Читать книгу Der Fall Özil - Dietrich Schulze-Marmeling - Страница 9
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Özil, Gündogan und die deutsche Nationalelf
Trotz der Öffnung der Nationalmannschaft für Kicker mit Migrationshintergrund: In der Regel entschieden sich Deutschtürken zunächst weiterhin für die Auswahl der Türkei.
Am 8. Oktober 2005 spielte Nuri Sahin, ein Dortmunder Borusse mit türkischen Wurzeln, erstmals für die A-Elf der Türkei – ausgerechnet gegen Deutschland, das in Freundschaft mit 2:1 bezwungen wurde. Sahin erzielte den Siegtreffer. Das erste Tor der Türken ging auf das Konto von Halil Altintop. Mit dessen Bruder Hamit und Yildiray Bastürk kickten auf türkischer Seite zwei weitere Spieler mit, die in Deutschland geboren waren und dort lebten. In diesen Jahren war es gang und gäbe, dass sich die Kinder der nach Deutschland eingewanderten Türken für die türkische Auswahl entschieden.
Bei der WM 2002 war die Türkei Dritter geworden. Vier Akteure, Bastürk, Ümit Davala, Tayfur Havutcu und Ilhan Mansiz, waren in Deutschland geboren. Der türkische Verband unterhielt in Dortmund ein „Europabüro“, von dem aus fünf hauptamtliche Talentsucher und 15 nebenberufliche Scouts Jugendteams in Deutschland, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern nach Emigrantenkindern abgrasten, die für die türkischen Auswahlteams in Betracht kamen. Die fußballerische Sozialisation fern der Heimat wurde als großer Vorteil betrachtet, weil, so der damalige Europa-Büroleiter Hakan Eseroglu, die „deutsch-türkischen“ Akteure „disziplinierter und pflichtbewusster“ seien: „Sie machen das, was der Trainer sagt.“
„Man muss sich wohlfühlen“
Hamit Altintop begründete seine Entscheidung für die Türkei wie folgt: „Ich bin Deutschland sehr, sehr dankbar, ich habe hier sehr viel gelernt und sehr viele Chancen bekommen. Aber meine Mama kommt aus der Türkei, mein Vater kommt aus der Türkei, ich bin Türke.“ Und Nuri Sahin erklärte gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Man muss sich wohlfühlen. (…) Meine Eltern und meine Familie sind türkisch, deshalb fühle ich mich als Türke.“ Außerhalb des Elternhauses sei er aber in der deutschen Kultur aufgewachsen: „Mit vier Jahren bin ich in den Fußballverein gegangen, ich war im Kindergarten, in der Grundschule und auf dem Gymnasium, wo nur wenige Türken waren. Mit zwölf habe ich angefangen, mit Borussia Dortmund zu reisen, da habe ich viel mitbekommen von Deutschland und Europa. Ich ziehe das Beste aus beiden Kulturen.“ Im Hause seiner Eltern sei deutsch und türkisch geredet worden, „eigentlich sogar mehr deutsch“. Die Eltern hätten darauf bestanden, dass die Kinder die deutsche und die türkische Sprache beherrschten. Sie hätten ihnen mitgeteilt, dass die türkische ihre Muttersprache sei und die deutsche die Sprache des Landes, in dem sie lebten. Sahin kritisierte Ausländer, „die seit sechs, sieben Jahren in Deutschland spielen, aber die Sprache nicht beherrschen“.
Die Altintops und Sahin sprechen fließend deutsch, besser als mancher „Bio-Deutsche“. Trotz ihrer Entscheidung für die Türkei behauptete kaum jemand, sie seien nicht integriert. Aus westdeutscher Sicht waren sie integrierter als so mancher Sachse.
So richtig traf nur Sahins Entscheidung auf Bedauern und Widerspruch. Denn er galt als großes Talent, für einige war er das größte in Europa. Mit der Türkei hatte er 2005 die U17-EM gewonnen und war anschließend als bester Spieler des Turniers ausgezeichnet worden. Am 6. August 2005 feierte er beim Spiel des BVB in Wolfsburg sein Bundesligadebüt – im Alter von nur 16 Jahren und 335 Tagen. Sahin war damit der jüngste Debütant in der Geschichte der Liga.
Das größte Talent des deutschen Fußballs
Mesut Özil wurde am 15. Oktober 1988 in Gelsenkirchen geboren. Die Großeltern waren von der türkischen Schwarzmeerküste ins Ruhrgebiet ausgewandet. Özils Vater Mustafa war damals zwei Jahre alt gewesen. Im Alter von sieben Jahren trat Mesut Özil, ein echter Straßenfußballer, der DJK Westfalia Gelsenkirchen bei, einem Sportverein der katholischen Sportbewegung. Als Özil 14 war, nahm ihn Schalke 04 unter seine Fittiche, 2008 wechselte er zu Werder Bremen.
Am 11. Februar 2009 lief der nun 20-jährige Mesut Özil erstmals in der deutschen A-Nationalelf auf, als diese in Düsseldorf ein Testspiel gegen Norwegen bestritt, das mit 0:1 verloren ging. Özil wurde in der 78. Minute für Piotr Trochowski eingewechselt.
