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Kapitel 7

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Graue Lichtstreifen drängten sich durch die Ritzen der Schlafzimmerrollladen. Die Null-Nacht war endlich zu Ende: null Schlaf und null Erholung! Seine Gedanken waren die ganze Zeit bei dem unbenannten Etwas gewesen, das nur wenige Meter von seinem Haus abgestürzt war. Mit seiner blühenden Science-Fiction Fantasie malte er sich die unheimlichsten Dinge aus. Er dachte an fiese kleine Aliens, die in Miniaturraumschiffe die Welt erobern wollten und die Menschen wie Fliegen zerdrücken würden. Allerdings fand er keine Erklärung dafür, warum diese Außerirdischen ihren Angriff auf die Erde in Bochum beginnen sollten. Aber möglicherweise war es eine konzertierte Aktion und in jeder größeren Stadt der Welt ist eines dieser Objekte heruntergekommen. Vielleicht stand das Ende der Welt bevor, zwei Jahre zu früh, aber warum sollten sich Aliens auch an den Maya Kalender halten. Karl überlegte einfach liegen zu bleiben, bis die Außerirdischen in sein Schlafzimmer eindringen würden, um ihn wie die restliche Menschheit zu assimilieren.

Plötzlich hörte er Jacko aus der Diele jaulen. Der Hund hatte Hunger, daran änderte auch eine Alieninvasion nichts. Karl spürte ein Grummeln im Magen, die unmissverständliche Aufforderung seines Magens nach Kaffee und Brot. Langsam raffte er sich auf und verließ das Bett. Mit einem mulmigen Gefühl schlurfte er zum Fenster. Er legte seine Hände an das Rollladenband, dann schloss er die Augen und zog den Rollladen hoch. Langsam öffnete er seine Lider, vorbereitet auf ein Weltuntergangsszenario, brennende Häuser, ein Himmel voller Raumschiffe oder Menschen, die eingesponnen in Arachnoiden-Alien-Kokons an den Bäumen des Brachgebietes hingen. Doch es war alles so, wie es immer war. Aus einem stahlgrauen Himmel nieselte Schneeregen, die Sonne versteckte sich hinter einem dunklen Wolkenband. Der Grüngürtel vor seinem Haus lag unberührt da, Zweige und Ästen wippten im Wind hin und her. Karl atmete durch!

Im Korridor traf Karl auf Jacko. Der Hund saß vor der Haustür und jaulte leise vor sich hin. Als er Karl bemerkte, drehte er sich um und schlich ihm auf seinen Gicht geplagten Beinen entgegen, dabei schaute er ihn aus seinen wässrigen, vom Grauen Star getrübten Augen erwartungsvoll an. Karl streichelte seinem treuen Begleiter über den Kopf, dann füllte er seinen Napf mit Futter und wechselte in seiner Schale das Wasser aus. Anschließend brühte er sich einen Kaffee auf und schmierte sich ein Käsebrot. Am Küchentisch aß und trank Karl, dabei schaute er durch das Küchenfenster auf das Dickicht. Bei dem Gedanken nachzusehen, was da draußen heruntergefallen war, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Andererseits war er ein neugieriger Mensch, und bevor er nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, was da draußen lag, würde er keine Nacht in Ruhe schlafen.

Karl stellt seine Kaffeetasse ab, biss noch einmal von seiner Stulle ab, dann stand er auf und rief seinem Hund zu: »Jacko, Zeit zum Gassi gehen.«

Der Schneeregen hatte sich in heftigen Schneefall verwandelt. Dicke Flocken rieselten vom Himmel, verschwanden aber postwendend, wenn sie auf dem nassen Boden aufkamen. Karl trug seinen Parka, eine alte Jeans mit Ölflecken und schmutzige Gummistiefel. Ungewöhnlich elanvoll wetzte Jacko Richtung Dickicht und verschwand einen Augenblick später zwischen den dichten Büschen. Karl trottete die schmale Stichstraße hoch, die sich von der Castroper Straße, an seinem Haus und der Brache vorbei, bis zu einem Nebengang des Deutschen Telekom Geländes führte, das sich weitläufig zwischen der Justizvollzugsanstalt Krümmede und den Bochumer Stahlwerken ausbreitete.

