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4. Traumjob

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Vor zwei Jahren ging die Firma, in der ich ausgebildet und danach übernommen worden war, in Konkurs. Damit trat etwas ein, vor dem ich mich immer gefürchtet hatte, arbeitslos zu werden und in die Maschinerie der Job-Center zu geraten. Meine Freundinnen erzählten mir wahre Horror-Storys über den Druck, der dort ausgeübt würde. So sei man gezwungen, ständig die Anzeigen zu studieren und unentwegt Bewerbungen zu schreiben. Und schließlich würde einem nahe gelegt werden, eine Stelle zu akzeptieren, die einem eigentlich nicht gefiele. So weit die Theorie. Die Praxis übertraf all meine Befürchtungen.

Die junge Frau, kaum älter als ich, begrüßte mich sehr freundlich hinter ihrem Schreibtisch. Als Erstes klärte sie mich darüber auf, dass es den Beruf „Bürokauffrau“ eigentlich gar nicht gäbe. Es sei nur eine Bezeichnung für eine Vielzahl von Tätigkeiten, die man praktisch in jeder Firma ausüben konnte.

»Aber ich bin doch unter dieser Berufsbezeichnung ausgebildet worden«, wagte ich zu bemerken, »und ich weiß, dass es noch immer Umschulungen zu diesem Beruf gibt.«

»Das ist richtig. Damit wurde aber nur eine Berufsbezeichnung übernommen, die sich mittlerweile eingebürgert hat. Und sie gilt, wie gesagt, als Sammelbezeichnung für alle Art von Tätigkeiten, die man in einem Büro ausüben kann«, wurde ich belehrt.

»Wie sieht es denn mit Ihren PC-Kenntnissen aus?«

»Gut, ich habe ja täglich damit gearbeitet. Ich bin mit den Office-Anwendungen vertraut, beherrsche die Tabellenkalkulation und kann auch mit Zeichen- und Bildbearbeitungsprogrammen umgehen.«

»Fein, wären Sie auch bereit, an Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen? Sprechen Sie Fremdsprachen? Sind Sie örtlich gebunden?«, und so weiter und so fort. Die Liste der Fragen war endlos. Dabei erfuhr ich, dass ich praktisch von der kleinen Klitsche im Büro eines Einzelhandelsgeschäftes bis zum Großraumbüro vermittelt werden konnte. Dabei war es durchaus zumutbar, täglich mehrere Stunden Anfahrtsweg in Kauf zu nehmen. Na, Mahlzeit!

Ich schrieb mir die Finger wund und erhielt haufenweise Absagen. Als dann endlich ein Angebot übermittelt wurde, das sich sogar ganz gut anhörte, schöpfte ich neue Hoffnung. Ich musste täglich nur eineinhalb Stunden unterwegs sein und es war eine mittelgroße Firma, in der ich weder den ganzen Schreibkram allein erledigen noch eine Nummer in einem riesigen Großraumbüro sein musste.


Zum Vorstellungsgespräch zog ich eines meiner besten Kleider an, nicht zu mondän und nicht zu sexy. Ich war gut frisiert und dezent geschminkt. Der Herr, der mich in seinem Büro erwartete, zog mich mit den Augen förmlich aus. Ein Umstand, der mir eine Gänsehaut verschaffte. Sein Lächeln war falsch und aufgesetzt, und sein Tonfall etwas zu jovial.

»Nun, Frau Weber, Ihre Bewerbungsunterlagen sind ja ganz ordentlich. Was sollte mich veranlassen, gerade Sie unter der Vielzahl von Bewerberinnen auszuwählen?«, fragte er ohne Umschweife.

»Ich habe die entsprechende Ausbildung und eine gewisse Berufserfahrung.«

»Das haben die anderen auch. Was haben Sie noch zu bieten?«

»Ich bin unabhängig und schaue abends nicht auf die Uhr, wenn es mal später wird.«

»Schon besser. Heißt das, Sie sind privat ungebunden?«

»Zurzeit, ja«, antwortete ich ehrlich.

