Читать книгу Lagezentrum: Ein Luke Stone Thriller – Buch 3 - Джек Марс - Страница 8
KAPITEL VIER
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Marine-Observatorium – Washington, DC
Luke saß auf dem Rücksitz eines schwarzen SUV, als dieser vor der weiß-gegiebelten Residenz aus den 1850er Jahren zum Stillstand kam. Diese Villa war jahrelang die offizielle Unterkunft des Vizepräsidenten gewesen. Da das Weiße Haus zwei Monate zuvor zerstört worden war, diente dieser Ort nun als das Neue Weiße Haus, was passend war, da die Präsidentin fünf Jahre lang hier gelebt hatte, bevor sie ihre neue Rolle übernommen hatte.
In den zwei Monaten, die Luke weg gewesen war, hatte er fast nie über diesen Ort oder die Menschen, die sich hier befanden, nachgedacht. Das Satellitentelefon hatte er auf Wunsch der Präsidentin bei sich, aber die ersten Wochen hatte er ständig in Angst gelebt, tatsächlich einen Anruf zu erhalten. Nach und nach hatte er jedoch fast vergessen, dass er das Telefon überhaupt hatte.
Eine junge Frau kam ihm auf dem Gehweg vor dem Haus entgegen. Sie war brünett, groß und äußerst hübsch. Sie trug einen schlichten schwarzen Rock und eine schwarze Jacke. Ihre Haare waren nach hinten gebunden. In ihrer linken Hand trug sie einen Tablet-Computer. Die andere Hand streckte sie Luke entgegen. Ihr Händedruck war fest und gänzlich geschäftlich.
„Agent Stone? Ich bin Kathryn Lopez, Susans Stabschefin.“
Luke war etwas verblüfft. „Werden Stabschefs heutzutage direkt von der Highscool rekrutiert?“
„Sehr nett von Ihnen“, sagte sie beiläufig. Er wusste, dass sie das ständig zu hören bekommen musste, und die meisten meinten es wahrscheinlich nicht freundlich, so wie er. „Ich bin siebenunddreißig Jahre alt. Ich bin seit dreizehn Jahren in Washington, seit ich meinen Masterabschluss habe. Ich habe für einen Abgeordneten, zwei Senatoren und den ehemaligen Direktor für Gesundheit und Soziales gearbeitet. Ich kenne mich also ein wenig hier aus.“
„Okay“, sagte Luke. „Dann bin ich ja in guten Händen.“
Sie traten durch die Vordertür. Im Inneren standen sie einem Kontrollpunkt mit drei bewaffneten Wachen und einem Metalldetektor gegenüber. Luke nahm seine Glock aus seinem Schulterholster und legte sie auf das Förderband. Er griff nach unten und schnallte die kleine Taschenpistole und das Jagdmesser, das an seine Waden geklebt war, ab und legte diese ebenfalls auf. Zum Schluss nahm er seine Schlüssel aus der Tasche und ließ sie zusammen mit den Waffen auf das Band fallen.
„Entschuldigung“, sagte er. „Ich kann mich nicht erinnern, dass es hier eine Sicherheitskontrolle gab.“
„Gab es auch nicht“, sagte Kat Lopez. „Sie ist erst seit ein paar Wochen hier. Es kommen immer mehr Leute her und wir mussten die Sicherheitsvorkehrungen formalisieren.“
Luke erinnerte sich an die Vorfälle. Als die Angriffe anfingen und Thomas Hayes starb, musste Susan plötzlich das Präsidentsamt übernehmen. Das Weiße Haus war größtenteils zerstört worden und alles – alle Vorkehrungen, die gesamte Logistik – war in dieser Zeit mehr schlecht als recht hastig neu errichtet worden. Es war eine verrückte Zeit gewesen. Er war froh, dass er seitdem frei gehabt hatte. Er bewunderte Susan ein wenig dafür, dass sie die ganze Zeit über selbst vor Ort gewesen war.
Nachdem die Wachen Luke abgetastet und mit einem Metalldetektor überprüft hatten, gingen er und die Stabschefin weiter.
Es war viel los hier. Das Foyer war überfüllt mit Menschen in Anzügen, Militäruniformen, hochgekrempelten Ärmeln, Menschen, die schnell durch die Gänge eilten und hinter denen sich eine Schar an Helfern herzog. Eines fiel sofort auf – es waren viel mehr Frauen hier als vorher.