Nach einigen Metern führte ein Trampelpfad zwischen den Büschen und Bäumen hinein in den wilden Grüngürtel. Karl blieb stehen. Er könnte jetzt umdrehen, die Polizei rufen oder einfach vergessen, was in der letzten Nacht geschah. Oder er fand heraus, was in der vergangenen Nacht wie eine reife Frucht vom Himmel geplumpst war. Zwiespältig schaute er den schmalen Weg entlang, der ein Stück in die Brache hineinführte und dann vor einer dichten Wand aus Büschen und Bäumen endete.

Karl überlegte nicht lange, sondern folgte dem Vierbeiner in die Brache. Von Jacko war nichts zu sehen, der Hund hatte sich wahrscheinlich irgendeinen Baum gesucht, um sein Geschäft zu erledigen.

Vor seinem geistigen Auge rekapitulierte Karl den Absturz des mysteriösen Himmelskörpers. Während des Feuerwerks stand er vor seinem Haus, das Objekt stürzte vielleicht achtzig Meter nördlich von seiner Position ab. Der Trampelpfad begann knapp zwanzig Meter nordwestlich von seinem Grundstück, das bedeutete, dass er sich Richtung Nordosten durch die Büsche schlagen musste. Karl zog den Reißverschluss seines Parkas bis zum Hals zu, dann begann er seine Entdeckungsreise durch den Grüngürtel vor seinem Haus. Von Jacko war weit und breit nicht zu sehen. Karl zwängt sich zwischen dem Wildwuchs der Büsche hindurch. Dornen piksten durch den Stoff seiner Hose, ein dünner Zweig peitschte auf seine Wange und hinterließ einen roten Streifen, den er als schmerzendes Brennen wahrnahm. Karl fluchte leise vor sich hin und bereute bereits einen morgendlichen Tatendrang. Seine Übellaunigkeit wurde von seinen Gummistiefeln genährt, die Dinger waren so alt, dass die Feuchtigkeit durch das poröse Gummi drang. Seine Socken waren bereits unangenehm klamm, und jeder seiner Schritte wurde von einem nervenden Quaken begleitet, so als würde er in seinen Stiefeln Laubfrösche züchten. Angewidert stieg Karl sein eigener Schweiß in die Nase. Er schüttelte sich bereits bei dem Gedanken an, was für ein Aroma ihn erwartete, wenn er seine Gummistiefel ausziehen würde. Karl versuchte sich krampfhaft auf das Dickicht zu konzentrieren, das ihn mittlerweile wie ein Käfig von allen Seiten einschloss. Doch auch aus den verschlungenen Ästen Zweigen und dem matschigen Boden schlug ihm alles andere als ein angenehmer Duft entgegen. Der Gestank von Hundekot vermischte sich mit dem beißenden Geruch von Urin. Pilze mit großen Hüten wuchsen aus dem Boden, begleitet von braungrüner Flechte, die zentimeterweise die Rinde der blattlosen Bäume eroberte. Modrige Ausdünstungen stiegen in Karls Nase, ein Gestank, der so ekelerregend war, dass er nur mit Mühe den Würgereiz unterdrücken konnte. Angewidert hielt er die Luft an, bis er gezwungen war, die verpestete Luft in seine Lungen zu saugen. Mit der flachen Hand vor Mund und Nase kämpfte er sich weiter durch die dornigen Büsche. Immer wieder hielt er Ausschau nach Jacko, konnte ihn allerdings nirgendwo entdecken. Streunerei war für Jacko eigentlich ungewöhnlich, denn seine gichtgeplagten Läufe bereiteten ihn Schmerzen, und seine Sehkraft war schlechter als das Fernsehprogramm. Karl mochte sich gar nicht ausmalen, wo der Hund sich befand. Vielleicht war es bereits auf das gestoßen, wonach er suchte. Wäre er Katholik, dann hätte er sich jetzt bekreuzigt, stattdessen zog er die Ärmel seiner Regenjacke über die Hände und schob die Zweige des nächsten Busches zur Seite. Er trat hindurch und befand sich auf einmal auf einer freien Fläche, nicht größer als drei oder vier Meter im Quadrat. Was Karl auf diesem Fleckchen sah, ließ ihn vor Schreck zurückweichen. Schwarz angelaufene Backsteine grenzten die verkohlten Überreste eines Lagerfeuers ein. Bierflaschen, gebrauchte Taschentücher und verrottete Tetrapaks lagen rund um die Feuerstelle. Dazwischen entdeckte Karl benutzte Spritzen, deren Kanülen mit getrocknetem Blut verkrustet waren. Eine Welle der Übelkeit überkam ihn. Er schmeckte den scharfen Geschmack von Magensäure in seinem Mund, die er mit verkniffener Miene wieder herunterschluckte. Hektisch schnappte er nach Sauerstoff, sog die Luft durch Mund und Nase in seine Lungen. Langsam verging die Übelkeit. Ohne einen weiteren Blick auf die geheime Fixerstube drehte sich Karl um und schlug einen anderen Weg ein. Er wollte sich gerade wieder durch eine Wand aus Zweigen und Ästen drängeln, als er ganz in der Nähe Jacko jaulen hörte. Karl hielt inne und horchte, um die Richtung zu orten, aus der die Geräusche des Hundes kamen. Aufgeregt schob Karl Äste beiseite. Wieder wurde er von einem zurückschleudernden Zweig im Gesicht getroffen. Ein Dorn stach ihn in die Nase. Karl stöhnte vor Schmerz, kämpfte sich aber weiter durch das Dickicht. Ein neuer Geruch drang in seine Nase, den er nicht definieren konnte. Der Duft erinnerte Karl an Aloe vera gemischt mit Minze und einem Hauch von Vanille. Karl arbeitete sich durch ein Gewächs aus wilden Beeren, dann, aus heiterem Himmel, sah er Jacko und die Absturzstelle. Vor ihm erstreckte sich eine rabenschwarze Ebene von der Größe eines Fußballanstoßkreises. Sämtliches Grünwerk war niedergebrannt und völlig verkohlt, so als wäre ein Lavastrom über dieses kleine Stück Land in der Brache geflossen. Karl interessierte sich nicht im Geringsten für die verbrannte Erde, was seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog, war ein Krater, der sich in der Mitte der verkohlten Ebene auftat. Das Loch maß etwa ein Meter im Durchmesser, an den Rändern türmte sich die Erde eine handbreit in die Höhe. Jacko stand hechelnd auf dem Erdwall und starrte gebannt in den Krater. Karl registrierte, dass der herrliche Duft hier am intensivsten war.

