Читать книгу Die Ruhrpotters - Band IV - ,Alles ändert sich' - Dietrich Bussen - Страница 3

1. Kapitel

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«Keiner zu Hause?»

Wieder klingelte sie, horchte gleichzeitig - vielleicht kaputt?, nee, die Glocke jedenfalls nich, stellte sie fest -, hämmerte an die Haustür, und als sich auch darauf nichts tat, versuchte sie es bei der Fensterscheibe.

Keine Reaktion.

Na dann, diesmal zum Mithören für alle.

Jana stellte sich in Positur, atmete ein paarmal tief durch und schrie gegen die Pfarrhausmauern: «Hallo, aufmachen, ich bin’s nur!»

Nach wenigen Augenblicken klapperte ein Fensterflügel - Jana dachte, na bitte - und dann hörte sie: «Geht’s noch lauter?», und als der Mann im Fenster ihren angekokelten Mantel sah, schob er «und auch noch betteln, um die Uhrzeit», hinterher und: «Mach dich vom Acker, sonst …» und dann hörte sie noch sowas wie Scheißnachbar und Pastor mit seiner Mischpoke und verlaustes Gesindel.

Nachbarn vom Feinsten, dachte Jana und schrie: «Dünnbierpisser», zurück.

Vielleicht vom Garten aus, überlegte sie. Das Zimmer von Oma is nach hinten raus, und die, mit ihrem Verstärker im Ohr, hoffentlich, müsste doch eigentlich ... Genau, auf geht’s.

Sie kletterte an der Seite über den Zaun, auf die 'der Dünnbierpisser' keinen Einblick hatte, schlich zur Terrassentür, drückte auf die Klinke, zog ..., die Tür ging auf.

Also doch Zuhause, wenigstens Oma. Oder … im Film, wenn Tür auf und kein Aas gibt Ton ab … liegt meistens ein Toter irgendwo rum, gerne vorm Bett oder im Sessel. Badewanne kommt auch …

- Is ja gut Mädel. Wir sind aber nicht im Film. Noch nicht bemerkt? -

«Besserwisser», maulte sie ihre innere Stimme an und wunderte sich über das Durcheinander auf dem Frühstückstisch.

Wer hat die denn aufgescheucht?

Halbleere Tassen, angebissene Brötchen, Ameisen auf Marmelade, Fliegen auf einer Butterschale und auf der Anrichte, eine Kaffeemaschine, die vor sich hin röchelt.

Und das beim Pastor. Bei mir, okay, wenn Papa und Mama mal wieder auf Tour sind, aber beim Pastor? Nich mal für die Nutella hat’s gereicht, kühlschrankmäßig.

Irgendwas stimmt hier nich, auch wenn wir nich im Film sind, Scheiße.

Plötzlich überfiel sie eine große Angst. Als ob etwas auf sie zukriechen würde, von allen Seiten, vom Esstisch, von der Kaffeemaschine, von den Fenstern, und sie umzingelte, und sie keine Chance hätte zu entkommen. Auch die Fliegen und Ameisen schienen sich in hinterlistige Monster zu verwandeln, die nur auf den richtigen Augenblick zum Angriff warteten. Auf der Lauer, alle und alles! Und die angelehnte Tür zum Flur? War da nicht ein Schatten?

Himmel Arsch, und oben ist Oma und die Kleine, und sie nahm allen Mut zusammen und rannte los, stolperte die Treppe hoch, riss die Tür auf, hinter der sie Oma Schmitz vermutete, im Sessel oder vor dem Bett. Sie sah auf aufgeschlagenes Bettzeug, aber sie sah keine Oma und auch keine 'Kleine'.

Was ist denn hier los? Offene Terrassentür, großes Durcheinander, keiner Zuhause. Vielleicht, dass sie alle im Tempel … Quatsch, wieso im Tempel, mitten beim Frühstück.

