Читать книгу Sechsunddreißig Stunden - Ödön von Horváth - Страница 8

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Es wurde immer dunkler unter der Ulme und Eugen dachte: »Also einen Lustmord könnt ich nie machen.« Und Agnes dachte: »Also wie ein Lustmörder sieht der nicht aus«, worauf sie ihn fragte, ob er Berlin kenne? Sie möchte mal gerne nach Berlin. Oder gar nach Amerika. Auch in Garmisch-Partenkirchen sei sie noch nie gewesen, sie habe überhaupt noch nie einen richtigen Berg gesehen und sie habe gehört, daß die Zugspitze ein sehr hoher Berg sei mit eisernen Nägeln in der Wand, an denen die Touristen hinaufkletterten und viele Sachsen abstürzten.

Sie wartete aber seine Antwort auf ihre Frage, ob er Berlin kenne, gar nicht ab, sondern erklärte ihm, daß nach ihrer innersten Überzeugung jene Touristen, die über jene eisernen Nägel hinaufkletterten, durchaus schwindelfrei sein müßten und daß jene Sachsen, die herunterfielen, sicherlich nicht schwindelfrei wären. Und sie teilte ihm mit, daß sie nur zwei Städte auf der ganzen Erde kennt, nämlich München und Regensburg, wo sie geboren sei. Regensburg liege an der Donau und in der Nähe sei die Walhalla, wo die berühmten Männer als Marmorbüsten herumständen, während München an der Isar liege. Die Donau sei zwar größer als die Isar, aber dafür könne die Isar nichts. Hinwiederum sei die Isar zwar grüner als die Donau, dafür sei aber wieder München die Hauptstadt Bayerns. So sprach sie, ohne zu wissen, was sie sprach, denn sie dachte nur daran, daß etwas vor sich gehen werde, sobald sie aufhören würde zu sprechen, nämlich er hat ja schon mal ihre Hüfte berührt. Er hat zwar »Pardon!« gesagt, aber unter der Ulme wurde es, wie gesagt, immer dunkler und auf so ein »Pardon!« ist kein Verlaß.

Sie hatte Angst vor dem Ende ihrer Erzählungen, wie Scheherazade in Tausend und einer Nacht. Sie erzählte zwar keine Märchen, sondern Blech und Mist und Eugen wurde ganz melancholisch und dachte sich: »Sind denn alle Mädel blöd? Oder ist das nur so eine weibliche Nervosität, nämlich so Frauen sind sehr sensibel, die spürens gleich im vorhinein.«

Und er erinnerte sich an eine zarte Blondine, das war die Frau des Restaurateurs Klein in Preßburg, eine ungarische Jüdin, die hat mal zu ihm gesagt: »Spüren Sie denn gar nichts, Herr Jenö!« Er hat gesagt, nein, er spürte gar nichts und er könnte es sich überhaupt nicht vorstellen, was er spüren sollte, worauf sie gesagt hat: »Freitag nacht verreist mein Herr Gemahl und heut ist Freitag. Spüren Sie denn noch immer nichts, lieber Jenö?« Da hat er schon etwas gespürt und Freitag nacht im Bett hat sie ihm dann zugehaucht, sie hätte es schon am Montag vor vierzehn Tagen gespürt, daß er Freitag nacht so süß sein werde. So sensibel war jene blonde Frau Klein.

»Aber nicht nur die Blondinen, auch die Schwarzen sind sensibel«, überlegte Eugen. »Auch die Brünetten, die Strohgelben und Tizianroten – und auch diese Agnes da ist genauso sensibel, sonst tät sie eben keine solchen Blödheiten daherreden.«

Sie fing ihm an leid zu tun wegen ihrer Sensibilität. Sie mußte sich ja furchtbar anstrengen mit dem vielen Reden, weil sie es auch im vorhinein spürt.

Und er dachte, das wäre jetzt sehr edel, wenn er ihr nur väterlich über das Haar streichen, ihr Zuckerln schenken und sagen würde: »Geh ruhig nach Haus, mein liebes Kind.«

Er tat es natürlich nicht, sondern lächelte sanft und verlegen, als würden die Kindlein zu ihm kommen.

Und Agnes redete, redete, redete, ohne Komma, ohne Punkt – – nur ab und zu flatterte aus all dem wirren Geschwätz ein ängstliches Fragezeichen über das stille Oberwiesenfeld.

Sechsunddreißig Stunden

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