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Reif für die Insel

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Ich hatte schon wieder mehrere Stunden am Computer gesessen und nicht bemerkt, dass es draußen dunkel geworden war. Es war einer der trüben Novembertage, wo es tagsüber nicht richtig hell wurde und man bei dem nasskalten Wetter an schönere Tage im Frühling oder Sommer dachte. Auf diversen Reiseportalen im Internet kann man sich die schönsten Reiseziele mit Bildern und detaillierten Angaben ansehen, um sich für eine kleine „Urlaubs-Romanze“ zu motivieren …

Anfangs widmete ich mich unseren Finanzen, bei denen es teilweise so trüb wie bei dem Wetter aussah, aber mit entsprechenden Excel-Tabellen konnte man sich die Zukunft auch rosig rechnen. Später musste ich noch Fotos sortieren und unsere Mailkonten aufräumen und dann kam ich zur Kür – nämlich diverse Reiseziele für das nächste Frühjahr zu durchforsten. Inmitten dieser angenehmen Beschäftigung rief mich eine vertraute Stimme in den Alltag zurück: „Willst du heute wieder so spät essen, du weißt, dass ist ungesund?“, rief meine Frau aus dem Wohnzimmer, wo sie schon längst den Abendbrottisch gedeckt und selbst auch schon gegessen hatte. Ich antwortete: „Gleich, ich muss nur noch kurz die Welt retten und 158 Mails checken und dann komm ich zu dir …“ (frei nach dem beliebten Songtext von Tim Bendzko). Aber ich klickte mich weiter durch die schönen bunten Reisebilder von „EL HIERRO“.

Wir hatten schon seit längerem vor, die kleine kanarische Insel El Hierro zu besuchen, allerdings nicht im Winter oder Sommer, sondern eher im Frühling, wenn es mehr grünt und blüht. In den letzten zehn Jahren waren wir schon tageweise mit Kreuzfahrten oder auch für jeweils zwei Urlaubswochen auf allen anderen kanarischen Inseln und das „Inselflair“ hatte uns immer wieder begeistert und eingefangen, aber auf El Hierro sollte es ursprünglicher und schöner sein, zumindest für uns „Individualisten“, die den Massentourismus weniger mögen. Eine Auszeit vom Alltag auf einem „Inselparadies“ hatten wir wirklich nötig.

Ja, warum eigentlich?

(Rückblende):

In den letzten Jahren war unser Leben vor allem von den Bedürfnissen der Mutter meiner Frau bestimmt, die nach dem Tode ihres Mannes mit 88 Jahren in unser Haus zog. Anfangs war sie noch recht rüstig, konnte sich gut selbst beschäftigen, pflegte intensiv Kontakte und beteiligte sich an vielen Arbeiten im Haus und Garten. Sie hatte ein Zimmer im Dachgeschoss, in dem sie sich sehr wohl fühlte. Aus ihrem Fenster konnte sie den Nachbarn zusehen, wie diese fleißig und geschickt ihren großen Garten bestellten. Nur in unserem Garten fühlte sie sich nicht richtig wohl. Durch Hecken, Sträucher und große Bäume war für ihre Augen „alles zugewachsen“ und eng. Sie meinte, wir hätten auch viel zu wenig Kontakt zu unseren Nachbarn. Sie war es von Kind auf gewohnt, in einer großen Gemeinschaft zu leben. Wir aber hatten das Haus auf einem kleinen „Hammergrundstück“ gebaut und mit den Nachbarn nur bei mehr zufälligen Begegnungen am Gartenzaun gesprochen. Wir waren über unseren Arbeitsalltag und Freundeskreise vielseitig eingebunden und hatten eben nicht so sehr in unserem neuen Wohngebiet nach Nachbarschaftskontakten gesucht. Also kurzum, sie fühlte sich einsam und unsere Kinder und die übrige Verwandtschaft kamen auch viel zu selten, sie zu besuchen!

Inzwischen hatte meine Schwiegermutter ihren 100. Geburtstag erreicht und eine große Familienfeier fand statt. Sie wohnte schon lange nicht mehr im Dachgeschoss. Wir hatten ihr ein schönes Zimmer im „Erdgeschoss“ eingerichtet, von dem sie mit ihrem „Rollator“ gut ins Wohnzimmer und in die Küche sowie auch allein auf die große Terrasse gehen konnte. Sie hatte inzwischen eine Pflegestufe und ihre Tochter war tagein, tagaus fast 24 Stunden damit beschäftigt, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen. Ich war natürlich auch daran beteiligt, aber die Hauptlast lag bei meiner Frau. Da meine Schwiegermutter einerseits noch überraschend selbstständig war, wunderte sie sich, dass ihre Tochter so angestrengt und ausgepowert war. „Ich mache doch keine Arbeit“, sagte sie immer wieder verwundert. Aber nichts war unproblematisch, weder ein Spaziergang, noch die notwendige Hörkontrolle beim Akustiker oder ein Arztbesuch oder gar zum Friseur zu kommen. Alles musste stundenlang diskutiert und dann Geplantes verworfen und neu bedacht werden. Das war überhaupt das Anstrengendste: Da sie noch für ihr Alter recht agil war, erwartete sie, dass sie in jedem Falle ernst genommen würde. Nicht immer war sie auf dem Boden der Tatsachen. Das war ja in dem Alter auch nicht möglich, aber sie wollte es nicht akzeptieren und wälzte stundenlang mit uns Probleme und ließ einfach nicht locker.