„Was ist mit Ihrem Vorgänger passiert?“, fragte Luke. „Der vorherige Stabschef. Richard…“
Kat Lopez nickte. „Richard Monk. Nun, nach dem Ebola-Vorfall waren er und Susan sich einig, dass es ein guter Zeitpunkt für ihn war, weiterzuziehen. Aber obwohl er hier raus ist, ist er auf seinen Füßen gelandet. Er arbeitet als Stabschef für den neuen US-Repräsentanten aus Delaware, Paul Chipman.“
Luke wusste, dass es neue Repräsentanten und Senatoren aus neununddreißig Staaten gab, um diejenigen zu ersetzen, die beim Angriff am Mount Weather gestorben waren. Unzählige Leute waren aus den unteren Ligen plötzlich aufgestiegen oder sind aus dem Ruhestand zurückgekehrt. Mehr als nur ein paar von ihnen waren von Gouverneuren ernannt worden, die fragwürdige Motive oder Gefallen zu erfüllen hatten. Wenn man genau hinsah, konnte man das Schmiergeld an jeder Ecke riechen.
Er lächelte. „Richard arbeitet nicht mehr für die Präsidentin, sondern für den Vertreter des zweitkleinsten Bundesstaates Amerikas? Und das nennen Sie auf den Füßen landen? Klingt für mich, als wäre er auf dem Kopf gelandet.“
„Kein Kommentar“, sagte Kat und lächelte fast. Es war die menschlichste Geste, die er bis jetzt von ihr gesehen hatte. Sie führte ihn durch die Menschenmenge zu einer Doppeltür am Ende der Halle. Luke kannte sich bereits aus. Als Susan Vizepräsidentin gewesen war, war der große, sonnige Raum ihr Konferenzraum gewesen. In den Tagen, nachdem sie ihren Amtseid abgelegt hatte, hatte er sich jedoch schnell in ein notdürftiges Lagezentrum verwandelt.
Nun sah er bereits voll ausgestattet aus. Fertigwände durchzogen den Raum und verdeckten die alten Fenster. Riesige Flachbildschirme waren überall im Abstand von 1,5 Metern montiert. Ein größerer Eichen-Konferenztisch war aufgestellt worden und an der Wand hinter ihm befand sich das Siegel des Präsidenten. Es waren etwa zwei Dutzend Leute hier, als Luke und Kat hereinkamen, ein Dutzend am Konferenztisch und weitere in Stühlen, die die Wände säumten.
Auch hier war der Geschlechter-Wechsel offensichtlich. Luke erinnerte sich, wie er vor zwei Monaten hier gesessen und über die gestohlene Ebola-Probe informiert worden war. Von den dreißig Leuten in dem Raum zu dieser Zeit war Susan die einzige Frau gewesen. Neunundzwanzig große, kräftige Männer und eine kleine Frau.
Heute machten Frauen ungefähr die Hälfte aller Anwesenden aus.
Susan erhob sich, als Luke hereinkam. Auch sie hatte sich verändert. Härter, so wie es aussah. Ein wenig dünner als vorher. In ihrer Jugend war sie Model, doch der Babyspeck auf ihren Wangen hatte sich bis ins mittlere Alter gehalten. Der war jetzt jedoch weg, und sie schien fast über Nacht Krähenfüße um die Augen entwickelt zu haben. Die hellen Augen selbst schienen fokussierter zu sein, wie Laserstrahlen. Sie war ihr gesamtes Leben die schönste Frau im Raum gewesen – nach ihrer Präsidentschaft würde das jedoch vielleicht nicht mehr der Fall sein.
„Agent Stone“, sagte sie. „Ich bin froh, dass Sie sich uns anschließen konnten.“
Er lächelte. „Frau Präsidentin. Ich bitte Sie. Nennen Sie mich Luke.“
Sie erwiderte das Lächeln nicht. „Danke, dass Sie gekommen sind.“
An einem der großen Bildschirme stand Kurt Kimball, Susans nationaler Sicherheitsberater. Luke hatte ihn schon einmal getroffen. Er war groß und hatte breite Schultern. Sein Kopf war völlig kahl.
