein erdachter Gott. Es ist dies das Vonwoher, dessen Begriff aus der Betrachtung der Weltwirklichkeit entspringt, wenn diese als zugleich seiend, nichtseiend und schwebend angesehen wird. Der Gott der Philosophen – das Vonwoher – ist somit das absolute Schweben. Dieser Gott ist vermutlich umfassender, als was der menschliche Geist von ihm begreifen kann. So tritt am Ende an die Stelle des Redens das Schweigen.

Zum vorstehend Ausgeführten ist noch eine Ergänzung notwendig. Bisher ist das Vonwoher ausschließlich unter dem Gesichtspunkt betrachtet worden, dass es in seinem Vorgehen Sein, Nichtsein und Schweben des Seienden ermöglicht. Jetzt muss auch noch das Vonwoher unter dem Gesichtspunkt von Sinn und Sinnlosigkeit betrachtet werden. Was Sein ermöglicht, ermöglicht auch Sinn, denn eben wenn Sein vom Vonwoher ermöglicht wird, wird ihm im Blick auf dieses Sinn verliehen. Das Vonwoher ist aber nicht nur als unbedingte Sinnermöglichung, sondern ebenso als unbedingte Sinnabgründigkeit zu verstehen. Also kann die Weltwirklichkeit – einschließlich des menschlichen Daseins – weder als eindeutig sinnhaft noch als eindeutig sinnlos wahrgenommen werden.

Abschließend stellt Weischedel die Frage nach der Zeitlichkeit bzw. Ewigkeit des Vonwoher. Da das Vonwoher selber ein Vorgehen ist, muss es aus menschlicher Sicht zeitlich gedacht werden. Möglicherweise muss aber gerade diese Aussage analogen Denkens zurückgelassen werden, zumal ein zeitliches, also begrenztes Absolutes schwer vorstellbar ist. Andererseits ist das angesprochene Schweben nur als zeitlicher Prozess vorstellbar, zumindest in der Weltwirklichkeit. So muss die Frage nach der Zeitlichkeit oder Ewigkeit des Vonwoher offen bleiben.

5. Abgrenzung gegenüber herkömmlichen Gottesbegriffen

Der christliche Gottesbegriff unterscheidet sich von Weischedels Vonwoher. Der Transzendenz Gottes steht die Immanenz des Vonwoher gegenüber, bedingt durch dessen Bezug auf die Fraglichkeit der Weltwirklichkeit. Eine verborgene innerweltlich-göttliche Region wird zwar nicht ausgeschlossen, es wird aber keine Möglichkeit gesehen, darüber eine begründete Aussage zu machen. Unvereinbar mit der philosophischen Theologie des Vonwoher ist auch die Aussage der christlichen Theologie, Gott sei wesensmäßig Person und Geist. Schließlich ist die Offenbarung Gottes in Menschwerdung, Kreuzestod und Auferstehung Jesu Christi im Rahmen der philosophischen Theologie des Vonwoher nicht nachvollziehbar.

Die aufgezeigten Gegensätze im Gottesbegriff sind in den ganz unterschiedlichen, zum Ausgangspunkt gewählten Grunderfahrungen begründet – in der christlichen Religion das persönliche Angesprochensein des Menschen durch den als Person erfahrenen Gott, in der philosophischen Theologie des Vonwoher die denkerisch festgestellte Fraglichkeit der Weltwirklichkeit. Die philosophische Theologie sieht ihre Aufgabe daher darin, auf das aufmerksam zu machen, was auf Basis des Denkens verantwortlich über Gott ausgesagt werden kann.

Die philosophische Theologie des Vonwoher hat nach Weischedel eher Berührungspunkte mit der philosophischen Theologie von Hegel. Übereinstimmend wird festgestellt, dass die erfahrbare äußere und innere Wirklichkeit auf etwas anderes verweist: bei Hegel auf den absoluten Geist bzw. bei Weischedel auf das Vonwoher der Fraglichkeit, das eigentlich Wirkliche in aller faktischen Wirklichkeit. In beiden Fällen ist damit keine Transzendenz gemeint: Der absolute Geist ebenso wie das Vonwoher sind in der faktischen Wirklichkeit anwesend. Beide philosophischen Theologien kennen des Weiteren eine Art von unmittelbarer Berührung mit dem eigentlich Wirklichen: die Erhebung des Geistes vom Endlichen zum Unendlichen bei Hegel; dem ist gegenüberzustellen das Vorgehen des Vonwoher durch alles fragliche Wirkliche hindurch bei Weischedel.

