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KAPITEL 1

Deutsche, Einwanderer und der Fußball

Nicht nur die Politik, auch der DFB tat sich mit der Tatsache, dass Deutschland zum Einwanderungsland wurde, lange Zeit schwer. Noch 1989 sprach der Verband die Empfehlung aus, in den Jugendauswahlmannschaften der Landesverbände von 1990 an nur noch Fußballer spielen zu lassen, die deutscher Abstammung waren. Die Handhabe dafür bot ihm das damalige Staatsbürgerrecht, das noch allein auf dem Abstammungsprinzip („Blutrecht“ / „Jus sanguinis“) aufbaute. Dies bedeutete, dass ein Kind bei der Geburt nur dann die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt, wenn es einen deutschen Vater oder eine deutsche Mutter hatte.

Ohne Not schränkte der DFB damit die geltende Praxis ein. Bis dahin galt unter den Regionalverbänden die unverbindliche Abmachung, dass zwei „ausländische“ Jugendliche pro Auswahl mitspielen durften. Mit seiner Empfehlung – die keineswegs nur aus dem Ausland transferierte Spieler, sondern auch und gerade die in der Bundesrepublik aufgewachsenen Einwandererkinder betraf und ausgrenzte – erntete der DFB heftigen Protest. Weniger weil der Verband den Integrationscharakter des Sports infrage stellte, sondern vor allem weil diese Ausgrenzung der Situation in vielen Vereinen und Landesverbänden nicht gerecht wurde, wo bereits zahlreiche Einwandererkinder kickten.

Die DFB-Spitze sah sich daher genötigt, ihre Empfehlung zu relativieren. Präsident Hermann Neuberger: „Schon jetzt gibt es Landesverbände, bei denen 30 bis 40 Prozent aller Jugendlichen Ausländer sind. Durch die zukünftige freie Arbeitsplatzwahl in der EG wird sich diese Zahl eher verstärken als abschwächen. Noch mehr als bisher müssen sich unsere Vereine den ausländischen Mitbürgern öffnen.“

Die deutsche Elf den Deutschen

Die Nationalmannschaft allerdings wollte Neuberger, der aus seinen national-konservativen Ansichten keinen Hehl machte, von dieser Öffnung ausnehmen. „Es ist eine Identitätsfrage des Fußballsports, dass er überwiegend von Angehörigen der eigenen Nation ausgeübt wird. Dies gilt mit Selbstverständnis für die Nationalmannschaft. Er erhält seine Eigenart und damit seine Akzeptanz gerade durch das ausschließlich oder stark überwiegende nationale Element.“ Formal war es natürlich immer so, dass nur Spieler mit deutschem Pass für die Nationalelf auflaufen konnten. Neubergers Formulierungen zeigten allerdings, dass er das staatsbürgerliche „Blutrecht“ auch für die Nationalelf gewahrt wissen wollte.

1988 war die DFB-Elf bei der EM im eigenen Land im Halbfinale an den Niederlanden gescheitert. Mit Ruud Gullit, Frank Rijkaard und Gerald Vanenburg standen beim späteren Europameister drei Spieler mit surinamischem Hintergrund auf dem Feld. Der Nachbar des Autors, geboren in den 1930ern, war der Auffassung, die Niederländer hätten „Foul Play“ gespielt: „Die haben einfach Neger mitspielen lassen.“

Bei der WM 1998 scheiterte die DFB-Auswahl im Viertelfinale an Kroatien. Weltmeister wurde Frankreich, auch dank eines multikulturellen Teams. Während der EM 1996 hatte der französische Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen die „rassische Zusammensetzung“ des französischen Nationalteams kritisiert. Das Team trage „künstlichen Charakter“. Spieler wie Lamouchi, Zidane, Djorkaeff, Lizarazu, Pedros, Angloma, Karembeu und Lama bezeichnete Le Pen als „Ausländer“. Sie hätten die französische Nationalität nur gewählt, um international Fußball zu spielen. Einige von ihnen würden nicht die Marseillaise singen oder deren Text sichtlich nicht kennen.

