Читать книгу Ein Espresso für den Commissario - Dino Minardi - Страница 7

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Pellegrini traf eine Viertelstunde zu früh in der Tratto- ria da Alfredo ein und gönnte sich als Erstes einen caffè. Genießerisch schloss er die Augen und ließ den heißen Schluck einen Augenblick lang auf der Zunge ruhen.

»Stress?« Carlotta räumte seine Tasse weg, kaum dass er ausgetrunken hatte, und wischte mit energischen Kreisbewegungen über die Theke. Ganz automatisch sammelte Pellegrini ein herrenloses Zuckertütchen ein und legte es zu den anderen in die bereitstehende Schale.

»Danke. Wären doch alle Gäste so wie du.«

Er zog sein Jackett aus und lehnte sich auf die marmorne Oberfläche. »Ich weiß einfach zu gut, wie es auf der anderen Seite zugeht. Mach mir noch einen, barista

»Das klingt aber anzüglich.« Carlotta lachte und räumte in rasender Geschwindigkeit die Spülmaschine ein. »Du hast Stress, Marco.«

»Ich habe einen toten Studenten und wie immer nicht endlos Zeit, die Sache aufzuklären, bevor mir einer aus Mailand vor die Nase gesetzt wird. Du weißt schon.«

Carlotta lehnte sich von der anderen Seite auf die Theke und stupste ihm mit dem Finger gegen die Schläfe. »Da sehe ich ein paar neue graue Haare.«

»Immerhin fallen sie nicht aus.«

»Wenn du Glück hast, siehst du eines Tages aus wie George Clooney. Nur auf die Haare bezogen, natürlich, ansonsten nicht. Du hast noch nicht so viele Falten, und deine Nase ist auch ganz anders.«

»Ist das jetzt ein Kompliment?«

»Wie man’s nimmt. Immerhin ist er zwanzig Jahre älter als du.« Sie lachte ihn an.

»Du flirtest mit mir!«

Sie stützte das Kinn in die Hand. »Das hättest du wohl gern. Einen Sprizz? Oder eine Weißweinschorle?«

»Du tust so, als wolltest du mich verführen, aber in Wahrheit willst du nur den Umsatz erhöhen. Biest!« Er warf theatralisch die Hände in die Höhe.

Carlotta machte einen Kussmund und lachte.

Er rutschte vom Barhocker und griff nach seinem Jackett. »Ich nehme einen Sprizz. Kannst du uns focacce bringen, sobald Fabio und Claudia kommen?«

»Mach ich!«

Pellegrini trat hinaus und blinzelte. Jetzt, da die Sonne hoch stand, fiel ihm auf, dass er seine Sonnenbrille vergessen hatte. Besser, er suchte sich einen Tisch unter einem der breiten Sonnenschirme. Er hatte fast freie Wahl. Die meisten Einheimischen waren bereits in ihre Büros zurückgekehrt, und Touristen verirrten sich nur selten hierher. Die Trattoria lag etwas abseits hinter der Piazza Alessandro Volta und traf außerdem mit ihrer Einrichtung nicht den Geschmack ausländischer Gäste. Gerade die Deutschen empfanden sie als ungemütlich. Darüber musste Pellegrini jedes Mal schmunzeln. Er war in Deutschland geboren und aufgewachsen, bis seine Familie Anfang der neunziger Jahre nach Como zurückgekehrt war, um den Albergo Pellegrini wiederzueröffnen. Da war er zehn Jahre alt gewesen und sprach perfekt Deutsch – besser als Italienisch, hatte seine Mutter in seinen Kindertagen immer geschimpft. Die Trattoria da Alfredo war tatsächlich das Gegenteil eines gemütlichen Lokals: Fliesenboden mit dunkler Holztheke, einfache Stühle an blanken Tischen. Nur wer etwas aß, bekam ein Papierset vorgelegt. Zugegeben, die Einrichtung war etwas in die Jahre gekommen, die Wände mit den vergilbten Fotodrucken konnten frische Farbe vertragen, und hin und wieder flackerte eine der Neonröhren an der Decke. Aber es war genau das, was Pellegrini zwar auch nicht als gemütlich, aber – jenseits aller Klischees – als urtümlich italienisch bezeichnen würde: hell, laut und rustikal. Dazu die Herzlichkeit von Carlotta und ihrer Familie und das ausgezeichnete regionale Essen.

Sobald das Wetter es zuließ, lief das Hauptgeschäft ohnehin draußen ab, und die Terrassenmöbel waren erst vor wenigen Jahren erneuert worden und so bequem, dass Pellegrini und sein Team häufig und gern ihre Besprechungen hier abhielten.

