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Am Morgen danach hatte sich der Nebel verflüchtigt, und Frühling lag in der Luft. Die Patienten und Kollegen im Krankenhaus fanden ihr Untier von Arzt außergewöhnlich jugendlich und sanft, was niemand mehr verwunderte als ihn selbst, denn wer wusste besser, welches Chaos Stürme wie die der vergangenen Nacht normalerweise hinterließen. Er bemühte sich, den Studenten zu helfen und ihnen Erklärungen zu geben, anstatt sie wie sonst für fehlende Kenntnisse anzuschnauzen. Es gelang ihm sogar, den Patienten gegenüber grimmige Herzlichkeit an den Tag zu legen.

„Der alte Herr ist verliebt“, lautete der scharfsinnige Kommentar der Studenten, aber sie hatten keine Ahnung, wie weit Dr. Rupert Malcolm davon entfernt war, verliebt zu sein, und dass die Dame ihn wie einen streunenden Hund aus dem Haus gejagt hatte und er sie für immer aus seinen Gedanken und seinem Leben verbannt zu haben glaubte.

Dennoch war sie dort – ständige Begleiterin seiner Schritte. Da er ihr Gesicht nicht gesehen hatte, konnte er seiner Fantasie freien Lauf lassen. Er, ein hellhäutiger Mann, stellte sie sich mit olivfarbener Haut vor – wenn auch nicht als geschmeidiges junges Mädchen. Sogar durch den schleierartigen Umhang hatte er erkennen können, dass sie nicht jung war. Er, ein vom Leben gebeutelter Mann in den besten Jahren, hatte mit jungen Mädchen nichts im Sinn – wohl aber mit einer Frau in der Blüte ihrer Schönheit. Er versuchte, sich an Bilder zu erinnern, die ihr ähnelten, indem er seinen misslungenen Besuch in der Nationalgalerie wieder aufleben ließ. Dann beschloss er, noch einmal dort hinzugehen und nach einem Bild zu suchen, das sie für ihn verkörpern würde, denn er war sicher, sie nur unter den Werken alter Meister zu finden. Für eine Dame der Gesellschaft war sie zu dynamisch und zu natürlich; und zu fein und zu kultiviert für eins der Mannequins oder Models.

Während die Gedanken durch seinen Kopf rasten, sah er ihr Gesicht plötzlich klar vor sich – oval, blass, von schwarzen Haaren eingerahmt. Ihre Augen waren dunkel und mandelförmig, ihre Nase leicht gebogen, ihr Mund nach der neusten Mode scharlachrot geschminkt. Ihre Augen sahen ihn an, in einem samtartigen Braunton, sanft und unergründlich. Er konnte weder sagen, was sie dachte noch sich die Persönlichkeit hinter diesen Augen vorstellen. Sie blieb reserviert, ihr Inneres verbergend; dennoch strahlte sie eine Güte aus, die für den einsamen Mann unendlichen Trost barg.

Für seine Kollegen unvorstellbar, hegte er tief im Herzen eine seltsame Vorliebe für Märtyrertum. Erst wenn er bis zum Rand der Erschöpfung gearbeitet, sich den geringsten Luxus versagt und persönliche Opfer gebracht hatte, war sein Gewissen beruhigt. Als junger Mann war seine Wahl auf ein hübsches hilfloses Klammeräffchen gefallen, das er lieb haben und beschützen konnte. Jetzt war er älter, ein wenig müde, und sein Traum hatte sich verändert; immer noch wollte er sich aufopfern, aber nicht mehr auf die Suche nach Drachen gehen; und er wollte keine Klammeräffchen mehr, keine notleidenden Mädchen, um sein Ideal der Männlichkeit leben zu können. Jetzt wollte er sich anders opfern; sich in die Hände einer besitzergreifenden Frau begeben, die Forderungen stellte. Den Märtyrer zu verkörpern, war er leid. Früher hatte ihm dieses Leben Befriedigung geschafft. Jetzt, da die Illusionen in Bezug auf seine Frau verschwunden waren, hatte es für ihn seinen Reiz verloren, und er schreckte vor dem Schmerz zurück, weitere ungewollte Opfer zu bringen. Bevor er sich noch einmal auf den Altar legen würde, wollte er genau wissen, was von ihm als Opfer verlangt wurde.

Das war der Grund, warum ihn das Gefühl der versteckten und distanzierten Stärke seiner Traumfrau so faszinierte. Wenn solch eine Frau ihn wollte – er würde sein Leben für sie geben. Die meisten Männer würden sie wegen ihrer unbesiegbaren Stärke hassen, ihn aber entzückte genau das.

