Читать книгу Die großen Western Staffel 4 - Diverse Autoren - Страница 9

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»Ich krieg’ sie alle.«

Wenn Maverick allein war, ging es um Leben und Tod.

Er war oft allein.

Auch an diesem frühen Morgen.

Unten am Berg ließ er Sattel- und Packpferd zurück, klemmte sich Winchester und Sharps unter die Achseln und stieg empor.

Über sich am Hang sah er in der Morgenröte die Hütte.

Im Tal hatte jemand ihm einen Tip gegeben. Fremde sollten oben in der alten Schäferhütte sein. Was sie dort wollten und wieviel es waren, so hatte er gesagt, wußte er auch nicht.

Langsam stieg Maverick immer höher.

Jäh stand er reglos. Ein Mann in Stiefeln und langer Unterhose kam aus der Hütte. Lässig warf er den Waffengurt mit Halfter und Colt über die nackte Schulter und trat schlendernd an den Abhang heran.

Plötzlich weiteten sich die Augen des halbbekleideten Halunken. Heiser schrie er auf, warf sich herum und riß den Gurt von der Schulter.

»Stehenbleiben!« brüllte Maverick, ließ die Sharps fallen, hob die Winchester an.

Blindwütig schoß der Halunke auf ihn.

Da feuerte Maverick.

Getroffen wirbelte der Halunke durch die offene Tür in die Hütte hinein und stürzte mit dem Tisch polternd zu Boden.

Sekundenlang war ein Mann schemenhaft an der Tür zu sehen – dann schlug die Tür zu. Gleichzeitig zerbrach die hintere Bretterwand der Hütte.

Klirrend zersplitterte die staubblinde Scheibe des kleinen Fensters.

Mündungsfeuer flammte auf. Schüsse krachten. Kugeln sirrten über den Hang, zwangen Maverick in Deckung.

»Ich krieg’ sie alle.«

Das, was er vor Wochen gesagt und was wie ein Schwur geklungen hatte schien sich nicht zu erfüllen. Maverick stieß auf erbitterten Widerstand.

Sie schossen wie wahnsinnig aus dem Fenster.

Das waren Killer. Mindestens zwei. Doch Maverick blieb kühl. Mit Widerstand hatte er gerechnet. Und einer der Halunken schied bereits aus. Dem war Mavericks Blei in die Knochen gefahren. Aber zwei könnten Maverick immer noch die Seele aus dem Körper pusten.

Schlagartig verstummten die Waffen.

Pulverrauch quoll aus Fenster und Fugen. Der beißende Geruch von verbranntem Pulver ließ einen der Halunken so heftig husten, als würde er jeden Moment ersticken.

Dumpf rumorte es dann, als sie den umgestoßenen Tisch als zusätzliche Deckung vor die Tür schoben.

Maverick kniete am Hang hinter einem Felsen. Noch hielt er die Winchester. Kalt überlegte er. Über die anfängliche Stärke der Bande wußte man nichts Genaues. Einst sollte die Bande aus zehn Mitgliedern bestanden haben. Inzwischen war sie geschrumpft, war zusammengeschossen worden. Maverick vermutete in der Hütte drei Mann. Und er war davon überzeugt, daß es die letzen drei Banditen waren.

»Kommt raus!« brüllte er nach oben. »Langsam. Mit erhobenen Händen! Einer nach dem anderen! Sonst schieße ich euch die Hütte weg!«

Wieder hustete drinnen jemand. Rauch zog auch nach hinten weg. Da mußte ein Loch in der Rückwand sein.

Mit schriller Stimme schrie einer der Halunken: »Komm doch rauf, du Misthund! Wir bekleckern die Felsen mit deinem Blut.«

Maverick nickte vor sich hin. So eine Antwort hatte er erwartet. Sie würden niemals aufgeben. Nur dann, wenn sie eine Kugel im Leib hatten.

Bedächtig legte er die Winchester hin und packte die Sharps. Langsam schob er den dicken Lauf über den Felsen. Eine doppelte Ladung wartete darauf, gezündet zu werden. Das 36kalibrige Geschoß hatte eine gewaltige Durchschlagskraft.

»Mein letztes Wort!« brüllte er hinauf. »Kommt und bringt den Verwundeten mit raus.«

»Hol uns doch«, schrie der Bandit mit der schrillen Stimme. Hohngelächter gellte durch die Morgenluft.

Wieder dröhnten Schüsse in der Hütte, weckten im weiten Tal hallende Echos, die selbst die ferne Ortschaft erreichten.

Kugeln schrammten über den Felsen. Maverick duckte sich. Fluchend riß er die schwere Sharps vom Felsen.

Oben polterten Pferde, brachen Bretter. Plötzlich schlugen Hufe mit hartem hellem Klang über Felsboden.

Trotz der Schüsse ruckte Maverick hoch, sah einen Reiter hinter den Felsklippen rechts von der Hütte verschwinden. Das geschah so schnell, daß er den Mann im Sattel nicht erkennen konnte.

Da oben gab es einen Weg.

Daran hätte er denken müssen. Denn im Nachbartal hausten Schafzüchter. Diese Hütte war ihr Beobachtungsposten. Von hier aus konnten sie die weit hinten im Tal gelegene Ortschaft sehen und die Leute im Tal beobachten. Schafzüchter waren unbeliebt, hatten stets Feinde.

Er wollte nach oben, doch der Halunke schoß auch jetzt noch.

Wenn Maverick die Hütte stürmen wollte, mußte er durch die Tür.

Die Zeit drängte. Der Reiter gewann einen Vorsprung.

Maverick legte die Sharps wieder auf den Fels, zielte und drückte ab. Die Büffelflinte entlud sich mit einem Donnerknall, sprengte ihre Ladung förmlich durch die Brettertür und ließ Holz durcheinander wirbeln. Mit einem knirschenden Geräusch fiel die Tür ins Innere der Hütte.

Maverick stürmte los, raste den Hang empor, hielt jetzt die Winchester gepackt.

Hinter der Hütte tobte ein Pferd los. Ein Reiter hetzte hervor, geriet in Mavericks Schußfeld. Die Winchester peitschte Blei über den Platz vor der Hütte. Der Reiter zuckte heftig, fiel nach vorn, blieb aber auf dem Pferd und folgte dem Komplicen.

Hart warf Maverick sich gegen die Hüttenwand. Rauch wallte aus Tür und Fenster. Irgendwer kroch über den Boden. Metall rieb aufeinander. Dann zerbrach knirschend Glas.

Der Halunke, den Maverick angeschossen hatte, richtete sich am Fenster auf. Zitternd vor Schwäche hob er die Hand mit dem Colt.

In diesen Sekunden warf sich Maverick in die Hütte hinein, rollte herum und kam mit der Winchester im Anschlag halb hoch.

»Gib auf!« brüllte er.

Doch der Halunke am Fenster glaubte an eine Chance, richtete den Colt auf ihn und wollte abdrücken.

Da spuckte die Winchester in Mavericks Händen Feuer. Der Schuß hob den Halunken auf die Fußspitzen und stieß ihn herum. Mit dem Oberkörper fiel er durch das Fenster, mitten in die Glassplitter hinein. Schlaff blieb er stecken, halb stehend, halb hängend – tot.

Maverick drang schon über zerbrochene Bretter durch das Loch in der Rückwand hinaus. Von der Hütte aus führte der Weg um den Berg und dann in die Tiefe des Nebentals.

Bei Sonnenaufgang ging er abwärts zu Sattel- und Packpferd. Über einen abseits gelegenen steilen Pfad ritt er zur Hütte und daran vorbei.

Der Weg war schmal. Er konnte das Packpferd nicht mehr hinter sich herziehen. Darum trieb er es voraus. Dornensträucher, Felsen und Kakteen verengten den Weg.

Plötzlich krachten Schüsse.

Kugeln zerrissen Blätter, schlugen gegen Felsen. Röhrend brach das Packpferd zusammen. Im Nu war Maverick aus dem Sattel, rannte geduckt nach vorn und sah noch, wie Staub hinter zwei Reitern hochschlug.

Die beiden Halunken glaubten, daß er nun ohne Pferd wäre. Sie wußten nichts von einem Packpferd.

Als er den Berg verlassen hatte, stieß er auf die Spuren der beiden Flüchtigen. Manchmal entdeckte er etwas Blut. Dem einen hatte er eins verpaßt. Die Wunde war vielleicht nicht schlimm, aber bestimmt schmerzhaft.

Die Spur führte nicht zu den Schafzüchtern.

Maverick folgte ihr kühl und gelassen. Vielleicht ritt er zum letztenmal auf der Spur von Banditen.

Ein Mann mußte wissen, wann Schluß war. Schluß mit dem Dasein als Gunfighter und Kopfgeldjäger.

*

Maverick kam gemächlich näher.

Vor ihm in der Abendsonne lag eine fremde kleine Stadt.

In dieser Stadt wollte er für immer Schluß machen. Siegen, um aufzugeben. Um für immer unterzutauchen.

Der Name der Stadt war auf dem staubbeschlagenen Holzschild nicht mehr zu entziffern. Er war auch unwichtig für einen Mann wie Maverick C. Rooster, der schon in über hundert Städten und Drecknestern gewesen war.

Nur drei Ortsnamen blieben wichtig für ihn, weil jene Städte zu rauhen Meilensteinen seines Lebens geworden waren. Omaha, Cottonfield und Sundance Corral.

Lässig lenkte er das Pferd hinter den Häusern entlang, überquerte schmutzige Hinterhöfe.

Er mied die Straße – bis er gefunden hatte, wonach er suchte.

Plötzlich stand er in der Tür des Sheriffs-Office. In einem zerschlissenen langen Staubmantel. Mit hochgeschlagenem Kragen. Den staubbeladenen Stetson tief in die Stirn gerückt.

Und er sagte rauh: »Zwei Spuren führen in die Stadt. Die Spuren von zwei Killern. Ihre Pferde stehen hinterm Saloon. Einen der Halunken hat es erwischt. Ich leg’ sie um. Halten Sie sich raus, Sheriff. Die beiden Mörder sind ’ne Nummer zu groß für Sie.«

Er machte kehrt und ging.

Der Sheriff starrte durch die leere Tür hinaus. Er hatte den großen Fremden erkannt.

»Großer Gott!« flüsterte er und kam hinterm Schreibtisch hoch. »Das war doch Rooster! Maverick C. Rooster. Die lebende Legende!«

Er tastete sich um den Tisch, näherte sich der Tür, hörte große feste Schritte und dann Hufschlag.

»Himmel!« ächzte er. »Jetzt auch noch Rooster! Zwei Revolverkönige in der Stadt! Das geht in die Geschichte ein!«

Er hastete hinaus und wollte Maverick etwas nachrufen. Zu spät. Rooster ritt schon davon, zum Stiefelhügel hinaus.

Gebannt blickte der Sheriff ihm nach.

In seinen Augen ähnelte Maverick C. Rooster einem herrenlos umherstreunenden Hund, war wie ein struppiger Wolfshund.

Aber Rooster war ein Wolf. Ein narbiger, zäher Wolf, der noch um sich biß. Die Indianer nannten ihn »Lobo Rooster«.

Rooster wollte allein sein. Wie immer, bevor er in den Kampf ging. Allein mit Winchester, Sharps und Colt.

Auf dem Friedhof fand er die Stille, die er brauchte.

Tief stand die Sonne fern über der Wüste. Durchhängender Telegrafendraht führte hinter den Häusern von Mast zu Mast in die Ferne, wo bronzefarbene Hitzeschleier längs des Horizonts dahinzogen.

Wind kam auf. Staub trieb über die Straße, wirbelte durch enge Gassen. Feiner Sand schlug gegen Fenster. Einige waren bereits von innen erhellt.

Winselnd fing sich der Wind in den eisernen Verzierungen alter rostender Kreuze, schüttelte die verwilderten Ziersträucher neben den eingesunkenen Gräbern.

Maverick blickte auf die zerbrochenen steinernen Namenstafeln. Hier lag sein Bruder nicht begraben. Er hatte auf dem Friedhof von Omaha sein Grab gefunden.

Maverick straffte die Schultern, stapfte los. Durch hartes Gras, Unkraut und Disteln. Vorbei an brüchigen Grabsteinen, die in das Abendrot emporragten.

Es war soweit. Der letzte Kampf. Und dann vergessen. Alles, was vorher war. Er wollte nicht mehr länger nach demjenigen suchen, den es vielleicht schon gar nicht mehr gab. Nach dem Mörder seines Bruders Benjamin.

Unten am Rand des Stiefelhügels stieg er in den Sattel, ritt langsam an und näherte sich dem Saloon.

Kurz davor rutschte er aus dem Sattel –?und das Pferd ging weiter. Mit Sharps und Winchester in den Scabbards. So, als wäre es ohne Reiter in die Stadt gekommen.

Und genau vor der Schwingtür des Saloons blieb es am Straßenrand stehen. Hob den Kopf an, prustete laut und scharrte mit dem rechten Vorderhuf.

Im Saloon waren an diesem Abend wenige Gäste. Zwar hätten viele Einwohner gern mit eigenen Augen den berühmten zwielichtigen Revolverkönig gesehen, doch stilles Unbehagen hielt sie vom Besuch des Saloons ab.

Vor dem Saloon stampfte das Sattelpferd ziemlich heftig, als wollte es auf sich aufmerksam machen.

Stumm bediente eine junge Mexikanerin die beiden Fremden am Tisch in der Nische.

Als der eine nach ihrem Arm griff und sie an sich zog, sträubte sie sich, sagte aber kein Wort.

»Laß sie los, Fremder«, sagte der Mann an der Theke kühl, »sonst schieß ich dir den Kopf ab.«

Die bildschöne Mexikanerin kam frei und huschte barfuß durch einen Glasperlenvorhang nach hinten.

Auf dem dunklen Gang konnte sie kaum etwas erkennen. Jäh stieß sie mit Maverick zusammen, atmete geräuschvoll ein und wich ihm aus, preßte sich an die Wand und sah ihm nach.

Er näherte sich dem Perlenvorhang.

Das Mädchen schlich ihm lautlos nach.

Noch immer lehnte der in Schwarz gekleidete Revolvermann an der Theke. Er lächelte auf eine seltsame Art. Richtig genießerisch. Bedächtig fingerte er aus seiner langen Jacke ein Zigarillo hervor, rauchte es an und blickte kurz hinaus auf das Sattelpferd.

»Ihr bekommt Besuch, Jungs«, sagte er in freundlichem Ton, nickte den beiden Banditen am Tisch zu und langte nach dem Glas Whisky. »Ich bin nicht gemeint. Das weiß ich. Ich hab’ keine Freunde.«

Offensichtlich wußten die beiden Halunken nicht, wer vor ihnen an der Theke stand. Er hatte sie bislang aber auch noch nicht mit seinen blauen Augen kalt angesehen.

»Wir haben auch keine Freunde!« fauchte der Bandit, der nicht verwundet worden war, und bekam einen Hustenanfall. »Wer, zum – Teufel, bist – du?«

»Das ist jetzt unwichtig für euch. An eurer Stelle würde ich schnellstens verschwinden und tausend Meilen reiten. Dabei würde ich keine einzige Rast einlegen und niemals zurückblicken.«

»An deiner Stelle würde ich das Maul halten!« fauchte der Killer und kam angespannt hinter dem Tisch hoch. »Halt endlich dein dreckiges Maul, sonst stopfe ich es dir mit einem Haufen Blei, verdammt!«

Hustend krümmte er sich, starrte den Mann am Tresen haßerfüllt an und rang mühsam nach Luft.

Der Komplice quälte sich hoch. Rücken und Schulter waren notdürftig verbunden. Mavericks Kugel hatte ihm eine blutige Schramme übers Kreuz gerissen.

Beide Halunken wurden steckbrieflich gesucht. Die Prämien waren nicht hoch, doch für einen Revolvermann, der leichtes Spiel mit ihnen hatte, auch nicht zu verachten.

Maverick stand hinter dem glitzernden Glasperlenvorhang. Im flackernden Schein der Petroleumlampe und der beiden Talglichter auf dem Tresen konnte er die Gesichtszüge der drei Männer deutlich erkennen.

Auf einmal runzelte er die Stirn und blickte mit verengten Augen auf den Mann am Tresen.

Das war Donovan Fairbanks!

Ein Revolvermann wie er. Ein König der Colts. Und wie er selbst schon zu Lebzeiten eine Legende.

Eines stand fest: Fairbanks würde ihm im Kampf gegen diese beiden Killer nicht beistehen – auch wenn er hereingekrochen käme. Und umgekehrt wäre es genauso. Jeder hatte eben seine Gegner. Keiner mischte sich in die Angelegenheiten des anderen ein. Das war schon seit Omaha so. Damals allerdings war Fairbanks noch ein ziemlich unbekannter Neuling gewesen. Erst später, nach Omaha, hatte er Format bekommen. Und seitdem war es mit ihm immer weiter nach oben gegangen, hatte er alle Rivalen aus dem Weg geschossen.

Es war also keine Feigheit, die Fairbanks zu dieser Antwort veranlaßte:

»Wie du willst –?ich halte das Maul. Wenn ihr wollt, dann gehe ich sogar. Denn ich kenne das Ende schon –?euer Ende.«

Genießerisch rauchte er und strich dabei mit einer fast zärtlich anmutenden Geste über sein schwarzes, von silbernen Strähnen durchzogenes Haar.

Während der hustende Bandit noch immer nach Luft rang, beugte sich der andere steif vor. Lauernd dehnte er:

»Was soll das Gerede, Mann? Wieso willst du unser Ende kennen? Da gibt es nichts zu kennen.«

»Du irrst, mein Guter – gewaltig.«

Der Bandit überlegte, starrte Fairbanks durchdringend an.

»Hast du einen Mann kommen gesehen? So einen großen Kerl mit ’nem langen Staubmantel? Mit ’nem alten speckigen Stetson auf den aschblonden Haaren?«

»Nein.« Fairbanks lächelte amüsiert. »Nicht den Mann –?aber das Pferd. Das reitet er schon lange. Ich glaube, seit Dodge City. Und das ist schon einige Jährchen her.«

»Wo hast du das Pferd gesehen?«

Die Halunken standen beide hinter dem Tisch – und vor ihnen neben den mit Whisky gefüllten Gläsern lagen ihre Gewehre. Ihre Hände legten sich in diesen Sekunden auf die Colts.

»Wo?« Donovan Fairbanks pustete etwas Staub von der Schulter. Dann deutete er mit dem Zigarillo hinaus. »Da draußen. Am Straßenrand. Da steht ein Pferd. Sein Pferd. Und ich weiß auch schon, wo er ist. Ihr kennt ihn doch sicherlich? Schließlich ist er hinter euch her, will sich wahrscheinlich die Kopfprämie zusammenschießen. Er sorgt für sein Alter vor. Wieviel bringt es ihm denn ein, wenn er euch umlegt? Unter tausend Dollar tut er es nicht.«

»Verdammt! Von wem redest du?«

»Von Rooster. Maverick C. Rooster. Ist doch völlig klar! Das ist schließlich sein Pferd.«

Dieser Name ließ die Killer erstarren. Der angeschossene Bandit flüsterte:

»Rooster? Das hab’ ich nicht gewußt. Ich dachte, das wär’ ein anderer. Irgendein Idiot, der sich mal was verdienen wollte. Aber irgendwie hab’ ich’s geahnt!«

»Deine Erkenntnis kommt ziemlich spät«, meinte Fairbanks lächelnd. »Rooster hat euch schon im Visier. Wetten?«

»Stimmt.« Ruhig tönte Mavericks Stimme herüber. Gleichzeitig klingelten die Glasperlen. Jäh stand er reglos. Die Hand hing flach ausgebreitet über dem Colt. Rauh sagte er: »Los, macht schon! Bringt es hinter euch!«

Die Killer zögerten.

Fairbanks bewegte sich langsam an der Theke entlang, wich zurück. Angst war das nicht. Er wollte lediglich alles besser überblicken können.

»Los«, knurrte Rooster. »Ich reite mir nicht die Zunge aus dem Hals, um hier lange herumzustehen.«

Sie zogen gleichzeitig. Wirklich schnell. Und doch hatten sie keine Chance. Maverick C. Rooster war schneller. Der Colt sprang ihm in die Hand. Der Schuß dröhnte. Die Trommel drehte sich gleichzeitig um ein Stück. Der Schlagbolzen schlug auf die nächste Patrone. Das Geschoß traf den zweiten Halunken. Beide stürzten in die Nische, brachen hinter dem Tisch zusammen. Nur einer war zum Schuß gekommen. Die Kugel hatte eine Glasperle zerplatzen lassen.

Rooster trat an die Theke heran, langte nach der Flasche und nahm einen Schluck.

Fairbanks ging in die Nische.

Die junge Mexikanerin kam langsam durch den Glasperlenvorhang und sah mit großen dunklen Augen zu Fairbanks hinüber. Plötzlich krachte ein Schuß.

Maverick riß den Colt hervor, wirbelte herum –?doch er brauchte nicht zu schießen. Fairbanks hatte geschossen, beugte sich gerade über einen der Halunken. Nur sein Rücken war zu sehen. Aber schon richtete Fairbanks sich auf und kam lächelnd heran.

»Der eine wollt’ dir noch ein Stück Blei verpassen, Maverick.«

»So was!« Maverick schüttelte den Kopf. »Ich dachte, ich hätte ihn voll erwischt. Ich glaub’, ich werd’ alt.« Wieder schüttelte er den Kopf, trank dann, stellte die Flasche zurück. »Die Leute hier haben Telegrafie. Der Sheriff muß ’ne Meldung losschicken. Damit ich die Prämie bekomme. Das kotzt mich an. Schluß damit.«

»Da kommt schon der Sheriff. Was hast du gesagt? Schluß?«

»Ja – Schluß. Ich hör’ auf, Donovan.«

»Das kann ich nicht glauben. Lobo Rooster macht Schluß? Unmöglich. Vielleicht wirst du wirklich alt, mein Lieber. Du hast auch vergessen, daß ich dich mal darum gebeten hatte, mich Don zu nennen – nicht Donovan. Wie hört sich das an! Das mit dem Schlußmachen nehme ich dir jedenfalls nicht ab. Du hast noch immer nicht den Mörder deines Bruders. Wie hieß der arme Junge noch? Das war in Omaha.« Fairbanks überlegte und sah zur verräucherten Decke empor. »Damals in Omaha. An einem sonnigen Tag. Gleich um die Ecke vom Barbiersalon.

Da kannten wir uns noch nicht, Maverick. Ich hatte von dir viel gehört. Ja, und ich hatte dich bewundert –?den großen Rooster. Jetzt weiß ich es: Benjamin hieß dein Bruder. Ben. Armer Kerl. Ich –«

»Hör auf mit den alten Geschichten!« fuhr Maverick ihn grob an. »Bens Mörder kann schon längst tot sein. Dann jage ich einem Phantom nach! Niemand hat den Mörder gesehen. Damals. Nur einen der Colts, die Benjamin bei sich gehabt hatte, nahm er mit. Wahrscheinlich, weil seiner leergeschossen war.« Maverick trank noch einmal. Mit dem Ärmel wischte er den Mund ab. »Ich hab’ viele Halunken gejagt, Donovan. Und immer hatte ich vorher geglaubt, Bens Mörder vor mir zu haben. So ging die Jagd immer weiter. Bis heute abend.«

Fairbanks nickte, war jetzt ernst und verstand auch Roosters Beweggründe.

»Deshalb hast du sie alle gejagt und konntest keine Ruhe finden, Maverick. Bei mir ist es ja anders. Ich bin nicht hinter einem Killer her, der mir persönlich was angetan hat. Aber hast du wirklich geglaubt, eines Tages auf den Mörder zu stoßen?«

Maverick nickte, wandte sich ab und stapfte zur Tür.

»Ich bin drüben in der Bar. Ich will in Ruhe meinen Whisky trinken!«

Fairbanks folgte ihm dichtauf.

Zwei Revolverkönige überquerten die Straße dieses elendigen kleinen Städtchens. Ihr Ruhm schien Licht in das Dunkel dieses Drecknestes zu bringen.

Der Sheriff identifizierte die Toten, nahm ihre Waffen und Geld und legte alles auf den Tisch.

Die junge Mexikanerin stand vor dem Tisch und blickte auf die Waffen, mit denen viele Menschen getötet worden waren.

Inzwischen waren etliche Leute hereingekommen. Vor Theke und Tisch kam es sogar zum Gedrängel. Alle wollten sehen, was auf dem Tisch lag und wie die toten Banditen in der Nische aussahen.

Fluchend verließ der Sheriff den Saloon. Draußen begegnete er dem Sargtischler und Totengräber, drückte ihm das Geld der Banditen in die Hände und sagte: »Bring sie unter die Erde.«

*

Maverick blieb länger, als er gewollt hatte.

Aber nur deshalb, weil sein Pferd Ruhe brauchte.

Die Bar wurde von Neugierigen belagert. Der Besitzer hatte die Bar schließen müssen. Sonst hätte keiner mehr die Hand mit dem Glas hochbekommen können – so eng wäre es geworden.

Die beiden alten Revolverwölfe hatten am Tisch in der Ecke Platz genug. Zwei der hübschesten Mädchen waren eigens zur Bewirtung der beiden Männer herangeholt worden.

Kein Wunder, daß Donovan Fairbanks wieder einmal von den Mädchen umschwärmt wurde.

Maverick machte ein abweisendes Gesicht, sprach kaum und gab sich der Muße hin, sich langsam, doch stetig zu besaufen. Wer aber glaubte, ein betrunkener Rooster würde vorbeischießen, der irrte gewaltig.

