Читать книгу È la vita - Dirk Josczok - Страница 4
Kapitel 2: MONTAG
Оглавление4.38 h.
Puls geht schnell. Keine Ahnung. Tracker ausgeschaltet.
Zu schnell.
Atmen.
Traum vergessen.
Schreiben.
Draußen noch dunkel.
Drinnen langsam heller. Beruhige mich. Bilder verblassen.
Konzentriere mich auf die Geräusche.
Mein Herz.
6.58 h.
BD: 132/82 P: 72.
Wetter: 9 Grad, maximal 13, leichter Regen angesagt.
Ein paar Tropfen auf der Fensterscheibe. Die Fenster dämmen gut.
Bin noch mal eingeschlafen. Ruhig geschlafen.
Karl: die Trillerpfeife!
Eine Minute zu früh.
8.17 h.
BD: 116/70 P: 107. Vor Dusche.
Salve – wie das klingt!
Der Portier hat uns so begrüßt. Wie Caesar seine Gladiatoren.
Bevor es ans Sterben geht.
Bevor wir los sind.
Ich lebe noch. Ich fühl mich gut.
Wir haben unseren ersten Trainingslauf gemacht. Vom Hotel zum Hafen, Richtung Leuchtturm und zurück. Nur etwas mehr als eine halbe Stunde. „Akklimatisierung.“
Leichter Regen. Etwas Wind. Ganz wunderbar. Ich mag das. Wenn die Luft so flirrt vor Feuchte. Wenn der Asphalt glänzt vom Regen.
Alles, wie reingewaschen. Wenn es unter jedem Schritt aufspritzt wie Jubel. Dann bin ich überall zu Haus. Der Ausblick aufs grau-blau-grüne Meer.
Die Masten der Segelboote. Hunderte. Die langsam erwachende Stadt. Kaum Autos, kaum Menschen. Ein paar Angler. Die Luft noch klar.
Die prächtigen Fassaden an der Uferpromenade. Dahinter, darüber, das zum Bergwald hin aufsteigende Häusermeer. Die roten Dächer wie frisch gewachsene Pilzköpfe nach einem warmen Regen.
Es gibt beim Leuchtturm übrigens ein Freibad. Am gleichen adriatischen Meer, aber für Frauen und Männer durch eine Mauer getrennt.
Am Kai standen ein paar Wohnmobile, etwas abseits. Und da kam prompt die Frage auf: Prostitution?
Hafenstadt.
Männer.
Bedürfnisse?
Was die Mauer zwischen freibadenden Männern und Frauen möglicherweise erklärt.
Bin ich auch so?
Neue Schnürsenkel kaufen.
Zur Sicherheit.
Ich hätte ewig weiterlaufen können. Im Regen zu laufen, ist wie in der Badewanne zu liegen, im heißen Wasser. Wie Umarmung. Wie Erlösung. Durch den Regen laufen, dann ein heißes Bad, dann ins Bett und dem Trommeln der Regentropfen ans Fensterglas lauschen. Sich Stürme erträumen, wie ich es als kleiner Junge getan habe, geborgen unter der warmen Zudecke, in bester Gesellschaft meiner Kuscheltiere.
Arche Noah, Knopf im Ohr.
Es gibt nur eins, was noch schöner ist.
Gruppenfrühstück ist es nicht.
9.20 h.
Wir haben vier Zweiertische zu einem Achter zusammengewuchtet.
„Deutschland Achter!“
Die vom Hotel haben geguckt und gezuckt, aber nichts gesagt.
Der Kunde ist König.
Wie heißt das auf Italienisch?
Kannst du dich an das Lied von Reinhard May erinnern: Die Schlacht am kalten Buffet? So passiert.
Die sieben Samurai am Futtertrog.
Mir vergeht ja immer der Appetit bei Überfülle. Je mehr desto weniger.
Ich habe nur ein Cornetto (mit Creme gefüllt – sehr gut!) gegessen und einen Kaffee getrunken. Die anderen haben ordentlich zugelangt. Ist ja alles all inclusive.
„Reserven angelegen!“
Meint Karl. Für den Lauf am Sonntag. Damit der Körper was zu zehren hat.
Karl ist in seinem Element. Er ist alles gleichzeitig: Papa, Mama, Anführer.
Er geht in seinen Rollen auf und allen auf den Wecker.