»Dann könnten Sie doch einmal mit mir ausgehen, damit wir uns besser kennen lernen. Haha.«

»Wenn Sie es wünschen, warum nicht?«

»Gut, ich denke wir können es miteinander versuchen«, war seine doppeldeutige Aussage.

Das fiel mir aber erst hinterher auf. Ich war viel zu froh, endlich eine akzeptable Anstellung gefunden zu haben und aus der Hartz IV-Mühle herauszukommen. Und mit dem schmierigen Kerl würde ich ja nicht allzu viel zu tun haben, in seiner Position. Das war mein Fehler Nummer eins. Und wenn er es wagen sollte, mir ein unmoralisches Angebot zu machen, würde ich ihn in die Schranken weisen und danach Ruhe haben, dachte ich. Das war Fehler Nummer zwei.

Ich war schon einige Wochen in der Firma und hatte mich recht gut eingearbeitet, als mein Chef auf die Einladung zurückkam. Warum sollte ich nicht mit ihm essen gehen? Die Gefahr, dass er im Restaurant über mich herfallen würde, bestand ja kaum.

»Ich bin sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit, Frau Weber. Noch zufriedener wäre ich, wenn Sie hin und wieder etwas nett zu mir sind.«

»Nett? Ich verstehe nicht.«

»Doch, ich glaube schon. Sie sind eine reizvolle Frau, die bestimmt auch etwas Zärtlichkeit braucht. Und ich könnte Ihnen diese geben. Und so ganz unattraktiv bin ich schließlich auch nicht.«

»Was würden wohl Ihre Frau und Ihre Kinder dazu sagen?«, trumpfte ich auf.


»Meine Frau ist äußerst tolerant, und die Kinder geht das absolut nichts an.«

»Trotzdem, ich möchte es nicht«, sagte ich etwas milder, »seien Sie mir nicht böse, aber das ist nicht mein Stil.«

Er schluckte und sah mich durchdringend an.

»Doch, ich bin Ihnen böse, sehr sogar. Welcher Mann holt sich schon gerne einen Korb? Ich nehme es geradezu persönlich.«

»Das tut mir leid, aber mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Im Übrigen würde ich jetzt gerne gehen. Einen schönen Abend noch.«

Die nächsten Tage ließ er sich im Büro nichts anmerken, nur seine Blicke wurden immer abschätzender, deshalb rechnete ich damit, dass da bald etwas kommen würde. Und es ließ nicht lange auf sich warten.

»Wir haben hier Publikumsverkehr, Frau Weber. Deshalb würde ich es begrüßen, wenn Sie nicht ganz so unscheinbar daher kämen. Das Kleid mag für den Haushalt seinen Zweck erfüllen und ein blasses Gesicht fällt bei einer Hausfrau nicht ins Gewicht, aber warum tragen Sie nicht wenigstens eine getönte Tagescreme auf Ihrer weißen Haut? Und etwas Lidschatten und Wimperntusche könnten auch nicht schaden. Nicht dass man annehmen muss, Ihnen sei elend zumute, und ich beschäftige Sie während Ihrer Krankschreibung.«

Ich war viel zu geschockt, um entsprechend reagieren zu können, aber eine Kollegin, die mir gegenübersaß, konnte sich ein gehässiges Grinsen nicht verkneifen. Ich hatte schon bemerkt, dass sie förmlich an den Lippen des Chefs hing und seine Einladungen bestimmt nicht ablehnte.