Özils Debüt in der A-Elf geriet zum Startschuss für eine politische Instrumentalisierung des Spielers. Er wurde zum großen Hoffnungsträger der Integrationspolitik erkoren und sollte nebenbei auch noch weitere Spieler mit türkischen Wurzeln für die DFB-Elf erwärmen. Der Spieler wurde auf ein Podest gehoben, das er selber gar nicht erklimmen wollte. Und bekam einen Auftrag, um den er nicht gebeten hatte. Wenige Wochen nach Düsseldorf erzählte der Grünen-Politiker Cem Özdemir, selber ein Deutscher mit türkischen Wurzeln, der „taz“: „Ich werbe aktiv dafür, dass sich hier aufgewachsene türkischstämmige Fußballer für eine sportliche Karriere in Deutschland entscheiden. Dafür ist es auch wichtig, dass es die ersten Eisbrecher wie Mesut Özil gibt. So wird in ein paar Jahren die Diskussion beendet sein, ob die deutsche Nationalmannschaft auch die Nationalmannschaft von Deutschtürken oder anderen Migrantengruppen ist.“
Mesut Özil hatte zuvor elf Spiele für die U19 und 16 für die U21 des DFB absolviert und dabei neun Mal getroffen. Der offensive Mittelfeldspieler hatte in den Nachwuchsteams des DFB erst relativ spät debütiert, nämlich am 5. September 2006 beim Auswärtssieg der U19 gegen Österreich. Da waren es nur noch wenige Wochen bis zum 18. Geburtstag des Talents.
Im Jahr 2006 hatte der nun volljährige Özil seine Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft beantragt, was notwendig war, um das deutsche Papier zu erlangen. Im türkischen Konsulat in Münster trafen Özil und sein Vater Mustafa auf einen zornigen Beamten, der ihnen vorwarf, sie hätten „überhaupt keinen Stolz“ und würden die Türkei nicht lieben.
Der türkische Nationaltrainer Fatih Terim warb zunächst weiterhin um Özils Dienste, weshalb mit Spannung erwartet wurde, für welches Land sich das Talent entscheiden würde. Im Februar 2009 wollte Terim ihn für ein Spiel der A-Elf der Türkei gegen die Elfenbeinküste nominieren. Der türkische Verband schickte Hamit und Halil Altintop zu Özil, um diesen für die türkische Nationalelf zu überzeugen. Aber Özil gab Terim einen Korb, da er sich auf die U21 des DFB und die U21-Europameisterschaft konzentrieren wolle. Der DFB war an Özil extrem interessiert, zumal in der A-Elf mittelfristig die Rolle des Spielmachers neu zu besetzen war. Özil galt mittlerweile als talentierteste Nachwuchskraft im deutschen Fußball.
Am 29. Juni 2009 wurde die deutsche U21 durch einen 4:0-Sieg über England Europameister. Der Spielmacher Mesut Özil bereitete zwei Tore vor, erzielte das 2:0 selber und wurde anschließend zum „Man of the Match“ gekürt. Der „Kicker“ gab Özil als einzigem Finalteilnehmer eine glatte „1“: „Besonders stark präsentierte sich Mesut Özil, der gleich an drei Treffern beteiligt war.“ Die Seite Spox.com schrieb in Özils Turnierzeugnis: „Özil war mit vier Assists der Top-Vorbereiter des Turniers, hätte aber deutlich mehr als nur ein Tor erzielen können. Dennoch das Hirn der deutschen Offensive, wenn sich seine genialen Momente auch mit einigen Phasen der schöpferischen Ruhe abwechselten. Hat die Stärken am Ball und nicht vor dem Mikrofon.“
Am 12. August gab Özil auch sein Pflichtspieldebüt in der A-Nationalmannschaft, als diese in der Qualifikation für die WM 2010 gegen Aserbaidschan spielte. Deutschland gewann in Baku mit 2:0. Özil kam erst in der 83. Minute aufs Feld, als er Mario Gomez ablöste. Aber mit dem ersten Pflichtspieleinsatz war Özil nun nur noch für Deutschland spielberechtigt.