Ich komm mir vor wie anno auf Abi-Fahrt. Nach Berlin. Damals stand die Mauer noch. Ein halbes Jahr. Damals fand ich Berlin entsetzlich. Zu groß. Zu laut. Zu schmutzig. Vielleicht mag ich es jetzt gerade deshalb. Den Rest, der davon übrig ist. Von einer Stadt, die einfach war und nicht München sein wollte.
Ich bin undankbar. Ich lebe von der Umkehr der Verhältnisse.
Außerdem habe ich dich dort kennen gelernt.
Das Beste, was mir je passiert ist.
Vielleicht sollte ich wegziehen. In eine Stadt am Meer. Wie Triest.
Das Meer lindert.
Vielleicht.
Vielleicht.
Vielleicht.
Laut Karlsplan steht heute der Besuch der Burg an.
Castello di San Giusto. Mit Waffenmuseum.
Warum soll ich mir Waffen ansehen? Ich bin keine acht mehr.
6x8.
Zweite Halbzeit. Halbe Zweizeit.
Viel zu lang. Zu kurz.
Bon giorno, mi chiamo Ulf. Io ho quarantotto anni.
Io abito a Berlino. Mio professione è ingegnere misurare.
Io ho una figlia – Britta.
Senza Madonna.
Punto.
Postkarten besorgen!
Ich habe versprochen, dass ich schreibe.
Yana und Georg habe gewettet, wie lange sie brauchen werden.
Um eine Pizza.
Yana: Mindestens drei Wochen.
Georg: Höchstens eine.
Ich muss draufschreiben, wann ich sie abgeschickt habe.
Ich glaube, Georg will was mit Yana. Er will sie gewinnen lassen, um sie einladen zu können.
Ist das gut fürs Betriebsklima?
Briefmarken heißen Francobolli.
Sie haben wirklich nette Wörter.
Wenn man von seinen Mitarbeiterinnen fabuliert: WhatsApp von Yana. Wegen der Unterlagen fürs Katasteramt.
Dringend!
Wie immer. Es ist immer alles dringend. Alles. Immer. Ewig.
Kümmer ich mich nächste Woche drum.
Wenn ich das hier überlebe.
Amen.
14h. 331.
Siesta oder Stubenarrest?
Wenn’s nach Karl ginge. Er schmollt noch immer. Er wollte, dass wir in unseren Plastejacken gehen. (Seinen, die er uns gesponsert hat. Ungefragt, aber hingenommen). Er will, dass wir Werbung für ihn laufen:
AGENTUR SECURITAS.
Nils und ich waren strikt dagegen. Bei aller „Liebe“.
Also haben wir abgestimmt. Ganz gruppendemokratisch.
Vier Enthaltungen!
Zähneknirschen und ein stummer Aufstieg in drei Gruppen. 1-4-2.
Immerhin auf Römerspuren. Ausgangspunkt: Teatro Romano, direkt am Fuße des Stadthügels. Die Halbarena soll mal 6000 Zuschauern Platz geboten haben. Früher mit Meerblick. Heute steht das Polizeipräsidium im Weg.
La Questura!
Klingt auch ein bisschen wie Theater.
Schon beeindruckend, was die damals gebaut haben, wie sie das aufgemessen haben, ohne Laser. Alles Groma und Chorobat.
Was für eine Mühsal. Alles für die Abendunterhaltung.
Was die wohl damals da aufgeführt haben: Römer first?
Man sieht, was daraus wird: Ruinen.
Aufstieg durch schmale, gewundene Gassen hinauf zum Foro Romano. D
as Zentrum der römischen Siedlung. Ein paar steinerne Überreste.
Anbei die Kathedrale.
Eine Kirche ist eine Kirche ist eine Kirche.
Es hat genieselt, also bin ich mit hinein. Gut Wetter machen. Karl hat für jeden von uns eine Kerze gestiftet. Für einen erfolgreichen Lauf.
Dann kann ja nichts mehr schief gehen.
Vom Religiösen abgesehen haben Kirchenräume ja immer etwas Erholsames.
Sie gestatten Schweigen.