Bei der WM 1998 war Frankreichs WM-Kader der bis dahin wohl ethnisch differenzierteste und multikulturellste der WM-Geschichte. Lama wurde in Guyana geboren, Angloma in Guadeloupe, Karembeu in Neu-Kaledonien, Desailly in Ghana und Vieira im Senegal. Thuram kam zwar in Frankreich zur Welt, seine Mutter stammte aber aus Guadeloupe. Zidanes Eltern waren Berber aus Marokko, Djorkaeffs Mutter kam aus Armenien, sein Vater gehörte der Kalmouk-Minderheit in der ehemaligen UdSSR an. Barthez hatte eine spanische Großmutter, Lizarazu drei spanisch-baskische Großeltern. Die Eltern von Henry und Diomède kamen aus Guadeloupe. Boghossian war armenischer Herkunft, Trezeguet hatte einen argentinischen Vater.

In Frankreich war der Triumph des Multikulti-Teams ein Schlag ins Gesicht von Le Pen und seinen Rechtsradikalen. Aus den Nationalfarben „bleu-blanc-rouge“ (Blau-Weiß-Rot) wurde über Nacht „black-blanc-beur“ – Schwarz, Weiß und die dunkle Tönung der maghrebinischen Einwanderer, der „beurs“. Zidane erklärte den Titel zur „schönsten Botschaft, die wir schicken konnten“, wobei er als Adressaten Le Pen meinte. Für das Magazin „Spiegel“ hatte das französische Team der ganzen Welt demonstriert, „dass Rassenvielfalt ein nationales Guthaben sein kann, wenn alle gemeinsam ein Ziel verfolgen“, und dass der Fußball unverändert eine wichtige Funktion als Immigrantensport erfülle. Die siegreiche „Équipe Tricolore“ wurde zum Symbol eines neuen Republikanismus und der Überlegenheit republikanischer Werte. Für Staatspräsident Chirac hatte „Frankreich seine Seele wiedergefunden“. Der Philosoph Pascal Bruckner sah ein Land aus einer „Depression“ heraustreten, die Frankreich zehn Jahre lang niedergedrückt habe. „Der Sieg wird wahrgenommen wie eine Wiedergeburt unserer selbst nach einer Periode der Finsternis.“ Der Schriftsteller Jean d’Ormesson von der Académie Française kam zu der Erkenntnis, der Fußball sei das „konstitutive Element – vielleicht das einzige – eines neuen Gesellschaftsvertrags“.

Der DFB bewegt sich

Vieles von dem, was nach dem Triumph von „black-blanc-beur“ geäußert wurde, war mehr Wunsch als realistische Einschätzung. Allerdings forcierte die WM 1998 die Diskussion um die Integration von Einwandererkindern in die Teams des DFB. Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit forderte, von Frankreich zu lernen: „In den Fuß-ballklubs sind drei Viertel aller Mitglieder Migrantenkinder. Diesen wurde aber lange Zeit verweigert, deutsche Staatsbürger zu werden. Deswegen haben wir keinen Zinédine Zidane in der Nationalmannschaft. Wir brauchen aber viele tausend talentierte Jungs, die träumen, für Deutschland zu spielen, um einen Zidane zu haben.“

Auch Ottmar Hitzfeld, damals Trainer des FC Bayern, forderte eine stärkere Berücksichtigung von in Deutschland lebenden Ausländerkindern beim Neuaufbau der Nationalmannschaft: „Holländer und Franzosen haben die Kinder von Einwanderern in ihrer Mannschaft. In Deutschland leben Türken, Afrikaner und Osteuropäer. Gucken Sie sich unsere Jugendmannschaften an: Die bestehen zu 50 Prozent aus Ausländerkindern. Wir verzichten also auf die Hälfte unseres Potenzials, wenn es von vornherein ausgeschlossen ist, die für Deutschland spielen zu lassen.“