Kimball bot ihm einen Handschlag an. Wenn Kat Lopez' Handschlag fest war, dann war Kurt Kimballs aus Granit. „Luke, schön, Sie zu sehen.“
„Kurt, ebenfalls.“
Die Stimmung war angespannt. Diese Leute hatten die letzten zwei Monate nicht mit Campen und Segeln verbracht. Trotzdem, Luke war von jetzt auf gleich von Maine hergeflogen und hatte seinen Sohn bei seiner wütenden bald Ex-Frau abgesetzt, die all dies nur als Bestätigung sah, warum sie sich von ihm scheiden ließ. Er hatte einen etwas freundlicheren Empfang erwartet.
Er entschied sich, nicht weiter darauf einzugehen. Hunderte von Menschen waren heute Morgen gestorben und die Menschen in diesem Raum vermuteten einen Terroranschlag.
„Sollen wir zur Sache kommen?“, fragte er.
„Bitte setzen Sie sich“, sagte Kimball.
Ein Sitzplatz an Susans rechter Flanke wurde wie durch ein Wunder frei und Luke nahm ihn dankend an.
Auf dem Bildschirm erschien das Foto eines großen Dammes. Groß war nicht ganz das richtige Wort. Massiv war der bessere Ausdruck. Ein sechsstöckiges Gebäude stand vor dem Damm. Es handelte sich um das Kontrollzentrum. Sechs teilweise offene Schleusen waren deutlich zu sehen. Das Gebäude wurde durch den dahinter aufragenden Damm in den Schatten gestellt. Entlang der Kante befand sich ein Wasserkraftwerk mit einer Reihe von Transformatoren.
„Luke, das ist der Black-Rock-Damm“, sagte Kurt Kimball. „Er ist ungefähr fünfzig Stockwerke hoch und staut den Black Rock See, der 25 Kilometer lang und 120 Meter tief ist und etwa 280 Milliarden Liter Wasser enthält. Wie Sie wahrscheinlich in den Nachrichten gesehen haben, öffneten sich die sechs Schleusen, die Sie hier sehen, heute Morgen kurz nach sieben Uhr vollständig und blieben dreieinhalb Stunden lang offen, bis die Techniker sie vom Computersystem abkoppeln und schließlich manuell schließen konnten.“
Kimball benutzte einen Laserpointer, um auf die Schleusen zu zeigen.
„Wenn Sie die Schleusen im Verhältnis zum Gebäude betrachten, sehen Sie, dass sie ziemlich groß sind. Jede von ihnen ist zehn Meter hoch, was bedeutet, dass sechs dreistöckige Wasserstrahlen auf einmal ausgestoßen wurden. Der Wasserdruck des Black Rock Lake schickte die Flut mit etwa dreißig Kilometern pro Stunde stromabwärts, was sich erstmal nicht so schnell anhört, bis man selbst davorsteht. Bis heute Morgen befand sich fünf Kilometer südlich des Dammes das Black Rock Resort. Es bestand fast ausschließlich aus Holz. Die Flut hat das Resort komplett zerstört und soweit wir wissen, waren die einzigen Überlebenden eine Handvoll Leute, die schon früh aufgebrochen waren, um auf dem Damm zu wandern oder auf nahegelegenen Panoramastraßen zu fahren.“
„Wie viele Leute waren im Resort?“, fragte Luke.
„In ihrem Online-Reservierungssystem waren 281 Gäste aufgeführt. Vielleicht 20 von ihnen haben das Resort entweder vor der Flut verlassen oder sind aus dem einen oder anderen Grund nie dort angekommen. Alle anderen wurden weggefegt und sind aller Wahrscheinlichkeit nach tot. Zusammen mit den anderen Katastrophen flussabwärts wird es noch mehrere Tage dauern, bis wir eine genaue Anzahl von Toten haben.“
Luke verspürte ein seltsames, vertrautes Gefühl. Es kam zurück wie ein alter Freund, den man lange nicht gesehen hatte und von dem man eigentlich gehofft hatte, ihn nie wieder zu treffen. Es fühlte sich an, als wäre ihm schlecht. Es war der Tod, der Tod von Unschuldigen, die einfach nur ihrem eigenen Leben nachgegangen waren. Luke hatte sich viel zu lange mit solchen Vorfällen beschäftigen müssen.
„Hat jemand versucht, sie zu warnen?“, fragte er.