So gesehen, gab es keinen Grund, sich seine Tagträume zu versagen; es war kein geistiger Ehebruch. Die Spaziergängerin im Cape vom Themse-Ufer musste er aus seinem Gedächtnis tilgen, das war klar. Der Traum war eine andere Ebene, die niemandem wehtat, ihm aber half. Seine Gefühle für sie hatten weder etwas mit Sexualität noch mit Sinnlichkeit zu tun; sie war eine Traumfrau, ein Ideal, das ihn unerklärlicherweise beruhigte, besänftigte und sein emotionales Bedürfnis nach einer Frau nährte. Wenn es ihm gelang, den physischen Aspekt herauszuhalten und weder sie noch sich selbst zu demütigen, dann lag in dieser eingebildeten Beziehung nichts Verwerfliches.

Nachdem er somit das erste Zugeständnis in seinem harten Leben gemacht hatte, schwelgte er geradezu darin. Heute, nach diesem langen Arbeitstag, war er nicht in der Stimmung, sich mit der U-Bahn auseinanderzusetzen und ließ sich ein Taxi rufen.

Die Staus in den engen Straßen der City kümmerten ihn nicht, denn sie saß neben ihm in dem dunklen Taxi. Er spürte die Wärme ihrer Ausstrahlung, die ihn wie eine Wolke umhüllte. Er glaubte sogar, einen aromatischen Duft wahrzunehmen und wandte den Kopf.

„Ich bin sehr froh, dass Sie hier sind“, sagte er. „Ich weiß dieses Privileg sehr zu schätzen.“

Der Ton seiner Stimme brach den Zauber, der Sitz neben ihm war leer, sogar für die Augen der Fantasie. Das Glücksgefühl blieb trotz der Ernüchterung. Er wartete zufrieden in der Dunkelheit, eingehüllt in das Brummen des Taxis, während die Auspuffgase ins Fenster hereinströmten. Plötzlich spürte er, wie neben ihm erneut seine Traumfrau Gestalt annahm.

Er hatte seine Lektion gelernt, dieses Mal brach er den Zauber nicht, machte keinen Versuch, den Kopf zu wenden und sie anzuschauen. Sie war da, in einer anderen Dimension, für die Augen der Fantasie, und es machte ihn glücklich – und das war das Einzige, was zählte. Für ihn war sie Wirklichkeit.

Während er den langweiligen Worten des Vorsitzenden vor seiner eigenen Rede lauschte, rief er sie, und sie kam, wenn auch nicht mit der Lebhaftigkeit, die ihr eigen war, wenn sie spontan erschien. Im Taxi, auf dem Weg durch die leeren Straßen, kam sie wieder. Sie saß schon neben ihm, bevor er ihre Gegenwart bemerkte, schrecklich real. Er hörte das Geräusch ihres Atems in der Dunkelheit, nahm den aromatischen Duft ihres Parfüms wahr. Der Duft stieg ihm zu Kopf wie Alkohol und brachte seinen Puls zum Rasen. Einen Moment zögerte er, – schließlich fuhren jede Menge Leute in Taxis, und er wollte nichts Verwegenes tun – dann beugte er sich zur Seite und legte den Kopf dorthin, wo die Schulter seiner Traumfrau hätte sein sollen. Da brach der Zauber. Innerlich fluchend fühlte er sich, als wäre er zurechtgewiesen worden. Den Rest der Fahrt starrte er wütend aus dem Fenster.

Nachdem er den Taxifahrer bezahlt hatte, warf er, plötzlich von Gewissensbissen gepackt, grob gewesen zu sein und ihre Gefühle verletzt zu haben, einen Blick zurück auf seine verlassene Begleiterin im Taxi. In dem Moment tauchte vor ihm in der Dunkelheit, vom Mond beschienen, ein Gesicht auf, und er erkannte einen ovalen Umriss, dunkle, ruhige Augen und einen geschlossenen, karminrot geschminkten Mund. Das Bild war so klar, dass er glaubte, es mit seinen Augen zu sehen, und nur der Verstand, der ihm suggerierte, dass solch ein Bild in der Dunkelheit unmöglich war, hinderte ihn daran, sich nach der realen Frau umzuschauen.

Oben im Wohnzimmer stand er, die Ellbogen auf dem Kaminsims, neben dem verlöschenden Feuer und rief sie erneut – und sie kam. Er sah nichts, aber er wusste genau, an welcher Stelle im Zimmer sie sich befand.

