Читать книгу Ausgespielt? - Dietrich Schulze-Marmeling - Страница 7
ОглавлениеKAPITEL 1
Die Europameisterschaft 2016:
Schwächelnde Offensive
Mitte der 2010er Jahre hatte der deutsche Fußball international den Gipfel erreicht. Zunächst war 2013 das Finale der Champions League zum ersten Mal eine rein deutsche Angelegenheit. Im Londoner Wembleystadion schlug Bayern München Borussia Dortmund mit 2:1 und holte damit zum fünften Mal den Henkelpott. Und ein Jahr später gewann die deutsche Nationalelf zum vierten Mal den WM-Titel.
Der Triumph von Rio erschien als logischer Höhepunkt einer Entwicklung, die 2004 mit der Übernahme der DFB-Elf durch Jürgen Klinsmann und Joachim „Jogi“ Löw begonnen hatte. Bei den WM-Turnieren 2006 und 2010 war man bereits Dritter geworden, und bei der EM 2008 Zweiter. Dem Turnier in Brasilien war eine enttäuschende EM 2012 vorausgegangen, als man im Halbfinale Italien mit 1:2 unterlag – zu wenig für die gewachsenen Ansprüche, zumal die Niederlage klarer ausgefallen war, als das Ergebnis es andeutete. Aus der Perspektive des WM-Gewinns 2014 erschien dies aber nur als vorübergehendes Zwischentief, verursacht durch einige personelle und taktische Fehlentscheidungen des Bundestrainers im Spiel gegen die Squadra Azzurra.
Nach Rio 2014 genoss der deutsche Fußball weltweit Bewunderung. Im Ausland erzählte man von der „deutschen Fußballschule“. Fast so, wie über 40 Jahre früher (und noch lange danach) von der niederländischen Fußballschule geschwärmt wurde.
Nach dem Gewinn des WM-Titels sollte die Nationalmannschaft auch noch Europameister werden – so, wie es Frankreich 2000 und Spanien 2012 gelungen war. Doch daraus wurde nichts. Vielmehr begann bei der EM 2016 der Abstieg vom Fußballgipfel, der in Russland mit einem Crash endete.
Um dies besser zu verstehen, soll zunächst der Titelgewinn von Rio näher betrachtet werden.
Überschätzt: der Triumph von Rio
2014 wurde die deutsche Nationalelf verdient Weltmeister. Aber ein Durchmarsch war es nicht. In der Vorrunde startete man mit einem furiosen 4:0 gegen Portugal, aber anschließend stotterte der Motor erst einmal: Einem 2:2-Remis gegen Ghana (nach 1:2-Rückstand) folgte ein knappes (aber verdientes) 1:0 gegen die USA. Gegen Algerien drohte im Achtelfinale das Aus, das letztendlich ein überragender Manuel Neuer verhinderte (2:1 n.V.). Im Viertelfinale wurde Frankreich mit 1:0 besiegt, woran Deutschlands Nummer eins erneut einen entscheidenden Anteil hatte. Trotzdem ging das Ergebnis in Ordnung.
Im Halbfinale folgte das legendäre 7:1 über Gastgeber Brasilien. Die damalige Seleção besaß allerdings weniger individuelle Klasse als viele ihrer Vorgänger, zumal gegen Deutschland auch noch „Superstar“ Neymar und mit Thiago Silva der wichtigste Abwehrspieler ausfielen. Im Finale schließlich behielt die DFB-Elf gegen Argentinien nach 120 Minuten mit 1:0 die Oberhand, hätte aber auch verlieren können, wie Philipp Lahm später gegenüber dem Magazin „11 Freunde“ gestand: „Argentinien hatte drei Riesenmöglichkeiten, in Führung zu gehen, und wir in der regulären Spielzeit eine.“
Aus dem Turnier konnte man also nicht den Schluss ziehen: Deutschland wird den Weltfußball über die nächsten Jahre dominieren. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde die Kampagne auf das zauberhafte 7:1 gegen Brasilien reduziert. Ein Spiel, in dem aus deutscher Sicht alles stimmte, auch und gerade die Dramaturgie. Nach weniger als einer halben Stunde stand es bereits 5:0, weil fast jeder Schuss ein Treffer war. Ein Spiel, wie es in 100 Jahren halt nur einmal passiert.
Die Bedeutung des Triumphes von Rio wurde überschätzt – wie schon 24 Jahre zuvor der Triumph von Rom 1990, dem eine magere Europameisterschaft und ein fast schon peinlicher Auftritt bei der WM 1994 in den USA folgten. Die DFB-Elf beendete die EM 1992 zwar als Vize-Europameister, wurde aber in der Gruppenphase von den Niederländern vorgeführt und unterlag im Finale dem Underdog Dänemark, der ohne Vorbereitung in das Turnier eingestiegen war. Bei der WM scheiterte man im Viertelfinale an Bulgarien. Mit einer Mannschaft, die im Vor-Turnier-Vergleich mit ihren Konkurrenten besser abschnitt als die von 2018. Anders als die WM 2018 war das Turnier von 1994 tatsächlich eine vertane Chance.
Mehmet Scholl, ein Kritiker von Jogi Löw, behauptete später, Deutschland sei 2014 nur Weltmeister geworden, weil der Bundestrainer nach dem Achtelfinale seinem Beraterstab nicht mehr vertraut und das unsinnige Spiel mit vier Innenverteidigern aufgegeben habe. Tatsächlich war Löw ein exzellenter Manager seines Personals. Was Löw bis einschließlich des Achtelfinals spielen ließ, war nicht zuletzt den personellen Umständen geschuldet. Er besaß bis auf Philipp Lahm keinen Außenverteidiger von internationaler Klasse. Lahm wurde aber zunächst im defensiven Mittelfeld benötigt, da weder Sami Khedira noch Bastian Schweinsteiger zu Beginn des Turniers fit waren. (Lahms Einsatz auf der „Sechs“ wurde vielfach kritisiert. Allerdings war dies seine Lieblingsposition. Außerdem hatte ihn dort bereits sein Klubtrainer Pep Guardiola spielen lassen, der Lahms Potenzial auf der Position des Außenverteidigers verschwendet sah. Beim FC Bayern hatte Lahm bewiesen, dass er alle Voraussetzungen für die Position des „Sechsers“ mitbrachte: Spielintelligenz, strategisches Geschick, sauberes Passspiel und Pressingresistenz.) Wären Khedira und Schweinsteiger gemeinsam aufgelaufen, hätte im Verlauf der ersten Spiele eine Doppel-Auswechselung gedroht.
Der Bundestrainer spielte auf Zeit. Beim Auftakt gegen Portugal begann die DFB-Elf mit nur einem „Sechser“ – oder einem echten und zwei „halben“. Die „echte Sechs“ war Lahm, Khedira und Toni Kroos spielten rechts bzw. links davor. So sollte vermieden werden, dass Khedira zu viel und in entscheidende Zweikämpfe geriet. Die Konsequenz war, dass die Abwehrkette nun aus vier Innenverteidigern bestand: In der Mitte verteidigten Mats Hummels und Per Mertesacker, auf den Außenpositionen Jérome Boateng (rechts) und Benedikt Höwedes (links). Als gelernter Innenverteidiger konnte Höwedes kaum für Angriffsschwung sorgen. Worunter insbesondere Mesut Özils Spiel litt, der gerne zentral gespielt hätte, wo Löw aber ausreichend Alternativen hatte. So musste Özil auf der linken Seite stürmen, wo ihm – aufgrund der fehlenden Unterstützung von Höwedes – häufig nur die Aufgabe blieb, den Ball zu halten. Erst im Viertelfinale gegen Frankreich konnte Löw sowohl Khedira wie Schweinsteiger von Beginn an aufbieten. Lahm rückte nun auf die Position des rechten Außenverteidigers, Boateng von dort nach innen.