Kimball nickte. „Die Arbeiter im Kontrollzentrum des Staudamms riefen das Resort an, sobald sie merkten, dass die Schleusen geöffnet waren, aber anscheinend hatte die Flut dort bereits Einzug gehalten, als sie jemanden erreicht haben. Jemand nahm ab, aber das Gespräch endete fast sofort.“
„Mein Gott. Und was waren die Katastrophen flussabwärts, die Sie erwähnten?“
Eine Karte erschien auf dem Bildschirm. Sie zeigte den See, den Damm, das Resort und weitere Städte in der Nähe. Kimball zeigte auf eine Stadt. „Die Stadt Sargent liegt weitere 25 Kilometer südlich des Resorts. Es ist eine Stadt mit 2.300 Einwohnern und eine Anlaufstelle für Besucher des Nationalparks. Sargent liegt größtenteils auf einem kleinen Hügel und die Stadt wurde etwas besser gewarnt als das Resort. Sie wurden sogar früh genug gewarnt, dass die Notfallsirenen der Stadt ertönten, bevor die Flut kam. Mit den zusätzlichen 25 Kilometern, die das Wasser bis dahin zurücklegen musste, traf es die Stadt etwas weniger hart, und viele der Häuser und Gebäude hielten stand und wurden nicht weggespült. Mehr als vierhundert Menschen aus Sargent werden jedoch derzeit vermisst oder für tot gehalten.“
Luke starrte auf den Bildschirm, als Kimballs Laserpointer auf die Städte Saphir, Greenwood und Kent fiel, jede etwas weiter vom Damm entfernt als die vorherige, und jede auf ihre eigene Art betroffen. Das Ausmaß der Katastrophe war verheerend, und obwohl die Schleusen inzwischen geschlossen waren, würde die Flut selbst in den nächsten Tagen weiter nach Süden und bergab fließen. Zwei Dutzend Städte waren evakuiert worden, aber weitere Todesfälle waren praktisch garantiert. Einige Menschen in den entlegenen Gebieten wollten oder konnten nicht fliehen.
„Und Sie glauben, dass Hacker dahinterstecken? Wie ist das möglich?“
Kimball blickte sich im Raum um. „Hat jeder hier die Sicherheitsfreigabe, den nächsten Teil zu hören? Können wir bitte jeden rausschmeißen, der keine Freigabe hat?“
Leises Murmeln ging durch den Raum, aber niemand bewegte sich. „Okay, ich gehe davon aus, dass jeder, der hier ist, auch hierhergehört. Wenn nicht, ist das euer Problem. Vergesst das nicht.“
Er wandte sich wieder an Luke.
„Der Damm wurde 1943 gebaut, um während des Krieges dringend benötigten Strom zu erzeugen. Er wurde von der Tennessee Valley Authority erbaut und wird bis heute von ihr betrieben. Die Schleusen werden heute noch mit der gleichen Technologie von damals gesteuert. Jede Fernbedienung für Garagentore ist heutzutage fortgeschrittener. Vor etwa zwanzig Jahren begann die TVA nach Möglichkeiten zu suchen, Geld zu sparen. Sie wollte die Verwaltung ihrer Dämme automatisieren. Kontrollzentren in alten Wasserkraftwerken sind nach modernen Standards unglaublich ineffizient. Es befinden sich rund um die Uhr Mitarbeiter vor Ort, die nichts anderes tun als Logbücher lesen, ausfüllen und von Zeit zu Zeit die Überläufe öffnen und schließen. Die Schleusentore selbst werden fast nie geöffnet.“
„Die TVA dachte, sie könnte zehn oder zwanzig Staudamm-Kontrollzentren zu einem zentralen Kontrollzentrum zusammenfassen. Also rüsteten sie mehrere Dämme mit einer fernsteuerbaren Computersoftware nach. Black Rock war einer von ihnen. Wir sprechen von einer sehr einfachen Software – sie hat nur zwei Zustände, ‚ja‘ für offen und ‚nein‘ für geschlossen. Aus irgendeinem Grund haben sie das zentrale Kontrollzentrum jedoch nie fertiggestellt. Die Software war internetbasiert und sie haben sie laufen lassen, für den Fall, dass sie sich doch einmal für den Bau des Zentrums entscheiden sollten. Das Problem an der Sache ist, dass Verschlüsselung damals kaum existierte und die Software nach ihrer Installation nie aktualisiert wurde.“
Luke starrte ihn fassungslos an.
„Sie machen Witze.“
Er schüttelte den Kopf.
