Читать книгу Raus aus der Mutterfalle - Dorothee Döring - Страница 6
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Der Mythos der „idealen Mutter" Merkmale der „idealen Mutter"
ОглавлениеDie „ideale Mutter" ist eine Fiktion in unseren Köpfen, wie eine Mutter sein sollte.
Mütter werden mit diesem Leitbild verglichen und beurteilt. So kommt es zu den Urteilen: „Sie ist eine gute Mutter - sie ist eine schlechte Mutter". Aber auch die Mütter selbst messen sich an diesem Anspruch, was dann zu Selbstzweifeln und Schuldgefühlen führen kann und ihnen das Gefühl gibt, ausweglos quasi in einer Falle zu sitzen, der „Mutterfalle".
Welche Rollen die „ideale Mutter" kennzeichnen, ist vom Zeitgeist abhängig, von politischen und sozialen Gegebenheiten. So hat sich das Mutterbild im Laufe der Jahrzehnte mehrfach gewandelt.1
Gehen wir zurück in die Geschichte, ist festzustellen, dass das Mutterbild in Deutschland wesentlich geprägt wurde durch Königin Luise von Preußen (1776-1810). Im Gegensatz zu arrangierten Ehen in anderen Königshäusern führte sie mit ihrem Gatten Friedrich Wilhelm keine auf Staatsräson fußende Zweckehe, sondern eine Liebesbeziehung. Ihre Kinder überließ Königin Luise keinen Gouvernanten, sondern kümmerte sich selbst um sie. Noch weit über ihren Tod hinaus beeinflusste sie das Bild der Frau und Mutter. Mit ihrer Haltung war Luise Vorbild für das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie, in dem der Vater als Erwerbstätiger die Familie versorgt und die Mutter zu Hause ein gemütliches, angenehmes Heim schafft und sich um Haushalt und Kinder kümmert.
Hatte vorher die Einheit von Mutter und Kind als etwas zutiefst Privates gegolten, so wurde das Mutterideal von den Nationalsozialisten funktionalisiert. Die Aufgabe der deutschen Mutter bestand während dieser Zeit darin, die arische Rasse fortzupflanzen. Frauen, die sich bewusst gegen die Mutterschaft entschieden, galten als entartet und krank. Die Nazis führten eine Steuerpolitik ein, die die Berufstätigkeit von Ehefrauen bestrafte. Die „deutsche Frau" sollte zu Hause bleiben und dem Führer möglichst viele Kinder gebären. Wichtig war nicht mehr, ob ein Kind ehelich geboren wurde oder nicht, sondern ob es von reiner (arischer) Abstammung war. Der Müttermythos des Dritten Reiches diente der nationalsozialistischen Propaganda. Danach bestand die Aufgabe der Frau im Gebären und der Aufzucht neuer Generationen. Wer „deutschblütig", „erbrein", nicht „asozial", „anständig", „sittlich einwandfrei" war und mindestens vier Kinder lebend geboren hatte, bekam das Mutterkreuz verliehen, das als große Ehre galt. Eine Frau galt nur etwas, wenn sie Mutter möglichst vieler Kinder war und so zur Stärkung der arischen Rasse beitrug. Dazu kam mit fortschreitendem Krieg die Verpflichtung, in der Kriegsindustrie zu arbeiten.
In den 1950er und 1960er Jahren rückte im Westen Deutschlands die Mutterschaft wieder in den privaten Bereich. Aus der Mutterrolle sollten Frauen eine tiefe Befriedigung ziehen können. Mütter sollten verheiratet sein und ihren Beruf zugunsten der Kinder aufgegeben haben. Den Bedürfnissen ihrer Kinder sollten sie höchste Priorität einräumen. Der Vater hatte lediglich die Rolle des Ernährers inne, seine Bedeutung in der kindlichen Entwicklung wurde fast vollständig ignoriert. An die Frauen stellte dieses Ideal hohe Ansprüche: Viele hatten ein schlechtes Gewissen, weil sie diesem rosigen Bild der Mutterschaft in der Praxis nicht entsprachen. Wer nicht in das Schema der glücklichen Kleinfamilie passte - z. B. Alleinerziehende, berufstätige Mütter, Stiefmütter - wurde gesellschaftlich ausgegrenzt.
Ausgelöst durch die Emanzipationsbewegung suchten während der 1970er und 1980er Jahre immer mehr Frauen einen Kompromiss zwischen dem traditionellen Mutterbild und dem zunehmenden Wunsch nach Berufstätigkeit, Gleichberechtigung und Unabhängigkeit. Man erachtete es schon als wichtig, dass Frauen eine gute Schul- und Berufsausbildung anstrebten, einen Beruf erlernten und diesen auch ausübten, bis das erste Kind geboren war. Anschließend sollte die Frau zu Hause bleiben und sich um die Familie kümmern. Erst wenn das Kind oder die Kinder sie nicht mehr dringend brauchten - so die damalige Vorstellung - könnte sie wieder einer Berufstätigkeit nachgehen. Noch heute gibt es Vertreter dieser Ideologie.