Taktik besteht nicht nur darin, die Stärken des Gegners zu eliminieren und seine eigenen Stärken zum Tragen zu bringen. Taktik besteht auch darin, die eigenen Schwächen zu kaschieren. Dies war Löw in den ersten vier Spielen der WM 2014 gelungen.
Taktisch gut durch die EM 2016
Wenn man die Taktik bei Turnieren betrachtet, muss man die Ansprüche niedriger setzen als beim hochkarätigen Klubfußball. Die Taktikwechsel, die bei einem WM- oder EM-Turnier durch die Nationaltrainer vorgenommen werden, sind begrenzt. Veränderungen erfolgen durch Spielerwechsel, weniger durch grundsätzliche Eingriffe in die Statik des Spiels. Taktische Flexibilität à la Guardiola lässt sich mit einer Nationalelf nur praktizieren, wenn das Gros des Teams aus Spielern eines Vereins besteht, der einen mit der Auswahl (die dann eigentlich keine Auswahl mehr ist …) identischen Fußball spielt. Taktische Flexibilität bedeutet hier nicht nur einen Systemwechsel von Spiel zu Spiel – je nach Gegner, wie es Löw in Frankreich praktizierte (s. u.) –, sondern auch während eines Spiels. Bundesligatrainer Julian Nagelsmann: „Das ist für mich der Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Trainer. Wenn er im Spiel unter größtem Erfolgsund Zeitdruck reagieren kann und die Veränderung funktioniert. Vor dem Spiel einen Plan zu entwickeln ist einfach. Aber wenn es nicht funktioniert, schnell Stellschrauben zu finden, das Spiel lesen und in Lösungen zu übersetzen, das ist die Kunst.“
Deutschland war taktisch und spielerisch die überzeugendste Elf des Turniers in Frankreich. Nach zwei Siegen und einem Remis in der Vorrunde traf die DFB-Elf im Viertelfinale auf Italien. In der 65. Minute schoss Mesut Özil sein Team in Führung, 13 Minuten später konnte Leonardo Bonucci für die Squadra Azzurra vom Elfmeterpunkt ausgleichen. Weitere Tore fielen auch in der Verlängerung nicht. Im anschließenden Elfmeterschießen behielt Deutschland die Oberhand.
Jogi Löw und sein Stab wurden anschließend vom ARD-Experten Mehmet Scholl heftig kritisiert. Die Entscheidung, gegen die Italiener mit einer Dreierkette zu spielen, sei falsch gewesen. Löw höre zu viel auf seinen Scouting-Experten Urs Siegenthaler, der lieber morgens im Bett bleiben solle. Deutschland habe sich dem Spiel der Italiener zu sehr angepasst. Als Weltmeister habe die DFB-Elf geradezu die Verpflichtung, den anderen Teams ihr Spiel aufzuzwingen und deren Stärken zu ignorieren.
Dass Scholl seinen Feldzug gegen taktische Finessen und taktische Flexibilität ausgerechnet anlässlich eines Spiels der deutschen Mannschaft gegen Italien intensivierte, war ein bisschen absurd. Denn Italiens beeindruckende Erfolgsbilanz beruhte nicht zuletzt darauf, dass in dieser Fußballnation die Taktik schon immer groß geschrieben wurde. Das EM-Viertelfinale hatte gezeigt, dass Deutschland hier an Boden gewonnen hatte. Jogi Löw hatte analysiert, warum die Spanier gegen die Italiener verloren hatten. Sie hatten ihr Spiel dem der Italiener taktisch nicht angepasst. Sie hatten die Stärken des Gegners ignoriert und ausschließlich auf ihre eigenen vertraut. Die nach den ersten beiden Spielen hochgelobte Selección, die zum Kreis der Titelanwärter zählte, konnte ihr Spiel nicht durchziehen.
Dem Gegner das eigene Spiel aufzwingen hört sich immer groß an. Gegen einen Underdog funktioniert dies auch häufig. Gegen ein Team, das mit dem eigenen auf Augenhöhe operiert, ist dies schon etwas schwieriger. Wenn ein Trainer immer und wieder erzählt, „Der Gegner muss sich nach uns richten!“, ist der Grund hierfür manchmal schlicht und einfach, dass er in taktischer Hinsicht ziemlich nackt ist. Es funktioniert nicht, wenn der Gegner nicht das geringste Interesse daran hat, sich nach dem eigenen Team zu richten.
Für Julian Nagelsmann war die von Scholl kritisierte „Anpassung“ an das Spiel des Gegners alles andere als eine Schwäche: „Wenn ich erfolgreich sein kann, wenn ich mich an den Gegner anpasse, mache ich das. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Selbst Pep Guardiola richtet sich nach dem Gegner aus, obwohl er mit die besten Spieler hat. Um eben seine Idee vom Fußball besser aufs Feld zu bekommen. Ich nutze die Gegnerorientierung, um unsere Spielidee durchzudrücken.“ In der Saison 2015/16 ließ Guardiola den FC Bayern gegen Ingolstadt und Darmstadt das Spiel zelebrieren, das man gemeinhin unter einem Bayern-Guardiola-Spiel verstand. Gegen den stärkeren BVB agierte er wiederholt anders – das erste Mal (zur Überraschung vieler „Experten“) im Pokalfinale 2014, als er mit einer Dreier- bzw. Fünfer-Kette operierte: Bei Ballbesitz spielten die Bayern mit der Dreier-Kette Boateng, Martinez, Dante. (Dante war gelernter Innenverteidiger, Martinez’ Zuhause war bis dahin die „Sechs“ gewesen, Boateng war vom Außenverteidiger zu einem der weltbesten Innenverteidiger mutiert. Wenn man so will, war dies der Anfang des „Drei-Innenverteidiger-Modells“.) Lahm und Kroos bildeten eine Doppelsechs, davor spielten Müller und Götze als „Halbstürmer“. Die Außen wurden von Rafinha (links) und Pierre-Emile Höjbjerg (rechts) besetzt, die bei Ballverlust die Dreier-Kette zu einer Fünfer-Kette ausbauten und die Offensivaktionen der BVB-Außenverteidiger eindämmten. Guardiola zog so Jürgen Klopps „Umschalt-Monster“ erfolgreich die Zähne.
