Читать книгу Anja und andere - Dominik Riedo - Страница 9
Ein Wunder
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Was sie sagt? Du musst ganz nah hingehen oder ihr auf die Lippen sehen. Wir sprechen hier alle im Flüsterton.
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Siehst du, sie hat es gesehen und möchte es selbst erklären, schau mal genau hin. Oder hör auch ganz genau hin.
Sie xxx allx xxgxx mirx.
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Was sie genau sagte? Was hast du denn verstanden?
Ach so. Schau, eben: Wir flüstern alle, damit wir trainiert bleiben im Lippenlesen. Ihre beiden Geschwister sind ja so aufgewachsen und wir zwei haben es auch erlernt. Jetzt, wo sie noch als Einzige bei uns ist, versuchen wir noch härter, ihr zu vermitteln, dass sie dazugehört. – Siehst du, sie hat alles gleich mitbekommen!
Was?
Also: Sie meinte vorher, dass sie sicher sein muss, dass es ausschliesslich in ein Buch kommt. Wir haben zum Beispiel nichts auf Facebook gestellt, bis sie 18 Jahre alt war und es selbst entscheiden konnte. Und auch Anfragen von Journalisten und vom Fernsehen haben wir immer abgelehnt. Da muss man seine Kinder davor schützen. Nicht nur Rima, weil sie eben einige challenges hatte im Leben. Sondern eigentlich allgemein. Ich kann Eltern, die Bilder ihrer Kinder öffentlich machen, so quasi als Präsentation für Pädophile, nicht verstehen.
Also, sie will also, dass der Text nur in einem Buch abgedruckt wird, gell. Bei allem anderen will sie jetzt reden. Versuch es einfach. Sie ist es gewohnt, dass es Zeit braucht.
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ach pin one höhrnerv geboren woarden. mir nutzt also auch kain hörgerät etwas. aber ich habe gelernt von den lip-pen zu lesen. und meine familie und freunde lernen das auch – mehr oder wehniger. – kchannsch folge?
gut. ich bin in eine sonderschule für sehbehinderte gegangn deswegn. ich weiss das tönt luschtig. aber die kommen eben draus wie man andere behinderunge-n-löst. ich sah ihre lippn gut und sie hörtn mein flüschtern. weischt du beim lösn von einem billet bei einm postauto ist das zum beischpiel schwierig. Die verstehn mich bei dem lärm fascht nicht.
also. danke das du gewartet hascht bis ich jetz 25 bin. vorher wollte ich das nichcht machen.
Darf ich kurz? Danke, Riri. Weisst du, sie musste ein wenig länger lernen, mit einigen offiziellen Sachen umzugehen, die Behörden gaben ihr mit 18 nicht gleich alle Rechte, wie sie ihr eigentlich zustanden. Sie mussten erst verstehen, dass Rima nicht einfach eingeschränkt ist, nur weil sie nichts hört, auf eine Sonderschule gehen musste und zum Beispiel keinen Magen hat.
Nicht? Doch doch, sie wurde auch ohne Magen geboren. Die Ärzte überlegten noch, ob man irgendwie einen transplantieren könnte oder eine Art Ersatzmagen einoperieren. Aber es hat sich gezeigt, dass es auch so geht. Sie nimmt entsprechend flüssige Nahrung zu sich und nimmt die nötigen Stoffe aus dem Dünn- und Dickdarm auf.
Ach, das heisst eben das, was du hier siehst: Meist etwas zu trinken, das viele Nährstoffe hat oder Suppen oder Püriertes. Es geht erstaunlich viel. Auch Pralinés oder Gebäck kann man pürieren, wenn man will. Aber eben, sorry, ich gehe jetzt, sprich direkt mit ihr.
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aanit hatgesagt du musst auch opiate nehmen?
hast du auch albträume davon?
dann istes nich nur bai mir. ich wachauf inder nacht und bin froh nicht im traumm zu sein.
neinich kannicht wirklich hören. aber es ist wie etwasin meinem kopf das ist anders als bilder. manchmal ist es wie wennich farbn sehe und dann beweg sich rot andersals blau. und wie wenn ein möbelstück das ich nie brauchen kann alleine mich verfolgt. die stereoanlage. ich brauche die nur wenn wir sie so anmachn dasich die musik spüren kann.