Doch 'Badewanne'?, 'Blutspuren', 'vielleicht gibt’s Blutspuren', schlich sich in ihren Kopf und in den 'Blutspuren' tauchten plötzlich Finn und Edel und Klotz auf, und dass etwas Schreckliches passiert sein müsste.

Bilder von Verschütteten, über die sich tonnenschwere Felsbrocken und meterhohe Erdmassen türmten, nisteten sich ein, Bilder, in denen sie Finn und Edel und Klotz erkannte, wie sie verzweifelt gegen ihr Schicksal ankämpften, aber keine Chance hatten und qualvoll verendeten.

- Und alles wegen dir und deiner Superfeuernummer -, kam von irgendwoher.

Und gleichzeitig hörte sie «Soweit das Neueste vom Krater».

Verdammt, zu spät, ausgerechnet, ärgerte sie sich, während noch von einem schweren Unfall am Kamener Kreuz 'mit zwei Schwerverletzten … Totalschaden … Stau' berichtet wurde.

Das Radio haben die auch vergessen, dachte sie. Wie auf der Flucht oder Bombendrohung oder sowas. Und was war das mit der «Superfeuernummer» eben? Oder spinn ich jetzt?

«Und nun die Wetteraussichten für den heutigen ...»

«Und du halt die Klappe», schrie sie in Richtung Radio und riss die Leitung aus der Steckdose.

Und was mach ich jetzt, und dann noch in diesen Scheißklamotten?

Sie setzte sich an den Tisch, zog das nächstbeste Glas zu sich, tauchte den Zeigefinger ein und stellte fest, dass sie Nutella erwischt hatte.

Wenigstens etwas, dachte sie und löffelte noch ein paarmal mit dem Finger nach.

Und wenn ich einfach hier sitzen bleibe, so kaputt wie ich bin. Eigentlich wär ich ja sowieso noch im Krankenhaus. Irgendwann müssen die ja wiederkommen, und mit dem Fetzen - sie sah auf ihren Mantel, vielmehr auf das, was mal ein Mantel gewesen war - komme ich eh nich weit, bei den Bullen überall. Dass ich’s bis hier geschafft habe, is schon …

- Erst die Feuernummer vermasseln und dann einen auf <ich bin noch so klein, mir fällt nich viel ein> machen? Toll! -

«Leck mich», murmelte sie, «ich bin einfach nur kaputt.» Und dann konnte sie nichts mehr murmeln, weil sie heulen musste, und die Nase lief auch.

Sie hob ihren Arm, wischte sich die Tränen mit dem Mantelärmel aus dem Gesicht und die Schnütte auch.

Bei dem Teil sowieso scheißegal, dachte sie und bei 'Teil' dachte sie an 'Kleiderschrank' und an 'Mutter von Finn', griff noch einmal in das Nutellaglas, nahm ein paar Züge aus einer Orangensaftflasche, trocknete vorsichtshalber mit dem anderen Ärmel ihr Gesicht noch einmal ab, dachte, nicht mit mir, mit mir nicht. Von wegen 'ich bin noch so klein' und machte sich auf die Suche.

Obwohl 'Suche' in dem Sinne von 'suchen' stimmt nicht so ganz. Auf dem Weg zum Klo hatte sie am Vortag hinter einer offen stehenden Tür zwei aneinander geschobene Betten gesehen. Damit war ihr Ziel klar.

Denn wo Betten, is auch Kleiderschrank. Logisch, oder?, dachte sie. Hoffentlich nich verschlossen. Aber bei dem Chaos überall, unwahrscheinlich.

'Chaos' stimmt, auch im Schlafzimmer, stellte sie fest. Und zwar flächendeckend.

So richtig zum Wohlfühlen, schlich sich in ihr Hirn, zum Fallenlassen in das wunderbare Durcheinander von Kissen und Decken und schlafen, nur noch schlafen, bis Finn und Edel und Klotz mich wecken.