Löws Entscheidung, gegen Italiens Doppelspitze und die hochstehenden Außen eine Dreierkette aufzubieten, hatte sich als goldrichtig erwiesen. Die Dreierkette aus drei Innenverteidigern verdichtete das Zentrum. Bei gegnerischem Ballbesitz verstärkten Hector und Kimmich diese zu einer Fünferkette. So hatten die Deutschen sowohl die Doppelspitze wie die Außen im Griff, die Hector und Kimmich immer wieder in die Tiefe der italienischen Hälfte drängten. Beim Angriff fehlte dann allerdings ein antrittsschneller Dribbler wie Draxler (oder ein weniger antrittsschneller wie Götze). Da die Zahl der Spieler auf elf begrenzt bleibt, kann man halt nicht alles zur gleichen Zeit haben. Aber alle vorausgegangenen Erfahrungen mit der Squadra Azzurra sprachen für Löws Taktik. Aus dem Spiel heraus ließ man kaum etwas zu. Jan-Christian Müller schrieb in der „Frankfurter Rundschau“: „Es war gut ersichtlich, dass die defensive Stabilität von Höwedes dringend benötigt wurde. Es gab also Gründe, sich so zu entscheiden, wie sich Löw am Samstagabend entschieden hat. (…) Die Abwehr stand stabil gegen umtriebige italienische Angreifer, die Abstände stimmten, jeder im DFB-Team wusste, anders als vor vier Jahren, was gegen den Ball zu tun ist. Ohne den auch vom Spieler selbst schwer zu erklärenden Blackout von Jérome Boateng, ohne den die Italiener wohl nicht mehr ins Spiel zurückgekommen wären, hätte es keine einzige ernst zu nehmende Gegentorchance gegeben.“
Müde und überspielte Stars
Im Halbfinale traf Deutschland auf Frankreich und unterlag dem Gastgeber mit 0:2. Die verletzungsbedingten Ausfälle von Mario Gomez, Hummels und Khedira – und während des Halbfinals auch noch Boateng – waren einfach zu viele. Hinzu kam eine höchst unglückliche Dramaturgie. Nach einer starken französischen Anfangsphase hatten die Deutschen das Spiel komplett dominiert, aber ohne ein Tor zu erzielen, was eine Schwäche des deutschen Auftritts war. Ein Tor fiel stattdessen auf der Gegenseite – durch einen Strafstoß in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit. Den Elfer hatte Schweinsteiger mit einem seltsamen Handspiel verursacht. Strafstöße, die wegen Handspiels ausgesprochen werden, sind besonders ärgerlich, denn oft liegt ihnen nicht einmal die Verhinderung einer Torchance zugrunde. Schweinsteigers Handspiel gehörte in diese Kategorie. Mit der Führung im Rücken war der Rest des Halbfinals für die Franzosen leichter, wenngleich die DFB-Elf auch in diesem Spiel über weite Strecken die bessere war. Aber Frankreich war auch kein unverdienter Sieger.
Welt- und Europameisterschaften sind keine Bühne, auf der die Teilnehmer neue spielphilosophische und taktische Trends präsentieren. Bestenfalls wird wiedergegeben, was man zuvor schon im Klubfußball beobachten konnte. Häufig in einer schlechteren Version. Keine Abhandlung über die WM 1974 ohne die Erwähnung des „Totaalvoetbal“ der Niederländer. Aber bevor die Elftal ihn in Deutschland zelebrierte, wurde er bereits bei Ajax Amsterdam gespielt. Eingeführt von Rinus Michels, der bei der WM auch das Nationalteam betreute – mit Cruyff und anderen Ajax-Akteuren im Team. Spanien spielte beim WM-Sieg 2010 eine von Trainer Vincente del Bosque etwas veränderte Form des Barca-Fußballs – gestützt durch einige Akteure des FC Barcelona. Das 4:2:4-System, mit dem Brasilien 1958 die Welt überraschte, spielten dort bereits seit einigen Jahren Klubs wie Flamengo und Sao Paulo.
Großartige neue taktische Erkenntnisse kann man bei Länderturnieren nicht erwarten. Hierfür sind die Teams in der Regel einfach viel zu wenig eingespielt. Hinzu kommt, dass diese Turniere am Ende einer extrem strapaziösen Saison stattfinden. Thomas Müller bestritt in der Saison 2015/16 einschließlich des EM-Halbfinals 63 Einsätze, was man ihm anmerkte. Es mangelte an mentaler Frische. Als Spieler von Bayern München, das in der Champions League in der Regel das Halbfinale erreicht, und Teilnehmer der WMs 2010 und 2014 sowie EM 2012 absolvierte Müller ein solches Pensum bereits seit Jahren. In den sieben Spielzeiten 2009/10 bis 2015/16 kam Müller auf 429 Pflichtspiele – das macht 61,28 pro Saison. Nicht mitgezählt: die Touren mit dem FC Bayern nach Asien und in die USA, um deren Märkte zu erobern.
Die Zeiten, in denen in der Saisonvorbereitung vorwiegend über die umliegenden Dörfer getingelt wurde, waren vorbei. Franz Beckenbauer spielte in 13 ½ Jahren (erste BL-Saison der Bayern bis Karriereende beim Hamburger SV) 679 Pflichtspiele bzw. 50,29 pro Spielzeit. Dabei muss man noch berücksichtigen, dass die Laufleistung eines Spielers seit Beckenbauers Tagen enorm zugenommen hat und das Spiel schneller und intensiver – also mental und physisch anstrengender – geworden ist. Ewald Lienen: „Unser Fußballbetrieb ist völlig aufgebauscht, die Spitzenspieler sind für mich völlig überlastet. (…) Es geht eben nicht, dass du 60 oder 70 Spiele auf hohem Niveau spielen kannst. Und noch mal und noch mal und noch mal …“ Nicht nur die Zahl der Spiele war ein Problem, sondern auch die damit verbundenen Reisestrapazen (insbesondere Auswärtsspiele in der Champions League und mit der Nationalelf). Wenn der Kopf weitgehend leer ist, bleiben nur noch die Beine. Es dominiert der letzte Rest an Physis. Für kreative Momente reicht es hingegen nicht mehr.
Im Vergleich mit Müller wirkte Jonas Hector in Frankreich körperlich und mental frisch – wohl auch, weil dem „Spätentwickler“ vom 1. FC Köln der europäische Fußball erspart blieb. Das Problem der Übermüdung von Spitzenspielern konnte man erstmals bei der WM 2002 beobachten, als ein überstrapaziertes französisches Starensemble in den drei Vorrundenspielen kein Tor schoss und nur einen Punkt gewann. Damals rannte das „starlose“ Südkorea erst Portugal, dann Italien und schließlich Spanien nieder. Erst im Halbfinale war auch der Akku der Asiaten leer. Um den Verlust an Physis aufzufangen, mangelte es dem Team nun an Technik. Trotzdem lässt sich bei Turnieren beobachten, dass „Underdog“-Teams ihre spielerischen Mängel und das Fehlen individueller Qualität teilweise dadurch kompensieren können, dass viele ihre Spieler weniger strapaziert in die Veranstaltung gehen – was ihrem lauffreudigen und kampflustigen Fußball entgegenkommt.
Wenn Löw nun vorgeworfen wurde, er habe zu viele Spieler mitgenommen, die vor der WM verletzt und beim Start in die Vorbereitung noch nicht wirklich fit waren, folglich in der Endphase zu wenig Spielpraxis gesammelt hatten, muss man berücksichtigen, dass das bei WM 2014 nicht viel anders gewesen war. Khedira hatte sich ein halbes Jahr vor der WM einen Kreuzbandriss zugezogen. Erst am 11. Mai 2014 wirkte Khedira wieder in einem Punktspiel seines Arbeitgebers Real Madrid mit. Schweinsteiger hatte in der Endphase der Saison mit der Patellasehne zu kämpfen und verpasste dadurch das DFB-Pokalfinale gegen Borussia Dortmund. Khedira und Schweinsteiger waren nicht nur Stammkräfte im defensiven Mittelfeld, sondern auch Führungskräfte des Teams. Die Lazarettliste komplettierten Keeper Manuel Neuer sowie Kapitän Philipp Lahm, die sich im Pokalfinale verletzt hatten. Besonders Neuers WM-Einsatz stand einige Wochen in Frage. Richtig fit wurden die drei Bayern-Akteure erst nach dem Eintreffen in Brasilien.