„Es gibt nur schwarz oder weiß“
Viele türkische Fans nahmen Özil seine Pro-DFB-Entscheidung übel, wie er in seiner 2017 veröffentlichten Autobiografie „Die Magie des Spiels“ erzählt: „In den Tagen vor meinem ersten Länderspiel mussten wir meine Homepage sogar für eine Zeit schließen, weil mich ein paar Verständnislose aufs Übelste beleidigten. Weil sie sich hinter Pseudonymen verstecken konnten, waren ihre Vorwürfe noch viel heftiger als die Unterstellungen, die der Beamte im türkischen Konsulat mir und meinem Vater gemacht hatte.“
Fragen der Journalisten nach seiner „nationalen Zugehörigkeit“ nervten Özil: „Man wird von den Medien oftmals dazu gedrängt, sich ausschließlich auf etwas festzulegen. Nach dem Motto: Los, sag schon! Was bist du? Deutscher oder Türke? Wo gefällt es dir besser? In Deutschland oder in der Türkei? Du musst dich für eines entscheiden. Los, leg dich fest! Beides geht nicht. Es gibt nur schwarz oder weiß. Es gibt nur Türken und Deutsche. (…) Ich habe in meinem Leben mehr Zeit in Spanien als in der Türkei verbracht – bin ich dann ein deutsch-türkischer Spanier oder ein spanischer Deutschtürke? Warum denken wir immer so in Grenzen? Ich will als Fußballer gemessen werden – und Fußball ist international, das hat nichts mit den Wurzeln der Familie zu tun. (…) Ich bin stolz, mich trotz des Drucks für die deutsche Nationalmannschaft entschieden zu haben. Und ich bin froh, der Türkei dabei nie den Rücken gekehrt zu haben.“
Hamit Altintop, wie Özil in Gelsenkirchen geboren, kritisierte Özils Entscheidung: „Ich bin ein toleranter Mensch und respektiere Mesuts Weg, aber unterstützen kann ich ihn nicht.“ Nuri Sahin kommentierte Özils Pro-Deutschland-Entscheidung anders, nämlich pragmatischer: „Ich bin mit Mesut, Serdar (Tasci) und Jérôme (Boateng) befreundet, aber ich habe von der U15 an für die Türkei gespielt. Mesut, Serdar und Jérôme haben in den U-Mannschaften für Deutschland gespielt.“ Es hätte „nicht gepasst“, wenn er sich dann für Deutschland entschieden hätte, und umgekehrt auch nicht. „Die Jungs haben es nicht bereut, und ich habe es auch nicht bereut. Und das Wichtigste ist, dass man sich wohlfühlt.“
Auch in der Familie Özil war die Pro-Deutschland-Entscheidung umstritten. Mutter Gulizar hätte Mesut lieber im Trikot der Türkei gesehen, Onkel Erdogan ebenfalls. Der Onkel erzählte ihm von den Gefühlen, die ein Besuch im Heimatort Zonguldak auslöse, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz an der türkischen Schwarzmeerküste. Mesut Özil: „Ich konnte seine Gefühle überhaupt nicht nachvollziehen. Schließlich war ich bis zu meinem 17. Geburtstag erst zweimal in den Sommerferien in Zonguldak gewesen. Ich fühlte mich dort zwar wohl, aber nicht heimisch. Es löste bei mir kein Gefühl des Ankommens aus, wenn ich mich dort ans Meer stellte und tief einatmete.“ Vater Mustafa plädierte für die DFB-Elf, da sein Sohn in Deutschland geboren und dort zur Schule gegangen war und in deutschen Vereinen das Fußballspielen erlernt hatte.
Ein Jahr nach seinem Debüt begründete Özil seine Entscheidung für die DFB-Elf in einem Interview mit Mike Glindmeier so: „Ich lebe in dritter Generation in Deutschland und habe meine ersten Länderspiele in den U-Nationalmannschaften für Deutschland absolviert, und daher war es für mich einfach klar, dass ich für Deutschland spiele.“ Auf die Frage, was ihm besonders an der Türkei gefalle und was er an Deutschland besonders möge, antworte Özil: „Die deutsche Disziplin mit den positiven südländischen Charakterzügen ergibt meiner Meinung nach eine ideale Mischung.“ Ob er der These zustimmen würde, dass Fußball eine der effektivsten Integrationsmöglichkeiten ist? „Auf jeden Fall.“ Den türkischen Fans hatte er längst verziehen: „Sie sind extrem fußballverrückt – im positiven Sinne. Am Anfang haben natürlich einige überreagiert, aber das hat sich schnell gelegt. Sie respektieren meine Entscheidung und unterstützen mich weiterhin.“ Özil lobte die Antirassismus-Politik des DFB: „Ich denke, dass es weltweit einzigartig ist, was der DFB bisher getan hat. Die vielen Aktionen gegen Rassismus haben gezeigt, dass der DFB hier auf dem richtigen Weg ist. Diesen sollte der Verband konsequent weitergehen.“
„Was Özil macht, ist einzigartig“
Jogi Löw war ein großer Fan des Talents: „Mesut hat überragende Fähigkeiten, wie kaum ein anderer Spieler auf der Position. Er ist für uns extrem wertvoll. Diese Technik und diese letzten Pässe sind einfach genial.“ Für den Bundestrainer war Özil ein zentraler Baustein seiner Fußballphilosophie: weg von den sogenannten „deutschen Tugenden“, die eher Sekundärtugenden waren. Hin zu mehr Spiel im deutschen Spiel. Was nicht nach dem Geschmack aller Fans war. Der Wert des Spielers Özil blieb vielen von ihnen verschlossen.
Für Özil änderte Löw sogar seine taktischen Überlegungen. Der Bundestrainer wollte zunächst mit zwei Stürmern spielen, in einem 4-4-2-System ohne echten Spielmacher hinter den Spitzen. Nun verzichtete Löw auf einen Stürmer und übergab dafür Özil die Rolle eines zentral und offensiv operierenden Mittelfeldspielers, einer klassischen „Zehn“.
