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Unser Umgang mit dem Tod

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Tod ist ein Thema, das in unserer Gesellschaft gemieden wird. Tod passiert anderen oder zu einem anderen Zeitpunkt – nicht jetzt. Über Tod und Sterben spricht man nicht. Wir lernen nicht, zu trauern, die Trauer anzunehmen und zu durchleben. Stattdessen lernen wir, unsere Trauer zu verstecken oder gar zu leugnen. Wir erhalten keine oder nur für eine kurze Zeit Gelegenheit, unsere Gefühle des Schmerzes und des Zorns auszudrücken und über den Verlust zu sprechen. Wir vermeiden es, uns mit dem Tod zu beschäftigen. Viele scheuen sich sogar, ein Buch zum Thema Tod zu lesen. Wir umgehen es, uns mit dem Angehörigen über Sterben, seine Angst vor dem Tod, über seine Wünsche bezüglich seiner Bestattung, die Aufteilung des Erbes etc. zu unterhalten. Wir vermeiden es, uns mit einem todkranken Menschen über den Tod zu unterhalten, aus Angst, er könnte denken, wir würden nur auf seinen Tod warten, ihn schon aufgeben, oder aus Angst, dass er merken könnte, wie traurig und hilflos wir sind. Manche Menschen haben sogar die magische Vorstellung: „Wenn man sich mit dem Tod beschäftigt, dann fordern wir ihn an.” Oder umgekehrt: „Wenn wir uns nicht damit beschäftigen, werden wir davon verschont.” Allenfalls die Kirche spricht über den Tod, aber wiederum nur mit dem Trost auf ein mögliches jenseitiges Leben. Werden wir mit dem Tod eines nahen Angehörigen konfrontiert, schalten wir ein Beerdigungsinstitut ein, das uns die Formalitäten abnimmt. Der Tote wird, falls er zuhause gestorben ist, noch am gleichen Tag in die Leichenhalle gebracht. Viele todkranke Menschen werden in die Klinik abgeschoben, um das Leiden nicht mitansehen zu müssen. Der Einzige, der vielleicht das Thema Sterben anspricht, ist der Pfarrer, wenn er ein letztes Mal zum Kranken kommt. Das Beerdigungsinstitut übernimmt die Ausschmückung des Sarges, wäscht den toten Körper und zieht ihm das Leichenhemd über. Was bleibt ist der kurze Blick in den Sarg kurz vor der Beerdigung. Am Tage der Beerdigung zählt der am meisten, der am tapfersten war und keine Tränen vergossen hat. Eine Gärtnerei übernimmt die Grabpflege. An Festtagen geht man pflichtbewusst auf den Friedhof, „weil die Nachbarn sonst denken, dass man den Toten nicht geliebt hat”. Nach drei Monaten beginnen die ersten Angehörigen zu fragen: „Was, du bist immer noch nicht darüber hinweg. Du solltest jetzt an dich denken und wieder zu leben beginnen.” Nach einer Umfrage sind die meisten Menschen der Ansicht, dass man sich mit dem Verlust spätestens zwei Wochen nach dem Tod abgefunden haben sollte. Die katholische Kirche liest noch ein paar Messen zu Ehren des Toten, dann „sollte man die Trauer gepackt haben“. Nach einem Jahr schwarzer Kleidung beginnt der Trauernde wieder bunte Kleidung zu tragen.

Der französische Historiker Aries untersuchte die Einstellung der europäischen Menschen gegenüber dem Tod. Bis 1950 erhielt sich nach seinen Ergebnissen die Vertrautheit des einzelnen dem Tod gegenüber. Sterben war eine Zeremonie im Kreis der Familie. Seit etwa vierzig Jahren herrscht dem Sterben eine Einstellung gegenüber, die Aries mit ‚der verbotene Tod’ bezeichnet. „Der Tod ist den Menschen weniger vertraut als früher, wird zum verbotenen Objekt. Man hält es heutzutage für ausgemacht, dass das Leben – zumindest dem Anschein nach – Glück bedeutet. Der Ort des Todes verschiebt sich, man stirbt nicht mehr zuhause sondern im Krankenhaus. In dieser Atmosphäre ist der Tod zu einem technischen Problem geworden. Hier werden Emotionen vermieden. Der augenfällige Ausdruck von Schmerz erweckt Widerwillen, die einsame und verschämte Trauer ist die einzige Flucht. Die neue Konvention erfordert es, dass verheimlicht wird, was früher zur Schau gestellt, sogar vorgetäuscht werden musste: das eigene Leid. Die Angehörigen der Toten sind gezwungen, Gleichgültigkeit vorzutäuschen. Sie bemühen sich, nichts von ihrer Trauer zu zeigen, weil sie niemanden enttäuschen wollen.”

Einen geliebten Menschen verlieren

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