»Dein Freund ist aber komisch«, flüsterte eins der Mädchen Donovan ins Ohr. »Was hat er nur?«

»Es war sein letzter Kampf. Laßt ihn in Ruhe. Kümmert euch um mich.«

Alt waren Maverick und Donovan eigentlich nicht. Sie waren rauhe, zähe und verwegene Männer. Nur zu alt für das Dasein als Gunfighter. Da kam es auf verschiedene lebenswichtige Dinge an. Auf einen klaren und scharfen Blick. Auf sichere und schnelle Hände. Auf eisige Kälte und unbeirrbare Kaltblütigkeit. Wenn eins dieser Dinge fehlte, konnte es beim nächsten Kampf schon bitter enden.

»He, Maverick, ich bin gleich wieder da«, sagte Fairbanks grinsend. »Ich will der Kleinen hier nur mal mein Hotelzimmer zeigen.«

Maverick nickte gleichmütig.

So zog Fairbanks mit der beglückten Kleinen ab. Beide kamen nicht wieder. Dafür kam der Sheriff, setzte sich zu Maverick und schob ihm eine Liste zu. Darauf waren alle Gegenstände vermerkt, die die Banditen bei sich getragen hatten. Dann auch Ausrüstung und Pferde.

»Ich hab’ schon unterschrieben«, sagte der Sheriff. »Zeichnen Sie bitte ab, Mr. Rooster.«

Maverick kritzelte sein M.C.R. darunter und erhob sich. Zusammen mit dem Sheriff verließ er durch die Hintertür die Bar.

»Meine Frau würde sich freuen, Sie als Gast im Haus zu haben, Mr. Rooster.«

»Das bin ich nicht mehr gewohnt, Sheriff. Verstehen Sie? Ich möchte bei meinem Pferd schlafen. Seine Atemzüge sind für mich so was wie ein Wiegenlied.«

In diesem Moment flammte im Office Feuer auf. Sofort rannten der Sheriff und Maverick hin. Jemand hatte versucht, mit einer Fackel einen Brand zu legen. Zwei bereitstehende Eimer voll Wasser genügten, um das Feuer zu löschen.

»Ein Stümper war das!« knurrte der Sheriff. »Wozu überhaupt?«

Suchend ging er umher. Im Office fehlte nichts. Achselzuckend blieb er vor dem Tisch stehen, auf dem die Dinge der toten Banditen lagen.

»Alles noch da. Gewehre, Colts, Munition, Gurte. Tja, ich weiß auch nicht. Alles, was ich registriert habe, ist da.«

Auf einmal langte Maverick nach einem der Colts. Die Waffe war alt. Ein Whitneyville Walker Colt.

Hätte es im Office nicht gebrannt, wäre er nie auf diese Waffe gestoßen.

Sie war es!

Der letzte Kampf war zugleich das Ende einer langen Jagd.

»Sheriff«, sagte er mit belegt klingender Stimme, »ich möchte diesen Colt behalten.«

»Tun Sie es, Mr. Rooster. Sie brauchen hier nur zu unterschreiben.«

Mit der alten Waffe in der Hand ging Maverick C. Rooster hinaus.

Draußen wandte er sich dem Postoffice zu und holte den Telegrafisten an den Morseapparat. Er gab ihm eine kurze Notiz.

»Wohin, Mr. Roooster? An wen?«

»Nach Cottonfield«, murmelte Maverick, »Mister – nein. An Mrs. Arlene. Wird schon ankommen. Hier, das Geld.« Er wandte sich zur Tür. »Als Absender M.C.R. Das genügt.« Er trat halb hinaus und sagte mit einem flüchtigen Lächeln: »Wenn jemand nach mir fragen sollte –?ich reite spazieren.«

Die Tür fiel ins Schloß.

Ein Mann ritt aus der Stadt.

Nur ein Mensch sah Rooster davonreiten. Das war die blutjunge Mexikanerin Rosanna aus dem Saloon. Stumm winkte sie, doch der Reiter sah nicht zurück.

Noch einmal erlebte Maverick C. Rooster die Stunde in Omaha. Damals, als sein Bruder Benjamin erschossen wurde.

Damals ging Maverick in den Barber’s Shop. Er wollte sich die Haare stutzen und sich rasieren lassen.

Der Barbier breitete das weiße Tuch über ihm aus, doch die Colts störten beim Sitzen. Maverick legte den Gurt mit den beiden schweren Whitneyville Walker Colts ab – und Benjamin schnallte sich den Gurt um. Nur so zum Spaß. Dann setzte er sich auch noch den Hut von Maverick auf. Und damit lief er vergnügt hinaus und rief: »Ich bin Rooster! Maverick C. Rooster! Ihr glaubt’s nicht, Leute? Hier – meine berühmten Colts!«

An der Ecke trafen ihn tödliche Schüsse.

Als Maverick sich über ihn beugte, fehlte einer der Colts. Der Mörder hatte die Waffe genommen.

Maverick konnte vor Tränen kaum noch was sehen.

So war es gewesen. Damals in Omaha.

*

Schwere Atemgeräusche weckten Donovan Fairbanks.

Das schöne Mädchen neben ihm im Lotterbett schnarchte wie ein Kerl.

Donovan schob die Beine über die Bettkante und erhob sich. Schlaftrunken bewegte er sich ans Fenster, blickte mit vom Whisky geröteten Augen auf die mondhelle Straße.

In der Bar waren die Lichter gelöscht, aber der Saloon hatte noch geöffnet. Und weil Fairbanks mächtigen Durst verspürte, stieg er in die weichledernen Stiefel, legte den schweren Waffengurt um und langte zum Stetson.

In diesem Augenblick wurde das Mädchen wach, hob den Kopf mit dem wildzerzausten Haar und sah Fairbanks vor sich im Hotelzimmer stehen.

»Was is’n los?« gähnte die Schöne.

»Ich hol’ uns einen Muntermacher, mein Schatz«, sagte er mit schwerer Zunge. »Und dann will ich auch nach Rooster sehen.« Er kratzte sich den Nacken. »Ich wollt’ doch zurück in die Bar, fällt mir ein.«

»Ach, vergiß es«, seufzte das Mädchen. »Komm her zu mir, schlüpf rein bei mir, fühl dich wohl wie Zuhaus’. Laß doch den sturen Rooster, Liebling. Der hat sie doch nicht mehr alle ganz beisammen.«

»Sprich nicht so abfällig über Rooster, ja?« Fairbanks zielte auf einen Streit ab, um die Dorfschöne loszuwerden. »Das ist ein ganzer Kerl. Du hast überhaupt kein Recht, über ihn irgendwas zu sagen. Weil du irgendwann mal mit dem Kopf kräftig gegen die Wand gelaufen bist. Irgend etwas muß dabei gelitten haben.«

»Wenn du mich beleidigen willst, hau doch ab!« grollte sie, machte dann einen Schmollmund und hauchte: »Sei doch lieb zu mir.«

»Ja, später mal. Steig in dein Schnürsenkelkorsett und geh schön artig zu Mami nach Hause.« Er beugte sich über sie und gab ihr einen Kuß auf die Stirn. »Nun geh, Liebling. Anständige Mädchen liegen längst in ihrem Bettchen.«

Er verließ das Zimmer und ging nach vorn, trat auf die Straße hinaus und wollte sich dem Saloon zuwenden.

Da bemerkte er eine schlanke Gestalt vor dem Sheriffs-Office. Sekunden später war der Mann im Office verschwunden.

Mit kühlem Lächeln näherte Donovan Fairbanks sich dem Office.

Er wußte nichts vom Brand, der Stunden zuvor von Rooster und dem Sheriff gelöscht worden war.

Ebensowenig war ihm bekannt, daß der Sheriff nur dann im Office die Nacht verbrachte, wenn er jemand in einer der Zellen zu bewachen hatte. So schlief der Sheriff in dieser Nacht neben seiner Frau im kleinen Haus am Ortsrand.

Plötzlich sah Fairbanks Lichtschein im Office aufflackern.

Dann huschte der Schatten eines Mannes über das schwach erhellte Fenster hinweg.

Sekunden später war es wieder dunkel. Dann bewegte sich schwach die Tür. Jemand wollte hinaus.

Nur wenige Schritte vom Office entfernt, verharrte Fairbanks am Rand der mondhellen Straße.

Der Stetson hing am ledernen Kinnriemen halb im Nacken, und das schwarze Haar glänzte wie Rabengefieder. Silbern schimmerten dazwischen die ergrauten Strähnen.

Lässig stand er abwartend im Staub der Straße. Der schwache Wind bewegte die lange schwarze Jacke. Darunter leuchtete blütenweiß das Hemd mit den modischen Rüschen. Locker hingen die Hände neben den Colts. Fairbanks war entspannt.

Jetzt schwang die Tür noch weiter auf. Ein schlanker junger Mann kam hervor, hielt in der Rechten einen Colt.

Als er Fairbanks entdeckte, machte er eine Bewegung, als wollte er den Colt auf den berühmten Revolverkönig richten.

Das war eine Reflexbewegung – und Fairbanks hätte das eigentlich auch so deuten müssen.

Doch er sah darin einen Versuch, ihn über den Haufen zu schießen. Im Nu hatte er einen Colt gezogen und schoß.

Während der Knall des Schusses die Straße hinaufstieß, brach der junge Mann zuckend zusammen.

Schlaff lag er vor dem Office auf dem Gehsteig, die Hand mit dem Colt vorgestreckt.

Er war tot.

Männer hasteten heran.

Jemand rief nach dem Sheriff, während sich die Leute vor dem Office und in einem Halbkreis hinter Fairbanks zusammenrotteten.

»Der Doc«, schrie ein anderer, »holt den Doc!«

»Erspart euch das«, sagte Fairbanks kühl. »Der braucht keinen Arzt mehr.«

Hinter den Männern stand barfuß die bildschöne und blutjunge Mexikanerin Rosanna aus dem Saloon.

Vor Entsetzen preßte sie beide Hände an den Mund und brachte nur ein Stöhnen hervor.

Der Sheriff kam herangelaufen. In Stiefeln und grauer Unterwäsche. Mit dem Morgenmantel seiner Frau bekleidet.

Er kniete neben dem Toten nieder, drehte ihn halb herum und ließ ihn wieder zurücksinken.

»Jose«, sagte er, »der junge Mexikaner. Rosannas Freund. Mein Gott, wie konnte es dazu kommen?«

Donovan Fairbanks ging an den Gehsteig heran und setzte einen Fuß auf die Kante.

»Er kam aus dem Office. Mit dem Colt da. Und er wollte auf mich schießen. Warum, weiß ich auch nicht.«

Der Sheriff löste den Colt aus der Hand des Toten, betrachtete die Waffe und sagte: »Sie gehörte einem der Banditen, die Rooster erschoß.«

»Ich verstehe nicht, was er damit wollte.« Fairbanks blickte suchend umher. »Wo ist denn Rooster? Den Schuß hat er garantiert nicht überhört. Der hört einen Floh husten.«

»Mister Rooster ist weggeritten«, sagte der Telegrafist und drängte sich durch die Gaffer nach vorn. »Er macht einen Spazierritt, sagte er. Mehr weiß ich nicht, Sheriff, aber wenn du mich fragst, ob er zurückkommen wird, dann kann ich dir darauf antworten: Nein. Rooster ist für immer weggeritten.«

Niemand beobachtete das Mädchen Rosanna. Weinend ging es zurück zum Saloon.

Fairbanks zog den Telegrafisten beiseite und sprach mit ihm.

Der Tote wurde in die Sargtischlerei getragen.

Am frühen Morgen war auch Fairbanks verschwunden.

*

»Cal?«

Kaum hörbar wehte die Stimme der Mutter vom Farmhaus herüber.

Der junge Caleb Rooster hörte die Stimme nicht. Gedankenversunken saß er am Ufer und sah auf den über dem Wasser tanzenden Korken.

»Cal, kommst du?«

Der schlanke Jüngling in der viel zu weiten, derben Farmershose rührte sich nicht. Flimmernd stach Sonnenschein durch die Baumkronen und ließ sein blondes Haar glänzen.

Kein Fisch hatte bisher angebissen. Aber Cal dachte auch nicht ans Angeln. In Gedanken war er auf fernen Prärien und in nie gesehenen Städten.

Wind raunte in den Bäumen. Der Wasserspiegel glättete sich, als der Wind erstarb, und wurde zu einem Spiegel, der den letzten Sonnenschein in gleißenden Reflexen auf Cals Gesicht warf. Geblendet schloß er die gelblich-braunen Augen.

»Caleb! Zum Donnerwetter, Junge – wir warten mit dem Essen!«

Da sprang er auf, packte die Angelrute, holte die Schnur ein, legte alles unter einen Uferstrauch und lief los. Durch die Schatten des Baumgürtels. Hinaus auf den Feldweg, der zum elterlichen Farmhaus führte.

Weit dehnten sich weißblühende Baumwollfelder. Am Horizont ragte der hölzerne Turm der Kirche von Cottonfield empor.

Von dorther kam ein Reiter.

Der Farmer Lee Rooster saß mit seiner Frau Arlene und dem siebzehnjährigen Caleb schon länger am Tisch, als der Reiter eintraf.

»An Sie, Mrs. Rooster –?nehme ich an. Sie sind im ganzen Conuty die einzige Lady, die Arlene heißt.«

»Komm, setz dich, iß was mit uns«, lud der Farmer den Postreiter ein.

»Das würde ich wirklich zu gern tun, Lee – aber da kommt ein riesiges Unwetter auf uns zu. Ich will versuchen, vorher wieder in Cottonfield zu sein.«

»Ist was los in der Stadt? Gibt’s was Neues?«

»Nein, nichts. Alles träumt so vor sich hin. Nur drei Fremde sind abgestiegen. Ich glaub’, Revolvermänner. Die werden bestimmt nach dem Unwetter wieder verschwinden.«

Lee Rooster nickte, füllte dem

Postreiter ein Glas mit Brandy und stieß mit ihm an. Dann ritt der Mann auch schon davon.

Arlene Rooster saß still am Tisch. Das Telegramm lag auf ihrem Schoß. Ihre braunen Augen leuchteten warm und glücklich.

»Was ist denn, Mam?« fragte Cal. »Hast du ’ne reiche Erbschaft gemacht, oder…«

»Cal«, rügte Lee Rooster, beugte sich vor und betrachtete seine reife, noch immer sehr schöne Frau. »Arlene, würdest du uns verraten, wer dir ein Telegramm geschickt hat?«

Da reichte sie ihm das Telegramm und sagte: »M –?C –?R. Die Jagd ist aus. O mein Gott.«

Hastig erhob sie sich, konnte die Tränen nicht länger zurückhalten und lief in den Schlafraum.

»MCR?« Cal blickte den Vater an. »Heißt das nicht Maverick C. Rooster?«

»Ja, Caleb –?es ist von deinem Onkel Maverick.«

Draußen krachte es. Eine Windbö ließ die Fensterläden klappern, rüttelte an der Tür.

»Kommt er zu uns?« Cals Wangen begannen zu glühen. Er merkte nicht, wie draußen das Unwetter losging, wie Baumwollblüten wie flockiger Schnee an den Fenstern vorbeiwirbelten.

»Ja.« Lee Rooster war richtig erschüttert. »Viele Jahre hat Maverick nach einem Mann gesucht. Jetzt hat er ihn gefunden. Großer Gott, wie viele Jahre seines Lebens sind dabei draufgegangen.«

Verständnislos sah Cal ihn an. Kein Wunder, denn Cal wußte von alledem nichts. Er wußte nichts vom erschossenen Benjamin, seinem jüngsten Onkel, und nichts vom wahren Dasein des Mannes, der zu einer Legende geworden war. Ja, er wußte noch nicht einmal etwas von dieser Legende.

Maverick hatte es so gewollt.

»Mam sagte was von einer Jagd, Dad. Ich versteh’ das alles nicht.«

»Wir auch nicht so recht, Cal. Da mußt du M.C.R. fragen. Er wird bald hier eintreffen. So ein Telegramm ist lange unterwegs. Manchmal ist ein Reiter schneller.«

*

Über Cottonfield röhrte das Unwetter.

Scharfer Wind peitschte Regenschauer gegen die Häuser. Wasser schlug von den Dachkanten. Erde schwemmte weg.

Polternd kamen die drei Fremden in nassen Mänteln in den Saloon. Feuchtwarme Luft beschlug die Fenster. Lampen flackerten, obwohl es Tag war.

Einige Einwohner saßen an den Tischen. Die Theke war frei. Daran bauten sich die Fremden auf. Bärtige hagere Männer, deren Bewaffnung den neugierigen Blicken verborgen blieb. Bis zu den Stiefelschäften reichten die Mantel hinunter. Von den Stetsons schwappte Wasser.

»Sauwetter«, sagte einer zum Saloonbesitzer, rieb sich das unrasierte Kinn und stützte den Ellbogen auf. »Drei Whisky. Wenn’s draußen feucht ist, muß es drinnen naß werden.«

»Scheißlangweilig hier«, dehnte der zweite und sah umher. »Ein paar Figuren, nichts weiter – und das soll die Stadt sein? Kann ich nicht glauben!«

»Vermieft ist sie«, sagte der dritte grinsend, »mieft nach alten Knochen, die noch rumspazieren. Und hier soll es einen Mann namens Rooster geben? Das muß wohl ein Irrtum sein, was?«

»Rooster?« Der Saloonbesitzer wußte nichts von einem berühmten Rooster und der lebenden Legende. Keiner in Cottonfield wußte das. »Wieso Rooster? Was ist mit dem Mann?«

Die Fremden grinsten erst – dann blickten sie gereizt.

»Sag nur nicht, du wüßtest nichts von einem Rooster, Mann!« fuhr ihn der in der Mitte stehende Fremde an. »Seid ihr hier alle bescheuert, oder was ist los? Wir sagten Rooster! Gibt es ihn, oder müssen wir weiterreiten?«

»Hier in Cottonfield gibt es keinen Mann Rooster«, antwortete der Salooner wahrheitsgemäß.

»Und wir dachten –« Der rechts stehende Fremde winkte ab. Mürrisch und auch gereizt. »Das hätten wir uns denken können, Jungs. In so einem miesen Drecknest kann Rooster nicht sein. He«, er beugte sich vor, »wie sieht’s in der nächsten Stadt aus?«

Der Saloonbesitzer mußte nachfüllen. Dann antwortete er: »Die nächste Stadt liegt hinter den vielen Hügeln. Westwärts. Da gibt es längst keine Baumwollfelder mehr. Nur Wüste. Sundance Corral heißt die Stadt. Eine heiße, staubige Stadt.«

»Heiß? Was meinst du damit? Viele Schießereien und so?«

»Ja, so. Eine Stadt ohne Gesetz. Das heißt – einen Sheriff haben sie dort, aber er säuft. Der ist immer stramm. Der weiß nicht mehr, ob die Sonne nun auf- oder untergeht.«

»Na, das ist ja lustig!« meinte der links stehende Fremde. »So einen Sheriff hab’ ich gern, der ist mir sympathisch! Der nimmt es eben nicht so genau. He, Jungs, was meint ihr –?Sundance Corral?«

»Ja, aber bei diesem Wetter bleib’ ich erst einmal hier. Rooster läuft uns nicht weg.« Der Fremde blickte den Saloonbesitzer starr und nachdenklich an. »Was ich nicht verstehe, ist, daß man uns gesagt hat, Rooster wäre in Cottonfield kein Unbekannter.«

»Was wollen Sie denn von diesem Rooster?« fragte der Salooner nach. »Hier in der Gegend gibt es nur Farmen. Suchen Sie Arbeit?«

»Arbeit ist gut. Ja, natürlich –?schnelle Arbeit.«

»Nein, da sind Sie hier falsch. Ich glaub’, Sie müssen nach Sundance Corral reiten.«

Die Fremden tranken geräuschvoll. Draußen brüllte das Gewitter, dröhnten die Donnerschläge.

»Gieß uns noch einen ein«, knurrte einer der Fremden.

Draußen vor der knarrenden Schwingtür polterten schnelle Schritte. Mit tropfnassem Umhang kam der Postreiter herein, zerrte sich die Ölhaut von den Schultern und hing sie am Ständer neben der Tür auf. Händereibend trat er an die Theke heran, nickte den Fremden zu und bestellte einen doppelten Whisky.

»Und ich hatte geglaubt, es noch zu schaffen!« sagte er. »Naß bis auf die Knochen bin ich! Aber was tut man nicht alles für die Kunden.« Dem Saloonbesitzer zugewandt, verriet er: »Ich glaub’, ich hab’ einen Menschen glücklich gemacht. Als sie das Telegramm las, bekam sie leuchtende Augen! So was hab’ ich noch nie gesehen. Sie war ganz weg, richtig selig. Du weißt doch, von wem ich rede?«

»Keine Namen, mein Guter«, entgegnete der Saloonbesitzer beherrscht und lächelte. »Postgeheimnis. Sonst bist du den Job los.«

Der Postreiter nickte und lächelte zurück, griff zum Glas und trank.

»So«, sagte er, als das Glas leer war, »jetzt leg ich mich aufs Ohr. Bei diesem Wetter reißt hoffentlich die Telegrafenleitung.«

Dann nahm er seinen Umhang und verließ den Saloon.

Die Fremden warfen sich eigenartige Blicke zu –?nichtssagend-vielsagende Blicke. Schweigend zahlten sie. Dann gingen sie hinaus.

Der Postreiter war schon verschwunden.

Doch im Stall hinter dem Postoffice blinkte eine Lampe. Der gelbliche Lichtschein fiel durch die Bretterfugen.

Langsam näherten sich die Fremden dem Stall. Tief sanken sie mit den Stiefeln im aufgeweichten Boden ein. Deutlich war vor ihnen die Spur des Pferdes zu erkennen. Immer wieder zuckten Blitze und tauchten Cottonfield in grelles Licht.

»Warum so plötzlich keine Namen!« knurrte der eine Fremde und blies das Regenwasser von den Lippen. »Würdet ihr vor Fremden von einem Postgeheimnis reden und euch hüten, einen Namen zu nennen? Was sind schon Namen! Besonders für Fremde. Die können mit Namen doch nichts anfangen! Es sei denn, sie haben genau nach diesem Namen gefragt!«

»Mann, du bist wirklich clever«, lobte einer der Komplicen. »Darauf wäre ich nicht gekommen.«

»Jungs, wenn ich Rooster umlege, bin ich berühmt! Dann bekomme ich die bestbezahlten Jobs als Schießer! Und euch beide nehme ich als meine Gehilfen. Jeder mächtige Rinderbaron oder sonstwer, der einen gefährlichen Rivalen erledigt haben will, kauft uns dann!«

Sie schwiegen, gingen langsamer, wollten sich nicht durch Schritte verraten. Jedesmal drückten die Stiefel den aufgeweichten Boden mit einem schmatzenden Geräusch auseinander.

Der Postreiter hatte sein Pferd entsattelt und rieb es gerade trocken, als die drei Fremden in den kleinen Stall kamen und das Tor hinter sich schlossen.

Der Fremde in der Mitte grinste ihn an.

»Du reitest noch einmal los«, sagte er, »und sagst Rooster, daß wir hier sind.«

»Er kennt euch doch gar nicht, sonst hätte er mir schon was gesagt!« entgegnete der Postreiter, ohne zu merken, daß er mit diesen Worten Rooster verraten hatte.

»Das glauben wir dir gern.« Drohend traten sie näher. »Wo ist Rooster?«

»Auf seiner Farm, wo denn sonst? Er ist Farmer. Das schon seit vielen Jahren! Das müßt ihr doch wissen!«

»Farmer?« Der Anführer lachte kalt auf. »Dahinter versteckt er sich? Das kann ich gar nicht glauben! Der große berühmte Rooster?«

»Ich glaub’, ihr verwechselt irgendeinen Rooster mit diesem Farmer«, meinte der Postreiter. »Dieser hat Frau und Sohn! Und berühmt ist er auch nicht! An dem ist überhaupt nichts dran!«

»Dann will ich dir mal was sagen.« Der Anführer trat allein vor. In den Augen tanzten kalte Lichter. »Damals in Omaha wurde der Bruder des berühmten Rooster erschossen. Und weißt du, wohin die Leiche von Omaha aus geschafft wurde? Hierher! In dieses County! Das hab’ ich herausbekommen. Gut, was? Der berühmte Rooster muß also in diesem County so was wie ein Zuhause haben. Wo er sich ausruht. Vielleicht sogar neben dem Grab! Darum frag’ ich dich jetzt: Gibt es auf dieser Farm ein Grab?«

»Das weiß ich nicht... Überall Baumwolle. Vielleicht am Fluß. Da bin ich aber noch nicht gewesen.«

Der Anführer wandte sich ab und sah die Komplicen an.

»Dieser Postmensch weiß zuviel, versteht ihr? Und er wird diesen Rooster sofort verständigen. Dann ist unser Rooster gewarnt und geht mir nicht in die Falle. Das können wir nicht riskieren. Also muß ein Unglück passieren. Das Unwetter ist ziemlich schlimm. Da wird manches Pferd sogar im Stall verrückt.«

Sie trieben den Postreiter in die Stallecke. Er versuchte noch, nach seinem Colt zu greifen, doch es war schon zu spät. Sie fielen über ihn her. Zwei hielten ihn fest. Der dritte schlug gnadenlos zu, schlug ihn tot. Dann schmierten sie Blut an den Hinterhuf seines Pferdes, legten ihn hinter das Pferd und beseitigten ihre Spuren. Rückwärts gehend verließen sie den Stall.