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MAMI!
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Was ist passiert?
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Ach. Weisst du, sie vermisst ihre Geschwister wahnsinnig. Sie ist ja die älteste und die zwei anderen sind vor Kurzem beide ausgezogen. Aber Rima wird nie ganz allein leben können. Sie braucht in der Nacht immer jemand, der bei ihr ist, weil ihre Atmung aussetzen kann.
Nein, das ist halt einfach so. Das ist im Moment kein Thema. Da entscheiden wir seit der Geburt auch immer aus dem Innern heraus. Ich brachte es damals auch nicht fertig, zu sagen, sie sollen alle Maschinen abstellen oder eine Operation nicht durchführen. Wir mussten ja gleich zu Beginn entscheiden, ob wir den «Wolfsrachen» – setz das in Anführungszeichen, wir mögen den Begriff nicht – operieren lassen sollen. Damit fing es an. Das war noch eine einfache Operation. Dann kamen die ersten, die überlebensnotwendig waren. Wir dachten alle, auch die Ärzte, die uns das sagten, dass sie kaum einige Monate überleben werde. Aber schau jetzt! Sie ist 25 und geniesst es. Nicht alle Tage, nicht alle Stunden, aber das Leben macht Sinn und gibt Freude.
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Das Schlimme sind an sich nur die Schmerzen. Das ist nicht schön. Das ist nie schön. Und die Opioide geben ihr Albträume.
Ach, das habt ihr –
Ja, komm, pss, jaah …
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So, also, da sind wir wieder. Wir müssen halt immer positiv mit allem umgehen. Und wenn du ein solch wunderbares Kind hast, darfst du nie stoppen, du musst immer weitergehen, weitermachen, sonst lässt du es mal im Stich, wenn es dich am meisten braucht.
Nein, frag wirklich lieber nochmals sie. Bei uns kann ich dir nur sagen: Wir haben ein System, vom Wäsche in den Schrank legen bis zu den medizinischen Notwendigkeiten, dass wir alles immer in Gelassenheit und Ruhe machen, nie hetzen, jeden Handgriff ganz genau. Alles im Kopf immer sagen, ganz bei der Sache sein, damit keine Fehler passieren. Wenn du es bei den Socken nicht zulässt, passiert es dir auch bei der Nahrung oder in der Nacht nicht, wenn ich über den medizinischen Geräten wachen muss. – Du hast ja gesehen, dass ihr Zimmer wie eine IPS aussieht. Da darf man nie zusammenbrechen, sondern weitergehen. Schliesslich haben wir ja ein Kind gewollt – und da ist eines nicht wertvoller als andere. Ein Leben nicht weniger wertvoll als andere. So.
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was schreibs du sonsch für bücher?
ja, gerne. aber nich vergessn!
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was darf ich erzäln?
alles?
ich mag draussn herumrennen. Im wald spaziern. am abend mag ich fernsehn. auch wennich kein ton versehe.
was?
auch wenn ich keinen ton verstehe. – besser?
du kannst das ja dann alles richtig schreiben wie sich gehört.
nein?
ach so. auch …
also nur: seit meine schwester und mein bruder nicht mehr hier sind ist es viel langweilig. – hm? – LANGWEILIG. sie besuchen mich noch viel aber es ist nicht dasselbe. wir sind wie eine welt gewesen. meine familie, alle fünf. jetz sind wir nur noch drei. also wenn die anderen nur noch zu besuch kommen ab und zu.
sonst? nein, sonst ist es kein problem. es gibt ja auch weniger zu tun. und meine mutter und mein vater machen wie vorher viel und es gibt noch die anderen, die über die jahre immer helfen gekomm sind. in der nacht kann ja nicht immer meine mutter aufpasse oder mein vater.
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ich lese auch gerne. musik eben nicht so gerne. fersehen hab ichschon gesagt?
wenn ich darf gehe ich spazieren. oder ein bad nehme ich gerne. oder ich schaue zu beim kochen. oder helfe. vieles machich gerne.