Als Kind wurde meine Großmutter geneckt, indem man ihr einen Birnenstiel hinhielt und meinte, sie solle den Pinsel zum Maler bringen. Meine Schwester hatte man in ihrer Friseurlehre sogar losgeschickt, eine Haarspaltmaschine zu besorgen, aber was man mir zumutete, spottete jeder Beschreibung. Angeblich war in der Materialausgabe das Druckerpapier ausgegangen. Deshalb sollte ich kurz vor Feierabend einige Pakete bei einem Großhandel abholen, damit wir am nächsten Tag weiterarbeiten konnten. Die Firma lag etwas außerhalb, und natürlich sollte ich meinen privaten Pkw dazu nutzen. Ich blöde Kuh hatte ja geäußert, nichts dagegen zu haben, abends etwas länger zu machen. Na, und das bisschen Benzin … Auf dem weitverzweigten Industriegelände wollte nur niemand die Firma kennen. Ich suchte geschlagene zwei Stunden, bis ich endlich jemanden traf, der sich erinnerte, dass es vor mehreren Jahren eine Firma dieses Namens gegeben hatte, aber die war längst umgezogen. Stinksauer fuhr ich nach Hause und war überzeugt, absichtlich in die Irre geführt worden zu sein.

Das Donnerwetter am nächsten Tag war vom Feinsten. Ich hätte mich schließlich vorher telefonisch informieren können, hieß es. Und warum ich nicht wenigstens auf die Idee gekommen sei, Papier aus einem Copy-Shop zu besorgen?

Zwei Wochen später erhielt ich nachts einen Anruf, bei dem mir mitgeteilt wurde, dass eine größere Lieferung ankommen sollte. Warum mitten in der Nacht? Weil der LKW auf der Autobahn liegen geblieben sei. Warum ich? Weil die beiden anderen Kolleginnen nicht erreichbar waren und er, mein Chef, einem wichtigen Kunden das Nachtleben der Stadt zeigte. Es würde mir doch sicher nichts ausmachen, die Lieferanten reinzulassen? Zähneknirschend fuhr ich in die Firma und verbrachte den Rest der Nacht auf meinem Bürostuhl. Unnötig zu erwähnen, dass diese eilige Lieferung nie ankam. Aber es sollte noch schlimmer kommen.

Die Schikanen waren schier endlos, und ich überlegte ernsthaft aufzugeben. Nur dann würden die nervige Suche und die unzähligen Bewerbungen von vorne losgehen. Außerdem würde ich bei einer selbst ausgesprochenen Kündigung eine Sperre der finanziellen Mittel bekommen, die ich mir einfach nicht leisten konnte. Dann musste mir eben gekündigt werden, wenn sich das in meinem Lebenslauf auch nicht besonders gut machen würde. Aber mein Chef dachte nicht daran, mich rauszuwerfen, wenn er es auch ständig ankündigte, aber es schien ihm viel zu viel Spaß zu machen, mich zu quälen.

Meinen Verstand in Zweifel zu ziehen, begann ich erstmals, als mehrmals hintereinander wichtige Dateien auf meinem PC unauffindbar waren. So sollte ich eine Jahresstatistik verfassen, an der ich wochenlang gearbeitet hatte, Erleichtert speicherte ich eines späten Abends die umfangreiche Datei ab und stellte selbstverständlich eine Sicherungskopie auf CD her. Am nächsten Morgen war beides verschwunden. Weg, als hätte es nie existiert. Sollte sich jemand an meinem PC zu schaffen gemacht haben? Überlegte ich. Aber ohne mein Passwort hatte niemand auf meine Dateien Zugriff. Kurz und schlecht, ich musste alles noch mal machen. Diesmal nahm ich die Sicherungs-CD mit nach Hause.

Einen anderen Tag erstellte ich einen mehrseitigen Bericht, den ich unvorsichtiger Weise nicht noch einmal vor dem Ausdrucken kontrollierte. Das hatte ich tags zuvor zur Genüge getan. Als die ersten Seiten vom Drucker ausgeworfen wurden, traute ich meinen Augen nicht. Der Text strotzte nur so vor Rechtschreibfehlern. Es würde Stunden dauern, alles mithilfe der Rechtschreibprüfung zu verbessern. Und die Sitzung sollte in einer halben Stunde stattfinden. Kurzum dieser Punkt auf der Tagesordnung musste verschoben werden. Mein Chef spuckte Gift und Galle und beschimpfte mich in der übelsten Weise. Den genauen Wortlaut möchte ich einfach nicht wiedergeben.