Das wär’s …, das wär’s?, nur leider nich heute und 'wecken von Klotz' erst recht nich.

Also Kleiderschrank. Kleiderschrank … Kleiderschrank … Himmel Arsch, wo haben die den ihren verdammten Kleiderschrank? Irgendwo müssen die doch ihre Klamotten … Oder liegt das am Pfarrer, dass hier alles anders ist, wegen …, was weiß ich, is mir auch scheißegal. Hauptsache das Teil taucht hier auf, und zwar plötzlich. Oder unter den Betten? Quatsch, doch nich wie bei mir.

Trotzdem ging sie auf die Knie, schob ihren Kopf unter das Bettgestell und sah am gegenüber liegenden Ende sowas wie Pantoffen, sonst nichts.

War ja klar, dachte sie, während sie sich wieder aufrichtete und feststellte, dass sie unmittelbar vor einer weiteren Tür stand, die ihr bisher noch nicht aufgefallen war.

Wahrscheinlich ein zusätzliches Badezimmer oder sowas in der Art. Sollte man vielleicht gar nicht reingehen. Wer weiß, was einen da …

Trotzdem griff sie, wie von einer fremden Macht gesteuert, nach der Türklinke, drückte sie runter, schob die Tür auf, sah in den Raum, rieb sich die Augen, sah nochmal ... das Gleiche und dachte, da kannste mal sehen.

Na klar, 'Kleiderkammer' 'Caritas', die Tante eben im Krankenhaus. Ein ganzes Zimmer voll mit Roben, rundherum, und für die kleinen Teile Fächer bis unter die Decke. In amerikanischen Filmen nennt man sowas, 'Ankleidezimmer', glaube ich, aber beim Pfarrer in Dortmund-Brünninghausen?

Und außerdem sah sie noch einen Riesenspiegel mitten im Zimmer mit zwei Stühlen daneben und auf dem Fußboden verstreut einen Bademantel, Unterwäsche, zwei Schlafanzüge und ein Paar dicke Wollsocken.

'Kleiderkammer'? oder 'Kostümverleih' vielleicht? ... Das wär’s doch, direkt hinter Pastors Betten, na ja fast wenigstens, oder doch nur Pastors Family?

Wie auf dem Esszimmertisch, nur mit Klamotten, ging ihr durch den Kopf, und dass es da vielleicht einen Zusammenhang gäbe in der Art von: 'Keine Zeit' - 'In Eile' - 'Notfall'.

Im Grunde scheißegal, Hauptsache ich finde was Passendes. 'Schwarz' gibt’s ja reichlich, stellte sie fest, aber alles irgendwie … irgendwie nonnenartig.

Und während sie weiter suchte, verhedderten sich ihre Schuhe in dem Bademantel. Mit ein paar Fußbewegungen schüttelte sie sich frei, schleuderte den Mantel fußballmäßig in einen Kleiderständer und sah nun vor sich auf dem Boden einen Zettel, beschrieben mit wenigen Worten. Sie hob ihn auf, entzifferte was draufstand, griff nach einer Stuhllehne, ließ sich auf den Sitz fallen, glättete das in ihrer Hand inzwischen verknitterte Blatt und las nocheinmal.

Manchmal sind’s ja nur ein paar Buchstaben, die falsch … oder auf der Rückseite steht noch was, hoffte sie.

Aber es änderte sich nichts. Notfall wir müssen zum Krater alle, las sie auch beim zweiten Mal.

Lieber Gott, bitte nicht das, woran ich jetzt denke, bitte bitte nicht das. Ich trete auch in jede Kirche ein, die du willst, von mir aus auch in mehrere gleichzeitig, nur nicht das, bitte, nich das.

Ein Glück, dass er den Zettel irgendwie vergessen oder verloren hat oder sonstwas. Egal.

Sie versuchte sich zu konzentrieren.