Nachdem er das Licht gelöscht hatte, ging er zu Bett und legte das Kissen in dieselbe Form wie in der vergangenen Nacht, lag dort gespannt und wartete. Würde sie kommen? Nichts geschah, und allmählich glitt er auf normalem Weg in den Schlaf. Kurz bevor er versank, spürte er die Sanftheit der Brust einer Frau unter seinem Kinn und das Auf und Ab ihres Atems. Sein erster Impuls war, die Hand auszustrecken und sie zu berühren, aber er fürchtete, den Zauber erneut zu brechen. Nur solange er nicht versuchte, sie zu besitzen, würde er die Vision genießen können.

Bewegungslos, angespannt, kaum zu atmen wagend, lag er dort, so süß und wirklich war die Illusion. Er fragte sich, ob er sich in der Fantasie umdrehen und sie küssen könnte, aber das Erlebnis war zu kostbar. Dann holte ihn der Schlaf ein; er schlief, ohne sich zu bewegen, bis zum Morgen und erwachte fröhlich, lebendig und glücklich wie ein kleiner Junge.

Als er an seine Verantwortung für die Villa an der See dachte, durchzuckten ihn Gewissensbisse, er schob sie jedoch beiseite. Segen und Frieden waren ein Geschenk für ihn. Einmal hatte er versucht, die Vision zu beenden, und das löste eine Explosion von Gefühlen in ihm aus, die er nicht noch einmal erleben wollte. Warum sollte er seine Traumfrau aufgeben, die niemandem etwas zuleide tat und ihm so ungemein half?

Er starrte aus dem Fenster zu der Kirche am anderen Ufer, die sich an diesem Morgen vor seinen Augen wie hinter einem Schleier verbarg. Und plötzlich, alle Kontrolle verlierend, entfuhr ihm ein Schrei: „Mein Gott, das kannst du mir doch nicht nehmen!“

Die Reaktion auf seinen Gefühlsausbruch war so stark, dass er sich an den Fensterrahmen geklammert wiederfand und an ihm rüttelte wie an den Gitterstäben eines Gefängnisses.

Er torkelte durch das Zimmer zum Sessel zurück, ließ sich hineinfallen und barg sein Gesicht in den schmuddeligen Kissen. „Nein“, murmelte er, „das ist zu viel, ich lasse es nicht zu!“

Schon vor langer Zeit hatte er geglaubt, den Irrweg der Religion überwunden zu haben, aber das Trugbild eines eifersüchtigen Jehovas und freundlichen Jesu‘, mit dem man ihn in der Kindheit gequält hatte, stand vor seinen Augen auf, halb Idol, halb Engel. Das Idol hasste er, der Engel zerrte schmerzlich an ihm. Er war kurz davor, in Tränen auszubrechen – einfach kindisch!

Das brach den Zauber. Wütender auf sich selbst als auf den dämlichsten seiner Studenten, riss er Kragen und Schlips herunter, barg sein Gesicht in einer Schüssel kalten Wassers, rubbelte den Kopf, bis er aussah wie Struwwelpeter, fluchend wie ein Landsknecht, und zwang sich den Kragen wieder um den Hals, zurrte den Schlips fest, als ob er das Subjekt einer Blutrache erdrosseln wollte, zerrte mit einem Kamm an seinen Haaren, riss die Aktentasche an sich, ohne den Inhalt zu kontrollieren, und kam zu spät zur Vorlesung – das erste Mal in der Geschichte des Krankenhauses.

Sein Unterricht und der anschließende Kliniktag waren für alle Beteiligten die Hölle.

Den Nachmittag in der Praxis in der Wimpole Street verbrachte er genauso wie den Vormittag in der Klinik, aber die Patienten waren vorgewarnt worden. Eine Dame brach in einem hysterischen Anfall zusammen, und zwei Kinder heulten wie Schlosshunde. Von diesen Kleinigkeiten abgesehen, verlief der Nachmittag ruhig wie alle anderen auch.

Dr. Malcolm hatte seine Maske aufgesetzt, in die man mit einem Hammer hineinschlagen konnte, ohne eine Wirkung zu erzielen, und seine Empfangsdame, eine ehemalige Krankenschwester, argwöhnte hinter seinem ungewöhnlich reizbaren Temperament ohnehin nichts.