Als es schließlich darum ging, einem Kunden eine Präsentationsmappe vorzulegen, zweifelte ich ernsthaft an meinem Verstand. Ich hatte die fertige Mappe nachts in meinen Schreibtisch eingeschlossen und fand sie morgens auf den ersten Blick unverändert vor. Dann kam der hysterische Ausbruch meines Chefs. Die Fotos und Schaubilder hatten natürlich nicht auf normalem Papier ausgedruckt werden sollen, sondern auf Fotopapier beziehungsweise Folie. Das wusste ich und hatte es selbstverständlich nach Anweisung getan, aber in der Mappe befanden sich nur Ausdrucke auf normalem Papier. Konnte ich mich so geirrt haben? Nein, verdammt noch mal, da musste jemand dran gedreht haben. Vielleicht gab es einen Nachschlüssel für meinen Schreibtisch? Und das mit dem Passwort war auch ziemlich einfach zu erklären. Eine Kollegin musste mir beim Eintippen über die Schulter geschaut haben. Welche das gewesen war, versteht sich von selbst. Die, die dem Chef verliebte Blicke zuwarf und so gern an meiner Stelle in seiner Gunst gewesen wäre.

Was soll ich sagen? Das Maß war voll. Nicht einmal bei mir, sondern beim Chef. Denn durch die laienhafte Präsentationsmappe war ihm ein dicker Fisch von der Angel gegangen. Er kündigte mir zum nächsten Ersten und drohte mit Schadenersatzansprüchen. Mir fiel ein Stein vom Herzen und der künftig dunkle Punkt in meiner Vita kümmerte mich herzlich wenig.

Die letzte Woche ließ ich mich krankschreiben. Dem erneuten Psychodruck wollte ich mich nicht aussetzen. Ich zog sogar ins Kalkül, alle Fehler tatsächlich selbst gemacht zu haben. Aus Unsicherheit und immer größer werdendem Druck.

Da stand eines Abends die bewusste Kollegin in Tränen aufgelöst vor der Tür. Das habe sie nicht gewollt, dass ich die Arbeit verliere. Sie hatte mir nur eins auswischen wollen, gab sie zu, weil der Chef mich zum Ausgehen bevorzugt hatte, und nicht sie. Nach meinem Weggang war er tatsächlich mit ihr essen gegangen und sogar ins Bett. In einem billigen Stundenhotel, und anschließend hatte er sie liegen gelassen wie ein gebrauchtes Kleidungsstück, und sie hatte sehen müssen, wie sie nach Hause kam. Am nächsten Tag hatte er sie zu sich gerufen und gesagt, sie solle sich kein Schwachheiten einbilden. Das wäre eine einmalige Sache gewesen und würde ihr keinerlei Vorteile bringen, im Gegenteil.

So, das Biest war also aus Rache bei mir, und weniger, weil es ihr wirklich leidtat, erkannte ich. Ich habe sie weggeschickt und gebeten, mich nicht noch einmal zu kontaktieren.

Ich überlegte ernsthaft, mir einen Anwalt zu nehmen. Aber was sollte dabei herauskommen? An Wiedereinstellung war ich nicht interessiert. Außerdem traute ich der Kollegin nicht. Wenn erst einmal ihr Zorn verraucht war, würde sie vielleicht nicht mehr in meinem Sinne aussagen. Und wegen eines möglichen Vergleichs den Aufwand zu betreiben, ganz abgesehen von den Kosten … Nein, ich werde weitersuchen, aber eins ist sicher, entweder ist mein nächster Chef eine Frau oder er zeigt keinerlei Interesse an mir. Und ich werde sehr genau seine Blicke verfolgen. Nicht dass ich noch einmal an meinem Verstand zweifle, weil ein gewisser Herr sich in seiner Eitelkeit gekränkt fühlte.


Zerbrechliche Momente

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