Bei der WM 2010 in Südafrika hatten elf der 23 Spieler des deutschen Kaders einen Migrationshintergrund: Dennis Aogo, Jérôme Boateng, Serdar Tasci, Sami Khedira, Marko Marin, Mesut Özil, Piotr Trochowski, Cacau, Mario Gomez, Miroslav Klose und Lukas Podolski. Özil hinterließ bei seinem ersten WM-Turnier einen starken Eindruck. Franz Beckenbauer schwärmte: „Was Özil macht, ist einzigartig.“ Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb: „Der 21-jährige Mesut Özil ist der geheimnisvollste Fußballer, den Deutschland vermutlich je gesehen hat. Dieses Fußball-Deutschland ist es ja gewohnt, breitbrüstige Führungsspieler zu beherbergen, giftige Terrier oder eiskalte Bomber. (…) Fuß-ball-Deutschland hat sich seit mehr als einem Jahrzehnt nach einem Spieler wie Mesut Özil gesehnt. Es hatte ja mal Männer, die mit dem Ball was anfangen konnten, Häßler, Schuster, Netzer, Walter. Jetzt heißt der Mann, der im deutschen Mittelfeld den Ball bekommen sollte, Özil.“
Deutschland wurde Dritter, musste aber in der Gruppenphase nach einem 4:0-Sieg gegen Australien und einer 0:1-Niederlage gegen Serbien zunächst mächtig zittern. Im letzten Vorrundenspiel besiegte die DFB-Elf dann Ghana mit 1:0. Torschütze: Mesut Özil, der aus 18 Metern mit links ins Toreck traf. Die in Skopje im ehemaligen Jugoslawien geborene Schauspielerin Nermina Kukic erinnerte sich acht Jahre später in der Wochenzeitung „Der Freitag“: „Mesut Özil schoss bei der WM im Jahre 2010 das erste Tor eines Gastarbeiterkindes für die deutsche Fußballnationalmannschaft. Noch nie zuvor hatte es ein Gastarbeiterkind in die deutsche Nationalmannschaft geschafft. Und er schoss dieses Tor. Und ich stand in München im Restaurant ‚Reitschule‘ und habe geweint und geweint und gejubelt und geweint. Und es war, als hätte ich dieses Tor geschossen.“
Gegen die Afrikaner und bei den folgenden spektakulären Begegnungen mit England (4:1) und Argentinien (4:0) gehörte Özil zu den besten deutschen Akteuren. Die Welt zeigte sich begeistert von der neuen deutschen Fußballkultur. Özil stand bei allen sieben Begegnungen auf dem Platz.
Nach der WM wechselte Özil zu Real Madrid, wo Trainer José Mourinho später von ihm schwärmte: „Özil ist einzigartig. Es gibt keine Kopie von ihm, nicht mal eine schlechte. Er ist der beste Zehner der Welt. Jeder liebt ihn und sieht in ihm etwas von Luís Figo und Zinédine Zidane.“ Zidane war das Vorbild des jungen Özil gewesen.
Allerdings sprach Mourinho auch ein Defizit an: Özils Zweikampfverhalten. In der Halbzeitpause eines Meisterschaftsspiels gegen Deportivo La Coruña wurde der Spielmacher von seinem Trainer heftig kritisiert. Für Özil war es „der wichtigste Anschiss meines Lebens“, denn anschließend begann er sich „radikal zu hinterfragen, wie ich es zuvor nie getan hatte“.