In erster Linie war dies eine politische Herausforderung, denn die DFB-Elf repräsentierte exakt das bis dahin gültige, indes von der Realität hoffnungslos überholte Staatsbürgerrecht. Für die Nationalmannschaft durfte weiterhin nur spielen, wer eine „Blutsverbindung“ nach Deutschland nachweisen konnte. In diesem Sinne war die Komposition der Nationalelf auch eine verheerende Message an rechtsradikale Hooligans. Während ihre Klubteams bereits von „Ausländern aller Art durchsetzt“ waren, glänzte das Antlitz des DFB-Teams noch „weiß und deutsch“ – die Nationalmannschaft war für die Rechten die letzte Bastion „echten Deutschtums“ in einer sich internationalisierenden Umwelt. Beim WM-Turnier 1998 hatte die DFB-Elf im Vergleich zu einigen anderen Nationalteams wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten gewirkt.

Was beim DFB zu dieser Problematik geäußert wurde, war teilweise an Peinlichkeit nicht zu überbieten. So bejammerte DFB-Vizepräsident Mayer-Vorfelder mit Blick auf die Teams der Niederlande, Englands und Frankreichs den Verlust der deutschen Kolonien. Ansonsten würden „Südwestafrikaner“ im deutschen Team spielen.

Italiener, Jugoslawen, Polen – und der erste Türke

Nach der WM 1998 begann sich der DFB vorsichtig zu öffnen. Wobei die ersten Aktionen aufgesetzt und dilettantisch wirkten. Der in den Bundesligaspielzeiten 1995/96 und 1996/97 zu den Toptorjägern zählende (weiße) Südafrikaner Sean Dundee (Karlsruher SC) war 1997 im Eilverfahren eingebürgert worden. Im DFB-Team kam er allerdings über einen Platz auf der Ersatzbank nicht hinaus. Auch Paulo Rink (Bayer Leverkusen), in Brasilien geboren, wo er auch bis zu seinem 24. Lebensjahr lebte und kickte, erhielt den deutschen Pass. Rink konnte einen deutschen Großvater vorweisen, und für Brasiliens Seleção reichten seine Fußballkünste nicht. Für die deutsche Nationalelf ebenfalls nicht, wenngleich er auf 13 Länderspiele kam, das erste davon im September 1998. In zehn dieser Spiele wurde Rink lediglich eingewechselt. Beim Confederations Cup 1999 in Mexiko feierte mit Mustafa Dogan (Fenerbahce Istanbul) dann erstmals ein Spieler türkischer Herkunft seinen Einstand im DFB-Team. Das war 38 Jahre nach dem Anwerbeabkommen mit der Türkei (1961), das die Fortsetzung des deutschen Wirtschaftswunders ermöglicht hatte.

Der 21-malige U21-Nationalspieler Dogan, der als Zweijähriger nach Deutschland gekommen war, hatte seine Nominierung der großen Personalnot zu verdanken. Viele Spieler hatten wenig Lust auf die Reise. Und die Bundesligisten sahen ihre Saisonvorbereitung torpediert und drängten Bundestrainer Ribbeck zum Verzicht auf mehrere seiner Stammspieler. So durfte Dogan am 30. Juli 1999 bei der 0:2-Niederlage gegen die USA als Einwechselspieler mitwirken. Es folgte nur noch eine einzige Länderspielminute – ausgerechnet gegen die Türkei in der Qualifikation zur EM 2000, als Dogan in der 89. Minute für Bernd Schneider ins Spiel kam. Im Februar 2000 feierte der junge Zoltan Sebescen (VfL Wolfsburg) sein Debüt im Nationaltrikot, bei dem es allerdings auch bleiben sollte. Die Eltern des im Schwabenland geborenen Sebescen waren ungarischer Herkunft.

Parallel zu dieser Entwicklung wurde 1999 ein Staatsangehörigkeitsgesetz verabschiedet, das am 1. Januar 2000 in Kraft und an die Stelle des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 trat. Erstmalig in der deutschen Rechtsgeschichte wurde im Staatsbürgerschaftsrecht das Abstammungsprinzip („Jus sanguinis“) durch Elemente des Geburtsortsprinzips („Jus soli“) ergänzt. Dies bedeutete: Ein Kind ausländischer Eltern, das in Deutschland geboren wird, erhielt neben der Staatsangehörigkeit seiner Eltern automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft – sofern zumindest ein Elternteil zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes seit acht Jahren rechtmäßig in Deutschland gelebt hatte und über eine Aufenthaltsberechtigung oder seit drei Jahren über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügte.

