Читать книгу Das Spiel mit der Identität - Doris Tropper - Страница 8
ОглавлениеDer Makel, eine Frau zu sein
Talentierte Frauen hatten es über Jahrhunderte hinweg schwer, denn ihr Können und ihr Entfaltungswille wurden einfach nicht gesehen, sie wurden abgelehnt, verleugnet und verschwiegen. Es scheint, als wären die Aufmüpfigen und Ungehorsamen unter Unmengen von Tüll und Spitze in der Hoffnung versteckt worden, dass man »die im Dunkeln nicht sieht«, wie es in der Dreigroschenoper bei Bertolt Brecht so schön heißt. Talente der Frauen wurden mit allen Mitteln unterdrückt – die Männer duldeten keine Konkurrenz durch das »schwache Geschlecht«.
Bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts publizierten Frauen häufig unter Männernamen, weil sie sonst keinen Verleger für ihre Werke gefunden hätten. So steckt auch hinter dem Schriftsteller-Pseudonym George Sand eine elegante, bildhübsche Frau mit dem klingenden Namen Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil, die ihrer Zeit weit voraus war und sich ihr Leben selbst zu gestalten verstand. In ihrer Person vereinte sie viele Rollen: die politisch engagierte Journalistin, Autorin, Mutter und Hausfrau, und Geliebte von Frédéric Chopin.
Die vergessene Maria Lazar
Auch Maria Lazar (1885–1948) war jahrzehntelang nur ganz wenigen Literaturexperten ein Begriff. Maria Lazar war zu ihrer Zeit dreifach »stigmatisiert«: 1. als Frau, 2. als Jüdin und 3. als Alleinerziehende. Obwohl sie mit Adolf Loos, Elias Canetti, Robert Musil oder Jakob Wassermann freundschaftlich verbunden war und ihnen Lesungen und Vorträge organisierte, findet sich in deren Autobiografien kein einziger Hinweis auf ihre Existenz. Im Salon der fortschrittlichen Pädagogin Eugenie Schwarzwald, die als Pionierin der Ausbildung für Mädchen galt und das erste Gymnasium mit Matura ausschließlich für junge Frauen in Österreich initiierte, traf Maria Lazar auf den Maler Oskar Kokoschka, der sie in dem berühmten Bild »Dame mit Papagei« verewigte. Über viele Jahre hindurch entging sie der öffentlichen Aufmerksamkeit, obwohl sie immer wieder mit Texten und Publikationen in Erscheinung trat. Nachdem ihre Ehe mit Friedrich Strindberg geschieden wurde, musste sie die Tochter Ruth alleine versorgen und zog Übersetzungsarbeiten der brotlosen Schriftstellerei vor. Sie übertrug Texte aus dem Dänischen, Englischen und Französischen ins Deutsche. Zusammen mit Bertolt Brecht und Helene Weigel ging sie im Sommer 1933 ins Exil auf die dänische Insel Thurø, wo auch Walter Benjamin einige Male zu Gast war.
Zur Veröffentlichung ihrer eigenen Werke legte sich Maria Lazar das nordische Pseudonym Esther Grenen zu. Später zog sie mit ihrem Kind nach Schweden. Damals litt sie bereits seit Jahren an einer unheilbaren Knochenkrankheit und bereitete 1948 ihrem Leben durch Suizid ein Ende. Wie qualitätsvoll Maria Lazar Werke in Wirklichkeit sind, lässt sich vielleicht an der boshaften, aber auch typischen Bemerkung von Thomas Mann feststellen, der in seinem Tagebuch über ihren Roman »Die Vergiftung« notierte: »Penetranter Weibsgeruch«.
Marie Bashkirtseff: »Ich will alles sein!«
»Als Mann hätte ich Europa erobert!«, dessen war sich Marie Bashkirtseff sicher. Aber trotz ihres Selbstbewusstseins und ihres hohen Anspruchs an sich selbst blieb die 1858 geborene russische Adelige, die bereits 1884 wieder die Weltenbühne verlassen musste, eine Frau, die aufgerieben wurde zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und den Traditionen ihrer Zeit. Schon als 13-jährige hatte sie ihrem Tagebuch anvertraut: »Ich verliere die Zeit, was soll aus mir werden? – Ich will schneller leben, schneller, schneller!« Dieses Tagebuch, das die frühreife, schonungslose Beobachterin und Analytikern bereits mit zwölf Jahren zu schreiben begann, wurde nach ihrem allzu frühen Tod ein Bestseller.
Wer war Marie Bashkirtseff wirklich? Ihre Biografen schildern eine bildhübsche, gebildete Frau, die eine glanzvolle Rolle auf dem Parkett der noblen Pariser Gesellschaft vor der Jahrhundertwende einnahm. Sie war ihrer Zeit um 100 Jahre voraus, trotzdem musste sie sich verbiegen und wurde in ein enges gesellschaftliches Korsett gesteckt.