Seit dem Beginn seiner Profikarriere war seine Körpersprache ein permanentes Thema. So natürlich auch während der WM 2018. Jérôme Boateng brach eine Lanze für seinen Kollegen: „Mesut hat seinen Spielstil und seine Körpersprache nicht seit gestern. Er ist ein Künstler am Ball, kein Kämpfer in der Abwehr wie ich. Vielleicht kommt er deswegen manchmal falsch rüber, aber das heißt nicht, dass er nicht will oder mit Absicht Fehler begeht.“
Fotosession mit der Kanzlerin
Am 8. Oktober 2010 empfing die Nationalelf in der Qualifikation zur EM 2012 die Türkei. Spielort war das Berliner Olympiastadion, das sich an diesem Freitagabend fest in der Hand der Fans der Türkei befand. Die komplette Westkurve des Olympiastadions war in Rot gehüllt, aber nicht nur hier waren die Augen auf Mesut Özil gerichtet. Deutschland besiegte die Türkei durch Tore von Miroslav Klose und Mesut Özil hochverdient mit 3:0. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb in ihrem Spielbericht: „Zweimal bereitet Özil exzellente Möglichkeiten vor. (….) Das Beste hob sich Özil bis zum Schluss auf. Der in der zweiten Halbzeit großartige Lahm verschaffte dem Spieler des Tages selbst einmal freie Bahn – und Özil blieb so cool, wie man sich das nur wünschen kann. Er schob den Ball an Torwart Demirel vorbei zum 2:0.“ Die türkischen Fans hatten Özil bei jeder Ballberührung gnadenlos ausgepfiffen. Aber: „Pfiffe lassen Özil kalt“, meldete ntv.de. Die „Bild“-Zeitung wusste: „Es war für ihn eines der schwersten Spiele seiner Karriere! Zum ersten Mal spielt Mesut Özil (21) gegen die Türkei. Das Land, aus dem seine Familie stammt.“ Trotz der Pfiffe habe „unser Mittelfeld-Star wieder einmal im Deutschland-Trikot brilliert“. Özil sei „der Mann des Abends“ gewesen. Nach seinem Tor habe Özil auf einen ausgelassenen Torjubel verzichtet. „Er lächelt nur kurz, zwinkert seinen Mitspielern zu, breitet verhalten die Arme aus.“ Die türkischen Spieler verhielten sich anders als ihre Fans. Özil: „Ich habe bei keinem meiner Gegenspieler Verärgerung gespürt, weil ich mich für Deutschland entschieden habe. Der türkische Mannschaftskapitän Emre kam nach dem Spiel zu mir und wollte das Trikot mit mir tauschen. Das hat mich sehr gefreut.“
Nach dem Spiel suchte Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen mit Bundespräsident Christian Wulff, dessen Tochter Annalena sowie Regierungssprecher Steffen Seibert die deutsche Kabine auf. Wulff hatte einige Tage zuvor aus Anlass des Tags der Deutschen Einheit eine bemerkenswerte Rede gehalten, aus der anschließend vor allem eine Passage zitiert wurde: „Zuallererst brauchen wir aber eine klare Haltung: ein Verständnis von Deutschland, das Zugehörigkeit nicht auf einen Pass, eine Familiengeschichte oder einen Glauben verengt, sondern breiter angelegt ist. Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Dass der Islam zu Deutschland gehöre, sahen und sehen viele anders. Bis heute hält sich das Gerücht, dass der Bundespräsident wegen dieser Aussage von der „Bild“-Zeitung „abgeschossen“ wurde.
Merkel hatte ihren Kabinenbesuch zuvor mit Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff abgesprochen. DFB-Boss Theo Zwanziger wusste indes nichts davon. In der Kabine schüttelte Merkel dem halbnackten Özil die Hand. In seiner Autobiografie erinnerte sich Özil an diese Szene: „‚Glückwunsch zum Sieg, Mesut‘, sagte sie. ‚Und natürlich zu Ihrem Tor.‘ Sie sprach mich mit meinem Vornamen an und siezte mich. ‚Ich kann mir vorstellen, dass es kein einfaches Spiel war. Diese ständigen Pfiffe, wann immer Sie am Ball waren, scheinen Ihnen aber nichts ausgemacht zu haben.‘ Sie sprach ruhig. Und hatte ein sehr freundliches Wesen. Sie schaute einem in die Augen. ‚Ich hatte schon leichtere Spiele‘, entgegnete ich. Und: ‚Ich habe extra nach meinem Tor nicht gejubelt, weil ich niemanden provozieren wollte.‘ ‚Das haben Sie gut gemacht‘, sagte die Kanzlerin.“
Ein Fotograf des Bundespresseamtes hielt die Begegnung zwischen Özil und Merkel fest, und das Foto ging um die Welt. So wie acht Jahre später das Foto vom Treffen Özils und Ilkay Gündogans mit dem türkischen Staatschef Recep Erdogan. Nicht nur der „Tagesspiegel“ sah darin „ein Bild mit Symbolwert angesichts der Dauerdebatte um Migranten“. Theo Zwanziger war vom Fotoshooting allerdings wenig begeistert. Laut „Sport-Bild“-Angaben beklagte er intern, dass sich der DFB nicht von der Politik instrumentalisieren lassen dürfe. Dem „Kicker“ erzählte er: „Ich wünsche mir, dass sich die Politik um den Fußball kümmert, wenn es der Fußball braucht.“ Bierhoff sah das Ganze entspannter: Das Foto sei „so symbolträchtig, was Integration und Stellenwert der Nationalmannschaft betrifft, dass wir es positiv betrachten“.
Zweifelsohne wurde Özil von der Kanzlerin und vom DFB-Manager politisch instrumentalisiert, wenngleich für eine gute Sache. Aber vorher gefragt wurde er nicht. Da das Foto im Kontext einer Begegnung mit der Türkei zustande gekommen war, konnte man es auch als „Unser Mesut“ lesen. Merkel hätte ja auch ein anderes Spiel für eine Begegnung mit dem Kicker wählen können. In Deutschland war die politische Rechte über das Foto empört, da Mesut Özil nicht zu Deutschland gehöre. In der Türkei gingen die Nationalisten auf die Barrikaden, die Özil als Verräter brandmarkten. Özil war das Foto mit der deutschen Kanzlerin keineswegs peinlich. Im Gegenteil: Er war stolz darauf, ließ sich Abzüge davon machen und hängte eine Vergrößerung des Bildes in seinem Büro in der Düsseldorfer Königsallee auf.