Gerade als er sich an einen Tisch nahe der Hauswand setzte, kam Spagnoli und ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf einen Stuhl fallen. Ihre Wangen waren gerötet, und auf ihrer Stirn glänzte Schweiß.

»Fabio kommt, wenn überhaupt, später«, erklärte sie. »Er ist noch immer nicht fertig mit den Nachbarn. Ich wühle mich durch Pescatoris Handydaten.«

»Wie bist du da rangekommen?«

»Ich habe es mit seinem Geburtsdatum als PIN versucht. Hat geklappt. Über dreihundert Kontakte, Tausende Fotos. Ein Mädchen ist auffallend häufig zu sehen, die hat er auch auf dem Startdisplay.«

»Zeig mal.«

Pellegrini betrachtete die junge Frau: türkisfarbene Haare, Stupsnase, ungefähr so alt wie das Opfer. »Sieht nett aus. Wer ist das?«

»Nicht seine Schwester, so viel weiß ich schon. Seine Freundin, würde ich vermuten.«

Spagnoli zeigte ihm ein weiteres Foto von Pescatori und dem Mädchen, auf dem sie sich breit grinsend küssten.

»Schick mir das Bild bitte, dann kann ich es herumzeigen. Laut Mori hatte er keine feste Freundin.«

»Ich finde es heraus. Oder sollen wir nach ihr fahnden?«

»Nein, erst mal nicht. Ich habe Mori gebeten, mir eine Liste mit Pescatoris Freunden zusammenzustellen. Mit denen fangen wir an. Ich gehe davon aus, dass sie dabei ist oder seine Kumpel das Mädchen zumindest kennen. Im zweiten Schritt arbeiten wir uns durch die Kontaktliste. Das wird ein Haufen Arbeit.«

Spagnoli lächelte entschlossen. »Ich habe aber auch zwei gute Nachrichten: Wir können die Tatzeit auf ziemlich genau Viertel vor acht bis acht Uhr abends eingrenzen, das muss ein erheblicher Lärm gewesen sein. Leider hat keiner der Nachbarn jemanden kommen oder gehen sehen. Außerdem deutet weiterhin nichts darauf hin, dass es im Nachbarhaus einen zweiten Überfall gegeben hat.«

»Da bin ich erleichtert.« Rasch erzählte Pellegrini, was er von Giulio Mori erfahren hatte. »Aus der Questura hat sich noch niemand gemeldet. Wir müssen diese Koreanerin finden. Sie ist vielleicht die Letzte, die Pescatori lebend gesehen hat. Oder sie ist unsere Täterin. Leider wissen wir kaum etwas über sie.«

»Was glaubst du? Hat sie ihn umgebracht?«

Sie wurden von Carlotta unterbrochen, die ihnen ein Dutzend handtellergroßer foccace mit Tomaten, Zwiebeln, Käse und Rosmarin auf einer Holzplatte servierte. Dazu brachte sie Schälchen mit Chips, Silberzwiebeln und Oliven – die bitteren schwarzen aus Ligurien, nicht die riesigen grünen, die nur ölig waren und nach nichts schmeckten. Sofern Carlotta von ihrem Gespräch etwas aufgeschnappt hatte, machte Pellegrini sich keine Sorgen, dass sie es weitertragen könnte. Er kannte sie lange genug, hatte sogar schon das eine oder andere Mal an ihrem Tresen Mutmaßungen über einen aktuellen Fall angestellt. Dann nickte sie geduldig, teilte ihm ihre Meinung mit, wenn er sie ausdrücklich darum bat, und hörte ansonsten zu und behielt alles für sich. Genau das, was er ab und zu brauchte.

Nachdem das Essen zu Carlottas Zufriedenheit auf dem Tisch arrangiert war, zwinkerte sie Pellegrini verschwörerisch zu und verschwand. Spagnoli hob die Augenbrauen, doch er zog es vor, so zu tun, als habe er nichts bemerkt, und nahm sich eine focaccia mit Zwiebeln.

»Mori hat sie als eher klein beschrieben, aber selbst wenn sie kräftig genug wäre, passt das zusammen?«, fragte er kauend. »Eine junge Frau mietet sich bei einem Fremden ein. Nehmen wir an, er wird zudringlich. Und dann?«

»Sie wehrt sich, dabei demolieren sie den gesamten Wohnraum. Sie erwürgt ihn und bringt ihn danach wie eine besorgte Mamma ins Bett. Dann verlässt sie die Wohnung, und am nächsten Tag ruft sie uns an, damit wir nach ihm sehen.«

Pellegrini las in Spagnolis Gesicht, dass sie dasselbe dachte wie er: »Der Anfang und das Ende ergäben Sinn. Er bedrängt sie, sie kriegt Angst, wehrt sich, bekommt ihn unglücklich zu fassen, drückt ihm die Luft ab. Aber davon stirbt keiner. Außerdem würde ich erwarten, dass sie in Panik davonläuft. Ihr Gepäck vergisst, die Tür offen stehen lässt. Und ihr Opfer verdammt noch mal nicht ins Bett bringt!«

Spagnoli nickte nachdenklich.

