Читать книгу Bevor die Welle bricht - Dirk Harms - Страница 11

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Lautes Klopfen. Lisa kam nur langsam zu sich. Sie brauchte einige Sekunden, bis sie sich orientiert hatte: Es war Morgen, sie lag im Bett, und jemand klopfte an das Zimmerfenster. Ihr Schlafzimmer lag im Parterre des kleinen rethdachbedeckten Einfamilienhauses. Dieses Klopfen riss sie aus dem Tiefschlaf. Nachdem Lars gegangen war, hatte sie von ihm geträumt - bis eben.

Eine Gestalt ging auf der unfertigen Terasse unter ihrem Fenster auf und ab, und jemand sprach. Was gesagt wurde, verstand Lisa nicht. Erneut folgte ein Klopfen an die Scheibe, unnachgiebig und fordernd. Das schien wichtig zu sein. Die Fensterläden, fiel ihr ein, ich habe sie gestern nicht geschlossen. Allmählich besann sie sich, zog die Gardinen beiseite, öffnete das Fenster und sah zwei Männer in Trenchcoats, einennicht mehr ganz jungen und einen älteren mit weißen Haaren und Nickelbrille. Die Herren blickten mit ernsten Gesichtern zu ihr empor.

„Lisa Kowalski?“

Der Weißkopf mit den verglasten Augen klang barsch. Sein militärischer Tonfall verschlechterte Lisas Laune.

„Ja, was ist los?“

„Wir müssen Sie dringend bitten, mitzukommen. Sie haben drei Minuten.“

„Wer sind Sie? Ich habe keine Zeit.“

„Doch, haben Sie. Ihr Arzttermin ist erst gegen elf Uhr. Der Herr Schuster ist nicht da. Wir werden Ihre Aufmerksamkeit nicht lange in Anspruch nehmen, denke ich.“ Das hatte der Jüngere gesagt, der einen etwas freundlicheren aber ebenso reservierten Eindruck auf Lisa machte. Ihr wurde unheimlich zumute. Warum wussten die so gut Bescheid? Auf einmal fiel der Groschen: Die waren von der Stasi. Aber was wollten die von ihr - und von Lars Schuster, ihrem Freund? Scheinbar hatte sie keine Wahl. Wenige Augenblicke später fand sie sich in einem Fiat Shiguli wieder. Die Männer verließen mit ihr die Halbinsel.

In rasantem Tempo ging die Fahrt nach Breitlingen, einer kleinen Stadt an der breitesten Stelle des Flusses Warnow, der unweit des Sundhaffs in die Ostsee mündete. Lisa kam langsam zu sich. Sie fragte sich, wieso diese Männer nicht an die Terrassentür neben dem Fenster geklopft und dort Einlass begehrt hatten, War sie in ihrem Bett ihnen beim Blick ins Fenster aufgefallen, trotz der Gardine? Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Würde ihr etwas zustoßen? Sie hatte doch nichts getan und nichts zu verbergen. Und Lars? Sie glaubte, ihn zu kennen. Unsinn, vor ihr hatte er keine Geheimnisse. Was aber, wenn doch?

Die Stille war unerträglich. Nicht einer der Männer klärte sie auf. Sie schwiegen und stellten keine Fragen. Weder der Alte hinter ihr, noch der Jüngere, der am Steuer saß.

In Breitlingen bogen sie in eine kleine Straße ein und betraten einen Altneubau mit Mietwohnungen. Es war die Hausnummer 33, auf die sie zusteuerten. Sie gingen durch den Hausflur über einen schmalen Hinterhof. Der Jüngere schloss eine spärlich eingerichtete Kellerwohnung auf. Ächzend fiel die massive Holztür ins Schloss. Hier hätte Lisa höchstens einen Schuppen für Geräte vermutet. Wahrscheinlich war genau das der Trick. Der Weißkopf bot Lisa ohne Umschweife einen Platz an. Er kniff seine bebrillten Augen zusammen und beobachtete sie misstrauisch. Der Alte schien genau auf ihr Verhalten zu achten, als suche er nach Anzeichen für Unsicherheit, Schuldbewusstsein oder Angst.

Lisa wünschte, Lars wäre hier und stünde ihr bei. Ihr waren diese Mantelträger zuwider, die im Leben Anderer herumschnüffelten und glaubten, Gott spielen zu können. Noch nie hatte sie mit ihnen Kontakt gehabt - bis jetzt.