Es gibt ein paar schöne Mosaiken in der Kathedrale – im Dom. Und einen mächtigen schmiedeeisernen Leuchter. War auch nicht so grell verkitscht, wie die in Süd-Italien. Ohne dieses ganze Heiligen-, Seligen- und Wunder-Schickschnack. Keine Leichentücher, Jesus-Zehennägel oder ähnliches. Weißt du noch, Neapel –Blutwunder?
Und überall Marias mit durchbohrten Herzen.
Wer kommt bloß auf sowas?
Aber auch hier: Beichtstühle. Die irritieren mich doch immer wieder.
Weil ich etwas zu verbergen habe?
Des lieben Friedens willen wäre ich sogar mit ins Waffenmuseum gegangen.
Karl zuliebe. Konnte kaum mitansehen, wie es in ihm quälte.
Aber: Montags geschlossen!
Armer Karl. Noch mehr Qual.
Reimt sich.
Wenigstens hatte die Burganlage geöffnet und der Ausblick auf die Stadt und das Meer hat doch etwas entspannt. Wir haben ein Gruppen-Foto gemacht. Günter mit Selbstauslöser – und Karl in unserer Mitte.
Ich habe ein paar Fotos mit dem Handy gemacht. Aber es ist doch ziemlich bedeckt und grau. Die Trikolore hab ich. Erstaunlich moderate Größe.
Im Wind mit Möwen.
Die Frau aus dem Bus hab ich gesehen. Die auf der Fahrt von Ljubljana über den Gang gesessen hat. Sie saß im Burg-Café im Innenhof und hat Postkarten geschrieben.
Auch Läuferin?
Apropos Schreiben!
Postkarten: Si. Francobolli: No.
Ich habe in vier verschiedenen Tabacchi-Läden gefragt. Ich hab’s mir extra aufgeschrieben: „Ha francobolli per carte postale per Germania?“
Nichts zu machen. Früher gab’s die da doch immer. Jetzt anscheinend nur noch auf der Post.
Wo ist die?
Piazza Vittorio Veneto.
Die Zeit der Lesebrille ist angebrochen.
Wahrscheinlich schreibt sowieso niemand mehr Postkarten. Außer der unbekannten Läuferin und mir. Meine „Sport-Kameraden“ verschicken Selfies via Instagram.
Ich hätte sie fragen sollen, ob sie Francobolli übrig hat.
Ich spreche keine fremden Frauen an.
Ich find das seltsam. Diese Sucht, sich mit allem zu fotografieren und in Echtzeit zu versenden. Es ist, als wäre man gar nicht hier und nur auf Fotos existent.
Vielleicht gibt es im Souvenir-Laden Briefmarken?
Tipicamente Triestino.
Via Einaudi 1. In der Nähe der Börse.
Apropos erfolglose Suche: Noch keine Messpunkte entdeckt.
Wo verstecken die sich?
Ich glaube, außer Karl war niemand enttäuscht, dass es mit dem Waffenmuseum nicht geklappt hat.
Nachmittag zur freien Verfügung.
Was mach ich, Reiseführer?
21.19 h.
War mit Nils und Günter auf der Mole. Rechtzeitig zum Sonnenaufgang um
17.06 h.
Exakt sieben Minuten lang!
Die Mole ist länger. Fast 250 Meter. Man geht praktisch aufs Meer hinaus. Man entledigt sich der Stadt. Man hört sie kaum noch. Nur gedämpft, beschwichtigt vom Plätschern des Wassers, das an die Mole schlägt.
Da, wo das gut polierte Denkmal steht, in Form einer Windrose.
Eingraviert: Approdo a questo molo a R. nave AUDACE prima col vessillo d‘ Italia III Novembre MCMXVIII
Keine Ahnung, was es heißt, aber es klingt gut.
(hab’s fotografiert)
Die Mole wurde 1754 über dem Wrack eines 1738 gesunkenen, spanischen Schiffes (San Carlo) angelegt und 1922 in MOLO AUDACE umbenannt. AUDACE war der Name jenes italienischen Kriegsschiffes, das am 3. November 1918 an der Mole anlegte und die Stadt Triest für Italien einnahm. (Hast du vor, den gesamten Reiseführer abzuschreiben?)
Audace = wagemutig, dreist, frech, kühn, pikant!
Such dir eins aus.
Aus dem Bleigrau des Horizonts heraus plötzlich ein Kreuzfahrtschiff!
Erst ein Punkt, dann schnell in voller Größe und Wucht.