In den folgenden Monaten und Jahren gab es kaum eine Diskussion über die Themen Zuwanderung und Integration, in der nicht der Name Mesut Özil fiel. Die „Zeit“ kürte ihn zum „Meister-Immigranten“. Ganz anderer Meinung war die US-amerikanische TV-Moderatorin Heather De Lisle, die sich als Sympathisantin der Republikaner bezeichnet. Als in Frank Plasbergs „Hart aber fair“-Sendung diskutiert wurde, wie deutsch dieser Mesut Özil eigentlich sei, meinte De Lisle, Özil sei mitnichten ein Beispiel für gelungene Integration, weil er ja Deutscher sei. Für Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann („Roberto Blanco war immer ein wunderbarer Neger“) war Özil „jemand, der tolle Fähigkeiten einbringt in unsere Gesellschaft“, und folglich „in diesem Land alle Chancen“ bekomme.
Özil äußerte sich in diesen Debatten nicht.
Der Denker des Spiels
Als die deutsche Nationalelf am 10. August 2011 ein Testspiel gegen Brasilien bestritt, stand erstmals auch der 20-jährige Ilkay Gündogan im Kader. Der Mittelfeldspieler von Borussia Dortmund hatte zuvor 17 Spiele für die U18, U19, U20 und U21 des DFB bestritten.
Gündogan stammt wie Özil aus Gelsenkirchen. Sein Großvater war als Bergmann ins Ruhrgebiet eingewandert, sein Vater zog 1979 nach Deutschland. Wie bei Özil wurde auch Gündogans Talent erst relativ spät gewürdigt. Zwar wechselte er als Achtjähriger vom SV Gelsenkirchen-Hessler zu Schalke 04, blieb dort aber nur eine Spielzeit, da er aufgrund von Verletzungsproblemen kaum zum Einsatz kam und seine Trainer ihr für zu schmächtig hielten. Gündogan kehrte zu seinem Stammverein zurück, für den er die nächsten fünf Jahre spielte. 2004 wechselte er zum SSV Buer, einem weiteren Gelsenkirchener Amateurklub. Im Sommer 2005 verpflichtete der VfL Bochum den nun fast 15-Jährigen.
In der Winterpause der Saison 2008/09 holte ihn sein ehemaliger Jugendtrainer und Entdecker Michael Oenning aus der 2. Mannschaft des VfL zum Zweitligisten 1. FC Nürnberg. Oenning hatte schnell gesehen, dass Gündogan „nicht einen goldenen Fuß hatte, sondern zwei. Er hat so außergewöhnliche Sachen mit dem Ball gemacht, dass ich zu ihm hin bin und gesagt habe: Du wirst mal Profi.“ Der Trainer war aber nicht nur von Gündogans Technik beeindruckt, sondern auch von dessen Charakter: „Er war schon damals sehr fokussiert und hat sich nur aufs Sportliche konzentriert. Dass ihn Schalke in der E-Jugend quasi heimgeschickt hat, weil er angeblich zu klein war, hat ihn gewurmt, und das war ein Ansporn.“ Zur Saison 2011/12 wechselte Gündogan zu Borussia Dortmund und wurde dort rasch ein Thema für die Nationalelf.
Erstmals für die A-Elf des DFB durfte Gündogan am 11. Oktober 2011 auflaufen. Deutschland empfing im letzten Qualifikationsspiel für die EM 2012 Belgien und gewann in der Düsseldorfer Esprit Arena mit 3:1. Tor Nummer eins erzielte Mesut Özil. Gündogan durfte nur wenige Minuten mitwirken. In der 84. Minute kam er für Philipp Lahm aufs Feld und war durch diesen Pflichtspieleinsatz fortan nur noch für die DFB-Elf spielberechtigt.
Rassistische Hetze
Zur EM 2012 in Polen und der Ukraine nahm Bundestrainer Jogi Löw sowohl Özil wie Gündogan mit. Letzterer blieb ohne Einsatz, während Özil als Stammspieler zur Zielscheibe rassistischer Hetze wurde. Vor dem letzten EM-Gruppenspiel in Lemberg gegen Dänemark wurde per Twitter die Behauptung verbreitet: „Özil ist garantiert kein Deutscher! Ein Stück Papier ändert nicht die Abstammung.“ Außerdem wurde getwittert, dass in der Nationalmannschaft nur noch Spieler mit deutsch klingenden Namen spielen sollten. Özils Vater Mustafa, Manager seines Sohnes, erstattete Anzeige und bezeichnete diesen Schritt als eine Präventivmaßnahme: „Es geht ja hier nicht allein um Mesut. Morgen ist es vielleicht Boateng, übermorgen Khedira, dann auch noch Gündogan und am Ende Podolski. Das geht doch nicht. (…) Mesut ist in Deutschland geboren, hat mehr für Deutschland getan und auch für die Integration anderer Menschen als viele andere. Er ist ein wunderbarer Junge, der seinen Teil dazu beigetragen hat, dass dieses Bild des modernen Deutschland nach außen getragen wurde.“ Laut Mustafa Özil war die rassistische Beleidigung „nicht der erste Fall oder ein Einzelfall“.