„Es war kinderleicht, dieses System zu kapern. Es hatte nur nie jemand daran gedacht, es zu tun. Welcher Terrorist sollte überhaupt wissen, dass dieser Damm existiert? Er liegt in einer abgelegenen Ecke eines ländlichen Staates. Sargent, North Carolina ist nicht gerade das prestigeträchtigste Ziel. Aber wie wir festgestellt haben, sind die Ergebnisse so verheerend, als hätten sie Chicago oder eine andere Großstadt angegriffen.“
Susan sprach zum ersten Mal. „Und das Schlimmste daran ist, dass es Hunderte solcher Dämme in den USA gibt. Wir wissen nicht einmal, wie viele genau es sind und wie viele von ihnen auf die gleiche Art gehackt werden könnten.“
„Und warum glauben wir, dass die Chinesen es getan haben?“, fragte Luke.
„Unsere eigenen Hacker bei der NSA verfolgten die Infiltration zu einer Reihe von IP-Adressen in Nordchina zurück. Diese Adressen wiederum haben mit einer Internetverbindung in einem Motel in Asheville, North Carolina kommuniziert, hundert Kilometer östlich vom Black-Rock-Damm. Die Kommunikation fand innerhalb von 48 Stunden vor dem Angriff statt. Ein SWAT-Team des Amtes für Alkohol, Tabak und Schusswaffen ist in dieser Region gerade tätig und führt Razzien in nicht lizenzierten Brennereien und Brauereien durch. Dieses Team haben wir zum Motel geschickt, wo sie einen 32-jährigen Chinesen namens Li Quiangguo festnehmen konnten.“
Das Bild eines chinesischen Mannes, der von einer Gruppe großer und breiter ATF-Offiziere aus einem kleinen, unscheinbaren Motel geführt wird, erschien auf dem Bildschirm. Ein weiteres Bild erschien daneben. Es war der gleiche Mann, wie er auf einer schmalen Straße gegenüber eines Stausees steht. Er stand vor einer historischen Tafel mit der Aufschrift Black-Rock-Damm – 1943, und einer kurzen Beschreibung darunter.
„Obwohl seine Reisedokumente und sein Pass echt aussehen, glauben wir nicht, dass das sein wirklicher Name ist. Wie Sie wissen, ist die Namensreihenfolge in China umgekehrt – zuerst kommt der Nachname, gefolgt vom Vornamen. Li ist einer der häufigsten Namen in China, so wie Smith hier bei uns. Und Quiangguo bedeutet auf Mandarin so viel wie starke Nation. Ein Name mit militaristischer Konnotation, der nach der chinesischen Revolution sehr verbreitet war. Aber seit ungefähr 40 Jahren benutzt ihn so gut wie niemand mehr. Außerdem wurden bei Li eine Handfeuerwaffe und ein kleines Fläschchen mit Zyanid-Pillen gefunden. Wir glauben, dass er ein chinesischer Spion ist, der unter einem Decknamen operiert und sich umbringen sollte, falls er geschnappt wird.“
„Aber scheinbar hat er kalte Füße bekommen“, sagte Luke.
„Entweder das, oder er ist nicht rechtzeitig an seine Pillen gekommen.“
Luke schüttelte den Kopf. „Nach einer Operation wie dieser würde ein Agent, der sich tatsächlich umbringen will, die Pillenflasche ständig in der Hand halten oder sie zumindest in der Tasche haben. Was genau hat er nach China geschickt?“
„Eine Reihe von verschlüsselten E-Mails. Wir haben die Verschlüsselung noch nicht geknackt und es könnte auch noch Wochen dauern. Die NSA hat uns mitgeteilt, dass sie so eine Verschlüsselung noch nie gesehen haben. Sehr komplex, sehr schwer zu entschlüsseln. Also haben wir im Moment keine Ahnung, was der Inhalt der E-Mails ist.“
„Hat er gestanden?“, fragte Luke.
Kimball schüttelte den Kopf. „Er wird in einer Hütte in einem FEMA-Gefangenenlager in Nord-Georgia festgehalten, etwa hundertfünfzig Kilometer südöstlich des Damms. Er besteht darauf, dass er einfach ein Tourist ist, der zur falschen Zeit am falschen Ort war.“
„Deshalb haben wir Sie angerufen“, sagte Susan. „Wir möchten, dass Sie sich mit ihm unterhalten. Wir dachten, mit Ihnen würde er reden.“
„Mit ihm unterhalten, wie?“, sagte Luke.
Susan zuckte die Achseln. „Ja.“
„Ich soll ihn zum Reden bringen?“
„Ja.“
„Dafür brauche ich wahrscheinlich mein Team“, sagte Luke.