Damals ging Löws Strategie voll auf: Schweinsteiger war im ersten Spiel nicht dabei, im zweiten erst ab der 70. Minute, im dritten nur bis zu 70. Minute – und war später einer der Finalhelden. Auch Khedira wurde zunächst nicht voll belastet. Manchmal gewinnt man den Eindruck, als würden Spieler Zwangspausen in der Saison vor einem Turnier ganz guttun. Bei der EM 2016 galt dies für Jérome Boateng, der in der Saison 2015/16 nur 17 Bundesliga- und sieben Champions-League-Spiele absolvierte. Christoph Metzelder gelang es immer wieder auf wundersame Weise, bei Testspielen verletzt zu fehlen, um dann bei Turnieren voll dabei zu sein. Er bestritt 47 Länderspiele, davon waren aber 28 Pflichtspiele (knapp 60 Prozent) und 19 (gut 40 Prozent) WM-bzw. EM-Endrundenspiele.
Das Mauern der „Kleinen“
Die EM ist keine Meisterschaft, sondern ein auf vier Wochen beschränktes Turnier, bei dem man sich – wie bei einer WM – lieber auf Gewohntes und Simples verlässt. Dass 2016 auch die vier besten Gruppendritten ins Achtelfinale durften, verstärkte dies noch. Die Folgen dieses Modus konnte man erstmals bei der WM 1990 in Italien beobachten, einem schwachen und torarmen Turnier, bei dem beispielsweise in der Gruppe F von sechs Spielen fünf unentschieden endeten. Ein Team dieser Gruppe, Irland, erreichte mit vier Unentschieden plus einem Elfmeterschießen das Viertelfinale.
Auch 2016 in Frankreich agierte man abwartend; vor allem galt dies für die Vorrunde und Begegnungen mit technisch limitierten Teams. Schließlich konnten schon drei Punkte ein Weiterkommen bedeuten. EM-Finalist Portugal zog sieglos ins Achtelfinale ein – drei Remis reichten. Nordirland musste gegen Deutschland nur aufpassen, dass man nicht zu hoch verlor. Bei der nordirischen 0:1-Niederlage war der „Man of the Match“ ein technisch höchstens durchschnittlicher Torwart.
Dass Portugal das Finale erreichte und dieses gegen Frankreich auch noch gewann, mutete wie ein schlechter Witz an. Die Seleção verbuchte ihren ersten Sieg innerhalb der regulären Spielzeit erst im sechsten Spiel, dem Halbfinale. Auch dies war allerdings nicht neu, sondern passiert manchmal bei Turnieren, da sie eben keine Meisterschaften sind. Bei der WM 1990 kam Vize-Weltmeister Argentinien in sieben Spielen nur auf zwei Siege innerhalb der regulären Spielzeit. Allerdings stand die 2016er Finalpaarung Portugal gegen Frankreich auch für einen neuen Trend, der ebenso bei der folgenden WM zu beobachten war. Das Finale bestritten Teams, die keinen aufregenden Fußball spielten, sondern zurückhaltend, phasenweise gar langweilig agierten, aber einige absolute Topakteure in ihren Reihen hatten.
Die Kleinen waren unbequem und manchmal schwer zu bezwingen, weil sie sich auf die Defensivarbeit konzentrierten, um dann bei Gelegenheit zu kontern. Ein derartiges Konzept lässt sich auch mit einer Nationalmannschaft einüben, weil es wenig komplex ist. Auf dem Programm stehen dann Kettenbildung, Mannorientierung, Strafraumverteidigung – also eher sehr konventionelles Verteidigen. Nicht aber Abwehrpressing und Balleroberung. In Frankreich wurde somit vornehmlich reagiert und kaum agiert. Einige Teams standen nur tief und praktizierten Mannorientierung bis hin zur Bildung einer Sechser-Kette. Spannende Defensivkonzepte gab es kaum zu besichtigen. Solche Truppen machen es auch überlegenen Gegnern schwer. Mario Gomez: „Auffällig ist, dass es bei einer Endrunde nicht mehr diesen Gegner gibt, den man mit 5:0 aus dem Stadion schießt. Auch alle Außenseiter können diszipliniert verteidigen – und tun dies auch. Das erfordert Geduld bei den Favoriten.“
Dieser Eindruck wurde durch die Statistik bestätigt. Mehr „Kleine“ im Turnier bedeutete nicht, dass auch mehr Tore (geschossen von den „Großen“) fielen. In den 36 Vorrundenspielen gab es 69 Tore – macht 1,9 pro Spiel. 2012, als nur 16 Mannschaften qualifiziert waren (und damit auch weniger „Kleine“ als 2016), wurden 2,5 pro Spiel erzielt. Die „torschwächste“ Gruppe war im Übrigen die der Deutschen: In den sechs Spielen fielen nur sieben Tore – also 1,16 pro Spiel. Deutschland wurde mit 3:0 Toren Gruppensieger, gefolgt von Polen (2:0).
Die EM in Frankreich demonstrierte eindrucksvoll, wie sich die „Kleinen“ gegen die „Großen“ wehren können: Mit viel Defensive, meist höchst konventioneller Art. Das ist nicht schön, aber es gibt auch kein Gesetz, das schönen und offensivfreudigen Fußball vorschreibt. Für die „Kleinen“ geht es stets ums Überleben – und da ist jedes Mittel recht. Sich hinten reinzustellen und zu kontern, ist einfach zu trainieren, aber auch für technisch und spielerisch überlegene Mannschaften schwer zu bespielen. Stefan Reinartz, ehemaliger Bundesligaspieler und bekannt für die Konzeption des Analyseparameters „Packing“, kommentierte: „Es wundert mich fast, dass in der Bundesliga so wenige Mannschaften so spielen. Die EM hat gezeigt, dass der als unmodern verschriene Konterfußball erfolgversprechend ist.“ Man mochte dies bedauern. Man konnte dies aber auch so sehen wie Reinartz: „Die Großen sind im Vereinsfußball ja kaum noch zu schlagen. Wenn man dem eine defensive Kontertaktik entgegensetzen kann, finde ich das super.“ (Nach der EM gingen die „Kleinen“ auch in der Bundesliga dazu über …)
Aber die Chance auf ein eigenes Tor ist für diese Mannschaften komplett von Glück und Zufall abhängig. Bei der EM 2016 war das Konterspiel nur bei wenigen von ihnen (Wales, Island) wirklich durchdacht. Und wenn die „Kleinen“ das Spiel selber machen mussten, wurde es richtig schwierig. Das Achtelfinale Wales gegen Nordirland war deshalb auch die schlechteste Begegnung des Turniers.