Gegen sieben Uhr abends war der letzte Patient mit dem Aussehen einer verlorenen Seele, dem Zorn des Herrn fliehend, in der Dunkelheit entschwunden. Dr. Malcolm rollte das Stethoskop zusammen, warf es in den Aktenkoffer und den empfindlichen Augenspiegel hinterher. Bevor er den Deckel schließen konnte, öffnete sich die Tür, und im Spalt tauchte das verschrumpelte Gesicht der Schwester auf.

„Was ist denn noch?“, schnappte er, als wollte er ihr den Koffer an den Kopf werfen.

„Im Wartezimmer ist noch eine Dame, die heute Nachmittag angerufen und einen Termin vereinbart hat.“

„In Gottes Namen rein mit ihr!“, brachte er, ausgelaugt bis auf die Knochen und todunglücklich, heraus.

Er öffnete den Koffer erneut, aber bevor er seine Instrumente nehmen konnte, wand sich das Stethoskop wie eine Schlange heraus. Er bückte sich, um es aufzuheben. In seiner Erschöpfung und Reizbarkeit gab ihm die Anstrengung den Rest. In dem Moment, als er sich wieder streckte, sah er die Frau im Cape hereinkommen.

Er starrte sie an.

‚Das ist eine Halluzination!‘, war sein erster Gedanke.

Sie war es, genauso wie er sie sich vorgestellt hatte, mit dem fließenden schwarzen Umhang und dem weißen Hut wie die Portwein-Reklame von Sandeman. Ihr blasses ovales Gesicht, ihre gebogene Nase, die scharlachroten Lippen und darüber die samtbraunen Augen mit ihrem freundlichen Ausdruck. Als er die Güte in ihren Augen erkannte, spürte er einen Kloß im Hals, wie schon an diesem Morgen, und wieder wurde er wütend – eine lebendige, konzentrierte Wut, von der er nie geglaubt hätte, sie gegenüber einer Frau empfinden zu können. Sie musste sein Gesicht, das sie im Schein der Taschenlampe gesehen hatte, aus einem Foto oder aus der Zeitung identifiziert und ihn verfolgt haben, und jetzt wollte sie ihn erpressen. Oder suchte sie etwa ein Abenteuer? Gedanken dieser Art waren ihm bisher fremd gewesen, und zu seinem Entsetzen spürte er, wie sich in seinem Inneren der sündige Mann breit machte und ihn ein schwaches Gefühl von Triumph durchzog, worauf seine Laune, falls möglich, noch schlechter wurde.

„Guten Tag“, herrschte er sie mit harscher, schneidender Stimme an.

„Ich habe nicht das Vergnügen, Sie zu kennen. Wer hat Sie zu mir geschickt?“

„Mein Name ist Morgan, Miss Le Fay Morgan. Mein Zahnarzt hat mir von Ihnen erzählt, aber er hat mich nicht zu Ihnen geschickt. Ich bin aus eigenem Antrieb gekommen, weil ich glaube, dass Sie mir einiges erklären können.“

„Eine sehr seltsame Methode, sich an einen Arzt zu wenden“, sagte Dr. Malcolm und starrte sie feindselig an, während Kälte in ihm aufstieg, wie beim Abschied von einer lieben Toten.

„Mein Fall ist sehr ungewöhnlich“, antwortete die Besucherin, völlig unbeeindruckt von seiner unverhohlenen Verärgerung. „Vielleicht können Sie mir trotzdem helfen.“

„Eh – Ja, eh, vielleicht. Wollen Sie sich nicht setzen?“, stammelte er, dann fasste er sich. Seine tief verwurzelte raue Ritterlichkeit verbot es ihm, eine Frau anzuschnauzen. Sie nahm im Patientenstuhl Platz, ließ ihren Umhang wirbeln, und er, mehr tot als lebendig und heftig schwitzend, versuchte, sich zu sammeln.

„Welche Beschwerden haben Sie?“, fragte er.

Die braunen Augen, ruhig und verschleiert, gaben den Blick in seine graugrünen zurück. Jetzt lag in ihnen keine Freundlichkeit. Es waren die Augen eines Duellanten in der Vorbereitungsphase des Kampfes. Darauf konnte er sich einlassen, und er entspannte sich ein wenig. In seiner Stimmung wäre ein gutmütiger Blick unerträglich gewesen, weil ihn das seine eigene Schwäche hätte fühlen lassen.