Susan, Kurt Kimball und Kat Lopez sahen einander an.
„Vielleicht sollten wir das lieber unter vier Augen besprechen“, sagte Kimball.
*
„Okay, Susan, jetzt kommt der Teil, wo du mir wieder sagst, dass das Special Response Team aufgelöst wurde, richtig?“
„Luke…“, begann sie.
Sie saßen oben in Susans Arbeitszimmer. Das Arbeitszimmer war genau so, wie Luke es in Erinnerung hatte. Ein großer rechteckiger Raum mit Hartholzboden und einem weißen Teppich in der Mitte. Der Teppich diente als Mittelpunkt für eine Sitzecke mit großen, bequemen, aufrechten Stühlen und einem Couchtisch.
An einer Wand des Arbeitszimmers war ein raumhohes Bücherregal. Das Bücherregal erinnerte Luke an The Great Gatsby.
Und dann waren da noch die Fenster. Riesige, anmutige, vom Boden bis zur Decke reichende Fenster, die eine großartige Aussicht auf das weitläufige Gelände des Marine-Observatoriums ermöglichten. Die Fenster waren nach Südwesten ausgerichtet und ließen das Tageslicht herein.
Die Tage wurden deutlich kürzer. Obwohl es noch nicht einmal 19 Uhr war, ließ das Sonnenlicht bereits nach. Der Tag ging zu Ende. Luke dachte noch einmal kurz an sein Gespräch mit Becca, als er Gunner abgesetzt hatte. Er schüttelte die Erinnerung schnell ab. Jetzt war nicht die Zeit, darüber nachzudenken.
Er saß auf der der Präsidentin gegenüberliegenden Seite des Couchtisches. Kurt Kimball saß zwischen den beiden. Kat Lopez stand hinter Susan, etwas rechts von ihr.
„Ja“, sagte Susan. „Das Special Response Team gibt es nicht mehr. Die meisten der ehemaligen Mitarbeiter wurden an andere Positionen innerhalb des FBI versetzt. Das, was Sie als Ihr ehemaliges Team betrachten, ist nicht mehr wiederherzustellen.“
„Susan“, sagte Luke. „Ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie mich wieder aus dem Ruhestand holen wollen. Wissen Sie, was ich in den letzten zwei Monaten getan habe? Ich werde es Ihnen sagen. Campen, angeln, wandern, segeln. Ein bisschen jagen. Ein bisschen tauchen.“ Er rieb sich den Bart. „Ausschlafen.“
„Sie sind also ausgeruht und damit diensttauglich“, sagte Kurt Kimball.
Luke schüttelte den Kopf. „Ich bin total eingerostet. Ich brauche mein Team. Ich vertraue ihnen. Ohne sie kann ich nicht wirklich funktionieren.“
„Luke, wenn Sie einfach geblieben wären, anstatt zu verschwinden, wären Sie jetzt vielleicht Chef einer kleinen Behörde…“
„Ich habe versucht, meine Ehe zu retten“, sagte er trocken.
Susan starrte ihn direkt an. „Wie ist es gelaufen?“
Er schüttelte den Kopf. „Bislang nicht allzu gut.“
„Es tut mir leid, das zu hören.“
„Mir auch.“
Susan blickte hinter sich. „Kat, können wir den Status von Lukes ehemaligen Teammitgliedern erfahren?“
Kat Lopez blickte auf das Tablet in ihrer Hand. „Sicher. Mark Swann verließ das FBI für einen Job bei der National Security Agency. Er arbeitet in ihrem Hauptquartier hier in DC. Er ist seit dreieinhalb Wochen dort. Es wird noch ungefähr einen Monat dauern, bis er die nötige Sicherheitsfreigabe hat, dann wird er mit dem PRISM Data Mining Projekt anfangen können.“
„Edward Newsam ist immer noch beim FBI. Er war fast den ganzen Juni und Juli krankgeschrieben. Seine Hüftrehabilitation ist abgeschlossen und er wurde inzwischen dem Geiselrettungsteam zugeteilt. Er befindet sich derzeit in Quantico in Ausbildung für eine mögliche Arbeit beim Auslandsgeheimdienst, die im Laufe des Jahres beginnen soll. In seiner Akte steht ein Vermerk, dass die Details seiner Anstellung wahrscheinlich innerhalb der nächsten Wochen als Top Secret eingestuft werden. Ab diesem Zeitpunkt ist alles streng geheim, wenn es um seinen Status und seinen aktuellen Aufenhtaltsort geht.“
Luke nickte. Beides war keine große Überraschung. Swann und Newsam gehörten zu den Besten in ihrem Fach. „Können wir sie ausleihen?“, fragte er.