Beim Spiel gegen die Dänen entrollten deutsche Fans ein Banner mit der Aufschrift „Gott sei mit uns“. Dieser Spruch zierte im Zweiten Weltkrieg die Gürtelschnallen der Wehrmachtssoldaten. Volker Goll von der Koordinationsstelle Fanprojekte bestätigte später der Presse, dass es während des Turniers noch weitere Vorfälle mit rechtsradikalen Fans gegeben habe. Der Fotograf und Autor Florian Schubert, Mitglied des Bündnisses Aktiver Fußballfans (BAFF), berichtete in seinem Blog von rassistischen Parolen und Neonazi-Symbolen. Fotos zeigten deutsche Fans in Thor-Steinar-Pullovern oder mit Pickelhaube sowie im deutschen Trikot mit der Nummer „88“ (die „8“ steht für den achten Buchstaben im Alphabet, die „88“ für „Heil Hitler“).
Ebenfalls von der EM-Partie gegen Dänemark berichtete ein Werder-Bremen-Fan, dass in einem Bus das bei Rechtsradikalen beliebte „U-Bahn-Lied“ gesungen wurde, in der Variante: „Eine U-Bahn bauen wir, von Lemberg bis nach Auschwitz“. Fotograf Schubert selbst hörte, wie zur Melodie von „Jingle Bells“ „Besiktas, Trabzonspor, Galatasaray, Fenerbahce Istanbul – wir hassen die Türkei!“ geschmettert wurde. Der „taz“ erzählte er: „Diejenigen, die rassistische Gesänge anstimmen und den Hitlergruß zeigen, sind natürlich eine Minderheit, aber eine akzeptierte. Wirklich erschreckend ist, dass sich andere Fans einen Scheißdreck darum kümmern.“
Als mittlerweile „normal“ galten die stumpfen „Sieg“-Stakkatos, bei denen viele der Rufenden das „Heil“ mitdachten. Sogar Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verurteilte diese Schreie.
Weltmeister Özil
Im September 2013 wechselte Mesut Özil für ca. 50 Mio. Euro zu Arsenal London und war damit der bis dahin teuerste Verkauf in der Geschichte von Real und der teuerste Einkauf der „Gunners“. Außerdem war dies zu diesem Zeitpunkt der teuerste Wechsel eines deutschen Spielers. Özils neuer Coach hieß Arsène Wenger. Dessen argentinischer Kollege Ángel Cappa hatte mal Trainer in zwei Kategorien eingeteilt: „Es gibt Menschen, die essen, um zu genießen. Und es gibt Menschen, die essen nur, um zu scheißen.“ Wenger, der eindeutig zur ersten Kategorie zählt, war ein Özil-Fan: „Ich liebe Mesut Özil, und ich liebe sein Spiel.“
Beim Turnier 2014 in Brasilien wurde Deutschland Weltmeister – mit sechs Migrantenkindern: Jérôme Boateng, Shkodran Mustafi, Sami Khedira, Mesut Özil, Lukas Podolski und Miroslav Klose. Beim Finale gegen Argentinien standen in der Startelf drei Akteure mit Migrationshintergrund: Jérôme Boateng, Mesut Özil und Miroslav Klose. Ein vierter, Sami Khedira, musste wegen einer Verletzung kurzfristig passen. Bester Mann auf dem Platz war Boateng, der einen Innenverteidiger und einen „Sechser“ in Personalunion spielte.
Nahezu jeder Weltmeister hat auf dem Weg zum Titel mindestens ein Spiel, das arge Zweifel an seiner Siegerqualität weckt. Manchmal droht in diesem Spiel sogar das vorzeitige Scheitern. Dass ein Weltmeister in jeder Begegnung eines WM-Turniers überzeugt und souverän siegt, das gibt es kaum. Bei der WM 2014 in Brasilien waren es Deutschlands 128 Minuten und 21 Sekunden im Achtelfinale gegen Algerien, in denen alle Träume zu zerplatzen drohten. Wäre da nicht Keeper Manuel Neuer gewesen. Der Torhüter glänzte in Porto Alegre nicht durch tollkühne Paraden, er war in diesem Spiel nicht der Keeper mit den tausend Händen. Er berührte den Ball vor allem mit dem Fuß und spielte neben dem Torwart auch noch einen überragend antizipierenden Libero. Aber auch Mesut Özil sorgte dafür, dass die deutsche Mission nicht vorzeitig scheiterte. In der 119. Minute erzielte er das erlösende 2:0.