Nicht viel falsch gemacht
In Frankreich war der Unterschied zwischen Deutschland, Italien, Spanien einerseits sowie England, Portugal, Belgien andererseits: Die ersten drei genannten Teams hatten eine Spielidee und Pläne, wie man mit viel Ballbesitz gegen extrem tiefstehende Gegner operieren kann (Spanien hatte allerdings nur einen Plan A, weshalb man gegen Italien ausschied). Hierfür bedarf es taktisch gut geschulter Spieler und individueller Qualität, die es aber richtig einzusetzen gilt. Deutschland besaß den Vorteil vieler Spieler, die durch die Schulen Guardiolas und Tuchels gegangen waren: Neuer, Boateng, Kimmich, Hummels, Kroos, Müller, Götze, Schweinsteiger. Spieler, die gelernt hatten, eine solche Herausforderung mithilfe eines Plans zu bewältigen. Hinzu kamen Hochbegabte wie Özil, Draxler und intelligente Spieler wie Hector und Khedira.
Trainer wie Pep Guardiola oder Thomas Tuchel denken sich jede Woche einen neuen, auf den Gegner bezogenen Plan aus, ohne die eigene Spielauffassung aus den Augen zu verlieren. Dies gilt natürlich auch für Löw, der ein extrem anspruchsvoller Trainer ist und sich wie Guardiola und Tuchel ständig auf der Suche nach neuen Wegen und mehr Flexibilität befindet. Löw, Guardiola und Tuchel pflegen ähnliche Fußballphilosophien – was Löws Anspruch, dass die Mannschaft wie eine Vereinsmannschaft funktioniert (einschließlich taktischer Flexibilität), entgegenkam.
Die Mannschaft, mit der Löw nach Frankreich reiste, war eine etwas andere als 2014. Wichtige Säulen wie Lahm und Klose waren nicht mehr dabei, dafür acht neue Spieler an Bord. Tatsächlich überraschte Löws Elf bis zum Halbfinale eher positiv. Angesichts der Ausfälle und einiger angeschlagener und überstrapazierter Spieler war sie nicht zwingend als Anwärter auf den Titel angetreten. Doch nach fünf Spielen hatte die Elf erst ein Gegentor kassiert – gegen Italien vom Elfmeterpunkt.
Wer in sechs Spielen plus einer Verlängerung nur ein Tor aus dem Spiel heraus kassiert (und zwei durch Elfmeter, bei denen das vorausgegangene Handspiel keine echte Torchance verhinderte) und zudem über weite Strecken das Spiel bestimmt, hat taktisch ziemlich viel richtig gemacht.
Aber im direkten Vergleich mit Frankreich musste man auch einräumen: Deutschland hatte wahnsinnig tolle Kombinationsspieler, die sich gerne in den Halbräumen bewegten und wunderbaren Fußball spielten, aber sie ähnelten sich zu sehr. Das erschwerte das Spiel im letzten Drittel. Und dies zeigte sich bereits in der Qualifikation zur EM 2016: Gegen die sehr defensiv auftretende Republik Irland reichte es in 180 Minuten nur zu einem Tor. Und in der Gesamtabrechnung hatte das DFB-Team nur fünf Tore mehr geschossen als die wenig torhungrigen Iren.
Defensive schlägt Offensive
Nicht nur Deutschland hatte in Frankreich Offensivprobleme. Nur 2,05 Tore pro Spiel bei dieser EM ließen darauf schließen, dass sich nicht nur die Deutschen darüber Gedanken machen mussten, wie man in Zukunft starke Abwehrreihen knackt. Die DFB-Elf kam in sechs Spielen bzw. 570 Minuten nur zu sieben Toren. Europameister Portugal kam in sieben Spielen bzw. 720 Minuten auch nur zu neun. Deutschland schoss alle 81 Minuten ein Tor, Portugal alle 80. Entscheidend war, dass Portugal in 330 Minuten K.o.-Fußball kein Tor mehr kassierte.
Viel komplizierter und anspruchsvoller als das Verteidigen ist das Einüben von Strategien gegen massive Abwehrreihen. Dass Spanien von 2008 bis 2012 die internationalen Wettbewerbe dominierte, war auch der Tatsache geschuldet, dass die Nationalspieler aus den Reihen des FC Barcelona sich Woche für Woche – nicht nur in der heimischen Liga, sondern auch in der Champions League – mit tiefstehenden Gegnern auseinandersetzen mussten. Und mit Pep Guardiola hatte Barça einen Trainer, der akribisch an dieser Herausforderung arbeitete. Xavi, Iniesta und Co. wussten, wie man einen im Strafraum geparkten Bus auseinandermontiert.
Die Situation erinnerte nun ein bisschen an die 1960er, als in Amsterdam mit dem „Totaalvoetbal“ die vielleicht bedeutendste taktische Revolution gestartet wurde. Auch damals war der Auslöser, dass sich das in der Regel hochüberlegene Ajax mit extrem defensiven Gegnern konfrontiert sah. Nun war die Situation für die Spanier noch komplizierter, da sich seit den 1960ern das Verteidigen weiter verbessert hatte, auch aufgrund der weiter deutlich verbesserten Physis.
Wenn die Physis weitgehend ausgereizt ist und die Abwehrreihen stehen, dann bleiben als Entwicklungspotenziale noch taktische Flexibilität, kognitive Handlungsschnelligkeit (die eine gute Technik voraussetzt) und eben die Suche nach neuen Wegen gegen tiefstehende Gegner. Julian Nagelsmann auf die Frage nach dem Fußball der Zukunft: „Entwicklungen wird es eher im Offensivspiel geben. Dass viele Tore nach schnellem Umschalten fallen, kann man als Erfolgsformel erkennen und trainieren. Man kann es aber auch so interpretieren, dass man zu wenige Lösungen bei eigenem Ballbesitz hat. Umschaltspiel ist auch viel leichter zu trainieren. Aber Lösungen zu finden gerade gegen tiefstehende Teams, das wird die Aufgabe.“
Der Ball lag somit im Hof der „Großen“. Und zu den „Großen“ gehört auch die deutsche Nationalelf, die sich seit der Revolution von 2004 stark entwickelt hatte (wie der deutsche Fußball insgesamt). Aber da sich auch andere entwickelten, und nicht immer in die Richtung, die die Deutschen sich wünschten (Löw hoffte nach der Vorrunde auf offenere Spiele, woraus nichts wurde), ergaben sich immer wieder auch neue Defizite. Und bislang ist auch kaum etwas, was auf den Misthaufen von Fußballtaktiken und Spielphilosophien verbannt wurde, nicht irgendwann wieder aufgetaucht – häufig in modifizierter Form.
Ballbesitz
Bereits nach der EM 2016 wurde als Grund für das „deutsche Scheitern“ der „Ballbesitzfußball“ entdeckt. Was unter „Ballbesitzfußball“ zu verstehen ist, bleibt häufig unklar. Guter „Ballbesitzfußball“ sieht so aus: schnelles, präzises Passspiel mit dynamischen Positionswechseln, das den Gegner müde und aus seiner Ordnung spielt. Es ist wesentlich anstrengender, dem Ball und den Bewegungen des Gegners ständig hinterherzuschauen, als selber mit dem Ball zu arbeiten. Schnelles, präzises Passspiel mit Positionswechseln öffnet Räume, in die man dann mit Pässen in die Tiefe oder Dribblings hineinstoßen kann. Beim Ballbesitz positioniert sich das Team breit, um die Aufstellung des Gegners auseinanderzuziehen und Räume für Pässe in die Tiefe zu schaffen. Bei der EM 2016 (und bei der WM 2018 ebenfalls) war ein Manko im deutschen Ballbesitzkick, dass zu häufig in den Fuß statt in den Lauf gepasst wurde.