Kat Lopez nickte. „Wenn wir sie anfordern, werden die Behörden unserer Bitte nachkommen.“
„Und Trudy?“, fragte Luke. „Sie brauche ich auch.“
„Luke, Trudy Wellington ist im Gefängnis“, sagte Susan.
Luke fühlte sich, als hätte ihm jemand in den Magen geschlagen. Er starrte ganze fünf Sekunden lang in den Raum und versuchte, diese Worte zu verarbeiten.
„Was?“, sagte er schließlich.
Susan schüttelte den Kopf.
„Ich kann nicht glauben, dass Sie das nicht wissen. Was haben Sie gemacht, sich unter einem Stein versteckt? Lesen Sie keine Zeitung?“
Er zuckte die Achseln. „Ich habe Ihnen gesagt, was ich die letzten Monate getan habe. Ich war untergetaucht. Dort wo ich war, gab es keine Zeitungen und den Computer habe ich zu Hause gelassen.“
Kat Lopez las von ihrem Tablet ab. Ihre Stimme klang mechanisch, fast schon roboterhaft.
„Trudy Wellington, 30 Jahre alt, war mindestens ein Jahr lang Don Morris' Geliebte während der Planung der Anschläge vom 6. Juni. E-Mail-, Telefon-, SMS- und Computeraufzeichnungen deuten darauf hin, dass sie bereits im vergangenen März von dem Plan wusste, den Präsidenten sowie die Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika zu ermorden, und wer die Attentäter waren. Sie wurde wegen Verrat, Verabredung zum Verrat, Veraredung zum Mord in mehr als dreihundert Fällen, sowie wegen einer Reihe anderer Vergehen angeklagt. Momentan befindet sie sich ohne Kaution im Frauengefängnis in Randal, Maryland. Wenn sie verurteilt wird, drohen ihr eine lebenslange Haftstrafe oder sogar die Todesstrafe.“
Luke fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Die Nachricht traf ihn wie ein Schlag auf den Kopf. Er dachte an Trudy, stellte sie sich mit ihrer merkwürdigen roten Brille vor, wie ihre Augen über den Bildschirm ihres Tablet-Computers huschten. Er dachte daran, wie er um 3 Uhr morgens in ihre Wohnung gekommen war, wie sie die Tür geöffnet hatte und nichts anhatte als ein langes, dünnes T-Shirt und die Pistole in ihrer Hand. Er dachte daran, wie ihre Haut sich in dieser Nacht auf seiner angefühlt hatte.
Sie war im Gefängnis? Das konnte nicht sein.
„Trudy Wellington steht die Todesstrafe bevor?“, wiederholte er.
„Kurz gesagt, ja.“
„Und das nur, weil sie Don nicht angezeigt hat?“
Susan schüttelte den Kopf. „Es ist Verrat, egal wie man es dreht oder wendet. Eine Menge Leute sind gestorben, einschließlich Thomas Hayes, der nicht nur der Präsident, sondern auch ein guter Freund war. Wellington hätte es möglicherweise verhindern können, aber sie entschied sich dagegen. Sie entschied sich, es nicht einmal zu versuchen. Die einzige Möglichkeit, wie sie sich noch retten könnte, wäre, gegen die Täter auszusagen.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie davon wusste“, sagte Luke. „Hat sie gestanden?“
„Sie leugnet alles“, sagte Kat Lopez.
„Ich würde dazu neigen, ihr zu glauben“, sagte Luke.
Kat hielt ihm ihr Tablet hin. „Es gibt etwa zweihundert Seiten Beweise. Wir haben Zugang zu den meisten davon. Lesen Sie sie sich gerne durch. Vielleicht denken Sie danach anders darüber.“
Luke schüttelte den Kopf. Er sah Susan an. „Und was bedeutet das für uns?“
Sie zuckte die Achseln. „Mark Swann und Ed Newsam können Sie für ein paar Tage haben, wenn Sie sie brauchen. Aber Trudy Wellington auf keinen Fall.“
Sie sah ihn an.
„Der Hubschrauber fliegt in einer Stunde.“