Der Alte kam zur Sache.

„Wem gehört das Haus, indem sie mit Herrn Schuster wohnen?“

Lisa dachte eine Sekunde lang daran, mit der Frage zu kontern, ob sie das nicht längst wüssten, besann sich aber. Ihre Angst war zu groß dafür.

„Um mich das zu fragen, sind wir hierher gefahren? Das gehörte meinem Vater. Er hat es mir vererbt.“

„Ihr Vater hieß Hans Kowalski, richtig?“

„Entschuldigung, wenn ich das frage, aber... wer sind Sie, was geht Sie das an?“

„Major Schröder, Ministerium des Innern, bitte sehr!“ Der Alte hielt ihr einen Klappfix unter die Nase. Warum sagt der nicht MfS, Ministerium für Staatssicherheit, dachte Lisa.

„Genossin Kowalski, es wird besser sein für alle Beteiligten und besonders für Sie“, begann nun der andere Mann, der ihr vom Genossen Schröder als Peter Schulze vorgestellt worden war. „wenn Sie sich etwas aufgeschlossener und kooperativer geben.“ Seine Stimme klang unterdrückt, fast flüsternd und wirkte um so eindringlicher.

"Aber ich bin keine Genossin."

„Das ist auch so ein Punkt. Sehen Sie, ihrem Freund steht eine große Zukunft und eine tolle berufliche Perspektive bevor. Wenn Sie daran teilhaben wollen - ich meine, wirklich teilhaben, dann sollten Sie uns zeigen, dass Sie zu unserem Land und unserer Partei stehen. Meinen Sie nicht?“

„Es gibt aber mehrere Parteien, oder?“ Sofort bereute Lisa ihre Frage. Sie hatte nicht provozieren, sondern Zeit gewinnen wollen.

„Also, Genossin ... Frau Kowalski, der Herr Schuster arbeitet bereits gut mit uns zusammen. Soll das alles umsonst gewesen sein? Wollen Sie ihm die Zukunft verbauen?“ Der Alte wartete die Wirkung seiner Worte ab und versuchte, in Lisas Gesicht zu lesen. Sie schüttelte den Kopf.

„Lars? Der arbeitet nicht für Sie, unmöglich.“

„Das spricht für ihn, dass Sie davon nichts wissen.“ Die beiden Herren wechselten einen vielsagenden Blick. Lisas Herz fing erneut an zu rasen. Wie würde das hier enden? „Ich machs kurz. Wir legen Ihnen dringend ans Herz, über einen Parteieintritt nachzudenken. Wenn Sie sich als Kandidatin der SED bewähren und unser Angebot einer verantwortungsvollen, konspirativen Mitarbeit annehmen, soll es Ihr Schaden nicht sein.“ „Das will ich nicht.“ Lisas Widerspruch kam prompt, klang aber zögerlich. Der jüngere Mann beugte sich vor und legte seine Hand auf Lisas Unterarm.

„Nein, nein. Denken Sie gut drüber nach. Sie entscheiden über Ihre und Herrn Schusters Zukunft. Wie gesagt: Er hat sich schon entschieden. Nun ist es an Ihnen. Oder wollen Sie wirklich für ihre zukünftige kleine Familie ein Leben voller Trennungen und Unannehmlichkeiten heraufbeschwören?“ „Wir werden Sie das nächste Mal fragen, wie Sie sich entschieden haben.“ Major Schröder stand nach diesen Worten auf, für ihn schien alles gesagt worden zu sein. „Also habe ich Bedenkzeit?“ „Wir sind keine Unmenschen. Natürlich verstehen wir, dass Sie Zeit brauchen. Es sind Dinge zu regeln, Entscheidungen zu überdenken. Überlegen Sie gut. Ach was, ich bin sicher, wir werden uns verstehen.“ Das klang nicht so versöhnlich, wie es sollte. Deswegen ergänzte der Mann namens Schulze die Äußerung des Majors mit der Frage, ob sie Lisa irgendwo absetzen könnten.

So würde dieses überraschende Treffen für sie mit einem positiven letzten Eindruck enden, glaubte er.