Der Erwerb der Staatsangehörigkeit nach dem Geburtsortsprinzip wurde mit einer Optionspflicht verbunden. Im Alter zwischen 18 und 23 Jahren musste man sich zwischen dem deutschen Pass und dem des Herkunftslandes der Eltern entscheiden. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah auch die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft vor, um Einwanderern den Weg in die deutsche Staatsangehörigkeit zu erleichtern. Diese Idee wurde aber durch eine Unterschriftenaktion von CDU und CSU gestoppt, bei der Bürger an den Ständen fragen: „Wo kann man denn hier gegen Ausländer unterschreiben?“ Jürgen Trittin schrieb später im „Spiegel“: „Der Begriff Ausländer war dabei nur eine Chiffre. In Wahrheit wollte man gegen die Türken unterschreiben. Natürlich hatte niemand etwas gegen die Doppelstaatsbürgerschaft von Kindern aus US-deutschen Familien. Und auch der zweite Pass der nach Zürich verheirateten deutschen Akademikerin störte nicht. Es ging um Rassismus.“

Die Gesetzesreform beeinflusste nun auch die Berufungspraxis für die Nationalmannschaft. Wirkten Maßnahmen à la Dundee und Rink noch ziemlich krampfhaft, so änderte sich dies im Vorfeld der WM 2002. Bedingt durch die anhaltende Zuwanderung hatte im Juniorenbereich das Mitwirken von Einwandererkindern über die Jahre weiter stetig zugenommen. Und im Gegensatz zu Dundee und Rink, die im Erwachsenenalter und als ausgebildete Kicker zum Zwecke des Fuß-ballspielens nach Deutschland gekommen waren, handelte es sich nun, von wenigen Ausnahmen abgesehen, tatsächlich um Gewächse aus den Einwanderer-Communities.

Der Erste von ihnen – aber damals ein Einzelfall – war bereits 1993 Maurizio Gaudino (Eintracht Frankfurt) gewesen, Inhaber auch eines italienischen Passes. Bundestrainer Berti Vogts konnte den 16-Jährigen zur Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft bewegen. Mit 18 Jahren gab Gaudino sein italienisches Papier zurück. „Ich bin in Deutschland geboren und groß geworden. Mein Traum als Fußballer war immer die Bundesliga, die deutsche Nationalelf. Deshalb rannte Berti Vogts bei mir offene Türen ein.“ Gaudino kam aber nur auf fünf A-Länderspiele und „rund 30 Einsätze auf der Ersatzbank“. In die gleiche Kategorie gehörte auch Fredi Bobic (VfB Stuttgart), der 1994 seinen Einstand in der DFB-Elf gab. Bobic, geboren in Maribor in Slowenien (damals noch Jugoslawien), hatte einen slowenischen Vater und eine kroatische Mutter. Während seiner Kindheit wanderten die Eltern nach Deutschland aus, wo der Fußballer in Schwaben aufwuchs. Dass Gaudino und Bobic die Ersten waren, ist sicherlich kein Zufall, gehörten Italiener und Jugoslawen doch zu den ältesten und etabliertesten Einwanderergruppen in der Bundesrepublik.

Dariusz Wosz (VfL Bochum, anschließend Hertha BSC), der im Februar 1997 debütierte, wurde gewissermaßen von der DDR-Auswahl übernommen, für die er 1989-90 sieben Länderspiele bestritten hatte, darunter das letzte im September 1990 gegen Belgien in Brüssel. Wosz war im polnischen Piekary Slaskie geboren worden. Als Kind siedelten seine Eltern mit ihm nach Halle/Saale über.