Erheblicher als die Übereinstimmungen sind jedoch die Unterschiede. Hegel setzt bei der allein als geistig verstandenen Wirklichkeit ein; dem ist gegenüberzustellen die Wirklichkeit als Fraglichkeit. Hegel meint, mittels der Erhebung der Vernunft vom Endlichen zum Unendlichen, vom Zeitlichen zum Ewigen gelangen zu können; dem ist gegenüberzustellen das Verbleiben im Endlichen bzw. Zeitlichen. Hegel begreift das ermöglichende Prinzip der rein geistigen Wirklichkeit als absoluten Geist oder Gott; dem ist gegenüberzustellen die Zurückweisung geistiger Phänomene als Eigenschaften Gottes. Hegel leitet die Weltwirklichkeit aus einem obersten Prinzip ab, nämlich aus der dialektischen Struktur des absoluten Geistes; dem ist gegenüberzustellen das Vorgehen des Vonwoher ohne Aussage über die Weise der Ermöglichung des Wirklichen und über dessen Struktur.

Eine enge Beziehung sieht Weischedel dagegen zwischen seiner philosophischen Theologie des Vonwoher und der philosophischen Theologie von Schelling. In dessen Begriff Gott wird innergöttlich zwischen Existenz, Grund der Existenz und Ungrund unterschieden – das entspricht den Momenten des Seins, der Nichtigkeit und des Schwebens im Begriff des Vonwoher der Fraglichkeit. Im Unterschied zu Hegel und in Übereinstimmung mit dem Konzept des Vonwoher wird das oberste Prinzip nicht einseitig als Geist aufgefasst. Aber auch in Schellings philosophischer Theologie sind die Unterschiede zum Vonwoher erheblicher als die Übereinstimmungen: Die Wirklichkeit wird nicht als fraglich gesehen, das Ziel ist eine der Zeit enthobene Sphäre, Existenz als geistige Existenz und Grund der Existenz als Natur in Gott sind positiv bestimmt, und die Struktur der Weltwirklichkeit wird aus einem absoluten Prinzip hergeleitet.

6. Folgerungen hinsichtlich Weltwirklichkeit und Menschenbild

Abschließend werden die Folgerungen hinsichtlich Weltwirklichkeit und Menschenbild mitgeteilt, die sich nach Weischedel aus der philosophischen Theologie des Vonwoher ergeben.

Weltwirklichkeit ist nicht selbstverständliches Bestehen, sondern Fraglichkeit. Sie tritt unter den Aspekt des Vorgehens des Vonwoher. Ermöglichend ist das Vorgehen im Ermöglichten anwesend – also kein Schöpfungsgedanke im christlichen Sinn. Die als fraglich angesehene Weltwirklichkeit verschafft dem Menschen eine absolute Distanz, die es ihm gestattet, aus den welthaften Verstrickungen herauszutreten, einmündend in die wesenhafte Freiheit des Menschen. Neben der Grundhaltung der distanzierten Freiheit ergeben sich im Hinblick auf die drei Momente im Vonwoher (Sein, Nichtsein und Schweben) folgende konkrete Haltungen zur Weltwirklichkeit.

Das erste Moment ist das Sein. Das Sein des welthaft Wirklichen in seiner Fraglichkeit muss als durchscheinend verstanden werden, und zwar so, dass es das Moment des Seins im Vonwoher und in dessen Vorgehen in Erscheinung bringt. Sein im welthaften Sinn ist die Manifestation des Seins des Vonwoher. So gesehen ist die Welt nicht mehr bloßes Aggregat vorhandener Dinge und auch kein bloßer gesetzmäßiger Zusammenhang. Die Welt muss als vom Vonwoher ermöglicht begriffen werden. Das führt zur Demut vor der Tiefe der Welt.

Das zweite Moment ist die Nichtigkeit. Die Nichtigkeit des welthaft Wirklichen, die erst dessen Fraglichkeit ausmacht, muss ebenfalls als durchscheinend verstanden werden, diesmal so, dass sie das Moment der Nichtigkeit im Vonwoher und in dessen Vorgehen in Erscheinung bringt. Nichtigkeit im welthaften Sinn, etwa das Verfallensein an Untergang und Tod, ist die Manifestation der Nichtigkeit des Vonwoher. Damit wird es unmöglich, sich an das Bestehende zu klammern. Das scheinbar Gesicherte ist ungesichert. Der Mensch muss dem Vertrauen auf das Sein der Dinge entsagen. Er muss den Tod ebenso wie das Leben achten.