Lisa wollte nur ungern im Ort dabei gesehen werden, wie sie aus einem ominösen Auto stieg. Daher gab sie als Zielort nicht Dünow, sondern die nächstgelegene größere Kreisstadt Strandfelde an. Bis zum Arzttermin war noch Zeit, deshalb würde sie entweder im Deichpark spazieren gehen oder am Bahnhof in der MITROPA einen türkischen Kaffee trinken. Andere Geschäfte und Kioske hatten so früh am Morgen noch geschlossen. Das Geschehene hatte sie ziemlich aufgeregt. Sie musste sich sammeln, die Gedanken ordnen. Lars. Immer wieder dachte sie an ihn. Eine quälende Ungewissheit vernebelte ihr die Sinne. Wie gut kannte sie ihren Freund? Hatten diese Typen überhaupt mit ihm gesprochen? War ihr Lars, den sie immer für ehrlich, optimistisch und prinzipientreu hielt, am Ende weich geworden? Wenn ja, dann mussten sie ihn unter Druck gesetzt haben. Aber wenn nicht, dann hatten sie ihr gegenüber geblufft. Nein, sie würde nicht an ihm zweifeln. Das schafften diese Typen nicht.

Mechanisch stieg sie in die Straßenbahn zum Bahnhof und grübelte weiter. Plötzlich presste sie die Nase gegen die Fensterscheibe - da draußen, war das nicht Lars? Er stand neben einem Lada mit vier Frontscheinwerfern. Das war das schnelle, limitierte Modell, wie hochrangige Funktionäre es fuhren. Stasileute, Regierungsbeamte, Offiziere. Lisa wusste es von ihrem Vater. Er hatte ihr beigebracht, scharf und genau zu beobachten und immer dem Instinkt zu vertrauen. Im Vorbeifahren sah Lisa, wie ihr Freund die Hand eines kultiviert wirkenden älteren Herren schüttelte, lächelte und mit ihm in das Fahrzeug stieg. Was hatte das alles zu bedeuten? Sollte ihr gerade beginnendes eigenes Leben unter einem schlechten Stern stehen? Eine innere Unruhe bemächtigte sich Ihrer. Sicher würde Lars ihr das heute beim Abendbrot erklären. Welche Rolle dieser Mann auch spielte - er konnte alles sein: Kollege, Vorgesetzter, Mentor, Führungsoffizier. Sicher aber war er ein Genosse.

Laut klingelnd ratterte die Bahn der Endhaltestelle am Bahnhof entgegen. Jeglichen weiteren Gedanken an eine Zusammenarbeit mit den Mantelträgern verschob Lisa angesichts eines großen dampfenden Kaffees. Die Mitropa-Gaststätte war menschenleer um diese Tageszeit.

„Warten Sie auf einen der Züge?“, wollte die freundliche Kassiererin wissen. Sie bekam nur ein Kopfschütteln und ein angedeutetes Lächeln als Antwort.

„Aah, verstehe: Sie holen jemanden ab, nicht wahr?“

„Ja … ähm, nein. Kann ich trotzdem hier meinen Kaffee … ?“

„Aber Frollein, natürlich! Hier müssense nicht vorab reservieren. Wir haben zwar nicht viel, aber Platz haben wir hier reichlich!“

Lisa nickte der Frau hinter der Kasse zu und setzte sich an einen freien Zweiertisch.

Neben der Eingangstür bemerkte sie einen nicht mehr ganz jungen Mann, der in einer Zeitung las und in einem Glas Tee rührte. Wie sie führte der Fremde kein Gepäck mit sich. Kraftfahrer ist er, vermutete sie, und dem Anzug nach zumindest kein Arbeiter.

Er rührte im Teeglas und schaute ihr plötzlich mit stechendem Blick direkt ins Gesicht. Kühl, fast drohend musterte er sie einen Moment, bevor er sich wieder der Zeitung zuwandte. Dieser Wimpernschlag hatte genügt, um Lisa eine Gänsehaut zu bescheren. Der kennt mich, glaubte sie plötzlich. Vorher hatte Lisa nie einen Gedanken daran verschwendet, dass sie für das MfS von irgendeinem Interesse sein könnte. An diesem Morgen im Auto der zwei Stasileute hatte sie das erste Mal darüber nachgedacht.

Nun, da sie hier ihren Kaffee trank wusste sie, dass Misstrauen fortan ihr ständiger Begleiter sein würde.

Bevor die Welle bricht

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