»Was bin ich? Nichts! Was will ich sein: Alles!« Diese Aussage bezieht sich wohl auch darauf, dass es für ein junges Mädchen damals üblich war, sich möglichst früh zu vermählen und dabei – so der Wunsch ihrer Familie – eine »gute Partie« zu machen und in den reichen Adel einzuheiraten. Doch Marie wollte mehr vom Leben und sie wusste schon früh um ihre Talente. Da sie als Frau keine Chance hatte, in eine etablierte Kunsthochschule aufgenommen zu werden, besuchte sie die private Akadémie Julian in Paris und pflegte viele Bekanntschaften mit Malern und Schriftstellern. Sie engagierte sich für die Frauenbewegung und forderte auch für sich selbst mehr Rechte ein. Ihre Bilder zeugten von großem Talent, und so durfte sie ihre Werke sogar in den Salons von Paris ausstellen. Sie war ehrgeizig und besessen von der Idee, einmal sehr berühmt zu sein und sie wollte es nicht hinnehmen, dass es so wenige Künstlerinnen gab. Trotz ihrer Jugend war ihr bewusst, dass eine künstlerische Laufbahn bedeutete, Verzicht und Entbehrungen auf sich zu nehmen und noch mehr Hoffnungen zu begraben. Sie sehnte sich nach Geborgenheit und Liebe, was aber in diesen Zeiten nur in einer Ehe möglich war. Die Rolle einer verheirateten Frau wiederum ließ sich mit ihren künstlerischen Ambitionen nicht vereinbaren. Irgendwie muss die Tuberkulosekranke ihren drohenden Tod geahnt haben, denn trotz großer Schwäche und Ermattung trieb sie sich selbst immer wieder an, um noch perfekter zu malen und zu zeichnen. Das reiche künstlerische Œuvre, das sie trotz ihrer kurzen Lebenszeit hinterließ, wurde durch Verkauf in alle Winde zerstreut. Ihre 1887 postum erschienen Tagebücher avancierten zum Kultbuch ihrer Frauengeneration und machten deren unbekannte Verfasserin zum Mythos.
Für die damalige Zeit, ihr jugendliches Alter und die beschränkten Möglichkeiten, die sich ihr boten, vermochte Marie Bashkirtseff erstaunlich weit in die Zukunft zu schauen. Im Jahr ihres Tode schrieb sie in ihr Tagebuch:
»Von den beiden Ichs, welche in mir zu leben suchen, sagt das eine zum anderen: ›Aber erleb doch etwas, zum Donnerwetter!‹ Und das andere, welches zärtlich zu werden versucht, wird immer von dem ersten gebändigt, von dem betrachtenden Ich, welches beobachtet und das andere Ich absorbiert. Ich bin weder Malerin, noch Bildhauerin, noch Musikerin, noch Frau, noch Tochter, noch Freundin. Alles wird bei mir zum Gegenstand der Beobachtung, der Reflexion und der Analyse. Ein Blick, ein Gesicht, ein Laut, eine Freude, ein Schmerz werden sofort abgewogen, untersucht, überprüft, eingeordnet, notiert.«
Diese Sätze verdeutlichen das Dilemma, in dem die junge Frau steckte. Klatsch und Tratsch in den Salons und das Ausführen nobler Roben nach der neuesten Pariser Mode waren ihr kein Anliegen. Sie wollte weiter und immer höher hinauf; sie wollte nicht als hübsches, aber dümmliches und oberflächliches Objekt der Begierde und der Begehrlichkeiten wahrgenommen werden, sondern als talentierte Künstlerin und als Frau mit all ihren Bedürfnissen und Wünschen.
Bild 2: Marie Bashkirtseff mit einer Kamelie auf der Brust
Maria Lazar und Marie Bashkirtseff stehen stellvertretend für eine Reihe von begabten Frauen, deren Talente nicht anerkannt, ja geradezu unterdrückt wurden. »Warum hat es keinen weiblichen Leonardo da Vinci, Raffael oder Tizian gegeben?«3
Dieser Frage geht die Autorin Germaine Greer in einem Buch über den Beitrag der Frauen in der Bildenden Kunst nach, um letztendlich festzustellen, dass man die Werke von Malerinnen in einer speziellen Ecke für Außenseiter sammelte und damit waren sie endgültig abgetan. Die Frauen durften als Töchter und Ehegattinnen berühmter Männer in Erscheinung treten, als Künstlerinnen wurden sie nicht wahrgenommen und daher mussten sie ihre wahre Identität oftmals hinter männlichen Pseudonymen verstecken. Erst nach und nach werden diese begabten Frauen entdeckt und ihnen ein Platz in der Literatur- und Kunstgeschichte eingeräumt. Für manche von ihnen um Jahrhunderte zu spät!
3 Germaine Greer: Das unterdrückte Talent«, Ullstein, 1980.