(Was beweist, dass die Erde eine Kugel ist – also doch!)
ARTANIA
Auch so eine „Einnahme“, hochhaushoch und länger als unsere Mole, mit Schlepper voraus und hintendran. Heranbugsiert an den Kreuzfahrt-Terminal gegenüber. Die fahren hier fast bis in die Stadt hinein. Das Hafenbecken muss sehr tief sein.
Ich habe auf der Mole einen Cent gefunden!
Ich darf mir also etwas wünschen.
Ich musste dabei an meine Eltern denken, wie sie jeden Cent hoffnungsvoll von der Straße aufgelesen haben, draufgespuckt und immer gewünscht.
Sind ihre Wünsche in Erfüllung gegangen?
Zumindest haben wir ihnen ihren letzten Wunsch erfüllt. Gemeinsam dem Meer übergeben zu werden.
Immer, wenn ich jetzt am Meer bin, muss ich an sie denken und eigentlich ist das sehr tröstlich, sie da in der Weite der Wellen zu wissen.
Wo sie so gerne am und im Meer gewesen sind. Und ich bin froh, dass sie vorher gestorben sind, in der Gewissheit, dass ihr Sohn, ihre Schwiegertochter und Enkelin gemeinsam glücklich sind.
Sie hätten es nicht verwunden.
Wir haben Medusen gesehen!
Rosa-violett durchscheinende Geschöpfe, fußballgroß, grazil und gravitätisch, wie sie sich im Wasser fortbewegen. Faszinierend und Respekt einflößend.
Du bist mal einer begegnet. Weißt du noch? Vor Sorrent.
Ich sehe noch die roten Tentakel-Striemen auf deiner Haut.
Den Schmerz in deinem Gesicht.
Du warst sehr tapfer.
Waren sie das, die Medusen – Ma und Pa?
Glaub ich an Reinkarnation?
Als was komme ich wieder?
Kommst du mit?
An der Uferpromenade bauen sie Zelte und Buden auf. Vielleicht schon für das Remmidemmi am Sonntag. Gibt ein Volksfest inklusive Volkslauf.
Da rennt wohl immer halb Triest mit. Die andere Hälfe vergnügt sich an den Ständen am Ufer. Überall junge Leute in sorgsam zerfetzten Jeans. Sie haben sogar ein Riesenrad aufgebaut. Für Zwerge. Blinkt aufgeregt in neonblau und hebt die Bambinis himmelwärts.
Vor dem Kreuzfahrt-Schlachtschiff wirkt alles winzig.
SUVs der Meere.
Günter hat Fotos gemacht.
Er fotografiert alles. Ich fürchte, er hat auch mich. Mal sehen, wo ich lande.
Gestrandet im Netz.
Nach der Mole haben wir uns in einer Bar getroffen. Um die Ecke vom Unità Platz. Über WhatsApp-Gruppe. Hat tatsächlich geklappt. Nach und nach sind alle eingetrudelt. Karl zuletzt. Scheint alles wieder gut. Er macht schon wieder Pläne. Er hat eine neue Laufstrecke ausbaldowert.
So komm ich also wieder mal in eine Bar.
Aperol-Spritz wird noch immer gern getrunken.
Ich hab mit dir angestoßen.
Am Meer könnte ich leben. Wenn ich leben könnte.
Mit dir.
Was zur Aufheiterung?
Auf dem Rückweg von der Bar ins Hotel sind wir an einem Sex-Shop vorbei. Ganz ungeniert am Ende der Uferpromenade: Beate Uhse!
Ich dachte, die wär längst im Porno-Himmel.
Der Laden war noch auf und Nils und Marvin mussten unbedingt da rein.
Scuola dell‘ infanzia.
Gegenüber in der ehemaligen Fischmarkt-Halle ist gerade Lego-Ausstellung.
Hätte auch gepasst.
Werden Männer nie erwachsen?
Ich mach jetzt Schluss für heute.
Uhrenvergleich: 21.44 h.
Zwischen den Zeilen wogt das Meer.
P.S. Ich brauch das nicht.
Ich hab’s probiert. Ein paar Mal vorm Computer.
Es macht mich traurig.
Noch trauriger.
23.07 h.
Mückenjagd.
23.49 h.
Erfolgreich abgeschlossen.
(Leider Blutfleck an der Wand.)