Mit einer Schaufel schloß der zuletzt hinausgehende Halunke die tiefen Stiefeleindrücke im weichen Boden. Langsam zogen sie sich bis auf den Gehsteig zurück. Dort ließ der Halunke die Schaufel los.

Gelassen gingen sie am Postoffice vorbei und erreichten die Regentonne. Auf der Straße war niemand. So konnten sie unbeobachtet nacheinander die Stiefel an den Füßen in die Regentonne halten und sich den Morast abspülen.

Als wäre nichts gewesen, betraten sie wieder den Saloon. Freundlich blickten sie den Saloonbesitzer an.

»Hier ist es wenigstens gemütlich«, meinte einer.

»Diesen Abend werden wir überstehen, Jungs«, versicherte der Anführer lächelnd, »und morgen reiten wir weiter, immer schön westwärts –?nach Sundance Corral. Da fragen wir weiter. Vielleicht hab’ ich mich auch verhört, und der Mann heißt Looster oder so ähnlich? Trinken wir!«

*

Das Gewitter polterte in der Nacht. Im fahl aufflammenden Licht zuckender Blitze überquerte ein Reiter den Hügelrücken.

Regen rauschte auf den durchnäßten langen Mantel. Windböen warfen nasse Blätter auf den Reiter, schlugen dem Pferd die Mähne gegen den Hals, drückten auf den Kamm.

Mit tastenden Hufen fand das Pferd den Weg abwärts. Wasser umspülte die Hufe bis hinauf zu den Fesselgelenken, tropfte von Kinn und Lippen.

Der Mann kannte das Land.

Selbst in dunkler Nacht näherte er sich unbeirrt seinem Ziel.

Cottonfield.

Maverick C. Rooster war rastlos geritten. Als könnte er dadurch all die verlorenen Jahre wieder einholen.

Ein großer Mann kehrte dorthin zurück, wo sein jüngster Bruder begraben lag. Und wo es einen Menschen gab, den er über alles liebte.

Sein Bruder Lee hatte recht gehabt: Ein Reiter war manchmal schneller als ein Telegramm. Denn im weiten Land waren die Telegrafenleitungen oftmals unterbrochen. Zerrissen im Sturm. Zerstört von Indianern.

Lee war sein Zwillingsbruder. Sie ähnelten sich sehr. Nur im Wesen nicht. Lee hatte schon immer Farmer werden wollen. Trotz des Revolverbluts in den Adern.

Maverick schlug sich mit einer großen Sorge herum. Er hatte zwar Schluß gemacht –?doch seine Legende lebte weiter! Und wenn eine Legende lebte, kam auch der Mann nicht zur Ruhe, den sie umgab.

Er mußte diese Legende zerstören und begraben –?aber wie?

Er sah Cottonfield vor sich im Regendunst. Die Lichter waren wie verschleiert.

In diesem kleinen Städtchen wollte er nicht rasten. Er wollte lediglich im Postoffice nachfragen, ob das Telegramm durchgekommen war.

Eine Viertelstunde später erreichte er den Ortsrand. Vor dem dunklen Postoffice stieg er vom Pferd.

Niemand sah ihn.

Blitze zeichneten weißglühende Risse in die Himmelskuppel. Sekundenlang war es in Cottonfield taghell. Stetig rauschte der Regen.

Maverick zog sein Pferd in den Windschatten des kleinen Gebäudes. Dabei bemerkte er Lichtschein im Stall. Die Stallaterne flackerte nur noch schwach.

Er ahnte nicht, daß das Grab des Bruders Benjamin ihn verraten hatte. Aber wer hatte schon daran gedacht, –?damals in Omaha, daß die Überführung des Toten zu einer tödlichen Spur werden könnte!

Er stapfte nach vorn, stieß die Tür auf und betrat den kleinen Postraum. Im Schein eines Blitzes sah er den Morseapparat, Gestühl und die schmale Tür, die nach hinten führte.

Der Angestellte der Western Union war nicht im Haus. Vielleicht im Stall. Darum ging Maverick nach hinten, wühlte mit den Stiefeln durch den Erdbrei und erreichte das Stalltor.

Das Pferd des Postreiters stampfte und prustete unruhig. Hinter dem Pferd lag mit zertrümmertem Kopf der Postreiter. Im spärlichen Lichtschein betrachtete Maverick den Toten. Dann ging er vorsichtig um den Toten herum und hob nacheinander langsam die Hinterhufe hoch. An einem Huf haftete Blut. Aber nicht auf dem Eisen, sondern innerhalb der Tragwand, zwischen Furche und Strahl. Wie hineingeschmiert, damit das Blut auch möglichst lange zu erkennen war.

Maverick entging nichts. So, wie der Kopf des Postreiters aussah, müßte viel Blut am Stempeleisen und an den Nagellöchern haften. Der Mann war nicht vom auskeilenden Pferd getötet worden. Auch hätte er weiter vom Pferd entfernt liegen müssen. Eigentlich sogar drüben an der Bretterwand. Und die Strohhalme auf dem Gang müßten wild durcheinanderliegen, von den Stiefeln des wegstürzenden Mannes durchwühlt.

In den grünlich schimmernden braunen Augen von Lobo Rooster erschien jener Ausdruck, der viele seiner Gegner hatte erstarren lassen.

»Mord«, murmelte er.

In diesem Augenblick erlosch die Stallaterne. Maverick stand im Dunkeln. Der Wind bewegte das Stalltor. Es knarrte kaum noch, denn die Holzangeln waren durchnäßt. Regenwasser tropfte durch das schadhafte Dach, traf den Nacken des reglos stehenden Mannes.

Plötzlich warf er sich herum, stapfte hinaus und knallte das Tor zu. Mit kräftigen Schritten erreichte er den Gehsteig, stand gebeugt, machte kehrt und holte sein Pferd, zog es am Zügel hinter sich her und erreichte das Backsteinhaus im Zentrum des Städtchens.

Hinter den vergitterten kleinen Fenstern sah er einen Lichtschein.

Maverick ließ sein Pferd wieder im Windschatten stehen, ging nach vorn und verharrte kurz vor der Tür.

Noch einmal sah er sich um, blickte über den Platz, der im Dunst der Regenschauer lag. Langsam öffnete er die Tür, trat lautlos ein, schloß hinter sich die Tür, stand still.

Das Gewittergrollen war hier im Innern des Backsteinhauses nur schwach hörbar. Maverick hörte die Standuhr ticken. Die Petroleumlampe warf einen Lichtkreis auf den Tisch. Dahinter saß schlafend ein dicker Mann. Er hatte die Unterarme auf den Tisch gelegt. Sein Kopf ruhte darauf.

Maverick räusperte sich, aber das weckte den Mann nicht auf. Da ging er an den Tisch heran und trat kräftig dagegen.

Der Dicke fuhr hoch und fiel fast vom Stuhl. Das Puddinggesicht wabbelte. Die hellblauen Knopfaugen traten beinahe aus den Höhlen. Er öffnete den Mund, schnappte nach Luft, bekam keinen Laut über die dicken Lippen.

Maverick lächelte. »Tag, Willobie.«

»T-t-tag«, stotterte der Dicke. »Ww-wieso Tag? Ist d-d-doch Nacht, ooder?«

»Willobie.« Maverick sprach sanft auf ihn ein, beruhigend wie eine Mutter auf ihr Kind. Kein Grund zur Aufregung. Ich bin es nur –?Rooster. Der ältere. Bin vor einer Minute angekommen.«

Willobie verdrehte den Hals, als wollte er ihn sich verrenken.

»Ja, verstehe«, sagte er mit seiner Fistelstimme. »Vor einer Minute. Warum auch nicht? Da geht es schon mit dem Gedrängel los. Ich –« Jäh holte er tief Atem, erkannte erst jetzt seinen Besucher und sprang auf. »Maverick! Mich trifft der Blitz! Deshalb dieses komische Telegramm! Ich werd’ verrückt. Rooster ist wieder im County! Das gibt es doch gar nicht! Maverick C. Rooster in Cottonfield!«

Über zweieinhalb Zentner Körper hüpften um den Tisch herum. Willobie schlang die Arme um Maverick und küßte ihn aufs Kinn. Höher kam er nicht. Er war um einen ganzen Kopf kleiner. Darum wirkte er auch wie ein wandelndes Bierfaß.

Wie überwältigt von der Wiedersehensfreude trat er langsam zurück und betrachtete Maverick.

»Mein Gott, bist du dünn geworden! Wie ein Wolf, den sie monatelang durch die Wildnis gejagt haben.«

Maverick lächelte auf einmal nicht mehr. Das hatte nichts mit Willobies Worten zu tun. Er dachte an den Toten.

»Willobie, du bist doch der Sheriff hier.«

»Nein. Du irrst. Hast du es schon vergessen? Hierzulande nennt man jedes Dorf und jede große Stadt einfach Town. Und ich bin der Town Marshal.« Willobie warf sich in die füllige Brust. »Town Marshal William O’Bowie! Von guten Freunden kurz Willobie genannt. So! Und warum fragst du? Brauchst du meinen Schutz?«

»Ich danke dir vielmals, Willobie, das wird nicht nötig sein –?aber du mußt dich jetzt um den Postangestellten kümmern. Vielmehr um seine Leiche. Die liegt im Stall hinterm

Postoffice.«

»Tot?« flüsterte Willobie fistelnd.

»Ja, natürlich. Tot wie ’ne Maus. Mausetot.« Maverick wurde ernst. »Erschlagen, Willobie. Nicht vom Pferd totgetreten, wie es aussehen soll. Geh hin, sieh dir das mal an. Ich warte hier.«

»Kaum bist du hier, da passiert schon was«, ächzte der Town Marshal, nahm seinen Gallonenhut und ging.

Maverick trat an den Schrank heran, holte Flasche und Glas hervor und setzte sich an den Tisch.

Als er den dritten Brandy getrunken hatte, kam Willobie zurück.

»Das ist ja furchtbar! Er hatte keine Feinde. Das können nur Fremde getan haben! Und wir haben drei Fremde in Cottonfield. Sie sind im Hotel. Bestimmt waren sie im Sa-loon. Da frag’ ich mal nach. Sofort. Und wenn ich Ed Corb aus dem Bett holen muß!«

»Ich komme mit.«

Eine Viertelstunde später wußte Maverick, daß drei Fremde nach ihm gefragt hatten. Und daß sie nach Sundance Corral weiterreiten wollten.

Aber daran glaubte er nicht.

*

»Willobie, wir müssen uns was einfallen lassen. Sonst ist es mit der Ruhe in Cottonfield vorbei.«

»Ich könnte die drei Halunken aus der Stadt scheuchen«, schlug Willobie vor. »Natürlich sag’ ich ihnen nicht, was wir glauben. Ich sag’ ihnen einfach: Da ist jemand erschlagen worden, und jeder Fremde ist verdächtig. Dann verschwinden sie.«

Sie saßen sich im Office gegenüber. Die Fensterläden waren geschlossen. Niemand konnte hineinsehen. Draußen heulte das Unwetter um das Backsteinhaus.

Maverick schüttelte den Kopf.

»Irgendwann und irgendwo werden sie mich zum Kampf zwingen, Willobie. Oder mir Blei ins Kreuz jagen. Darauf kann ich nicht warten. Es darf aber auch nicht zu einem großen Kampf kommen. Das muß schnellgehen – und ich muß danach sofort verschwunden sein. Niemand darf mich sehen. Sonst weiß morgen jeder ruhmsüchtige Revolverheld, daß Rooster in Cottonfield war. Dann kommen alle her.«

»Also doch aus der Stadt scheuchen!«

»Nein. Draußen könnte mir einer entkommen. Auch wenn sie von sich aus nach Sundance Corral reiten würden. Aber das tun sie nicht. Sie werden gleich nach dem Unwetter aufbrechen –?zur Farm meines Bruders!«

»Dann mach sie dort fertig, Maverick! Ich bin dabei!«

»Auf der Farm soll nicht gekämpft werden. Auch nicht auf dem Weg dorthin. Sonst haben wir eines Tages eine wilde Revolvermeute vor der Farm!«

»Was bleibt uns dann übrig?«

Maverick blickte ins Licht.

In Gedanken war er in Omaha.

Nun endlich wollte er zur Ruhe kommen. Aber so einfach machte man ihm das nicht. Drei Killer trachteten ihm nach dem Leben und nach seinem Ruhm.

In Cottonfield wußte nur einer, wer er wirklich war. Das war der gute alte Willobie. Vertreter des Gesetzes und leidenschaftlicher Waffensammler. Ihm hatte Maverick seine Colts versprochen. Nicht die, die er im Laufe der Jahre getragen hatte, sondern jene aus der Zeit von Omaha. Die alten Whitneyville Walker Colts. Damit wollte Maverick auch mit der Vergangenheit abschließen. Mit all den rastlosen Jahren auf der Suche nach dem einen Colt.

Ernst sah er William O’Bowie an.

»Lock’ sie unter irgendeinem Vorwand in den Stall des Postreiters, Willobie!«

»Alle drei?«

»Alle drei.«

*

Er wußte noch nicht einmal ihre Namen. Nur, daß einer von ihnen sich einen neuen Namen machen wollte: »Der Mann, der Lobo Rooster erschoß.«

Maverick wartete im dunklen Stall. Der gläserne Zylinder der

Stallaterne war längst erkaltet. Das Pferd des Postreiters döste. Roosters Nähe beruhigte das Tier. Es war jemand da, der lebte.

Roosters Pferd stand im Stall auf dem Nachbarhof. Die Leute wußten nichts davon.

Maverick rauchte. Der Wettermantel hing an einem Haken. Er saß auf der Futterkiste. Die Winchester lag daneben.

Er wußte, wo Willobie sich aufhielt. Genau neben dem Hotel hinter dem angelehnten Tor des Mietstalls. Von dort beobachtete der Town Marshal das Straßenstück vor dem Hotel. Willobie hoffte, daß die Killer vorn herauskommen und noch einmal zum Saloon gehen würden.

Alles mußte nach Zufall aussehen. Und niemand sonst durfte etwas mitbekommen.

Maverick hatte Zeit, über vieles nachzudenken. Wenn dieser Kampf nicht so ausging, wie er wollte, mußte er für immer verschwinden.

Nur ein paar Armlängen von ihm entfernt, saß der Tote mit dem Rücken an der Boxwand. So, als wäre noch Leben in ihm. Und die Stelle, wo er saß, war nicht willkürlich gewählt. Maverick wollte seinen letzten Kampf fair beenden. Wie zuvor alle anderen. Selbst Mördern wollte er eine Chance geben.

Allmählich ließ der Regen etwas nach, doch Windböen heulten durch Cottonfield. Weitab grummelte das Gewitter.

Der Morgen kam. Grau und lichtlos. Mit einem wolkenverhangenen Himmel.

Willobie hatte sich längst gesetzt. Auf einen Strohballen, den er ans Tor gezerrt hatte. Hinten im Stall schlief der Stallbursche. Die Pferde der drei Fremden standen im Hotelstall.

Im Saloon flackerte Licht auf. Ed Corb war Frühaufsteher. Er machte seinen Saloon sauber. Irgendwelche Helfer konnte er sich nicht leisten.

Plötzlich zuckte Willobie zusammen, brachte den schweren Körper ruckartig hoch und blickte angestrengt durch den Regendunst zum Hotel. Drei Männer standen vor der Eingangstür.

Die Fremden!

Sie trugen lange Mäntel. Die Stetsons waren fest aufgesetzt. Der Mann in der Mitte zeigte auf den erhellten Saloon. Sie gingen los…

Willobie handelte.

Geräuschlos schlich er aus dem Stall –?aber dann stürmte er über den Gehsteig, ließ die Flanken unter den Stiefeln dröhnen und näherte sich keuchend den Killern.

Sie wandten sich ihm zu, standen steif nebeneinander, blickten ihm kalt entgegen.

Er winkte ihnen zu, zerrte sich den Gallonenhut vom Kopf, wedelte damit herum, erreichte die Fremden und berührte einen am Arm.

»Schrecklich!« keuchte er. »Kommen Sie, ich brauch’ Hilfe! Allein schaff’ ich das nichtl Nun kommen Sie doch. Der arme Kerl! Er verblutet sonst, muß sofort zum Doc!«

»Was ist?« fragte der mittlere Mann. »Wo verblutet wer?«

»Im Stall hinterm Postoffice!« Willobie rang nach Luft. »Sie müssen mir helfen! Ich bin der Town Marshal hier!«

»Langsam, Marshal –?immer schön langsam«, entgegnete der Killer beherrscht und warf den Komplicen einen bedeutsamen Blick zu. »Meinen Sie den Postreiter? Ein anderer ist doch wohl nicht im Stall hinterm Postoffice, oder?«

Willobie rang die Hände. Er flehte die Fremden wie verzweifelt an: »Bitte, helfen Sie! Der Mann lebt, aber wie lange noch? Kommen Sie, ich zeig’ Ihnen, wo der Stall ist. Dann können Sie sich um den Mann kümmern –?und ich hole den Doc. Es geht um jede Minute!«

Da nickte der mittlere Fremde.

»Gehen Sie voraus, Marshal.«

Willobie nickte, machte ein erleichtertes Gesicht und hastete über den Gehsteig. Die Fremden blickten sich heimlich an, grinsten zynisch und folgten.

»Du hast nicht kräftig genug zugeschlagen«, raunte einer.

»Gut, daß dieser Dummkopf gerade uns um Hilfe gebeten hat. Glück muß man haben, wie?«

Sie folgten Willobie durch den sumpfigen Boden. Hinter dem Postoffice blieb Willobie stehen und zeigte auf den Stall.

»Da ist es! Ich hol’ den Doc!«

Sie sahen ihm nach, wie er über den Gehsteig hastete. Dann wandten sie sich dem Stall zu. Jeder war von Mordlust erfüllt. Jeder wollte töten. Langsam näherten sie sich dem Stall. Das Tor war angelehnt. Dicht davor verharrten sie und hörten das Pferd stampfen.

Dann ein Stöhnen.

Jedem anderen wäre es kalt über den Rücken gelaufen –?ihnen nicht.

Lauernd blickten sie umher. Windböen wirbelten den schweren Dunst durcheinander. Das Wetter sorgte dafür, daß niemand in der Nähe war.

Sie zogen die Colts. Regentropfen schlugen auf die Mäntel. Einer der Männer zerrte das Stalltor auf, hielt es fest. Die Komplicen blickten zuerst dorthin, wo sie den Postreiter niedergelegt hatten. Als sie ihn sitzend an der Boxwand entdeckten, zuckten sie zusammen.

Der Komplice hielt das Stalltor weiterhin auf, damit wenigstens etwas Licht in den Stall fiel. Der Postreiter war nur schemenhaft zu erkennen, aber er war es, das sahen die Halunken sofort.

Wieder vernahmen sie schwaches Stöhnen.

Dieses Geräusch drang von der Pferdebox herüber.

»Los, leg ihn um!« zischte der Halunke am Tor. »Mach ihn kalt! Schnell, bevor der Marshal mit dem Doc kommt!«

»Umlegen? Bist du verrückt? Ein Schuß, und der Teufel wär’ los! Nein, das machen wir ganz anders.«

Geduckt näherten sie sich dem Toten, hielten noch die Colts bereit, doch zu dem, was sie vorhatten, brauchten sie keine Waffen. Sie wollten einen sterbenden Mann erwürgen!

Maverick C. Rooster hatte manche grausamen Halunken kennengelernt. Diese drei gehörten zu den grausamsten. Sie glaubten, daß der Postreiter noch lebte, und sie befürchteten, daß er sie verraten könnte. Darum wollten sie ihm den Rest geben.

Ihre letzte Chance hatten sie sich selber genommen. Maverick gab keinen stöhnenden Laut mehr von sich. Nur die Bretter der Boxwand waren zwischen ihm und den Killern. Er mußte aus der Box heraus, sonst geriet er in Gefahr, von den Hufen des auskeilenden Pferdes getroffen zu werden.

Für den Kampf genügte ihm der Colt.

Blitzartig sprang er hinter der

Boxwand hervor, stand auf dem Gang, hielt in harter Hand den Colt.

»Ich bin Rooster!« brüllte er.

Sie rissen die Colts hoch. Auch der Killer am Stalltor hob die Waffe an. Drei Mann –?zu allem entschlossen –?standen ihm gegenüber. Drei grausame Killer. Sie wollten schießen, ihn töten, seinen Ruhm erben.

Er feuerte, warf sich hin, schoß schräg hoch, rollte herum, jagte die dritte Kugel zum Stalltor hin, war sekundenlang vom grellen Mündungsfeuer geblendet, rollte weiter, sprang auf und warf sich hinter die Futterkiste.

Das Pferd tobte, keilte aus, wieherte schrill. Spreustaub wallte auf, verdichtete sich, nahm Maverick die Sicht.

Eine Widbö schlug das Stalltor zu. Es wurde stockdunkel, und es roch nach Staub, Pulverrauch und nach nassen Mänteln und Pferdeschweiß.

Lautlos bewegte Maverick sich zum Tor hin, trat es auf und warf sich zu Boden.

Nichts geschah.

Da richtete er sich auf und blickte auf drei leblose Killer. Sie lagen zu Füßen des ermordeten Postreiters.

Rooster ruckte herum und ging hinaus. Der Wind knallte das Tor zu. Vereinzelte Regentropfen trafen Roosters Gesicht. Reglos stand er in der großen Pfütze.

Willobie kam heran.

Sie gingen in den verräucherten Stall. Maverick nahm seine Winchester und klopfte im Hinausgehen Willobie auf die Schulter.

»Du hast mich nie gesehen, Willobie.«

Der Dicke nickte nur und sah Maverick nach, wie er zum Nachbarstall ging. Bevor die ersten Leute von der Straße herankamen, war Maverick davongeritten.

Wie ein Phantom.

Die Gaffer, die herankamen, überhäuften den Town Marshal mit Fragen. Er zuckte nur die Achseln und erklärte, daß er so wenig wie sie wüßte. Und dann überließ er den Neugierigen alles Rätseln und Raten und ging langsam zur Straße zurück.

Dort verhielt ein fremder Reiter, ganz in Schwarz gekleidet.

»Guten Morgen, Marshal«, sagte der Fremde freundlich, und mit einer Kopfbewegung zum Stall hinüber meinte er: »Das sieht mir ganz nach Rooster aus.«

Willobie hatte sich eisern in der Gewalt, ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. Kühl fragte er: »Wer sind Sie?«

»Ein guter alter Bekannter von Rooster, Marshal. Sie haben bestimmt schon von mir gehört. Donovan Fairbanks.«

»Ja«, ächzte Willobie. »Tun Sie mir einen Gefallen, Mr. Fairbanks: Vergessen Sie den Namen Rooster! In dieser Stadt gibt es ihn nicht!«

»Verstehe.« Fairbanks lächelte und ritt sachte an. »Ich bin im Hotel. Besuchen Sie mich, Marshal, sobald Sie Zeit haben.«

Willobie nickte und beobachtete Fairbanks so lange, bis er hinter dem Hotel verschwunden war.

Tief atmete er ein und flüsterte vor sich hin: »Maverick wird die Vergangenheit nicht los.«

*

»Dad, bei den drei Eichen ist der Blitz eingeschlagen.«

Der junge blonde Cal stand auf dem nassen Hof der Farm, die Hände tief in die großen Hosentaschen geschoben.

Lee Rooster kam aus dem Stall und zog sein gesatteltes Pferd hervor.

»Ja, Cal. Im Stall hat es durchgeregnet. Kümmer dich bitte um das Dach. Ich reite zu den Jungs raus.«

»Dann kommst du an den drei Eichen vorbei, Dad. Das muß da ganz schön gebrannt haben!«

»Ich seh’ mich da mal um, Cal.« Lee Rooster stapfte ins Haus und nahm mehrere geschlossene Blechbehälter aus den Händen seiner Frau entgegen. »Aah, die sind aber noch heiß, Arlene!«

»Die Jungs sollen nach so einem Sauwetter wenigstens etwas Warmes in den Magen bekommen, Lee.«

»Recht hast du.« Er ging hinaus, verstaute die Behälter in den Satteltaschen und ritt über den Feldweg davon.

Die kleine Familie beschäftigte drei Farmhelfer. Während des Unwetters waren die drei Männer in ihrer festen Unterkunft am Rand der Felder geblieben.

Das Gewitter hatte vieles zerstört. Dicker Dunst hing über den weißen Baumwollfeldern. Immer kräftiger kam die Sonne durch. Der Boden begann zu dampfen.

Lee näherte sich den drei Eichen. Er hatte auf einmal ein seltsames Gefühl. Ihn drängte es zu den Eichen. Ihm ging es gar nicht um den Schaden, den der Blitz angerichtet haben könnte.

Die Eichen standen in einer flachen Senke, ragten aber hoch empor. Und am Rand der Senke war ein Grab. Mit einem schlichten Holzkreuz. Benjamins Grab. Er war sicherlich schon zu Erde geworden, doch seine Seele lebte weiter –?in Maverick und Lee. Und weil das so war, blieb auch die Erinnerung an Omaha lebendig.

Obwohl das Essen in den Behältern möglichst schnell zu den Männern gebracht werden mußte, machte Lee den kleinen Umweg und hielt auf die Eichen zu. Der Stamm war gespalten und angekohlt.

Plötzlich sah Lee ein Sattelpferd.

Es stand mit hängenden Zügelenden unter den Bäumen. In den Scabbards steckten Winchester und

Sharps. Der Sattel war leer. Dahinter lagen zusammengerollt Decke und Wettermantel.

Mit steifen Bewegungen saß Lee ab.