Im „Erdgeschoss“ hatte meine Schwiegermutter natürlich Angst, es könnte nachts jemand einbrechen und ihr etwas antun. Jeden Abend vollzog sich eine Prozedur: Die Rollläden wurden peinlichst genau heruntergelassen. Es durfte nicht der kleinste Schlitz offen bleiben, im Flur musste eine Lampe brennen, die etwas Licht durch die offene Tür in ihr Zimmer brachte. Ich schlug ihr vor, eine Nachtlampe in ihrem Zimmer zu installieren. Wie konnte ich! Die Tür musste offen bleiben und die Nachtlampe mit einem Verlängerungskabel von einer Steckdose aus ihrem Zimmer versorgt werden. So hätte niemand unbemerkt die Tür in der Nacht schließen können! Dieser Widerspruch machte mich immer wieder nervös: Auf der einen Seite das große, sogar übertriebene Sicherheitsbedürfnis, auf der anderen Seite eine wacklige Lampe, die leicht mal herunter zu reißen war.

Aber das genügte nicht. Die Ängste und das Weinen deshalb gingen so weit, dass meine Frau aus unserem Schlafzimmer auszog und sich im Gästezimmer direkt gegenüber der offenen Zimmertür ihrer Mutter einquartierte. Und das auf Dauer. Das Gestell fürs Gästebett hatte ich aus Teilen einer alten Möbelwand selbst eingebaut. Die Matratze war nur 80 cm breit, so dass es für meine Frau nicht so viel Platz gab wie in ihrem 1 m breiten Ehebett. Es war ja auch nur als Gästebett gedacht!

Ich dagegen hatte nun viel Platz, aber eben keine Ehepartnerin mehr in der Nacht. Wir gewöhnten uns allmählich an die Veränderungen und merkten gar nicht so sehr, wie unsere Partnerschaft belastet war und stellten erst auf den wenigen Reisen fest, wie unser Liebesleben unter der häuslichen Situation gelitten hatte. Verreisen konnten wir nur, wenn unsere Verwandten oder Freunde Zeit hatten, unsere Mutter/Schwiegermutter für meist zwei Wochen zu sich zu nehmen oder im Haus zu betreuen.

Der Umzug entwickelte sich jedes Mal zu einer Prozedur: Zwei Wochen Vorbereitung, dann Sessel, Bettzeug, Taschen und Plastebeutel in unser großes Auto laden. Der Koffer mit der Kleidung nahm noch den geringsten Platz weg. Aber das Waschen, Bügeln und Ausbessern nahm immer bis zuletzt viel Zeit in Anspruch. Nach unserer Reise dauerte es nochmals mehrere Wochen, bis wir wieder in den „Alltagstrott“ zurück gefunden hatten.

Als meine Schwiegermutter 104 Jahre alt geworden war, haben wir den schweren Schritt vollzogen, sie in einem Heim in unserer Nähe unterzubringen. Es ging nicht mehr zu dritt in unserem Haus. Das Pflegeheim liegt fernab von der Straße in einem Waldstück schön im Grünen. Ihr Zimmer befand sich im Erdgeschoss und sie konnte somit relativ selbstständig mit dem Rollator in den Park gehen. Wir fanden es sehr schön für sie, aber sie wollte nicht dahin und hat uns ständig Vorwürfe gemacht, dass wir sie abgeschoben hätten. Für meine Frau war die Belastung nun zwar kleiner, aber wenn sie ein, zwei Tage nicht im Heim war, plagte sie schon das schlechte Gewissen, dass sie sich nicht genug um ihre Mutter kümmerte. Die Umstellung war für alle groß und anfänglich gab es auch eine Menge Probleme, denn meiner Schwiegermutter fiel es schwer, sich an den Heimalltag zu gewöhnen, was ja auch verständlich ist.

Zu Zweit änderte sich unser Leben im Haus mit 5 Zimmern. Die getrennten Schlafzimmer blieben aber. Wir hatten uns so daran gewöhnt und auch die Vorteile erkannt. Meine Frau liebte es, vor dem Einschlafen noch zu lesen und auch nachts, wenn sie nicht gleich wieder einschlafen konnte, half ihr das Lesen oder Musikhören, wieder müde zu werden. Im gemeinsamen Schlafzimmer war das schon schwieriger. So konnte jeder nach seinem Befinden die Nacht verbringen, nur ein Liebesleben gab es nicht mehr!

Auf Reisen sah das anders aus. Da hatten wir ja ein Doppelzimmer. Nur bis wir uns daran gewöhnten, war der Reiseurlaub schon fast um. Wir mussten immer wieder neu lernen, zärtlich zueinander zu sein. Tagsüber waren wir natürlich viel unterwegs. Wir wollten ja etwas sehen und erleben. Abends waren wir dann meist schon müde, so dass es nicht immer gelang, zueinander zu finden!

Zurück zum Anfang der Geschichte: Wie sich nun die Vorbereitung und das eigentliche „Reiseabenteuer“ von unserem „Inselurlaub“ gestaltete, will ich in den folgenden Kapiteln erzählen. Auch ein altes Ehepaar kann noch eine „Romanze“ erleben!


Sommer auf El Hierro

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