„Ich habe“, sie machte eine Pause, ihre Worte sorgfältig wählend, „Wahrnehmungen – Eindrücke –, für die ich keine Erklärung finde, die vielleicht Halluzinationen sind.“

„Was sind es? Berührungen, Visionen, oder hören Sie etwas?“

„Visionen – meistens, aber das ist für mich nichts Neues, denn ich habe eine lebhafte Fantasie. Aber in der letzten Zeit habe ich mehrfach das Gefühl einer Berührung gehabt, und heute Morgen habe ich eine Stimme gehört, was mich dazu gebracht hat, Sie aufzusuchen. Die anderen Erscheinungen hätte ich als Fantasien beiseitegeschoben.“

„Meine Dame, Sie sind ein Fall für einen Psychologen und nicht für einen Neurologen.“

„Es könnte doch sein, dass es für meine Wahrnehmungen eine physische Ursache gibt“, sagte die Frau, ohne den Blick von ihm zu wenden.

„Nein, das glaube ich nicht.“

„Sind Sie so sicher, ohne mich untersucht zu haben?“ Bei diesem Seitenhieb zuckte er zusammen.

„Wollen Sie, dass ich Sie jetzt untersuche?“

,Ich möchte Ihre wohlüberlegte Meinung, Dr. Malcolm.“

„Nun gut. Fangen wir mit den Berührungen an. Was fühlen Sie?“

„Ich bin mehrfach durch das Gefühl eines Drucks auf Schulter oder Brust wach geworden, und zweimal durch das Gefühl, als ob kräftige Hände meine Oberarme umklammern.“

„Sie sollten – Ihr Herz untersuchen lassen“, brachte Malcolm heraus. Wie ein Ertrinkender an eine Planke klammerte er sich an sein medizinisches Wissen. Er zwang seinen Verstand, sich auf das zentrale Nervensystem der Patientin vor ihm zu konzentrieren, obwohl sein eigenes Herz wie ein Hammer schlug und ihn zu ersticken drohte.

„Ist das alles, was Sie mir vorzuschlagen haben?“, fragte die Frau ihm gegenüber und beobachtete ihn mit festem Blick.

Malcolm konnte nicht sprechen, er konnte nur dasitzen und sie anschauen.

„Haben Sie jemals telepathische Untersuchungen angestellt?“

Er schüttelte den Kopf.

Sie zog unter ihrem Umhang ein dickes Buch hervor und schob es ihm auf den Tisch zu.

„Das hier sollten Sie mal lesen!“

Das erste Mal seit Beginn des Gesprächs hatten ihre Augen die seinen losgelassen. Er beugte den Kopf und las den Titel: ,Fantasien der Lebenden“ von Gurney und Podmore.

Malcolm saß so lange unbewegt über das Buch gebeugt, dass die Besucherin im Begriff war, das Schweigen zu brechen. Da hob er den Kopf und starrte sie an.

„Ich kann nur sagen – es tut mir Leid. Nicht mal im Traum wäre mir eingefallen, dass so etwas möglich ist.“

Er beugte den Kopf erneut über das Buch, so tief, dass sie nur seine dichten, ergrauenden Haare sah.

„Es wird nicht wieder vorkommen – darauf haben Sie mein Wort“, sagte er verwirrt, mit kaum hörbarer Stimme.

Plötzlich richtete er sich auf und sah sie an, und wenn je in den Augen eines Mannes Mordlust geflackert hatte, dann in seinen, denn es schien ihm, dass der verstümmelte Leib seiner Fee tot in den Händen dieser Frau lag. Als er ihre Ähnlichkeit mit seiner Geliebten erkannte, wurde er schwach; er konnte diese Frau nicht hassen, die so sehr der glich, die er geliebt hatte. Einen Moment schwankte er, um seine Selbstkontrolle kämpfend, dann legte er die Ellbogen auf den Schreibtisch und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen.

„Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie gehen würden“, brachte er kaum hörbar heraus.

Er hörte sie aufstehen und über das Parkett schreiten, überzeugt, sie würde den Raum verlassen. Da fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Er erschauerte und presste die Fäuste gegen die Stirn.

Obwohl sie ruhig neben ihm stand, pochte das Blut so heftig in seinen Schläfen, dass er glaubte, seine Augäpfel würden platzen. Um Gedanken und Blicke auszuschalten, presste er die Hände dagegen. Er war taub, wie Menschen in einem schweren Bombenangriff taub werden; gleichzeitig lagen alle Nerven blank. Unfähig, sich zu bewegen, wusste er, seine Selbstbeherrschung würde zusammenbrechen, wenn er zu sprechen begänne; er konnte nur still dasitzen und hoffen, dass sie gehen würde.