Langsam ging er um die Senke und näherte sich Bens Grab.

Dort stand ein großer Mann, den alten Stetson in der Hand. Er kehrte Lee den Rücken.

Ein paar Schritte hinter ihm blieb Lee stehen. Die Freude stieg ihm bis zum Hals hinauf. Er schluckte und konnte erst kein Wort hervorbringen.

Da sagte Maverick: »Die Jagd ist aus, Lee.«

»Ja«, sagte Lee klanglos. »Dein Telegramm…«

Maverick wandte sich dem Bruder zu. Sie ähnelten einander sehr. Jeder sah in dem anderen sich selber. Nur war Mavericks Gesicht rauher und zerfurchter. Ein Hauch von Verwahrlosung umgab ihn –?und derAtem der Wildnis umwehte ihn, als wäre er zeit seines Lebens ein verlorener Reiter.

Sie gingen aufeinander zu und umarmten sich.

Und jeder roch beim anderen die andere Seite des Lebens.

Als sie sich trennten, ging Maverick zu seinem Pferd und holte den Whitneyville Walker Colt hervor.

»Du hast den einen, Lee. Jetzt nimm auch diesen. Und gib sie Willobie.«

»Willst du nicht auf die Farm kommen, Maverick? Zu Arlene und Cal?«

»Noch nicht, Lee. Ich möchte noch eine Zeitlang allein sein. Ich reite nach Sundance Corral. Du weißt, warum. Sag ihnen, daß es mir gutgeht.«

*

Mittag in Cottonfield.

Donovan Fairbanks beugte sich aus dem Hotelfenster.

Mit ausdruckslosen blauen Augen beobachtete er, wie einige Männer den vorbeirumpelnden Leichenkarren begleiteten.

Spöttisch verzog er den Mund, kaute auf dem Zigarillo und betrachtete die vier Särge. Drei sahen eher aus wie schlichte längliche Kisten. Einer erinnerte wenigstens an einen richtigen Sarg.

Auch Town Marshal Will O’Bowie folgte dem Karren, der von zwei Maultieren gezogen wurde.

Zunächst rollte der Karren bis an den Bootshill heran. Dort zogen vier Männer nacheinander die drei Kisten von der Ladefläche und setzten sie ziemlich unsanft ab.

Dann rollte der Karren mit dem einen Sarg zum Friedhof, der ein ganzes Stück vom Stiefelhügel entfernt lag.

Im Beisein der Trauergäste wurde der Postreiter dann auf dem Friedhof beigesetzt. Anschließend folgten O’Bowie und die Totengräber dem Karren zum Stiefelhügel. Die drei Kisten wurden aufgeladen und auf den Stiefelhügel gekarrt.

In regennasser Erde wurden die drei Killer begraben. Die Toten hatten ihre Särge und ihre Beerdigung mit dem Geld, was in ihren Taschen gefunden worden war, selber bezahlt.

Fairbanks lächelte verächtlich.

Auch hier in Cottonfield gab es die feinen Unterschiede zwischen guten und bösen Toten.

»Ihr könnt mich verscharren, wo ihr wollt«, murmelte Fairbanks, kalt lächelnd, »aber die Nachwelt wird mir ein Denkmal setzen –?und wenn es neben einem Misthaufen ist.«

Er verabscheute solche kleinlich denkenden Menschen. Ein paar solcher Typen genügten ihm, um eine ganze Stadt zu hassen.

Hier würde er mit Sicherheit nicht lange bleiben. In einer wilden und rauchigen Dreckstadt wie Sundance Corral fühlte er sich ungleich wohler.

Nach Sundance Corral war es ein Ritt »nur über die vielen Hügel hinweg«. Doch selbst auf einem guten Pferd war ein Mann immerhin zwei Tage lang im Sattel. Maverick C. Rooster war also eine ganze Zeitlang unterwegs – und damit verschwunden.

Noch waren die Totengräber dabei, das große Grab zuzuschaufeln, als sich im hellen Sonnenschein mehrere Reiter der Stadt näherten.

Fairbanks konnte sie vom Hotelzimmerfenster aus gut beobachten.

Sie kamen durch das dampfende hohe Gras näher, hielten aber nicht auf die Straße zu.

Es waren sechs Mann. Fünf waren noch recht jung. Der vordere Reiter wirkte schon durch seine untersetzte Gestalt wesentlich älter. Wie ein Vater mit fünf Söhnen kam er schräg von der Seite her auf die Kleinstadt zugeritten.

Alle waren bewaffnet. Jeder besaß ein Gewehr. Vermutlich Winchester oder Spencer. Nicht jeder im Westen konnte sich solche Waffen leisten. Sie waren zu teuer.

Fairbanks war ein erfahrener Mann. Schon von weitem sah er den Reitern an, daß sie irgendwas im Schilde führten. Nichts Gutes.

Er wandte sich vom Fenster ab, nahm den Waffengurt vom Stuhl und schnallte ihn um, streifte die lange Jacke darüber und setzte den schwarzen Stetson auf.

Lässig trat er auf den Gehsteig hinaus, schnippte den Zigarillo weg und lehnte sich an einen der Vordachpfosten.

Drüben stapfte Willobie entlang, sah Fairbanks und kam über die bereits austrocknende Straße heran.

Willobie konnte seine Bewunderung nicht ganz verbergen. Vor ihm stand ein berühmter Revolvermann. Was man sich über ihn erzählte, war nicht immer schmeichelhaft. Doch eines war sicher: Er war einer der schnellsten Gunfighter des Westens –?wenn nicht sogar der schnellste.

Fairbanks blickte ihn freundlich an. »Wo finde ich ihn, Marshal. Es gibt hier ’ne Farm, wie ich hörte. Die gehört einem Mann namens Lee Rooster. Das ist sein Bruder, nicht wahr?«

»Wenn Sie es schon wissen, Mr. Fairbanks? Lassen Sie doch Maverick Rooster in Ruh’. Er hat Schluß gemacht.«

»Hat er Ihnen das erzählt?«

»Ja. Daran ist nicht mehr zu rütteln.«

Der Revolverkönig blickte kurz die Straße hinauf. Der Leichenkarren kam leer zurück. Die Totengräber gingen nebenher.

»Ich weiß nicht, Marshal«, dehnte er, »ob das so einfach zu machen ist. Gleich kommen sechs Reiter in die Stadt. Die suchen bestimmt keinen Job als Baumwollpflücker. Es sei denn, sie wollen die Baumwolle mit Schüssen abernten.«

Willobie horchte. Hufgetrappel war schon zu hören. Die Reiter zogen hinter den Häusern entlang.

»Vielleicht haben die es auf Sie abgesehen, Mr. Fairbanks?«

»Möglich. Dann sorge ich dafür, daß dieses Thema schnellstens vom Tisch kommt.«

»Halten Sie mich auf dem laufenden –?wenn das noch zu machen ist«, knurrte Willobie, machte kehrt und bewegte sich scheinbar schwerfällig in Richtung Office davon.

Er hatte gerade die Tür hinter sich zugezogen, da kamen die sechs Reiter zwischen den Häusern hervor und hielten am Straßenrand gegenüber dem Saloon.

Fairbanks lehnte wie schläfrig am Pfosten. Eiskalt wartete er auf die Fremden, tat so, als habe er sie nicht bemerkt und blickte auf den Gehsteigrand. Doch nichts entging ihm. Er wußte jede Bewegung der Fremden richtig zu deuten. Auch wenn sie sich nicht bewegten, durchschaute er sie.

Das waren junge Wölfe!

Angeführt von einem älteren Wolf, der verschlagen und heimtückisch war.

Sie betrachteten Fairbanks nur sekundenlang. Dann ritten sie langsam zum Saloon und saßen davor ab. Wortlos schlangen sie die Zügel um die kurze Haltestange. Die Pferde standen ziemlich dicht nebeneinander. Einer nach dem anderen ging in den Saloon. Keiner drehte sich um.

Die Burschen machten alle einen gepflegten Eindruck. Keiner war verwahrlost. Nur der Ältere legte keinen Wert auf sein Äußeres.

Fairbanks wartete, horchte und schien die Stille des Mittags zu genießen. Im Saloon blieb es ruhig. Die Fremden machten keinen Lärm, Ed Corb, der Saloonbesitzer, hatte angenehme Gäste…

Der Ältere winkte Ed Corb zu, an ihren Tisch zu kommen.

»Ich bin Nolan Fury«, sagte der schmutzig aussehende Mann und zupfte am verfilzten Bart. »Sehen Sie doch mal zum Hotel hin, Mister.«

Corb ging an die Tür, blickte kurz hinaus und kam zurück.

»Ja, und?«

»Das ist doch Donovan Fairbanks, der Revolverkönig, der dort steht?«

»Ja, stimmt. Das weiß ich vom Marshal.«

Nolan Fury grinste, während die fünf jungen Männer reglos am Tisch saßen und artig auf das Essen warteten.

»Wir kommen von weither. Aus einem kleinen Nest im Süden. Da ist dieser Fairbanks auch gewesen –?und Maverick Rooster. Die beiden haben sich dort getroffen. Das geschieht nicht alle Tage. Wenn sich zwei Revolverkönige treffen, dann hat das schon was zu bedeuten. Jetzt fragen wir uns, wo dieser Lobo Rooster ist! Der muß hier sein. Wenn

Fairbanks sich in dieser kleinen Stadt aufhält, dann kann Rooster nicht weit entfernt sein.«

Der Saloonbesitzer dachte an die drei Fremden, die vor kurzem begraben worden waren. Auch sie hatten sich nach Rooster erkundigt.

»Hier gibt es einen Rooster, aber der hat seit Jahren nicht mehr die Farm verlassen. Meinen Sie den, Mr. Fury?«

»Nein.« Der Bärtige lehnte sich zurück. »Noch nie was von Lobo Rooster gehört? Der Mann ist ebenso berühmt wie dieser Fairbanks.«

»Im Saloon hört man vieles. Das meiste vergißt man. Natürlich hab’ ich von Rooster gehört, aber das ist’ nicht der, den wir hier im County haben.«

»Dann vergessen Sie, was ich gefragt habe«, meinte Fury. »Wie sieht es mit dem Essen aus?«

»In einer halben Stunde.«

»Dann bring’ ich die Pferde nach hinten«, sagte ein schwarzhaariger Bursche, erhob sich und ging hinaus. Er trat zwischen die Pferde und blickte zum Hotel hinüber. Dabei schob er den Stetson in den Nacken und ließ sein sonnengebräuntes Gesicht sehen.

Fairbanks versteifte sich plötzlich und atmete gepreßt.

Lächelnd wandte sich der Bursche ab, löste die Zügel und zog die Pferde durch die Einfahrt auf den Hinterhof.

Donovan Fairbanks drückte sich vom Pfosten ab und betrat die Straße. Auf einem Umweg näherte er sich dem Stall hinter dem Saloon.

Der gutaussehende Jüngling stand im halbdunklen Stall. Die blauen Augen glänzten im hereinfallenden Sonnenschein.

Dann erschien Fairbanks draußen vor dem Stall, blieb einen Atemzug lang stehen, kam dann zögernd herein.

»Kid?« raunte er, zweifelte noch immer. »Bist du es, Kid?«

Der Bursche lächelte und nickte.

»Tag, Vater«, sagte er. »Schön, dich mal zu sehen.«

*

Es war schon spät, als Lee Rooster endlich die Zeit fand, sich in die kleine Vorratskammer zurückzuziehen Hier im kühlen Keller stand fast vergessen der alte Koffer, mit dem sie einst in dieses Land gekommen waren. Einer Kiste ähnlich, aus dickem Korbgeflecht, die auch mal als Wäschetruhe benutzt worden war.

Er mußte allerlei Gerümpel wegräumen, bevor er den Koffer öffnen konnte. Darin lag ein alter schwerer Waffengurt mit zwei Halftern. In der einen Halfter steckte ein Whitneyville Walker Colt.

Lee zog unterm Hemd den anderen Colt hervor und schob ihn in die freie Halfter. Nachdenklich stand er gebeugt vor dem offenen Koffer.

Er hatte seine Frau nicht kommen gehört. Sie stand auf einmal an seiner Seite und sah, daß der andere Colt nun auch im Koffer lag.

»Du hast Maverick getroffen, Lee?« flüsterte sie.

»Ja, Arlene. Bei den drei Eichen. Er hat mich gebeten, die Colts Willobie zu geben –?für seine Sammlung.«

»Warum kommt Maverick nicht?« Ihre Stimme zitterte. Sie machte sich Sorgen. So war es immer schon gewesen, wenn sie den Namen gehört hatte. Und alles, was fast schon Vergangenheit war und beinahe vergessen, war nun wieder allgegenwärtig. »Ist er –?«

»Nein, Arlene –?es geht ihm gut. Er ist nach Sundance Corral geritten. Er will noch einige Tage allein sein.«

»Wann wirst du nach Cottonfield aufbrechen?«

»Wenn die gröbste Arbeit getan ist.« Versonnen lächelnd legte er die rauhgewordenen Hände auf ihre Schultern. »Ich möchte die Schießeisen loswerden, Liebling. Das ist es.«

*

Gelächter tönte als dem Saloon. Weit fiel die Lichtbahn über den Gehsteig hinweg. Tabakrauch zog ins Freie.

Donovan Fairbanks stand am Fenster seines Hotelzimmers und blickte auf die erhellten Fenster des Saloons.

Der bärtige Nolan Fury und die jungen Burschen waren die einzigen Gäste.

Dabei benahmen sich die fremden Gäste recht gesittet. Keiner wurde ausfallend. Doch die Leute von Cottonfield waren es nicht mehr gewohnt, schwerbewaffnete Männer in ihrer kleinen Stadt zu haben. Und diese Fremden waren sogar noch jung! Keiner war älter als achtzehn. Nur der Bärtige war so an die fünfzig Jahre alt.

Fairbanks wußte von seinem Sohn, daß es eine Bande war. Sie nannte sich »Wild Angels«. Und diese wilden Engel vertrauten sich ganz Nolan Pury an.

Kid hatte auf die warnenden Worte seines Vaters nur kalt gelächelt.

»Du willst mir sagen, was ich zu tun habe? Sag’ dir das erst einmal selber.«

Das war seine Antwort im Stall hinterm Saloon gewesen.

Zum ersten Mal nach langer Zeit war Donovan Fairbanks gereizt. Den Sohn hatte er bei der Mutter geglaubt. Nun mußte er begreifen, daß auch der Sohn Revolverblut hatte.

»Nein«, sagte Fairbanks plötzlich, griff zum Stetson und verließ das Zimmer. Kurz darauf näherte er sich schon dem Saloon.

Als er eintrat, wurde es schlagartig still. Kalte Blicke tasteten ihn ab. Augen glänzten im Lampenschein. Rauch wölkte sich um die Lampen, nebelte die erhitzten und schweiß-glänzenden Gesichter der »Wild Angels« ein. Nolan Fury brach das Schweigen: »Trinken wir auf einen berühmten Mann. Vielleicht sogar auf den berühmtesten! Auf Mr. Donovan Fairbanks!«

Er langte zum Glas, und die jungen Burschen taten es ihm nach. Der junge Kid Fairbanks lächelte dabei triumphierend.

Fairbanks lehnte sich an die Theke, ließ sich einen Whisky geben und trank. Dann bat er Ed Corb, sie für kurze Zeit allein zu lassen.

Als sich die Küchentür hinter dem Saloonbesitzer geschlossen hatte, verlor sich das Lächeln auf dem Gesicht des Revolverkönigs.

Sein Blick wurde eisig.

»Nolan Fury«, sagte er leise, »glaubt nur nicht, daß ich euch helfe oder den Rücken freihalte, wenn ihr Maverick Rooster umlegen wollt. Wenn mein Sohn Kid bei euch mitmacht, dann ist das seine Sache, nicht meine. Ich halte mich aus allem raus. Aber wenn einer von euch mir zu nahe kommt, dann leg’ ich ihn um.«

»Ist ja schon gut, Mr. Fairbanks«, winkte Fury ab. »Regen Sie sich doch nicht auf. Wir machen das auch ohne Sie. Und ganz sauber! Wir sind doch keine Unmenschen. Sehen Sie sich die Jungs an! Das sind nette Burschen. Engel, nur ein bißchen wild. Wir rechnen nicht mit Ihrer Hilfe denn wir brauchen sie nicht. Mit Maverick Rooster werden wir allein fertig.«

»Kid, du hältst dich da raus!«

»Nein –?Vater!« widersprach der schwarzhaarige Kid. »Ich gehör’ zu den Wild Angels. Wir machen alles gemeinsam!« Aufsässig starrte er den Vater mit blauen Augen an. »Vielleicht bin ich schon so schnell mit den Eisen, wie du es nie gewesen bist –?Vater! Und vielleicht leg’ ich ganz allein deinen guten alten Bekannten Rooster um!«

»Wenn du das versuchst, muß ich meinen einzigen Sohn begraben«, entgegnete Fairbanks kühl. »Allein dein Versuch wird kläglich scheitern, Kid.« Er nahm einen Schluck und sah sie alle der Reihe nach an. »Warum das alles? Seid ihr auf Ruhm aus?«

Nolan Fury stellte sein Glas langsam auf den Tisch. Dabei starrte er den Revolverkönig durchdringend an.

»Ruhm?« dehnte er. »Wozu das? Nein, Mr. Fairbanks. Rache! Lobo Rooster hat meinen Freund erschossen. Das ist nun schon ein paar Jahre her. Als wir Roosters Spur fanden, beschlossen wir gemeinsam, ihn zu Tode zu hetzen. Fragen Sie Rhambo. Er hat einen noch viel ernsteren Grund.«

Langsam erhob sich ein schlanker großer Bursche. Er hatte die Augen eines Tigers.

»Ich bin Rhambo.« Seine Stimme klang singend. »Nolans Freund war mein Vater. Als Nolan zu mir kam, damals, da war ich noch klein. Aber schon damals als Junge schwor ich, Maverick Rooster zu töten. Jetzt ist es soweit.«

»Wir kamen zufällig in das Nest, wo sich zwei Revolverkönige getroffen hatten«, erklärte Fury lächelnd. »Rooster und Fairbanks. Rooster war spurlos verschwunden, nachdem er zwei Mann umgelegt hatte. Ihre Spur aber, Mr. Fairbanks, lag deutlich vor uns. So kamen wir hierher. Wo Sie sind, da ist Lobo Rooster nicht weit.«

Kid stand auf. Mit starken weißen Zähnen kaute er auf dem Kinnriemen des Stetsons.

»Vater, sag uns deine Antwort: Bist du Lobo Roosters Freund? Ich meine damit einen richtigen Freund. Nicht einen Bekannten.«

Fairbanks antwortete seinem Sohn nicht, warf einen Dollar auf den Tresen und ging hinaus.

Im Hotel angekommen, erklärte er dem Besitzer: »Wenn jemand nach mir fragt –?Sie wissen von nichts.«

»Und wohin reiten Sie, Mr. Fairbanks?«

»Das weiß ich selber noch nicht.«

*

»Nach Cottonfield, Dad? Darf ich mitkommen?«

Bittend sah Cal seinen Vater über den Sattel hinweg an. Die Morgenröte ließ sein Blondhaar wie Kupfer glänzen. Baumwollblüten tanzten über den Hof.

Lee Rooster zögerte. Ihm gefiel es nicht, seine Frau allein zurückzulassen. Sollte sie entscheiden. Darum ging er ins Haus.

Cal beoachtete den Leinenbeutel, der am Sattel hing. Neugierig geworden, tastete er ihn ab und spürte Metall, Holz und Leder.

»Mannomann«, flüsterte er überrascht, »das sind ja Colts! Woher hat Dad denn die Schießeisen?«

Langsam kamen die Eheleute aus dem Haus. Fragend blickte Cal seine Mutter an.

»Also gut«, brummte Lee Rooster, »sattle dein Pferd, Junge, und komm mit –?aber bedank’ dich dafür bei deiner Mutter. Mir ist es gar nicht recht, daß wir sie allein auf der Farm lassen. Wir werden einen Umweg machen und die Jungs herschicken. Beeil dich, Cal.«

Wenig später ritten sie über die weiß im Wind wogenden Baumwollfelder davon. Nach Westen. Und sie hatten die aufgehende Sonne im Rücken.

Arlene Rooster sah ihnen lange nach. Sorgen machte sie sich nicht. Warum sollte sie. Maverick war aus der Fremde zurückgekommen und würde schon bald zusammen mit ihnen am Tisch sitzen. Darauf freute sie sich.

Sie fütterte die Hühner und ging dann ins Haus, denn zu tun war immer etwas. Und dabei merkte sie auch gar nicht, wie schnell die Zeit verging.

Plötzlich hörte sie Hufschlag.

Ein einzelnes Pferd trottete am Hofrand entlang und näherte sich dem Haus.

Hastig trocknete sie sich die Hände an der Schürze ab. Die drei Farmhelfer waren es jedenfalls nicht. Obwohl sie allmählich da sein mußten. Aber die kamen immer ziemlich laut heran.

Auf dem kurzen Weg zur Tür griff sie nach dem Gewehr ihres Mannes, lud die Volcanic Rifle durch. Mit dem Lauf drückte sie die Tür auf.

Draußen vor der Tür stieg jemand ab, kehrte ihr dabei den Rücken. Er trug eine lange schwarze Jacke. Wie ein Spieler. Oder wie jemand von einem Beerdigungsunternehmen.

Langsam wandte sich der Mann ihr zu. Er lächelte freundlich, mit verhaltenem Ernst. Und er nahm den schwarzen Stetson ab und sagte: »Bin ich hier richtig auf der Rooster-Farm? Mein Name ist Donovan Fairbanks.«

»Mr. Fairbanks?« Ihr kam der Name bekannt vor. Sie hatte ihn schon einmal gehört. Vor langer Zeit.

»Ja –?Fairbanks«, sagte er, lächelte entschuldigend und meinte: »Ich bin so was wie eine zweite Ausgabe von Maverick Rooster, Ma’am. Man nennt uns beide Revolverkönige.«

»Ach, ja! Jetzt fällt es mir ein. Omaha, nicht wahr?«

»Ich glaube, so weit reicht das nicht zurück, Ma’am. Sagen wir mal Dodge City, Abilene, Wichita, El Paso, Santa Fé.«

»Mein Gott! Ja, ich weiß. Sie und Maverick –?beide zusammen unschlagbar! Aber Sie haben nie zusammen mit Maverick gekämpft, immer getrennt. So ist es doch.«

»Richtig, Ma’am. Wenn ich ehrlich sein will, muß ich sagen, daß ich Maverick immer nachgeeifert hatte, und als ich so gut wie er war, wollte ich noch besser sein als er.«

»Und nun weiß keiner so recht, wer der bessere Gunfighter ist?«

»Ja.« Fairbanks blickte umher. »Ist Maverick hier?«

»Nein. Ich weiß nicht, wo er ist, Mr. Fairbanks. Das ist die Wahrheit.«

»Sie sind ganz allein hier?«

»Ja, aber die Jungs kommen gleich –?unsere Helfer auf der Plantage.«

»Dann ist es ja gut.« Fairbanks setzte den Stetson wieder auf. »Ist Maverick vielleicht nach Sundance Corral geritten? Da ist eine ganze Menge mehr los als in Cottonfield.«

»Das ist durchaus möglich. Möchten Sie einen Schluck Kaffee? Und etwas Kuchen vom letzten Sonntag?«

»Danke. Wirklich, sehr nett, aber ich muß weiter. Ist Ihr Mann nicht hier? Ich hätte gern mit ihm gesprochen.«

»Lee ist nach Cottonfield geritten – mit unserem Jungen.«

Sein Lächeln erstarrte. Es war so, als legte sich ein Schatten auf sein Gesicht.

Seine Stimme klang auf einmal spröde: »Sagen Sie, Mrs. Rooster –?Ihr Mann heißt doch Lee?« Als sie verwundert nickte, fragte er weiter: »Und Lee und Maverick sind doch Zwillinge, nicht wahr?«

»Ja. Und Benjamin war der Jüngste.« Sie wollte lächeln, doch als sie seinen veränderten Gesichtsausdruck sah, erschrak sie. »Was ist?«

»Wann ist er losgeritten?«

»Heute morgen, kurz vor Sonnenaufgang.«

»Dann wird er jetzt Cottonfield erreicht haben! Mein Gott – das darf nicht wahr sein. Man kann Lee doch mit Maverick verwechseln, wenn man die beiden nicht kennt! Ist es so, Ma’am?«

»Ja, auf den ersten Blick, aber dann –« Sie brach ab. Ihre braunen Augen wurden groß und starr. »Warum fragen Sie? Sagen Sie etwas!«

Er zog sich in den Sattel und winkte beruhigend ab.

»Das sag’ ich Ihnen später, Ma’am. Regen Sie sich nicht auf. Es ist alles in Ordnung. Ich muß nur weiter. Grüßen Sie Maverick von mir.«

Im Galopp trug ihn das Pferd vom Hof und über die Felder.

Obwohl der Kirchturm von Cottonfield zu sehen war, waren es viele Meilen bis dorthin.

Um diese Zeit war Lee Rooster bereits in Cottonfield – und es war heißer Vormittag in der kleinen Stadt.

Und die »wilden Engel« waren noch immer da und warteten auf Maverick Rooster!

*

Sie ritten langsam die knochentrockene Straße hinauf.