Beim Ballbesitz offensiv steht die Mannschaft sehr hoch. Wie man es defensiv macht, demonstrierte Spanien gegen Portugal bei der WM 2018. Nachdem die spanische Selección in Führung gegangen war, praktizierte sie den Ballbesitz tiefer, um Portugal nicht an den Ball kommen zu lassen, herauszulocken und dadurch Räume vor und hinter der Abwehr zu eröffnen. Gerade hierzu bedarf es eines technisch perfekten Kurzpassspiels, mit dem sich der Ball auch unter Druck halten lässt. Beliebt und effektiv: Der Torwart passt unter Druck vertikal zu einem Mittelfeldspieler, vor dem sich nun ein großer Raum auftut. Wirkungsvoll gegen hoch pressende Gegner – wenn man es beherrscht. Des Weiteren nimmt man durch das Herstellen von Überzahl im Mittelfeld das Tempo aus dem Spiel.
Bei den WM-Turnieren 2010 und 2014 triumphierten mit Spanien und Deutschland Mannschaften, die die Philosophie des Ballbesitzfußballs verfolgten und beherrschten. Dass sie damit Erfolg hatten, lag auch daran, dass sich beide Teams auf einen großen Block von Spielern stützen konnten, die beim selben Verein spielten. Bei einem Verein, der „Ballbesitzfußball“ praktizierte. Im Übrigen hieß der Trainer des Vereins in beiden Fällen Pep Guardiola. Beim Anpfiff des WM-Finales 2010 standen mit Piqué, Pujol, Busquets, Iniesta, Xavi und Pedro sechs Spieler des FC Barcelona auf dem Platz, die u. a. von Reals Xabi Alonso, auch er ein „Ballbesitzfußballer“, unterstützt wurden. Später kam noch Fàbregas hinzu, der zwar bei Arsenal London spielte, zuvor aber die Barca-Schule durchlaufen hatte. Das WM-Finale 2014 liefert ein fast identisches Bild. Deutschland begann mit sechs Akteuren des FC Bayern: Neuer, Boateng, Lahm, Kroos, Schweinsteiger und Müller. Später kam mit Götze noch ein siebter Bayern-Spieler aufs Feld.
Wenn bei der EM 2016 der Gegner tief und eng stand und die Deutschen das Spiel verlagerten, waren die Außenverteidiger die Zielspieler, hochstehend und breit an den Linien. Diese waren ausgebildete „Sechser“ und keine Dribbler. Damit entfiel schon mal die Option des offensiven Eins-gegen-eins. Jonas Hector war defensiv stark, in der Offensive konnte er nur flanken. Und seine Flanken waren schlecht. Von 33 kamen nur zwei an. (Wobei Flanken als Mittel auch überschätzt werden. Österreich schlug in der Vorrunde über 50 Flanken, ohne ein einziges Tor zu erzielen. Gerade gegen tiefstehende Verteidigungen hofft man beim Flanken auf Zufall und Glück.) Und Joshua Kimmich beendete nur drei seiner neun Dribblings erfolgreich. Hector und Kimmich sind keine gelernten Außenverteidiger. Beim FC Bayern standen in der Saison 2015/16 Spieler wie Costa, Ribéry, Robben oder Coman an den Außenlinien, und die Außenverteidiger füllten stattdessen das Zentrum. Bei der DFB-Elf entfiel diese Option, da auf den offensiven Flügelpositionen zentrumsorientierte Spieler spielten, weshalb Hector und Kimmich Breite geben mussten. Sie konnten nicht so eingesetzt werden wie Lahm oder Alaba bei den Guardiola-Bayern.
Der FC Bayern versucht immer, jeden deutschen Spieler, der seinen Ansprüchen gerecht werden kann, zu verpflichten. Mit deutschen Spielern waren beim Rekordmeister in der Saison 2015/16 folgende Positionen und Spielertypen abgedeckt: Torwart: Neuer; Innenverteidigung: Boateng, Hummels, Badstuber; „Sechser“: Kimmich; Mittelfeld offensiv: Müller, Götze. Was fehlte, waren Außenverteidiger (abgesehen von Lahm), Dribbler (vier Spieler, alle anderer Nationalität), Stürmer. Schon 2016 war also deutlich, woran es dem deutschen Fußball mangelte, wo es in der Ausbildung haperte: Es fehlten klassische Außenverteidiger, „Neuner“, Eins-gegen-eins-Spezialisten. Der Fokus lag einige Jahre extrem auf den Zentrumspositionen (und auf kurzen Ballhaltezeiten, „One touch“-Fußball). Hier existierte eher ein Überangebot. Wenn man eine Sache fördert, bei der man vorher Defi-zite hatte, werden andere Dinge auch mal zu stark vernachlässigt.
Es wird manchmal so getan, als sei die Verweigerung des Ballbesitzes eine besonders clevere Taktik. Mehr Ballbesitz ist häufig nur Ausdruck von technischer und spielerischer Überlegenheit, der der Gegner dann ein Umschaltspiel bzw. Konterfußball aus der Tiefe entgegensetzt. Ein Spiel, bei dem beide Mannschaften weniger als 50 Prozent Ballbesitz verzeichnen, gibt es nun mal nicht. Und gegen tiefstehende Teams wie Island oder Nordirland wird eine deutsche Nationalelf nie Konterfußball spielen können.
Wenn Island bei der EM 2016 im Schnitt auf nur 35 Prozent Ballbesitz kam, dann auch deshalb, weil der Gegner im Umgang mit dem Ball überlegen war. Anders gesagt: Weil die Isländer kaum dazu in der Lage waren, den Ball mal in den eigenen Reihen zu halten, um ihr Spiel in Ruhe aufzubauen. Weniger Ballbesitz bedeutet häufig auch mehr Kraftaufwand. Technisch gute Teams machen das Spiel mit dem Ball schnell und lassen mehr den Ball als die Beine laufen – gemäß dem Cruyff’schen Motto: „Der Ball wird nicht müde.“ Wohl aber der Gegner, der frustriert zuschauen muss, wie die Kugel vor seinen Augen hin- und hergepasst wird, ohne dass er trotz aller Anstrengungen an sie herankommt. Island-Coach Lars Lagerbäck hatte dies erkannt, als er sein Team vor dem EM-Viertelfinale ermahnte, mehr Ruhepausen einzubauen und nach Ballgewinn „cooler“ zu werden.
Ballbesitz allein reicht aber nicht. Es kommt darauf an, was man damit anstellt. Einigen Mannschaften gibt man auch gerne mal den Ball, weil man weiß, dass sie keinen Plan haben. Sie verlieren den Ball wieder schnell, was die Möglichkeit zum blitzschnellen Angriff bietet, bei dem sich der Gegner taktisch und gedanklich noch im Ballbesitz-Modus befindet.
England wollte bei dieser EM anders spielen als früher. Beim Spiel England gegen Island verbuchten die Three Lions 68 Prozent Ballbesitz. Natürlich hatte Island auch Glück. Aber England hatte eben auch Schwächen im Positionsspiel (fehlende Breite), und die Spieler waren mit der Idee des Ballbesitzes nicht vertraut (fehlende Geduld) und verstrickten sich daher in hektische Einzel- und Verzweiflungsaktionen. Die Chancen, die sie hatten, waren vornehmlich Fernschüsse oder Wühlaktionen, keine klaren Abschlüsse. Am Ende gewannen die Isländer das Achtelfinale mit 2:1. Der einzige Treffer für England fiel per Elfmeter.
