Читать книгу Sechsunddreißig Stunden - Ödön von Horváth - Страница 9
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ОглавлениеSie wollte ihn gerade fragen, ob auch er es nicht glaube, daß an all dem Elend die Juden schuld sind, wie es der Hitler überall herumplakatiert, da legte er seine Hand auf ihr Knie und sie verstummte.
Mittendrin.
Sie fühlte seine linke Hand auf ihrem linken Knie.
Seine Hand war stark und warm.
Und wurde immer stärker und sie fühlte ihre Wärme durch den Strumpf dringen bis unter ihre Haut und sie selbst wurde immer unentschlossener, was sie nun mit seiner linken Hand und ihrem linken Knie anfangen soll. Soll sie sagen: »Was machens denn da mit Ihrer linken Hand? Glaubens nur ja nicht, daß mein linkes Knie Ihrer linken Hand gehört! Mein Knie ist kein solches Knie! Mein Knie ist zum Knien da, aber nicht dazu, daß Sie mich am End noch aufregen!« Oder soll sie gar nichts sagen, sondern nur sanft seine linke Hand von ihrem linken Knie langsam wegheben oder spaßig über seine linke Hand schlagen und dazu lächeln, aber dann würde sie ihn vielleicht erst auf irgendwelche Kniegedanken bringen, denn vielleicht weiß er es ja noch gar nicht, daß er seine linke Hand auf ihrem linken Knie hat, er hat sie vielleicht nur zufällig da und dann wäre ihr das sehr peinlich, denn dann würde er denken, daß sie denkt, daß er seine linke Hand nicht zufällig auf ihrem linken Knie hat. Oder soll sie überhaupt nichts sagen und nichts tun, sondern nur warten, bis er seine linke Hand von ihrem linken Knie nimmt, denn er weiß sicher nichts von seiner linken Hand, er sitzt ja ganz weltverloren neben ihr und scheint an etwas Ernstes zu denken und nicht an ein linkes Knie – da fühlte sie seine Hand auf ihrem rechten Knie.
Sie preßte sich erschrocken zusammen und da lag nun seine linke Hand auf ihren beiden Knien. So groß war er. Und Agnes dachte: also ist der da neben mir doch nicht so weltverloren, aber er scheint noch immer an etwas sehr Ernstes zu denken und vielleicht weiß ers noch immer nicht, was seine linke Hand tut – da fühlte sie, wie seine rechte Hand hinter ihrem Rücken ihren rechten Oberarm erfaßte.
Auch seine rechte Hand war stark und warm.
Und Agnes dachte, er sei nicht nur stark und groß, sondern vielleicht auch grob und es sei nun erwiesen, daß er an nichts Ernstes denkt, sondern an sie. Und es wäre halt doch das beste, wenn sie ihm sehr bald folgendes sagen würde: »Was machens denn da mit Ihrer linken Hand und Ihrer rechten Hand? Glaubens nur ja nicht, daß mein rechtes Knie Ihrer linken Hand gehört! Mein linkes Knie ist kein solches Knie und mein rechtes Knie ist nur zum Knien da, aber nicht dazu da, daß Sie mit Ihrer rechten Hand meinen rechten Arm so narrisch zamdrucken, au! Gehns weg mit Ihrer linken Hand! Was machens denn da mit Ihrer rechten Hand, au! Werdens gleich Ihre linke Hand von meiner rechten Schulter runter? Himmel, mein Haar! Mein linker Daumen, au! Mein rechter kleiner Finger, au! Gehns weg mit Ihrer Nasen, ich beiß! Jesus Maria, mein Mund! Au, Sie ganz Rabiater! Sie mit Ihrer linken Hand –«
Aber von all dem hat der mit seiner linken Hand nichts gehört, denn sie hat ihm ja kein Wort gesagt, sondern all dies sich nur gedacht. Sie wußte nämlich, daß sich solch eine linke Hand durch Worte nicht hindern läßt – – und Agnes überlegte, sie habe sich zwar gewehrt, aber sie hätte sich drei Mal so wehren können, er hätte sie genau so abgeküßt, denn er sei noch stärker und überhaupt gut gebaut, jedoch wäre es ungerecht, wenn man sagen würde, daß er grob ist. Nein, grob sei er gar nicht gewesen, aber es sei schon sehr ungerecht eingerichtet, daß die Herren stärker sind als die Damen. So hätten es die Mannsbilder immer besser und seien doch oft nur Schufte, die sofort hernach verschwänden, obwohl sie oft angenehme Menschen seien, wie dieser da mit seiner linken Hand, der sie ja auch erst nur drei Mal geküßt hätte und das dritte Mal sei es am schönsten gewesen.
Die Sonne war untergegangen und nun kam die Nacht.
So ging alles, wie es kommen mußte.
Erstaunt stellte Agnes fest, daß Eugen sie noch immer umarmt hält und sie ihn.
Sie war sprachlos und die ganze Welt schien sprachlos zu sein, so still war es unter der Ulme.
So kam alles, wie es kommen sollte.
Man hörte es fast kommen und Eugen sah sich plötzlich um.
Auch Agnes erschrak und fragte ihn schüchtern, ob er etwas gehört hätte.
»Ja«, sagte er, »es war nichts.«
Und sie meinte, ob sie jetzt nicht gehen wollten und er meinte, nein. So blieben sie sitzen.