»Ich weiß, was du da im Leinenbeutel hast, Dad«, sagte Cal grinsend. »Zwei Colts und ein Gurt mit Halftern. Wem gehören die Colts?«

»Deinem – verdammt, sei nicht so neugierig!« grollte Lee Rooster. »Mußt du alles wissen, he? Die Eisen gehören Marshal O’Bowie, klar? Und ich bring’ sie ihm. Er hat sie mal vergessen bei uns. Als du gerade mal wieder geangelt hast.«

»Das kannst du mir nicht erzählen, Dad!« entgegnete Cal und grinste unverschämt. »Ich glaub’ dir nicht! Wetten, daß das deine Eisen sind? Du willst sie mir nicht zeigen, weil ich sie dann gern mal in die Hand nehmen würde.«

Der Farmer Rooster blickte kurz zum Saloon hinüber. Dort an Fenster und Schwingtür waren fremde Gesichter zu sehen. Junge Gesichter, glatt und starr, gebräunt, und das Gesicht eines älteren Mannes, bärtig und verkniffen.

Rooster beachtete die Gesichter nicht weiter, Cal war ihm wichtiger. Er mußte ihm antworten.

»Deine Hände sind es gewohnt, hart zu arbeiten, Cal. Ich kann dir nur raten, keine Colts anzufassen! Dann passiert noch einmal etwas. Man glaubt, daß einem die Colts genau in die Hände passen. Man spürt ihr Gewicht und bekommt das Gefühl der Überlegenheit. Dann will man es ausprobieren. Zuerst schießt man auf leere Flaschen – und irgendwann vielleicht auf Menschen.«

Cal grinste nicht mehr. Er merkte seinem Vater an, daß ihn irgendwas Bitteres bewegte. Während sie auf das Office des Town Marshals zuhielten, fragte Cal, schon etwas bedrückt: »Das ist dir passiert, Dad – und Onkel Maverick. Stimmt das?«

»Ja.«

Mehr sagte Lee Rooster nicht. Sie hatten das Backsteinhaus erreicht. Da Willobie nicht heraustrat, stieg Lee Rooster ab und warf Cal den Zügel zu.

»Warte hier, Cal.«

Dann ging er hinein. Suchend sah er sich um. Schnarchtöne ließen ihn in eine der geöffneten Zellen gehen. Hier lag William O’Bowie selig schlafend auf der harten Pritsche.

»Willobie?« säuselte Lee Rooster grinsend. »Dickerchen? Rate mal, wer hier ist!«

Willobie öffnete zunächst ein Auge, blinzelte ihn an und seufzte. Dann erhob er sich und schüttelte die Körpermassen hin und her wie ein nasser Hund das Fell.

»Maverick, ich dachte, du wärst –« Er verstummte, sah noch einmal hin und schüttelte den Kopf. »Ihr seid euch aber auch wirklich verdammt ähnlich!«

»Ich bring’ dir was für deine Sammlung, Willobie. Ich weiß, daß du ganz wild danach bist.«

Draußen glitt Cal aus dem Sattel. Zwischen den Pferden stehend, bemerkte er nicht, wie sechs Fremde aus dem Saloon kamen.

Sie traten leise auf, verließen den Gehsteig, gingen am Straßenrand entlang, kamen näher.

Cal holte den Leinenbeutel vom Sattel, setzte ihn ab und öffnete ihn. Andächtig blickte er auf die alten schweren Colts. Zögernd langte er in den Beutel, umfaßte einen Kolben, holte den Whitneyville Walker hervor. Schwer wog die Waffe in seiner Hand.

Er war so fasziniert von der Waffe, daß er sich hinkniete, um sie in Ruhe zu betrachten.

Nolan Fury war nicht der einzige, der den Siebzehnjährigen zwischen den Pferden knien sah. Auch die fünf jungen Männer sahen Cal im Staub knien. Deutlich war er unter dem Pferdebauch zu sehen. Nur sein Gesicht wurde vom Pferd verdeckt.

Die »Wild Angels« kamen nahezu lautlos heran. Fury zitterte vor Haß. Er drehte sich halb um und sah Rhambo an, den schlanken großen Burschen mit den Tigeraugen. Rhambo stand der Schweiß auf der Stirn.

Aber auch die anderen standen unter höchster Anspannung: Kid

Fairbanks, Talco, Harris und Archie.

Für sie alle gab es keine Zweifel. Sie hatten soeben Maverick Rooster vorbeireiten sehen –?mit seinem Neffen. Mittlerweile hatten sie nämlich herausbekommen, daß Lobo Rooster einen Bruder hatte, der eine Farm besaß. Aber daß dies der Bruder sein könnte, darauf kamen sie nicht. Denn sie wollten töten, und ihr Haß war groß.

Jetzt sahen sie sogar die Colts in den Händen des Neffen – und damit war für sie alles klar.

Lobo Rooster war hier!

Und weil sie wußten, wie gefährlich Lobo Rooster war, wollten sie gleich scharf schießen und ihm nicht die kleinste Chance geben. Der alte Lobo Rooster war immer noch höllisch gefährlich. Ein Mann wie Rooster, der die hartgesottensten Banditen zur Strecke gebracht und dafür hohe Kopfprämien kassiert hatte, galt als unbesiegbar!

Mit dieser Legende wollten Nolan Fury, Rhambo und die anderen an diesem heißen Vormittag in Cottonfield Schluß machen

Fury und Rhambo beobachteten von der Ecke aus, was der junge blonde Cal tat. Und sie behielten die Tür des Office im Auge.

Nichts warnte Cal.

Heiße und kalte Schauer rannen ihm über den Rücken, als er beide Colts gepackt hatte.

Das Knarren der Officetür ließ ihn zusammenzucken. Hastig barg er die Waffen im Leinenbeutel, richtete sich auf und hob den Beutel hoch.

Zuerst kam Willobie aus dem Office. Er strahlte über das ganze rosige Gesicht.

»Mein Gott«, sagte er, »das hatte ich nicht mehr erwartet! Die Colts von Lobo Roo…«

»Und ich sagte dir doch«, unterbrach ihn Lee Rooster schnell, »daß wir unsere Versprechen immer einhalten, Willobie!«

Lee wollte nicht, daß Cal erfuhr, wem die alten Colts wirklich gehört hatten.

»Hier sind sie, Mr. O’Bowie«, sagte Cal lächelnd und kam zwischen den Pferden hervor. »Soll ich sie ins Office bringen?«

»Ja, Cal, tu das«, freute sich Willobie und machte Cal Platz.

Cal ging hinein, sah sich suchend um und rief hinaus: »Wo soll ich sie hinlegen?«

»Warte mal.« Willobie drehte sich schwergewichtig um und folgte Cal.

Jetzt stand Lee Rooster allein vor dem Office. Noch nicht einmal mit einem Colt bewaffnet.

Sein Gewehr steckte im Scabbard am Sattel. Bis dorthin waren es drei Schritte.

Er ahnte nichts von der Gefahr. Die Straße lag nahezu verlassen vor ihm. Weit hinten am Store standen zwei alte Frauen. Und noch weiter weg spielten ein paar Kinder. Alles sah nach tiefem Frieden aus. Wie immer in Cottonfield.

Plötzlich hörte er vor sich einen dumpfen Aufschlag. Polternd fiel ein Colt vor seine staubigen Stiefel.

»Für dich, Rooster«, hörte er eine Männerstimme. »Greif zu, das Ding ist geladen. Ohne Waffe sollst du nicht sterben.«

Die Stimme tönte um die Hausecke. Auch Willobie und Cal hatten sie gehört.

Lee Rooster brauchte einen Moment, bevor er begriff, worum es ging.

Hinter sich hörte er Schritte. Cal und Willobie wollten herauskommen.

»Bleibt im Office!« rief er über die Schulter zurück. »Willobie, halt den Jungen!«

Kaum hatte er ausgesprochen, als der bärtige Nolan Fury und der junge Rhambo hinter der Hausecke hervortraten. Auch sie hatten keine Waffe in der Hand, doch jeder zwei in den Halftern.

»Wehr dich!« brüllte Fury plötzlich haßerfüllt. »So kommst du uns nicht davon! Da ist ein Colt! Nimm ihn!«

Sie zogen die Waffen und schossen. Blei sirrte an Lee Rooster vorbei. Gleich nach diesen Schüssen schoben die beiden ungleichen Männer die Colts zurück in die Halfter.

Lee wollte antworten –?da sah er vier junge Burschen hervorkommen. Lächelnd bauten sie sich nebeneinander auf.

»Wozu das alles«, sagte einer von ihnen. »Die ›Wild Angels‹ machen kein langes Gerede.«

Was nun kam, konnte später niemand richtig klar schildern.

Willobie schrie Cals Namen, wollte den Jungen zurückhalten. Lee Rooster wollte zurückspringen, stolperte. Nolan Fury und Rhambo rissen die Colts hervor. Auch die anderen zogen. Rooster fiel, langte nach dem Colt. Schüsse peitschten. Von unzähligen Kugeln getroffen, brach Lee Rooster auf dem Gehsteig zusammen. Die beiden Sattelpferde wieherten schrill und rissen Harris und Talco um. Willobie stieß Cal beiseite, weg von der Tür. Ein Streifschuß ließ den Marshal zusammenzucken. Draußen dröhnten noch sekundenlang die Colts. Alle Burschen und Fury feuerten! Keiner hielt sich zurück. Ein Bleihagel prasselte gegen das Backsteinhaus.

Dann zogen sich die »Wild Angels« zurück und blieben vor Ed Corbs Saloon stehen. Jeder lud seine Colts nach.

Pulverrauch verwebte über der heißen öden Straße.

Weit hinten waren die Sattelpferde stehengeblieben.

Lee Rooster lag tot auf den Brettern.

Willobie beugte sich hervor, kam dann mit dem Gewehr im Anschlag ins Freie. Cal hastete hinterher und stieß Willobie beinahe um.

Hart fiel Cal auf die Knie, beugte sich über den Toten und begann zu zittern.

»Nein!« schrie er auf, kam hoch und packte den fremden Colt. »Ihr verfluchten Schweine, ihr –«

Willobie riß Cal an den Schultern zurück, hielt ihn fest und stieß ihn mit ganzer Kraft in das Office hinein.

Cal stürzte gegen die Eisenstäbe einer Zelle. Willobie ließ nicht locker, stieß den Jüngling in die Zelle und schloß blitzschnell ab.

»Du kommst mir nicht raus!« keuchte er. »Damit sie dich auch noch totschießen, was? Du bleibst in der Zelle, bis du dich beruhigt hast!«

Cal warf sich auf die Pritsche und weinte.

Erschüttert wandte Willobie sich ab, ging hinaus und kniete neben dem Farmer nieder, tastete nach dem Puls, richtete sich dann schwerfällig auf. Hufgetappel ließ ihn nach hinten laufen.

Der Bärtige und die fünf jungen Burschen ritten hinter den Häusern davon. Gar nicht einmal schnell. Sie hatten gemordet und fühlten sich als Sieger.

Vorn vor dem Backsteinhaus standen schon die Neugierigen.

*

Cal war allein im Office.

Er weinte wie ein kleiner Junge. Niemand hörte ihn. Schluchzend grub er das Gesicht in die alte Decke, die auf der Pritsche lag.

Draußen rotteten sich immer mehr Gaffer zusammen. Dann kam der Karren des Totengräbers herangerollt. Willobie winkte ab und schickte den Coroner gleich wieder weg. Lee Rooster würde niemals auf dem Friedhof von Cottonfield begraben werden. Draußen auf der Farm, im Schatten der drei Eichen, würde er seine letzte Ruhe finden.

Sogar jetzt noch glaubten einige Leute, die das Geschehen aus einiger Entfernung beobachtet hatten, daß der Tote Maverick Rooster wäre. Denn der aufrichtige, einfache und hochanständige Farmer Lee Rooster konnte doch gar keine Feinde gehabt haben.

Willobie hörte Gesprächsfetzen. Eigentlich wußte er selber nicht, warum er dann plötzlich auf Fragen antwortete: »Ja, Maverick Rooster. Warum – ich weiß es nicht. Tut mir leid, Leute.«

Zwei Burschen aus der Stadt kamen mit den Sattelpferden heran, und Willobie bat sie, die Zügel hinten am Wagen zu befestigen.

Alle redeten durcheinander. Verworren drangen die Stimmen in das Office. Cal Rooster setzte sich und wischte das Gesicht mit dem Ärmel trocken.

Willobie wollte nicht weg von der Tür. Darum bat er den Stalljungen, sein Maultier hinten im Stall zu satteln und herzubringen.

Endlich kam Willobie in das Office zurück, schloß die Tür von innen mit dem Querbalken ab und sah Cal sorgenvoll an.

Cal erhob sich, trat an die Eisenstangen der Zelle heran und legte die Hände darum. Die Stirn drückte er gegen eine der Stangen. Mit geröteten Augen blickte er den Town Marshal an.

»Lassen Sie mich jetzt raus, Mr. O’Bowie?«

Seine Stimme klang ruhig. Fast schon zu ruhig. Er wirkte äußerst beherrscht.

»Ja, Cal –?wenn du wieder in Ordnung bist?«

Cal nickte und trat von der Tür zurück. O’Bowie schloß auf und ließ ihn heraus.

»Ich bring’ Dad nach Hause, Marshal«, flüsterte er. »Niemand soll mitkommen.«

»Draußen steht der Wagen vom Mietstall. Der Stallboy kann dich auf die Farm bringen, Cal. Und mein Maultier wird jetzt gesattelt sein. Ich möchte nicht, daß du allein mit…« Er brach ab, suchte nach Worten.

Da sagte Cal: »Allein mit der Leiche meines Vaters, wollten Sie sagen, Mr. O’Bowie. Das ist für mich nicht so schlimm, wie Sie sich das vorstellen. Mein Vater ist tot. Damit muß ich leben. Ich möchte mit meinem toten Vater allein zurückkehren, Marshal.«

»Und was ist, wenn diese Fremden plötzlich auftauchen?« Willobie atmete schwer. »Das ist es, was mich beunruhigt, Cal! Das sind sechs Fremde. Ein älterer Mann und fünf, etwa in deinem Alter. Sie sind fest davon überzeugt, deinen Onkel Maverick erschossen zu haben. Vielleicht ist es ratsam, sie in diesem Glauben zu lassen! Ich kann dir darüber nichts weiter sagen, Cal. Frag’ deinen Onkel. Warte auf ihn! Und tu nichts in der Zwischenzeit!« Nach einem schweren Seufzer fügte er hinzu: »Jedenfalls wäre es besser, wenn ich mit dir komme.«

»Ich bin mit Dad hergekommen, und ich verschwinde auch wieder mit Dad, Mr. O’Bowie. Die Fremden hätten uns auch schon unterwegs auflauern können, nicht wahr? Ich will jetzt aufbrechen.«

Da ging Willobie voraus. Cal folgte dichtauf. Ein Raunen ging durch die Menge. Willobie winkte dem Stallburschen, vom Bock zu steigen.

»Cal fährt allein.« Suchend drehte er sich um. »Wo ist er?«

»Ich bin schon wieder da«, antwortete Cal und kam aus dem Office. »Hatte den Hut vergessen.«

Er kletterte auf den Wagen, nahm die Zügel und fuhr sofort los, blickte nicht ein einziges Mal auf die Ladefläche hinter sich, wo verhüllt der Tote lag.

Cal verließ Cottonfield.

Noch einmal kamen ihm die Tränen. Das war der Moment, als er an seine Mutter dachte.

Irgendwann unterwegs langte er in die ausgebeulten großen Taschen seiner Farmerjacke. Was er spürte, war Eisen.

In Cottonfield zerstreute sich allmählich die Menge vor dem Office, fand sich dann im Saloon wieder zusammen.

Willobie ließ sein Maultier gesattelt. Gedankenversunken kehrte er in sein Office zurück. Als er nach der Flasche Brandy griff, sah er, daß die alten Whitneyville Walker Colts verschwunden waren.

*

Draußen stieg ein Mann vom Pferd.

Sekunden später betrat Donovan Fairbanks den Raum. Um diese Zeit war Cal bereits weit von Cottonfield entfernt.

»Ich sah einen jungen blonden Burschen mit einem Wagen in Richtung Rooster-Farm fahren. Er war so schnell, daß ich nicht mehr an den Wagen rankam. Wo ist Lee Rooster, Marshal?«

»Auf dem Wagen. Tot. Erschossen von sechs Fremden.«

Fairbanks sagte kein Wort. Grußlos ging er hinaus.

Willobie ritt wenig später auf seinem Maultier aus der Stadt. Obwohl seine Befugnisse an den Grenzen der Stadt endeten, suchte er draußen im weiten Land nach den Spuren der fremden Reiter.

Das mußte er jetzt tun, bevor die Spuren verwehten.

Wenn feststand, in welche Richtung sie führten, konnte ihnen ein Mann folgen. Ein Mann wie ein Wolf. Lobo Rooster.

*

Rooster stand am Fenster des Luxuszimmers im Obergeschoß.

Weit reichte sein Blick über staubige Dächer und leere Corrals hinweg. Dunkel hob sich riesengroß das Holzschild auf zwei Pfählen vor dem Feuer des Sonnenuntergangs ab –?draußen vor der wilden und gesetzlosen Stadt. In großen Lettern stand darauf SUNDANCE CORRAL.

Hinter Rooster sprach eine Frau mit herber Stimme. Er nickte zu ihren Worten und blickte auf die Menschen unten auf der Hauptstraße.

»Ich hab’ immer auf dich gewartet, Rooster. Jahrelang. Und im ersten Jahr war ich wohl jeden Tag zum Telegrafenbüro gerannt und hatte nachgefragt, ob eine Nachricht von dir eingetroffen ist. Aber nichts, gar nichts. Der große Rooster hatte gar nicht mehr an mich gedacht! Na, schön. Aber ich hab’ trotzdem gewartet. Viele Jahre, Maverick Rooster. Und jetzt stehst du da –?und was tu ich? Mir ist nach Heulen zumute!«

»Dann heul’, Nellie«, knurrte er und wandte sich ihr zu, blickte sie stirnrunzelnd an und langte nach der Winchester, »aber dann verschwinde ich wieder. Du weißt, ich mag keine Frauen, die einem etwas vorheulen.«

Zorn ließ Nellies dunkle Augen aufblitzen.

»Du bist ein ganz verdammt sturer Hund, Rooster! Hol dich der Teufel! Und den Gefallen, wie ’ne dumme Gans loszuschluchzen, tue ich dir nicht! Also bleib gefälligst!«

Er grinste.

»So gefällst du mir schon besser, Nellie. Schön siehst du aus. Hier in Sundance Corral hat sich einiges geändert –?du auch. Du bist älter geworden, aber noch viel schöner.«

»Versuch nicht, mir so etwas weiszumachen, Rooster.« Nellie strich mit anmutiger Bewegung das braune Haar aus der Stirn. »Du hast ein Benehmen wie ein Cowpuncher.«

Maverick grinste noch breiter.

»Was du immer von mir denkst, Nellie. Hier hat sich doch wirklich einiges geändert. Die Bahnlinie ist neu, ein paar Verladerampen sind hinzugekommen, Bars und Saloons, sogar ein Hotel, ein Badehaus und ’ne Kirche.«

»Und ein Beerdigungsinstitut«, fügte Nellie stolz hinzu, »das mir gehört. Unten in meinem Saloon wird prompt jede Woche mindestens einer erschossen –?und ›Touch the Wind‹ nimmt sich der Leiche pietätvoll an. Ist das etwa nichts?«

»Sundance Corral macht sich, Nellie. Die Stadt wächst, und du wächst mit.« Er warf einen Blick aus dem Fenster. Die ersten Lichtbahnen fielen auf Gehsteige und Straße. »Was macht der Sheriff?«

»Wenn du damit meinst, ob er noch immer säuft –?er tut es. Dieser Mann ist ein Phänomen, Rooster! Er schafft es bis heute, an meinem Laden da drüben vorbeizukommen.«

»Wenn du Kundschaft brauchst, sag es mir, Nellie.« Rooster hielt die Winchester wie einen Knüppel, stakste jetzt auf die Tür zu. »Ich nehm’ einen Drink unten. Denk an dein Geschäft, Nellie.«

»Dafür hab’ ich meine Leute.« Nellie lief ihm nach und stellte sich vor die Tür. Weich blickte sie ihn an. »Bitte, bleib hier oben. Wir machen es uns gemütlich. Bitte, Maverick. Lauf doch nicht vor den Dingen davon. Mein Gott, du darfst einfach nicht weiter um deine Frau trauern. Es ist doch schon so lange her, Maverick!«

»Ich soll hier bei dir schlafen, Nellie?«

»Ja. Warum nicht, Maverick? Leg die Knarre weg und mach es dir gequem. Du mußt doch einmal ausruhen. Dein Sohn ist bald erwachsen. Da mußt du nun endlich auch wieder an dich selber denken.«

Langsam setzte Rooster sich in den weichen Sessel. Nellie nahm ihm Winchester und Stetson ab und zog ihm dann die Stiefel aus.

»Ich hab’ den Jungen noch nicht gesehen, Nellie«, murmelte er. Damals, als meine Frau gestorben ist, gab ich den Jungen Arlene und Lee. Und sie zogen ihn als ihren Sohn auf. Vielleicht ist es besser, wenn Caleb nie erfährt, wer sein Vater ist –?sein richtiger.«

Nellie kniete vor ihm nieder und legte die Unterarme auf seine Knie.

»Er hat ein Recht darauf, glaub’es mir. Du bist sein Vater. Maverick Caleb Rooster.«

*

Still kniete die Frau am frischen Grab ihres Mannes.

Über ihr raschelten hart die Eichenblätter im Abendwind.

Reglos standen die drei Farmhelfer neben dem Grab.

Einer fehlte: Cal.

Langsam richtete Arlene Rooster sich auf. Die Jungs wollten sie stützen. Doch sie ging allein und ohne Hilfe zum Wagen und stieg auf. Einer der Jungs griff nach den Zügeln. Die beiden anderen setzten sich hinten auf die Kante der Ladefläche. Langsam rollte der Wagen zurück zur Farm.

Arlene Rooster konnte nicht mehr weinen. Ein dünnes dunkles Kopftuch verbarg als Schleier ihr verweintes Gesicht.

Sie wußte von Cal, daß Lee für seinen Zwillingsbruder Maverick gestorben war.

Jetzt galt ihre einzige Sorge dem jungen Cal. Denn auch er trug den Namen Rooster. Und an diesem Namen haftete Unglück. Damals Benjamin. Jetzt Lee. Morgen vielleicht schon Caleb. Und irgendwann Maverick.

Die Sonne war gesunken, als der Wagen den Farmhof erreichte. Die Jungs halfen ihr vom Wagen. Sie wollte ins Haus gehen –?doch auf einmal stockte sie. Im Haus war es dunkel. Niemand war dort. Lees Bett war leer. Sie hatte Angst.

Mit zitternden Händen nahm sie das Kopftuch ab, legte es in den Nacken und wandte sich den Jungs zu.

Da sah sie durch die Stallfugen Licht schimmern.

Cal war im Stall.

»Bitte«, flüsterte sie, »geht ins Haus. Ich komme gleich nach.«

Sie wartete, bis die Farmhelfer die Haustür hinter sich geschlossen hatten. Dann näherte sie sich dem Stalltor, öffnete es behutsam zu einem Spalt und blickte hinein.

Breitbeinig und geduckt stand Cal unter der Stallaterne. Die Hände über den ausgebeulten Taschen seiner Jacke. Die Finger gespreizt. Und jäh langte er hinein, riß Colts hervor, stieß sie nach vorn, als wollte er schießen.

»Ich jag’ sie!« fauchte er dabei. »Ich töte euch! Alle sechs! Jeden. Einen nach dem andern. Ich räche dich, Vater! Sie sollen sterben! Ja, Dad – sterben! Ich erschieße sie mit diesen Whitneyville Walker Colts! Mit deinen Colts, Vater!«

Er sprach wie im Fieberwahn. Und er stieß die Colts zurück und zog sie wieder, duckte sich noch mehr dabei und zitterte vor Haß und wilder Wut.

»O mein Gott!« hauchte Arlene Rooster. »Cal! Was tust du da? Caleb?«

Er zuckte zusammen, fuhr herum und hielt die alten schweren Colts gesenkt. Sein blondes Haar war wild zerzaust. Die Augen eines jungen Wolfes sahen Arlene Rooster an.

Sie erschrak.

»Cal! Was ist mit dir, Cal?«

In seinem Gesicht wühlte noch einen Augenblick lang der Haß – dann entspannte er sich. Seine Stimme klang wie splitterndes Glas.

»Ich töte sie, Mutter. Mit Vaters Colts.«

»Das darfst du nicht, Caleb«, flüsterte sie und kam herein. »Nicht du, Cal! Du bist zu jung dazu. Überlaß das alles deinem Vater. Er ist –« Sie verstummte und preßte die kleinen Fäuste an den Mund. Langsam schüttelte sie den Kopf, blickte ihn starr an. Undeutlich sagte sie: »Er ist tot. Laß die Toten ruhen. Die Rache kommt von allein.«

»Sieh mich an, Mutter«, verlangte er mit leiser, gepreßter Stimme. »Sag’ das noch einmal. Ich will es noch einmal hören.«

»Was denn, Cal –?was?«

»Du weißt, Mam, was ich noch einmal hören wollte«, sagte er mit glucksender Stimme, schluckte immer wieder, schneuzte sich in den Jackenärmel. »Daß Dad nicht mein Vater ist. Onkel Maverick ist es. Er ist mein Vater!«

Arlene Rooster raffte sich auf, wuchs über ihre Kräfte hinaus und antwortete mit ruhiger, klarer Stimme: »Ja, Caleb. Maverick C. Rooster ist dein Vater. Du trägst seinen Namen. Caleb Rooster.«

*

Spuren von sechs beschlagenen Pferden.