Am Krater, alle. Ich also auch zum Krater, was sonst? Aber erstmal nen Mantel oder ne Jacke oder irgendwas in der Art, damit ich diesen Lumpen endlich vom Leib kriege, und ich überhaupt ne Chance habe. Irgendwo muss Frau Pastor doch auch was hängen haben. Jetzt mal ganz in Ruhe.

Langsam machten ihre Augen die Runde, immer an den Kleiderständern entlang, stellte fest, dass Finn da auch irgendwo hing und tatsächlich, ganz in der Nähe, auch was für Frauen.

Viel is es ja nich, dachte sie, bei uns hängen in 'Abteilung Frau' ein paar Meter mehr, aber Hauptsache es passt. Is eigentlich ungefähr meine Größe, die Frau, schätz ich mal.

Sie griff eine Jacke heraus.

Schön dick, schön warm, schön lang, auch farblich schön ... schön beschissen, genauer gesagt, macht aber nix, für heute wahrscheinlich sogar günstig, ganz in Blümchen, jetzt noch die Haare verstecken - leider - und auf geht’s. Und dafür haben wir das Teil im Angebot, dachte sie, als sie etwas Baskenmützenähnliches mit einem Bommel in der Mitte an einem Hutständer hängen sah.

Bei der Kontrolle vor dem Spiegel überlegte sie, ob das, was sie da sah, wirklich ein Mädchen namens Jana war, dann blinkte für einen Augenblick 'Kleider machen Leute' in ihrem Hirn auf. Is ja in Ordnung, dachte sie, und was sitz ich hier eigentlich noch rum. Und wieder musste sie an das Schreckliche denken, das sie am Krater erwartete.

Aber vielleicht is es ja gar nicht so schlimm, redete sie sich ein, und rannte los.

«Hat sich neu eingekleidet das Früchtchen beim Pfarrer», brummelte der Nachbar auf seinem Beobachtungsposten hinter der Scheibe.

«Die Taschen wahrscheinlich auch noch voll geklaut jetzt, wo keiner da is, wie's aussieht. Sollte eigentlich die Polizei … Ach, Scheiß was drauf. Geschieht dem ganz recht, dem 'Lumpensammler' da.»

«Nich Ilse», rief er ins Nebenzimmer, «bei dem verkehren doch nur Lumpen und Gesindel, oder? Kanns nochmal ne Flasche bringen», schob er hinterher.

Und was is, wenn sie mich nich durchlassen? Da hinten is doch schon wieder ein Mordsauflauf.

Außer Atem blieb sie stehen. Gebückt stützte sie sich mit den Armen auf den Oberschenkeln ab und versuchte, wieder zu Luft zu kommen.

Nochmal ne Pause kann ich mir nich leisten. Lieber jetzt ne Minute länger und dann ab durch die Mitte. Fernsehen is auch am Gange, beobachtete sie. Ohne Ausweis oder sowas kommt da keiner mehr durch, ich schon gar nich. Ne Ohnmacht an der Absperrung, damit se mich in den Krankenwagen schleppen, überlegte sie, und dann mach ich die Fliege direkt ins Zelt. Oder aber die machen ihr Horn an und bringen mich dahin, wo ich eben abgehauen bin und irgend son Weißkittel winkt freundlich mit Fußfesseln.

Himmel Scheiße, was denn jetzt?

Oder ne Geschichte, wie eben bei Schwester Iris. Nur ein bisschen härter, irgendwas für so richtige Kerle, dass die schwach werden und nich anders können.

Auf ihrer Stirn bildeten sich Falten, ihre Augenlider fuhren aus. Nur ein dünner Sehschlitz blieb frei, und plötzlich erschienen um ihren Mund kleine Lächelfalten und sie sagte laut und deutlich: «Ich hab’s.»

«Ich weiß, was du hast.» Ein angetrunkener Mann versuchte sich neben Jana aufzubauen, tippte ihr auf die Schulter, wobei er bedrohlich auf sie zuschwankte: «Du hast einen ganz großen Sch... Sch... Schatten. Alles klar?», und wankte weiter.