Das dritte Moment ist das Schweben zwischen dem Sein und der Nichtigkeit. Dieses Schweben des welthaft Wirklichen zwischen Sein und Nichtsein bringt das Moment des Schwebens im Vonwoher und in dessen Vorgehen in Erscheinung. Deshalb lässt sich nicht ein für allemal und in theoretischer Reflexion ausmachen, welches Seiende in seinem Bestehen unterstützt und welches dem Untergang preisgegeben werden soll. Was konkret zu tun ist, lässt sich nur im Augenblick entscheiden.

Innerhalb der Weltwirklichkeit hat der Mensch besondere Aufgaben. Indem das Vonwoher in seinem Vorgehen die Wirklichkeit als fraglich erscheinen lässt, verlangt es, dass der Mensch darauf antwortet. Das geschieht im Fragen, vorzüglich im radikalen Fragen. Das Vonwoher kann als Ruf in die Frage verstanden werden, was überhaupt erst die fragende Existenz ermöglicht. Da fragend die Distanz zur Weltwirklichkeit gewonnen wird, ist der Ruf in die Frage gleichbedeutend mit dem Ruf in die Freiheit. So ist der Mensch das in seine Freiheit gerufene Wesen, aber zugleich in der Verantwortung vor dem Vonwoher.

Den vorstehend beschriebenen Haltungen des Menschen gegenüber der Weltwirklichkeit und gegenüber der eigenen Existenz fügt Weischedel zwei Grundbestimmungen hinzu: die Haltung der Offenheit und die Haltung des Loslassens, von Weischedel »Abschied« genannt.

Die Offenheit ist Voraussetzung für das Fragen. Sie ist unabdingbares Postulat für den, der sich vom Vonwoher bestimmt weiß. Im konkreten Dasein bedingt das die Bereitschaft zum Gespräch und die Respektierung des Gesprächspartners. Offenheit heißt aber auch, sich für die Fraglichkeit aller Wirklichkeit zu öffnen.

Das Loslassen schließt das Wagnis ein, sich auf das Ungewisse einzulassen. Es umfasst den Mut zur Selbstaufgabe und das Bestreben, im ganzen Bereich des konkreten Daseins seine Freiheit zu erringen und zu bewahren. Diese Haltung hat den Charakter des Schwebens zwischen der Selbstverständlichkeit des Seins und den Verlockungen des Nichtseins. Sie kann als Gelassenheit bezeichnet werden. Sie lässt den Menschen sich selbst finden und führt ihn zu seiner wesenhaften Freiheit. Gelassenheit im Tun bedeutet Sachbezogenheit. Abschließend formuliert Weischedel: »Gott, das Vonwoher, ist Geheimnis, und der Mensch hat es abschiedlich als Geheimnis zu wahren«.

7. Zusammenfassung und Wertung von Weischedels philosophischer Theologie

Bevor eine Wertung der philosophischen Theologie Weischedels versucht wird, wird deren Inhalt nochmals zusammengefasst, um den Überblick zu erleichtern.

Am Anfang steht bei Weischedel der freie Grundentschluss zum Philosophieren, Letzteres verstanden als Fragen, Infragestellen und Weiterfragen, weiter verschärft zum radikalen Fragen nach Sein und Sinn. Dieser Grundentschluss geht von der philosophischen Grunderfahrung der Fraglichkeit von Weltwirklichkeit und Menschenexistenz aus: Fraglichkeit als ein Schweben zwischen Sein und Nichtsein sowie zwischen Sinn und Sinnlosigkeit. Diese Grunderfahrung wird als »unmittelbar präsent« bezeichnet. Dem heutigen Stand der Philosophiegeschichte entsprechend, erfolgt das radikale Fragen in Form des »offenen Skeptizismus« (kein Verneinen der Möglichkeit von Wahrheit), des »offenen Atheismus« (kein Verneinen der Möglichkeit eines Gottes) und des »offenen Nihilismus« (kein Verneinen der Möglichkeit von Sein und Sinn).