Der historische 7:1-Sieg über Brasilien diente Özil später als Beispiel für gelungene Integration: „Integration ist gut. Integration ist wichtig. Ich wünsche mir, dass Integration immer so verläuft, wie unser Spiel beim WM-Halbfinale 2014, als wir Brasilien mit 7:1 schlugen. Unser Spiel wurde nicht von Egoismus blockiert, sondern durch das Miteinander beflügelt. So muss es auch in der Gesellschaft insgesamt funktionieren, ganz gleich, welche Wurzeln die Mitbürger haben: Zusammen funktionert es immer.“
Für Özil war es kein einfaches Turnier. In der Regel spielte er nicht auf der „Zehn“, wo er seine Fähigkeiten am besten entfalten konnte, sondern auf der „Acht“. Auf der „Zehn“ besaß Löw ausreichend Alternativen, weshalb er seinen ballsichersten Akteur auf die defensivere Position schob. Auf der Außenposition hinter ihm spielte mit Benedikt Höwedes kein gelernter Linksverteidiger, sondern ein Innenverteidiger, der kaum für Angriffsschwung sorgen konnte. Worunter insbesondere Özils Spiel litt. Ohne die Unterstützung durch Höwedes blieb ihm häufig nur die Aufgabe, den Ball zu halten.
Guardiolas Wunschspieler
Ilkay Gündogan war in Brasilien nicht dabei. Sein letztes Länderspiel hatte er am 14. August 2013 gegen Paraguay bestritten. In Kaiserslautern war die deutsche Elf damals schnell mit 0:2 in Rückstand geraten. In der 18. Minute konnte Gündogan mit einem platzierten Schuss aus 18 Metern Entfernung auf 1:2 verkürzen. Neun Minuten später machte der Rücken des Torschützen nicht mehr mit. Gündogan spielte zwar nur 27 Minuten, aber diese reichten, damit der „Kicker“ ihm mit einer „2“ die beste Note aller deutschen Spieler erteilte. Gündogan präsentierte sich agil, ideenreich und lauffreudig. Eine ominöse Rückenverletzung setzte ihn nun über ein Jahr lang matt. Sein nächstes Länderspiel bestritt er erst 586 Tage nach seiner kurzen Galavorstellung auf dem Betzenberg. Am 25. März 2015 war er in einem Testspiel gegen Australien dabei. Beim 2:2 gehörte er mit der Note 3,5 zu den stärkeren Akteuren, der „Kicker“ bewertete nur Reus (2,5) und Khedira (3,0) noch besser.
Gündogan bestritt fünf der Qualifikationsspiele für die EM 2016 in Frankreich. Beim 7:0 in Gibraltar und 3:2 in Schottland konnte er sich in die Liste der Torschützen eintragen. In Glasgow standen mit Gündogan, Özil und Emre Can drei Türkischstämmige in der deutschen Startformation. Weil er sich im Mai 2016 eine Knieverletzung zuzog, die ihn vier Monate lahmlegte, konnte Gündogan bei der EM-Endrunde nicht dabei sein. Der nächste Pflichtspieleinsatz im deutschen Trikot folgte am 8. Oktober 2016 in der WM-Qualifikation gegen Tschechien (3:0). Im Dezember 2016 riss auch noch das Kreuzband – mit der Folge einer neunmonatigen Pause. Gündogan kehrte erst am 10. November 2017 in die DFB-Elf zurück, als man sich von England in Freundschaft torlos trennte.
Im Sommer 2016 war Gündogan zu Manchester City gewechselt. Zeitgleich mit Pep Guardiola, der ein Faible für intelligente Spieler hatte, die das Spiel nicht nur „spielten“, sondern auch „dachten“. Wie eben Ilkay Gündogan, „der an guten Tagen ein Spiel lenkt wie ein Weltklassedirigent sein Orchester“ („Welt am Sonntag“).
Dass Guardiola nicht länger bei den Bayern geblieben war, hatte laut Gündogan auch damit zu tun, dass die Klub-Bosse seiner Verpflichtung nicht zustimmen wollten. Zwei Spielzeiten lang habe der Katalane versucht, ihn nach München zu holen. Dort sollte Gündogan gemeinsam mit Guardiolas anderem Wunschspieler, Thiago, ein Mittelfeldduo nach dem Vorbild von Iniesta und Xavi bilden. Mit diesen beiden hatte der Trainer beim FC Barcelona zweimal die Champions League gewonnen. Der „Zeit“ erzählte Gündogan: „Pep und ich teilen die Idee vom idealen Fußball – also den Ball besitzen, flach kombinieren, im Mittelfeld mit technisch versierten Spielern den Gegner dominieren.“
Als Gündogan wie erwähnt in der zweiten Saisonhälfte 2016/17 verletzungsbedingt ausfiel, verlor City im Titelkampf an Boden und wurde in der Endabrechnung Dritter – 15 Punkte hinter Meister Chelsea. Guardiola galt als sehr ungeduldig bei verletzten Spielern, die nicht schnell genug zurückkommen können. Nicht so bei Gündogan, der vom Trainer zu hören bekam: „Wir werden auf dich warten, Ilkay.“ In der Saison 2017/18 war Gündogan in 30 Meisterschaftsspielen dabei, und City wurde Meister. Guardiola: „Ilkay ist ein fantastischer Mittelfeldspieler mit einer großen Persönlichkeit, der uns in der ersten Jahreshälfte 2017 sehr gefehlt hat.“