«Und du hast 'Nacht im Schacht' oder 'Brei im Ei' , kannste dir aussuchen, Arschloch», rief sie ihm hinterher.

Sowas nich auch noch, dachte sie, streckte sich wieder in die Höhe und lief weiter in Richtung Absperrung.

Je näher sie kam, um so deutlicher erkannte sie die Wachmänner. Es schien zwei Sorten zu geben: die einen mit 'Ich-schlachte-dich-wenn-du-näher-kommst-Gesichtsausdruck' und die anderen, die mit 'Wir-tun-doch-auch-nur-unsere-Pflicht-Lächeln' versuchten, die sensationshungrige Menge vor ihnen an gewalttätigem Eindringen in die Sperrzone zu hindern.

Einen von den 'Weichgespülten', genau, 'Schwester Iris in Uniform' sozusagen und in männlich natürlich, überlegte sie. Der kleinere da vorne mit den rosigen Backen, der sieht so aus, der hat sowas. Also los jetzt Jana, entweder oder, zeig, was du kannst, befahl sie sich.

Und noch bevor der 'Rosawangige' seine Belehrung «tut mir leid mein Kind, aber du musst ver...» vollenden konnte, bat ihn Jana um Verzeihung - wofür eigentlich, schoss ihr durch den Kopf und außerdem: Volltreffer -. Sie sah dem 'Vollgetroffenen' mit herzzerreißenden Blicken in die Augen - das mit dem 'Kind' war zwar scheiße Meister, aber im Augenblick gar nich mal übel, dachte sie - und sie erklärte ihm, beziehungsweise hauchte ihm mit letzter Kraft eine Geschichte von Leben und Tod ins Ohr.

Um ihre Mutter ginge es, die mit schweren Wehen in der Notaufnahme läge, und man das Schlimmste befürchten müsste - die jüngste sei sie nämlich auch nicht mehr - und sie verlange nach ihrem Mann, der dort hinten bei dem Fernsehen arbeite, und zu dem wolle sie jetzt.

Oh weia, der sieht so aus, als ob er am liebsten den nächstbesten Hubschrauber kapern würde.

«Außerdem, der ist bei denen für die Kurierdienste zuständig, also für die schnellen Sachen und mit seiner Suzuki is der schneller als der Schall.»

Puh, das war knapp. Sie wischte sich Schweiß von der Stirn. Aber 'Suzuki'? Gibt’s die überhaupt?, ging ihr in einer kurzen Schrecksekunde durch den Kopf.

«Ich lauf dann fix und vielen Dank und», fiel ihr noch ein, «Sie haben doch sicher sowas mitem Stempel, dass ihre Kollegen auch so freundlich sind ...»

«Nee, nich mit Stempel. Aber das hier.»

Er fummelte in seinen Jackentaschen - «immer in der letzten», grummelte er, - gab ihr eine Karte vom Wachdienst, überlegte kurz, sagte: «Ach nee, gib nochmal her.» Scheiße, jetzt hat er sich's anders überlegt, fürchtete Jana. Er erkundigte sich nach ihrem Namen und schrieb auf die Karte 'Jana darf durch'.

Jana belohnte ihn mit einem 'Du-bist-einfach-spitzenmäßig-Lächeln' und weg war sie.

Mann o Mann, noch ein Kind und schon sone Energie, und die Verantwortung erst, Mann o Mann. Kaum zu glauben. Ob ich nich doch …? , überlegte er.

Er sah, wie der Hubschrauber, der erst vor ein paar Minuten im Krater verschwunden war, wieder auftauchte, sich langsam aus dem Krater hochschraubte mit einem Seil unter sich, an dem irgendetwas baumelte. Er überlegte, was sie aus dem Krater geholt haben könnten, kam aber zu keinem Ergebnis.