Sie führten in einem Bogen um Cottonfield herum und dann zum Fluß.

Unter den Bäumen am Ufer verlor Willobie die Spuren.

»Verdammt!« flüsterte er. »Ich muß sie wiederfinden! Die Kerle können doch nicht meilenweit im Flußbett reiten! Die müssen hier irgendwo sein.«

Langsam ritt er auf seinem Maultier um die Bäume. Im tiefen Schatten verhielt er kurz und nahm den schimmernden Blechstern ab. Mondlicht sickerte durch die Baumkronen. Behutsam lenkte er das Maultier am Flußufer entlang.

Dieser Fluß kam in seinem weiteren Verlauf an der Rooster-Farm vorbei. Darum machte Willobie sich Sorgen.

Plötzlich war ihm so, als hätte er das Prusten von Pferden gehört.

Sofort rutschte er aus dem Sattel, schlang die langen Zügelenden um einen Baum und schlich geduckt weiter. Dabei straffte sich sein Puddinggesicht, und die hellblauen Augen bekamen einen fiebrigen Glanz.

Das Jagdfieber packte Willobie.

In Cottonfield war er sicherlich ein guter Town Marshal. Hier draußen bewegte er sich jedoch wegen seiner Körperfülle zu plump vorwärts. So merkte er nicht, daß er Blätter zum Rascheln brachte und sich sogar aus der Windrichtung dem Platz der sechs Fremden näherte. Da der Wind nicht spürbar war, fiel ihm das auch gar nicht auf. Wahrscheinlich wußte er überhaupt nicht, woher der Wind kam.

Die Pferde hatten ihn längst gewittert. Von den sechs Fremden saßen nur zwei in der flachen Senke. Mitten im Mondschein. Sie kehrten ihm den Rücken. Einer rasierte sich sogar und hielt sich einen kleinen Handspiegel vors Gesicht. Darin sah der junge Archie, wie sich der füllige Town Marshal zwischen den Bäumen hervorbewegte. Willobie hatte seinen Colt gezogen.

»Meine Kleine sagt immer, daß ich mir ’nen Bart stehenlassen soll«, meinte Archie, kicherte und sah kurz zu Harris hin. »Was meinst du dazu?«

»Mir doch egal. Sag mir lieber, wann die anderen zurückkommen wollten!«

»Darauf kannst du lange warten.« Archie grinste in den Spiegel. »Ist verrückt von denen, im Fluß zu baden!« Flüsternd fügte er hinzu: »Nur einer! Der Town Marshal. Vielleicht hat er ein Aufgebot dabei. Dann nichts wie weg. Ins Wasser, klar?« Und wieder laut: »Gleich bin ich fertig. Dann hol’ ich sie her! Kommst du mit? Wir lassen die Pferde hier!«

»Klar«, antwortete Harris ebensolaut, aber nicht übertrieben. »Hier kommt keiner her. Wir können alles liegenlassen.«

Willobie merkte nicht, daß dieses Gespräch nur zu dem Zweck geführt wurde, ihn zu täuschen. Er wagte sich noch näher heran. Dann plötzlich war es aus. Überall knackte es metallisch. Gleichzeitig schnellten Harris und Archie aus dem Mondlicht.

Willobie war umstellt. Alle sechs waren da. Er hatte keine Chance. Von allein ließ er den Colt fallen.

»Niemand sonst, Nolan«, raunte Kid Fairbanks. »Er ist allein.«

Crinsend kam Nolan Fury aus dem Schatten hervor. Langsam näherte er sich Willobie. Dicht vor Willobie blieb er stehen und rupfte sich die eingetrockneten Essensreste aus dem Bart.

»Allein, Town Marshal? Dann wolltest du uns wahrscheinlich nur erschrecken, was?« fragte er heimtückisch freundlich. »Mit einem so späten Besuch hatten wir schon gar nicht mehr gerechnet. Aber es ist schön, daß du gekommen bist. Ich glaub’ dir jedes Wort. Du bist natürlich nur zufällig hier –?hast dich verirrt. So was kann schon mal passieren.«

Willobie preßte die dicken Lippen aufeinander. Schweigen war das Beste, was er tun konnte. Sein Leben lag ohnehin in den Händen von Nolan Fury und den jungen Komplicen, die jetzt langsam herankamen.

Rhambo stieß Willobie den Coltlauf hinters Ohr und sagte: »Ich will wissen, was du hier suchst. Antworte.«

Willobie kam um eine Antwort nicht herum. Der Druck des Coltlaufs war schmerzhaft. Er stöhnte verhalten auf.

»Ich hab’ mich nicht verirrt«, ächzte er. »Ich wollt’ hier auch nicht angeln. Es war aber Zufall, daß ich eure Spur fand.«

»Sprich weiter, sonst schieße ich dir die Gehirnschale weg.«

Willobie rann der Schweiß übers Gesicht. Angst stieg in ihm auf. Sie konnten ihn töten. Niemand würde den Schuß hören. Fieberhaft dachte er nach.

Diese Halunken würden ihm so schnell keine rettende Lüge abnehmen. Er mußte sich was ganz Besonderes einfallen lassen. Und er gab sich allergrößte Mühe, die richtige Antwort zu finden. Sein Leben hing davon ab.

»Ich warte, Marshal«, flüsterte Rhambo drohend, »aber nicht mehr lange!«

Nolan Fury nickte zu Rhambos Worten. So wie ein Vater zu den klugen Worten seines Sohnes nickt. Zustimmend und verständnisvoll.

»Sag es Rhambo gleich, Dickerchen, sonst wirst du keine Gelegenheit mehr dazu haben. Die Jungs, die du hier siehst, sind wilde Engel. Wild Angels. Schon mal was davon gehört?«

Willobie zitterte so heftig, daß die dicken Wangen wabbelten. Aber irgendwo tief in ihm wuchs die Kraft zum Widerstand.

»Ich bin Town Marshal«, kam es wie gequält über seine bebenden Lippen, »und alle hatten an mich geglaubt. Jetzt ist es aus. Keiner glaubt mehr an mich.«

Nolan Fury beugte sich vor, gab Rhambo mit einem starren Blick zu verstehen, den Druck zu verstärken. Willobie hielt vor Schmerz den Atem an. Fury nickte, und Rhambo nahm den Colt zurück.

»Keiner glaubt mehr an dich, Marshal?« dehnte Fury. »Wie soll ich das verstehen?«

»Ich habe versagt!« stöhnte Willobie, diesmal nicht unter Schmerzen. Es war Verzweiflung. Hinzu kam das Gefühl der Schande. »Ich tat nichts! Ich ließ es zu, daß Rooster erschossen wurde! Ich, der Town Marshal. Ich verkroch mich im Office, bis alles vorbei war. Das haben sie gesehen – alle in der Stadt. Sie verachten mich. Als ich neben Rooster kniete, kamen sie alle ran. Und alle blickten auf Rooster und dann auf mich. Am liebsten hätten sie mich davongejagt. Da bin ich von allein gegangen. Einfach weggeritten. Hierher, an den Fluß. Und dann sah ich die Spuren.«

Fury brummte nachdenklich vor sich hin. Was er soeben gehört hatte, leuchtete ihm ein. Er war nicht mehr auf Mord aus.

»Natürlich hast du versagt, Marshal«, fuhr er Willobie an. »Wir haben Rooster vor deinen Augen umgelegt. Als Marshal bist du erledigt. Dich wählt keiner mehr.«

»Ja«, flüsterte Willobie, »nicht einmal der letzte Säufer. Sie haben kein Wort zu mir gesagt. Aber alle haben dasselbe gedacht. Ich bin fertig. Als Marshal hätte ich kämpfen müssen. Zumindest hätte ich den Mann erschießen müssen, der Rooster erschossen hatte.«

»Also mich«, sagte Fury grinsend.

»Und mich auch!« behauptete Rhambo. »Denn durch meine Kugel starb er!«

»Du übertreibst, Rhambo«, mischte sich Kid Fairbanks ein. »Wir alle haben geschossen! Nolan, du, ich und die anderen. Die Wild Angels haben Lobo Rooster umgelegt!«

Die Halunken gerieten in Streit miteinander. Jeder wollte plötzlich den zweifelhaften Ruhm für sich beanspruchen.

Willobie ließ sich nieder und tat so, als wäre er mit sich und der Welt fertig. Was er hörte, verriet ihm, daß sie alle die reinsten Killer waren. Jeder hatte Lust am Töten. Jeder wetteiferte mit dem anderen und mit allen zusammen.

Die Wild Angels waren eine blutrünstige Bande! Die jungen Banditen waren grausam! Mit den Schüssen auf Rooster hatte alles erst begonnen. Das war noch nicht einmal der Höhepunkt gewesen. Sie wollten mehr. Sie hatten Blut geleckt. Roosters Blut. Wenn auch nicht Lobo Roosters Blut. Und wenn sie dahinterkämen, daß sie nicht Maverick Rooster, sondern den Zwillingsbruder erschossen hatten, dann würden sie teuflischer als der Teufel werden.

Das waren Willobies Gedanken. Und sie waren richtig.

Zusammengesunken kauerte er zwischen den sich streitenden Banditen. Und in seiner Nähe lag sein Colt…

Er allein hatte keine Chance. Wenn sie aber vorhaben sollten, ihn zu töten, würde er nach dem Colt greifen.

Nolan Fury schlichtete den Streit. Als Willobie Furys Worte hörte, erstarrte er.

»Regt euch nicht auf, Jungs! Es gibt hier doch eine Rooster-Farm! Da sehen wir uns mal um! Morgen, übermorgen –?irgendwann. Wir haben Zeit. Der einzige, der gefährlich war, ist tot. Überlegen wir uns, was wir mit dem Fettwanst machen.«

Sie traten wieder näher. Noch waren die Gemüter erhitzt. Funkelnde Augen blickten kalt auf Willobie. Er saß da wie ein Haufen Elend.

»Der ist als Town Marshal erledigt, Jungs«, stellte Nolan Fury fest, »aber als Mann noch nicht ganz. Er kann noch denken und reden. Das muß noch aus ihm heraus. Prügeln wir es also aus ihm heraus.«

»Und dann?« wollte der rotblonde Harris wissen.

»Dann lassen wir ihn laufen.« Fury schüttelte den Kopf. »Wenn er dann noch laufen kann. Und wenn er nicht verhungern will, wird ihm nichts anderes übrigbleiben, als an fremden Türen zu betteln.«

Die jungen Männer grinsten.

Willobie wollte leben. Überleben. Darum griff er nicht nach dem Colt.

Die wilden Engel rückten noch näher heran und traten fast schon auf ihn.

Nolan Fury nickte gelassen.

Da begann es.

Sie machten ihn fertig.

*

Als er zu sich kam, graute der Morgen.

Frühnebel hüllten die Baumkronen ein. Dunst hing wie eine schwebende graue Decke über dem Fluß, verbarg die flachen Ufer.

Die Wild Angels waren verschwunden.

Das Gras um Willobie war zerstampft und blutig. Es war sein Blut.

Vor seinen Augen verschwamm alles blutrot. Das Gesicht war zerschlagen und dick angeschwollen.

Liegend übergab er sich.

Mühsam schob er sich durch das Gras, kroch aus der Senke, erreichte das Ufer. Auf dem Wasser sah er sein Spiegelbild. Es war ein fremdes Gesicht. Und noch nicht einmal ein Gesicht. Das war eine aufgequollene Masse. Blutverschmiert.

Jede Rippe schmerzte. Wenn er einatmete, hatte er das Gefühl, als würde der Brustkorb auseinanderfliegen.

Kraftlos sackte er in das seichte Wasser und rollte sich auf die Seite. Der Körper zitterte wie unter Schüttelfrost. Er hatte kein Fieber. Das waren die Nerven. Er war so restlos zerschunden, daß er eigentlich tot sein müßte.

Sie hatten versucht, ihm den Mannesmut zu nehmen und ihm den letzten Rest von Willen zu zerbrechen.

Vielleicht war ihnen das auch gelungen.

Er konnte sich zuerst kaum an was erinnern. Nur allmählich wurde ihm klar, was geschehen war.

Er trank vom kühlen Wasser. Blut rötete es. Stöhnend kroch er ans Ufer zurück.

Lange lag er wie leblos im Gras. Über ihm erhellte sich der Himmel. Die Sonne ging auf.

Irgendwie schaffte er es bis zu seinem Maultier. Wie er in den Sattel kam, wußte er später nicht zu sagen. Langsam trug ihn das Tier davon. Er verlor das Bewußtsein. Das Maultier wußte den Weg zum Stall.

So kam Willobie nach Cottonfield zurück.

Viel eher, als die Wild Angels vermutet hatten.

Der Arzt wurde gerufen. Männer trugen Willobie in eine Zelle und legten ihn auf die Pritsche. Der Doc tastete ihn ab.

»Er muß sofort in ein richtiges Bett. Jemand muß ihn pflegen und –«

Willobie stöhnte und öffnete die geschwollenen Augen. Mit schwacher Stimme sagte er: »Die Fremden –?wollen auf die – Rooster-Farm! Stellt ein – Aufgebot zusammen und – reitet hin. Schnell! Helft –?Arlene Rooster und beschützt sie.«

Weiter kam er nicht, er war wieder bewußtlos.

*

»Wo willst du hin, Cal? Bleib hier, Cal, reit’ nicht weg!«

Arlene Rooster stürzte aus dem Haus, das Kleid gerafft. Trommelnde Hufe schaufelten Staub hoch. Sekundenlang stand die Frau mitten im Staub und kannte den jungen Cal nicht mehr sehen.

»Ich komm’ wieder, Mam!« schrie er zurück und jagte zum Fluß hin davon.

»Mam« hatte er sie genannt. Mutter. Für ihn blieb sie die Mutter. Aber gerade das konnte sie nicht trösten.

Ratlos ließ sie die Hände sinken, drehte sich um und blickte die drei Farmhelfer an. Einer sagte: »Ich kann ihm nachreiten, Ma’am.«

»Nein, laß es«, antwortete sie. »Cal ist wilder, als du glaubst. Der ist stur. Nur einer kann ihn zurückholen, aber der ist nicht hier.«

»Ja, Ihr Mann, Ma’am. Ein Wort von Ihnen, Ma’am, und wir suchen nach seinen Mördern!«

»Ich brauche euch hier auf der Farm. Nur einer kann Cal zurückholen: Maverick Rooster.« Sie strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Maverick wird die Mörder seines Bruders suchen. Ich mach’ mir Sorgen um Cal. Er denkt noch immer an Rache.«

Cal ritt am Fluß entlang. Durch die Schatten des Baumgürtels und über kleine Lichtungen.

Er wollte den Tod seines Pflegevaters rächen.

Irgendwo im Fluß vermutete er die jungen Killer und ihren bärtigen Anführer. Damit traf er den Nagel auf den Kopf. Sie waren in seiner Nähe.

Gut versteckt hinter hohem, dichtem Grün, lagen und saßen sie im Schatten. Ihre Pferde erholten sich mehr und mehr. Schon bald würden sie wieder einen Ritt von mehreren Tagen aufnehmen können.

Das ferne Sundance Corral reizte sie. Dort wollten sie sich austoben. Mit den billigen Mädchen, bei Whisky und Bier, in verräucherten Pulquerias und besseren Saloons.

Während Cal sich ihnen näherte, sprach Nolan Fury über Roosters Grab.

»Wir suchen danach, Jungs. Was soll Rooster drei Fuß tief unter der Erde liegen und sich langweilen. Wir nehmen ihn mit nach Sundance Corral. Dann weiß jeder dort, wer wir sind. Roosters Sieger. Seine Bezwinger!«

Die jungen Burschen grinsten, fanden das lustig. Nur Kid Fairbanks hatte was einzuwenden. Auf einem Grashalm kauend, sagte er: »Ihr vergeßt alle immer wieder einen Mann –?und vor dem müßt ihr euch höllisch in acht nehmen: meinen Alten!«

»Unsinn, Kid. Rede mit ihm. Er war doch auch mal Bandit. Oder etwas Ähnliches. Wie Lobo Rooster. Die beiden sind nie Marshal oder Sheriff gewesen. Immer Kopfgeldjäger. Haben sich auf eine lohnenswerte Spur gesetzt und den steckbrieflich gesuchten Mann abgeschossen. Manchmal gleich ’ne ganze Bande. Er muß dich verstehen, Kid – uns alle.« Nolan Fury zupfte am verfilzten Bart. »Hast du nicht mal gesagt, daß dein Vater diesen Lobo Rooster am liebsten umlegen würde?«

»Er meinte es anders.« Kid spuckte Grasbrei aus. »Er wollte sich mit Rooster messen. Wollte endlich wissen, wer der Mann mit den schnelleren Eisen ist. Die Ungewißheit wurmte ihn. Weil er immer im Schatten von Lobo Rooster gestanden hatte.«

»Na, jetzt steht er im Sonnenschein und brauchte dafür nicht einen einzigen Finger zu krümmen! Dankbar sollte er uns sein!«

»Da kennst du ihn schlecht. Wir haben ihm was weggenommen.« Kid Fairbanks rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. Ihm war auf einmal nicht gerade wohl zumute. Seine Stimme klang heiser: »Vielleicht haßt er uns deswegen und jagt uns! Dann können wir alle unser letztes Gebet sprechen! Mein Alter ist eiskalt, der schreckt vor nichts zurück! Der bringt einen nach dem anderen um.« Tief atmete er ein. »Vielleicht sogar mich.«

In diesem Moment raschelte es in ihrer Nähe. Jäh fuhren sie hoch, hielten jeder in der Rechten einen Colt und in der Linken ein Gewehr.

Fury machte eine Bewegung mit der Colthand. Daraufhin schwärmten sie aus, glitten um die Sträucher.

Möglich, daß es ein Tier gewesen war, auf dem Weg zum Wasser. Doch um diese Tageszeit war das unwahrscheinlich. Antilopen gingen im Rudel zur Tränke. Kojoten und Wölfe blieben im Schatten. Pumas und Grislys gab es hier nicht.

Es konnte nur ein Mensch sein.

Der Bärtige gab einen Zischlaut von sich. Daraufhin rannten alle los, durchbrachen die Sträucher, suchten mit feuerbereiten Colts. Plötzlich hörten sie einen stöhnenden Laut. Mehr nicht. Keinen Schrei, keine hastenden Schritte.

Der großgewachsene Rhambo erreichte eine sandige Stelle nahe am Ufer. Hier entdeckte er die Abdrücke von Sandalen. Er winkte die Komplicen heran, grinste und raunte: »Kleine Füße. Ein Mädchen! Nicht schwer, aber auch nicht leicht. Muß schon im richtigen Alter sein.«

»Ein Mädchen?« flüsterte Kid. »In dieser Gegend? Und allein? Das kann nur ’ne Mexikanerin sein. Oder ’ne Indianerin. Die wagen sich weit weg, um Beeren zu sammeln.«

Sie suchten weiter.

Wie Bluthunde durchdrangen sie möglichst leise die Sträucher. Nach oben blickte keiner

In einer Baumgabel kauerte eine Mexikanerin. Sie war blutjung und schön. Angst hatte ihre großen dunklen Augen geweitet. Sie sah auf die jungen Männer. Wenn sie ihnen in die Hände fiel, war es um ihren Leib und um ihre Ehre geschehen. Alle würden über sie herfallen.

Aber die Banditen entdeckten sie nicht, Die Mexikanerin hatte sich die Anzahl der jungen Americanos gemerkt. Alle kehrten zurück.

Geräuschlos kletterte sie vom Baum und huschte davon.

Immer wieder horchte sie zurück und blieb stehen. Um leichter voranzukommen, nutzte sie das nahe Ufer. Sie wußte noch nicht, daß sie sich in der Richtung mächtig vertan hatte.

Plötzlich stand ein junger blonder Mann vor ihr!

Sie öffnete den Mund zum Schrei, doch sie brachte nur ein Stöhnen hervor. Und als sie zurückweichen wollte, hörte sie ihn leise sagen: »Ich tu dir nichts, Muchacha. Keine Angst. Ich habe vorhin Geräusche gehört. Sind da Reiter am Fluß?«

Sie nickte, und als sie ihn lächeln sah, wich ihre Furcht vor ihm. Er fragte nach ihrem Namen. Sie kniete nieder und schrieb ihren Namen mit dem Zeigefinger in den glatten feuchten Ufersand.

ROSANNA.

Sanft zog er sie hoch und mit zum Pferd. Dann ritt er mit ihr zurück nach Hause.

Rosanna hatte ihm höchstwahrscheinlich das Leben gerettet. Hätte er sie nicht getroffen, wäre er weitergeritten und den Wild Angels vor die Mündungen geraten. Sie hätten sofort geschossen.

Als er sich mit der blutjungen Mexikanerin dem Farmhaus näherte, tauchte am Horizont über den weißen Baumwollfeldern das Aufgebot aus Cottonfield auf.

Auf dem Hof saß er ab und hob Rosanna vom Pferd.

»Ich hab’ sie am Fluß gefunden, Mam. Sie heißt Rosanna. Ihre Füße sind wund vom Laufen. Ich hab’ sie noch nicht gefragt, woher sie kommt. Sie hat am Fluß ein paar Reiter gesehen.«

»Reiter?« Sofort war wieder die Angst in Arlene Roosters Augen. Angst um Cal. »Bleib um Himmels willen hier, Cal.«

Er schob ein wenig das Kinn vor und kaute auf dem Riemen des Stetsons. Das wirkte trotzig. Er wollte sich auch nichts mehr sagen lassen. Die letzten Stunden hatten ihn gewaltsam gereift. Mit siebzehn Jahren war er schon ein Mann.

»Das sind die Halunken, die Onkel Lee erschossen haben, Mutter! Sie wagen sich schon in die Nähe der Farm!«

»Sei klug, Cal. Laß sie doch. Irgendwann kommt Maverick zurück. Dein Vater.«

Seine Mutter legte den Arm um Rosanna und geleitete sie ins Haus. Unschlüssig blieb Cal auf dem Hof stehen. Einer der Männer zog sein Pferd in den Stall. Das Aufgebot kam schnell näher. Langsam ging Cal ins Haus.

Rosanna saß neben dem kalten Kamin auf einem Stuhl und hielt die Fülle in eine Schüssel mit Wasser.

»Woher kommst du, Rosanna?« fragte Arlene Rooster mit weicher Stimme.

Rosanna zeigte in südliche Richtung. Dann legte sie die Finger der rechten Hand auf die spröden, von Sonne und Wind trockenen Lippen.

»Du kannst nicht sprechen, Rosanna?« Arlene Rooster lächelte schmerzlich. »Streck mal deine Zunge aus.«

Rosanna tat es. Auch Cal atmete erleichtert auf. Ihr war nicht die Zunge abgeschnitten worden.

»Sie muß irgendwann einmal wahnsinnige Angst gehabt haben«, erklärte Arlene. »Seitdem kann sie nicht mehr sprechen. Sie ist ein kluges und tapferes Mädchen.« Sie nickte Rosanna lächelnd zu. »Das kannst du ruhig hören, Liebes. Du kannst ruhig erst einmal bei uns bleiben.«

Rosannas Augen leuchteten auf, doch dann legte sich ein Schatten auf ihr Gesicht. Sie schüttelte den Kopf und bewegte die Lippen, doch kein Ton kam hervor.

»Suchst du hier jemand, Rosanna? Einen Mann? Deinen Bruder vielleicht? Oder deinen Vater?«

Die Mexikanerin verneinte stumm.

»Suchst du deinen Freund?« fragte Cal leise und etwas bedrückt.

Rosanna blickte Cal traurig an. Dann machte sie eine Handbewegung, als hielte sie eine Waffe, und ahmte mit dem Zeigefinger die Bewegung des Abdrückens nach.

»Er ist tot? Erschossen?«

Sie nickte und zeigte wieder nach Süden.

»Aber irgendwen suchst du doch hier, nicht wahr?« Arlene Rooster ging zum Küchenschrank und kam mit einem Stück Papier und einem Schreibstift zurück. »Wenn du deinen Namen schreiben kannst, dann vielleicht auch den Namen desjenigen, den du suchst?«

Rosanna legte das Papier auf ihr Knie und begann Buchstaben darauf zu malen. Immer wieder hielt sie inne und überlegte. Oft war sie in Gedanken weit weg. Dann kaute sie auf dem Schreibstift.

Cals Pflegemutter ließ das Mädchen allein, nahm Cal beim Arm und ging mit ihm hinaus.

»Du hast sie sehr gern, Cal?«

»Ja, Mam«, sagte Cal und schluckte. »Ich war losgeritten, um Rache zu nehmen. Aber es war merkwürdig. Als ich sie getroffen habe, kam es mir plötzlich nur noch darauf an, sie in Sicherheit zu bringen.«

»Kümmere dich um sie, Cal. Sie hat dich auch gern. Ich spür’s.« Sie schirmte die Augen mit der Hand ab. »Was wollen die Reiter bei uns?«

Sie mußten lange warten, bis das Aufgebot auf dem Hof war. Einer der Männer aus Cottonfield sagte, was mit Willobie gemacht worden war.

»Sie haben ihn halbtot geschlagen.« Der Mann hustete im Staub. »Er fürchtet, daß sie auf die Farm kommen könnten. Wir sind zu eurem Schutz hier.«

Mrs. Rooster zeigte den Männern Schlafplätze im Stall, Schuppen und Scheune. Ihr war anzusehen, daß sie froh war über die Hilfe aus Cottonfield. Niemals hatte sie diese Hilfsbereitschaft erwartet. Willobies Anblick mußte die Männer wachgerüttelt und zornig gemacht haben.