»Jacko, komm her mein Junge!«, zischte Karl seinem Hund zu. Der Vierbeiner reagierte nicht auf den Ruf seines Herrchens. Sein Blick war konzentriert in das Loch gerichtet, so als hätte er eine leckere Wurst oder einen der Hundekuchen entdeckt, die er so gerne fraß. In Karl kämpfte die Neugier mit der berechtigten Angst vor dem Ungewissen. Der Kampf war schnell entschieden, und ehe er sich versah, bewegte sich Karl mit unsicheren Schritten auf den Krater zu. Vor dem aufgehäuften Erdwall blieb er stehen. Ganz vorsichtig beugte er sich ein Stück nach vorne. So versuchte er, einen Blick auf das Innere des Erdlochs zu erhaschen. Zunächst sah er nicht mehr als die dunkle Erde, die überall auf der Brache zu finden war. Karl machte einen weiteren Schritt auf den Krater zu, setzte seinen rechten Fuß auf dem Erdwall ab und beugte sich wieder nach vorn. Es reichte immer noch nicht, um die tiefste Stelle des Kraters zu sehen. Also ging Karl auf die Knie und rutsche so nah wie möglich an den Rand des Lochs. Neugierig schaute er hinunter und dann sah er ihn. Es war ein Stein, schneeweiß und so groß wie eine Pampelmuse.

»Ein Meteorit!«, stellte Karl nüchtern fest. Neben ihm saß Jacko, hechelnd, seine rote Zunge hing aus dem Maul. Karl schaute seinen Hund an, der Jack-Russell-Terrier schien zu grinsen. Karl musste schlucken, dabei überlegte er, was er nun tun sollte. Automatisch griff er in die Tasche seines Parkas und holte sein Handy heraus. Karl schaute auf das Display und tippte 110. Das war das Einzige, was ihm einfiel.

Die Mondsteindiät

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