Komisch, für son mickriges Teil son Aufwand, wunderte er sich. Vielleicht, dass was schief gegangen ist, überlegte er, mit den Kindern, die da unten sein sollen. Eins von denen hängt da jedenfalls nich am Seil. Könnte man erkennen, auch bei der Entfernung. Höchstens ein Sack, oder so? Is der Heli nich sogar kaputt?, auf jeden Fall nicht mehr einsatzfähig? Irgendwas kam doch in der Art. Bei diesen Knatterteilen, er sah auf sein Funkgerät, versteht man ja nur die Hälfte, wenn überhaupt. Tote sind’s jedenfalls nich, auf keinen Fall. Hauptsache beim zweiten Anlauf klappt’s, und die holen da noch welche raus. Hoffentlich lebendig. In der Haut der Eltern möchte man ja nicht stecken. Wenn ich mir überlege, meiner wäre dabei. Darf man gar nich dran denken.

Er atmete tief durch und sagte sich, dass es schon richtig gewesen wäre, dass er keine Hilfe angefordert hatte für diese Jana. Die hätten im Augenblick sicher genug zu tun, und dass der das mit seinem Motorrad schon schaffen würde, und er bat weiter die Menschen vor ihm, die ungeduldig auf irgendeine Sensation hofften, die Absperrung nicht zu beschädigen.

Plötzlich, wie auf einen geheimnisvollen Befehl, kam Bewegung in die Menschen auf dem Gelände. Irgendetwas hatte sie wachgerüttelt. Sie rieben sich die Augen, verrenkten die Hälse und versuchten sich auf Zehenspitzen einen besseren Überblick zu verschaffen.

Den Hubschrauber, an dem irgendetwas baumelte, hatten sie entdeckt, als die ersten schon ihr Frühstück auspacken wollten und die Thermosflaschen mit den heißen Getränken, weil: 'hier passiert erstmal sowieso nix', glaubten sie.

Und dann das.

Die ersten Rufe schalten über den Platz: «Der Heli» - «ein Toter am Seil» - «wenigstens zwei» - «die hat's erwischt», dazwischen eine Kinderstimme «Papa machste mich Huckepack?» und mit den Stimmen, die nun von überall her irgendwelche Laute von sich gaben, klickte es bei den Frühaufstehern, die es bis kurz vor die Absperrung geschafft hatten: 'Jetzt geht’s los, Verletzte, Tote vielleicht?, wurde aber auch Zeit, Scheiße auch'.

Die ersten hatten das rot-weiße Absperrband 'Bis hierher und nicht weiter' erreicht.

Sie standen nun Auge in Auge dem Aufseher mit dem 'Ich-schlachte-dich-Gesicht' gegenüber. Auf Tuchfühlung sozusagen. Der fuhr mit seiner linken Hand an dem Schlagstock, der an seiner linken Hüfte baumelte, auf und ab und auf und ab, wie Streichen sah es aus. Gleichzeitig schaltete er seinen Gesichtsausdruck von 'Einzel-' auf 'Massenschlachtung' um, brüllte: «Männer, jetzt wird’s ernst. Keiner kommt hier durch, keiner! Alles klar? Und an die Stöcke und hoch damit!»

«Wenn das nur gut geht», stöhnte Janas Verhandlungspartner und hob zögernd seinen Schlagstock.

Dass der immer den Chef raushängen lassen muss, und dann noch auf die Brutale, ärgerte er sich. Immer dasselbe bei dem und, was will er noch? Ach so, die 'Tüte' (Megafon).

«Die 'Tüte' verdammt noch mal», brüllte er wieder, «aber schnell.»

«Kannst dir ja eine falten, am besten aus der 'Bild', haste doch immer griffbereit», lästerte 'Janas Wachmann' vor sich hin. Aber wo die die Toten sehen? Man glaubt’s nich. Höchstens ein Sack, allerhöchstens.

Die Ruhrpotters - Band IV - ,Alles ändert sich'

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