Pellegrini zuckte mit den Schultern. »Was sind das für Leute, die sich über Airbnb Zimmer mieten? Sich freiwillig Bad und Küche mit den Gastgebern teilen? Ich habe noch nie dieses Bedürfnis verstanden, sich mehr als nötig mit Wildfremden einzulassen.« Ihm reichte schon die Erinnerung an seinen Wehrdienst, als sie zu sechst in einer Bude schlafen und die Waschräume mit dem ganzen Flur teilen mussten.

»So was kannst auch nur du sagen.« Spagnoli prostete ihm zu.

»Wie meinst du das?«

»Soweit ich mich erinnere, führt deine Familie einen gut gehenden Albergo da oben in Brunate. Du hast dir noch nie Sorgen um Geld machen müssen. Dazu hat deine Franca gute Kontakte zu den besten Hotels der Welt.«

»Sie ist nicht meine Franca.«

»Fliegt ihr nicht ständig mit Francas Bonusmeilen in den Urlaub? Und habt ihr nicht letzten Herbst in diesem Fünfsternehotel am Campo de’ Fiori in Rom übernachtet?«

»Komm mal zurück zur Sache.« Pellegrini fand den Ton, den Spagnoli anschlug, entschieden zu vertraut.

»Du kannst es dir leisten, in schicken Hotels abzusteigen, beziehungsweise hast die Kontakte. Airbnb-Übernachtungen sind wahnsinnig günstig, Marco. Ich habe das letzten Sommer während meiner Motorradtour auf Sizilien auch gemacht. Du hast eine riesige Auswahl, und anders als Hostels oder Campingplätze sind die Wohnungen häufig sehr zentral gelegen. Und meistens sind die Gastgeber nette Leute. Ich hatte noch nie Pech.«

»Ist das nicht naiv und gefährlich?« Er verkniff sich gerade noch den Nachsatz vor allem für junge allein reisende Frauen. Spagnoli reagierte auf solche Kommentare gern ungehalten und warf ihm Chauvinismus vor. Nichts lag ihm ferner, doch nicht einmal Fakten und Statistiken konnten sie umstimmen, wenn sie erst mal in Fahrt war.

»Das kommt drauf an.« Immerhin blieb ihr Tonfall dieses Mal nachsichtig. »Seriöse Portale machen umfassende Identifikationschecks. Sich die Bewertungen anderer Gäste anzusehen, schadet auch nicht.«

»Mori hat erzählt, dass Pescatori eine Menge Gäste hatte, vor allem weibliche.«

»Da hast du es. Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass er übergriffig geworden ist. Das hätte sich in seinen Bewertungen bemerkbar gemacht, da bin ich mir sicher.«

»Was nicht ausschließt, mit dem einen oder anderen Gast etwas anzufangen, sofern alle Beteiligten damit einverstanden sind.«

Spagnoli grinste. »Alles kann, nichts muss. Pescatori sah ja ganz passabel aus, der hat sicherlich nichts anbrennen lassen.«

Pellegrini brummte zustimmend und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Seine Arbeit brachte ihm immer wieder Erkenntnisse, auf die er verzichten konnte. Eine fremde Wohnung zu betreten, gar zu durchsuchen, förderte nie nur Dinge zutage, die für die Ermittlungen relevant waren, sondern auch viele kleine und große Geheimnisse, von denen er nichts wissen wollte.

Er versuchte sich vorzustellen, er würde auf einer Reise bei einer attraktiven Frau übernachten, die ihm dann eindeutige Angebote machte. Würde er sich darauf einlassen? Er vermochte es nicht zu beantworten. Sicher war er sich dagegen, dass er sich nicht freiwillig in so eine Situation begeben, sondern zuerst nach der billigsten Pension suchen würde, in der es ein Einzelzimmer mit Tür gab, eine klare Grenze zwischen seinem Bett und der Außenwelt. Aber das musste letzten Endes jeder für sich entscheiden.

