Читать книгу Schwarzes Gold - Dominique Manotti - Страница 5
ОглавлениеProlog
Mai 1966, New York
Im Monat Mai ist das Wetter schön in New York, die Luft seidig, noch fern von der drückenden Hitze des Sommers, eine gute Zeit für gesellschaftliche Ereignisse. Am heutigen Tag feiert man in der Großen Synagoge auf der Fifth Avenue die Hochzeit von Michael Frickx, dem Star-Trader von Co Trade, einem im Erzhandel tätigen Unternehmen mit Sitz in New York, und Emily Weinstein, Enkelin von Nat Weinstein, dem Besitzer der Südafrikanischen Minengesellschaft.
Nach der religiösen Zeremonie und vor dem großen Dinner mit mehreren hundert Gedecken in einem der großen Hotels der Stadt empfängt Joshua Appelbaum, Boss von Co Trade, bei sich zu Hause fünfzig Vertraute, um ihnen die junge Ehefrau persönlich vorzustellen und das Ereignis unter Freunden zu begießen.
Er bewohnt ein zweistöckiges Penthouse auf einem Wolkenkratzer an der Fifth Avenue. In einem an die Vorhalle angrenzenden kleinen Salon empfängt er seine Gäste in Gesellschaft der zwanzigjährigen Braut. Die Gäste mustern sie neugierig und mit einer Spur Argwohn. Niemand kennt sie, sie kommt direkt aus Südafrika, ein englischsprachiges Land, das schon, aber furchtbar … exotisch und unheimlich. Groß, schlank, kurzgeschnittenes braunes Haar, dunkle Augen und strahlendes Lächeln, hübsch verpackt in ihrem braven langen, kaum dekolletierten weißen Kleid, einladend und linkisch zugleich, ähnelt sie einer beliebigen Tochter aus gutem amerikanischem Hause. Günstiges Urteil, eine salonfähige junge Frau. An ihrer Seite ihr Ehemann Michael – dreiunddreißig Jahre alt, sehr groß, elegant in einem gut geschnittenen dunklen Anzug, das kastanienbraune kurze Haar ordentlich frisiert, längliches Gesicht, bewegliche Mimik, immer strahlend –, der die Gäste mit offenen Armen begrüßt. Für jeden hat er ein Wort, ein Lächeln, eine Anekdote, sein Gedächtnis funktioniert wie eine Kriegsmaschine. Glückwünsche, Umarmungen, er ist das Hätschelkind der Freunde von Jos.
Dann steuern die Gäste den großen Salon an, dessen Glasfront auf eine Terrasse hoch über dem Central Park führt. In der Türöffnung kommen sie an der Ketubba vorüber, der Heiratsurkunde von Emily und Michael, die auf einer Staffelei ausgestellt ist. Ein in Kalligraphie geschriebenes Dokument auf Aramäisch, verziert mit einem Muster stilisierter Blumen und Früchte, die sich in das Geschriebene ranken. Jeder Gast beugt sich über die Urkunde, bemüht, die Unterschriften der Zeugen zu entziffern. Joshua Appelbaum, ihr Gastgeber, hat für den Bräutigam gezeichnet. Nat Weinstein konnte als Blutsverwandter der Braut nicht selbst für seine Enkelin unterschreiben, darum hat das sein Stellvertreter bei der Südafrikanischen Minengesellschaft übernommen, Generaldirektor Leo Blumenfeld, der eigens für die Zeremonie aus Johannesburg angereist ist. Nachdem sie die nebeneinander stehenden Unterschriften mit eigenen Augen gesehen haben, gehen die Gäste weiter in den großen Salon, wo drei Buffets mit Getränken und allerlei Amuse-Gueules angerichtet sind, fügen sich zu Gruppen zusammen, die Frauen auf der einen Seite, die Männer auf der anderen, und unterhalten sich angeregt.
Ein paar Frauen wundern sich: Die Eltern des Brautpaars sind nicht anwesend? Leider nicht, die jungen Leute sind beide Waisen, die Ärmsten. Pflichtschuldige Seufzer. Michael wurde, viele wissen es bereits, in Anvers geboren, hat Vater und Mutter 1943 in den Konzentrationslagern verloren und ist dann als Zehnjähriger mit seiner Tante in den Staaten gelandet. Sie, die arme Kleine, hat Vater und Mutter bei einem Flugzeugunglück verloren, als sie zwei Jahre alt war. Sie wurde von ihrem Großvater Nat Weinstein großgezogen.
Die Männer reden über die beiden Unterschriften, Appelbaum und der Vertreter Weinsteins auf ein und demselben Dokument. Ein Erdbeben in der Geschäftswelt, versteigen sich einige zu sagen. Die Allianz von Co Trade, dem Weltmarktführer im Erzhandel, und der Südafrikanischen Minengesellschaft, die Roherze fördert und überreiche Vorkommen besitzt, ohne derzeit über die Absatzmöglichkeiten zu verfügen, die eine wirtschaftliche Ausbeutung ermöglichen: eine ungewöhnliche Heirat zwischen Rohstoffförderer und -händler, die die traditionelle Ökonomie beider Sektoren ordentlich erschüttern wird. Die Börse hat das übrigens gleich erkannt. Als sich die Nachricht von der Hochzeit vor zwei Wochen herumzusprechen begann, hat Co Trade an einem Tag um zwanzig Prozent zugelegt. Und der Börsenrausch ist seitdem nicht abgeflaut. Wirklich eine vorteilhafte Partie.