Erleichtert ging sie mit Cal zurück zum Haus.

»Jetzt kann nichts mehr passieren«, meinte Cal. »Du bist sicher, Mam.«

»Soll das heißen, daß du wieder reiten willst, Cal?« Sie blieb stehen und faßte nach seinem Arm. »Wohin?«

»Zu den drei Eichen, Mutter. Ich möchte allein sein.« Cal lächelte, doch ihm war gar nicht danach zumute. »Ich hab’ meinen Vater verloren und doch wieder nicht. Ist doch merkwürdig. Und du bist nicht meine Mutter und doch meine Mam. Wär’ doch bloß alles beim alten geblieben!«

Arlene Rooster verstand ihren Adoptivsohn sehr gut. Er trauerte um seinen Vater Lee und war zugleich gespannt auf seinen richtigen Vater Maverick. Das war nicht einfach.

»Ich kann dich nicht daran hindern, Cal, zu den Gräbern zu reiten, aber komm bald zurück. Dein Vater hat Feinde. Das sind Killer, Cal. Ich fürchte, daß etwas Schreckliches geschehen wird. Ebenso Schreckliches wie der Mord an deinem Onkel Lee.«

»Nein, Mutter, diesmal irrst du dich. Komm, gehen wir zu Rosanna ins Haus.«

Rosanna saß noch immer am Kamin. Sie hielt Arlene das Stück Papier entgegen.

Die Frau nahm es, ging damit an den Tisch heran und glättete es. Dann las sie, und ihre Augenlider flatterten auf einmal. Unruhig blickte sie auf, sah Cal an.

Er trat näher, beugte sich über das auf dem Tisch liegende Papier und las den Namen, der in großen Buchstaben niedergeschrieben worden war. Das war der Name des Mannes, nach dem Rosanna suchte. Um ihn zu finden, war sie viele lange Meilen einsam durch das weite Land geirrt und hatte sich die Füße blutig gelaufen.

Da stand es dick auf dem Papier.

ROOSTER.

*

Sie standen sich gegenüber: Zwei Giganten der Colts.

Nur ein paar Schritte trennte sie voneinander. Zwischen ihnen befand sich die spitze Ecke des alten Stangencorrals.

Am Eckpfosten stand Nellie, die reife und schöne Frau. Wind bewegte ihr langes braunes Haar, kräuselte es lockig, drückte das lange rote Kleid sanft an ihren schlanken Körper.

Nellie sah hin und her, blickte abwechselnd auf Donovan Fairbanks und Maverick »Lobo« Rooster.

Der eine war gekommen, der andere wollte gerade ausbrechen. Und Nellie hatte es sich nicht nehmen lassen, Rooster zum Corral hinauszubegleiten.

Hier am Corral waren bislang nur wenige Worte gefallen, doch diese Worte mußten folgenschwer sein! Nellie kannte ihren Rooster schon zu gut, um das zu wissen.

Sein Bruder Lee war an seiner Stelle erschossen worden. Eine Verwechslung, die nicht wiedergutzumachen war.

Roosters Gesicht war rauh und ausdruckslos. Nur die Stirn hatte er gerunzelt. Ein Zeichen dafür, daß in ihm kalter Zorn war.

Jetzt nahm er sein Sattelpferd am Zügel und stapfte am Corral entlang, näherte sich der Ecke, wo Nellie stand.

Vor ihr verharrte er: »Es soll wohl nicht sein mit uns beiden, Nellie. Ich reite nach Cottonfield. Sollten diese Halunken nach Sundance Corral kommen, dann sei nett zu ihnen. Halte sie auf. Keiner soll mir entkommen. Ich krieg’ sie alle.«

Das hatte er schon einmal gesagt. Und zuvor auch noch andere Male. Und er hatte sie tatsächlich alle zur Strecke gebracht.

Langsam kam Donovan Fairbarks von der anderen Corralseite heran.

»Verschon den einen, Maverick.« Seine Stimme klang schwer. »Diesen Kid. Der Junge weiß nicht, was er tut. Er ist mein Sohn.«

Maverick ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. Er bereitete sich schon auf Kampf vor. Das war jedesmal so. Er mußte innerlich dazu bereit sein. Und er mußte von der Notwendigkeit völlig überzeugt sein. In diesem Fall war er es schon.

»Das kann ich nicht, Don«, entgegnete er schroff, »und du weißt das Wenn ich sie vor dem Lauf habe, dann sind sie alle meine Gegner. Da gibt es keine Ausnahme. Glaubst du etwa, daß dein Sohn Kid nicht auf mich schießen wird? Alle werden es tun! Zumindest versuchen. Dann werde ich keine Zeit haben, auf deinen Sohn zu achten.«

Fairbanks krampfte die Linke um den Zügel und blieb stehen. In seinem Gesicht arbeitete es. Für einen Augenblick sah er alt und müde aus. Dann war er wieder der siegesgewohnte und kaltblütige Revolvermann.

»Gut, Maverick –?wie du willst. Ich will dir nur noch das eine sagen: Kid ist mein einziger Sohn. Ich lasse mir nichts wegnehmen. Das weißt du. Wenn du ihn erschießt, sind wir beide Todfeinde.«

Beinahe wütend blickte Rooster ihn an.

»Erwartest du von mir, daß ich mich erschießen lasse, he? Sag’ deinem Kid, daß er sich aus meiner Schußrichtung halten soll! Sonst gibt es keine Chance für ihn. Sechs Mann, Donovan –?das ist eine Meute! Da kann ich nicht lange fackeln.«

Fairbanks blaue Augen verengten sich.

»Du hast doch auch einen Sohn, Maverick! Was würdest du tun, wenn man dir deinen Sohn abschießt?«

Da zog Rooster sich in den Sattel. »Vielleicht ist er schon erschossen worden!« antwortete er mit nachdenklicher Miene. »Ich will dir trotzdem darauf eine Antwort geben. Mein Sohn gehört keiner Bande an. Das ist der Unterschied.«

»Ja.« Donovan senkte den Blick. »Ich hab’ dich noch nie um was gebeten, Maverick. Jetzt tu ich es. Schieß an Kid vorbei. Verwunde ihn. Dann hab’ ich die Chance, aus ihm einen ordentlichen Kerl zu machen.«

Das Pferd galoppierte los, wirbelte eine lange Staubfahne auf und zog sie wie eine wallende Schleppe hinter sich her.

Lobo Rooster verschwand.

Nellie wandte sich vom Corral ab. Sie vermied es, Donovan Fairbanks anzusehen. Langsam schritt sie durch den Feuerschein der sinkenden Sonne und näherte sich der staubigen, wilden Stadt.

Donovan Fairbanks führte sein abgetriebenes Pferd an eine Tränke. Er rauchte ein Zigarillo an und sah Nellie nach, wie sie die breite Straße hinaufging.

»Sie liebt Rooster«, sagte er in

den sengenden Abendwind hinein. »Lobo Rooster –?einen Toten. Rooster will es nicht anders haben. Irgendwann mußte es ja dazu kommen.«

*

Mavericks Sohn saß schon lange an den Gräbern.

Die Dämmerung schob sich wie eine graue Wand über die Felder und erreichte die drei Eichen.

Schon jetzt war der Tod nahe!

Die Wild Angels hatten sich getrennt. Vier waren zur Farm aufgebrochen, zwei näherten sich den Eichen.

Diese beiden skrupellosen jungen Killer hatten Cal Rooster gesehen, als er zu den Eichen geritten war.

Weit abseits davon hatten sie gewartet, aber bis jetzt war Cal noch nicht unter den Eichen hervorgekommen.

Da hatte es für die beiden »wilden Engel« festgestanden, daß unter den Bäumen Lobo Rooster begraben worden war.

Jetzt waren sie unterwegs. Ohne Pferde. Die hatten sie hinter hohem Gesträuch zurückgelassen. Solche Buschinseln gab es überall auf den weiten Feldern. Sie waren ein natürlicher Windfang.

Harris und Talco waren wieder zusammen. Sie witterten in den Wind, rochen Baumwollblüten, Gras und Eichen –?und sie hörten ganz schwach ein Pferd schnauben. Es rupfte Blätter von den Sträuchern. Immer wieder knackte Geäst und raschelten Blätter.

Von Cal war nichts zu merken. Gedankenverloren saß er am Rand der Senke, Dunst ließ seine Konturen verschwimmen.

Er war ahnungslos.

Ausgefranst und mürbe hing die viel zu große Farmerjacke von seinen Schultern. Die Taschen waren so tief, daß die darin steckenden alten Whitneyville Walker Colts auf dem Erdboden lagen.

Beide Waffen waren geladen. Munition hatte Cal im Haus gefunden. Die Colts funktionierten. Aber selbst die besten Waffen nutzen einem Mann nichts, wenn er heimtückisch von hinten angegriffen wurde. Dann kam es einzig nur noch auf blitzschnelle Reaktion an. Auf viel Erfahrung. Und auf verdammt viel Glück. Ob er das hatte, mußte sich in diesem Fall noch herausstellen. Danach sah es jedenfalls nicht aus.

Denn Talco und Harris waren klug. Sie kamen gegen den Wind, so daß Cals Pferd die fremde Witterung nicht aufnehmen konnte. Und sie nutzten die Sträucher als Deckung.

Greifbar nahe ragten vor ihnen dunstverhangen die massigen Eichen dunkel in den Himmel hinein. Die weit ausladenden Baumkronen schienen sich im Dunst aufzulösen.

Für die beiden Halunken war es nicht ungefährlich. Sie wußten nicht genau, wo sich der junge Blonde befand. Sie wollten ihn fertigmachen. Doch sie mußten damit rechnen, daß er das gleiche mit ihnen vorhatte. Er brauchte nur mißtrauisch zu werden, ein schwaches fremdes Geräusch zu hören.

»Lobo Roosters Sohn!« flüsterte Talco und grinste. »Den legen wir auch um! Nolan will nach Sundance Corral. Heute nacht schon. Wir machen ihm ein kleines Geschenk. Die Roosters als Leichen! Vater und Sohn!«

»Vielleicht ist das gar nicht sein Sohn, sondern der von seinem Bruder!«

»Ist doch egal. Rooster ist Rooster!«

Natürlich konnten sie nicht wissen, wie sich alles verhielt. Das war selbst für Cal völlig überraschend gekommen. Und er mußte auch jetzt noch daran denken. Vor ihm lag nicht der Vater begraben, obwohl er es viele Jahre für ihn gewesen war.

Nun waren schon zwei Roosters tot. Doch Lobo Rooster lebte. Der Mann, der wie ein Wolf war. Zernarbt, einsam und gefährlich.

Bodennebel zogen über die Gräber hinweg. Das Pferd trottete durch die Senke und kam herauf.

Cal erhob sich und sah in Richtung Farm. Dort schimmerten Lichtpunkte im Dunst.

»Ich muß Dad finden«, murmelte er. »Warum kommt er nicht?«

Was sich auf den Feldern tat, konnte er nicht erkennen. So sah er auch nicht die vier Mann zu Pferde, die sich abseits der Farm zusammenrotteten und dann absaßen. Jeder zog ein Gewehr aus dem Scabbard.

Und Cal konnte natürlich nicht hören, was Nolan Fury raunte: »Schießt auf alles, was sich bewegt. Wir machen hier nur ein kleines Feuerwerk, verstanden? Dann hauen wir ab. Zum Fluß zurück. Dort warten wir auf Talco und Harris. Klar?«

Sie schlichen geduckt durch das Baumwollfeld. Stimmen drangen durch die Dämmerung. Die Männer vom Aufgebot klapperten mit blechernen Eßgeschirren und holten sich die Suppe, die Arlene Rooster im Haus ausgab.

Für die Wild Angels war das genau der richtige Moment. In diesen Minuten dachte wohl niemand an einen Überfall.

Arlene Rooster verteilte mit aufmunternden Worten die Suppe. Immer wieder sah sie sich dabei nach Rosanna um. Die stumme Mexikanerin war schon eine ganze Zeitlang nicht mehr im Haus. Schließlich stieß Arlene Rooster die Kelle in den großen Topf und ging hinaus, rief nach Rosanna und fragte die Männer.

»Ja, ich hab’ die Kleine gesehen«, sagte einer der Männer. »Da war es aber noch hell. Sie ging zum Corral da hinten.«

»Seht doch mal nach«, bat die Farmersfrau besorgt. »Sie kennt sich hier nicht aus.«

Wenig später wußte sie es. Eins der Pferde fehlte. Rosanna hatte es heimlich am Zügel davongezogen und war weggeritten.

»Mein Gott, sie sucht Rooster! In Cottonfield ist er nicht. Dann wird er in Sundance Corral sein! Das ist ein Zwei-Tage-Ritt!«

»Wir holen sie nicht mehr ein, Ma’am. Es ist sinnlos.«

Arlene Rooster war der Verzweiflung nahe. Jetzt auch das noch! Immer neue Sorgen und Ängste stürmten auf sie ein. Dennoch ging sie ganz ruhig zurück ins Haus. Schweigend ließ sie sich auf der einfachen Couch nieder.

Die drei Farmhelfer blieben bei ihr. Einer fragte, ob er nach Cal sehen sollte. Da nickte sie nur.

Cal wollte zurück.

Er zog die Sattelgurte an und zog sich aufs Pferd.

In diesen Sekunden geschah alles blitzschnell.

Der rotblonde Harris und der bleichgesichtige Talco hatten sich durch die Senke herangeschlichen. Sie waren vorsichtig dem nach oben trottenden Pferd gefolgt. Zunächst hatten sie Cal gar nicht entdecken können. Erst in diesem Moment, als er in den Sattel stieg, kam er aus dem Bodendunst hervor.

Sie hatten ihn dunkel vor sich.

Jeder hob den Colt an.

Jetzt mußten sie handeln, wenn sie ihn nicht entwischen lassen wollten. Anfangs hatten sie vorgehabt, ihn totzuschlagen, aufzuhängen oder mit Messern umzubringen. Lautlos.

Der Dunst unter den Eichen gab kein gutes Schußlicht her. Sie mußten genau zielen. Das war auf die Schnelle schon fast unmöglich.

Da raste plötzlich hinter ihnen ein Pferd heran. Im Sattel saß eine zierliche Gestalt. Sie peitschte das Pferd vorwärts, an Talco und Harris vorbei –?und rammte mit ihrem Pferd Cals Tier! Er flog beinahe aus dem Sattel. Schüsse krachten, Mündungsfeuer stießen aus Hüfthöhe schräg empor, Blei streifte heiß Cals Kopf.

Er stürzte.

Sein Pferd richtete sich auf, wieherte. Die Reiterin sprang vom Pferd –?gerade rechtzeitig. Harris und Talco feuerten auch auf sie. Geduckt huschte sie durch die Dämmerung, verschwand hinter einer Eiche.

Cal rollte in die Senke zurück. Die Taschen seiner langen Jacke schlugen wie Beutel um seinen Körper. Sekundenlang war er noch benommen, lag im nebelfeuchten Gras, hörte die Schüsse wie dumpfe Trommellaute.

»Da unten ist er!« schrie Talco.

Sie warfen sich herum und kamen herunter. Beide hielten die rauchenden Colts, wollten schießen.

Da zerrte er die schweren Whitneyville Walker Colts aus den Taschen und machte sie feuerbereit. Da schlug dicht vor ihm eine Kugel in den Boden. Dreck flog ihm ins Gesicht. Er rollte sich zur Seite, hob die schweren Eisen an und jagte zum ersten Mal Blei aus den Läufen. Die beiden Handkanonen dröhnten und spuckten den Halunken den Tod entgegen.

Noch wahrend Talco und Harris stolpernd starben, drückten sie ab und jagten Kugeln aus den Colts. Eine Kugel streifte Cals Schulter. Er ruckte hoch, kniete und feuerte wie in einem Anfall. Immer wieder. Bis die Whitneyville Walker Colts leergeschossen waren.

Caleb Roosters Gesicht war nicht zu erkennen. Es glühte eigenartig, und die braunen Augen hatten einen nahezu wölfischen Ausdruck.

Mit einem Ruck kam er auf die Beine, stand gebeugt vor den Toten und wollte abdrücken, doch die Waffen blieben stumm.

Stumm wie Rosanna, die nun vor ihm stand und ihn mit ihren großen dunklen Augen entsetzt ansah.

Auch in der Nähe des Farmhauses fielen jetzt Schüsse.

Er hörte das nicht, starrte auf die Toten und atmete heftig.

Caleb, Sohn von Lobo Rooster, hatte zum ersten Mal getötet. Dieser Moment hatte sein Leben verändert. Die Colts hatten ihn zum Herrn über Leben und Tod gemacht. Das Revolverblut kochte.

Fern hinter den Baumwollfeldern verstummten jetzt die Schüsse. Reiter jagten davon und verschwanden in der Dämmerung. Gerade rechtzeitig, denn beinahe schlagartig wurde es mondhell.

Rosanna wagte sich an Cal heran, berührte ihn am Ärmel. Er zuckte zusammen, fand wie aus tiefster Versunkenheit zurück.

»Rosanna!« flüsterte er. »Was machst du denn hier? Ich –« Er verstummte, sah noch einmal auf die jungen leblosen Burschen, sagte dann: »Du hast mir das Leben gerettet, Rosanna. Die Kerle hätten mich glattweg vom Pferd geschossen.«

Er verstaute die Colts in den Jackentaschen, zerrte die Gurte von den Toten und hob ihre Colts auf.

»Sag nichts meiner Mutter, Rosanna. Sonst –« Tief atmete er ein. »Ich Narr. Tut mir leid, Rosanna. Ich hatte vergessen, daß du stumm bist. Komm, wir reiten zurück. Und wir tun so, als wär’ nichts geschehen. Jedenfalls müssen wir weg von hier.«

Sie zeigte auf seine Streifwunden. Da begriff er, daß er nichts verheimlichen und verharmlosen konnte.

Im Trab ritten sie zur Farm zurück.

Dort war wieder Ruhe eingekehrt. Einige Männer waren von den Schüssen aus dem Hinterhalt verwundet worden. Sie ließen sich gerade von Arlene Rooster und ihren Farmhelfern verbinden.

Die Banditen hatten entkommen können. Unverletzt. Sie waren zum Fluß davongeritten.

Als Cal vom Pferd stieg, kam die Farmersfrau heran. Sie sah in Cal noch immer ihren Sohn und konnte sich nicht daran gewöhnen, daß sie seine Tante und nicht die Mutter war.

»Du bist verletzt, Cal«, sagte sie bedrückt und blieb vor ihm stehen. »Was war da los unter den Eichen? Als dort die Schüsse fielen, krachte es plötzlich auch hier.«

»Nicht so wichtig, Mam. Da waren zwei Banditen. Sie hatten versucht, mich umzulegen. Rosanna ist rechtzeitig hinzugekommen und hat die Halunken abgelenkt.«

»Du hast sie erschossen, Cal. Ich sehe es dir an. Du hast dich verändert.«

»Ja, ich hab’ sie umgelegt. Sonst hätte es wieder ein Rooster-Begräbnis gegeben!«

Er wandte sich ab und ging ins Haus, ließ sich verarzten.

Vier Männer vom Aufgebot holten die beiden Toten unter den Eichen hervor und brachten sie auf die Farm. Sie legten die Leichen im fahlen Mondschein hinter dem Stall nieder. Der Anblick der zerschossenen Körper entsetzte keinen der Männer mehr.

Die Zeit war grausam geworden.

Cal zog sich auf sein kleines Zimmer zurück. Niemand sollte sehen, daß ihm auf einmal die Hände zitterten.

*

Niemals sollte Cal den nächsten Morgen vergessen.

Nichts warnte sie vorher.

Es war alles so friedlich. So, daß man annehmen konnte, die Gefahr wäre vorbei.

Die Farmhelfer waren schon auf den Beinen. Zwei vom Aufgebot schälten sich gerade aus den Decken. Die Pferde rumorten in Stall und Scheune. Die Hühner machten sich bemerkbar.

Über den Feldern ringsum hing noch feiner Dunst. Die Morgenröte zog herauf. Niemand bemerkte die Reiter. Es waren vier. Sie kamen aus verschiedenen Richtungen. Als sich der Dunst erhob und der Morgenwind einsetzte, waren Reiter und Pferde nicht mehr zu entdecken.

Cal richtete sich auf seinem Lager auf. Die Wunden schmerzten. Er fluchte verhalten, zog sich an, stieg in die Stiefel. Dann legte er Harris’ Waffengurt an und schob die geladenen Whitneyville Walker Colts in die Halfter. Die große Farmerjacke stieß er mit dem Fuß in eine Ecke.

Nebenan rührte sich die Mexikanerin. Stimmen im Haus hatten sie geweckt.

Nur kurz blickte Cal aus dem Fenster. Neben dem Schuppen hatten Männer ein Feuer entfacht. Über den Flammen hing an einem Dreifuß ein Kessel mit Wasser für den Morgenkaffee.

Es war alles ganz friedlich.

Arlene Rooster wollte wie jeden Morgen die Hühner füttern und ins Freie lassen. Die Farmhelfer boten sich an, ihr diese Arbeit abzunehmen, doch sie ließ sich die alten Gewohnheiten nicht nehmen. Die Arbeit lenkte sie ab. Dann dachte sie nicht immer an ihren Mann Lee.

Nolan Fury war ein grausamer Mann. Gnadenlos. Er wollte blutige Rache nehmen. Und das wollte auch Rhambo. Kid und Archie machten aus reiner teuflischer Lust mit.

Jeder kannte seinen Fluchtweg. Auf getrennten Wegen wollten sie nach Sundance Corral reiten. In jener gesetzlosen Stadt wollten sie

die letzte und tödliche Stunde einläuten.

An diesem Morgen hatten sie es auf den blonden jungen Rooster abgesehen. Sie wollten Cal schon an der Türschwelle zusammenschießen.

Die Tür war angelehnt. Einer der Farmhelfer ging Arlene Rooster voraus und öffnete die Tür. Er war blond wie Cal, sah ihm auch aus einiger Entfernung ähnlich –?aber das war bisher keinem auf der Farm aufgefallen.

Mit einem Sack voll Körnerfutter unterm Arm, folgte Mrs. Rooster dem Farmhelfer.

Schüsse peitschten herüber.

Kugeln aus Gewehren trafen den Farmhelfer. Er stolperte, krümmte sich. Mrs. Rooster geriet in den Kugelhagel, wurde ins Haus zurückgestoßen, stürzte zu Boden. Draußen fiel der Farmhelfer tot in den kalten Staub.

Die Männer des Aufgebots brüllten. Irgendwo abseits wieherten Pferde unter erbarmungslosen Sporenstößen und rasten gepeinigt davon.

Cal raste aus seinem Zimmer, sah seine Mutter am Boden liegen, stürmte hinaus, warf sich herum und kehrte zurück. Hart fiel er auf die Knie, beugte sich über seine Pflegemutter.

Sie blickte ihn an. Ihre Lippen bewegten sich. Sie hauchte irgendwas, aber er verstand es nicht. Draußen herrschte tumultartiger Lärm. Männer rannten zu ihren Pferden, brüllten durcheinander.

»Mam!« schrie Cal auf.

Sie hörte ihn nicht mehr.

Arlene Rooster war tot!

Wie von Krämpfen geschüttelt, kam Cal hoch, starrte fassungslos auf die Tote, schüttelte immer wieder den Kopf, konnte nicht begreifen, was geschehen war.

Die Killer nutzten das Chaos auf der Farm. Einzeln jagten sie davon und gewannen jeder einen riesigen Vorsprung.

Das Aufgebot bildete vier kleine Gruppen und folgte.

Cal ließ sie reiten. Er saß auf einem Stuhl und sah mit geröteten Augen auf die Tote, die nun auf der Couch lag.

Weinend stand Rosanna im Raum. Ihr Mund schwieg, doch ihre Augen sprachen.

Der Farmhelfer war vom Hof getragen worden. Draußen brütete die Hitze. Cal umfaßte die Hände der Toten. Schwer atmete er ein. Dann sprach er wie sein Vater – und es waren dieselben Worte: »Ich krieg’ sie alle. Irgendwann hab’ ich sie. Ich bin ein Rooster, Mam. Es soll so sein, glaub’ mir das.«

Cal blieb noch bis zur Beerdigung.

Als die Sonne im Westen stand, wurde Arlene Rooster unter den Eichen bestattet. Und neben ihr der Farmhelfer.

Niemand sah in diesem Augenblick den einsamen Reiter.

Zusammengesunken saß er im Sattel des abgetriebenen Pferdes, kürzte den Weg über die Felder ab und hielt auf die Eichen zu.

Er kam aus der Sonne.

Rooster.

Unbemerkt saß er unter den Eichen ab. Mit flachen und erdhaft schweren Schritten kam er heran.

Plötzlich stand er neben Caleb vor den Gräbern.

Es war das erste Mal, daß Cal den Mann sah, der sein Vater war.

Alle wußten, wer gekommen war. Schweigend zogen sie sich zurück und warteten abseits bei den Pferden und dem Wagen.

Nur die junge Mexikanerin war geblieben. Stumm kniete Rosanna nieder und blickte Rooster unverwandt an.

Um Cals Lippen zuckte es, als wollte er lächeln. Unruhig drehte er den Hut zwischen den Händen. Tief stach der Sonnenschein durch die Baumlücken und ließ sein Haar rötlich glänzen. In den braunen Augen war es fast Nacht. Er brachte kein Wort über die Lippen.

Sein Vater sah dem Bruder sehr ähnlich. Doch das Gesicht seines Onkels war längst nicht so hart gewesen, so rauh und zerfurcht und von Sonne und Pulverrauch gebeizt. Das Gesicht seines Vaters ähnelte einer zerklüfteten rauhen Landschaft.