Ihre Stimme – voll und tief, samtig wie ihre Augen, erweckte in ihm erhabene Empfindungen wie die einer Sinfonie. Doch wenn sie noch länger mit ihm spielte, würde er schreien wie ein Mann auf der Untersuchungscouch kurz vor dem Kollaps.

„Sie haben gesagt, es würde nicht wieder vorkommen“, hörte er sie sagen. Er nickte leicht.

„Ich werde Sie bitten, mit mir bewusst derartige Experimente zu machen.“

Er schüttelte den Kopf.

„Doch, Sie können es, wenn ich Ihnen helfe“, fuhr die Stimme fort. Sie schwieg einen Augenblick, dann drückte ihre Hand seine Schulter. „Mein Freund, wenn Sie nicht weitermachen, wird nichts von Ihnen übrigbleiben.“

Er wusste, sie sprach die Wahrheit, und als der Widerstand aus ihm herausfloss, sank sein Kopf noch tiefer auf den Tisch.

„Ja, wir werden es gemeinsam durchstehen, im guten Sinne. Haben Sie keine Angst. Werden Sie mit mir arbeiten, Rupert Malcolm?“

Eine lange Minute saß er bewegungslos, dann nickte er.

„Ich wusste es“, sagte sie. Ihre Hand bewegte sich von seiner linken Schulter zur rechten und drehte ihn zu sich herum. Als er sich gegen sie lehnte und sie sich beugte, um sein Gewicht zu tragen, erschlaffte er. Aber es machte ihm nichts aus, er übertrug sein ganzes Gewicht auf sie – das tote Gewicht seines Oberkörpers, schlaff und träge, und nur eine starke Frau konnte ihn halten, und er mochte diese Stärke. Plötzlich stieg in ihm Freude auf – seltsam wie der Gesang der Sterne am frühen Morgen; denn sie hatte seinen Tagtraum bis auf den Kern durchdrungen. Sie hatte ihn gequält – ihm am lebendigen Leib die Haut abgezogen und ihn dann gestreichelt. Aber sie war eine unbezwingbare Burg, nie würde er sie besitzen. Trotzdem war er nicht unerfüllt, im Gegenteil: Er war von ihr besessen. Sein Sein war in ihrem aufgegangen, und er war voll und ganz zufrieden.

Vorsichtig barg er sein Gesicht in den Falten ihres Umhangs. Ruhig stand sie dort, immer noch seinen schweren Körper haltend, und wartete darauf, dass er die Krise überwand.

Als die Uhr in der Halle acht schlug, hob er den Kopf. Sie schaute auf das Gesicht in der Beuge ihres Arms hinunter. Alle Linien darin waren verschwunden. Er hatte den verstörten Ausdruck eines kleinen Jungen angenommen, der in fremder Umgebung aus dem Schlaf erwacht. Dann wandelte sich seine Verkrampfung in Heiterkeit und kindliches Vertrauen. Während sie in das Gesicht hinunterschaute, aus dem zwanzig Jahre Kummer und Belastung wie weggewischt waren, spürte sie plötzlich hinter ihren Lidern Tränen. Unsicher stand Dr. Malcolm auf.

„Ich – ich glaube, ich muss mich entschuldigen“, sagte er. Die Frau lächelte.

„Ich glaube nicht, dass Sie sich entschuldigen wollen“, antwortete sie.

„Nein“, sagte er und sah sie mit einem kurzen Lächeln an, das schnell wieder verschwand, schüchtern wie ein Schuljunge, aber ungeheuer glücklich.

„Ich werde Sie jetzt nach Hause fahren“, erbot sie sich. „Wo wohnen Sie?“

„Oh, nein, machen Sie sich keine Umstände. Ich nehme ein Taxi.“ Er verstaute seine Instrumente wahllos in der überfüllten Tasche und zwang die Lasche darüber. Innen krachte es, aber gnadenlos ließ er die Schlösser zuschnappen. Er hatte vergessen, dass er ihre Einladung abgelehnt hatte, und folgte ihr zu einem schicken schwarzen Coupé, das vor der Tür stand, ohne sich um die indignierten Blicke der Schwester zu kümmern, die eine Stunde länger geblieben war. Selbst sie, eine unbefleckte Jungfrau, musste mit heftiger Missbilligung zulassen, dass er mit einer hübschen Dame wie dieser hier nach Hause fuhr.

***

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