Die DDR setzte als zweiter deutscher Staat ganz auf die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Mutterschaft, weil Frauen im Arbeitsprozess unentbehrlich waren. Für die Kinder gab es Kinderkrippen, Ganztagskindergärten und Ganztagsschulen. Finanzielle Zuwendungen und Förderungen bekamen Mütter unabhängig davon, ob sie verheiratet waren oder nicht. Die Berufstätigkeit der Frauen wurde ideologisch angestrebt und konsequent gefördert, auch wenn Frauen - ähnlich wie in der Bundesrepublik - selten in Führungspositionen gelangten. Die Frau musste gleichberechtigt am Aufbau des Sozialismus mitwirken. Nur eine werktätige Mutter war dort eine gute Mutter.
Seit den 1990er Jahren gibt es kein vorherrschendes Mutterbild mehr. Inzwischen existieren verschiedene Lebensformen parallel nebeneinander. So gibt es zum einen die „Supermütter", die anscheinend spielend Karriere, Kinder und Haushalt unter einen Hut bringen. Zahlreiche Frauen arbeiten in Teilzeit, wieder andere - vor allem Frauen aus der Mittelschicht - verzichten ganz bewusst auf eine Berufsausübung, weil sie sich nicht weiter dem Druck von Konkurrenz und Fremdbestimmung im Arbeitsleben aussetzen wollen. Sie erhoffen sich durch das Ausleben der Familienrolle eine bessere Selbstverwirklichung als im Beruf. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Alleinerziehende oder Frauen aus den unteren sozialen Schichten, für die sich diese Frage gar nicht stellt: Sie sind aus finanzieller Notwendigkeit heraus gezwungen, trotz Kindern zu arbeiten. Die Kinderbetreuung übernehmen hier oft Großeltern, Geschwister, Nachbarn oder Bekannte, besonders wenn die Frauen in Schichtdiensten arbeiten. Viele Kinder bleiben auch zeitweise sich selbst überlassen.
Das gesellschaftliche Leitbild der Mutterrolle wurde auch durch das neue Unterhaltsrecht vom 1. Januar 2008 nachhaltig verändert. Der nacheheliche Ehegattenunterhalt für den geschiedenen Ehepartner wurde vom Gesetzgeber zur Ausnahme erklärt, wodurch der bisherige Regelfall ausgehebelt wurde. Durch das neue Unterhaltsrecht wird unterstellt, dass jeder Ehegatte sich selbst unterhalten kann und er Unterhalt nur dann bekommt, wenn er außer Stande ist, für seine Existenz zu sorgen. Das ist der Fall, wenn ein Ehepartner nicht genug Geld verdienen kann, weil er Kinder betreut, zu alt oder zu krank ist, eine Ausbildung abschließt oder keinen Job findet.
Nach altem Recht galt, dass nicht verheiratete Mütter vom Kindesvater im Normalfall nur Unterhalt verlangen konnten, bis das Kind drei Jahre alt war. Geschiedene dagegen durften darauf bauen, dass sie überhaupt erst wieder Teilzeit arbeiten mussten, wenn ihr Kind acht Jahre alt war, bei zwei oder mehr Kindern sogar noch später.
Heidi, 33:
„Ich habe nie darüber nachgedacht, ob ich nach der Geburt unserer Kinder wieder berufstätig sein wollte. Ich war glücklich mit meiner Familie, meinen Kindern und der Rollenteilung, dass mein Mann das Familieneinkommen verdiente und ich Haus- und Familienarbeit leistete. Aber mich finanziell nicht abzusichern, das war nicht gerade clever von mir. Nachdem mein Mann mich verlassen hat, bekomme ich keinen Cent von ihm, obwohl unsere kleine Tochter erst 4 Jahre alt ist. Während der Kindergartenbetreuung wird von mir erwartet, dass ich Teilzeit arbeiten gehe. Meinen ehemaligen Beruf als Krankenschwester kann ich wegen des Schichtdienstes vergessen. Teilzeitarbeit ist dort ohnehin nicht möglich und mein Einkommen reicht auch bei Vollzeitarbeit nicht aus, um eine Kinderbetreuung zu organisieren und zu bezahlen. Heute rate ich allen Frauen, bei aller Verliebtheit auch an ihre Versorgung zu denken. Gefühle können sich schnell ändern."
Seit Ursula von der Leyens Zeit im Familienministerium während der Großen Koalition (2005-2009) fördert der Staat ganz gezielt die volle Berufstätigkeit von Müttern. Es wurde die bezahlte Elternzeit eingerichtet, um hoch qualifizierte Frauen zu motivieren, Kinder zu bekommen. Berufstätige Mütter können 14 Monate zu Hause bei ihrem Kind bleiben und es selbst versorgen, statt es - wie es früher üblich war - nach der gesetzlichen Mutterschutzfrist (6 Wochen vor und 8 Wochen nach der Geburt) in Fremdbetreuung zu geben. Nebenbei wurde von der Familienpolitik aber auch das Ziel verfolgt, Frauen finanziell unabhängiger zu machen und die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass jede Frau ihre eigene Altersvorsorge erwirtschaftet. Das allerdings geht nur mit Vollzeitbeschäftigung.
Inzwischen hat man auch den Eindruck, dass die nicht berufstätigen Mütter in eine Rechtfertigungshaltung gedrängt werden, weil man ihnen unterstellt, den Staat zu schädigen, weil sie das Bruttosozialprodukt nicht mehren, sondern oft auf staatliche Unterstützung angewiesen sind und auch später von Altersarmut bedroht sein könnten und dann der Allgemeinheit zur Last fielen.