Die DFB-Elf wird bunt

Ab der WM 2002 war das Mitwirken von Akteuren mit „Migrationshintergrund“ eine Selbstverständlichkeit. Miroslav Klose (1. FC Kaiserslautern, anschließend Werder Bremen, Bayern München) stammte aus Oppeln in Polen. Sein Vater Jozef war ebenfalls Fußballer, seine Mutter Barbara Jez polnische Handballnationalspielerin. Als die Familie nach Deutschland übersiedelte, war Klose acht Jahre alt. Für Polen hätten auch Paul Freier (VfL Bochum, anschließend Bayer Leverkusen), Lukas Podolski (1. FC Köln, anschließend Bayern München), Piotr Trochowski (Hamburger SV) und Lukas Sinkiewicz (1. FC Köln, anschließend Bayer Leverkusen) auflaufen können. Podolski wurde in Gliwice (Gleiwitz) geboren, sein Vater Waldemar war ebenfalls Fuß-ballprofi. Bei Ankunft in Deutschland war „Poldi“ zwei Jahre alt. Trochowski stammt aus Tcew und kam im Alter von fünf Jahren nach Hamburg. Sinkiewicz siedelte im Alter von dreieinhalb Jahren aus dem schlesischen Tychy (Tichau) nach Deutschland über, sein Vater war polnischer Zweitligaspieler.

Für die Schweiz oder Italien hätte sich Oliver Neuville (Hansa Rostock, anschließend Bayer Leverkusen, Borussia Mönchengladbach) entscheiden können. Vater Jupp, der ebenfalls Fußballer war, stammt aus Aachen und hat seinen Familiennamen seinem belgischen Groß-vater zu verdanken. Neuvilles Mutter ist Italienerin aus Kalabrien. Oliver Neuville wuchs im italienischsprachigen Tessin auf und besaß zeitweise auch einen italienischen Pass. In der DFB-Elf benötigte er anfangs einen Dolmetscher. Malik Fathi wurde in Berlin geboren, „deutsch“ war aber nur seine Mutter. Der Vater kam aus der Türkei. In Deutschland, genauer: Esslingen, geboren war ebenfalls Serdar Tasci (VfB Stuttgart), der auch von der türkischen Nationalelf umworben wurde. Dem Schwaben bereitete die Entscheidung „ein paar schlaflose Nächte“, denn „meine Eltern tendierten zur türkischen Nationalmannschaft, aber dann war die deutsche schneller“. Ähnlich verhielt es sich bei seinem Vereinskameraden Sami Khedira, bei dem Verantwortliche des tunesischen Verbands anklopften: „Meinem Vater hätte es schon viel bedeutet. Aber für mich kam nur die DFB-Auswahl infrage.“

Afrikanische Hintergründe konnten die Nationalspieler Gerald Asamoah (Schalke 04), David Odonkor (Borussia Dortmund, anschließend Betis Sevilla) und Patrick Owomoyela (Arminia Bielefeld, Werder Bremen, Borussia Dortmund) aufweisen. Asamoah wurde in Mampong in Ghana geboren. Bei der WM 2002 in Korea/Japan war der Schalker der erste Farbige, der im DFB-Trikot an einer WM teilnahm. Asamoah anschließend: „Für mich ist das mit das Größte, was man als Fußballer erleben kann. Ich bin immer noch sehr stolz, dass ich im Endspiel einer WM auf dem Rasen stand. Mit 24 Jahren – ein Traum. (…) Es war für viele Menschen in Ghana großartig, mich bei dieser WM zu sehen. Ein Ghanaer im WM-Finale! Das war gut für das Selbstwertgefühl der Leute.“ Asamoahs Mitwirken war auch ein Signal gegen den Rassismus: „Ich wurde danach mit mehr Respekt behandelt, viele andere Farbige in Deutschland auch. Aber ich habe mich nicht deshalb für das DFB-Team entschieden. Dieser Effekt ist eine äußerst positive Nebenwirkung.“

David Odonkor erblickte im westfälischen Bünde das Licht der Welt. Der Vater ist Ghanaer, die Mutter Deutsche. Der in Hamburg geborene Patrick Owomoyela, gegen den die NPD eine hässliche Kampagne lostrat, ist der Sohn eines Nigerianers und einer Deutschen. Nigerias Verband interessierte sich ebenfalls für seine Dienste. Auch Spanien ist in der Nationalelf vertreten: Mario Gomez (VfB Stuttgart), im schwäbischen Riedlingen geboren, ist der Sohn eines aus Granada stammenden Spaniers und einer Deutschen aus dem Schwabenland. Gonzalo Castro (Bayer Leverkusen), in Wuppertal geboren, ist spanischer Herkunft und wurde zunächst auch zu Lehrgängen der Juniorenauswahl Spaniens eingeladen.