Der Inhalt der philosophischen Theologie Weischedels stellt sich in kürzestmöglicher Form wie folgt dar: Die Fraglichkeit der Welt- und Menschenwirklichkeit tritt in Erscheinung als ein Schweben zwischen Sein und Nichtsein sowie zwischen Sinn und Sinnlosigkeit. Das Vonwoher ist das Letzte, wohin das philosophische Fragen in seinem Rückgang hinter die Grunderfahrung der radikalen Fraglichkeit gelangen kann. Das Wesen des Vonwoher ist Geheimnis, aber auch mächtiges Vorgehen, das den ständigen Prozess des Schwebens zwischen Sein und Nichtigkeit in der Wirklichkeit unterhält.

Als Folgerung ergibt sich, dass die Weltwirklichkeit nicht selbstverständliches Bestehen, sondern Fraglichkeit ist. Die Fraglichkeit besteht in den Momenten des Seins, der Nichtigkeit und des Schwebens zwischen Sein und Nichtigkeit. Die als fraglich angesehene Weltwirklichkeit verschafft dem Menschen eine absolute Distanz, die die wesenhafte Freiheit des Menschen begründet. Weitere Haltungen zur Weltwirklichkeit sind Demut vor der Tiefe der Welt, Achtung vor Tod und Leben sowie angemessene Augenblicksentscheidungen. Die besondere Aufgabe des Menschen besteht in dem Ruf in die Frage, der zum Ruf in die Freiheit wird, eine vor dem Vonwoher zu verantwortende Freiheit. Zwei Grundbestimmungen werden von Weischedel hinzugefügt: die Haltung der Offenheit im Gespräch und die Haltung des Loslassens aller Gewissheit.

Die philosophische Theologie Weischedels gibt sich also bescheiden. Das Problem des Brückenschlags von der Endlichkeit zur Unendlichkeit bleibt zwar ungelöst, aber der vom Endlichen her rational verantwortbare Brückenkopf ist errichtet. Mehr ist dem radikal fragenden Menschen nicht möglich. Hervorzuheben ist, dass die Fraglichkeit bereits im Vonwoher anwesend ist, also keinen nur innerweltlichen Defekt darstellt.

Nunmehr sei nach dem Wert von Weischedels philosophischer Theologie gefragt. Zunächst stellen deren Rationalität und Bescheidenheit einen Wert an sich dar. Die Theologie des Vonwoher dürfte für jeden denkenden Menschen unabhängig vom kulturellen und religiösen Herkommen einsichtig sein. Andere Kulturen beinhalten andere Sprachen, andere Sprachen eine andere Begriffswelt besonders im Bereich der abstrakten Allgemeinbegriffe. Die Theologie des Vonwoher dürfte bei Übersetzungen und damit bei fremdkultureller Rezeption kaum Schwierigkeiten bereiten, weil die verwendeten Begriffe nicht abstrakt, sondern anschaulich und elementar sind.

Damit wird aber nicht behauptet, die philosophische Theologie des Vonwoher sei eine kulturunabhängige Sicht der Wirklichkeit. Es wird lediglich gesagt, dass sie dem nachdenkenden Menschen kulturunabhängig einsichtig sein dürfte. Der philosophische Weg des fragenden Nachdenkens bleibt dennoch eine spezifisch abendländische Vorgehensweise. Eine ganz andersartige geistige Welt der Zielsetzungen, Begriffe und Analogien entfaltet sich beispielsweise in den »philosophischen« Grundtexten des Buddhismus. Diese Grundtexte sind eher psychisch fundierte Wegweisungen für das Erwachen zur eigentlichen Wirklichkeit.

Der unmittelbare Wert der philosophischen Theologie des Vonwoher im Bereich der Offenbarungstheologie ist in dreierlei Hinsicht gegeben. Sie gibt erstens der Offenbarungstheologie vor, was an ihr rational erfassbar sein könnte und was dem Bereich der unausgewiesenen Spekulation zuzuordnen ist. Sie bringt somit Vernunft und Glauben in ein vertretbares Verhältnis. Sie verweist zweitens auf das Geheimnis hinter der als fraglich erfahrenen Wirklichkeit und mahnt damit zu bescheidenem Lebensvollzug. Sie betont drittens die Freiheit des Menschen in der Verantwortung vor dem Vonwoher, was der Sinngebung der menschlichen Existenz dienen kann.

Weischedels Minimaltheologie im Spiegel der Sprachkunst

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