Der „Neuner“ und der „falsche Neuner“
Nach der deutschen Niederlage gegen Frankreich schrieb Jan-Christian Müller in der „Frankfurter Rundschau“: „Es wird nun im ganzen Land nach einem Torjäger gerufen, und in manchen Medien wird Joachim Löw zumindest eine Teilschuld daran gegeben, dass er diese Entwicklung aufgehalten hätte mit seiner Erfindung der ‚falschen Neun‘ in der Nationalmannschaft. Der Vorwurf ist einigermaßen absurd. Denn Löw hat nur darauf reagiert, dass nach Miroslav Klose kein weiterer Topmann stabil zur Verfügung stand.“
Dem war wenig hinzuzufügen. Aber schauen wir erst einmal, was das Fußballvolk bzw. die Millionen von Bundestrainern gemeinhin unter einem „Neuner“ (bzw. klassischen Mittelstürmer) verstehen: Der Spieler sollte sich vorwiegend im gegnerischen Strafraum aufhalten; er sollte groß und kopfballstark (und damit ein Empfänger von Flanken) und ein „Knipser“ sein.
In der Bundesliga-Torschützenliste der Saison 2015/16 belegte der beste Deutsche mit 20 Toren Platz drei. Der hieß Thomas Müller und war kein „Neuner“. Zweitbester Deutscher war mit 14 Toren in 32 Spielen Sandro Wagner, der mit einer Größe von 1,94 Metern und einer sehr guten Chancenverwertung (viele Vorlagen bekam er als Spieler von Darmstadt 98 nicht serviert) tatsächlich den klassischen Vorstellungen vom „Neuner“ entsprach. Auf Rang drei rangierte Moritz Hartmann vom FC Ingolstadt, den einige Leser möglicherweise nicht einmal kennen. Der damals 30-jährige Stürmer hatte zwölf Tore geschossen. Ein exzellenter Strafraumspieler, jedenfalls wenn Ball und Gegner ruhten. Hartmann traf siebenmal vom Elfmeterpunkt. Des Weiteren fand man unter den ersten 30 der Rangliste u. a. Marco Reus (12 Tore in 29 Spielen), André Schürrle (9/29), Julian Brandt (9/29) und Daniel Didavi (9/29), die allesamt unbestritten keine „Neuner“ sind. Es blieben noch Pierre-Michel Lasogga (8/30), Kevin Volland (8/33), Nicolai Müller (9/29) und Alexander Meier (12/29). Deutschlands erfolgreichster Torschütze spielte im Ausland, hieß Mario Gomez und war in der Saison 2015/16 mit 26 Treffern Torschützenkönig der türkischen Super Liga. Er war bei der EM dann auch Stammspieler.
Lasogga sollte Anfang 2014 in der Nationalelf debütieren, musste aber verletzt absagen und fand anschließend – offenkundig aus sport-lichen Erwägungen – keine Berücksichtigung mehr. Kevin Volland wurde vor der WM 2014 lautstark als Mittelstürmer gerufen, wobei übersehen wurde, dass Volland ein Außenspieler ist. Nicolai Müller misst nur 1,73 Meter und ist vor allem ein Sprinter, benötigt also Raum vor sich, um seine Qualitäten auszuspielen. Alexander Meier (1,96 Meter) spielte im offensiven Mittelfeld oder im Sturm und war in der Saison 2014/15 mit 19 Toren Bundesliga-Torschützenkönig. Noch weniger (18) reichten für die Kanone zuletzt in der Saison 2001/02 (Martin Max, Marcio Amoroso). Karim Bellarabi, dessen Daheimbleiben bei der EM 2016 manche bedauerten, war auch kein „Neuner“ und zudem nicht sonderlich torgefährlich. In der Saison 2015/16 standen sechs Tore in 33 Bundesligaspielen und null bei sechs Champions-League-Auftritten zu Buche. Max Kruse, im März nach Vorfällen abseits des Platzes aus der Nationalmannschaft gestrichen, spielte beim VfL Wolfsburg eine mäßige Saison und traf in 32 Spielen nur sechsmal. Sandro Wagner schließlich, wie erwähnt in der Saison 2015/16 zweitbester deutscher Torschütze in der Bundesliga, war ein ähnlicher Stürmer-Typ wie Gomez und galt persönlich als problematischer.
Es wird manchmal so getan, als sei der „falsche Neuner“ eine seltsame Erfindung Jogi Löws gewesen. Teil eines infamen Planes, dem deutschen Fußball auch noch das letzte „Deutsche“ auszutreiben. Die Geschichte seiner Entstehung ist aber eine andere. Der traditionelle Mittelstürmer war vor einiger Zeit in die Krise geraten, erwies sich gegen intelligente Abwehrreihen wiederholt als uneffektiv. Wurde der „Neuner“ durch enge Bewachung aus dem Spiel genommen, spielte man de facto in Unterzahl. Die alte Sturmspitze musste sozusagen „beweglicher“ gemacht und mehr in das Restspiel eingebunden werden, häufiger den Strafraum verlassen und die Position wechseln, um sich für den Gegner weniger fassbar zu machen. Das Toreschießen wurde zugleich auf mehrere Schultern verlagert. Die modifizierte Sturmspitze durfte auch als Vorbereiter glänzen. Der FC Barcelona war hier die stilbildende Mannschaft – und Barça war erfolgreich.
Pep Guardiola arbeitete in seinen letzten beiden Spielzeiten als Barça-Trainer ohne eine klassische Sturmspitze. Mit einem „falschen“, „halben“ oder auch „verkappten Neuner“ ließ bereits Johan Cruyff spielen. Wenn der Gegner drei Stürmer gegen Barça aufbot, zog Cruyff seinen zentralen Stürmer zurück, um eine zahlenmäßige Überlegenheit im Mittelfeld zu sichern. Unter Guardiola wurde der „halbe Neuner“ von Lionel Messi gespielt, der von außen in die Mitte zog. Messi war irgendwo zwischen der Neun, der Zehn, der Elf und der Sieben anzusiedeln. In dieser Rolle konnte er sich am besten entfalten – zum Leidwesen von mannschaftsinternen Konkurrenten wie Zlatan Ibrahimovic und David Villa. In der Tat hatten es klassische Sturmspitzen bei Guardiola schwer. Was aber auch mit Messi zu tun hatte, der dem „Neuner“ keinen Platz ließ. Und Messis Torgefährlichkeit ist ja legendär: Stand August 2018 sind es 312 Tore in 348 Ligaspielen, 83 Tore in 106 Champions-League-Begegnungen. So einem Spieler erfüllt man jeden Wunsch.