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was ich wünsche? für mich?
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ich möcht langeferien mit meinerschwesterund mein bruder und meineganzefamilie einfach glücklich am meer oder in den bergen oder auch zuhause. wir spielen oder die anderen singen und ich schauzu und machemit sogutich-chkann. und wir habn einen hund und er spielt mit mir. wir essen eis. – das darfich weisstu. und am abend bin ich müde und schlaf gleich ein und spüre meine schmerzn nicht.
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wennich wieder zuhausebin finde ich eine liebe ersatzschwester die bei mir auch im bett schläft und mich hält und dann fühle ich mich sicher und nicht vergebens hier.
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oder wir schauen einen film und sie erzählt mir wie die töne sind für sie und die stimmen. dann gehen wir nach draussen und spielen mit dem hund und sehen schmetterlinge und käfer. ich mag maiankäfer. nein: marienkäfer. Ich versechsele sie immer wiedr.
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hast duhunger? – okay.
und ich möchte das alle menschen verstehenwiich bin und waarum ich mühe habe manchmal. oder warum ich manchmal weinen muss einfach so.
warum?
machmal sehe ich ein tier das tut weh oder jemand schauut einen anderen böse an und ich weiss nicht ob sie etwas sagen wirklich – aber sie schauen beide oder nur er schaut böse und die andere bückt sich ganz klein. oder ich muss an meinen bruder denken. er hat jetzt eine freudin und will auch eine familie. nur seine freudin hat manchmal angst dasssie ein kind bekommen wie ich (sie zeigt mit dem Finger auf sich). was ist schlimm daran? ich lebe auch und habe freude und freunde und ich mag auch eis wie viele und hunde. ich mag baden und fernsehen. Und ich kann auch arbeitn.
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woich arbeite?
das ist schon eine sonderort. ich male da auf tassn. ich mache das gerne und kannes auch gut. die tassn werdn einzeln verkauft. ich mache nie dieselbe wiedr. Nur wenn eine gefällt ich mache eine sehr ähnliche. – psst: wenn niemand schaut ich nehme manchmal eine tasse als vorbild für eine zweite. willstu eine?
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hier.
gerne. magstu sie?
ja genau. – hast du den käfer auch gsehn?
manchmal es ist schwer da zu arbeite – … .
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HALLo?
ach so. wo bist du den grad?
nein. nein. weisstu ich habes nie anderskannt und wie soll ich da wissen wie die wattewelt sich anfühltfür dich?
wart: langsamer.
du musstauch langsamerund deuticher sprech. so bewegn sich nur deinelipp und ich kann nicht verstehen was du sagst.
your lipssmovebutikanthierwhatyo arh saiying? was heisstdas?
ach so. – dies – diese einschlänkung – dies ist schon eine der grossn einschränk-ungen. ich sehe das durch musik viele menschen etws finden. aber dafür mussich nicht auf denstrassen alles immer hörn wasandere stört. das sehich als vorteil für mich. abr ich –
hm?
ja, diearrbait. es gibt mir wie freude wennichdas tun kann. icharbeite gern mit meinn händn.
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hm?
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das hat nie – also das mussteich noch nie – darrübr denken. – dumeins weil ich ja sowieso nicht soviel geld machewie ich koste?
ahh. danke. – dannist es einegutefragewirklich. ich könnteja so machen was ich will wennich sowieso nicht verdienen muss was ich brauche. aber handumkehrt können sie mir auch nicht etwasgeben das noch mehr geld kostet. Ich würde manchmal gerne filme machen. alsowie als regissör. – das würdaber viel geld kostn. – weisstu es gabschon filmemachr die MIT mirreinen film machen wolltn. aber das willich nicht. bei dir habe ich ja gesagt weil mich leser nicht sehn. – aber in film ich möchtenicht sehen – sorry: zusehn sein. dannehr noch was mit tonaufnahme. eben wiebei dir. – du zerschtörs die aufnahm danach gell?
gut.
dukenns auch niemand der darnbeit und jemand sucht für wie regiessörin?
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schade.
könnwir nöchschmal weitermache?
danke.
willsduneis?