Dieser Augenblick war schwer für Cal.

Noch war der Vater für ihn beinahe ein Fremder.

Bis Rooster ihn in die Arme nahm. Da war der Bann gebrochen.

Rosannas Augen glänzten. Sie lächelte und freute sich. Als Rooster das Mädchen sah, wußte er sofort, wo er es gesehen hatte. In dem Drecknest ohne Namen. Unten im Süden. Dort, wo er zwei Banditen gestellt und erschossen hatte, wo er Donovan Fairbanks nach langer Zeit wieder begegnet war. Und er hörte Cal sagen: »Rosanna. Sie ist dir zu Fuß gefolgt. Ich weiß nicht, warum.«

Rooster nickte Rosanna zu und wandte sich dann ab, ging zu seinem Pferd und saß auf. Er kam herangeritten und blickte auf die Gräber.

»Wo sind sie?« fragte er mit plötzlich harter Stimme.

»Wahrscheinlich nach Sundance Corral, Vater. Vier Mann.«

»Besorg mir ein ausgeruhtes Pferd, Cal.«

*

Sundance Corral.

Hier sollte es geschehen. Der Showdown begann schon…

Nellie beugte sich aus dem Fenster im Obergeschoß.

Die Mittagshitze brütete über der Stadt. Verlassen lag die Hauptstraße in der grellen Sonne.

Weit draußen am gleißenden Schienenstrang ragten die Pfosten und Stangen des letzten Corrals wie ein hingestrecktes Skelett in die glasige Luft.

Dort trieben im Glutwind Staubfahnen über den roten Boden. Reiter näherten sich der Stadt. Vier Mann.

Nellie hatte das richtige Gespür. Sie wußte sofort, daß es Banditen waren. Vielleicht sogar jene, die hinter Rooster her waren, um ihn zu töten. Nellie war sich aber nicht sicher, weil sie nur vier Reiter sah.

Vielleicht kamen die fehlenden zwei hinterher –?oder waren schon in der Stadt.

Sie dachte an Roosters Worte.

»Sei nett zu ihnen. Halte sie auf.«

Langsam trat sie vom Fenster zu. rück und zog die Gardine vor. Der sengende Wind bauschte sie. Im Luxuszimmer war es drückend warm.

Dennoch harrte Nellie aus und beobachtete durch die Gardine die Reiter. Erst als sie am Stadtrand waren, konnte Nellie erkennen, daß der eine älter und bärtig war.

»Maverick«, sagte Nellie in die Stille des Zimmers hinein, »das sind sie. Such nicht länger. Komm her.«

Die vier Banditen ritten die Straße hinauf, nutzten die schmalen Schatten vor den Häusern, näherten sich einem Saloon.

»Verdammt«, flüsterte Nellie, »die wollen zur Konkurrenz.«

Sie hastete aus dem Zimmer, über den Gang, die Treppe halb hinab, überblickte den ganzen Saloon und rief einem ihrer Animiermädchen zu: »Severina, los, laß dich draußen sehen! Schön die Brust raus, verstanden? Vier Mann! Lock sie weg von Talbots Saloon!«

Severina war genau das richtige Mädchen dafür. Sie verstand sich auf ihr Geschäft. Sie war schön – und auch schön verdorben. Und was auch noch sehr wichtig fürs Geschäft war: sie konnte sich wie ein Dummchen und Trampel geben.

Unten im Saloon saßen nur ein paar ältere Männer, hüllten sich in blauen Dunst und tranken Whisky wie Wasser. Die Oldtimer brauchten keine weibliche Gesellschaft mehr.

So hatten zwei Animiermädchen kaum was zu tun, als nur die Fingernägel zu reinigen. Severina war froh, daß Abwechslung kam. Sie lief in Rock und Bluse hinaus, reckte sich unter dem Vordach und ließ die Bluse auseinandergleiten. Dabei streckte sie ihre Figur, stellte sich auf die bloßen Fußspitzen und wühlte mit den Händen im langen braunen Haar. Prall traten die Brüste hervor. Der sengende Wind bauschte die Bluse.

Severina lockte, doch sie tat so, als hätte sie die Reiter gar nicht bemerkt, als glaubte sie sich unbeobachtet. So eine raffinierte Show zog sie immer ab, wenn es darauf ankam.

Die vier Banditen wollten gerade vor Talbots Saloon absitzen. Sie zögerten keine Sekunde, ritten sofort weiter und hielten auf Nellies Pomp-Saloon zu.

Severina zuckte übertrieben zusammen, versuchte keusch, die Bluse zu schließen, wich in den Saloon zurück.

Nellie hatte an einem runden Tisch Platz genommen und rauchte ein dünnes Zigarillo. Der Keeper stellte schon vier Gläser und die Flasche bereit. Severina gesellte sich zu Pat, dem anderen Mädchen.

Draußen im Schlagschatten verhielten Nolan Fury, Kid, Archie und Rhambo. Jeder ein Killer. Jeder hemmungslos und grausam. Aber das war ihnen nicht anzusehen. Fury wirkte väterlich. Die drei anderen sahen wie nette Jungs aus. So sympathisch, daß Nellie Zweifel kamen.

Einer nach dem anderen kam herein. Zuerst Rhambo. Der große schlanke Killer ging sofort zu Severina, legte den Arm um sie und lächelte sie an.

Der sommersprossige blonde Archie griff sich das Mädchen Pat.

Kid Fairbanks und Nolan Fury lehnten sich an die Theke, blickten umher und entdeckten die reife schöne Nellie am runden Tisch.

»Ich glaub’, die ist was für mich«, brummte Fury durch den Bart. »Hast du was dagegen, Kid?«

»Geh, Nolan. Ich bin lieber allein.«

»Da bist du wie dein Alter, was? Unnahbar, immer allein, eiskalt.«

»Möglich, aber versau mir nicht die gute Stimmung. Red nicht über ihn. Wenn er in Sundance Corral ist, wird er bald reinkommen.«

Kid Fairbanks irrte.

Sein Vater kam nicht, und so stand er allein am Tresen, trank Whisky und beobachtete das Geschehen im Spiegel hinter der Theke.

Nellie war zauberhaft. Nolan Fury geriet ins Schwärmen. Als sie seinen Handrücken streichelte, war er völlig in ihren Bann geraten. Und sie wunderte sich, daß dieser Mann und die anderen so grausam sein konnten.

Fury bedrängte sie.

»Heute nacht«, hauchte sie. »Ich hab’ noch so viel zu tun, aber wenn der Saloon schließt, hab’ ich viel Zeit für dich.« Sie warf den Zigarillostummel in den Aschenbecher und seufzte. »Ich freue mich schon darauf. Du auch?«

»Ja, Nellie!« Er umfaßte mit seinen Klauen ihre Hände. »Du machst mir glücklich!«

Nellie glaubte, sich verhört zu haben, aber dann hauchte sie schmeichelnd: »Du mir auch, Nolan.«

An der Theke küßte Rhambo das Mädchen Severina, und der sommersprossige Killer Archie umarmte Pat.

Kid Fairbanks ging hinaus, nahm die Pferde an den Zügeln und brachte sie nach hinten in den Stall.

Sie blieben in Sundance Corral.

*

Ein Mann ritt durch die Dämmerung.

Weit vor ihm verschwamm der Lichtschein von Sundance Corral im Abenddunst.

Hart klapperten die eisenbeschlagenen Hufe über Schwellen und Schienen hinweg. Dann trottete das Pferd durch Sand und Staub und trug den Mann in die Stadt.

Vor Talbots Saloon straffte Maverick den Zügel. Bedächtig stieg er vom Pferd, zog die Winchester aus dem Gewehrschuh und wandte sich der Schwingtür zu. Er betrat den Gehsteig, stand reglos und blickte auf die helle Front von Nellies Saloon. Tabakrauch quoll hervor. Verworren drang Lärm auf die Straße hinaus.

Mit einem Ruck drehte er sich um und schob die Türflügel nach innen. Staubbeladen betrat er mit gesenkter Winchester Talbots Saloon. Hinter ihm schlugen die Türflügel zusammen. Gleich vorn stellte er sich an die Theke.

Der Saloon war gut besucht, doch an der Theke stand nur ein Mann.

Rooster blickte ihn kühl an, legte die Winchester auf den Tresen und verlangte einen Whisky.

Langsam kam Donovan Fairbanks näher und schob sein Glas über die Theke.

»Du bist verdammt schnell geritten, Maverick. Hast du es so eilig mit dem Sterben?«

Rooster griff sich das Glas, trank und stellte es leer zurück.

»Vor mir sterben noch andere, Donovan.«

»Wer?«

»Alle, die sich mir in den Weg stellen.«

Fairbanks lächelte. Er wußte sehr wohl, wen Rooster meinte.

»Wir können gute Freunde bleiben, Maverick –?wenn du Kid eine Chance gibst.«

»Wo sind sie?«

»Drüben. In diesem Pomp-Saloon, der Nellie gehört. Warum bist du hier? Du hast Nellie doch gern –?sehr gern sogar!«

Rooster runzelte die Stirn. In seinen Augen schimmerte es wie Eis.

»Wenn Nellie ein Haar gekrümmt wird, garantiere ich für nichts, Donovan. Und deinen Sohn verschone ich nicht, wenn er mich umlegen will. So wie es aussieht, will er das. Diese wahnsinnigen Killer haben sogar die Frau meines Bruders Lee erschossen – und einen Farmhelfer. Geh mal rüber, frag’ deinen Sohn, ob er auch geschossen hat. Aber du brauchst ihn nicht zu fragen. Er hat. Jetzt fehlen ihm nur noch die Steckbriefe mit hohen Kopfprämien –?und die alte Zeit ist wieder da, Donovan!«

Er warf Geld auf den Tresen, nahm die Winchester und ging hinaus.

Donovan Fairbanks blickte starr auf die auspendelnde Schwingtür.

Die Entscheidung war gefallen.

Draußen trottete ein müdes Pferd davon.

Fairbanks griff zum Glas, wollte trinken –?doch dann warf er es über die Theke und verließ Talbots Saloon.

Rooster war bereits von der Straße geritten.

Irgendwo am ostwärts gelegenen Stadtrand klapperten Hufe. Der Lärm aus Nellies Saloon überdeckte das Geräusch. Auch Fairbanks hörte es nicht. Er überquerte die Straße, erreichte Nellies Saloon und sah seinen Sohn Kid an der Theke stehen. Das Mädchen Pat hatte den Arm um ihn gelegt. Archie hockte an einem Tisch und schlief.

Langsam ging Fairbanks hinein und näherte sich seinem Sohn.

Als der den Vater erblickte, flackerte es in seinen blauen Augen auf. Er schob Pat wortlos beiseite und beachtete sie nicht mehr.

Fairbanks blickte lächelnd umher und nickte vor sich hin.

»Rooster ist hier«, sagte er, ohne den Sohn anzusehen. »Achtet auf Nellie. Sie wird sich bestimmt mit Rooster treffen. Ich bin in der Nähe.«

Lächelnd verließ er den verräucherten großen Saloon.

Kid schlenderte von einem Komplicen zum anderen. Schlagartig waren sie nüchtern. Nur an Nolan Fury kam er nicht heran. Noch immer saß Fury mit Nellie am Tisch.

Nellie hatte Fairbanks gesehen und beobachtet. Als der Revolverkönig neben seinem Sohn stehengeblieben war, hatten sich seine Lippen kaum merklich bewegt. Jetzt hatte Kid die Komplicen Rhambo und Archie hellwach gemacht. Und beide, Rhambo und Archie, hatten herübergesehen.

Irgendwas tat sich hier – zwischen all den anderen Gästen, die nichts Böses ahnten.

Für das Verhalten der Banditen gab es nur eine Erklärung: Rooster war in Sundance Corral eingetroffen!

Nellie überlegte, während sie lächelnd so tat, als hörte sie Nolan Fury aufmerksam zu.

Donovan Fairbanks wußte, daß sie und Rooster sich gern hatten. Er könnte daraus eine tödliche Falle machen. Sie durfte nicht mit Rooster zusammenkommen! Lobo Rooster brauchte sie nicht zu warnen. Der wußte genau, was los war.

Nolan Fury hatte einen Wink bekommen. Er sollte zu Rhambo kommen. Als er sich erheben wollte, faßte Nellie nach seiner Rechten und lehnte sich an ihn.

»Erzähl’ weiter, Nolan«, sagte sie lächelnd. »Das ist so spannend! Wie ging’s weiter in Socorro?«

Nellie drehte den Spieß um. Sie sorgte dafür, daß Nolan Fury zunächst im Saloon blieb. Die drei jungen Killer traten ohne ihn hinaus auf den Gehsteig.

Über Sundance Corral war die Nacht hereingebrochen.

»Du, Nolan«, sagte Nellie, »ich werd’ an der Theke verlangt, Mein Keeper hat irgendwelche Probleme. Ich bin gleich wieder da.«

Sie erhob sich und ging langsam zur Theke hinüber, erreichte den Keeper und sah in den großen Spiegel.

Nolan Fury hatte es eilig, nach vorn aus dem Saloon zu kommen.

»Stümper«, sagte Nellie verächtlich, wartete noch, bis Fury die Türflügel aufdrückte –?dann hastete sie hinter die Theke und verschwand im Hinterraum, stieß mehrere Türen nacheinander auf, eilte über den Gang, durch verschiedene Räume, erreichte die schmale Privattreppe nach oben. Leise schlich sie an die Tür ihres Luxuszimmers heran und öffnete sie.

Rooster war nicht auf dem Zimmer.

Sie atmete auf, hastete die Treppe hinunter und drückte dann eine zerschrammte Tür auf, an der ein Schild angebracht worden war, auf dem »Lagerraum« stand.

Schon beim Eintritt spürte sie, daß jemand im Raum war. Durch ein hochgelegenes kleines und vergittertes Fenster fiel Sternenlicht herein.

Rooster stand vor ihr.

Sie konnte nicht anders. Sie fiel ihm in die Arme, und er hatte nichts dagegen.

»Sind sie im Saloon, Nellie?«

»Eben waren sie noch da.« Sie trat einen halben Schritt zurück. »Gut, daß ich dich erreichen konnte.« Dann berichtete sie ihm, was sie beobachtet hatte.

»Geh jetzt zurück in den Saloon, Nellie. Unter deinen vielen Gästen bist du am sichersten.« Rauhbeinig zog er sie an sich und küßte ihre Stirn.

Sie lief zurück und erschien lächelnd hinter der Theke. Unauffällig suchte sie unter ihren Gästen nach den Killern. Keiner war zu sehen.

Alle waren draußen.

*

Reglos stand ein großer Mann in einer dunklen Hausnische.

Lobo Rooster könne das Straßenstück zwischen Nellies und Talbots Saloon überblicken. Ahnungslos gingen Männer durch die Lichtbahnen und verschwanden in den Saloons.

Tabakrauch wehte unter dem Vordach des Stores über den Gehsteig. Genau vor der verschlossenen Tür stand jemand. Rooster konnte nicht erkennen, wer es war.

Wenig später entdeckte er einen Schattenstrich, der aus der Einfahrt neben Nellies Saloon fiel. Der Bandit verriet sich durch den Schatten, den er im Mondschein auf den Straßenrand warf.

Drüben neben dem Eingang von Talbots Saloon lehnte Donovan Fairbanks. Er verbarg sich nicht, rauchte Zigarillo und beobachtete nur. Wahrscheinlich würde er sich aus dem Geschehen zunächst heraushalten. Ihm ging es um Kid, nicht um die anderen.

Der dritte Gegner lauerte auf dem Heuboden des Mietstalls. Die Luke oben war geöffnet. Metall schimmerte. Zuerst glaubte Rooster, es wäre eine Heugabel. Dann aber bewegte sich das Stück Metall. Das war der Lauf eines Gewehrs.

Rooster wußte nun, wo drei der Killer steckten. Den vierten entdeckte er nicht. Der hatte sich einen verteufelt guten Hinterhalt ausgesucht.

Die Killer wußten längst, daß sie Lobo Rooster zum Gegner hatten. Und sie wußten auch, daß er kein Erbarmen kennen würde. Schließlich hatten sie seinen Bruder und dessen Frau erschossen.

Zeitweilig herrschte reger Betrieb auf der Straße. Saloongäste kamen und gingen. Eine Frau schimpfte mit ihrem angetrunkenen Mann und haute ihm ein Gesangbuch um die Ohren. Reiter zogen vorüber. Mexikaner sangen zu den Klängen einer Gitarre und verschwanden in Richtung Pulqueria.

Dann war das Stück Straße wieder verlassen.

Da trat plötzlich der bärtige Nolan Fury unter dem Vordach des Stores hervor und verharrte am Straßenrand, dicht vor dem erhöhten Gehsteig. Der Halunke wollte Rooster hervorlocken.

Maverick wollte aber erst noch den vierten Killer ausfindig machen. Darum reagierte er nicht auf Furys Manöver.

Die Halunken wußten, daß sie einen fairen Gegner hatten, der nicht aus dem Hinterhalt auf sie schießen würde. Doch sie selbst waren dazu allemal bereit. Für sie war nur das Ergebnis wichtig. Sie wollten Lobo Rooster tot vor ihren Stiefeln liegen sehen.

Dann war ihnen der Ruhm sicher.

Niemand würde fragen, ob sie Lobo Rooster durch Heimtücke erledigt hatten. Wer sich so eine Frage erlaubt hätte, wäre auf der Stelle tot gewesen.

Nolan Fury ging noch weiter vom Store weg und blieb mitten auf der Straße stehen.

Plötzlich trat weiter hinten ein schlanker blonder Mann auf die Straße hinaus. Geduckt und angespannt verharrte er auf mondheller Straße.

»Ich bin auch noch da!« rief er kalt.

Fury warf sich herum und riß die Colts hoch. Auch Cal zog. Laut dröhnten die Schüsse über die Straße. Der blonde Cal feuerte noch während des Fallens. Hart stieß er mit den Ellenbogen in den Straßenstaub hinein. Die alten Whitneyville Walker Colts spuckten Feuer und Blei.

Der Körper des bärtigen Killers wurde von den Kugeln geschüttelt und zu Boden geschleudert.

Cal rollte geschmeidig und blitzschnell wie eine wilde Raubkatze zur Seite. Kugeln schlugen dicht neben ihm ein und trieben Sandfontänen und Staub hoch.

Mündungsfeuer verrieten die heimtückischen Killer.

In diesen Sekunden achtete niemand auf Lobo Rooster. Polternd rannte er über den Gehsteig, hielt mit beiden Händen die Winchester, schoß während des Laufens.

Der Halunke auf dem Heuboden des Mietstalls stieß einen Todesschrei aus, rutschte mit einem Berg Heu aus der Luke hervor und stürzte leblos auf die Straße.

Archie.

Lobo Rooster schoß eiskalt. Sterbend torkelte Rhambo aus der Einfahrt neben Nellies Saloon hervor. Langsam ging er in die Knie, schoß vor sich in den Erdboden, fiel mit dem Gesicht in die kleinen Erdtrichter, krümmte sich –?dann lag er flach.

Lobo Rooster stürmte am Straßenrand entlang und näherte sich Nellies Saloon. Genau davor blitzte es auf. Cal zuckte hoch, rollte schlenkernd herum und lag still.

Gellend schrie ein Mädchen auf.

Der Schrei schrillte durch ganz Sundance Corral.

Rosanna hastete näher, warf sich neben Cal hin und versuchte, ihn mit Ihrem Leib zu schützen.

Jetzt war Rooster dicht vor der Schwingtür des Saloons. Er wußte, wo der letzte Killer steckte. Kid Fairbanks lag unter dem Gehsteig –?genau vor der Schwingtür!

Vor Talbots Saloon krachte ein Colt. Die Kugel streifte Rooster. Fluchend warf er sich hin, ruckte herum, riß die Winchester hoch –?doch Donovan Fairbanks war nicht mehr zu sehen.

Keuchend richtete Rooster sich auf. Seine schweren Schritte dröhnten über den Gehsteig. Seine Stimme war rauh und brüchig, als er brüllte: »Komm da unten raus, Kid Fairbanks!«

Sofort nach diesen Worten sprang Rooster zur Seite. Blei durchschlug die abgetretenen dünnen Bretter vor dem Eingang. Kid Fairbanks’ Schüsse brachten Rooster in höchste Gefahr. Er konnte nicht mehr ausweichen. Hart prallte er mit dem Rücken gegen die Hauswand. Ein Streifschuß riß ihm eine blutige Schramme über den Wangenknochen. Er taumelte, schaffte nicht mehr den rettenden Sprung in den Saloon. Wieder schrie Rosanna gellend auf. Wahnsinnige Angst hatte ihr die Stimme zurückgegeben. Noch immer lag Cal wie tot im Straßenstaub.

Rooster durfte nicht länger Donovan Fairbanks’ Sohn verschonen. In der nächsten Sekunde konnte Kid Fairbanks ihn tödlich treffen.

Dicht vor Roosters Stiefeln zerrissen Kugeln die Bretter.

Lobo Rooster feuerte mit der Winchester zurück, zertrümmerte mit schnellen Schüssen das Stück Gehsteig. Das Gewehr schwieg. Unter dem Gehsteig bewegte sich nichts mehr.

Rosanna sah Kid Fairbanks.

Nach der langen Zeit des Stummseins brachte sie mühsam die Worte hervor: »Er –?ist tot.«

Torkelnd verließ Rooster den Gehsteig. Blut rann über die Wange und am Hals hinunter. Schwankend bewegte er sich auf Cal und Rosanna zu, blieb stehen und sah, daß Cal lebte.

»Rooster!«

Maverick hörte Donovan Fairbanks rufen. Horchend neigte er den Kopf. Ohne sich umzudrehen und trotz der Schmerzen brüllte er zurück: »Was willst du, Don?«

»Ich will es jetzt! Hast du mich richtig verstanden, Maverick?«

Als Antwort ließ Rooster die leergeschossene Winchester fallen. Damit hatte er die Hand frei für den Colt.

»Ich will sehen, ob du wirklich so gut bist, Lobo Rooster!« rief Fairbanks. »Ich gehe jede Wette ein, daß ich dich umlege!«

Rosanna hob das Gesicht an. Rooster konnte erst nicht verstehen, was sie flüsterte. Für sie war das Sprechen zu ungewohnt. Doch dann verstand er, was sie ihm zu sagen hatte.

»Er hat diesen einen alten Colt –?dem toten Bandolero zugesteckt, Señor. Mein Freund Jose wollte nachsehen –?im Office. Fairbanks erschoß Jose. Ich –?sage die Wahrheit, Señior! José wollte –?zu Ihnen, Señor Rooster!«

Wieder rief Fairbanks.

Maverick drehte sich schwerfällig um. Mit flachen Schritten legte er fünf Yard zurück, dann mußte er stehenbleiben, weil alles vor seinen Augen verschwamm.

»Komm näher, Fairbanks!« antwortete er. »Ich will dir in die Augen sehen, verdammter Kerl! Du hast damals in Omaha meinen Bruder Benjamin erschossen! Denn du hattest den Whitneyville Walker Colt! Bens Mörder war nicht dieser Bandit in dem namenlosen Nest. Du hast dem Toten den Walker Colt zugeschoben. Darum hattest du auch geschossen. War ’ne feine Sache, die du dir da ausgedacht hattest. Warum hast du das alles getan, Donovan Fairbanks? Um später ein Denkmal zu bekommen? Als der größte Revolverkönig aller Zeiten?«

Fairbanks näherte sich Lobo Rooster. Die Hände hingen zu Krallen geöffnet über den Colts. Seine strahlend weißen Zähne blitzten im Sternenlicht. Er lächelte…

»Ich bin etwas abergläubisch, Maverick«, erklärte er. »Darum brauchte ich damals in Omaha einen deiner Colts. Und mit diesem Colt wurde ich schnell im Schießen und Treffen. Immer schneller, Maverick! Bis ich diesen verdammten alten Colt nicht mehr brauchte. Da gab ich die Waffe diesem drittklassigen Revolverpinscher.« Er machte eine kurze Pause. Dann sagte er: »Und jetzt töte ich dich, Lobo Rooster. Du hast ihn gewollt, den Showdown von Sundance Corral.«

Rooster schwankte, stemmte die Füße in den Staub und stand still.

»Dann los!« sagte er rauh.

Sie zogen. Schüsse peitschten. Maverick taumelte zur Seite, hielt den rauchenden Colt, blickte auf Rosanna. Das Mädchen hielt einen der Whitneyville Walker Colts in der zarten, kleinen Hand. Pulverrauch stieg spiralförmig aus der Mündung.

Rooster ließ den Colt fallen, preßte die Hand auf die blutende Schulter. Fairbanks’ Blei steckte drin.

Fairbanks lag tot auf dem Rücken. Obwohl Maverick nur einmal abgedrückt hatte, war er von zwei Kugeln getroffen.

Maverick empfand nichts beim Anblick des berühmten Revolvermannes. Niemand hörte seine Worte.

»Ein Denkmal, wie? Das gibt man nur den wirklich großen Männern, Don. Uns beiden nicht. Auch wenn wir immer gesiegt haben –?gewonnen haben wir nie.«

Am frühen Morgen verließen sie Sundance Corral. Rooster und Nellie. Cal und Rosanna, alle zusammen auf einem Buggy.

Keiner sagte, wohin sie fuhren. Die Legende von Lobo Rooster sollte endlich ein Ende haben.

Vor ihnen ging die Sonne auf.

Die großen Western Staffel 4

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