Der englische Taktikexperte Jonathan Wilson erzählte bereits 2010 dem österreichischen Fußballmagazin „ballesterer“, dass der „falsche Neuner“ zwar auf Spieler wie den Österreicher Matthias Sindelar und den Ungarn Nandor Hidegkuti zurückgeht, die Vorbereiter und Vollstrecker in einer Person waren. Allerdings hätten diese – wie der klassische „Zehner“ – immer mindestens einen Mitspieler vor sich gehabt, was nicht mehr der Fall sein muss, „wenn der zentrale Stürmer, um Platz zu schaffen, auf die Seite wechselt“. Der Unterschied der Generation Messi zu Diego Maradona und anderen klassischen „Zehnern“ sei, dass sie auch über die Flügel kommen, da der Raum im Zentrum immer enger geworden ist. Wilson: „Man muss immer schauen, wo es Platz gibt, um zu beschleunigen. Wenn du am Flügel spielst und an deinem Gegenspieler vorbei nach innen ziehst, hast du einige Meter Platz bis zum Innenverteidiger. Das Ganze wird noch verschärft, wenn ein Spieler wie Messi den Ball dann auf dem stärkeren Fuß hat. (…) Es sind keine klassischen Stürmer und auch keine Flügelstürmer, weil sie aus dem Raum kommen. Messi geht in der Regel nicht außen an seinem Gegenspieler vorbei, um eine Flanke zu schlagen.“
Es war nicht so, dass Guardiola dem „klassischen Neuner“ per se eine Absage erteilte. Guardiolas „falscher Neuner“ hatte auch etwas mit Anpassung zu tun – Anpassung an das Spielermaterial und hier vor allem an den in die Mitte drängenden Messi.
Löws „falscher Neuner“ war sicherlich dem Wunsch nach mehr Flexibilität im Angriffsspiel geschuldet. Aber er war auch aus der Not geboren. In Mario Götze sah man einen „Messi-ähnlichen“ Spieler, der den „klassischen Neuner“ ersetzen könnte. Als Götze vom BVB zu den Bayern wechselte, behauptete Jürgen Klopp, Götze sei ein „Wunschspieler Guardiolas“. Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb: „Er ist sozusagen Guardiolas neuer Messi. (…) Dank seines tiefen Körperschwerpunkts vermag er sich durch kurze Drehungen auf engstem Raum größtmögliche Gestaltungsmöglichkeiten zu erarbeiten und völlig neue, zuvor für niemanden sichtbare Spielsituationen zu gestalten, er besitzt zudem ein ausgeprägtes Gefühl dafür, im richtigen Moment perfekt temperierte Pässe in die Schnittstellen zu spielen, und traut sich, Vorstöße bis tief in den gegnerischen Strafraum hinein zu laufen und abzuschließen.“ Götze interpretiere seine Rolle „sehr fließend“ und ließe sich „ganz ähnlich, wie das Gespenst Messi zu tun pflegt, (…) regelmäßig abwechselnd auf sämtliche Positionen im Mittelfeld zurückfallen“. Spieler wie Götze könnten das Spiel der Bayern weiter in Richtung Barça rücken.
Dass sich diese Erwartungen nicht erfüllten, hat mehrere Gründe. Dazu gehören auch Götzes Verletzungen. Vermutlich wurde er aber auch etwas überschätzt. Ohnehin weist Götze deutlich weniger Ähnlichkeiten mit Messi auf als immer dargestellt. Er ist Iniesta viel ähnlicher als Messi. Er hat weder dessen Antritt, noch dessen Dribbelfähigkeiten und ist viel mehr von den Spielern neben ihm abhängig als der Argentinier. René Maric schrieb auf „spielverlagerung.de“: „Götze kann schlichtweg nicht konstant aus statischen Positionen gefährliche Chancen kreieren oder aus torentfernten Räumen mithilfe von wenigen Aktionen und in Unterzahlsituationen Präsenz erzeugen.“
Auch Miroslav Klose war kein typischer „Neuner“. Er war technisch exzellent, beweglich, vielseitig. Aber auch ein Klose hat in der Nationalmannschaft nicht Tore am Fließband geschossen, ungeachtet der Tatsache, dass er bei den WM-Turnieren 2002, 2006, 2010 und 2014 insgesamt 16-mal traf. Bei der WM 2002 entfielen drei seiner fünf Tore auf ein Spiel – auf das 8:0 gegen Saudi-Arabien, als er dreimal per Kopf erfolgreich war. 2006 waren vier der fünf Tore „Doppelpacks“ in der Vorrunde. Sie fielen gegen Costa Rica und Ecuador, die nicht gerade zu den Großen des Weltfußballs zählten. Klose war zwar immer für ein Tor gut, aber es war zugleich eben nicht so, dass er gegen Top-Gegner in Serie traf – ohne dass diese Feststellung Kloses Leistung schmälern soll. Und Gomez, auf den Löw setzte, als Götze als „falscher Neuner“ nicht reüssierte? Der war mit seinen 1,89 Metern schon eher ein „klassischer Neuner“, traf immerhin zweimal und bereitete Özils Treffer im EM-Viertelfinale 2016 gegen Italien „klosemäßig“ vor.
Aber auch ein Gomez konnte die deutschen Probleme im Angriffsspiel allein nicht lösen. In Frankreich war ein großes Problem das Fehlen dribbelfähiger Außenverteidiger und offensiver Flügelspieler, die von der Linie kommen und im gegnerischen Drittel auch mal Gegenspieler aussteigen lassen können. Hiermit korrespondierte das Problem des häufig fehlenden Tempos im deutschen Spiel. Es gibt wenige Spieler – Draxler war bei der EM 2016 gegen die Slowakei die Ausnahme –, die im Ballbesitz mit Tempo auf den Gegner zugehen. Es fehlte einfach an Spielern, die in die Tiefe gehen können und dabei den technischen Ansprüchen genügen. Dabei war es letztendlich egal, ob es sich um Außenverteidiger oder Flügelstürmer handelte.
Frankreichs Offensive hatte schon bei der EM 2016 einfach mehr Stärken zu bieten und war deutlich vielseitiger: Antoine Griezmann (Vollstrecker), Olivier Giroud (Brecher), Dimitri Payet (Eins-gegeneins und Abschluss aus der zweiten Reihe), Kingsley Coman (Geschwindigkeit, Eins-gegen-eins), Paul Pogba (Technik, Wucht), André-Pierre Gignac (irgendwie von allem ein bisschen). Bei der WM 2018 waren es dann Griezmann, Giroud, Pogba, Florian Thauvin, Thomas Lemar, Ousmane Dembélé und der fantastische Kylian Mbappé. Trainer Didier Deschamps konnte bei beiden Turnieren eine breite Palette an Fähigkeiten auf allerhöchstem Niveau aufbieten. Die fehlte Deutschland schon bei der EM 2016, vor allem nach dem Ausfall von Gomez. Gomez wurde im Halbfinale gegen Frankreich als Zielspieler vermisst. Leroy Sané war ein ganz anderer Typ als die, die sonst gespielt hatten. Der 20-Jährige Flügelstürmer stand für Geschwindigkeit, Dribbling und überraschende Momente. Aber Löw brachte ihn erst in der 79. Minute des Halbfinales aufs Feld. Seine Einwechslung veränderte unmittelbar die Dynamiken im letzten Drittel. Einmal verfehlte er nur knapp das Tor, ein anderes Mal wurde er bei einem Dribbling zu Fall gebracht. Sané kam zu spät, um das Ergebnis des Spiels noch zu beeinflussen. Dass er bei diesem Turnier nur 16 Minuten (einschließlich Nachspielzeit) Spielpraxis bekam, war unverständlich.
Mitarbeit: Kieran Schulze-Marmeling