Als alle Gäste willkommen geheißen und der Braut vorgestellt sind, umarmt Jos Emily. »Madam, Sie sind perfekt. Ich hoffe, Ihnen in diesem fremden Land ein treuer Freund zu sein, auf den Sie immer werden zählen können. Jetzt entspannen Sie sich, amüsieren Sie sich ein wenig mit Ihren Gästen, ich entführe Ihnen für ein paar Minuten Ihren Mann, Ihr Großvater erwartet uns in meinem Arbeitszimmer.«
Emily betritt den großen Salon, drei Geiger stimmen ihre Instrumente. Sie werden ein paar traditionelle Festweisen spielen, die Gäste bilden kleine Gruppen, die Gespräche sind lebhaft. Sie durchquert den Raum, alle Blicke wenden sich ihr zu, sie nimmt davon keine Notiz, nähert sich einem jungen Mann in Militäruniform, der mit verschlossener Miene allein in einer Ecke sitzt. Sie umarmt ihn, zieht ihn hinaus auf die Terrasse.
»David, mach nicht so ein finsteres Gesicht. Sieh dir diesen Ausblick an, diese Stadt.«
»Du hast es geschafft, du bist in New York, genau das, was du wolltest, bist du glücklich?«
»Glücklich, ich weiß nicht. Mein Ehemann wirkt ein bisschen wie ein Handelvertreter.«
»Er ist Handelsvertreter.«
»Aber ich bin in dieser Stadt, da, wo ich hinwollte. Hier pulsiert das Leben. Spürst du es nicht?«
Schweigen.
»Ich bin Joburg entronnen, dem Stillstand. Ich bin am Mittelpunkt der Welt. Mein Leben beginnt hier, jetzt.«
»Hart für mich, das zu hören. Ich dachte, wir hätten in der Welt da drüben einige schöne Jahre miteinander verbracht.«
»Wir waren Kinder, lieber Cousin. Sprechen wir über dich, erzähl. Warum hast du dich entschlossen, Soldat zu werden? Nichts hat dich dazu verpflichtet.«
»Um mein Leben zu beginnen. Für dich ist es New York, für mich die Armee.«
Das Arbeitszimmer ist nüchtern, dunkles Holz und dunkles Leder, ohne jedes Dekor. Nat Weinstein hat es sich in einem großen Sessel bequem gemacht und trinkt Whisky. Er ist so alt wie das Jahrhundert, hat die Statur eines kleinen Stiers, untersetzt und draufgängerisch, und einen kaum gezähmten weißen Haarkranz. Als Jos und Michael den Raum betreten, hebt er sein Glas.
»Ich trinke auf das Gelingen dieser Ehe und auf das Glück der Eheleute.«
Jos und Michael schenken sich ein und stoßen an.
»Michael, unterhalten wir uns ein bisschen, ehe wir zum Geschäftlichen kommen. Ich kenne Sie kaum. Emily und Sie kennen sich überhaupt nicht. Ich habe Ihnen die Hand meiner Enkeltochter gegeben, weil mein Freund Jos sich für Sie verbürgt hat«, Michael verbeugt sich leicht in Jos’ Richtung, »und weil Jos und ich gemeinsam in einen langfristigen Geschäftskreislauf einsteigen. Ich liebe Emily von Herzen. Ich könnte es nicht ertragen, wenn Sie sie unglücklich machen.«
»Seien Sie versichert, dass das nicht meine Absicht ist.«
»Ich habe einige Erfahrung auf dem Gebiet. Glauben Sie mir, gute Absichten reichen nicht aus.«
»Ich verpflichte mich, alles mir Mögliche zu tun, um Emily glücklich zu machen.«
Weinstein zögert kurz, fährt dann fort: »Gut, sprechen wir übers Geschäft. Wir, Jos und ich, haben die finanziellen Modalitäten des Zusammenschlusses von Co Trade und Südafrikanischer Minengesellschaft abschließend geklärt. Die Sache ist geritzt. Reden wir jetzt darüber, was bei mir zu Hause, in Südafrika, und auf meinem gesamten Kontinent passiert. Afrika verändert sich grundlegend, davon bin ich überzeugt. Viele meiner Mitbürger sehen es nicht, aber ich, ich spüre es bis in die Knochen. Der Wandel wird sich mit Gewalt vollziehen, viel Gewalt, und unter chaotischen Umständen. Ich benötige die Unterstützung eines sehr guten Logistikers, der mir hilft, meine Kommunikationsnetze in Afrika so gut wie möglich zu festigen, und einen exzellenten Trader, der mir Handelswege eröffnet, über die mein Unternehmen im Ausland Fuß fassen und vielleicht eines Tages Afrika den Rücken kehren kann, was nicht mein Wunsch ist. Aber sollte mein Land unglücklicherweise in einem Blutbad untergehen, will ich, dass meine Firma überlebt. Jos hat mir versichert, dass Sie der geeignete Mann sind. Stimmt das?«
Michael nimmt sich Zeit zum Nachdenken, lächelt dann. »Ich bin ein Abenteurer, und Jos weiß das. Ja, ich denke, ich bin der Mann, den Sie brauchen.«
»Nat, Michael ist mein geistiger Erbe bei Co Trade. Damit ist alles gesagt.«
Die drei Männer trinken.
»Auf die Zukunft!«