»Gut«, sagte er. »Ich kümmere mich weiter um Danbi. Ich habe noch ein oder zwei Ideen, wo sie sein könnte. Wenn ich sie nicht finde, können wir nur auf die Fahndung hoffen.« Er streckte sich und trank aus. »Was wissen wir sicher? Ivan Pescatori, zweiundzwanzig Jahre, studiert Mathe, wohnt in einer riesigen Wohnung und vermietet zeitweise sein Arbeitszimmer unter. Keine Freundin, aber ein Mädchen, das ihm irgendwie nahesteht. Nebenjob bei einer Art Marketingagentur.«

»Die Familie ist aus Sondrio, der Vater Teamleiter bei einer Molkerei, die Mutter Altenpflegerin. Eine jüngere Schwester, die noch zur Schule geht.«

»Sein bester Freund zieht mit ihm nach Como, obwohl er lieber in einer Großstadt studiert hätte. Mori scheint Pescatori nahegestanden zu haben. Wie es umgekehrt aussah, können wir nur vermuten.«

Spagnoli beugte sich ein wenig vor. »Du sagtest, er wäre neidisch gewesen auf Pescatoris Geld und seine Bekanntschaften. Könnte es auch Eifersucht gewesen sein?«

»Weiß nicht, eher nicht. Und wenn? Ergibt sich daraus ein Motiv? Jetzt, nachdem sie sich seit Jahren kennen?«

Spagnoli lehnte sich wieder zurück und zupfte an ihrer Unterlippe.

»Sein Arbeitgeber beschreibt ihn als selbstständig und zuverlässig.«

»Die Nachbarn bezeichnen ihn als höflich und ruhig. Ich werde mich heute Nachmittag an der Uni umhören. Es würde mich wundern, wenn ich etwas anderes erfahre, als dass er ein netter Kerl war. Freundlich und unauffällig.«

Pellegrini merkte auf. »Zu glatt? Zu angepasst?«

»Was sagt dein Bauchgefühl, Commissario?«

Er zögerte. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich habe den Eindruck, dass wir in eine völlig falsche Richtung denken. Bisher erscheinen mir zwei Möglichkeiten plausibel: Entweder war sein Tod nicht beabsichtigt, sondern ein Unfall, eine Folge des Kampfes. Oder jemand ist mit der festen Absicht in die Wohnung eingedrungen, ihn zu töten, und auf Gegenwehr gestoßen. Ich hoffe sehr, dass El Gato Hinweise für eine der beiden Varianten findet.«

»Oder für eine dritte oder vierte.«

»Danke. Du machst mir Hoffnung.«

»Gern geschehen.« Spagnoli setzte ihre Sonnenbrille auf und erhob sich.

Pellegrini winkte Carlotta, die im Türrahmen lehnte und ihre Aufmerksamkeit gerecht zwischen den Gästen auf der Terrasse und ihrem telefonino aufteilte.

»Ich fahre noch einmal in die Wohnung und sehe mir die Fotos an, die über dem Schreibtisch hängen. Dieser Sini von der Agentur hat erwähnt, dass Pescatori viel fotografiert hat. Sag bitte Cunego, dass er sich um die Zugangsdaten der Social-Media-Accounts kümmern soll, wenn er mit den Nachbarn fertig ist. Wo immer Pescatori aktiv war. Cunego oder du, einer sollte für morgen eine Fahrt nach Mailand einplanen und den beiden Ingenieuren von Alessǎndro einen Besuch abstatten. Vermutlich führt das zu nichts, aber wir sollten das sauber ausschließen.«

Er zahlte und wollte sich von Spagnoli verabschieden, als ihm auffiel, dass sie nichts mehr gesagt hatte, sondern wie unbeteiligt neben ihm stand. Er zog sein Jackett an und wischte eine nicht vorhandene Fluse von der Anzughose. Als sie immer noch schwieg, hob er auffordernd die Augenbrauen. Befehlskette, sagte sein Blick. Anweisungen von oben hatte man zu folgen, auch wenn sie noch so unangenehm waren. Pellegrini hasste diese Momente, in denen er den Chef heraushängen lassen musste. Andererseits hatte er wirklich Besseres zu tun, als sich mit den Befindlichkeiten seiner Kollegen zu befassen. Cunego wollte keine Anweisungen von Spagnoli entgegennehmen, geschweige denn sich mit ihr absprechen. Immerhin gab ihr der höhere Dienstrang nun Rückendeckung, und das wusste auch Cunego – weshalb er es ihr vermutlich noch schwerer machen würde.

»Mach ich alles, Signor Commissario«, murmelte sie endlich, ohne ihn anzusehen.

»Fein. Melde dich, wenn du meine Hilfe brauchst.« Er wandte sich zum Gehen.

»Commissario, was ist eigentlich mit der Staatsanwaltschaft? Ist Galimberti schon informiert?«

»Touché, Claudia«, knurrte er und winkte über die Schulter, ohne sich umzusehen. »Ich kümmere mich darum«, rief er laut. Befehlskette. Funktionierte nach oben wie nach unten.

Ein Espresso für den Commissario

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