Besonders „bunt“ ging es bei Kevin Kuranyi (VfB Stuttgart, anschließend Schalke 04) zu, der in Rio de Janeiro zur Welt kam, in Panama aufwuchs und drei Staatsbürgerschaften besitzt. Väterlicherseits stammt die Familie ursprünglich aus Ungarn, der Großvater wurde in Budapest geboren, weshalb sich auch der ungarische Verband um den Stürmer bemühte, der für vier Länder hätte spielen können. Kuranyi entschied sich für das DFB-Team, „weil ich hier meinen Lebensmittelpunkt habe. Mein Vater wollte, dass ich Deutsch lerne.“ Tief im Herzen sei er aber „Brasilianer, dem Sonne und Copacabana über alles gehen“.

Mit den U21-Nationalspielern Eugen Polanski (Eltern aus Polen), Marvin Matip (Vater aus Kamerun), Kevin-Prince und Jérôme Boateng (geboren in Berlin, Mutter Deutsche, Vater Ghanaer, Kevins Großvater mütterlicherseits ein Cousin von Helmut Rahn), Ashkan Dejagah (geboren in Teheran, aufgewachsen in Berlin), Dennis Aogo (geboren in Karlsruhe, Eltern aus Kamerun) und den türkischstämmigen Spielern Baris Özbek (geboren in Castrop-Rauxel) und Mesut Özil (geboren in Gelsenkirchen) klopften in den folgenden Jahren weitere Akteure mit Migrationshintergrund ans Tor zur Nationalelf. Der Journalist Daniel Theweleit: „Diese multikulturelle Mischung ist ein wichtiges Merkmal für die lange Zeit herbeigesehnte Rückkehr des deutschen Fußballs an die Weltspitze. Denn international erfolgreiche Teams weisen fast ausnahmslos solch ein Sammelsurium internationaler Einflüsse auf. Beispiele dafür sind Brasilien (indianische, afrikanische und europäische Wurzeln) und Frankreichs Nationalelf mit vielen Spielern mit afrikanischen Vorfahren.“

Dass die Nationalmannschaft ihren ethnisch-exklusiven Charakter suspendierte, war gleich in zweifacher Hinsicht ein Segen. Nach der Pleite bei der EM 2004 hatten Jürgen Klinsmann und Jogi Löw die Regie übernommen. Beiden schwebte nicht weniger als eine grundlegende Reform der altbackenen deutschen Fußballkultur vor. Spieler mit einem anderen kulturellen Background konnten hierzu einen Beitrag leisten. Und außerdem: Nach dem Bosman-Urteil von 1995 und dem Fall vieler Ausländergrenzen hatten die Top-Klubs ihre spielerische Qualität durch ausländische Profis erhöht. Was zur Folge hatte, dass die Klubs den Nationalmannschaften in puncto Spielqualität davonrannten.

Noch 1998 hatte Arrigo Sacchi erklärt: „Fußball sollte immer auf dem höchstmöglichen Level gespielt werden, und kein Klub wird jemals das Niveau einer Nationalmannschaft erreichen.“ Heute muss man sagen: Keine Nationalmannschaft wird jemals das Niveau einer der Top-Adressen des Klubfußballs erreichen. Schon gar nicht eine ethnisch-exklusive. Würden Belgien, Deutschland, England, Frankreich etc. nicht ihre Einwandererkinder mitspielen lassen, hätte dies negative Folgen für die Attraktivität und Vermarktung der nationalen Ensembles. Die Integration von Einwandererkindern verhinderte auch, dass die Kluft zwischen den Top-Teams des europäischen Fuß-balls und den Nationalmannschaften ins Unermessliche stieg.

Der Fall Özil

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